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The Holocaust History Project.
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Einsatzgruppen-Prozess Ulm
(Einsatzkommando Stapo und SD Tilsit) - Urteil

LG Ulm vom 29.8.1958, Ks 2/57

INHALTSVERZEICHNIS

I. Abschnitt
A. Allgemeines
I. Zusammenfassung der den Angeklagten zur Last gelegten strafbaren Handlungen
II. Angabe der Beweismittel
B. Feststellungen zur Person
I. Angekl. Fischer-Schweder
II. Angekl. Schmidt-Hammer
III. Angekl. Böhme
IV. Angekl. Hersmann
V. Angekl. Sakuth
VI. Angekl. Kreuzmann
VII. Angekl. Harms
VIII. Angekl. Carsten
IX. Angekl. Behrendt
X. Angekl. Lukys
C. Entwicklung der Judenfrage
I. Gesetzliche Bestimmungen gegen die Juden
II. Endlösung
III. Barbarossabefehl
IV. Einsatzgruppen
V. Die Urheber der Massnahmen für die Massenvernichtung
1. Die Taturheber Hitler, Himmler usw.
2. Rede Himmlers in Posen am 4.10.1943
3. Subjektive Seite der Taturheber
4. Wannsee-Konferenz am 20.1.1942
VI. Die Juden im Memelland und in Litauen bis zum Einmarsch der deutschen Truppen
VII. Ereignismeldungen UdSSR und Stahlecker-Bericht
1. Die Ereignismeldungen UdSSR
2. Der Stahlecker-Bericht
D. Die Organisation der deutschen Polizei, Gliederung der Stapo Tilsit und des SD Tilsit und der Schutzpolizei Memel
I. Gesamte deutsche Polizei
II. Staatspolizeiabschnitt Tilsit
III. Sicherheitsdienst-Abschnitt Tilsit
IV. Die Staatliche Polizeidirektion Memel und die Schutzpolizei Memel

II. Abschnitt
A. Bildung des Einsatzkommandos Stapo und SD Tilsit
I. Die 3 Erlasse A-C
II. Stahlecker-Besprechung
B. Die Exekutionen durch Stapo und SD Tilsit
I. Garsden (I)
Tatsächliche Feststellungen
1. Der Kampf um Garsden
2. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten von Garsden
3. Die Vorbereitungen für die Exekution in Garsden
4. Die Durchführung der Exekution in Garsden
5. Die Tätigkeit der einzelnen Angeklagten bei der Durchführung der Erschiessung in Garsden
a. Objektive Tätigkeit der einzelnen
b. Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Tötung
c. Vorstellung der Angeklagten von der inneren Einstellung der
Haupttäter
d. Teilnahmeform
e. Kein Glaube an die Verbindlichkeit des Befehls
f. Keine unausweichliche Zwangslage
Beweiswürdigung
1. Die Taturheber
a. Allgemeines
b. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
c. Handeln mit Überlegung
d. Handeln aus niedrigen Beweggründen
e. Grausames Handeln
f. Teilnahmeform
2. Kein Widerstand durch die Zivilbevölkerung in Garsden
3. Die 3 Erlasse A-C und die Besprechung mit Dr. Stahlecker
a. Geheimerlasse
b. Stahlecker-Besprechung
4. Ereignismeldungen UdSSR, Stahlecker-Berichte und andere Urkunden
5. Die Mitwirkung der Angeklagten bei der Erschiessung in Garsden
a. Der Angekl. Böhme
b. Der Angekl. Hersmann
c. Der Angekl. Harms
d. Der Angekl. Behrendt
e. Der Angekl. Sakuth
f. Der Angekl. Kreuzmann
g. Der Angekl. Fischer-Schweder
h. Der Angekl. Schmidt-Hammer
II. Krottingen (I)
1. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten und die Durchführung der Erschiessung
2. Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten
3. Beweiswürdigung
a. Der Angekl. Böhme
b. Der Angekl. Hersmann
c. Der Angekl. Kreuzmann
d. Der Angekl. Harms
e. Der Angekl. Behrendt
f. Der Angekl. Sakuth
g. Der Angekl. Fischer-Schweder
h. Der Angekl. Schmidt-Hammer
i. Der Angekl. Lukys
III. Augustowo
1. Vorbereitung und Durchführung der Erschiessung
2. Beweiswürdigung
IV. Krottingen (II)
1. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten und ihre Erschiessung
2. Beweiswürdigung
V. Polangen (I)
1. Die Gefangennahme der Juden und ihre Erschiessung
2. Die Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten
3. Beweiswürdigung
a. Der Angekl. Böhme
b. Der Angekl. Hersmann
c. Der Angekl. Fischer-Schweder
d. Der Angekl. Sakuth
e. Der Angekl. Behrendt
f. Der Angekl. Harms
g. Der Angekl. Schmidt-Hammer
zu a. - g.
VI. Szweksznie
1. Die Gefangennahme der Juden und ihre Erschiessung
2. Beweiswürdigung
VII. Krottingen (III)
1. Gefangennahme und Erschiessung der Juden
2. Beweiswürdigung
VIII. Tauroggen (I)
1. Verhaftung und Erschiessung der Opfer
2. Beweiswürdigung
IX. Georgenburg (I)
1. Festnahme und Erschiessung der Juden und Kommunisten
2. Die Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten
3. Beweiswürdigung
X. Tauroggen (II)
1. Festnahme und Erschiessung der Juden
2. Beweiswürdigung
XI. Wladislawa-Neustadt
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XII. Krottingen (IV)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XIII. Einzelerschiessung bei Schmalleningken
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XIV. Einzelerschiessung zwischen Batakai und Georgenburg
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XV. Wirballen-Kyrbatai
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XVI. Krottingen (V)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XVII. Vevirzeniai (I)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XVIII. Wilkowischken
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XIX. Polangen (II)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XX. Erschiessung des ehemaligen litauischen Krim.Kommissars
Gewildis bei Krottingen
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XXI. Polangen (III)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XXII. Calvaria Kreis Mariampol
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung

III. Abschnitt
Die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder
A. Allgemeines
I. Tatsächliche Feststellungen
II. Beweiswürdigung
B. Die Besprechung beim Landrat in Litauisch Krottingen
I. Tatsächliche Feststellungen
II. Beweiswürdigung
C. Einzelfälle der Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder
I. Georgenburg (II)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
II. Wirballen
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
III. Krottingen (VI)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
IV. Garsden (II)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
V. Heydekrug - Kolleschen
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
VI. Polangen (IV)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
VII. Batakai (Bataikia)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
VIII. Krottingen (VII)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
IX. Vevirzeniai (II)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
X. Tauroggen (III)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
XI. Mitwirkung des Angekl. Hersmann bei einer namentlich nicht bekannten Frauen- und Kindererschiessung
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung

IV. Abschnitt
Erschiessungen ohne Mitwirkung der Angeklagten
I. Mariampol
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
Vorbemerkung zu den nachfolgend genannten Erschiessungen
II-VII
II. Krottingen (VIII)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
III. Pilwischken
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
IV. Skaudvile
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
V. Vainutas
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
VI. Erschwilkis (Erzwilki)
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung
VII. Schilale
1. Tatsächliche Feststellungen
2. Beweiswürdigung

V. Abschnitt
Rechtliche Würdigung
I. Vorfragen
1. Geltungsbereich des deutschen Strafrechts
2. Kein Verstoss gegen den Grundsatz "ne bis in idem"
3. Keine Verwirkung des Strafanspruchs
4. Deliktsfähigkeit Hitlers
5. Zeitliche Geltung der Strafgesetze
II. Straftat der Haupttäter
1. Die Urheber der Massnahmen
2a. Objektive Rechtswidrigkeit
b. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
c. Keine Rechtfertigungsgründe
3a. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft
b. Tötung mit Überlegung
c. Tötung aus besonders verwerflichen Gründen
4. Gleichartige Tateinheit
III. Die Strafarten der Angeklagten
1. Mitwirkung der Angeklagten auf Grund des Grundsatzbefehls
2a. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, Kenntnis vom verbrecherischen Zweck des Befehls
b. Keine Rechtfertigungsgründe
3a. Gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord
b. Mitursächlichkeit der Beihilfehandlungen
4. Beihilfe zum Mord i.S. des §211 StGB alte und neue Fassung
5. Gleichartige Tateinheit
6. Totschlag des Angekl. Behrendt im Fall Gewildis
7. Kein Nötigungsnotstand
IV. Zusammenstellung der einzelnen Straftaten der Angeklagten
V. Keine Verjährung der Straftaten der Angeklagten

VI. Abschnitt
A. Allgemeine Strafzumessungsgründe
B. Die Strafzumessungsgründe im einzelnen
1. Angekl. Böhme
2. Angekl. Hersmann
3. Angekl. Fischer-Schweder
4. Angekl. Lukys
5. Angekl. Kreuzmann
6. Angekl. Harms
7. Angekl. Behrendt
8. Angekl. Carsten
9. Angekl. Sakuth
10. Angekl. Schmidt-Hammer
C. Strafen
I. Hauptstrafen
II. Nebenstrafen
III. Nachtrag zum Fall Augustowo
IV. Ausführungen zu §47 Abs.3 MStGB
V. Straffreiheitsgesetze
VI. Untersuchungshaft, Internierungshaft, Eventualbeweisantrag

VII. Abschnitt
Kostenentscheidung

Im Namen des Volkes

Strafsache gegen

1. den am 12.1.1904 in Berlin-Spandau geb., in Ulm/Donau zuletzt wohnhaften, verh. Kaufmann Bernhard Fischer-Schweder,
2. den am 28.8.1907 in Vogelsang Krs.Elbing/Ostpr. geb., in Heidenheim-Schnaitheim zuletzt wohnhaften, verh. Optikermeister Werner Schmidt-Hammer,
3. den am 10.1.1909 in Magdeburg geb., in Karlsruhe-Grünwinkel zuletzt wohnhaften, verh. Wirtschaftsjuristen Hans-Joachim Böhme,
4. den am 11.9.1904 in Duisburg-Ruhrort geb., in Frankfurt/Main zuletzt wohnhaften, verh. Maschinenbauingenieur Werner Hersmann,
5. den am 3.6.1909 in Tilsit geb., in Northeim zuletzt wohnhaften, verh. Verwaltungsangestellten Edwin Sakuth,
6. den am 4.6.1909 in Königsberg geb., in Hohenlockstedt Krs.Steinburg/Holstein zuletzt wohnhaften, verh. kaufm. Angestellten Werner Kreuzmann,
7. den am 6.12.1892 in Südarle/Ostfriesland geb., in Bremen zuletzt wohnhaften, verh. Schuhmacher Harm Willms Harms,
8. den am 3.2.1909 in Sorquitten Krs.Sensburg/Ostpr. geb., in Arnsberg zuletzt wohnhaften, verh. Kriminalsekretär Gerhard Carsten,
9. den am 28.1.1912 in Memel geb., in Stelle Krs.Marburg zuletzt wohnhaften, verh. Buchhalter Franz Behrendt,
10. den am 3.7.1900 in Raseiniai/Litauen geb., in Augsburg zuletzt wohnhaften verh. Buchhalter Pranas Lukys alias Jakys, - Ziff.1-10 in Untersuchungshaft in der Untersuchungshaftanstalt Ulm/Donau -

wegen Mordes bezw. wegen Beihilfe zum Mord.

Das Schwurgericht in Ulm/Donau hat in der Sitzung vom 29.August 1958 für Recht erkannt:

I. Verurteilt werden:

1. Der Angeklagte Böhme wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 3907 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 15 Jahren; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 10 Jahren aberkannt;

2. der Angeklagte Hersmann wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 1656 Fällen unter Einrechnung der gegen ihn durch Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 erkannten Zuchthausstrafe von 8 Jahren und 5 Jahren Ehrverlust, die beide in Wegfall kommen, zu der Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 10 Jahren aberkannt;

3. der Angeklagte Fischer-Schweder wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 10 Jahren; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 7 Jahren aberkannt;

4. der Angeklagte Lukys wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 315 Fällen zu ~.....~; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 5 Jahren aberkannt;

5. der Angeklagte Kreuzmann wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 415 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 5 Jahren; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 4 Jahren aberkannt;

6. der Angeklagte Harms wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 3 Jahren; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 2 Jahren aberkannt;

7. der Angeklagte Behrendt wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 1126 Fällen und wegen eines weiteren Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Totschlag in einem Fall zu der Gesamtstrafe von 5 Jahren, 3 Monaten Zuchthaus; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 3 Jahren aberkannt;

8. der Angeklagte Carsten wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 423 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 4 Jahren; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 3 Jahren aberkannt;

9. der Angeklagte Sakuth wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen zu der Zuchthausstrafe von 3 Jahren, 6 Monaten; die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von 2 Jahren aberkannt;

10. der Angeklagte Schmidt-Hammer wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen zu ~.....~.

II. Sämtlichen Angeklagten wird die erlittene Untersuchungshaft auf die erkannten Strafen angerechnet, dem Angeklagten Hersmann ausserdem die auf Grund des Urteils des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 verbüsste Strafhaft und die dort angerechnete Untersuchungshaft.

III. Im übrigen werden die Angeklagten freigesprochen.

IV. Soweit die Angeklagten verurteilt sind, tragen sie die Kosten des Verfahrens. Im übrigen fallen die Kosten der Staatskasse zur Last.

GRÜNDE

I. Abschnitt

A. Allgemeines

I. Zusammenfassung der den Angeklagten zur Last gelegten strafbaren Handlungen

In den Eröffnungsbeschlüssen vom 29.1.1958 und vom 17.2.1958 wird den Angeklagten zur Last gelegt, sie haben in dem Zeitraum vom 24.6.1941 bis Herbst 1941 entlang der deutschen Grenze in einem etwa 25 km breiten, auf litauischem Boden gelegenen Grenzstreifen auf Befehl an Massenmorden von Juden und Kommunisten bezw. von kommunistisch verdächtigen Personen mitgewirkt.

Dabei werden dem Angekl. Fischer-Schweder 711, dem Angekl. Böhme 5186 und weitere 83 und dem Angekl. Hersmann 5186 jeweils in Mittäterschaft begangene Verbrechen des Mordes i.S. der §§211 alte und neue Fassung, 47, 74 StGB und dem Angekl. Schmidt-Hammer 648 sowie den Angeklagten Sakuth, Kreuzmann, Harms, Carsten, Behrendt und Lukys je mehrere hundert Verbrechen der Beihilfe zum Mord i.S. der §§211 alte und neue Fassung, 49, 74 StGB zur Last gelegt.

II. Angabe der Beweismittel

In der vom 28.4.1958 bis 29.8.1958 dauernden Hauptverhandlung sind nachfolgende Feststellungen zur Person und zur Sache getroffen worden auf Grund

1. der Einlassungen der 10 Angeklagten,

2. der Aussagen folgender 177 Zeugen: A., Dr. Al., Ar., Au., B., v.d. Ba., Bag., Bal., Ban. Amanda, Ban. Kurt, Ban. Paul, Dr. Bl., Blö., Dr. Blu., Dr. Bo., Bö., Dr. Böt., v. Bom., Br., Bre., Bü., Dr. Bu., C., Ce., Ch., D., E., En., Enn., Dr. Es., Graf v. F., Fe., Fen., Fl., Fr., Fre., Fri., Fu., Fum., v. G., Ga., Ge., Gen., Gerke, v. Gers., Gew., Gi., Git., Gl., Gö., Gr., Gri., H., Ha., D'He., Hen. Paul, Hen. Karl, Hi., Ho., Hof., Dr. Hu., Ilges, Je., Jes., Jo., Ju., Jur., K., Ka., Kas., Kat., Kazi., Ke., Dr. Ki., Kit., Kn. Emil, Kn. Helene, Kni., Dr. Kno., Ko., Kol., Kr., Dr. Ku. Gustav, Ku. Eleonore, Kub., Kut., Krumbach, La., Li., Lin., L., Lis., M., Mark., Mar., Ma., Me., Mey., Mi., Mö., Mo., Mü. (Kriminalrat), Mü. Emil, N., Dr. Ni., No., Nos., O., Op., Opf., Or., Os., Dr. P., Pa., Pap., Pau., Pe., Per., Pes., Pi., Pro. Liubomiras, Pro. Viktoria, Q., Qu., R., Dr. Ra., Ras., Rau., Re., Rei., Ren., Ri., Ris., Dr. Ro. (Oberstaatsanwalt), Dr. Roh. (Reg.Präs. a.D.), Rö., Rom., Ros., Rot., Ru., Dr. Ruk., Dr. S., Sa., Sc., Sch., Schu., Schul., Schw., Se., Sep., Dr. Ser., Si., Sin., So., Sp., St., Ste., Stu., Su., T., Th., To., Tor., U., Us., W., Wa., War., We., Wei., Weis., Wi., Wo., Wu., Z.,

3. der verlesenen polizeilichen bezw. richterlichen Vernehmungsprotokolle der Zeugen Dr. Di., Dr. Bri., Fra., Gerb., Gü., Dr. Kar., Na., Steb.,

4. der Aussagen der 6 Sachverständigen: Dr. Bl., Rabbiner, Stuttgart (wurde auch als Zeuge vernommen), Dr. Es., Ministerialrat, Bonn (wurde auch als Zeuge vernommen), H., Regierungsrat beim Landesamt für Wiedergutmachung, Stuttgart (wurde auch als Zeuge vernommen), Dr. Kra., Institut für Zeitgeschichte der Universität München, Dr. Ser., Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Göttingen (wurde auch als Zeuge vernommen), Wer., Landgerichtsrat beim Landgericht Stuttgart,

5. der zur Verlesung gebrachten Urkunden:

Kriegstagebuch des II/IR 176 v. 21. - 23.6.1941 (Bl.4683-86);
Aussagen des Lahousen (französischer Nachrichtenoffizier) im Nürnberger Prozess über Besprechung vom 12.9.1939 im Führerzug wegen Massnahmen in Polen (IMT Bd.2 S.492-495);
Aussagen des Wisliceny (früher RSHA Amt IV A 4 - Judenfrage) im Nürnberger Prozess: Endlösung der Judenfrage auf Befehl von Hitler (IMT Bd.4 S.396-398);
Aussagen des Schellenberg (früher Chef des Amts VI beim RSHA) im Nürnberger Prozess über die Ende Mai 1941 zwischen Heydrich und Generalquartiermeister Wagner geführten Verhandlungen über die Durchführung der Sicherheitsmassnahmen im Gebiet "Barbarossa" auf Grund des Führerbefehls (IMT Bd.4 S.415-418);
Aussagen des Schellenberg im Nürnberger Prozess über Einsatz der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes im Russlandfeldzug (IMT Bd.32 S.471-475);
Aussagen des Ohlendorf (früher Chef des Amts III beim RSHA) im Nürnberger Prozess über Einsatzgruppen, Gaswagen, Liquidierung auf Befehl Hitlers (IMT Bd.4 S.346-353, S.359-360, S.366-369, S.374-376);
Aussagen des Göring im Nürnberger Prozess über Endlösung der Judenfrage, Barbarossabefehl (IMT Bd.9 S.459-461, S.575-577, 686-688, 704-708);
Aussagen des Keitel (früher Generalfeldmarschall) im Nürnberger Prozess über die Ansprache Hitlers vom 14.Juni 1941 an die Befehlshaber im Osten betr. Entscheidungskampf zwischen zwei Weltanschauungen und Aufhebung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet "Barbarossa" (IMT Bd.10 S.597-599, S.601-603);
Aussagen des Höss (früher Kommandant des KZ Auschwitz) im Nürnberger Prozess über Endlösung der Judenfrage auf Befehl Hitlers (IMT Bd.11 S.440-441, S.458-460);
Bericht des früheren Reichsjustizministers Thierack über Besprechungen mit Himmler vom 18.9.1942 über Vorschläge zur Vernichtung der Asozialen und Erledigung der Juden (IMT Bd.26 S.200-203);
Auftrag Görings an Heydrich vom Juli 1941 zur Vorbereitung einer Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa (IMT Bd.26 S.266-267 Doc.710-Ps; geheimes Rundschreiben des Bormann vom 30.9.1941 über die Behandlung russischer Kriegsgefangener (IMT Bd.27 S.273 Doc.519-Ps);
geheime Richtlinien des Reichskommissars für das Ostland vom 13.8.1941 für die Behandlung der Juden (Endlösung in dem von ihm verwalteten Gebiet) IMT Bd.27 S.18-25 Doc.1138-Ps);
Rede Himmlers bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4.10.1943: Judenliquidierungen (S.145-146), der Gehorsam und die Entbindung vom Befehl (S.150-151), Tapferkeit, Zivilcourage (S.151-153) (IMT Bd.29 S.110-173 Doc.1919-Ps);
Ansprache des Frank, früher Generalgouverneur von Polen, in der Sitzung der Regierung des Generalgouvernements vom 16.12.1941 über die Vernichtung der Juden (IMT Bd.29 S.502-503);
undatierter geheimer Bericht des Dr. Stahlecker (früher SS-Brigadeführer und Leiter der Einsatzgruppe A) über die von der Einsatzgruppe A durchgeführten Massenermordungen von Juden in West- und Weissrussland sowie in den baltischen Staaten mit Angabe von Zahlen (IMT Bd.30 S.71-80 Doc.2273-Ps);
Bericht des Dr. Stahlecker über die Tätigkeit der Einsatzgruppe A im Frontgebiet von Nordrussland und dem besetzten Gebiet der baltischen Staaten bis zum 15.Oktober 1941: Massenhinrichtungen von Juden und Kommunisten unter Zahlenangabe; (Stapo Tilsit insgesamt 5502 Personen liquidiert), Judenpogrome, Anfertigung von Lichtbildern bei Exekutionen zum Nachweis der Mitwirkung der Litauer (IMT Bd.37 S.670-717 Doc.180-L);
Blitzfernschreiben Heydrichs an die Stapo und den SD vom 10.11.1938 wegen des Vorgehens gegen die Juden in der Kristallnacht (IMT Bd.31 S.515-519 Doc.3051-Ps);
Schnellbrief Heydrichs an Göring vom 11.11.1938 wegen der Aktion gegen die Juden in der Kristallnacht (IMT Bd.32 S.1-2); Erlass Hitlers vom 13.5.1941 über Ausschaltung der Kriegsgerichtsbarkeit bezüglich der Zivilbevölkerung im Gebiet Barbarossa (IMT Bd.34 S.249-254 Doc.050-C);
Bericht des Katzmann, früher SS-Gruppenführer, über die Lösung der Judenfrage im Distrikt Galizien (IMT Bd.37 S.392-395, S.397-398, S.401-403, S.405-406);
Einsatzbefehl Nr.14 des RSHA an die Einsatzgruppen vom 29.10.1941 betr. "Säuberung" der mit sowjetischen Kriegsgefangenen belegten Lager durch Sonderkommandos (IMT Bd.39 S.265-268 Doc.014 UdSSR);
Fotokopien von Personalakten des RSHA aus dem Doc.Center Berlin von Fischer-Schweder (Bew.St.Nr.6 Bd.1 Bl.2, 23, 26, 28, 29, 36-48);
Ereignismeldung UdSSR Nr.2 vom 23.6.1941 über die Verhaftung von 114 Personen in Suwalki (Bew.St.9a S.1);
Ereignismeldung UdSSR Nr.6 vom 27.6.1941: Stapo Tilsit nimmt in einem Grenzstreifen von 25 km Säuberungsaktionen von Heckenschützen pp. vor (Bew.St.9b S.6);
Ereignismeldung UdSSR Nr.7 vom 28.6.1941: In Skudas erfolgt unter der jüdischen Bevölkerung eine Strafaktion für die durch Juden herbeigeführte Einäscherung von litauisch Krottingen (Bew.St.9c S.3);
Ereignismeldung UdSSR Nr.11 vom 3.7.1941: Genehmigung für Stapo Tilsit zur Durchführung der Säuberungsaktion im Grenzgebiet (Bew.St.9d S.4-5, 7);
Ereignismeldung UdSSR Nr.12 vom 4.7.1941: 200 Erschiessungen der Stapo Tilsit (Bew.St.9e S.2 Ziff.II, S.4 oben);
Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941: Bei 3 Grosseinsätzen in Garsden, Krottingen und Polangen vorwiegend Juden durch Stapo Tilsit liquidiert (Bew.St.9f S.2 Ziff.II, S.5 Mitte);
Ereignismeldung UdSSR Nr.15 vom 7.7.1941: Durchführung von Pogromen (Bew.St.9g S.4-6);
Ereignismeldung UdSSR Nr.17 vom 9.7.1941: u.a. Bericht über Zusammenarbeit zwischen litauischen Partisanen und den Einsatzkommandos (Bew.St.9h S.1 Ziff.II, S.2 und 3, S.10-15 Mitte);
Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941: Von Stapo und SD Tilsit am 2.7.1941 in Tauroggen 133 Personen, am 3.7.1941 in Georgenburg 322 Personen, darunter 5 Frauen, in Augustowo 316 Personen, darunter 10 Frauen und in Mariampol 68 Personen, ferner von GPP Schirrwindt in Wladislawa-Neustadt 192 Personen, von GPP Laugszargen in Tauroggen 122 Personen, von GPK Memel bezw. GPP Bajohren in Krottingen 63 Personen, von GPP Schmalleningken 1 Person, insgesamt bisher 1743 Personen erschossen; detachierte Gruppen von Einsatzkommando 3 (Jäger) z.Zt. in Mariampol und Raseiniai tätig (Bew.St.9i S.1-4, S.6 Ziff.III);
Ereignismeldung UdSSR Nr.24 vom 16.7.1941: Einsatzkommando 3 zieht seine Leute aus Mariampol zurück usw. (Bew.St.9k S.2-6 Mitte);
Ereignismeldung UdSSR Nr.26 vom 18.7.1941: Stapo Tilsit meldet bisherige Liquidierung von insgesamt 3302 Personen (Bew.St.9l S.1 Ziff.II Abs.1);
Ereignismeldung UdSSR Nr.40 vom 1.8.1941: Bildung einer sog. Regierung in Litauen unter dem litauischen Gesandten in Berlin, Skirpa; in allen Städten Litauens spontane Pogrome (Bew.St.9m S.6 Ziff.II, S.7 oben, S.11-12 unten, S.14 unten, 15 Mitte);
Ereignismeldung UdSSR Nr.54 vom 16.8.1941: Beauftragter für Litauen ist Generalkommissar v. Renteln, und Gebietskommissar für Schaulen Gewecke; am 25.7.1941 in Mariampol 103 Juden, darunter 13 Frauen, und am 29.7.1941 in Raseiniai 254 Juden und 3 Kommunisten liquidiert (Bew.St.9n S.1-6 Mitte, S.16-17 Mitte);
Ereignismeldung UdSSR Nr.66 vom 28.8.1941: Politischer Stimmungsbericht der Stapo Tilsit über das Grenzgebiet (Bew.St.9o S.1-2 oben);
Befehl des Generalkommandos des Heeres vom 28.4.1941 betr. Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verband des Heeres (Bew.St.11 bezw. 11a);
Erlass des Reichsführers SS vom 9.4.1940 betr. Sondergerichtsbarkeit der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz und Erlass der Ordnungspolizei vom 19.5.1940 als Ausführungsanordnung; sowie Erlass des Reichsministers der Justiz vom 29.1.1941 (Bew.St.12a);
weiterer Ergänzungserlass des Chefs der Ordnungspolizei vom 9.12.1941 zu dem Erlass vom 19.5.1940 und Erlass des Reichsministers der Justiz vom 15.4.1942 (Bew.St.12c);
Erlass des Reichsführers SS - Hauptamt SS-Gericht - vom 27.8.1942 betr. Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz und Unterstellung der Ordnungspolizei unter die SS- und Polizeigerichtsbarkeit (Bew.St.12d);
Erlass des Reichsministers der Finanzen vom 27.1.1938 über die Vereinbarung mit dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern betr. Mitwirkung der Behörden der Reichsfinanzverwaltung Abt. Zoll im Grenzpolizeidienst (Bew.St.16);
Fotokopie des Kriegstagebuchs Nr.1 (Band Dezember 1941) des Oberkommandos der Heeresgruppe Mitte, Ablehnung der Erschiessungen der Juden und Kommissare durch das Offizierskorps (Bl.4666-69);
Schreiben des Standesbeamten Gelsenkirchen über die Todesursache des Zeugen Kar. (Bl.4710);
Abschiedsbrief des verstorbenen Zeugen Gerb.
Aus den Personalakten des OLG Präsidenten Hamm betr. Dr. Kar. Bl.1;
aus den Personalakten des OLG Düsseldorf betr. Dr. Kar. das Gesuch um Übernahme als Richter oder Staatsanwalt und der Lebenslauf, ferner Bl.18, 74-75, 107, 111, 112, 117 R. und 120 sowie der Vermerk über das Dienstleistungszeugnis vom 30.4.1941;
Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 18. - 21.9.1950 - Ks 3/50 - gegen Hersmann und Wahrspruch der Geschworenen;
aus den Spruchkammerakten der Spruchkammer München - H 10215/52 - gegen Hersmann der Spruch vom 10.10.1952 S.1-10;
aus den Spruchkammerakten der Spruchkammer Bremen - Az. 710/48 - gegen Harms der Spruch 1. Instanz vom 18.1.1948 Bl.55 und der Berufungsinstanz vom 28.6.1949 Bl.66-68;
aus den Spruchgerichtsakten des Spruchgerichts Hiddesen - 4 Sp.Ls 113/47 - gegen Sakuth das Urteil vom 1.10.1947 Bl.35-37, die Verfügung vom 1.9.1948 über gnadenweise Strafaussetzung Bl.68 und die Verfügung über Erlass der Reststrafe vom 26.6.1951 Bl.84;
aus den Spruchgerichtsakten des Spruchgerichts Stade - 11 Sp.Ls 73/47 - gegen Behrendt das Urteil vom 5.12.1947 Bl.8-9;
Bescheinigung der Zentralspruchkammer Nordwürttemberg vom 5.10.1949, wonach Schmidt-Hammer als "nicht betroffen" gilt; Bescheinigung wurde an RA Dr. Nissen zurückgegeben (Bl.532-538);
Abschrift des Spruchgerichtsurteils des Spruchgerichts Benefeld-Bomlitz vom 9.3.1948 - Sp.Ls 60/48 - gegen Kreuzmann (Bl.4917-20);
Rangtafel der Wehrmachts-, Polizei-, SS- und Partei-Dienstgrade, vorgelegt vom Zeugen v. Bom. (Bl.123a);
Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 13.10.1942 an Reichsleiter Bormann, Doc.NG-558 (Bl.4839-40);
Aussprache zwischen Reichsjustizminister Dr. Thierack mit Dr. Goebbels vom 14.9.1942, Doc.682-Ps (Bl.4841-42);
Völkischer Beobachter, Süddeutsche Ausgabe A vom 28./29.Mai 1944, Aufsatz von Dr. Goebbels: "Ein Wort zum feindlichen Luftterror" (Bl.4869-70);
Runderlass des Reichs- und Preuss. Ministers des Innern vom 8.5.1937 (RMBliV S.753) über Grenzpolizei (Bl.4905 R.);
Runderlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei in RMdI vom 7.11.1939 (RMBliV S.2291) über die Organisation der Geheimen Staatspolizei in den Ostgebieten (Bl.4907 R.);
Briefe des Angekl. Fischer-Schweder an seine Ehefrau vom 8.11.1956, 9.11.1956 und 11.7.1957 (Bl.1018, Bl.1019, 3547 c-d);
Artikel des Angekl. Fischer-Schweder in den "Ulmer Nachrichten" vom 26.5.1955 (Bl.4587a);
Fotokopie des Entlassungsscheines des Angekl. Carsten über seine am 4.11.1950 erfolgte Entlassung aus dänischer Internierung bezw. Kriegsgefangenschaft (Bl.4480);
Flüchtlingsausweis des Angekl. Lukys vom 4.11.1953 (Bl.4807);
6. der zum Gegenstand des Augenscheins gemachten
Skizze des Zeugen Br. (Bl.4974a),
Skizze des Zeugen Si. (Bl.4974b),
der beiden von dem Zeugen Gi. angefertigten und wieder zurückgegebenen Lichtbilder über den Brand von Krottingen;
der Personen- und Landschaftsaufnahmen sowie der Fischer-Schweder-Brücke, Bew.St.3-4.

B. Feststellungen zur Person

I. Angekl. Fischer-Schweder

Der Angekl. Fischer-Schweder ist am 12.Januar 1904 als Sohn des Baumeisters Karl Fischer und der Elise geb. Schweder geboren. Auf Grund der Verfügung des Regierungspräsidenten Gumbinnen vom 8.4.1942 führte er von diesem Zeitpunkt ab anstelle des bisherigen Familiennamens Fischer den Familiennamen "Fischer-Schweder".

Von 1910-1912 besuchte er die Oberrealschule in Spandau und von 1912-1920 das dortige Pädagogium des Evang. Johannesstiftes. Von 1920-1924 volontierte er bei den Deutschen Industriewerken und besuchte nebenbei die Höhere Staatliche Maschinenbauschule in Berlin. Im Jahr 1921 gehörte er dem Freikorps "Fürstner" und im Jahr 1923 der "schwarzen Reichswehr" an.

Am 28.8.1925 wurde der Angekl. Fischer-Schweder Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 17 141), nachdem er zuvor schon der SA beigetreten war. Im Januar 1929 trat er aus der NSDAP aus, im April 1929 in diese aber wieder ein. Nach einem 6wöchigen Lehrgang bei der Reichsführerschule der SA im Jahr 1930 wurde er zum SA-Sturmbannführer und im Jahr 1931 zum SA-Standartenführer befördert. In den Jahren 1931 und 1932 war er hauptamtlich Gauredner der NSDAP im Gau Brandenburg. Wegen Verdachts der Beteiligung an dem "Röhm-Putsch" wurde er am 30.6.1934 in Breslau verhaftet und befand sich zuerst im Columbia-Haus in Berlin und dann im KZ Lichtenburg bei Oranienburg bis zum 21.9.1934 in "Schutzhaft". Nach seiner an Weihnachten 1934 erfolgten Beförderung zum SA-Oberführer wurde er im November oder Dezember 1941 mit Wirkung vom 15.8.1941 in die SS als SS-Oberführer übernommen. Er war Inhaber des goldenen Parteiabzeichens.

Im Oktober 1931 kam der Angekl. Fischer-Schweder - nach seinen wenig glaubhaften Angaben - zum Polizeipräsidium Berlin als Kriminalkommissaranwärter. Von März 1933 bis April 1934 nahm er mit anderen "alten Kämpfern" an einem Lehrgang beim Polizeiinstitut Berlin-Charlottenburg teil. Daraufhin erfolgte seine Ernennung zum Kriminalkommissar auf Probe und seine Abstellung zum Polizeipräsidium Breslau, dessen damaliger Polizeipräsident der SA-Gruppenführer Heines war. Zunächst war er bei der Grenzpolizei und dann nach seiner am 21.9.1934 erfolgten Entlassung aus dem KZ Lichtenburg von 1934-1936 bei der Geheimen Staatspolizei Breslau Abt. III (Spionageabwehr) verwendet. Von 1936 bis 1938 hatte er die Leitung der Spionageabwehrabteilung der Gestapo in Liegnitz. Dort lernte er anlässlich von Visitationen den damaligen Oberregierungsrat Dr. Stahlecker, welcher bei Beginn des Russlandfeldzugs der Leiter der Einsatzgruppe A bei der Heeresgruppe Nord war, kennen. Anfang des Jahres 1938 wurde der Angekl. Fischer-Schweder wieder zur Gestapo Breslau versetzt und mit der Leitung der Abt. III (Spionageabwehr) betraut. Nach der Besetzung Österreichs erhielt er auf Veranlassung von Dr. Stahlecker die Leitung der Abt. III der Gestapo in Wien, führte dann aber von August 1938 ab wieder die Abteilung III der Gestapo in Breslau und wurde im gleichen Jahr zum Kriminalrat befördert.

Im Oktober 1940 wurde der Angekl. Fischer-Schweder mit der kommissarischen Führung der Staatl. Polizeidirektion Memel beauftragt und im Januar 1941 in die Planstelle des Polizeidirektors Memel eingewiesen, in welcher er bis Oktober 1942 tätig war.

Durch Personalverfügung des RSHA vom 22.10.1942 wurde der Angekl. Fischer-Schweder zur Einarbeitung als SS- und Polizeiführer mit Wirkung vom 10.10.1942 zum Höheren SS- und Polizeiführer Russland-Süd, SS-Obergruppenführer Prützmann, nach Kiew abkommandiert, der ihn nach einiger Zeit dem Höheren SS- und Polizeiführer Hen. in Rostow unterstellte. Wegen seiner alkoholischen Exzesse sprach ihm Hen. jegliche Offiziersqualität ab, worauf der Reichsführer SS mit Verfügung vom 8.9.1943 die Kommandierung des Angekl. Fischer-Schweder zum Höheren SS- und Polizeiführer Russland-Süd aufhob und seine Freigabe für die Waffen-SS anordnete. Entsprechend seinem militärischen Dienstgrad eines Oberschützen - der Angekl. Fischer-Schweder hatte von November 1933 bis Dezember 1933 an einem Infanterie-Lehrgang teilgenommen - wurde der Angekl. Fischer-Schweder auf 1.11.1943 zum SS-Panzergrenadier Ausbildungs- und Ersatzbataillon Nr.1 einberufen. Am 26.10.1944 wurde er zum SS-Untersturmführer d.R. befördert und mit Wirkung vom 16.1.1945 als Kompanieführer zur 12. SS-Panzerdivision "Hitlerjugend" versetzt. Am 11.4.1945 wurde er in Niederösterreich durch ein Explosivgeschoss verwundet und geriet dann in amerikanische Gefangenschaft, aus der er nach 6 Wochen, unter Verheimlichung seiner früheren SS-Zugehörigkeit, entlassen wurde.

Gemäss seinem in der Hauptverhandlung gemachten Ausspruch "nur die allergrössten Kälber suchen ihren Metzger selber" lebte er nach dem Krieg unter den falschen Personalien "Bernd Fischer, geb. 13.2.1902 in Berlin" und verschwieg in seinem Meldebogen für die Entnazifizierung seine frühere Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen. Dadurch gelang es ihm, von der Spruchkammer Bad Neustadt/Saale als "nicht betroffen" eingestuft zu werden.

Der Angekl. Fischer-Schweder war nach dem Krieg zunächst in der Landwirtschaft, von 1946-1949 bei der chem. Fabrik Koch in Bad Neustadt als Einkäufer und von 1950-1953 bei verschiedenen Firmen als Handelsvertreter tätig. Unter Verschweigung seiner früheren Zugehörigkeit zur NSDAP gelang es ihm, ab 18.Januar 1954 als Leiter des Flüchtlingslagers Ulm-Wilhelmsburg angestellt zu werden. Nachdem dem Regierungspräsidium Nordwürttemberg seine politische Vergangenheit teilweise bekanntgeworden war, kündigte der Angekl. Fischer-Schweder auf 31.3.1955 sein Angestelltenverhältnis, focht aber später die Kündigung wieder an. Seine Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Am 1.8.1955 trat er bei der Fa. Remington-Rand, Stuttgart, als Verkäufer ein. Unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in Ulm/Donau übte er diese Tätigkeit bis zum 3.5.1956 aus.

Anlässlich seiner Bewerbung um die Wiederverwendung im Kriminaldienst beim Regierungspräsidium Südbaden führten die sich daran anschliessenden Nachforschungen zur Einleitung des Strafverfahrens.

Die vom Angekl. Fischer-Schweder am 1.6.1935 vor dem Standesamt in Breslau mit Charlotte V., jetzt wiederverheiratete Ei., geschlossene Ehe wurde am 17.5.1949 vom Landgericht Schweinfurt geschieden. Unter den oben angeführten falschen Personalien verheiratete er sich wieder am 5.7.1949 vor dem Standesamt Bad Neustadt/Saale mit Irmgard geb. Kir. Aus dieser Ehe ging ein jetzt 7 Jahre alter Sohn hervor. Der Angekl. Fischer-Schweder ist - nach seinen Angaben - während seiner Parteizugehörigkeit aus der evangelischen Kirche nicht ausgetreten.

Der Angekl. Fischer-Schweder ist nicht vorbestraft. Er wurde am 2.5.1956 vorläufig festgenommen und befindet sich seit 3.5.1956 auf Grund des am gleichen Tag vom Amtsgericht Ulm erlassenen Haftbefehls in Untersuchungshaft.

II. Angekl. Schmidt-Hammer

Der Angekl. Werner Schmidt-Hammer wurde am 28.8.1907 in Vogelsang Krs.Elbing als Sohn des Apothekers Oskar Schmidt und der Elfriede geb. Hammer geboren. Da er am Wohnsitz seiner Eltern - sie wohnten im Ostseebad Rauschen/Samland - keine höhere Schule besuchen konnte, kam er im Alter von 6 Jahren nach Breslau, wo er im Haushalt des Bruders seiner Mutter, des Studienrats Hammer, wohnte, der ihn auch in Kunst und Musik förderte. Dort besuchte er bis zur Quarta das Johannesgymnasium und anschliessend die Realschule bis zum Abschluss der mittleren Reife im Jahr 1924. Er erlernte dann in Breslau das Optikerhandwerk und legte im Jahr 1927 die Gesellenprüfung ab. Von 1928-1930 besuchte er die Staatl. Fachhochschule für Optik in Jena, schloss seine Berufsausbildung als staatlich approbierter Augenoptiker ab und stand von 1930-1936 bei der Fa. Carl Zeiss in Jena als Optikermeister in Arbeit. Vom Frühjahr 1936 bis zu seiner am 1.9.1939 erfolgten Einberufung zur Polizei betrieb er ein eigenes Optikergeschäft in Königsberg.

Nach einer militärischen Grundausbildung und nach Teilnahme an einem Unterführerlehrgang in Königsberg wurde er zum Oberwachtmeister d.R. im Polizeidienst befördert und kam für kurze Zeit zur Wasserschutzpolizei. Im Sommer 1940 war er bei einem 2monatigen Offizierslehrgang in Berlin-Köpenick und anschliessend beim Polizeiausbildungsbatl. in Tilsit. Im November 1940 wurde er zum Leutnant d.R. im Polizeidienst befördert und anfangs des Jahres 1941 zum Kommando der Schutzpolizei Memel versetzt, wo damals Major Gü. Kommandeur und Hauptmann Schw. Adjutant waren. Dort versah der Angekl. Schmidt-Hammer zunächst den Luftschutzwarndienst für Memel, wurde aber nebenbei in die Geschäfte des Adjutanten des Kommandeurs der Schupo eingewiesen, bis er Ende Oktober 1941 nach dem Weggang des Hauptmanns Schw. Adjutant wurde. Im November 1942 wurde er zum Schupo-Oberleutnant d.R. befördert. Im Jahr 1943 nahm er an einem Kompanieführerlehrgang teil und kam dann zu einem Polizeifreiwilligenbatl. nach Jugoslawien. Dort geriet er am 10.5.1945 in Kriegsgefangenschaft, aus welcher er erst im Februar 1949 nach Grauel bei Rendsburg entlassen wurde, wohin seine Familie aus Memel geflüchtet war. Seit September 1949 ist er wieder bei der Fa. Carl Zeiss, Oberkochen, als Augenoptikermeister beschäftigt.

Der Angekl. Schmidt-Hammer schloss im Jahr 1941 mit Ursula geb. Bor. die Ehe. Aus dieser sind 2 Töchter und 1 Sohn hervorgegangen, die jetzt 16, 13 und 9 Jahre alt sind. Die Familie Schmidt-Hammer wohnt jetzt in Heidenheim-Schnaitheim. Der Angekl. Schmidt-Hammer gehörte nicht der NSDAP, sondern nur der NSV an und ist im Dritten Reich auch nicht aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Er ist nicht vorbestraft. Am 5.7.1957 wurde er vorläufig festgenommen und am gleichen Tag auf Grund des am 3.7.1957 erlassenen Haftbefehls des OLG Stuttgart in Untersuchungshaft genommen, in der er sich seither befindet.

III. Angekl. Böhme

Der Angekl. Hans-Joachim Böhme wurde am 10.1.1909 in Magdeburg als Sohn des späteren Mittelschulrektors Oskar Böhme und der Elisabeth geb. Kern. geboren. Zusammen mit 2 Brüdern, von denen der eine im 2.Weltkrieg gefallen ist, wuchs er im Elternhaus auf. Nach Ablegung der Reifeprüfung an der Oberrealschule in Cottbus im Jahr 1928 studierte er in den folgenden Jahren an den Universitäten Halle und Rostock Rechtswissenschaft. Am 6.2.1933 legte er die erste und im November 1936 die zweite höhere juristische Staatsprüfung ab. Da er nur mit der Note "genügend" das Examen bestanden hatte, gelang es ihm nicht sofort, im Staatsdienst unterzukommen. Er war zunächst als Justitiar und von Februar 1937 bis Oktober 1938 als Mobilmachungsreferent im Angestelltenverhältnis bei der Reichsstelle für technische Erzeugnisse tätig. Der NSDAP trat er am 1.5.1933 und der allgemeinen SS am 1.11.1933 bei. Aus der evangelischen Kirche trat er im Jahr 1937 aus.

Auf seine erneute Bewerbung beim Preuss. Innenministerium wurde er am 1.10.1938 der Gestapo Kiel zur Einarbeitung zugewiesen, wo er bis 1.10.1940 tätig war. Am 1.5.1940 wurde er zum Regierungsassessor ernannt und erhielt den Angleichungsdienstgrad eines SS-Hauptsturmführers. Auf 1.Oktober 1940 wurde er zum Leiter der Staatspolizeistelle Tilsit und am 6.2.1941 zum Regierungsrat mit dem SS-Angleichungsdienstgrad eines SS-Sturmbannführers ernannt. Bei der Stapo Tilsit war er bis Oktober 1943 tätig. Im Oktober 1943 wurde er zunächst zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Rowno kommandiert, dann aber durch Verfügung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 21.10.1943 zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Generalbezirk Shitomir bestellt. Beim Vordringen der Russen wurde er am 29.12.1943 in der Gegend von Berditschew am Unterschenkel verwundet, was einen Lazarettaufenthalt bis Mai 1944 zur Folge hatte. Durch Personalverfügung vom 11.5.1944 wurde er von seinen bisherigen Dienstgeschäften entbunden und zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Kauen/Litauen bestellt, wo er bis Juli 1944 tätig war. Beim weiteren Vordringen der Russen setzte er sich in nordwestlicher Richtung ab und leitete von Oktober 1944 bis anfangs Januar 1945 einen Panzervernichtungstrupp im Brückenkopf von Memel. Durch Personalverfügung vom 30.12.1944 wurde er von seinen bisherigen Dienstgeschäften entbunden und zum RSHA Amt V nach Berlin abgeordnet, wo er bis März 1945 tätig war. In der Folgezeit war er zunächst beim BdS in Stettin und dann im Stab der 4. SS-Panzergrenadierdivision als Ic im Raum Neustadt/Danzig verwendet, worauf er sich wiederum beim RSHA in Berlin melden musste. Von hier aus wurde er zum Inspekteur der SS nach Neustrelitz kommandiert, war dann im Raum Rostock - Lübeck bei einer Division zur Strassensicherung eingesetzt und setzte sich dann in Richtung Flensburg/Schleswig-Holstein ab, wo er zuletzt bei einem verlagerten Teil des RSHA bis zu dessen Auflösung bezw. bis zur Kapitulation tätig war.

Nach dem Krieg schlug sich der Angekl. Böhme nach Reinstorf Krs.Lüneburg durch, wo er sich bei dem Bauern Busso als landwirtschaftlicher Arbeiter aufhielt und sich als ein aus der Gefangenschaft entflohener Soldat ausgab. Dort blieb er bis nach der Währungsreform. Von Oktober 1948 bis zum Jahr 1951 war er als Steuerberater bei dem Steuerprüfer Gläser in Karlsruhe und vom 1.1.1952 bis zu seiner am 23.8.1956 erfolgten Festnahme bei der Bausparkasse "Badenia" in Karlsruhe als Wirtschaftsjurist tätig.

Da der Angekl. Böhme noch im Besitz eines auf "Dipl.Kaufmann Dr.jur. Hans-Joachim Böhme" ausgestellten Reisepasses von seiner Tätigkeit bei der Stapo Kiel war, in deren Auftrag er seinerzeit Ausspähungsreisen nach Dänemark machte, gelang es ihm nach dem Krieg, Ausweispapiere auf den Namen Dr.jur. Hans-Joachim Böhme zu erhalten.

In seinem Meldebogen für die Entnazifizierung vom 30.9.1948 gab er sich fälschlicherweise als "Dr.jur." aus, verschwieg seine frühere Mitgliedschaft bei der NSDAP und seine frühere Tätigkeit bei der Gestapo und machte auch sonstige falsche Angaben, so dass er am 30.10.1948 von der Spruchkammer Karlsruhe als "vom Gesetz nicht betroffen" erklärt wurde. Am 27.12.1950 schloss der Angekl. Böhme vor dem Standesamt Karlsruhe als "Dr.jur." Hans-Joachim Böhme die Ehe mit der Verlagssekretärin Liselotte geb. Hä. Aus dieser Ehe ging eine jetzt 3 Jahre alte Tochter hervor.

Der Angekl. Böhme ist nicht vorbestraft. Er wurde am 23.8.1956 vorläufig festgenommen und befindet sich auf Grund des am 22.8.1956 vom Amtsgericht Ulm erlassenen Haftbefehls seit 24.8.1956 in Untersuchungshaft. Unmittelbar nach seiner Festnahme wollte er sich aus dem Gangfenster des Verwaltungsgebäudes seiner Arbeitsstelle in Karlsruhe stürzen. Am 26.8.1956 stürzte er sich in selbstmörderischer Absicht kopfüber vom Tisch seiner Zelle in der Polizeihaftanstalt Stuttgart auf den Boden, wodurch er eine Gehirnerschütterung, Platzwunden am Kopf und Verletzungen am Arm davontrug.

IV. Angekl. Hersmann

Der Angekl. Werner Hersmann wurde am 11.9.1904 in Duisburg-Ruhrort als Sohn des Hütteningenieurs Paul Hersmann und der Paula geb. Lo. geboren. Als er 4 Jahre alt war, wurde seine Mutter geschieden; sie heiratete wieder, wurde später aber wieder geschieden. Der Angekl. Hersmann besuchte in Frankfurt/Main die Mittel- und Oberrealschule, die er mit dem Abschluss der mittleren Reife im Jahr 1919 verliess. Von 1919 bis anfangs 1921 arbeitete er als Praktikant in zwei Maschinenfabriken in Frankfurt und besuchte von 1921 bis 1924 das Technikum in Bingen (2 Semester) und das Technikum in Friedberg/Hessen (5 Semester). Von 1924 bis August 1928 war er bei verschiedenen Firmen als Ingenieur, als Leiter eines Filmtheaters und zuletzt als techn. Maschinenmeister bei der Mitteldeutschen Wegebau GmbH Weimar tätig. Dann war er bis 1930 arbeitslos.

Am 1.9.1930 trat der Angekl. Hersmann der NSDAP (Mitgl.Nr.298 562), im November 1930 der SA und im April 1931 der allgemeinen SS (SS-Nr.9416) bei. Vom 1.10.1930 bis 1.4.1932 war er ehrenamtlich Kassierer der Kreisleitung Weimar der NSDAP und vom 1.4.1932 bis 1.1.1934 hauptamtlich Kassierer und Hauptbuchhalter der Gauleitung Thüringen, wobei er ehrenamtlich auch für den SD arbeitete. Ab 1.1.1934 bis zum Jahr 1935 war er auch noch Geschäftsführer des Gaugerichts der NSDAP Thüringen in Weimar. Vom 1.3.1936 war er hauptamtlich Stabsführer des SD-Abschnitts Thüringen, zuerst in Erfurt und dann in Weimar. Später wurde er mit der Führung des SD-Abschnitts Weimar beauftragt und am 1.8.1940 zum SS-Sturmbannführer befördert, nachdem er am 13.9.1936 zum SS-Untersturmführer, am 20.4.1938 zum SS-Obersturmführer und am 30.1.1939 zum SS-Hauptsturmführer befördert worden war. Im März 1941 wurde er als SD-Abschnittsführer nach Tilsit versetzt, wobei es sich nach seinen Angaben um eine Strafversetzung gehandelt hat, weil er Unregelmässigkeiten des Kreisleiters Kaiser aufgedeckt und sich dadurch bei Gauleiter Sauckel wegen Aufdeckung von Untaten missliebig gemacht habe. Im Mai 1942 wurde er zur Einsatzgruppe D versetzt. Bei dieser nahm er an Partisanenkämpfen teil und wurde am 17.3.1943 bei Boroschilowsk verwundet. Sodann war er einige Monate Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Banjaluka/Kroatien, wo er bis Oktober 1943 zum Partisanenkampf eingesetzt war. Kurzfristig war er dann jeweils der Kampftruppe des Generals Freudenfeld und dem Standartenführer Böhme - nicht identisch mit dem Angekl. Böhme - in Rowno zugeteilt. Ende 1943 wurde er in das RSHA Berlin berufen und nach kurzer Einarbeitungszeit mit der Aufstellung eines Sonderkommandos z.b.V. in Konitz/Westpr. beauftragt. Nach einer kurzen Ausbildungszeit war er mit diesem in der Hauptsache aus Volksdeutschen bestehenden Sonderkommando bis Oktober 1944 beim Bandeneinsatz in Slowenien und Krain, dann bis März 1945 in der Slowakei, wo das Kommando aufgelöst wurde. Er wurde dann zum RSHA nach Berlin berufen und von diesem aus dem SD entlassen und der Waffen-SS unterstellt. Nach seinen Angaben hat er sich wegen Untaten der SS-Brigade Dirlewanger in der Slowakei missliebig gemacht. Vom Hauptamt der SS wurde er der SS-Division Nibelungen zugewiesen. Er schloss sich aber mit der etwa 35 Mann starken Gruppe des SD-Abschnitts Weimar der Kampfgruppe Trummler an, welche aus verschiedenen SD-Einheiten bestand und insgesamt etwa 1500 Mann stark war. Diese Kampfgruppe war in Bayern noch tätig, wobei u.a. der Angekl. Hersmann am 28.4.1945 auf dem Marktplatz in Altötting an der Erschiessung von 5 Bürgern mitwirkte, weshalb er im Jahr 1950 vom Schwurgericht Traunstein verurteilt wurde. In Tirol löste sich die Kampfgruppe Trummler auf. Auf dem Weg nach Thüringen wurde der Angekl. Hersmann am 8.6.1945 in Bad Sulza von den Amerikanern wegen seiner SS- und Parteizugehörigkeit festgenommen.

Der Angeklagte Hersmann war vom 8.6.1945 bis zum 2.8.1948 im Internierungslager Darmstadt interniert. Während dieser Zeit wurde er wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur Einsatzgruppe D für einige Wochen zum Internationalen Militär Tribunal in Nürnberg zugezogen.

Von der Spruchkammer München wurde er durch Spruch vom 10.10.1952 als Hauptschuldiger eingestuft, wobei ihm eine Reihe von Sühnemassnahmen auferlegt wurde. So wurde er auf die Dauer von 4 Jahren in ein Arbeitslager eingewiesen, wobei jedoch die politische Haft nach dem 8.5.1945 angerechnet wurde.

Durch Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 (Ks 3/50) wurde er wegen 5 gemeinschaftlicher in Tateinheit begangener Verbrechen des Totschlags zu der Zuchthausstrafe von 8 Jahren und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren verurteilt. Die seit 2.8.1949 erlittene Untersuchungshaft wurde auf die erkannte Strafe angerechnet. Es handelte sich um die Aburteilung wegen der 5 getöteten Bürger in Altötting. Auf Grund des Beschlusses der Strafkammer Traunstein vom 20.10.1954 wurde die restliche Strafe für die Zeit vom 2.12.1954 bis 1.8.1957 am 1.12.1954 mit Bewährungsfrist bis 1.11.1958 ausgesetzt.

Nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt arbeitete er von Januar 1955 bis Oktober 1955 für die "Stille Hilfe" in Düsseldorf und wurde dann arbeitslos. Vom 1.2.1956 ab bis zu seiner am 29.10.1956 erfolgten Verhaftung war er dann bei der Fa. Dietrich Schützler, Industrievertretung in Frankfurt, als kaufm. Angestellter im Innen- und Aussendienst tätig. Der Angekl. Hersmann schloss am 9.3.1935 mit Charlotte geb. Kup. die Ehe. Aus dieser sind 4 Kinder hervorgegangen, die jetzt 13, 16, 18 und 19 Jahre alt sind. Während dieses Strafprozesses ist die Ehe geschieden worden. Nach seiner Trauung, jedoch noch vor 1937, trat der Angekl. Hersmann aus der ev. Kirche aus, ist aber nach dem Kriege dieser wieder beigetreten.

Am 29.10.1956 wurde er vorläufig festgenommen und befindet sich seit 30.10.1956 auf Grund des am 26.10.1956 vom Amtsgericht Ulm/Donau erlassenen Haftbefehls in Untersuchungshaft.

V. Angekl. Sakuth

Der Angekl. Edwin Sakuth wurde am 3.6.1909 in Tilsit als Sohn des Franz Sakuth und der Maria geb. Grö. geboren. Er besuchte in Heydekrug/Memel bis zum Jahr 1926 die Volksschule und trat dann bei der Fa. Wullbrand und Seele, Eisengrosshandlung, Braunschweig, als kaufm. Lehrling ein. Nach Beendigung seiner Lehrzeit im Jahr 1929 ging er im Mai 1930 nach Kanada, wo er bis November 1931 verblieb.

Nach seiner Rückkehr aus Kanada trat er am 1.11.1931 der NSDAP bei. Vom 1.11.1931 bis 30.1.1939 gehörte er dem NSKK an und war bei diesem von 1933 bis 1937 hauptamtlicher Ausbilder an einer Motorsportschule. Am 1.5.1937 trat er hauptamtlich bei dem SD-Abschnitt Tilsit ein. Am 30.1.1939 wurde er SS-Untersturmführer. Nach der Rückgliederung des Memellands an Deutschland war er vom 23.3.1939 bis Juli 1939 als SD-Verbindungsmann zwischen deutschen und litauischen Wirtschaftsstellen tätig.

Im Juli 1939 übernahm er die Aussenstelle Memel des SD-Abschnitts Tilsit. Am 20.4.1940 wurde er zum SS-Obersturmführer und am 20.4.1941 zum SS-Hauptsturmführer befördert. Von der SD-Aussenstelle Memel kam er im Oktober 1941 weg und hatte - nach seinen Angaben - bis Ende Dezember 1941 eine Art Stubenarrest, weil er sich durch Ermittlungen gegen die Erich Koch-Stiftung missliebig gemacht habe. Im Januar 1942 wurde er nach Oslo/Norwegen versetzt, wo er die Sachgebiete Rundfunk und Propaganda bearbeitete. Im August 1942 wurde er zum RSHA Amt VI berufen, wo er mit dem Einsatz von 25 Agenten in Smolensk beauftragt wurde. Nach Erledigung dieses Auftrags musste er von Februar 1943 bis Oktober 1943 in einem Lager in Breitenmarkt/Oberschlesien freiwillige Sowjetrussen für Agentenzwecke vorbereiten. Von Januar 1944 bis Juni/Juli 1944 war er Wirtschaftsführer für das Unternehmen Skorzeny im Amt VI des RSHA. Anschliessend erhielt er die SD-Aussenstelle Ortelsburg im SD Oberabschnitt Königsberg.

Weil er im Oktober 1944 ohne Urlaub seine Ehefrau besuchte, war er wegen Verstosses gegen die Residenzpflicht bis Januar 1945 in Königsberg eingesperrt. Nach seiner Entlassung kam er, nachdem die Russen in Ostpreussen eingedrungen waren, zu einer aus SD- und Stapo-Angehörigen zusammengestellten Kampfgruppe unter der Führung des SS-Sturmbannführers Hotzel. Wegen Darmerkrankung wurde er im März 1945 in das SS-Lazarett Lichterfelde-West eingeliefert. Nach seiner Genesung im April 1945 machte er bei der SD-Aussenstelle Brandenburg/Havel Dienst, mit welcher er sich bei der Annäherung der Russen in Richtung Elbe absetzte. Einen Tag vor der Kapitulation, am 8.5.1945, überschritt er die Elbe und begab sich zu seiner Familie, die im Januar 1945 in die Nähe von Blankenburg/Harz verzogen war.

Am 23.5.1945 wurde er von den Amerikanern wegen seiner SD-Zugehörigkeit festgenommen und in das Amtsgerichtsgefängnis Blankenburg eingeliefert. Nach seiner Vernehmung kam er in das Internierungslager Staumühle/Sennelager, wo er bis 1.10.1947 interniert war.

Durch Urteil des Spruchgerichts Hiddesen vom 1.10.1947 wurde er wegen Zugehörigkeit zu der verbrecherischen Organisation des SD zu 2 Jahren Gefängnis unter Anrechnung der Internierungshaft von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Eine Teilstrafe von 7 Monaten verbüsste er vom 1.10.1947 bis 30.4.1948 im Straflager Esterwegen/Emsland. Die Reststrafe von 2 Monaten wurde ausgesetzt und am 26.6.1951 erlassen. Nach seiner Entlassung stand der Angekl. Sakuth bis Juli 1949 bei einer amerikanischen Dienststelle im Munsterlager in Arbeit. Nach der Auflösung dieser Dienststelle war er bis Januar 1953 arbeitslos und hielt sich bei seiner nach Imbshausen/Northeim verzogenen Familie auf. Von März 1953 bis März 1954 war er als Flüchtlingsbetreuer beim Landratsamt Northeim tätig. Vom 1.11.1955 bis zu seiner am 28.12.1956 erfolgten Verhaftung war er Verwaltungsangestellter beim Ausgleichsamt des Landratsamts Northeim.

Der Angekl. Sakuth ist seit 7.2.1936 mit Elly geb. Ja. verheiratet. Aus dieser Ehe sind 5 Kinder hervorgegangen, die jetzt 8 bis 18 Jahre alt sind. Aus der evangelischen Kirche trat er im Jahr 1938 aus, nach dem Krieg trat er ihr aber wieder bei. Der Angekl. Sakuth ist nicht vorbestraft. Er wurde am 28.12.1956 vorläufig festgenommen und ist seit 28.12.1956 auf Grund des am 27.12.1956 erlassenen Haftbefehls des Untersuchungsrichters beim Landgericht Ulm/Donau in Untersuchungshaft.

VI. Angekl. Kreuzmann

Der Angekl. Werner Kreuzmann ist am 4.6.1909 in Königsberg/Ostpreussen als Sohn des August Kreuzmann und der Martha geb. Haa. geboren. Von seinem 7. Lebensjahr an besuchte er die Volksschule und anschliessend die Hindenburg-Oberschule in Königsberg, wo er im Jahr 1929 die Reifeprüfung bestand. Anschliessend studierte er 9 Semester Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität in Königsberg, wobei er sein Studium durch seine Tätigkeit als Werkstudent wiederholt unterbrechen musste. Im Jahr 1936 legte er die erste höhere juristische Staatsprüfung ab und war von Mai 1936 bis Ende September 1936 als Referendar im Vorbereitungsdienst beim Amtsgericht Tapiau/Ostpr. Während dieser Zeit nahm er in den Monaten Juli und August 1936 an einer militärischen Übung teil.

Da dem Angekl. Kreuzmann die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Justiz ungünstig erschienen, meldete er sich auf eine an die Gerichtsreferendare ergangene Aufforderung für die polizeiliche Exekutivlaufbahn. Nach bestandener Eignungsprüfung beim Polizeiinstitut in Berlin-Charlottenburg wurde er am 1.10.1936 als Kriminalkommissaranwärter bei der Kripo-Leitstelle Königsberg eingestellt. Im Oktober 1937 wurde er zu einem 9monatigen Lehrgang für Kriminalkommissaranwärter an der Führerschule der Sicherheitspolizei einberufen. Nachdem er im Juni 1938 die Kriminalkommissarprüfung bestanden hatte, wurde er als Hilfskriminalkommissar an die Kriminalpolizeileitstelle Königsberg versetzt und 14 Tage später zum Kriminalkommissar auf Probe ernannt. Im Oktober 1938 wurde er - nach seinen Angaben - gegen seinen Willen auf Betreiben des Leiters der Staatspolizei Tilsit zu dieser Dienststelle abgeordnet, wo er im Januar 1939 zum Kriminalkommissar ernannt wurde. Dort bearbeitete er zunächst das Referat II K (Rechtsopposition und Judenfragen) und ab Herbst 1939 die ganze Abteilung II (Juden, Kommunisten, Fremdarbeiter, Kirchen und Sekten). Im Mai 1941 wurde die Abordnung zur Stapo Tilsit in eine Versetzung zu dieser Dienststelle umgewandelt, wobei er seit 10.9.1939 den Angleichungsdienstgrad eines SS-Obersturmführers führte. Am 1.9.1942 erhielt er den Angleichungsdienstgrad eines SS-Hauptsturmführers und leitete von 1943 an auch noch wesentliche Teile der Abteilung III. Am 20.4.1944 wurde er zum Kriminalrat ernannt.

Der SA gehörte er von Mai 1933 bis Juli 1938 an. Der NSDAP trat er am 1.5.1937 bei.

Nach Auflösung der Staatspolizeistelle Tilsit im Oktober 1944 wurde er als überzähliger Beamter zur Stapo Insterburg kommandiert, wo er bis kurz vor der Einnahme Insterburgs durch die Russen war. Im Januar 1945 erfolgte seine Zuteilung zu der Wehrmachtskampfgruppe Ulrich, mit welcher er den Rückzug bis Pillau mitmachte. Nach der im April 1945 erfolgten Räumung Pillaus wurde er auf dem Seeweg nach Swinemünde abtransportiert, wo er sich beim Stab der 21. Armee hätte melden müssen. Da er diese Dienststelle nicht fand, setzte er sich weiter nach Westen ab und geriet anfangs Mai 1945 bei Eldena/Ludwigslust in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Am 20.6.1945 kam er in das Internierungslager Fallingbostel, wo er bis 17.2.1948 blieb.

Der Angekl. Kreuzmann wurde bei einem Partisaneneinsatz verwundet, wobei er den rechten Ringfinger verlor. Durch Urteil des Spruchgerichts Benefeld/Bomlitz vom 9.3.1948 wurde der Angekl. Kreuzmann wegen Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Die erkannte Strafe wurde durch die seit 2.6.1945 erlittene Internierungshaft als verbüsst erklärt. Nach seiner am 17.2.1948 erfolgten Entlassung aus der Internierungshaft begab sich der Angekl. Kreuzmann nach Westerdeichstrich bei Büsum/Holstein, wohin seine Familie nachkam. In den Jahren 1949 bis 1952 arbeitete er als Muschelgräber sowie als Tiefbau- und Landarbeiter, bis er im April 1952 bei der Fa. Hermann Nier KG in Hohenlockstedt/Schleswig-Holstein als kaufm. Angestellter Beschäftigung fand. Diese Arbeitsstelle hatte er bis zu seiner am 24.11.1956 erfolgten Verhaftung inne.

Der Angekl. Kreuzmann ist seit 25.2.1939 mit Gerda geb. Be. verheiratet. Aus dieser Ehe sind 1 Sohn und 1 Tochter hervorgegangen, die jetzt 18 und 15 Jahre alt sind. Im Mai 1939 trat er aus der evangelischen Kirche aus, trat dieser aber im Jahr 1952 wieder bei.

Am 24.11.1956 wurde er vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag auf Grund des am 16.11.1956 vom Amtsgericht Ulm/Donau erlassenen Haftbefehls in Untersuchungshaft.

VII. Angekl. Harms

Der Angekl. Harm Willms Harms wurde am 6.12.1892 in Südarle/Ostfriesland als Sohn des Landwirts Hinrich Harms und der Gertje geb. Jan. geboren. Nach Besuch der Volksschule arbeitete er in der Landwirtschaft und wurde im Herbst 1912 zum Militärdienst eingezogen, wobei er sich als Berufssoldat verpflichtete. Nach dem 1.Weltkrieg trat er im Jahr 1919 dem Freikorps "Märker" bei und wurde zur Bekämpfung des Spartakusaufstandes im Raum Braunschweig/Hannover eingesetzt. Von Oktober 1919 gehörte er der kasernierten Sicherheitspolizei in Gross-Hamburg, von 1921 der Hamburger Revierpolizei und von 1925 bis 1927 der Kriminalpolizei Hamburg an.

Von 1927 bis 1.2.1939 war er bei der Staatspolizei Hamburg, wobei er im Jahr 1937 mit seiner ganzen Dienststelle in die Geheime Staatspolizei übernommen wurde. Nach seinen Angaben bemühte er sich in der Folgezeit wiederholt um seine Versetzung zur Kripo, weil "alte Kämpfer" zur Gestapo gekommen seien, die sich Ausschreitungen gegenüber politischen Häftlingen haben zuschulden kommen lassen. Am 1.2.1939 wurde er zur Staatspolizei Tilsit versetzt, bei welcher er zunächst stellvertretender Leiter der Abt. III (Spionageabwehr) unter Kriminalrat Rausch, später kommissarisch dessen Nachfolger und schliesslich endgültiger Leiter der Abt. III bis Ende 1943 war. Gleichzeitig leitete er auch noch das Grenzpolizeikommissariat Tilsit. Da sich er Angekl. Harms mit dem im Jahr 1940 nach Tilsit als Leiter der Stapo Tilsit versetzten Angekl. Böhme nicht gut verstand, meldete er sich wiederholt von Tilsit weg. Am 1.5.1943 wurde er dann zur Einsatzgruppe Paris-Lyon versetzt, im Juli 1943 aber wegen Krankheit als nicht einsatzfähig wieder zur Stapo Tilsit zurückversetzt, bis er dann im September 1943 endgültig zur Stapo Potsdam kam, wo er bis Frühjahr 1945 Dienst machte. Der Gefangennahme durch die Russen entzog er sich dadurch, dass er sich als Holländer ausgab. Er schlug sich nach Bremen durch, wo er seine Familie vorfand.

Vom 22.6.1945 bis 12.8.1948 war er in verschiedenen Internierungslagern wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur Gestapo interniert. Von der Spruchkammer Bremen wurde er durch Spruch vom 18.10.1948 als Mitläufer eingestuft. Von einer Sühnemassnahme wurde abgesehen, weil er 38 Monate interniert war und als Flüchtling aus Tilsit alles verloren hatte. Seine Berufung gegen diesen Spruch wurde durch Spruch der Berufungskammer Bremen vom 28.6.1949 verworfen. Nach seiner Entlassung aus der Internierungshaft arbeitete der Angeklagte Harms als selbständiger Schuhmacher in Bremen. Unter Verschweigung seiner früheren Gestapo-Zugehörigkeit liess er sich pensionieren. Da er in den folgenden Jahren Pension bezog, wurde gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Bremen ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs eingeleitet, das jedoch wegen des Schwurgerichtsverfahrens gem. §154 StPO vorläufig eingestellt wurde.

Der Angekl. Harms war seit 1.5.1933 Mitglied der NSDAP, später Blockleiter und seit 1941 SS-Bewerber. Im Jahr 1938 wurde er zum Kriminalinspektor und am 1.1.1940 zum Kriminalkommissar befördert.

Am 12.7.1919 schloss er die Ehe mit Meta geb. Bä. Er hat 3 Kinder im Alter von 18 bis 34 Jahren. Im Jahr 1939 trat er auf Veranlassung seines Vorgesetzten, des Regierungsrats Gräfe der Stapo Tilsit, zusammen mit seiner Ehefrau aus der evangelischen Kirche aus, um bessere Beförderungsmöglichkeiten zu haben. Der Angekl. Harms wurde am 4.11.1956 vorläufig festgenommen. Seit 5.11.1956 befindet er sich auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Ulm/Donau vom 26.10.1956 in Untersuchungshaft. Er ist nicht vorbestraft.

VIII. Angekl. Carsten

Der Angekl. Carsten wurde am 3.2.1909 in Sorquitten Krs.Sensburg/Ostpr. als Sohn des Reichsbahnobersekretärs Karl Cz. und der Maria geb. Gal. geboren. Er stammte aus der 2. Ehe seines Vaters, aus der insgesamt 4 Kinder hervorgingen, von denen noch 3 leben. Die 4 Söhne seines Vaters aus der 1. Ehe fielen im 1. und 2.Weltkrieg. Am 3.1.1942 wurde sein Familienname "Cz." vom Regierungspräsidium Gumbinnen in "Carsten" geändert.

Bis zum Ausbruch des 1.Weltkriegs lebte er mit seinen Geschwistern im Elternhaus in Johannisburg/Ostpreussen. Solange die Kriegsereignisse einen geregelten Schulbesuch in Johannisburg unmöglich machten, war er bei Verwandten in Bromberg/Posen und dann in Hohensalza/Posen, wo er die Schule besuchte. Im Jahr 1927 verliess er mit der Obersekunda das Realgymnasium in Rastenburg/Ostpr., wo auch seine Eltern nach der vorzeitigen Pensionierung seines Vaters wohnten. Da er aus finanziellen Gründen den Beruf eines Försters nicht ergreifen konnte, trat er am 2.4.1928 als Polizeianwärter in die Polizeischule Sensburg/Ostpr. ein, legte dort die Polizeiwachtmeisterprüfung ab und kam auf seinen Wunsch im Jahr 1929 als Polizeiwachtmeister zum Kommando der Schutzpolizei Tilsit. Im Jahr 1935 wurde er als Unterfeldwebel in die Wehrmacht übernommen, bei welcher er bei dem Radfahrbatl. I in Tilsit bis zum Jahr 1937 Dienst machte. Im gleichen Jahr kam er auf Grund eines Erlasses von Göring wieder zur Schutzpolizei Tilsit zurück. Am 1.9.1937 bewarb er sich um die Einstellung in den Kriminaldienst, kam aber nach seinen Angaben gegen seinen Willen auf Grund einer Verfügung des RSHA zur Staatspolizeistelle Tilsit. Von hier aus besuchte er im Jahr 1938 einen 3monatigen Lehrgang bei der Führerschule der Sicherheitspolizei Berlin-Charlottenburg und legte die vorgeschriebenen Fachprüfungen ab. Auf seine Bewerbung hin kam er im Herbst 1938 zum Grenzpolizeiposten Waldheide/Ostpreussen. Nach der am 23.3.1939 erfolgten Rückgliederung des Memellandes an Deutschland wurde er Postenführer des neuerrichteten Grenzpolizeipostens Schmalleningken, bis er am 12.12.1944 zur Dienstleistung dem Grenzpolizeikommissariat Kopenhagen/Dänemark zugeteilt wurde. Dort machte er bis zur Kapitulation Dienst. Er geriet dann in britische bezw. dänische Kriegsgefangenschaft, aus welcher er am 4.11.1950 entlassen wurde.

Der Angekl. Carsten trat im Jahr 1937 der NSDAP bei. Im gleichen Jahr wurde er vom Rassereferenten als SS-untauglich befunden. Gleichwohl trug er nach seiner Beförderung zum Kriminalassistenten die Uniform eines SS-Unterscharführers und nach seiner am 1.4.1940 zum Kriminaloberassistenten erfolgten Beförderung die eines SS-Hauptscharführers. Im November 1943 wurde er zum Kriminalsekretär befördert. Ein Entnazifizierungsverfahren wurde gegen ihn nicht durchgeführt. Nach seiner am 4.11.1950 erfolgten Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begab er sich zu seiner nach Nordrhein-Westfalen geflüchteten Familie, wo er in Neheim-Hüsten als Industriearbeiter in Arbeit trat. Auf seine Bewerbung hin wurde er am 1.8.1953 als Kriminalassistent auf Probe bei der Kripo in Arnsberg angestellt, wo er bis zu seiner Verhaftung am 18.1.1957 als Kriminalsekretär tätig war. Im Jahr 1934 schloss er vor dem Standesamt Tilsit mit Frida geb. Enn. die Ehe. Aus dieser ging 1 Sohn hervor, der jetzt 21 Jahre alt ist. Aus der evangelischen Kirche trat er nicht aus, obwohl vor 1938 ein entsprechendes Ansinnen an ihn gestellt wurde. Der Angekl. Carsten ist nicht vorbestraft. Er wurde am 18.1.1957 vorläufig festgenommen und ist vom gleichen Tag an auf Grund Haftbefehls des Amtsgerichts Ulm/Donau vom 3.1.1957 in Untersuchungshaft.

IX. Angekl. Behrendt

Der Angekl. Franz Behrendt wurde am 28.1.1912 in Memel als Sohn des Franz Behrendt und der Mathilde geb. Wil. geboren. Er wuchs im Elternhaus auf, besuchte in Memel die Volksschule und im Anschluss daran noch 2 Klassen einer Aufbauschule. Vom 1.5.1927 bis 31.5.1930 war er bei einer jüdischen Firma in der kaufmännischen Lehre und von 1930 bis 1931 ebenfalls bei einer jüdischen Firma als kaufmännischer Angestellter tätig. Nachdem er einige Monate in Deutschland auf Wanderschaft war, genügte er vorzeitig von November 1931 bis März 1933 seiner litauischen Militärdienstpflicht. Vorher gehörte er einer unpolitischen Jugendwandergruppe an. Nach seiner Entlassung vom Militär bewarb er sich bei der memelländischen Landes- und Kriminalpolizei. Nach kurzem Dienst als Polizeianwärter bei der uniformierten Polizei wurde er bis zur Rückgliederung des Memellandes an Deutschland im Kriminalpolizeidienst verwendet. Von Oktober 1938 an war er Mitglied des memelländischen Ordnungsdienstes. Nach der Rückgliederung des Memellandes wurde er am 23.3.1939 dem Grenzpolizeikommissariat Memel als Kriminalassistent zugeteilt, nachdem er sich 2 Tage lang den Betrieb bei der Stapo Tilsit angesehen hatte. Da er die litauische Sprache beherrschte, wurde er von seinen Vorgesetzten als Dolmetscher in Grenzangelegenheiten verwendet.

Bei der Rückgliederung des Memellandes wurde er vom memelländischen Ordnungsdienst in die allgemeine SS als Unterscharführer übernommen. Am 1.4.1939 trat er der NSDAP als Mitglied bei. Im November 1943 wurde er zum Kriminaloberassistenten mit dem Angleichungsdienstgrad eines SS-Oberscharführers befördert. Dem Grenzpolizeikommissariat Memel gehörte er bis zu dessen Auflösung am 9.10.1944 an. Anschliessend tat er kurze Zeit bei der Stapo Tilsit Dienst, von wo aus er sich mit weiteren Stapo-Angehörigen nach Königsberg absetzte. Dort wurde er am 20.1.1945 einer aus Stapo- und SD-Angehörigen gebildeten Kampfgruppe zugeteilt, der er bis zu seiner am 24.3.1945 erfolgten Versetzung zur Stapo Kopenhagen/Dänemark angehörte. Nach Kopenhagen setzte er sich auf einem Lazarettschiff ab. Dort wurde er dem Grenzpolizeikommissariat Vording/Dänemark zugewiesen, dem er bis zur Kapitulation angehörte. Nach der Kapitulation schlug er sich als Wehrmachtssoldat nach Holstein durch, wo er unter Verschweigung seiner früheren SS- und Stapo-Zugehörigkeit im Sommer 1945 zu seiner nach Stelle Krs.Harburg geflüchteten Familie entlassen wurde. In Stelle war er 7 Monate lang Gelegenheitsarbeiter.

Nach Bekanntwerden seiner früheren SS- und Stapo-Zugehörigkeit wurde er verhaftet und war vom 27.2.1946 bis 18.12.1947 im Lager Sandbostel interniert. Durch Urteil des Spruchgerichts Stade vom 5.12.1947 wurde er freigesprochen.

Nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager war er bei der Fa. Böse in Hamburg-Harburg bis zu seiner Festnahme am 25.4.1957 als Buchhalter angestellt.

Er ist seit 11.6.1938 mit Elise geb. Kara. verheiratet. Aus dieser Ehe sind 4 Kinder hervorgegangen, welche jetzt 4-18 Jahre alt sind. Von Mitte 1940 bis 1947 waren er und seine Ehefrau aus der evangelischen Kirche ausgetreten, weil er wusste, dass dies bei seinen Vorgesetzten erwünscht war. Der Angekl. Behrendt ist nicht vorbestraft. Er wurde am 25.4.1957 vorläufig festgenommen und befindet sich seit 26.4.1957 auf Grund Haftbefehls des Untersuchungsrichters beim Landgericht Ulm/Donau vom 17.4.1957 in Untersuchungshaft.

X. Angekl. Lukys

Der Angekl. Pranas Lukys alias Jakys wurde am 3.7.1900 in Raseiniai/Litauen als Sohn des Landwirts Tanas Lukys-Jakas und der Vincenta geb. Poc. geboren. Er wuchs im Elternhaus auf und besuchte die Volksschule und anschliessend das Gymnasium in Raseiniai, wo sein Vater einen grösseren landwirtschaftlichen Betrieb hatte. Im Jahr 1915 wurde er mit anderen Angehörigen des Gymnasiums von den Russen nach Petersburg und von dort nach 3 Monaten an das litauische Gymnasium nach Woronesch verbracht, wo er sich neben dem Schulbesuch auch auf den Lehrerberuf vorbereitete. Anfang Dezember 1918 kehrte er zu seinen Eltern nach Raseiniai zurück und trat am 7.1.1919 als Freiwilliger beim neugebildeten litauischen Militär ein, dem er bis 1922 angehörte. Während dieser Zeit kämpfte er gegen die Bolschewisten und gegen die Polen, wurde dabei verwundet und geriet im November 1920 in polnische Kriegsgefangenschaft, aus welcher er im Januar 1921 nach Deutschland floh. Von Deutschland aus kehrte er nach Litauen zurück und meldete sich wieder bei seiner militärischen Dienststelle in Kaunas, von wo aus er als Feldwebel zu einem 6monatigen Lehrgang an die litauische Militärschule kam.

Nach Abschluss dieser Ausbildung wurde er im Herbst 1922 der militärischen Abwehr beim litauischen Generalstab zugewiesen, wo er auch noch einige Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem litauischen Militärdienst tätig blieb. Anfang des Jahres 1923 kam er zur Kriminalpolizei, Abteilung politische Polizei in Kaunas, wobei er kurze Zeit in Raseiniai und später in Schaulen Dienst machte. Zwischendurch wurde er als litauischer Agent in das Memelgebiet entsandt, um dessen Besetzung durch Litauen vorzubereiten. Von 1925 bis 1926 war er Leiter der litauischen Sicherheitspolizei in Litauisch Krottingen, wurde aber durch Verfügung der auf Grund von Neuwahlen neugebildeten litauischen Regierung entlassen. Da er den Sturz dieser neuen Regierung mit anderen Gesinnungsgenossen vorbereitete, hielt er sich in der Folgezeit im Kreis Krottingen verborgen. Nach dem Sturz der neuen Regierung im Dezember 1926 wurde er wieder als Sicherheitspolizeichef in Litauisch Krottingen eingesetzt und behielt diese Stelle bis zu der am 17.6.1940 erfolgten Besetzung Litauens durch die Russen. In der Nacht vom 17./18.6.1940 floh er nach Deutsch Krottingen, von wo aus er mit weiteren 40-50 geflüchteten litauischen Polizeibeamten in das ostpreussische Arbeitsdienstlager Kudern eingewiesen wurde. Leiter dieses Lagers war der SS-Oberscharführer Paul Schwarz, dessen Adjutant der SS-Unterscharführer Schmidtke war. Schwarz erhielt später den der Stapo Tilsit unterstellten Grenzpolizeiposten Laugszargen-Tauroggen und Schmidtke war Angehöriger des der Stapo Tilsit unterstellten Grenzpolizeikommissariats Memel. Nach 3wöchigem Lageraufenthalt begab sich der Angekl. Lukys nach Bajohren, wohin er Mitte August seine Familie - er war seit 1928 verheiratet - illegal aus Litauen nachkommen liess. Mit seiner Familie hielt er sich dann auf einem Bauerngut eines litauischen Bekannten im Memelland auf, wobei er sich zweimal in der Woche beim Leiter des Grenzpolizeikommissariats Memel, dem Kriminalkommissar Dr. Frohwann, melden musste.

Im Dezember 1940 wurde er zusammen mit 40 weiteren litauischen Sicherheitspolizeibeamten zu der Polizeidirektion Lublin/Generalgouvernement verbracht, von wo aus er als Kriminalfeldwebel in Radzin-Lukow eingesetzt wurde. Im Frühjahr 1941 wurde er ohne Angabe eines Grundes aus dem Kriminaldienst wieder entlassen, worauf er zu seiner nunmehr in der Försterei des Kreises Memel wohnenden Familie zurückkehrte. In der Folgezeit war er als Textilarbeiter tätig, wobei er sich wöchentlich beim Grenzpolizeikommissariat Memel melden musste.

Am 22.6.1941 kehrte der Angekl. Lukys nach Litauen zurück. Dort war er dann spätestens vom 24.6.1941 ab wieder bei der Polizei in Litauisch Krottingen tätig, bis er im Dezember 1942 wegen Verdachts des Mordes und wegen Verdachts der Bereicherung an dem Gut der Ermordeten im Beisein von Cenkus, dem Leiter der litauischen Sicherheitspolizei in Kaunas, von dem SS-Sturmbannführer und Gestapo-Beamten Schweizer von Kaunas verhaftet und in das Gefängnis von Kaunas eingeliefert wurde.

Aus diesem flüchtete er am 8.7.1944, wobei er sich zunächst in einem Dorf des Kreises Krottingen aufhielt, bis ihm die Flucht nach Linz/Österreich gelang. Am 23.8.1944 kehrte er nochmals nach Memel zurück, um nach seinem Eigentum zu sehen. Dabei wurde er am 25.8.1944 von Kriminalkommissar Fischotter festgenommen. Am 9.10.1944 gelang ihm aber wieder die Flucht aus dem Gefängnis. Er schlug sich wieder nach Linz/Österreich durch, wo er am 14.10.1944 eintraf. Im Dezember 1944 begab er sich mit seiner Familie nach Passau, wo er bis 1.9.1945 bei einer amerikanischen Einheit als Hilfsarbeiter arbeitete. Dann siedelte er mit seiner Familie in das Flüchtlingslager Augsburg über. Seine Familie wanderte im Jahr 1949 nach USA aus, während ihm noch im Februar 1952 die Auswanderung abgelehnt wurde. Bis zu seiner Verhaftung wohnte er in Untermiete in Augsburg und bezog als Arbeitsloser Arbeitslosenfürsorge.

Der Angekl. Lukys schloss am 25.12.1928 mit Sofie geb. Vo. die Ehe, aus der 3 Kinder hervorgingen. Nach seinen Angaben ist sein richtiger Familienname "Lukys". Den Namen "Jakys", den seine Ehefrau und seine Kinder in Amerika noch führen, habe er während seiner Verwendung bei der Abwehr geführt.

Ausweislich des Strafregisters ist er nicht vorbestraft. Er wurde am 21.2.1957 vorläufig festgenommen und befindet sich seit 22.2.1957 auf Grund Haftbefehls des Untersuchungsrichters beim Landgericht Ulm/Donau vom 21.2.1957 in Untersuchungshaft.

C. Entwicklung der Judenfrage

I. Gesetzliche Bestimmungen gegen die Juden

Schon vor der am 30.1.1933 in Deutschland erfolgten Machtübernahme durch die NSDAP kam die Einstellung Hitlers und seiner näheren Umgebung zur Frage des Judentums in dem 25-Punkte Programm der NSDAP zum Ausdruck. Punkt 4 dieses Parteiprogramms lautet: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf die Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein." Punkt 5 lautet: "Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Fremdengesetzgebung stehen." Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, wurde die Judenfrage klar, zunächst noch etwas vorsichtig, dann aber immer radikaler weiterentwickelt. Mit Hilfe der gleichgeschalteten Presse wurde gegen die Juden gehetzt, zum wirtschaftlichen Boykott gegen ihre Firmen und Erzeugnisse aufgerufen und in jeder Weise der Boden für ihre Entrechtung, Vertreibung aus den Stellungen und aus dem Land und schliesslich für ihre physische Vernichtung vorbereitet. Dazu wurden gesetzgeberische Voraussetzungen z.B. in den folgenden gegen die Juden gerichteten Gesetzen, Verordnungen und Bekanntmachungen geschaffen:

Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.April 1933 (RGBl. I S.175 ff.) waren jüdische Beamte mit wenigen Ausnahmen in den Ruhestand zu versetzen. Durch die Verordnung vom 22.4.1933 (RGBl. I S.222) endete bei den jüdischen Ärzten und durch die Verordnung vom 2.6.1933 (RGBl. I S.350) bei den jüdischen Zahnärzten und Zahntechnikern die Zulassung bei den Krankenkassen. Durch das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933 (RGBl. I S.188) konnte jüdischen Rechtsanwälten die Zulassung entzogen werden. Später wurden gesetzliche Regelungen für die Juden bezüglich des Erbhofrechts und der Arisierung ihrer Geschäfte getroffen. Es folgten die Nürnberger Gesetze: Nach dem Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 (RGBl. I S.1146) und dessen 1. und 2. Verordnung vom 14.11.1935 (RGBl. I S.1333) und vom 21.12.1935 (RGBl. I S.1524 ff.) konnten Juden keine Reichsbürger sein, kein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten haben und kein öffentliches Amt bekleiden. Durch das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935 (RGBl. I S.1146 ff.) wurden u.a. die Eheschliessung zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sowie der aussereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten und Zuwiderhandlungen schwer bestraft.

Auf Grund der Verordnung vom 26.4.1938 (RGBl. I S.414) mussten die Juden ihr Vermögen anmelden. Durch die 4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.7.1938 (RGBl. I S.969) wurden die Juden von der Ausübung des Ärzteberufs und durch die 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27.9.1938 (RGBl. I S.1403 ff.) von der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs ausgeschlossen.

Um die Juden entsprechend herauszustellen, mussten sie gemäss der 3. Bekanntmachung über den Kennkartenzwang vom 23.7.1938 (RGBl. I S.922) unter Strafandrohung die Ausstellung von Kennkarten unter Hinweis auf ihre Eigenschaft als Juden beantragen und bei ihren Anträgen an amtliche oder parteiamtliche Dienststellen unaufgefordert auf ihre Eigenschaft als Jude hinweisen. Aus dem gleichen Grund hatten nach der 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938 (RGBl. I S.1044) die männlichen Juden den Vornamen "Israel" und die weiblichen Juden den Vornamen "Sara" zusätzlich als weiteren Vornamen anzunehmen, falls sie nicht schon einen jüdischen Vornamen führten.

Nachdem am 7.11.1938 auf den Legationssekretär vom Rath in Paris durch den 17 Jahre alten Juden Hershel Grynspan ein Attentat verübt worden und nachdem am 9.11.1938 bekannt geworden war, dass vom Rath seinen Verletzungen erlegen war, kam es allenthalben im Reichsgebiet zu grossen "spontanen Protestkundgebungen" gegen die Juden, die unter der Bezeichnung "Reichskristallnacht" bekannt wurden. Diese grossen Judenpogrome, deren Träger Angehörige der Parteigliederungen waren, wurden von oben befohlen und gesteuert, wie aus dem Blitzfernschreiben des SS-Gruppenführers Heydrich vom 10.11.1938, 1.20 Uhr, und aus den nachfolgenden Blitzfernschreiben an alle Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen sowie an alle SD-Oberabschnitte und SD-Unterabschnitte unter Betreff "Massnahmen gegen Juden in der heutigen Nacht" eindeutig hervorgeht (IMT Bd.31 S.515-519, Doc.3051-Ps). Durch diese Blitzfernschreiben wurden die Polizeidienststellen des Reichs angewiesen, die zu erwartenden Massnahmen nicht zu verhindern. Sie erhielten Richtlinien für die Art und Weise der Durchführung sowie den Befehl, sofort mit den zuständigen politischen Leitungen ihres Bezirks Verbindung aufzunehmen und die Einhaltung der Richtlinien zu überwachen. Bei diesen Pogromen wurden eine grosse Anzahl jüdischer Wohnungen und Geschäfte zerstört und in Brand gesteckt, 191 Synagogen angezündet und 76 weitere vollständig zerstört, 36 Juden getötet und weitere 36 Juden schwer verletzt, sowie rd. 20000 Juden festgenommen, wie sich aus dem Schnellbrief des Chefs der Sicherheitspolizei vom 11.11.1938 an den damaligen Ministerpräsidenten und Generalfeldmarschall Göring ergibt (IMT Bd.32 S.1 und 2).

Nach dieser "Kristallnacht" wurde den Juden der Besitz von Schuss-, Hieb- und Stosswaffen verboten (Verordnung vom 11.11.1938, RGBl. I S.1573). Es wurde ihnen aber weiterhin durch die Verordnung zur Wiederherstellung des Strassenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12.11.1938 (RGBl. I S.1581) unter Beschlagnahme ihrer Versicherungsansprüche zugunsten des Reiches zur Auflage gemacht, auf eigene Kosten die ihnen in der Kristallnacht an ihren Wohnungen und Geschäften entstandenen Schäden zu beseitigen. Ausserdem wurden den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit als Sühnemassnahme die Zahlung von 1 Milliarde Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt (Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12.11.1938, RGBl. I S.1578), und schliesslich wurden die Juden durch die Verordnung vom 12.11.1938 (RGBl. I S.1580) aus dem deutschen Wirtschaftsleben völlig ausgeschaltet. Durch die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938 (RGBl. I S.1709) wurden die Juden hinsichtlich ihrer gewerblichen, landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebe, ihres Grundeigentums und ihres sonstigen Vermögens völlig entrechtet. Es konnte ihnen die Auflage erteilt werden, ihre Betriebe, ihr sonstiges Grundeigentum oder andere Vermögensteile binnen einer bestimmten Frist zu veräussern. Auch wurde ihnen durch den Erlass Hitlers vom 16.11.1938 (RGBl. I S.1611) das Recht zum Tragen einer Uniform der alten und der neuen Wehrmacht verboten. Durch die Verordnung vom 17.1.1939 (RGBl. I S.47) wurden die Juden von der Ausübung des Tierarztberufes ausgeschlossen. Es wurde ein besonderes Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden eingeführt (Gesetz vom 30.4.1939, RGBl. I S.864 ff.); auch wurden sie durch die Verordnung vom 7.3.1939 (RGBl. I S.425) von der Erfüllung der Wehrpflicht und der Arbeitsdienstpflicht ausgeschlossen.

Durch die 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939 (RGBl. I S.1097 ff.) wurden die Juden in einer Reichsvereinigung zusammengeschlossen. Diese Reichsvereinigung war eine Zwangsorganisation und unterstand dem Reichssicherheitshauptamt, Amt IV, und damit wiederum dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Heydrich. Sie hatte den Zweck, die Auswanderung der Juden zu fördern, d.h. sie aus dem Reichsgebiet zu verdrängen, und hatte die Befugnis, von allen Juden Auswanderungsabgaben zu erheben, womit wiederum die Auswanderung armer Juden finanziert werden sollte. Sie war ausserdem Trägerin des jüdischen Schulwesens und der freien jüdischen Wohlfahrtspflege. Nach der Verordnung vom 15.11.1939 (RGBl. I S.2239) durften Juden die Tätigkeit einer Säuglings- und Kinderschwester nur an Juden oder in jüdischen Anstalten ausüben. Durch die Polizeiverordnung vom 1.9.1941 (RGBl. I S.547) wurde es den Juden verboten, ohne schriftliche Erlaubnis der Ortspolizeibehörde den Bereich ihrer Wohngemeinde zu verlassen sowie Orden und Ehrenzeichen zu tragen. Andererseits mussten sie vom 6. Lebensjahr ab in der Öffentlichkeit den Judenstern tragen. Durch die Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 31.10.1941 (RGBl. I S.681 ff.) wurden die Arbeitsverhältnisse der Juden zu Beschäftigungsverhältnissen besonderer Art umgewandelt. Es wurde ihnen verboten, öffentliche Fernsprechstellen, öffentliche Verkehrsmittel, elektrische Geräte, Fahrräder, Schreibmaschinen usw. zu benützen. In Strafsachen durften sie kein Rechtsmittel mehr einlegen. Durch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1.7.1943 (RGBl. I S.372) wurde bestimmt, dass strafbare Handlungen von Juden nicht mehr durch die ordentlichen Gerichte, sondern durch die Polizei geahndet wurden und dass nach dem Tod eines Juden sein ganzes Vermögen dem Reich verfiel.

II. Endlösung

Während zunächst nur der Boykott der Juden, dann ihre Entrechtung, Verdrängung aus ihren Stellungen und schliesslich ihre Vertreibung aus dem Lande angestrebt war, wurden später die verschiedensten Pläne einer zwangsweisen Aussiedlung und Ansiedlung in einem besonderen Judenreservat erwogen. So war u.a. zu Beginn des 2.Weltkriegs an die Ansiedlung der europäischen Juden auf der Insel Madagaskar gedacht. Dieser Plan wurde dann aufgegeben und Hitler sowie seine nähere Umgebung, zu der Himmler, Heydrich, Goebbels und Göring zählten, gingen dann schliesslich zu der radikalsten Lösung, nämlich zu der physischen Vernichtung der Juden über. Anfänge für diese radikale Lösung finden sich schon in einer Rede Görings vom 12.11.1938 nach der Reichskristallnacht, wonach im Falle eines Krieges eine grosse Abrechnung erfolgen werde, sowie in der Reichstagsrede Hitlers vom 30.1.1939, in der er u.a. erklärte:

"Ich will heute wieder ein Prophet sein. Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerhalb und ausserhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa."

Nach dem für Deutschland siegreichen Verlauf des 2.Weltkriegs bis zum Jahr 1940 wurde von Hitler und seiner näheren Umgebung die sogenannte "Endlösung", nämlich die physische Vernichtung der Juden, ernstlich erwogen. In Zusammenhang mit dem geplanten Ostfeldzug, dem Unternehmen "Barbarossa", sollte zunächst das Ostjudentum vernichtet werden, dass Hitler immer als besonders gefährlich herausstrich. Das Problem der sogenannten "Endlösung" zeichnete sich schon damals ab, wenn auch das Wort "Endlösung" erstmals in einem Brief Görings an den damaligen Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Gruppenführer Heydrich, vom Juli 1941 auftauchte (vgl. IMT Bd.26 S.266-267, Doc.710-Ps); denn Felix Kersten, der frühere Leibarzt Himmlers, gab im Jahr 1948 eine Schilderung Himmlers ihm gegenüber an, wonach Hitler Himmler während des Frankreichfeldzugs die radikale Vernichtung der Juden in Europa befohlen und die Gegenvorstellungen Himmlers nicht habe gelten lassen. Jedenfalls war schon anfangs Frühjahr 1941 die Endlösung der Judenfrage bei Hitler und seinen engsten Mitarbeitern eine beschlossene, nach aussen hin jedoch getarnte Sache. Am 3.3.1941 fand im Oberkommando Wehrmacht (OKW) zwischen Hitler, Himmler und Keitel eine Besprechung über Sondervollmachten statt, die der Reichsführer SS Himmler mit seinen Sonderformationen bei der Durchführung von Polizeiaktionen, sogenannten Bereinigungsaktionen im rückwärtigen Armee- und Heeresgebiet erhalten sollte, wobei aber die Lösung der Judenfrage noch nicht erwähnt wurde. Generalfeldmarschall Keitel gab dann am 13.3.1941 seinen Oberkommandierenden bekannt, dass Hitler im Operationsgebiet des Heeres dem Reichsführer SS besondere Aufgaben erteilt habe, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischen Systeme ergebe, ohne dabei die näheren Aufgaben zu nennen, und dass Himmler im Rahmen dieser Aufgaben selbständig und in eigener Verantwortung handle. Ferner sprach Hitler am 17.3.1941 nach einem Vortrag des Generalfeldmarschalls Halder davon, dass die Führungsmaschinerie des russischen Reiches zerschlagen werden müsse. Die Anwendung brutaler Gewalt im grossrussischen Raum sei notwendig. Die Funktionäre müssten vernichtet werden, um die Bande des Sowjetischen Reiches zu zerreissen. Am 26.3.1941 erfolgte dann das Abkommen zwischen dem OKW, vertreten durch den Generalquartiermeister Wagner, und dem Reichsführer SS Himmler, vertreten durch den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, über die Tätigkeit der Einsatzgruppen im Operationsraum der Wehrmacht. Auch hier war von der Vernichtung der jüdischen Rasse noch nicht die Rede.

III. Barbarossabefehl

1. Am 28.4.1941 erging ein von Generalfeldmarschall v. Brauchitsch unterzeichneter Befehl des Generalkommandos des Heeres betreffend Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei (vgl. Bew.St.Nr.11 und 11a), in welchem das Heer auf das Bestehen von Einsatzgruppen und auf deren Aufgaben im rückwärtigen Armeegebiet und im rückwärtigen Heeresgebiet, insbesondere auf deren Berechtigung, im Rahmen ihres Auftrags in eigener Verantwortung Exekutivmassnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung zu treffen, hingewiesen wurde. 2. Am 13.5.1941 erging ein als Geheime Kommandosache von Keitel als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht auftragsgemäss unterzeichneter Führererlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet "Barbarossa" und über besondere Massnahmen der Truppe (vgl. IMT Bd.34 S.249-254 Doc.050-C). Dieser Führererlass hatte u.a. folgenden Wortlaut:

"Die Wehrmachtsgerichtsbarkeit dient in erster Linie der Erhaltung der Manneszucht.

Die weite Ausdehnung der Operationsräume im Osten, die Form der dadurch gebotenen Kampfesführung und die Besonderheit des Gegners stellen die Wehrmachtsgerichte vor Aufgaben, die sie während des Verlaufs der Kampfhandlungen und bis zur ersten Befriedung des eroberten Gebietes bei ihrem geringen Personalbestand nur zu lösen vermögen, wenn sich die Gerichtsbarkeit zunächst auf ihre Hauptaufgaben beschränkt. Das ist nur möglich, wenn die Truppe selbst sich gegen jede Bedrohung durch die feindliche Zivilbevölkerung schonungslos zur Wehr setzt.

Demgemäss wird für den Raum "Barbarossa" (Operationsgebiet, rückwärtiges Heeresgebiet und Gebiet der politischen Verwaltung) folgendes bestimmt:

I. Behandlung von Straftaten feindlicher Zivilpersonen.

1. Straftaten feindlicher Zivilpersonen sind der Zuständigkeit der Kriegsgerichte und der Standgerichte bis auf weiteres entzogen.

2. Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen.

3. Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind von der Truppe auf der Stelle mit den äussersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen.

4. Wo Massnahmen dieser Art versäumt wurden oder zunächst nicht möglich waren, werden tatverdächtige Elemente sogleich einem Offizier vorgeführt. Dieser entscheidet, ob sie zu erschiessen sind. Gegen Ortschaften, aus denen die Wehrmacht hinterlistig oder heimtückisch angegriffen wurde, werden unverzüglich auf Anordnung eines Offiziers in der Dienststellung mindestens eines Bataillons- usw. Kommandeurs kollektive Gewaltmassnahmen durchgeführt, wenn die Umstände eine rasche Feststellung einzelner Täter nicht gestatten.

5. Es wird ausdrücklich verboten, verdächtige Täter zu verwahren, um sie bei Wiedereinführung der Gerichtsbarkeit über Landeseinwohner an die Gerichte abzugeben.

6. Die Oberbefehlshaber der Heeresgruppe können im Einvernehmen mit den zuständigen Befehlshabern der Luftwaffe und der Kriegsmarine die Wehrmachtsgerichtsbarkeit über Zivilpersonen dort wieder einführen, wo das Gebiet ausreichend befriedet ist.

Für das Gebiet der politischen Verwaltung ergeht diese Anordnung durch den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

II. Behandlung der Straftaten von Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges gegen Landeseinwohner.

1. Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.

2. Bei der Beurteilung solcher Taten ist in jeder Verfahrenslage zu berücksichtigen, dass der Zusammenbruch im Jahr 1918, die spätere Leidenszeit des deutschen Volkes und der Kampf gegen den Nationalsozialismus mit den zahllosen Blutopfern der Bewegung entscheidend auf bolschewistischen Einfluss zurückzuführen war und dass kein Deutscher dies vergessen hat.

3. Der Gerichtsherr prüft daher, ob in solchen Fällen eine disziplinare Ahndung angezeigt oder ob ein gerichtliches Einschreiten notwendig ist. Der Gerichtsherr ordnet die Verfolgung von Taten gegen Landeseinwohner im kriegsgerichtlichen Verfahren nur dann an, wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherheit der Truppe erfordert usw."

IV. Einsatzgruppen

1. Schon anfangs Mai 1941 wurden in der Polizeischule Pretzsch/Elbe und dem dazugehörigen Düben, Leiter Dr. Trummler, zuverlässige Anhänger des NS-Regimes, die im wesentlichen aus Kräften der Stapo, des SD, der Kripo und der Ordnungspolizei bestanden, zusammengezogen und unter Führung bewährter und erprobter Parteiideologen für eine besondere Aufgabe ideologisch und militärisch geschult. Die Teilnehmer wurden darauf aufmerksam gemacht, dass von ihnen eine grosse Härte im Einsatz verlangt werde. Als Führer wurden besonders zuverlässige Parteigänger eingesetzt, die im wesentlichen aus dem RSHA stammten.

Mitte Juni 1941 erfolgte durch den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, dem die Einsatzgruppen unmittelbar unterstellt waren, die Einweisung der Führer der Einsatzgruppen in ihre Aufgaben. Dabei wurden ihnen ausser Aufgaben wie Sicherung des rückwärtigen Armeegebiets, Abwehrtätigkeit, Nachrichtendienst usw. als zusätzliche Aufgabe die Geheime Reichssache über die "Sonderbehandlung der potentiellen Gegner" genannt, worunter man die Vernichtung sämtlicher Juden und der kommunistischen Funktionäre verstand. Dieser Zusatzbefehl wurde aber nicht allgemein, sondern nur den Einsatzgruppenleitern selbst bekanntgegeben. Diesen blieb es dann überlassen, wann sie ihre Untergebenen davon in Kenntnis setzten.

2. Es wurden zunächst 4 Einsatzgruppen, nämlich die Einsatzgruppen A, B, C und D aufgestellt. Die Einsatzgruppe A unterstand dem Oberregierungsrat und SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker und war der Heeresgruppe Nord zugeteilt. Die Einsatzgruppe B unterstand Nebe, dem früheren Leiter des Amts V des RSHA und war der Heeresgruppe Mitte zugeteilt. Chef der Einsatzgruppe C war der SS-Brigadeführer Dr. Rasch. Sie war der Heeresgruppe Süd zugeteilt. Die Einsatzgruppe D unterstand dem SS-Gruppenführer Ohlendorf, dem früheren Leiter des Amts III des RSHA und war der 11. Armee unmittelbar zugeteilt.

3. Die Einsatzgruppen gliederten sich in mehrere Einsatzkommandos, die jeweils etwa die Stärke einer Kompanie hatten. Die Einsatzkommandos waren wieder in Unterabteilungen aufgegliedert, deren jeweilige Stärke vom Einsatzort und der Einsatzaufgabe abhing. Die Gesamtstärke der 4 Einsatzgruppen belief sich auf 1000 bis 2000 Mann.

4. Die bei der Heeresgruppe Nord eingesetzte Einsatzgruppe A unter dem SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker setzte sich aus 4 Einsatzkommandos zusammen. Das Einsatzkommando (Sonderkommando) IA unter Leitung des SS-Standartenführers Dr. S. (Zeuge) war für das Gebiet der 18. Armee (Estland), das Einsatzkommando (Sonderkommando) IB unter Leitung des SS-Oberführers Ehrlinger war für das Gebiet der 16. Armee, das Einsatzkommando 2 unter SS-Obersturmbannführer Strauch war für Lettland und Weissruthenien und das Einsatzkommando 3 unter SS-Standartenführer Jäger für Litauen zuständig. Standartenführer Jäger hatte kurz nach Beginn des Ostfeldzuges seinen Dienstsitz in Kauen eingenommen. Zu den vorstehend genannten Einsatzkommandos der Einsatzgruppe A trat dann noch zeitweilig das auf Befehl des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker am 22.6.1941 gebildete Einsatzkommando Stapo und SD Tilsit, welches für einen etwa 25 km breiten, auf litauischem Boden liegenden Grenzstreifen für die Sonderbehandlung der Juden und kommunistischen Funktionäre zuständig war.

5. Besprechung in Zossen.

Im Mai 1941 fand in Zossen eine von Generalquartiermeister Wagner einberufene Besprechung der Ic-Offiziere der Heeresgruppen und der Armeen statt. Unter den zahlreich Erschienenen waren auch SS-Dienstgrade vertreten. Es wurde bekanntgegeben, dass im kommenden Ostfeldzug Einsatzgruppen und Einsatzkommandos den Heeresgruppen bezw. den Armeen zugeteilt werden würden, welche u.a. die Aufgaben haben würden, politische Persönlichkeiten, Material und Akten sicherzustellen und die Truppe zu schützen. Diese Einsatzgruppen und Einsatzkommandos seien sachlich dem RSHA und nur versorgungsmässig den Heeresverbänden unterstellt. Nicht erwähnt wurde jedoch bei dieser Besprechung, dass diese Einsatzgruppen und Einsatzkommandos insbesondere auch die Aufgabe hatten, sämtliche Juden einschliesslich der Frauen und Kinder zu vernichten.

V. Die Urheber der Massnahmen für die Massenvernichtung

1. Die Taturheber Hitler, Himmler usw.

Urheber der Massnahmen für die Vernichtung der Juden und der kommunistischen Funktionäre waren Hitler, Himmler, Heydrich und deren nähere Umgebung.

Wie oben ausgeführt wurde, gab Hitler schon während des Frankreichfeldzugs Himmler den Befehl zur radikalen Vernichtung der Juden. Hitler war es also, der zwar keinen schriftlichen, aber einen mündlichen Befehl in dieser Richtung gab. Nach den glaubhaften Aussagen des im Nürnberger Prozess vernommenen Zeugen Wisliceny (vgl. IMT Bd.4 S.396-398), welcher früher mit Judenfragen im Amt IV Abt. A4 des RSHA beschäftigt war, aber heute nicht mehr lebt, hat Eichmann, der frühere Leiter der Abt. IV A 4b des RSHA aus dem in seinem Amtszimmer stehenden Panzerschrank in Gegenwart von Wisliceny ein von Himmler unterzeichnetes und an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD gerichtetes Schreiben entnommen und dieses Wisliceny zum Lesen gegeben. Dieses Schreiben hatte zum Inhalt, dass Hitler die Endlösung der Judenfrage befohlen und mit deren Durchführung den Chef der Sicherheitspolizei und des SD und den Inspekteur des Konzentrationslagerwesens beauftragt habe.

Auch nach den Aussagen des im Nürnberger Prozess vernommenen und später hingerichteten Zeugen Höss, des früheren Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, sagte Himmler im Juni 1941, als er ihm in Berlin persönlich den Befehl zur Einrichtung von Vernichtungsmöglichkeiten im Lager Auschwitz gab, Hitler habe die Endlösung der Judenfrage befohlen und die SS habe diesen Befehl durchzuführen (vgl. IMT Bd.11 S.440-441 und S.458-460).

Zusammen mit Hitler haben dann Himmler, Heydrich und ihre nähere Umgebung den Vernichtungsplan ausgeheckt und ihn unter Einschaltung des RSHA organisatorisch und technisch vorbereitet und durch die Einsatzgruppen und Vernichtungslager durchführen lassen.

2. Rede Himmlers in Posen am 4.10.1943

Welche Überlegungen die Urheber der Massenvernichtungsmassnahmen angestellt haben und in welchem Sinne die Führer der Einsatzgruppen und -kommandos auf ihre Aufgaben vorbereitet worden sind, erhellt die nachstehend auszugsweise wiedergegebene Rede Himmlers bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4.Oktober 1943 (IMT Bd.29 S.110-179; hier S.145-146, Doc.1919-Ps):

"............
Die Judenevakuierung.
Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen. Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden. Genau so wenig, wie wir am 30.Juni 1934 gezögert haben, die befohlene Pflicht zu tun und Kameraden, die sich verfehlt hatten, an die Wand zu stellen und zu erschiessen, genau so wenig haben wir darüber jemals gesprochen und werden je darüber sprechen. Es war eine, Gott sei Dank in uns wohnende Selbstverständlichkeit des Taktes, dass wir uns untereinander nie darüber unterhalten haben, nie darüber sprachen. Es hat jeden geschaudert und doch war sich jeder klar darüber, dass er es das nächste Mal wieder tun würde, wenn es befohlen wird und wenn es notwendig ist. Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. - "Das jüdische Volk wird ausgerottet", sagt ein jeder Parteigenosse, "ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir." Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heisst, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte, denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt - bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges - noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper sässen.

Die Reichtümer, die sie hatten, haben wir ihnen abgenommen. Ich habe einen strikten Befehl gegeben, den SS-Obergruppenführer Pohl durchgeführt hat, dass diese Reichtümer selbstverständlich restlos an das Reich abgeführt wurden. Wir haben uns nichts davon genommen. Einzelne, die sich verfehlt haben, werden gemäss einem von mir zu Anfang gegeben Befehl bestraft, der androhte: Wer sich auch nur eine Mark davon nimmt, der ist des Todes. Eine Anzahl SS-Männer - es sind nicht sehr viele - haben sich dagegen verfehlt und sie werden des Todes sein, gnadenlos. Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern. Wir wollen nicht am Schluss, weil wir einen Bazillus ausrotteten, an dem Bazillus krank werden und sterben. Ich werde niemals zusehen, dass hier auch nur eine kleine Fäulnisstelle entsteht oder sich festsetzt. Wo sie sich bilden sollte, werden wir sie gemeinsam ausbrennen. Insgesamt aber können wir sagen, dass wir diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Innern, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen."

3. Subjektive Seite der Taturheber

Mit dieser Tötung sämtlicher Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und sonstiger potentieller Gegner, so der politisch einer anderen Ideologie nachgehenden Kommunisten, erstrebten die als Haupttäter anzusehenden Taturheber des engeren Kreises um Hitler die Machtstellung in Europa. Sie waren sich dabei bewusst, dass diese der menschlichen Moral und dem Völkerrecht krass widersprechende Vernichtungsaktion grössten Ausmasses jeder rechtlichen Grundlage und jedes Rechtfertigungsgrundes entbehrte und rechtswidrig war. Die Haupttäter handelten mit Überlegung, wie die vorausschauende, unter Einschaltung des Reichssicherheitshauptamts erfolgte Planung, Schulung der Einsatzgruppen, die organisatorische und technische Vorbereitung sowie die Durchführung durch die Einsatzgruppen bezw. Einsatzkommandos zeigen.

Sie handelten aus niedrigen Beweggründen; denn sie waren sich bewusst, dass die Massentötungen der Juden nur aus rassischen und die Massentötungen der kommunistenverdächtigen Personen nur aus politischen, also in beiden Fällen aus die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtenden Gründen erfolgte.

Sie handelten aber auch grausam. Abgesehen davon, dass sie keine Richtlinien für eine wenigstens in menschlicher Weise durchzuführende Tötung an die Durchführenden gaben, waren sie sich dessen bewusst, dass es bei einer so umfangreichen und erbarmungslos durchzuführenden Tötung von Hunderttausenden unschuldiger Menschen zu Auswüchsen und Scheusslichkeiten schlimmster Art seitens der mit der Durchführung Beauftragten kommen werde, und dass die Opfer körperlich und seelisch zu leiden haben werden. Dessen ungeachtet billigten sie dies aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus, indem sie den Befehl zu den Massentötungen trotzdem bedenkenlos durchführen liessen.

Die Haupttäter handelten in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaftlich. Sie fühlten sich völlig einig mit Hitler, der den Anstoss zu diesen Massnahmen gab, und wollten mit ihm gemeinschaftlich als mittelbare Täter die Verantwortung für die Massnahmen tragen, die andere dann ausführten. Die Ausführenden sollten keinerlei persönliche und eigene Verantwortung für die Durchführung dieses Befehls tragen, wie sich Himmler im Spätsommer 1941 Ohlendorf gegenüber ausdrückte (IMT Bd.4 S.351).

4. Wannsee-Konferenz am 20.1.1942

In die Durchführung der Massnahmen gegen die Juden waren aber auch die obersten Spitzen der Behörden des Reichs eingeschaltet. So nahmen an der sogenannten Wannsee-Konferenz, die allerdings erst am 20.1.1942 stattfand und bei welcher Heydrich über die bereits erfolgten und noch zu ergreifenden Massnahmen zur Vertreibung und Vernichtung der Juden berichtete, ausser den Vertretern der Parteikanzlei, der Reichskanzlei, des Amts des Generalgouverneurs, des Reichssicherheitshauptamts, der Sicherheitspolizei und des SD für das Generalgouvernement und für Lettland auch die Staatssekretäre der einzelnen Ministerien teil. Bei einer Zusammenkunft zwischen dem Reichsjustizminister Thierack und Himmler am 18.9.1942 wurde u.a. die Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug - und zwar der Juden ausnahmslos - an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit besprochen (IMT Bd.26 S.200-203).

VI. Die Juden im Memelland und in Litauen bis zum Einmarsch der deutschen Truppen

Als das Memelland im Jahre 1923 Litauen zugeschlagen wurde, gab es dort kaum mehr als 200 alteingesessene Juden. Dieser Zustand änderte sich bald, da aus Litauen, das etwa 200000 Juden, also eine verhältnismässig starke jüdische Bevölkerung aufwies, eine Masseneinwanderung in das Memelland einsetzte, so dass bis zum März 1939 allein etwa 3-4000 Juden in Memel wohnten. Die litauischen Juden fühlten sich durch die besseren kulturellen Bedingungen, die geordnete Rechtspflege und vor allem auch durch das rechtlich gewährleistete Steuersystem angezogen. Die Zuwanderer fingen meist sehr klein an, brachten es aber dann wegen ihrer bescheidenen Lebensansprüche bald zu Wohlstand. Die alteingesessenen Juden waren in der Mehrzahl von diesem Zustrom nicht gerade erbaut.

Als das Memelland am 22.3.1939 wieder zu Deutschland kam, begann schon in der Woche vorher ein Zurückströmen der Juden mit ihren Familien und ihrer beweglichen Habe aus Memel nach Litauen. Nach 10 Tagen war diese Umsiedlung im wesentlichen vollzogen, wobei sich die Memelländer bei dem Auszug würdig und ohne Gehässigkeit den Juden gegenüber benahmen. Zusammen mit den früheren litauischen Juden verliessen auch die alteingesessenen Juden bis auf ein paar alte Leute und ferner die Gross-Litauer Memel. Die Juden siedelten sich vielfach in den litauischen Grenzorten, so auch in dem unweit Memel gelegenen Städtchen Garsden an.

Das Verhältnis der Juden zu den National-Litauern war im allgemeinen gut. Der grösste Teil der Juden in Litauen war religiös und zionistisch. Das litauische Judentum hatte ein besonders hohes geistiges Niveau und pflegte eine starke Hingabe zur deutschen Kultur. Die Juden waren stolz auf ihr Judentum, sprachen ihre eigene Sprache (jiddisch) und hatten ihre eigenen Tageszeitungen.

Die Juden waren sehr wohl unter der litauischen Bevölkerung herauszuerkennen, zumal sie auch gar nicht die Absicht hatten, ihr Judentum zu verheimlichen. In erster Linie waren sie an ihren rassischen Merkmalen zu erkennen. Die älteren Juden trugen auch noch ihre traditionelle Tracht; sie hatten Bärte, eine besondere Kopfbedeckung und zum Teil auch noch den Kaftan. Wenn auch die mittleren und jüngeren Jahrgänge diese traditionelle Tracht nicht mehr trugen, so waren sie doch wegen ihrer besonderen rassischen Merkmale als Juden erkennbar.

Als Zionisten waren die Juden kommunistenfeindlich. Darunter gab es auch welche, die Sympathien für Russland, aber für die altrussische Kultur, nicht etwa für den Bolschewismus, hatten. Eine kleine Minderheit war auch prokommunistisch eingestellt. Litauen, das bis zum Jahr 1939 zwar aussenpolitisch eng mit Russland zusammenarbeitete, war mit Hilfe des Kriegszustandes von einer nationalen Regierung völkisch regiert und duldete im Innern keinen Kommunismus. Die Kommunistenführer wurden verfolgt und in Zuchthäuser eingesperrt. Als im Jahr 1939 die Russen in Litauen einmarschierten, nahm ein Teil der kommunistisch eingestellten Juden Verbindung mit ihnen auf, wobei sich die Russen ihrer Hilfe und Kenntnisse der örtlichen und politischen Verhältnisse gerne bedienten. Dabei mögen auf Seiten dieser Juden neben den politischen Motiven auch persönliche Gegensätze und alte Feindschaften mitgewirkt haben. Die grosse Masse der Juden jedoch, die vielfach eigene Geschäfte und Gewerbebetriebe hatte, litt unter den Russen genauso wie die Litauer.

Als nun die Russen Ende Juni 1941 von den deutschen Truppen aus Litauen vertrieben wurden, begrüssten die immer sehr nationalbewussten Litauer die Deutschen als die Befreier von der Bolschewistenherrschaft. Es war daher auch ein Teil von ihnen gerne bereit, die von den Einsatzgruppen gegen die Juden in die Wege geleiteten Massenvernichtungsmassnahmen zu unterstützen, weil sie in den Juden die Freunde der Bolschewisten erblickten. Dabei mag allerdings auch bei manchen die Aussicht, sich am jüdischen Vermögen bereichern zu können, eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Durch die Massenvernichtungsmassnahmen wurden die Juden in Litauen fast ausnahmslos ausgerottet.

VII. Ereignismeldungen UdSSR und Stahlecker-Bericht

Über die Tätigkeit der Einsatzgruppen und über die von ihnen durchgeführten Massenvernichtungsmassnahmen geben die von den Alliierten Streitkräften nach ihrem Einmarsch in Deutschland vorgefundenen und sichergestellten Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD und, was in diesem Fall besonders interessiert, der zusammenfassende Bericht bis 15.10.1941 des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker über die Tätigkeit der Einsatzgruppe A, in deren Bereich die Angeklagten eingesetzt waren, Aufschluss. Schon bei den Nürnberger Prozessen wurden diese Urkunden als Beweismittel verwertet. Fotokopien der Ereignismeldungen UdSSR wurden, soweit sie das jetzige Verfahren betreffen, zu den Strafakten genommen.

1. Die Ereignismeldungen UdSSR

Die Einsatzkommandos waren angewiesen, über ihre Tätigkeit dem Leiter ihrer Einsatzgruppen Tätigkeitsberichte vorzulegen. Die Einsatzgruppenleiter ihrerseits hatten weisungsgemäss die bei ihnen eingegangenen Tätigkeitsberichte ihrer Einsatzkommandoführer durch Kuriere, Funk oder Fernschreiber an das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Amt IV (Müller) weiterzumelden. Bei der unter der Leitung des Regierungsrats Jupp Vogt stehenden Abteilung A1 des Amtes IV vom RSHA wurden jeden Morgen die bei diesem Amt sowie etwaige bei Amt III vom SD eingegangene Meldungen nach einem vom Amtschef Müller bestimmten System ausgewertet und zusammengestellt, so u.a. von Vogt selbst oder von den Abteilungsangehörigen Fum. (Zeuge) und Dr. Kno. (Zeuge). Die auf Matrizen geschriebenen Ereignismeldungen wurden dem Amtschef Müller zur Durchsicht vorgelegt, wobei von ihm zum Teil geringfügige Abänderungen vorgenommen wurden. Jedenfalls gaben die Ereignismeldungen im grossen und ganzen den Inhalt der ursprünglichen Meldungen der Einsatzgruppen bezw. -kommandos, vor allem die genauen Zahlen der Getöteten, wieder.

Die Ereignismeldungen UdSSR wurden laufend numeriert, mit Datum und mit dem Kopf "Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Amt IV A 1 - B Nr.1 B/41 g.Rs." sowie mit dem augenfälligen Aufdruck "Geheime Reichssache" versehen und nach einem ganz bestimmten, ursprünglich sehr niedrig gehaltenen Verteilerplan an interessierte Partei- und Regierungsstellen, vor allem auch an die Amtschefs des RSHA, weitergeleitet. Dadurch, dass die Ereignismeldungen als "Geheime Reichssache" unter den höchsten Geheimschutz fielen, war gewährleistet, dass nur ein ganz kleiner Personenkreis etwas über die von den Einsatzgruppen durchgeführten Massenvernichtungsmassnahmen erfuhr. Um das Durchsickern von Nachrichten über die Massenvernichtungsmassnahmen in das deutsche Volk zu verhindern, wurden die einzelnen Angehörigen der Einsatzgruppen zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. Ausserdem wurde durch einen Erlass des Reichsführers SS vom November 1941 das Fotografieren der Exekutionen verboten und die Einziehung und Vernichtung bezw. Übersendung der bis zu diesem Zeitpunkt gemachten Lichtbilder an das RSHA als Dokumentenmaterial befohlen. Soweit solche Lichtbilder von den Alliierten Streitkräften sichergestellt werden konnten, wurden sie in den Nürnberger Prozessen als Beweismaterial verwertet.

Nachdem bei Beginn des Russlandfeldzugs auch der Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit auf Befehl des Leiters der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, ein Einsatzkommando gebildet hatte, wie unten noch näher dargelegt wird, gab die Stapo Tilsit jeweils gleichlautende Meldungen an Stahlecker und an das RSHA Amt IV, später auch noch an den SS-Standartenführer Jäger / Kowno, den Leiter des für Litauen zuständigen Einsatzkommandos 3 der Einsatzgruppe A, ab. Der SD Tilsit gab ausserdem für sich Meldungen an das Amt III des RSHA ab, welche zwar zum Teil in ihrer Darstellung nicht immer mit den Meldungen der Stapo Tilsit, wohl aber in der Angabe der Zahlen der Getöteten übereinstimmten, da die zu meldenden Zahlen vorher jeweils miteinander verglichen wurden. Beim RSHA Amt II (Verwaltungsamt) wurde bei Beginn des Russlandfeldzugs in der Abteilung II D 2 ein sogenanntes Lagezimmer eingerichtet. Diese Abteilung leitete Dr. P. (Zeuge) bis zu seiner Ende Oktober 1941 erfolgten Versetzung zur Stapo Tilsit. In diesem Lagezimmer wurden aus den eingegangenen Meldungen der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos deren Standorte und Nachrichtenverbindungen entnommen und zusammengestellt. Diese Zusammenstellungen erhielten nur etwa 15 Dienststellen des RSHA; andere Dienststellen wurden nicht damit beliefert.

2. Der Stahlecker-Bericht (IMT Bd.37 S.670-717, Doc.180-L)

Der zusammenfassende Bericht des Leiters der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, bis zum 15.10.1941 wird nachstehend auszugsweise wörtlich wiedergegeben, weil aus ihm ganz allgemein die Arbeitsmethoden der Einsatzgruppen und der Einsatzkommandos, insbesondere der bei der Heeresgruppe Nord eingesetzten Einsatzgruppe A, hervorgehen, nach deren Richtlinien das Einsatzkommando der Stapo und des SD Tilsit gearbeitet hat, wie später noch darzustellen ist. Aus diesem Gesamtbericht ergibt sich die Gesamtzahl der bis zum 15.10.1941 exekutierten Personen, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Gebieten im Bereich der Heeresgruppe Nord. Vor allem geht aus diesem Gesamtbericht aber auch die Zahl der bis zum 15.10.1941 "von dem Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit im Grenzstreifen liquidierten Kommunisten und Juden" hervor. Die nachstehend angeführten Seitenzahlen entsprechen denen des Bandes 37 der amtlichen deutschen Textausgabe von dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, der vom 14.November 1945 bis zum 1.Oktober 1946 stattgefunden hat:

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"Dokument 180-L: Bericht des Führers der Einsatzgruppe A, des SS-Brigadeführers Stahlecker, über die Tätigkeit der Gruppe im Frontgebiet von Nordrussland und dem besetzten Gebiet der baltischen Staaten bis zum 31.Oktober 1941: Zusammenarbeit mit der Wehrmacht; Aufwiegelung der Landesbevölkerung zu Pogromen gegen die Juden; Massenhinrichtungen von Juden und Kommunisten (mit Zahlenangaben); planmässige Ermordung von Geisteskranken; schärfste abschreckende Massnahmen im Kampf gegen die Partisanen; und anderes (Beweisstück US-276).

Geheime Reichssache !

40 Ausfertigungen
23. Ausfertigung.

Einsatzgruppe A
Gesamtbericht bis zum 15.Oktober 1941

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Die Einsatzgruppe A marschierte befehlsgemäss am 23.6.1941, dem zweiten Tag des Ostfeldzuges, nachdem die Fahrzeuge in einsatzfähigen Zustand versetzt worden waren, in den Bereitstellungsraum ab. Die Heeresgruppe Nord mit der 16. und 18. Armee und der Panzergruppe 4 hatte tags zuvor den Vormarsch angetreten. Es handelte sich nun darum, in aller Eile persönlich mit den Armeeführern wie auch mit dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets Fühlung aufzunehmen. Von vornherein kann betont werden, dass die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht im allgemeinen gut, in Einzelfällen, wie z.B. mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Höppner, sehr eng, ja fast herzlich war. Missverständnisse, die in den ersten Tagen mit einzelnen Stellen entstanden waren, wurden durch persönliche Aussprachen im wesentlichen erledigt.

Die Heeresgruppe Nord stiess schnell bis zur Memel vor, erreichte nach kurzen, aber vielfach heftigen Kämpfen die Düna. ..... Für die Sicherheitspolizei zeigte sich bei diesem militärischen Vorgehen in den ersten Tagen des Ostfeldzuges, dass die spezifisch sicherheitspolizeiliche Arbeit nicht nur, wie in den ursprünglichen Abmachungen mit dem OKH vorgesehen, im rückwärtigen Heeres- und Armeegebiet, sondern auch im Gefechtsgebiet geleistet werden musste, und zwar einerseits, weil im

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zügigen, raschen Vorgehen die Einrichtung des rückwärtigen Armeegebiets nachhinkte und andererseits die zersetzende kommunistische Tätigkeit und der Partisanenkampf - besonders bei Erreichen des Luga-Abschnittes - im Gefechtsgebiet selbst am stärksten sich auswirkte.

Zur Durchführung der sicherheitspolizeilichen Aufgaben musste auch erstrebt werden, in grösseren Städten zusammen mit der Truppe einzuziehen. Die ersten Erfahrungen in dieser Richtung wurden gesammelt, als ein kleines Vorauskommando unter meiner Führung mit den Spitzenverbänden der Wehrmacht am 25.6.1941 in Kowno eintraf. Auch bei der Einnahme der weiteren grösseren Städte, insbesondere Libau, Mitau, Riga, Dorpat, Reval und den grösseren Vorstädten von Petersburg war jeweils ein Kommando der Sicherheitspolizei bei den ersten Truppenteilen. Vor allem mussten hierbei kommunistische Funktionäre und kommunistisches Material erfasst, daneben aber die Truppe von irgendwelchen Überraschungen in den Städten gesichert werden, nachdem die Truppe selbst dazu meist zahlenmässig gar nicht in der Lage war. Zu diesem Zweck wurden in den drei baltischen Provinzen von der Sicherheitspolizei jeweils schon in den ersten Stunden des Einmarsches Freiwilligenformationen aus zuverlässigen Landeseinwohnern aufgestellt, die unter unserer Führung diese Aufgabe mit Erfolg durchgeführt hat.
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Ebenso wurden schon in den ersten Stunden nach dem Einmarsch, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten, einheimische antisemitische Kräfte zu Pogromen gegen die Juden veranlasst. Befehlsgemäss war die Sicherheitspolizei entschlossen, die Judenfrage mit allen Mitteln und aller Entschiedenheit zu lösen. Es war aber nicht unerwünscht, wenn sie zumindest nicht sofort bei den doch ungewöhnlich harten Massnahmen, die auch in den deutschen Kreisen Aufsehen erregen mussten, in Erscheinung trat. Es musste nach aussen gezeigt werden, dass die einheimische Bevölkerung selbst als natürliche Reaktion gegen jahrzehntelange Unterdrückung durch die Juden und gegen den Terror durch die Kommunisten in der vorangegangenen Zeit die ersten Massnahmen von sich aus getroffen hat.
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Nach der Eroberung von Litauen und Lettland wurden die Einsatzkommandos 2 und 3 vom Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes im wesentlichen abgezogen und in Litauen bezw. Lettland belassen. Die Einsatzkommandoführer 2 und 3 befinden sich seit Anfang Juli dauernd in Kowno bezw. Riga.
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Für die Führung der Einsatzgruppe ergaben sich in dieser Zeit besondere Schwierigkeiten. Während die grösseren in Litauen und Lettland eingesetzten Teile der Sicherheitspolizei 700 km zurück lagen, waren andere Teile hinter der fast 600 km langen Front zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Zur Nachrichtenübermittlung stand ausser dem in Riga stationierten Funkwagen nur ein mittlerer und ein leichter Funkwagen für dieses weite Gebiet zur Verfügung.
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Besonders dankbar wurde für die Führung der Einsatzgruppe anerkannt, dass sehr bald nach Einrichten von Dienststellen vom RSHA ein sehr gutes und brauchbares Funk- und Fernschreibnetz eingerichtet wurde.
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Aus der geschilderten Gesamtsituation ergab und ergibt sich, dass die der Einsatzgruppe zugeteilten Angehörigen von Stapo, Kripo und SD in der Hauptsache in Litauen, Lettland, Estland und Weissruthenien, zu einem geringen Teil vor Petersburg, die Kräfte der Ordnungspolizei und Waffen-SS jedoch in der Hauptsache vor Petersburg zu Massnahmen gegen die zurückflutende Zivilbevölkerung eingesetzt sind, und zwar jeweils unter eigener Führung. Diese Massnahme ist deshalb um so leichter möglich, weil den Einsatzkommandos in Litauen, Lettland und Estland einheimische Polizeikräfte, über deren Zuteilung die Anlage 1 Aufschluss gibt, zur Verfügung stehen und nach Weissruthenien bisher 150 lettische Hilfskräfte entsandt wurden.

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Die Verteilung der Führer von Sicherheitspolizei und SD in den einzelnen Phasen ergibt sich aus der Anlage 2, der Vormarsch und der Einsatz der Einsatzgruppe und der Einsatzkommandos aus Anlage 3. Nicht unerwähnt möge bleiben, dass die zugeteilten Führer von Waffen-SS und Ordnungspolizei, soweit sie Reservisten sind, erklärt haben, auch später bei Sicherheitspolizei und SD bleiben zu wollen.

A. Der baltische Raum

I. Organisatorische Massnahmen

1. Aufstellung der Hilfspolizei und der Schutzmannschaften Angesichts der Ausdehnung des Einsatzraumes und der Fülle der sicherheitspolizeilichen Aufgaben wurde von vornherein angestrebt, dass die zuverlässige Bevölkerung selbst bei der Bekämpfung der Schädlinge in ihrem Lande - also insbesondere der Juden und Kommunisten - mitwirkt. Über die Steuerung der ersten spontanen Selbstreinigungsaktionen hinaus, auf die in anderem Zusammenhang noch näher eingegangen werden wird, musste Vorsorge getroffen werden, dass zuverlässige Kräfte in die Säuberungsarbeit eingespannt und zu ständigen Hilfsorganen der Sicherheitspolizei gemacht wurden. Hierbei musste den verschieden gelagerten Verhältnissen in den einzelnen Teilen des Einsatzraumes Rechnung getragen werden.

In Litauen haben sich bei Beginn des Ostfeldzuges aktivistische nationale Kräfte zu sogen. Partisaneneinheiten zusammengefunden, um in den Kampf gegen den Bolschewismus aktiv einzugreifen. Nach ihrer eigenen Darstellung hatten sie dabei 4000 Gefallene.

In Kauen hatten sich vier grössere Partisanengruppen gebildet, mit denen das Vorauskommando sofort Fühlung aufnahm. Eine einheitliche Führung dieser Gruppen war nicht vorhanden. Vielmehr versuchte jeder der anderen den Rang abzulaufen und mit der Wehrmacht in möglichst enge Verbindung zu kommen, um künftig zu einem militärischen Einsatz gegen die Sowjetarmee herangezogen zu werden und hieraus bei der späteren staatlichen Neugestaltung Litauens Kapital zu schlagen und eine neue lettische Armee aufstellen zu können. Während ein militärischer Einsatz der Partisanen aus politischen Gründen nicht in Betracht kam, wurde in kurzer Zeit aus den zuverlässigen Elementen der undisziplinierten Partisanengruppen

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ein einsatzfähiger Hilfstrupp in Stärke von zunächst 300 Mann gebildet, dessen Führung dem litauischen Journalisten Klimatis übertragen wurde. Diese Gruppe ist im weiteren Verlauf der Befriedungsarbeiten nicht nur in Kauen selbst, sondern in zahlreichen Orten Litauens eingesetzt worden und hat die ihr zugewiesenen Aufgaben, insbesondere Vorbereitung und Mitwirkung bei der Durchführung grösserer Liquidierungsaktionen unter ständiger Aufsicht des EK ohne wesentliche Anstände gelöst. Die übrigen Partisanengruppen wurden reibungslos entwaffnet. Neben der Aufstellung der Partisaneneinsatztrupps wurde gleich in den ersten Tagen eine litauische Sicherheits- und Kriminalpolizei aufgestellt. Unter Führung eines höheren lit. Polizeibeamten, Donauskas, wurden zunächst 40 frühere lit. Polizeibeamte, die zum grossen Teil aus den Gefängnissen befreit worden waren, eingesetzt.

Ausserdem wurden nach sorgfältiger Überprüfung die weiter erforderlichen Hilfskräfte herangezogen. Die lit. Sicherheits- und Kriminalpolizei arbeitet nach den ihr von EK 3 gegebenen Anweisungen und Richtlinien, wird in ihrer Tätigkeit laufend kontrolliert und, soweit irgend angängig, zur Durchführung sicherheitspolizeilicher Arbeiten, die mit eigenen Kräften nicht bewältigt werden können - insbesondere Fahndungen, Festnahmen und Durchsuchungen - herangezogen. Wesentliche Teile des Fahndungsmaterials, das von den Russen bei ihrem Rückgang verschleppt worden war, ist in Wilna aufgefunden und polizeilich ausgewertet worden.

In ähnlicher Weise wurden in Wilna und Schaulen aus den lit. Selbstschutzkräften, die sich dort unter der Bezeichnung "Litauische Sicherheits- und Kriminalpolizei" selbständig gebildet hatten, brauchbare Hilfsorgane geschaffen. Insbesondere in Wilna war eine durchgreifende personelle Säuberung notwendig, da sich dort zum grossen Teil arbeitslose Beamte und Angestellte ohne jegliche Fachkenntnisse und zum Teil auch politisch belastete Elemente in der lit. Sicherheitspolizei zusammengetan hatten. Nach der Entfernung der belasteten und unbrauchbaren Personen wird auch hier unter ständiger Aufsicht des EK 3 von der lit. Sicherheits- und Kriminalpolizei durchaus brauchbare Arbeit geleistet. Die sich im Wilnagebiet angesichts des dort wohnenden Völkergemisches - Litauer, Polen, Weissruthenen und Russen - auf verschiedenen Gebieten ergebenden Schwierigkeiten machen sich auch bei dem Einsatz der Hilfspolizeiorgane

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bemerkbar. In den überwiegend von Polen bewohnten Kreisen Salcimnikai, Oschmiana und Lida sind zur Zeit noch polnische Hilfspolizeien tätig. Der unüberbrückbare Hass zwischen Polen und Litauen hat zur Folge, dass hier lit. Beamte nur unter deutschem Schutz Ermittlungen und Festnahmen durchführen können. Die polnische Hilfspolizei wird alsbald aufgelöst werden.

Bei der Personalergänzung innerhalb der lit. Hilfspolizeien wird hauptsächlich auf die Partisanengruppen zurückgegriffen. Solange noch Exekutionen und Befriedigungsaktionen grösseren Umfangs durchgeführt werden müssen, bleibt neben der lit. Sicherheits- und Kriminalpolizei der obengenannten Partisanentrupp bestehen und wird voraussichtlich später in einem anderen Teil des Einsatzraumes ausserhalb Litauens eingesetzt.
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2. Neuaufbau des Gefängniswesens

Die Gefängnisse in den baltischen Ländern wurden entweder völlig leer vorgefunden oder waren mit den von den Selbstschutzkräften ergriffenen Juden und Kommunisten belegt. Die Bolschewisten haben bei ihrem Rückzug die Gefängnisinsassen entweder ermordet oder verschleppt. Das Gefängnispersonal war meist mit den Russen geflohen. Da landeseigene Justizverwaltungen vorerst nicht existierten und die deutschen Gerichte erst nach Einführung der Zivilverwaltung eingesetzt werden, wurden zunächst alle Gefängnisse ohne Rücksicht auf ihre frühere Zweckbestimmung in polizeiliche Verwaltung genommen. Das Personal für den Gefängnisdienst stellen die Selbstschutzkräfte und Hilfspolizisten. Soweit die Aufnahmefähigkeit der Hafträume nicht ausreichte, wurden provisorische Konzentrationslager errichtet. Die Vorarbeiten zur Errichtung von grösseren Konzentrationslagern laufen.
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II. Säuberung und Sicherung des Einsatzraumes

1. Auslösung von Selbstreinigungsaktionen

Auf Grund der Erwägung, dass die Bevölkerung der baltischen Länder während der Zeit ihrer Eingliederung in die UdSSR unter der Herrschaft des Bolschewismus und des Judentums aufs Schwerste gelitten hatte, war anzunehmen, dass sie nach der Befreiung von dieser Fremdherrschaft die nach dem Rückzug der Roten Armee im Lande verbliebenen Gegner in weitgehendem Masse selbst unschädlich machen würde. Aufgabe der Sicherheitspolizei musste es sein, die Selbstreinigungsbestrebungen in Gang zu setzen und in die richtigen Bahnen zu lenken, um das gesteckte Säuberungsziel so schnell wie möglich zu erreichen. Nicht minder wesentlich war es, für die spätere Zeit die feststehende und beweisbare Tatsache zu schaffen, dass die befreite Bevölkerung aus sich selbst heraus zu den härtesten Massnahmen gegen den bolschewistischen und jüdischen Gegner gegriffen hat, ohne dass eine Anweisung deutscher Stellen erkennbar ist. In Litauen gelang dies zum ersten Mal in Kauen durch den Einsatz der Partisanen. Es war überraschenderweise zunächst nicht einfach, dort ein Judenpogrom grösseren Ausmasses in Gang zu setzen. Dem Führer der oben bereits erwähnten Partisanengruppe, Klimatis, der hierbei in erster Linie herangezogen wurde, gelang es, auf Grund der ihm von dem in Kauen eingesetzten kleinen Vorkommando gegebenen Hinweis ein Pogrom einzuleiten,

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ohne dass nach aussen irgendein deutscher Auftrag oder eine deutsche Anregung erkennbar wurde. Im Verlauf des ersten Pogroms in der Nacht vom 25. zum 26.6. wurden über 1500 Juden von den lit. Partisanen beseitigt, mehrere Synagogen angezündet oder anderweitig zerstört, und ein jüdisches Wohnviertel mit rund 60 Häusern niedergebrannt.

In den folgenden Nächten wurden in derselben Weise 2300 Juden unschädlich gemacht. In anderen Teilen Litauens fanden nach dem in Kauen gegebenen Beispiel ähnliche Aktionen, wenn auch in kleinerem Umfange, statt, die sich auch auf zurückgebliebene Kommunisten erstreckten.

Durch Unterrichtung der Wehrmachtsstellen, bei denen für dieses Vorgehen durchweg Verständnis vorhanden war, liefen die Selbstreinigungsaktionen reibungslos ab. Dabei war es von vornherein selbstverständlich, dass nur die ersten Tage nach der Besetzung die Möglichkeit zur Durchführung von Pogromen bot. Nach der Entwaffnung der Partisanen hörten die Selbstreinigungsaktionen zwangsläufig auf.
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Soweit möglich, wurde sowohl in Kauen als auch in Riga durch Film und Photo festgehalten, dass die ersten spontanen Exekutionen der Juden und Kommunisten von Litauern und Letten durchgeführt wurden.
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2. Bekämpfung des Kommunismus

Im Vordergrund der sicherheitspolizeilichen Arbeit in allen Teilen des Einsatzraumes stand die Bekämpfung des Kommunismus und des Judentums.

Mit der Sowjetarmee waren die Sowjetbeamten und die Sowjetfunktionäre der KP geflohen. Die Bevölkerung der baltischen Länder hat auf Grund der Erfahrungen der mehr als

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einjährigen bolschewistischen Zwangsherrschaft die Notwendigkeit erkannt, dass auch die nach dem Rückzug der Roten Armee übriggebliebenen Reste des Kommunismus besiegt werden müssen. Diese Grundeinstellung erleichterte die sicherheitspolizeiliche Säuberungsarbeit auf diesem Gebiet wesentlich, zumal aktive nationalistische Kreise, also in Litauen die Partisanen, in Lettland und Estland die Selbstschutzkräfte, bei dieser Säuberung mitwirkten.
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b. Fahndung und Festnahme von Kommunisten

Neben den Durchsuchungsaktionen wurde eine systematische Fahndung nach zurückgebliebenen kommunistischen Funktionären und Rotarmisten und der durch ihre Tätigkeit für den Kommunismus stärker belasteten Personen durchgeführt. Stellenweise hatten die Selbstschutzkräfte die berüchtigtsten Kommunisten bereits spontan unschädlich gemacht.

In grösseren Städten wurden unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte der Kommandos und der gesamten Selbstschutzformationen sowie mit Unterstützung der deutschen Ordnungspolizei Grossaktionen durchgeführt, in deren Verlauf zahlreiche Festnahmen und Durchsuchungen erfolgten.

Nach Durchführung dieser vordringlichsten Aufgaben in den Städten wurde durch kleine Teilkommandos auch die Säuberung auf dem Lande in Angriff genommen. Hierbei leisteten wiederum die Selbstschutzkräfte wertvolle Mitarbeit. Ländliche Selbstschutzverbände haben stellenweise die in ihrem Bereich erfassten Kommunisten auf Entfernungen von 150 km zu den Einsatzkommandos transportiert.

Der Umfang der Säuberungsarbeit bei der Bekämpfung des Kommunismus ist aus der als Anlage 8 beigefügten Übersicht über die Zahl der Exekutionen ersichtlich.
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3. Bekämpfung des Judentums

Es war von vornherein zu erwarten, dass allein durch Pogrome das Judenproblem im Ostlande nicht gelöst werden würde. Andererseits hatte die sicherheitspolizeiliche Säuberungsarbeit gemäss den grundsätzlichen Befehlen eine möglichst umfassende Beseitigung der Juden zum Ziel. Es wurden daher durch Sonderkommandos, denen ausgesuchte Kräfte - in Litauen Partisanentrupps, in Lettland Trupps der lettischen Hilfspolizei - beigegeben wurden, umfangreiche Exekutionen in den Städten und auf dem flachen Lande durchgeführt. Der Einsatz der Exekutionskommandos war reibungslos. Bei der Zuteilung von litauischen und lettischen Kräften zu den Exekutionskommandos wurden insbesondere solche Männer ausgewählt, deren Familienmitglieder und Angehörige von den Russen ermordet oder verschleppt worden waren.

Zu den besonders scharfen und umfassenden Massnahmen musste in Litauen gegriffen werden. Die Juden hatten sich stellenweise - insbesondere in Kauen - bewaffnet,

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beteiligten sich aktiv am Heckenschützenkrieg und legten Brände an. Im übrigen haben die Juden in Litauen in besonders aktiver Weise mit den Sowjets Hand in Hand gearbeitet. Die Gesamtzahl der in Litauen liquidierten Juden beläuft sich auf 71105.

Bei den Pogromen wurden in Kauen 3800, in den kleineren Städten rund 1200 Juden beseitigt.
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Schon nach Durchführung der ersten grösseren Exekutionen in Litauen und Lettland zeigte es sich, dass eine restlose Beseitigung der Juden nicht durchführbar ist, zumindest nicht im jetzigen Zeitpunkt.

Da das Handwerk in Litauen und Lettland zum grossen Teil in jüdischen Händen liegt und manche Berufe (insbesondere Glaser, Klempner, Ofensetzer, Schuhmacher) fast ausschliesslich von den Juden ausgeübt wurden, ist ein

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grosser Teil jüdischer Handwerker bei der Instandsetzung lebenswichtiger Anlagen, für den Wiederaufbau der zerstörten Städte und kriegswichtiger Arbeiten zur Zeit unentbehrlich. Wenngleich von den Betrieben angestrebt wird, die jüdischen Arbeitskräfte durch litauische und lettische zu ersetzen, ist eine sofortige Ablösung aller im Arbeitsprozess eingesetzten Juden noch nicht möglich, insbesondere nicht in den grossen Städten. Dagegen werden in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern zur Zeit die nicht mehr arbeitsfähigen Juden erfasst und in kleinen Aktionen exekutiert.

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch der stellenweise erhebliche Widerstand der Dienststellen der Zivilverwaltung gegen die Durchführung von Exekutionen grösseren Umfanges, denen überall mit dem Hinweis darauf, dass es sich um die Durchführung grundsätzlicher Befehle handle, entgegengetreten wurde.

Neben der Organisierung und Durchführung der Exekutionsmassnahmen wurde gleich in den ersten Tagen des Einsatzes in den grösseren Städten auf die Schaffung von Ghettos hingewirkt. Besonders dringlich war dies in Kauen, da dort bei einer Gesamteinwohnerzahl von 152400 30000 Juden wohnten. Daher wurde nach dem Abrollen der ersten Pogrome ein jüdisches Komitee vorgeladen, dem eröffnet wurde, dass die deutschen Stellen bisher keinen Anlass gehabt hätten, in die Auseinandersetzungen zwischen Litauern und Juden einzugreifen. Voraussetzung für die Schaffung normaler Verhältnisse sei zunächst die Errichtung eines jüdischen Ghettos. Als von dem jüdischen Komitee Einwendungen erhoben wurden, wurde erklärt, dass anders keine Möglichkeit bestehe, weitere Pogrome zu verhindern. Die Juden erklärten sich daraufhin sofort bereit, alles zu tun, um ihre Rassegenossen mit grösster Beschleunigung in den als jüdisches Ghetto vorgesehenen Stadtteil Viliampol umzusiedeln. Dieser Stadtteil liegt in dem Dreieck zwischen der Memel und einem Zufluss und ist nur durch eine Brücke mit Kauen verbunden und daher leicht absperrbar.
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Die Kennzeichnung der Juden durch einen gelben Davidstern auf der Brust und auf dem Rücken, die zunächst durch vorläufige sicherheitspolizeiliche Befehle angeordnet wurde, ist auf Grund entsprechender Anordnungen des Befehlshabers für das rückwärtige Heeresgebiet und später der Zivilverwaltung in kurzer Zeit durchgeführt worden.

Die Zahl der bisher liquidierten Juden ist aus der als Anlage 8 beigefügten Aufstellung ersichtlich.
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5. Sonstige sicherheitspolizeiliche Arbeiten

1. Gelegentlich machten die Zustände in den Irrenanstalten sicherheitspolizeiliche Massnahmen erforderlich. Zahlreiche Anstalten waren von den Russen beim Rückzug aller Verpflegungsvorräte beraubt worden. Das Bewachungs- und Pflegepersonal war vielfach geflüchtet. Da die Insassen aus verschiedenen Anstalten ausbrachen und zu einer Gefahr für die Sicherheit wurden, wurden
in Aglona (Litauen) 544 Geisteskranke
in Mariampol " 109 "
und in Mogutowo (bei Luga) 95 "

insgesamt 748 Geisteskranke
liquidiert.
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S.692 III. Spionageabwehr

Das Netz des englischen, französischen und amerikanischen Nachrichtendienstes, das in den baltischen Ländern aufgebaut worden war, ist infolge der Flucht und Beseitigung der Agenten zerrissen. Durch die zur Zeit laufenden Ermittlungsarbeiten werden die letzten Reste unschädlich gemacht. In Litauen sind bisher 28 Personen wegen Spionageverdachts festgenommen worden. Hiervon wurden den Staatspolizeistellen Königsberg und Tilsit 7 überstellt.

Die übrigen Fälle sind zur Zeit noch nicht abschliessend bearbeitet.
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S.693 V. Kriminalpolizeiliche Arbeit

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Die landeseigene Kripo-Dienststellen berichten den Einsatzkommandos oder den örtlichen Teilkommandos und Aussenstellen täglich über die bei ihnen anfallenden Vorgänge und die durchgeführten Festnahmen und Durchsuchungen.
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S.702-3 Anlage 8

Übersicht über die Zahl der bisher durchgeführten Exekutionen
Übersicht über die Zahl der exekutierten Personen

LITAUEN: Juden: Kommunisten: zusammen:
Gebiet Kauen,
Stadt u. Land
31.914 80 31.994
Gebiet Schaulen 41.382 763 42.145
Gebiet Wilna 7.015 17 7.032
 
  80.311 860 81.171
 
LETTLAND: Juden: Kommunisten: zusammen:
Gebiet Riga
Stadt und Land
6.378
Gebiet Mietau 3.576
Gebiet Libau 11.860
Gebiet Wolmar 209
Gebiet Dünaburg 9.256 589 9.845
 
  30.025 1.843 31.868
 
ESTLAND: Juden: Kommunisten: zusammen:
  474 684 1.158
 
WEISSRUTHENIEN: 7.620 7.620
 
Zusammenstellung:
Litauen 80.311 860 81.171
Lettland 30.025 1.843 31.868
Estland 474 684 1.158
Weissruthenien 7.620 --- 7.620
 
  118.430 3.387 121.817
 
Dazu kommen:
 
In Litauen und Lettland durch
Pogrome beseitigte Juden
5.500
 
Im altruss. Raum exekut. Juden,
Kommunisten und Partisanen
2.000
 
Geisteskranke 748
 
  122.445
 
Von Stapo und SD-Abschnitt Tilsit
in Grenzstreifen liquidierte
5.502
 
Kommunisten und Juden 135.567

Anzufügen ist noch, dass nach einem offensichtlich späteren, undatierten Geheimbericht der Einsatzgruppe A (vgl. IMT Bd.30 S.71-80, Doc.2273-Ps) allein in Litauen insgesamt 136.421 Juden beiderlei Geschlechts liquidiert wurden.

D. Die Organisation der deutschen Polizei, Gliederung der Stapo Tilsit und des SD Tilsit und der Schutzpolizei Memel

I. Gesamte deutsche Polizei

1. Bei Beginn des 2.Weltkrieges unterstand die gesamte deutsche Polizei dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Himmler, welcher dem Reichsminister des Innern, Dr. Frick, unterstellt war.

Himmler waren wiederum der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, sowie der Chef der Ordnungspolizei, General Daluege, untergeordnet. Zwischen Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei gab es wenig Berührungspunkte.

2. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, war der Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), welches in 7 Ämter - diese wiederum in mehrere Abteilungen - aufgegliedert war:

Amt I: Allgemeine Organisationsfragen der Sipo und des SD, Personalangelegenheiten; Leiter zuerst Dr. Best, dann Streckenbach.
Amt II: Haushalt, Besoldungs- und Wirtschaftswesen.
Amt III: Fragen der Rechtsordnung, Kultur, Wirtschaft und des Volkstums. Diesem Amt war der Sicherheitsdienst (SD) unmittelbar unterstellt. Leiter war bis zum Beginn des Krieges mit Russland Ohlendorf.
Amt IV: Gegnererforschung und -bekämpfung, Kirchen, Sekten und Judenfragen, Abwehr usw. Diesem Amt war die Geheime Staatspolizei (Gestapo) unmittelbar unterstellt. Leiter war Müller.
Amt V: Kriminalpolizei, Fahndung, kriminaltechnisches Institut usw.; Leiter war bis zum Ausbruch des Krieges mit Russland Nebe.
Amt VI: Auslandsnachrichtendienst (SD Ausland); Leiter war bis zum Beginn des Russlandfeldzugs Schellenberg.
Amt VII: Weltanschauliche Forschung, wissenschaftliche Auswertung, Archiv usw.

3. Die Ordnungspolizei war in das Amt Verwaltung und Recht sowie in das Kommandoamt aufgeteilt. Chef des Kommandoamts war von 1936 bis Ende 1942 der General der Ordnungspolizei v. Bom. (Zeuge), welchem die gesamte Ordnungspolizei unterstellt war.

4. Dem RSHA waren die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD, später Befehlshaber der Sicherheitspolizei (BdS) genannt und dem Kommandoamt der Ordnungspolizei die Inspekteure der Ordnungspolizei, später Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) genannt, unterstellt. Im Reich war in jedem grösseren Land und in jeder Provinz je ein Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD sowie ein Inspekteur der Ordnungspolizei aufgestellt.

a. Die Aufgaben der Inspekteure der Ordnungspolizei waren u.a., die Ordnungspolizei, also die Kommandos der Schutzpolizei, ferner die Gendarmerie, Gemeindepolizei und vor allem die Polizeibataillone ihres Bereichs zu inspizieren, die Ausbildung zu überwachen und die Luftschutzausbildung zu fördern. Sie hatten aber keine Befehlsbefugnisse gegenüber den Polizeibehörden und den diesen unterstehenden Polizeikräften. Verwaltungsmässig waren sie in die Oberpräsidien und Landesministerien als Referenten für Ordnungspolizeiangelegenheiten eingegliedert.
Dem Inspekteur der Ordnungspolizei gegenüber war nur das Hauptamt der Ordnungspolizei, nicht aber das RSHA weisungsberechtigt.
Inspekteur der Ordnungspolizei in Ostpreussen mit Sitz in Königsberg war von Ende Mai 1941 bis anfangs Juli 1941 der General der Ordnungspolizei Je. (Zeuge). Sein Nachfolger war Generalmajor der Ordnungspolizei Fra., der aber erst Ende August 1941 die Dienstgeschäfte übernahm. Die Dienststelle hatte keinen Fernschreiber.

b. Die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD hatten im Reich kein sachliches Weisungsrecht gegenüber den Stapo- und Kripo-Leitern. Sie hatten nur die Orientierungspflicht der ihnen zugeteilten Polizeibehörden und die allgemeine Dienstaufsicht über sie. Gegenüber den Staatspolizeistellenleitern war grundsätzlich nur das RSHA weisungsberechtigt. Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Ostpreussen bis zum Beginn des Russlandfeldzugs war der SS-Brigadeführer Dr. Rasch, der die Leitung der Einsatzgruppe C erhielt. Er hatte seinen Sitz in Metgethen, etwa 5 km von Königsberg entfernt. Sein Stellvertreter bis September 1941 war Dr. Al. (Zeuge), der Leiter der Stapo-Leitstelle Königsberg. Als Leiter der Stapo-Leitstelle war er gegenüber den Stapo-Stellenleitern, z.B. gegenüber dem Angekl. Böhme der Stapo-Stelle Tilsit nicht weisungsbefugt; er war nur primus inter pares. Die Dienststellen des Inspekteurs der Sicherheitspolizei Königsberg und des Stapoleitstellenleiters Königsberg hatten je einen Fernschreiber.

5. Im Reich war je dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und dem der Ordnungspolizei ein Höherer SS- und Polizeiführer vorgesetzt, der gewissermassen eine Dachstellung über beiden hatte. Dies war in Ostpreussen bei Beginn des Russlandfeldzugs der SS-Obergruppenführer Prützmann mit Sitz in Königsberg. Die Höheren SS- und Polizeiführer hatten eine Doppelstellung, sofern sie in der Regel Generale der Polizei und damit Vorgesetzte der Inspekteure der Ordnungspolizei und der Inspekteure der Sicherheitspolizei, als auch SS-Obergruppenführer und als solche Führer des SS-Oberabschnitts waren.

Während die Stellung der Höheren SS- und Polizeiführer ausserhalb der Reichsgrenzen eine viel umfassendere war, die gar nicht mit der Stellung der Höheren SS- und Polizeiführer innerhalb des Reichs zu vergleichen war, oblag letzteren in erster Linie nur die repräsentative Vertretung des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Wehrkreis. Eingriffe in die innere Staatsverwaltung und in die Geschäfte der Polizeibehörden waren ihnen untersagt. Polizeilich hatte der Höhere SS- und Polizeiführer kein Befehlsrecht gegenüber den Polizeibehörden. Ebenso wie die Inspekteure, hatte auch er kein Befehlsrecht gegenüber den den Polizeibehörden unterstellten Polizeikräften. Er konnte zwar Inspektionen vornehmen sowie Wünsche und Anregungen zum Ausdruck bringen, er hatte aber keine Disziplinarstrafgewalt gegenüber den Angehörigen der Polizei. Wohl aber war der Höhere SS- und Polizeiführer Gerichtsherr der im Rahmen der Sondergerichtsbarkeit der SS und Polizei errichteten SS- und Polizeigerichte.

II. Staatspolizeiabschnitt Tilsit

1. Zu Beginn des Russlandfeldzugs umfasste die Staatspolizeistelle (Stapo) Tilsit das Gebiet des Regierungsbezirkes Gumbinnen mit den Kreisen Tilsit-Ragnit, Memel-Heydekrug, Pogegen, Schlossberg, Goldap, Insterburg, Ebenrode, Treuburg und das Suwalki-Gebiet, das zur damaligen Zeit schon die Bezeichnung "Kreis Sudauen" führte. Regierungspräsident des Regierungsbezirks Gumbinnen war Dr. Roh. (Zeuge). Leiter der Stapo-Stelle Tilsit war der Angekl. Böhme, damals SS-Sturmbannführer und Regierungsrat. Er war zugleich politischer Referent des Regierungspräsidenten von Gumbinnen, ohne dass er aber dienstlich diesem unterstellt war. Gegenüber der Stapo-Stelle Tilsit war grundsätzlich nur das RSHA weisungsberechtigt. Der nominelle Stellvertreter des Angekl. Böhme zu Beginn des Russlandfeldzugs war der SS-Hauptsturmführer und Regierungsassessor Ilges (Zeuge). Die rechte Hand des Angekl. Böhme und der Mann seines Vertrauens war jedoch der Angekl. Kreuzmann. Die Stapo Tilsit war im 1. Stock des gleichen Gebäudes untergebracht, in dem sich auch das Schutzpolizeikommando Tilsit befand. Im Keller dieses Gebäudes waren 14 Haftzellen, von denen 13 die Stapo für sich beanspruchte. Gefangenenwärter war ein Hauptwachtmeister der Schupo.

Die Stapo Tilsit verfügte über Funk- und Fernschreibeanlagen sowie über einen eigenen Kraftwagenpark. Die Garagen befanden sich im Dienstgebäude.

2. Die Staatspolizeistelle Tilsit, zu der auch die beiden Aussenstellen Gumbinnen und Insterburg sowie die Nebenstelle Heydekrug zählten, war in 3 Abteilungen untergeteilt:
a. Abt. I unter der Leitung des vermissten Kriminalinspektors Fellenberg, Stärke etwa 20 Mann, hatte als Aufgabengebiet: Personalsachen, allgemeine Verwaltung, Kraftfahrwesen, Besoldung und Waffen.
b. Abt. II (Exekutivabteilung) unter Leitung des Angekl. Kreuzmann, etwa 30-35 Mann stark, wozu u.a. auch die Kriminalkommissare Gerke (Zeuge) und Krumbach (Zeuge) gehörten, hatte als Aufgabengebiet: Beschäftigung mit den Gegnern des Nationalsozialismus, Kommunisten, politische Häftlinge, Juden, Freimaurer, Bibelforscher, Kirchen und Aufsicht über Fremdarbeiter. Sie stellte vor Beginn des Russlandfeldzugs die Tätigkeitsberichte der Stapo Tilsit und nach Beginn des Russlandfeldzugs die Einsatzberichte über die "Säuberungsaktionen" der Stapo Tilsit zusammen.
c. Abt. III unter Leitung des Angekl. Harms, etwa 10 Mann stark, hatte als Aufgabengebiet: Landesverrat, Spionageabwehr, Dienstaufsicht über die 4 Grenzpolizeikommissariate (GPK) Memel, Tilsit, Eydtkau und Sudauen. Der Angekl. Harms war zugleich Leiter des GPK Tilsit.

3. Der Staatspolizeistelle Tilsit unterstanden die 4 Grenzpolizeikommissariate:
a. GPK Memel, Leiter SS-Obersturmführer und Kriminalkommissar Dr. Frohwann (durch Selbstmord aus dem Leben geschieden) und später Kriminalkommissar Fischotter (gefallen) mit den Gestapo-Beamten Behrendt (Angekl.), Me., Bajovicius, Hahn (Krim.Inspektor), Mar., Meissner, Bussat, Birkenbach, Niemann, Ma., Sc., Mö., Pulter, Mi., Gri., Baltental, Dietz, Pohl, Mühlbauer, Vanovius, Gü., Motzkus und Ar., zusammen mit den 4 Grenzpolizeiposten etwa 40 Mann stark. Es hatte eigenen Fernschreiber und mehrere Kraftwagen.
Zu dem GPK Memel gehörten folgende 4 Grenzpolizeiposten (GPP):
GPP Memel-Hafen,
GPP Nimmersatt für den Grenzübergang nach dem litauischen Ort Polangen,
GPP Bajohren für den Grenzübergang - Eisenbahn- und Strassenübergang - nach dem litauischen Ort Krottingen, Postenführer Krim.Sekretär Mo. (Zeuge), Stärke 1:6,
GPP Laugallen für den Grenzübergang nach dem litauischen Ort Garsden, Postenführer Lorenz, Stärke 1:2,
b. GPK Tilsit unter Leitung des Angekl. Harms mit den 3 Grenzpolizeiposten:
GPP Kolleschen für den Grenzübergang nach Nowemiasto, Stärke 3 Mann,
GPP Laugszargen für den Grenzübergang nach Tauroggen, Postenführer Krim.Sekr. Schwarz, Stärke 1:8,
GPP Schmalleningken für den Grenzübergang nach Georgenburg, Postenführer Angekl. Carsten, Stärke 1:4,
c. GPK Eydtkau unter Leitung des Kriminalobersekretärs Tietz (Freitod), etwa 18-20 Mann stark, mit den 3 Grenzpolizeiposten:
GPP Eydtkau für den Bahnübergang,
GPP Eydtkau für die Strasse nach Wirballen,
GPP Schirrwindt für den Grenzübergang nach Wladislawa-Neustadt,
d. GPK Sudauen unter Leitung des Kriminalkommissars Macholl, etwa 15 Mann stark, mit 3 Grenzpolizeiposten an der Demarkationslinie nach Polen.

4. Da die Grenze wegen ihrer Länge nicht allein von den Grenzpolizeiposten überwacht werden konnte, mussten auf Grund eines Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 27.1.1938 nach vorheriger Vereinbarung mit dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei auch die Beamten des Zollgrenzschutzes die Aufgaben der Grenzpolizei, insbesondere an der grünen Grenze, mit übernehmen. Insoweit handelten die Beamten des Zollgrenzschutzes im Auftrag und nach Anordnungen des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, waren also praktisch zu Hilfsdiensten für die Geheime Staatspolizei verpflichtet.

5. Die Angehörigen der Staatspolizei wie auch die des Sicherheitsdienstes unterstanden nach der Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.Oktober 1939 (RGBl. I S.2107) i.V. mit dem Erlass des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei vom 9.4.1940 (XXI RA III) einer Sondergerichtsbarkeit, für welche die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (MStGB) und der Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) sowie ihre Einführungsgesetze sinngemäss Anwendung fanden und SS-Gerichte bezw. SS- und Polizeigerichte zuständig waren. Nach dem zuletzt genannten Erlass galt nämlich die gesamte Sicherheitspolizei einschliesslich des SD als in besonderem Einsatz befindlich.

III. Sicherheitsdienstabschnitt Tilsit

1. Der Sicherheitsdienstabschnitt Gumbinnen deckte sich gebietsmässig mit dem Bereich der Staatspolizeistelle Tilsit und wurde von Beginn des Russlandfeldzugs an in den Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD sowie in dem Bericht des Führers der Einsatzgruppe A, des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker, über die Tätigkeit der Gruppe im Frontgebiet von Nordrussland und im besetzten Gebiet der baltischen Staaten vom 31.10.1941 (Gesamtbericht bis zum 15.Oktober 1941) unter der Bezeichnung "SD-Abschnitt Tilsit" aufgeführt, weshalb in den folgenden Ausführungen nur die Bezeichnung "SD-Abschnitt Tilsit" verwendet wird.

Den Sicherheitsdienstabschnitt Tilsit leitete seit März 1941 der Angekl. Hersmann, damals SS-Sturmbannführer mit Sitz in Tilsit. Sein Vorgänger war Regierungsrat Dr. Gräfe, der jedoch schon 1/4 Jahr vor der durch den Angekl. Hersmann erfolgten Amtsübernahme abwesend war und von dem SS-Hauptsturmführer Unglaube vertreten wurde. Dr. Gräfe leitete bis zur Übernahme des Stapo-Stelle Tilsit durch den Angekl. Böhme auch diese in Personalunion. Aus dieser Zeit bestanden noch engere Berührungspunkte zwischen den Angehörigen der beiden Dienststellen. Der SD-Abschnitt Tilsit hatte einen eigenen Kraftwagenpark. In Tilsit selbst befanden sich 3 PKW. Als Leiter des SD-Abschnitts Tilsit war der Angekl. Hersmann dem Amt III des RSHA direkt unterstellt, wobei in dem Befehls- und Berichtsweg keine weitere Zwischeninstanz eingeschaltet war. Der Angekl. Hersmann unterstand zwar als SD-Abschnittsleiter, wie auch der Angekl. Böhme als Leiter der Stapo Tilsit, dem Inspekteur der Sicherheitspolizei Königsberg. Dieser hatte aber kein sachliches Weisungsrecht, sondern nur die allgemeine Dienstaufsicht über sie. Im Gegensatz zur Stapo war der SD innerhalb des Reichsgebiets eine reine Nachrichtenorganisation der NSDAP. Während die Stapo-Angehörigen bis auf die Kriegsnotdienstverpflichteten Beamte waren, waren die SD-Angehörigen Angestellte und wurden vom Reichsschatzmeister der NSDAP bezahlt. Die Angehörigen beider Dienststellen trugen die SD-Raute auf dem linken Unterarm der Uniform, die Angehörigen der Stapo hatten aber um die Raute eine Silberkordel.

2. Stellvertreter des Angekl. Hersmann war der seit 1945 vermisste SS-Obersturmführer Dr. Bertaloth. Nachdem unmittelbar vor Beginn des Russlandfeldzugs 5-6 Angehörige der SD-Dienststelle Tilsit wegversetzt worden waren, betrug deren Stärke noch etwa 15 Mann. Hiezu zählten u.a. die SD-Angehörigen Dr. Bertaloth, Kurmies, Kalisch, Brandstetter, Nikolaus, Ju. (Zeuge), Pap. (Zeuge), Gri. (Zeuge), Gl. (Zeuge) und En. (Zeuge).

Zu dem SD-Abschnitt Tilsit gehörten ferner 10 teilweise mit ehrenamtlichen Leitern besetzte Aussenstellen in Memel, Tilsit, Gumbinnen, Insterburg, Suwalki, Eydtkau, Goldap, Treuburg, Angerburg und Heydekrug. Alle Aussenstellen waren nur mit einem Mann (Leiter) und einer Schreibkraft und hiervon die 5 erstgenannten Aussenstellen hauptamtlich besetzt. Leiter der Aussenstelle Memel war der Angekl. Sakuth, dessen Dienststelle im gleichen Gebäude untergebracht war, in dem sich auch das GPK Memel unter Dr. Frohwann und das 1. Polizeirevier der Schutzpolizei Memel befanden.

Leiter der Aussenstelle Tilsit war der SS-Hauptsturmführer Kalisch und der der Aussenstelle Gumbinnen der SS-Obersturmführer Laupichler.

Die Leiter der Aussenstellen waren bei ihrer Tätigkeit auf ehrenamtliche Mitarbeiter oder V-Männer angewiesen.

3. Die Aufgabe des SD-Inland bestand in der Nachrichtenübermittlung, in der Erforschung der Stimmung der Bevölkerung und in der Berichterstattung über die gemachten Wahrnehmungen auf den verschiedensten Gebieten. Auf Grund der eingegangenen Meldungen der Aussenstellen und sonstiger Mitarbeiter, die bei allen möglichen Behörden sassen, wurden vom SD Tilsit wöchentlich Lageberichte zusammengestellt und an das Amt III des RSHA sowie an den Inspekteur der Sicherheitspolizei in Königsberg abgegeben. Ohne Verpflichtung hiezu liess der Angekl. Hersmann Durchschläge dieser Berichte auch der Stapo und Kripo Tilsit sowie dem Regierungspräsidenten in Gumbinnen zukommen. Durch diese Lageberichte sollte der Regierung ein wahrheitsgetreues Stimmungsbild vermittelt werden, das sie sich nicht durch die Presse verschaffen konnte, weil deren Freiheit aufgehoben war. Bis zum Ausbruch des Russlandfeldzugs hatte der SD-Abschnitt Tilsit nachrichtenmässig auch das gesamte litauische Gebiet zu bearbeiten, wobei er sich insbesondere mit Hilfe von litauischen Vertrauensleuten Nachrichten über die Vorgänge politischer und militärischer Art in Litauen verschaffte. Die Verwertung dieser Nachrichten erfolgte durch das Amt VI (Abwehr) des RSHA.

Der SD-Inland hatte keine Exekutivgewalt; er durfte also keine Verhaftungen, Vernehmungen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen vornehmen. Dies änderte sich aber beim SD-Abschnitt Tilsit mit Beginn des Russlandfeldzuges, als der Angekl. Hersmann vom Führer der Einsatzgruppe A, dem Brigadeführer Dr. Stahlecker den Befehl erhielt, zusammen mit der Stapo Tilsit in dem etwa 25 km breiten litauischen Grenzstreifen die den Gegenstand dieses Strafverfahrens bildende Säuberungsaktion durchzuführen.

4. Die Angehörigen des SD unterstanden in Strafsachen, wie oben schon ausgeführt wurde, der Sondergerichtsbarkeit, für welche die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches und der Militärstrafgerichtsordnung sinngemäss Anwendung fanden.

IV. Die Staatliche Polizeidirektion Memel und die Schutzpolizei Memel

1. Neben der Staatspolizei Tilsit und dem SD Tilsit waren im Regierungsbezirk Gumbinnen eine Reihe staatlicher Polizeidirektionen, so auch die hier interessierende Staatl. Polizeidirektion Memel eingerichtet.

Von der Staatl. Polizeidirektion Memel ist die städtische Polizei, die nur weniger wichtige Verwaltungsaufgaben zu erledigen hatte, wie Reinigen der Strassen, Feuerwehrdienste und dergleichen, zu unterscheiden. Diese unterstand dem Oberbürgermeister der Stadt Memel, Dr. Bri. (Zeuge). Dieser unterstand wiederum während des Krieges dienstaufsichtsmässig dem Regierungspräsidenten von Gumbinnen.

Bei Beginn des Russlandfeldzugs war Polizeidirektor der Staatl. Polizeidirektion Memel der Angekl. Fischer-Schweder, damals SA-Oberführer. Sein Stellvertreter war der inzwischen verstorbene Kriminalrat Richard Steinwender, der über ein grosses Fachwissen verfügte.

Der Angekl. Fischer-Schweder war als Polizeidirektor von Memel Leiter der örtlichen Polizeiverwaltung und unterstand dem Regierungspräsidenten Dr. Roh. von Gumbinnen, welcher in polizeilichen Angelegenheiten wiederum sachlich dem Chef des Kommandoamts der Ordnungspolizei Berlin unterstellt war, da die Oberpräsidenten, so auch der Oberpräsident von Ostpreussen, keine eigenen polizeilichen Funktionen hatten. Die Stapo Tilsit und auch das RSHA Berlin hatten gegenüber der Polizeidirektion Memel kein Weisungsrecht; sie waren nur im Wege der Amtshilfe ersuchungsberechtigt. Der Angekl. Fischer-Schweder war als Polizeiverwalter politischer Beamter und unterstand in Strafsachen nicht wie die Angehörigen der Stapo und des SD der Sondergerichtsbarkeit, für welche die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches und der Militärstrafgerichtsordnung Anwendung fanden und die SS- und Polizeigerichte zuständig waren. Nur dann fielen die Polizeiverwalter unter die Sondergerichtsbarkeit, soweit sie bei Truppenverbänden oder diesen vorgesetzten Kommandostellen Dienst verrichteten (Runderlass des Chefs der Ordnungspolizei vom 19.5.1940, Bew.St.12a).

Für den Angekl. Fischer-Schweder galt als Beamten die Bestimmung des §7 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26.1.1937 (RGBl. I S.39), wonach er eine Anordnung nicht befolgen durfte, deren Ausführung für ihn erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlief.

Die Polizeidirektion Memel war im sogenannten Hochhaus an der Dange untergebracht. Im gleichen Gebäude befand sich auch das Kommando der Schutzpolizei. Die Polizeidirektion verfügte neben einem eigenen Kraftwagenpark auch über die notwendigen Nachrichtenmittel, so über Telefon, Funk und Fernschreiber.

2. Das Kommando der Schutzpolizei Memel unterstand bei Beginn des Russlandfeldzugs dem während des Ermittlungsverfahrens verstorbenen Major der Schutzpolizei Gü., der aus der Wasserschutzpolizei hervorgegangen war. Sein Adjutant war Hauptmann Schw. (Zeuge). Beim Stab befand sich auch der Angekl. Schmidt-Hammer, der damals den Luftschutzwarndienst versah und sich nebenbei in die Geschäfte des Adjutanten einzuarbeiten hatte, die er dann Ende Oktober 1941 nach dem Weggang des Hauptmann Schw. übernahm.

Die Schutzpolizei Memel gliederte sich in 3 Polizeireviere. Das 1. Polizeirevier unterstand Oberleutnant Sander; es war zusammen mit dem GPK Memel und der SD-Aussenstelle Memel im gleichen Gebäude untergebracht. Das 2. Polizeirevier leitete der verstorbene Oberleutnant der Schutzpolizei Barning, der früher Barutzki hiess, und das 3. Polizeirevier der Leutnant der Schutzpolizei Grusen.

Das Verhältnis zwischen dem Kommandeur der Schutzpolizei und dem Polizeidirektor war in dem Kommandeurerlass betr. die Stellung des Kommandeurs der Schutzpolizei in den staatlichen Polizeiverwaltungen, Runderlass des Reichs- und Preuss. Ministers d. Innern vom 6.3.1937, RMBliV 1937 S.398, geregelt. Danach war der Kommandeur der Schutzpolizei dem staatlichen Polizeiverwalter, welcher der gesamtverantwortliche Leiter der Polizei innerhalb seines Polizeibereichs war, unterstellt. Er unterstand auch der Dienststrafgewalt des Polizeidirektors. Als Kommandeur der Schutzpolizei trug aber Major Gü. die Verantwortung für den Vollzug der vom Angekl. Fischer-Schweder als notwendig erkannten Massnahmen. Während der Angekl. Fischer-Schweder gegenüber Major Gü. darüber zu bestimmen hatte, ob ein Einsatz erfolgen sollte, gehörte die Bestimmung über die Art der Durchführung zur Zuständigkeit des Major Gü., welcher auch allein über die an Ort und Stelle zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlichen Massnahmen entschied. Für die Überwachung des Dienstbetriebs des Kommandos der Schutzpolizei Memel war das Kommando der Schutzpolizei beim Regierungspräsidium von Gumbinnen zuständig, welches dem Inspekteur der Ordnungspolizei in Königsberg und dieser wiederum dem Hauptamt der Ordnungspolizei Berlin unterstand. (Vgl. Runderlass des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium d. Innern vom 1.9.1938 über die Gliederung der Schutzpolizei der Gemeinden, Stellung ihrer Vorgesetzten und ihre Beaufsichtigung durch die Inspekteure, die Stabsoffiziere der Schutzpolizei bei den Regierungspräsidenten und die Kommandeure der Gendarmerie, RMBliV S.1457).

Die Stapo Tilsit und auch das RSHA Berlin waren gegenüber der Schupo Memel nicht weisungsbefugt, sondern nur im Wege der Amtshilfe über das Regierungspräsidium von Gumbinnen bezw. über den Inspekteur der Ordnungspolizei Königsberg ersuchungsberechtigt, wobei letzterer wiederum beim Hauptamt der Ordnungspolizei Berlin Rückfrage halten konnte. Ausserhalb des Stadtgebiets Memel, aber innerhalb des Reichsgebiets, konnte die Schupo Memel - von Notfällen abgesehen - nur mit Genehmigung des Regierungspräsidenten von Gumbinnen bezw. des Inspekteurs der Ordnungspolizei Königsberg eingesetzt werden und zwar auch zu Absperrmassnahmen bei Erschiessungen. Dagegen bestand grundsätzlich für die Schupo das Verbot der Mitwirkung als Exekutionskommando bei Erschiessungen. Ausserhalb des Reichsgebiets durfte die Schupo Memel nicht ohne Erlaubnis des Hauptamtes der Ordnungspolizei Berlin verwendet werden. Nur in sogenannten Notfällen konnte der Inspekteur der Ordnungspolizei Königsberg die Schupo Memel über die Grenze abstellen, jedoch nicht zu Erschiessungen, da es sich bei diesen um polizeifremde Angelegenheiten handelte. Nach der o.a. Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen vom 17.10.1939 (RGBl. I S.2107) i.V. mit dem Erlass des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei vom 9.4.1940 (XXI RA III) und dem Runderlass des Chefs der Ordnungspolizei vom 19.5.1940 und vom 14.7.1940 unterstand auch die Ordnungspolizei bei Einsätzen ausserhalb der Reichsgrenzen, gleichviel ob die Polizeiangehörigen geschlossen oder im Einzeldienst Verwendung fanden, der Sondergerichtsbarkeit, so dass das Militärstrafgesetzbuch und die Militärstrafgerichtsordnung sinngemäss Anwendung fanden und die SS- und Polizeigerichte zuständig waren.

II. Abschnitt

A. Bildung des Einsatzkommandos Stapo und SD Tilsit

I. Die 3 Erlasse A-C

Am Sonntag, den 22.6.1941 frühmorgens begann mit dem Angriff der deutschen Truppen und Überschreiten der deutsch-russischen Grenze der Russlandfeldzug. Noch in den Morgenstunden dieses Tages erfolgte ein Fliegerangriff der Russen auf die Stadt Tilsit. Dabei fiel durch Bombenwurf der elektrische Strom aus, was wiederum den Ausfall des Fernschreibeverkehrs bei der Stapo Tilsit bis zum Sonntagabend zur Folge hatte.

Vor Beginn des Russlandfeldzugs war der Angekl. Böhme im Besitz von 3 Geheimerlassen des RSHA, welchen in der Hauptverhandlung die Bezeichnung "Erlass A, B und C" gegeben wurde. Die Erlasse A und B gab er bei einer am Samstag, den 21.6.1941 stattgefundenen Dienstbesprechung mit den Leitern der Abteilungen und der Grenzpolizeikommissariate sowie mit den Führern der Grenzpolizeiposten bekannt, welche wiederum ihre Untergebenen unterrichteten.

Der Erlass A, den der Angekl. Böhme schon mehrere Tage vor Beginn des Russlandfeldzugs hatte, betraf die Grenzkontrolle für den Fall "Barbarossa". Danach war die Grenze vom Augenblick des Kriegsbeginns mit Russland an gesperrt. Grenzübertritte waren nur mit besonderen, vom OKH ausgestellten Ausweisen erlaubt. Die Grenzsperre galt auch für die Angehörigen der Stapo Tilsit und des SD Tilsit. Etwaige Versuche der Wehrmacht, an der Grenze Zivilisten an die Stapo zu übergeben, waren zurückzuweisen. Der Erlass B betraf die Organisation, Gliederung und Bereiche der Einsatzgruppen mit Namensnennung der einzelnen Führer, was der Angekl. Böhme schon teilweise aus einer im April oder Mai 1941 in Königsberg stattgefundenen Besprechung - es handelte sich um eine Art Schulungsvortrag - mit Dr. Rasch, dem damaligen Inspekteur der Sicherheitspolizei Königsberg, wusste. In diesem Erlass waren auch die Aufgaben der Einsatzgruppen, jedoch nicht die "Sonderbehandlung" genannt. Bei dem Erlass C, einer erst auf Stichwort zu öffnenden Geheimen Reichssache, handelte es sich um die Erfassung der sogenannten "potentiellen Gegner" im Fall Barbarossa, d.h. um die "Sonderbehandlung" der Juden und Kommunisten, worunter deren physische Vernichtung zu verstehen war. Diesen Erlass hatte Böhme entweder erst in der Nacht vom 21./22.6.1941 oder nur wenige Tage zuvor vom RSHA Amt IV erhalten und im Panzerschrank verwahrt. Nach Beginn des Russlandfeldzugs öffnete der Angekl. Böhme am Morgen des 22.6.1941 diese Geheime Reichssache und nahm von dem Erlass Kenntnis, ohne aber dessen Inhalt den Stapo-Angehörigen bekanntzugeben. Er versammelte zwar an diesem Vormittag die Angehörigen der Stapo-Dienststelle Tilsit um sich, hielt aber an sie nur eine kurze Ansprache im Hinblick auf den Beginn des Russlandfeldzugs. Auch dem Angekl. Hersmann, mit dem der Angekl. Böhme am Nachmittag des 22.6.1941 eine Autofahrt in Richtung Tauroggen machte, und welcher als Leiter des SD-Abschnitts Tilsit diesen Erlass nicht erhalten hatte, teilte er hievon nichts mit.

II. Stahlecker-Besprechung

Am 22.6.1941 gegen 20 Uhr fand sich der Leiter der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, von Pretzsch kommend bei der Dienststelle der Stapo Tilsit ein. Er war seiner Einsatzgruppe vorausgeeilt, um sich bei der Heeresgruppe Nord zu melden. Mit dem Bemerken, er habe es sehr eilig, ersuchte er den Kommissar vom Dienst, den Angekl. Kreuzmann, den Angekl. Böhme herbeizuholen. Bis dieser kam, diktierte er einem Oberscharführer, den er mitgebracht hatte, den Text für ein Fernschreiben über die Kampfhandlungen und Erfolge der deutschen Truppen am ersten Angriffstag. Nachdem sich der Angekl. Böhme eingefunden hatte, äusserte Dr. Stahlecker, er habe sich verspätet. Sodann besprach er mit ihm die Lage und erteilte ihm unter Hinweis auf seine Sondervollmachten den Auftrag, mit den Angehörigen seines Stapo-Abschnitts in dem etwa 25 km breiten Grenzstreifen, der ostwärts der damaligen Reichsgrenze auf litauischem Gebiet lag, die Sonderbehandlung sämtlicher Juden einschliesslich der Frauen und Kinder sowie der kommunistenverdächtigen Litauer durchzuführen. Auf den Einwand des Angekl. Böhme, er habe gar nicht so viele Leute, um diese Massnahmen durchführen zu können, erwiderte Dr. Stahlecker, ihm stehen ja auch noch die Angehörigen des SD-Abschnitts Tilsit zur Verfügung, die natürlich mitmachen müssten. Er könne sich auch noch an den Polizeidirektor von Memel, den Angekl. Fischer-Schweder wenden; im übrigen sei es seine Sache, woher er die Leute bringe.

Während des grössten Teils dieses Gesprächs, insbesondere bei der Auftragserteilung zur Liquidierung der Juden und Kommunisten in dem Grenzstreifen war auch der Angekl. Kreuzmann zugegen.

Dr. Stahlecker zog dann noch den Angekl. Hersmann hinzu, machte auch ihn mit der Lage bekannt und erteilte ihm in Gegenwart des Angekl. Böhme den Auftrag, mit seinen SD-Leuten bei der Durchführung der Sondermassnahmen in dem Grenzstreifen mitzuwirken. Auf den Einwand des Angekl. Hersmann, er verfüge nur über 15 Leute, fertigte ihn Dr. Stahlecker kurz mit dem Hinweis ab, es handle sich um einen Führerbefehl. Dr. Stahlecker brachte noch zum Ausdruck, dass auf jeden Fall die Erschiessungen sofort durchgeführt werden müssten, weil die Bevölkerung jetzt noch dafür Verständnis habe. Dabei empfahl er auch, sich der litauischen Selbstschutzkräfte zu bedienen und durch diese Pogrome durchführen zu lassen.

In Anwesenheit der Angekl. Hersmann und Kreuzmann wünschte dann der Angekl. Böhme, Dr. Stahlecker solle seinen Befehl über die Erweiterung der Zuständigkeit und den Einsatz der Stapo und des SD Tilsit zur Durchführung der Sondermassnahmen in dem Grenzstreifen durch das RSHA bestätigen lassen. Diesem Wunsch kam Dr. Stahlecker nach. Er setzte den Text für ein Blitzfernschreiben an die Abt. II des RSHA auf, das dann sofort abging.

Das RSHA bestätigte am frühen Morgen des anderen Tages mit einem Blitzfernschreiben den von Dr. Stahlecker an die Angekl. Böhme und Hersmann erteilten Befehl über die Durchführung der Sondermassnahmen in dem 25 km breiten Grenzstreifen. In der Ereignismeldung UdSSR Nr.11 vom 3.7.1941 wurde hiezu auf S.7 Bew.St.9d ausgeführt:

"Um den Einsatzgruppen und -kommandos grösstmöglichste Bewegungsfreiheit zu erhalten, wurde dem BdS in Krakau, den Staatspolizeistellen Tilsit und Allenstein Genehmigung erteilt, durch zusätzliche vorübergehend wirkende EK"s (Einsatzkommandos) die ihren Grenzabschnitten gegenüberliegenden neubesetzten Gebiete sicherheitspolizeilich zu bearbeiten und zu säubern. .....

Verbindungsaufnahme mit Einsatzgruppen zwecks einheitlicher Ausrichtung der Tätigkeit befohlen."

Schon in der Ereignismeldung UdSSR Nr.6 vom 27.6.1941 S.6 - Bew.St.9b - hiess es:

"Stapo Tilsit nimmt in einem Grenzstreifen von 25 km Säuberungsaktionen von Heckenschützen pp. vor."

Der Angekl. Hersmann erfuhr am Morgen des 23.6.1941 vom Angekl. Böhme die auf die fernschriftliche Anfrage des Dr. Stahlecker mit Blitzfernschreiben eingegangene Antwort des RSHA. Der Angekl. Hersmann hatte von sich aus nichts unternommen, nachdem ihm Dr. Stahlecker die Mitwirkung an der Säuberungsaktion in dem Grenzstreifen befohlen hatte. Er erhielt aber noch in der gleichen Woche vom Amt III des RSHA den schriftlichen Befehl, dass er den ihm am 22.6.1941 erteilten mündlichen Befehl des Dr. Stahlecker zu befolgen habe. Ausserdem bekam er einige Tage nach der am 24.6.1941 in Garsden erfolgten ersten Erschiessung einen besonderen, auf Grund eines Führerbefehls ergangenen schriftlichen Befehl des Reichsführers SS, der die Durchführung der Endlösung der Judenfrage im besetzten Ostgebiet zum Gegenstand hatte.

B. Die Exekutionen durch Stapo und SD Tilsit

I. Garsden (I)

Tatsächliche Feststellungen

1. Der Kampf um Garsden

Bei Beginn des Russlandfeldzugs hatte die 61. Infanteriedivision (ID) unter General Hänicke den Auftrag, am Sonntag, den 22.6.1941, dem ersten Angriffstag, auf dem Nordflügel der 18. Armee nach Brechung des Widerstandes an der Grenze in allgemein nordostwärtiger Richtung auf Telschei vorzustossen. Die 61. ID war links an die 291. ID und rechts an die 217. ID angelehnt und unterstand dem XXVI. Armeekorps (AK), dessen kommandierender General General Wo. (Zeuge) und dessen Ia-Offizier Generalmajor a.D. Git. (Zeuge) waren. Die 18. Armee, deren Ic-Offizier der damalige Oberst Ri. (Zeuge) war, gehörte zu der Heeresgruppe Nord, die unter Generalfeldmarschall Ritter v. Leeb stand. Der Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Nord war General Bre. (Zeuge) und der Ic-Offizier, der heutige Oberst der Bundeswehr, Jes. (Zeuge). Das erste Angriffsziel der 61. ID war das Höhengelände 10 km südlich von Kuhei. Die Ausführung dieses Auftrags hing u.a. von der frühzeitigen Ausschaltung der hart an der Grenze liegenden litauischen Ortschaft Garsden ab, an deren ostwärtigem Ortsrand das Flüsschen Minge vorbeifliesst. Garsden hatte zu Beginn des Russlandfeldzugs etwa 3000 Einwohner, wovon 6-700 Juden waren. Dass ein Teil dieser Juden früher in Memel gewohnt hatte und nach der Rückgliederung des Memellandes an Deutschland im März 1939 nach Garsden eingewandert war, wurde schon oben erwähnt. Die zugewanderten Juden hatten teilweise am Westausgang von Garsden in der Memeler-Strasse Häuser errichtet. Durch Garsden, welches von Memel etwa 17 km entfernt und von der Grenze aus gesehen auf einer leichten Anhöhe liegt, führt die von Memel über den deutschen Grenzübergangsort Laugallen kommende Strasse nach Telschei. In der kleinen Ortschaft Laugallen befand sich ein zum GPK Memel gehörender 3 Mann starker Grenzpolizeiposten (Postenführer Lorenz) und eine zum Zollgrenzkommissariat Memel-Ost gehörende Zollaufsichtsstelle mit etwa 4-5 planmässigen Beamten und etwa 10 Hilfsbeamten unter der Leitung des Zollsekretärs Br. (Zeuge). Beide Dienststellen waren in dem etwa 2-300 m von der Grenze entfernten Zollhaus untergebracht. Das russische Zollhaus befand sich etwa 150 m jenseits der Grenze.

Zur 61. ID gehörte das Infanterieregiment (IR) 176, dessen damaliger Kommandeur Oberst Sa. (Zeuge) war. Das verstärkte II./IR 176 (Kampfgruppe v. Bülow) hatte von der 61. ID unmittelbar den Sonderauftrag, die ostwärts von Garsden befindliche Brücke über die Minge im Handstreich zu nehmen, da diese als Vormarsch- und Nachschubstrasse der 61. ID wichtig war. Kommandeur des II./IR 176 war der später gefallene Major v. Bülow und dessen Adjutant Leutnant Mi. (Zeuge), der nach seiner am ersten Angriffstag bei Vezaiciai erfolgten Verwundung von dem bisherigen Ordonnanzoffizier, Leutnant Fl. (Zeuge) abgelöst wurde. Das IR 176 war rechts an das ebenfalls zur 61. ID gehörende IR 151 angelehnt. Zur Kampfgruppe v. Bülow gehörten die 5. und die 7. Kompanie des IR 176. Unterstellt waren ihr die 2./IR 176, 1 Pi-Zug, 1 leichter Infanteriegeschützzug, 1 Pak-Zug, 1 Batterie Artillerie und 1 Panzerspähwagen. Die sonst zum II./IR 176 gehörende 6./IR 176 (Radfahrkompanie) stand zur Verfügung des Regimentskommandeurs in Laugallen. Das I. und III./IR 176 waren Reserve-Bataillone.

Die Angriffszeit am 22.6.1941 war auf 3.05 Uhr festgesetzt. Das Stichwort hiess "Düsseldorf". Die Artillerie eröffnete schlagartig das Feuer. Der Angriff verlief bei der Kampfgruppe Bülow planmässig. Die Minge-Brücke wurde 4.10 Uhr durch einen von Leutnant Spode geführten Stosstrupp im Handstreich genommen. Die der Kampfgruppe v. Bülow zugeteilte 2./IR 176, welche den Befehl hatte, Garsden zu nehmen, bei Widerstand aber rechts an der Ortschaft vorbeizustossen und die Minge-Brücke zu schützen, bekam starkes Feuer und wich deshalb auf die Minge-Brücke zu aus. Der Panzerspähwagenführer hatte den Auftrag, bis vor das Haus des russischen Kommissars in Garsden zu fahren und diesen gefangen zu nehmen. Dieser Plan misslang jedoch. Der Panzerspähwagen blieb im Feuer der Russen liegen. Unter Umgehung der Ortschaft Garsden befand sich die Kampfgruppe v. Bülow gegen 4.40 Uhr im Vormarsch beiderseits der Hauptstrasse in Richtung auf die Ortschaft Vezaiciai, die kurz nach 6 Uhr genommen wurde. Nachdem die Kampfgruppe gegen 10.30 Uhr einen Angriff aus einem Waldstück abgeschlagen hatte, wurde sie wieder dem Regimentskommandeur unterstellt. Befehlsgemäss grub sie sich etwa 4 km nordostwärts Vezaiciai ein und wartete weitere Befehle ab.

Nachdem die 2./IR 176 aus Garsden starkes Feuer erhalten hatte und befehlsgemäss deshalb auf die Minge-Brücke zu ausgewichen war, wurde die 6./IR 176 (Radfahrkompanie) unter Oblt. Hand vom Regimentskommandeur auf Garsden angesetzt. Diese erhielt jedoch starkes Feuer aus den Feldbefestigungen der Russen, erlitt schwere Verluste - Oblt. Hand wurde schwer verwundet, 2 Offiziere fielen - und blieb schliesslich auf der Westseite von Garsden vor den russischen Feldbefestigungen liegen. Bei dem Gegner handelte es sich um NKWD-Truppen in Stärke von etwa einer Kompanie, die mit automatischen Gewehren ausgerüstet waren. Sie trugen Mützen mit grünem Rand. Einige von ihnen waren infolge des überraschenden Angriffs noch nicht vollständig angezogen. Sie hatten beim russischen Zollhaus und auf der Westseite von Garsden Feldbefestigungen angelegt, aus denen sie sich hartnäckig verteidigten. Von ihrem Standort aus hatten sie einen guten Überblick und beherrschten die Stellung.

Da der Angriff der 6./IR 176 (Radfahrkompanie) auf der Westseite von Garsden im Feuer der Russen stecken blieb, erhielt das III./IR 176 - Kommandeur Hauptmann Mattern, Adjutant Leutnant Hof. (Zeuge) - vom Regimentskommandeur den Befehl, Garsden zu nehmen. Dieses III./IR 176 war, wie schon erwähnt, Regimentsreserve und trat gegen 6 Uhr an. Aber auch bei ihm ging der Angriff nur langsam vonstatten, da die NKWD-Truppen nunmehr auch aus den Häusern schossen, so dass Haus für Haus im Nahkampf genommen werden musste. Die Russen bekamen nämlich an diesem Vormittag den Befehl, bis zum letzten Mann in Garsden zu kämpfen und sich nicht etwa durchzuschlagen, was Leutnant Mi. (Zeuge), der Adjutant des II./IR 176, durch Abhören eines Gesprächs, das auf einer von seinen Leuten in Vezaiciai angezapften russische Feldtelefonleitung zwischen der russischen NKWD-Besatzung in Garsden und einer rückwärtigen russischen Dienststelle geführt wurde, am gleichen Vormittag des 22.6.1941 erfuhr. Während des Kampfes wies der Batl.Adjutant, Lt. Hof. (Zeuge), die Kompanieführer persönlich ein, so auch den Kompanieführer der 10./IR 176, Oberleutnant Schnevogt, von dem später noch die Rede sein wird. Als Lt. Hof. unmittelbar vor Garsden dem Oblt. Schnevogt den Befehl erteilte, den Angriff weiter vorzutragen, lag die 11./IR 176 schon zwischen den ersten Häusern von Garsden am Hang, während die 6./IR 176 noch auf der Westseite von Garsden lag. Die 9./IR 176 musste die Sicherung der Minge-Brücke übernehmen. Bevor Lt. Hof. die Kompanien seines Bataillons gefunden hatte, kam er auf der Suche nach ihnen an mehreren Hundert Einwohnern aus Garsden - Männern, Frauen und Kindern - vorbei, die in einer in der Nähe des Minge-Flusses gelegenen Mulde Deckung vor dem Feuer suchten und ihm auf seine Frage den Weg zu den Kompanien wiesen. Zwischen 10 und 11 Uhr vormittags begannen verschiedene Häuser in Garsden zu brennen. Der Hauptwiderstand war dann erst gegen 14 Uhr gebrochen, worauf noch die 13./IR 176 (Inf.Gesch.Komp.) eingesetzt wurde. Gegen 15 Uhr war dann Garsden genommen. Als dann aber noch Melder des Bataillons im Dorf aus einzelnen Häusern beschossen wurden, wurde nochmals die ganze Ortschaft durchgekämmt. Daraufhin marschierte das Bataillon durch die Ortschaft, wurde zwischen 15 und 16 Uhr verpflegt und marschierte dann gegen 16 Uhr weiter und mit ihm auch der Kompanieführer der 10. Kompanie, Oblt. Schnevogt. Nur ein kleines Nachkommando, jedoch ohne Offizier, wurde zur Beerdigung der deutschen Gefallenen zurückgelassen. Im Laufe dieses Tages erreichte das IR 176 mit seinen gesamten Kräften das befohlene Marschziel.

Bei dem Kampf um Garsden hatte das IR 176 weit über 100 Mann Verluste, darunter 7 gefallene und 4 verwundete Offiziere. Die Russen wurden bis auf wenige Gefangene vollständig aufgerieben, da der Kampf sich vielfach Mann gegen Mann in den Häusern abspielte.

Die Einwohner von Garsden einschliesslich der Juden beteiligten sich nicht am Kampf. Es wurden von der kämpfenden Truppe auch keine Zivilisten gefangengenommen. Auch lagen keine Leichen der Einwohner herum, aus deren Lage auf eine Beteiligung am Kampf hätte geschlossen werden können. Es wurde auch von den Kompanien dem II./IR 176 keine Meldung über eine Beteiligung der Zivilbevölkerung am Widerstand erstattet. Es war überhaupt an diesem Tag und später beim IR 176 und bei den ihm vorgesetzten Stellen nie von einer Beteiligung der Zivilbevölkerung, insbesondere der Juden, am Widerstand in Garsden die Rede.

2. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten von Garsden

Nachdem der Angekl. Böhme am Morgen des 23.6.1941 von dem Bestätigungsfernschreiben des RSHA auf die Anfrage des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker vom 22.6.1941 nachts Kenntnis erhalten und hievon auch dem Angekl. Hersmann Mitteilung gemacht hatte, unterrichtete er fernschriftlich oder fernmündlich Dr. Frohwann, den Leiter des GPK Memel, von der der Stapo Tilsit und dem SD Tilsit zugewiesenen Aufgabe, sämtliche Juden einschliesslich der Frauen und Kinder sowie die kommunistenverdächtigen Personen in dem 25 km breiten Grenzstreifen zu töten. Er wies noch darauf hin, dass nach aussen das Gerücht zu verbreiten sei, die Zivilisten haben in Garsden den deutschen Truppen Widerstand geleistet bezw. diese überfallen. Er erteilte ihm dann den Auftrag, sämtliche Juden und etwaige Kommunisten von Garsden festnehmen zu lassen. Die Festnahme wurde dann durch Angehörige des GPK Memel, möglicherweise auch unter Zuziehung der in der Nähe gelegenen GPP, durchgeführt, wie noch ausgeführt wird. Vor der Festnahme klärte Dr. Frohwann die Stapo-Angehörigen in vollem Umfang auf, ebenso den Angeklagten Sakuth, der bei der Festnahme mitwirkte. Ein grosser Teil der Zivilbevölkerung von Garsden hatte bei Beginn der Kampfhandlungen im Bierkeller der dortigen Brauerei Deckung gesucht. Als die deutschen Truppen dann bis zur Brauerei vorgedrungen waren, mussten sich die im Bierkeller befindlichen Einwohner samt den noch in den Häusern befindlichen Einwohnern auf den Marktplatz begeben. Als dann aber zwischen 10 und 11 Uhr vormittags ein Teil der Häuser in Garsden in Brand geriet, wurden die auf dem Marktplatz befindlichen Einwohner, worunter sich auch viele Juden befanden, von den deutschen Soldaten in den Stadtgarten geschickt, in dem sie dann auch übernachteten. Nachdem Dr. Frohwann vom GPK Memel am Morgen des 23.6.1941 vom Angekl. Böhme den Auftrag zur Festnahme der Juden und Kommunisten von Garsden erhalten hatte, fuhr er am gleichen Vormittag mit Angehörigen seines GPK und dem Angeklagten Sakuth in PKWs nach Garsden. Er liess sämtliche männliche Juden, die mit ihren Familien im Stadtgarten die Nacht vom 22./23.6.1941 zugebracht hatten, antreten und sie in Richtung Reichsgrenze abführen. Aus den Häusern von Garsden wurden dann noch weitere männliche Juden sowie einige kommunistenverdächtige Personen herausgeholt und ebenfalls in Richtung Reichsgrenze abgeführt.

Sämtliche Gefangene mussten sich hierauf auf einer nicht weit vom deutschen Grenzhaus, aber noch auf deutschem Boden befindlichen Wiese, auf welcher mit Spaten eine Fläche abgezeichnet war, aufhalten. Diese Wiese befand sich, vom deutschen Grenzort Laugallen aus gesehen, rechts der Strasse Laugallen - Garsden. Dort wurden die Gefangenen von Angehörigen der Zollaufsichtsstelle Laugallen bewacht, wozu ihnen Dr. Frohwann vom GPK Memel, jedoch unter Verschweigung der Tatsache, dass die Gefangenen erschossen werden, den Auftrag erteilt hatte. Die Zahl der Gefangenen auf dieser Wiese betrug am Nachmittag des 23.6.1941 etwa 200 Personen. Zollsekretär Br. (Zeuge), der Leiter der Zollaufsichtsstelle Laugallen, liess die Gefangenen mit im Grenzhaus der Russen vorgefundenen Nahrungsmitteln verpflegen.

Nach der Gefangennahme und Wegführung der männlichen Juden aus dem Stadtpark wurden noch am gleichen Vormittag auch deren Frauen und Kinder von den Stapo-Beamten abgeführt und in einer etwa 300 m ostwärts von Garsden, jenseits der Minge-Brücke gelegenen Feldscheune untergebracht.

Den Vollzug der Gefangennahme der Juden und Kommunisten meldete Dr. Frohwann unter Zahlenangabe noch am Vormittag des gleichen Tages fernschriftlich an den Angekl. Böhme.

3. Die Vorbereitungen für die Exekution in Garsden

Auf die Vollzugsmeldung des Dr. Frohwann über die Gefangennahme erwogen umgehend die Angekl. Böhme und Hersmann die Art der Durchführung der Exekution. Da sie nicht über genügend Karabiner verfügten, wurden sie sich einig, die auf der Wiese befindlichen Gefangenen durch ihre eigenen Stapo- und SD-Angehörigen auf "humane" Weise, nämlich durch Genickschüsse töten zu lassen, jedoch zu versuchen, von dem Polizeidirektor in Memel, dem Angekl. Fischer-Schweder, ein Schupo-Kommando für den Absperrdienst zu erhalten. Der Angekl. Böhme richtete deshalb an Dr. Frohwann ein Fernschreiben mit dem Auftrag, die Erschiessung der auf der Wiese befindlichen Gefangenen vorzubereiten, den Exekutionstermin mitzuteilen und zu versuchen, vom Angekl. Fischer-Schweder die Abstellung eines Schupo-Kommandos für den Absperrdienst bei der Erschiessung zu erhalten. Dr. Frohwann, welcher mit dem Angekl. Fischer-Schweder persönlich gut stand und keinen Grund hatte, ihm als SA-Oberführer ein Märchen aufzutischen, teilte ihm nicht nur den Inhalt des Fernschreibens mit, sondern weihte ihn auch in den der Stapo Tilsit und dem SD Tilsit neu erteilten Aufgabenkreis ein, die Säuberungsaktion in dem 25 km Grenzstreifen durchzuführen, nämlich sämtliche Juden und Kommunisten zu liquidieren. Der Angekl. Fischer-Schweder wusste also, dass es sich um eine von höchster Stelle aus rassischen und politischen Gründen geplante rechtswidrige Massnahme zur Massenvernichtung sämtlicher Juden einschliesslich der Frauen und Kinder sowie der kommunistenverdächtigen Personen handelte. Er erkannte aber auch aus dem Umfang dieser Massnahmen die Grausamkeit der Handlungsweise derer, welche die Urheber dieser Massenvernichtungsaktion waren. Dennoch schaltete sich der Angekl. Fischer-Schweder, der selbst keinen Befehl hiezu hatte, aus freien Stücken, und zwar aus seinem angeborenen Geltungsbedürfnis heraus, in die Unterstützung dessen ein, was von oben der Stapo und dem SD Tilsit als "notwendig" befohlen war.

Er erklärte sich Dr. Frohwann gegenüber ohne weiteres dazu bereit, ein Kommando der Schutzpolizei für die Erschiessung zur Verfügung zu stellen. Der Angekl. Fischer-Schweder entschloss sich aber dann - und zwar wiederum aus seinem angeborenen Geltungsbedürfnis heraus - entgegen dem Ersuchen nicht nur ein Absperrkommando, sondern ein Exekutionskommando von der Memeler Ordnungspolizei abzustellen, und gab noch am Nachmittag des 23.6.1941 entsprechende mündliche Weisungen an Major Gü., den Kommandeur der Schutzpolizei Memel. Major Gü. seinerseits suchte anschliessend den Angekl. Schmidt-Hammer auf und teilte ihm mit, der Angekl. Fischer-Schweder habe ihm soeben den Befehl erteilt, gefangengenommene Heckenschützen zu erschiessen, die bei Garsden deutsche Truppen überfallen haben. Anschliessend befahl er ihm, die Erschiessung der Gefangenen mit dem Alarmzug durchzuführen.

Der Alarmzug, welcher aus 1 Offizier und 20-25 Mann bestand, war schon einige Wochen vor Beginn des Russlandfeldzugs auf Grund eines bei dem Schutzpolizeikommando Memel eingegangenen Erlasses aufgestellt worden, um in Notfällen, so auch gegen Fallschirm- und Sabotagetrupps, eingesetzt zu werden. Er wurde aus den Mannschaften der Polizeireviere zusammengestellt, listenmässig erfasst und bestand in der Hauptsache aus Männern der Polizeireserve.

Major Gü. liess noch am Nachmittag des 23.6.1941 den Alarmzug unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer im Hof des 1. Polizeireviers antreten und gab eingehende Anweisungen über die Durchführung der Exekution. Das Kommando musste die Durchführung der Exekution im Hof praktisch üben, wobei der vom Angekl. Schmidt-Hammer mit gezogenem Degen gegebene Schiessbefehl lautete: "Zum Schuss fertig - legt an - Feuer!" Über den Einsatz wurde dem Kommando nichts Näheres mitgeteilt; auch bei der am andern Tag erfolgten Fahrt nach Garsden wurde der Mannschaft weder Ziel noch Zweck des Einsatzes bekanntgegeben. Auch der Angekl. Schmidt-Hammer war bis zur Ankunft des Kommandos in Garsden auf Grund der Aussprache mit Major Gü. noch des Glaubens, es handle sich um die Erschiessung von Heckenschützen.

Allerdings gab schon bei der Abfahrt in Memel der Polizeireservist Steinert dem Polizeiwachtmeister d.R. N. (Zeuge) auf dessen Frage, was sie eigentlich tun müssen, zur Antwort, man fahre zu einer Judenerschiessung. Als ihm N. zweifelnd erwiderte: "Du bist ja verrückt!", fügte er hinzu: "Ihr werdet es ja sehen."

Dr. Frohwann vom GPK Memel teilte noch am Nachmittag des 23.6.1941 fernschriftlich dem Angekl. Böhme die für die Exekution am 24.6.1941 festgesetzte Zeit und des weiteren mit, dass vom Angekl. Fischer-Schweder ein Schupo-Kommando zur Verfügung gestellt werde.

Hievon setzte der Angekl. Böhme wiederum den Angekl. Hersmann in Kenntnis, der nunmehr seine SD-Angehörigen in vollem Umfang über die der Stapo und dem SD Tilsit zugewiesenen Säuberungsaufgaben im 25 km breiten Grenzstreifen und über die am andern Tag in Garsden stattfindende Exekution unterrichtete und 10 SD-Angehörige für die Teilnahme an der Erschiessung in Garsden bestimmte.

Der Angekl. Böhme dagegen klärte die Stapo-Angehörigen von Tilsit erst am Vormittag des 24.6.1941 kurz vor der Abfahrt nach Garsden über die ihnen zugewiesenen Aufgabe auf, sämtliche Juden und Kommunisten als potentielle Gegner in dem 25 km Grenzstreifen zu töten. Er führte dabei aus, der Krieg habe eine ideologische Auseinandersetzung zum Inhalt und verlange harte Massnahmen, welche von der Führung als notwendig angeordnet und durchzustehen seien.

Bei diesen Appellen schärften beide Angeklagte nach vorheriger Vereinbarung ihren Leuten ein, nach aussen das Gerücht zu verbreiten, die Erschiessungen erfolgen deshalb, weil in Garsden Zivilisten Widerstand geleistet bezw. deutsche Truppen überfallen haben.

Am Morgen des 24.6.1941 fuhr Dr. Frohwann mit den Angehörigen des GPK Memel, worunter sich auch der Angekl. Behrendt befand, nach Garsden. Mit den Angehörigen des GPK Memel fuhr auch der Angekl. Sakuth von der SD-Aussenstelle Memel. Dieser war schon am Vormittag des 23.6.1941 zusammen mit Dr. Frohwann und dessen Stapo-Leuten in Garsden gewesen und war auch durch ihn in vollem Umfang in den neuen Aufgabenkreis der Stapo und des SD Tilsit in dem 25 km Grenzstreifen eingeweiht worden. Der Angekl. Hersmann orientierte ihn dann nach seinem Eintreffen in Garsden ebenfalls über die gemeinsame Aufgabe der Stapo und des SD Tilsit in dem litauischen Grenzstreifen.

Die Angekl. Böhme und Hersmann fuhren am 24.6.1941 zusammen mit den von ihnen für die Teilnahme an der Exekution bestimmten Stapo- und SD-Angehörigen im Anschluss an den vom Angekl. Böhme abgehaltenen Appell, spätestens noch vor 11 Uhr, in 8-10 PKWs nach Garsden, wobei die 16 Stapo-Angehörigen in etwa 6 und die 10 SD-Angehörigen in 2-3 PKWs sassen. Unter den Stapo-Angehörigen befanden sich die Angekl. Kreuzmann und Harms sowie Kommissar Gerke (Zeuge). Der Angekl. Hersmann liess in der Annahme, dass die Erschiessung durch Stapo- und SD-Angehörige durchgeführt werde, 3 Karabiner und 10 Maschinenpistolen sowie genügend Munition mitnehmen.

Die 20-22 Mann von der Schutzpolizei Memel fuhren unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer in einem LKW der Schutzpolizei etwa um 12 Uhr in Memel ab. Sie trugen Stahlhelme, waren mit Karabinern und genügend Munition ausgerüstet und führten Spaten im LKW mit. Der Angekl. Schmidt-Hammer hatte von Major Gü. den Befehl, sich in Garsden bei dem Angekl. Fischer-Schweder zu melden. Major Gü. selbst fuhr nicht mit.

Der Angekl. Fischer-Schweder war schon zwischen 11 und 12 Uhr in der Uniform eines SA-Oberführers in Garsden eingetroffen. Er hatte zwischen 8 und 9 Uhr den Kreisleiter Gr. (Zeuge) von Memel telefonisch davon verständigt, dass in Garsden Zivilisten wegen Widerstands gegen deutsche Truppen festgenommen worden seien und dass gegen diese heute in Garsden ein Strafgericht stattfinde, wobei er die Uhrzeit genannt hatte. Kreisleiter Gr., welcher dem Angekl. Fischer-Schweder sein Erscheinen sofort zugesagt hatte, fand sich nach Erledigung anderer Aufgaben aus Neugier zwischen 11 und 12 Uhr in der Uniform eines Kreisleiters in Garsden ein, wo er von dem schon anwesenden Angekl. Fischer-Schweder begrüsst wurde. Anwesend war auch Zollinspektor La. (Zeuge), der Leiter des Zollkommissariats Memel-Ost. Es trafen dann die Angekl. Böhme und Hersmann mit den Stapo- und SD-Angehörigen aus Tilsit und der LKW mit dem Schupo-Kommando unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer ein.

Nachdem die Angekl. Böhme und Hersmann den Angekl. Fischer-Schweder begrüsst hatten, weihte der Angekl. Böhme den Angekl. Fischer-Schweder, der zwar bereits durch Dr. Frohwann ins Bild gesetzt war, in den ganzen Rahmen der bevorstehenden Massnahmen ein, dass nämlich die Stapo Tilsit zusammen mit dem SD Tilsit in dem 25 km breiten Grenzstreifen die bereits genannten Säuberungsaktionen durchzuführen habe. Der Angekl. Fischer-Schweder wusste also von zwei Seiten, dass die Gefangenen keine Heckenschützen waren. Dazu äusserte der Angekl. Fischer-Schweder nur: "Donnerwetter, das sind ja Konsequenzen, die der Russlandfeldzug mit sich bringt, an die man zunächst nicht gedacht hat." Bei dieser Gelegenheit erklärte er auch, er halte es für besser, wenn das Schupo-Kommando die Erschiessung durchführe, womit der Angekl. Böhme sofort einverstanden war.

Der Angekl. Fischer-Schweder schlug weiterhin vor, dass der Angekl. Schmidt-Hammer jeweils vor Abgabe des Feuerbefehls folgende Erschiessungsformel sprechen solle: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen", um dadurch den Angehörigen des Exekutionskommandos ihre schwere Aufgabe seelisch zu erleichtern und der Sache einen militärischen Anstrich zu geben. Hiemit war der Angekl. Böhme ebenfalls einverstanden. Auf dessen Frage, ob er auch für weitere Erschiessungen das Schupo-Kommando als Exekutionskommando zur Verfügung stellen werde, erwiderte der Angekl. Fischer-Schweder, er werde dies von Fall zu Fall entscheiden.

Der Angekl. Fischer-Schweder ging dann auf Kreisleiter Gr. zu mit den Worten: "Die Herren von Tilsit haben den Auftrag, die Exekution durchzuführen; sie haben mich gebeten, ein Kommando der Schutzpolizei für die Absperrung zur Verfügung zu stellen; es ist aber doch lächerlich, wenn die Stapo und der SD Tilsit mit ihren paar Männern eine so grosse Anzahl von Gefangenen allein exekutieren will; ich habe mich deshalb entschlossen, die Exekution mit dem von mir angeforderten Schupo-Kommando durchführen zu lassen."

Inzwischen hatten Stapo- und SD-Männer die Angehörigen der Zolldienststelle Laugallen in der Bewachung der Gefangenen auf der Wiese abgelöst. Daraufhin mussten die Gefangenen auf die Strasse heraustreten und ihre Wertsachen samt Geld in einen Zinkeimer werfen, wobei sie von einem Gestapo-Beamten durch Drohen mit einer Handgranate angetrieben wurden. Der Eimer mit den Wertsachen wurde beim GPP Laugallen im Zollhaus abgegeben. Alsdann wurden die Gefangenen in die Nähe des russischen Grenzhauses hinter die Mauer eines zusammengeschossenen Gebäudes geführt, wo sie ihre Röcke ablegen mussten. Zur Bewachung der Gefangenen wurde u.a. der Angekl. Behrendt eingeteilt.

Vor Beginn der Exekution fahndeten Stapo- und SD-Angehörige, so auch der Angekl. Hersmann zusammen mit seinem Fahrer Pap. (Zeuge), nach weiteren Juden und Kommunisten, die dann zu den anderen Gefangenen kamen.

Die gefangenen Juden wurden bis zur Exekution mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Einige mussten die herumliegenden Leichen der gefallenen Russen beerdigen. Andere mussten einen von den russischen NKWD-Soldaten angelegten Verteidigungsgraben zum Exekutionsgraben vertiefen und erweitern. Dabei wurden die Opfer von den Stapo- und SD-Leuten durch lautes Schreien und Schlagen mit Stöcken zu schnellem Arbeiten angetrieben, ohne dass die danebenstehenden Stapo- und SD-Offiziere und der Angekl. Fischer-Schweder dagegen einschritten. Die Stapo- und SD-Leute hatten es insbesondere auf einen alten Rabbiner mit Bart und Kaftan abgesehen. Bei dieser Gelegenheit wurde schon vor Beginn der Exekution ein junger, gut angezogener Jude, der den Stapo-Beamten nicht schnell genug gearbeitet hatte, von einem untersetzten Stapo- oder SD-Mann an einen Nebengraben geführt und dort durch Genickschuss mit Pistole getötet.

Nach Ankunft des Schutzpolizeikommandos liess der Angekl. Schmidt-Hammer die Mannschaft antreten und erstattete dem Angekl. Fischer-Schweder Meldung, wie es ihm Major Gü. befohlen hatte. Der Angekl. Fischer-Schweder führte nun den Angekl. Schmidt-Hammer über das Kampfgelände in Richtung Garsden, zeigte ihm u.a. ein dort liegendes Motorrad, in dessen Nähe die verbrannten Leichen von 2 deutschen Soldaten lagen und sprach mit ihm noch über die bevorstehende Exekution. Vor allem wies er ihn an, vor jedem Feuerbefehl die schon oben angeführte Erschiessungsformel zu sprechen sowie auf die nicht sofort tödlich Getroffenen mit der Pistole "Gnadenschüsse" abzugeben. Anschliessend begaben sie sich zu dem Schupo-Kommando, an welches der Angekl. Fischer-Schweder eine Ansprache richtete, in welcher er darauf hinwies, dass die harte Massnahme der Exekution notwendig sei, weil die Gefangenen als Zivilisten gegen die deutschen Truppen Widerstand geleistet haben. Nach ihm informierte der Angekl. Schmidt-Hammer seine Leute dahingehend, die gefangenen Zivilisten müssten deshalb erschossen werden, weil sie beim Angriff der deutschen Truppen auf Garsden Widerstand geleistet, einen Sanitätskraftwagen überfallen haben u.ä. Dabei machte er einen sehr erregten Eindruck, der Schweiss lief ihm von der Stirn.

4. Die Durchführung der Exekution in Garsden

Nachdem die Vorbereitungen für die Exekution beendet waren, wurden die Gefangenen hinter die Mauer des zerschossenen Gebäudes zurückgebracht, wo sie von Gestapo-Leuten, worunter sich auch der Angekl. Behrendt befand, bewacht wurden. Der ganze Platz um die Erschiessungsstätte wurde von Stapo- und SD-Angehörigen abgesperrt, um die Flucht von Gefangenen zu verhindern und Dritten den Zutritt zu verwehren. Bei den Gefangenen handelte es sich mit Ausnahme von wenigen litauischen Kommunisten nur um Juden, vom Jugendlichen bis zum Greis. Hierunter befand sich auch der schon erwähnte alte Rabbiner mit Bart und Kaftan. Die Juden waren für jeden der Beteiligten - auch für den Angekl. Schmidt-Hammer - an ihren typisch rassischen Merkmalen, einige an ihren Bärten und an ihrer besonderen Kopfbedeckung, die sie trugen, der Rabbiner an seinem Kaftan und an seinem Bart, ganz klar als Juden zu erkennen, so dass jeder der Beteiligten, einschliesslich des Angekl. Schmidt-Hammer, wusste, dass es sich bei den Opfern fast nur um Juden handelte. Die Juden verhielten sich auffallend ruhig. Sie weinten und jammerten zum Teil zwar vor sich hin, einige von ihnen, darunter auch ein etwa 12 Jahre alter Junge, flehten, ihre Unschuld beteuernd, um Gnade. Von irgendwelchem Widerstand, Aufruhr usw. war nicht die Rede. Sie fügten sich im Gegenteil mit bewunderungswürdiger Gefasstheit, nachdem sie ihr grausiges Schicksal erkannt hatten, beteten, fassten sich an den Händen und gingen stoisch dem Tod entgegen.

Unter den Gefangenen befand sich auch eine Frau, die Ehefrau eines russischen Kommissars. Ob sie von Anfang an unter den Gefangenen war oder ob sie erst später zugeführt wurde, konnte nicht geklärt werden.

Der Exekutionsgraben, ein früherer russischer Verteidigungsgraben, den, wie schon erwähnt, jüdische Gefangene vor Beginn der Exekution hatten vertiefen und erweitern müssen, lief entlang eines halbzerstörten Pferdestalles. Bei den Erschiessungen mussten sich jeweils 10 Opfer vor dem vorderen Grabenrand mit dem Gesicht zum Exekutionskommando aufstellen. Das 20 Mann starke Schupo-Kommando stand in verschobener Doppelreihe - auf Lücke - in etwa 20 m Entfernung den Opfern gegenüber. Jeweils 2 Schutzpolizisten hatten auf ein Opfer zu schiessen.

Die einzelnen Gruppen wurden von dazu bestimmten Stapo- und SD-Angehörigen vom Versammlungsplatz mit viel Gebrüll im Laufschritt an den Grabenrand vorgetrieben. Es ging sehr laut zu. Unter anderem trieb ein Stapo-Mann die Opfer dadurch an, dass er sie mit einer Latte oder einem Prügel an die Beine schlug und dabei rief: "Schnell, schnell, desto früher haben wir Feierabend!" Wenn sich jeweils 10 Opfer vor dem Graben aufgestellt oder zum Teil auch niedergekniet hatten, gab der Angekl. Schmidt-Hammer mit Blickrichtung zu ihnen die Erklärung ab: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen", wie ihn der Angekl. Fischer-Schweder angewiesen hatte. Daraufhin gab er etwa 3 m schräg vorwärts vor dem rechten Flügelmann des Pelotons stehend, mit gezogenem Degen den Feuerbefehl.

Nach Abgabe der ersten Salven überzeugte sich der Angekl. Schmidt-Hammer, ob alle Opfer tödlich getroffen waren. Zuerst gab der ganz in der Nähe stehende Angekl. Fischer-Schweder auf die nicht tödlich Getroffenen Gnadenschüsse ab; hierauf gab auch der Angekl. Schmidt-Hammer 2 Opfern Gnadenschüsse. Bei den nachfolgenden Salven eilten Stapo- und SD-Männer zu den Opfern und gaben jedem von ihnen mit der Pistole noch einen Schuss in den Kopf.

Es war weder bei dieser noch bei späteren Erschiessungen ein Arzt zur Feststellung des eingetretenen Todes bei den Opfern zugezogen worden.

Immer, wenn eine Gruppe erschossen war, wurde die nächste herangeführt. Diese musste dann die bereits Erschossenen, soweit sie nicht in den Graben gefallen waren, in diesen hineinwerfen, wodurch sie das ganze schaurige Bild mit ansehen mussten. Durch das viele Blut sah es nämlich am Graben wie in einem Schlachthaus aus. Dabei wurde es dem Wachtmeister d.R. Thomat vom Exekutionskommando schlecht und er musste ausgewechselt werden. Es mussten überhaupt, um dies vorweg zu nehmen, im Laufe der späteren Erschiessungen mehrere Angehörige des Schupo-Kommandos ausgewechselt werden, weil sie es seelisch nicht durchstehen konnten, so u.a. nach der Erschiessung in Garsden oder nach der ersten Erschiessung in Krottingen der Polizeireservist Fernau.

Unter den Juden befanden sich, wie oben schon erwähnt wurde, auch frühere Einwohner von Memel, welche den Männern vom Exekutionskommando teilweise namentlich bekannt waren. So befanden sich unter ihnen die Viehhändler Funk und Scheer sowie die 3 Brüder Korfmann, die Fabrikanten Bernstein und Tauer, der Seifenfabrikant Feinstein und ferner die Juden Sundel Falk, Silber, Kahlmann und Pristow. Der Seifenfabrikant Feinstein rief seinem gegenüberstehenden früheren Nachbarn und Freund, dem später gefallenen Polizeiwachtmeister d.R. Knopens zu: "Gustav, schiess gut!" Von 2 jungen Juden rief einer, der nicht sofort tödlich getroffen war: "Noch einen!" und bat um einen Nachschuss. Nach Beendigung der Erschiessung wurde der Graben von Stapo- und SD-Angehörigen zugedeckt.

Alle Gefangenen - insgesamt 201 - wurden erschossen. Diese von der Stapo und vom SD festgestellte Zahl wurde vom Angekl. Böhme an die Einsatzgruppe A sowie an das Amt IV des RSHA und vom Angekl. Hersmann an das Amt III des RSHA gemeldet.

Nach Beendigung der Erschiessung wurden die Angehörigen des Schupo-Kommandos von Stapo-Angehörigen mit Schnaps bewirtet. Ferner machte der Stapo-Angehörige Mö. (Zeuge) des GPK Memel an der Erschiessungsstätte noch eine Gruppenaufnahme von den Teilnehmern, wobei aber nicht geklärt ist, ob auch die Angehörigen des Schupo-Kommandos mit fotografiert worden sind. Daraufhin kehrten die Beteiligten zu ihren verschiedenen Standorten zurück.

Die Angehörigen des Schupo-Kommandos, des GPK Memel und der Angekl. Sakuth von der SD-Aussenstelle Memel gerieten bei der Heimfahrt noch in einen von den Russen ausgeführten Luftangriff auf Memel, ohne aber selbst Schaden zu leiden. Dabei äusserte der Polizeiwachtmeister d.R. Ke. (Zeuge) zu dem neben ihm im LKW sitzenden Kameraden: "Siehst du, die Strafe folgt auf dem Fuss."

An der Erschiessungsstätte hatten verschiedene Angehörige des Schupo-Kommandos sofort erhebliche Bedenken an der Rechtmässigkeit der Erschiessung. Da sie sahen, dass es sich bei den Gefangenen fast nur um Juden handelte, dass diese zum Teil schon sehr alt, zum Teil aber auch noch sehr jung waren, konnten sie nicht glauben, dass alle diese Gefangenen der deutschen Truppe Widerstand geleistet bezw. als Heckenschützen sich betätigt haben, wie ihnen gegenüber behauptet worden war. Diese Auffassung drückten sie auch bei der gegenseitigen Unterhaltung aus. Einige von ihnen gaben ihrer Entrüstung Ausdruck, dass sie zu dieser Erschiessung herangezogen wurden. Nach ihrer Rückkunft nach Memel wollten sie dann von dem Angekl. Schmidt-Hammer, der immer sehr kameradschaftlich zu ihnen war, darüber Aufschluss haben, warum fast nur Juden und dabei Leute bis zu 70 Jahren und so viele Jugendliche erschossen worden seien. Der Angekl. Schmidt-Hammer gab ihnen aber nur zur Antwort: "Ich weiss das auch nicht, ich bin ja auch nur ein kleiner Befehlsempfänger." Als am anderen Morgen (25.6.1941) Kommissar Krumbach von der Stapo Tilsit (Zeuge), welcher an der Erschiessung nicht teilgenommen hatte, mit seinen Kameraden von der Stapo Tilsit, vor allem mit leitenden Beamten, so auch mit dem Angekl. Kreuzmann über die am vorausgegangenen Tag durchgeführte Erschiessung sprach, machten sie einen etwas bedrückten Eindruck, kritisierten auch teilweise die Aktion. Keiner von ihnen wollte aber als feig gelten. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu, wobei Worte fielen wie: "Menschenskinder, verflucht noch mal, eine Generation muss dies halt durchstehen, damit es unsere Kinder besser haben."

5. Die Tätigkeit der einzelnen Angeklagten bei der Durchführung der Erschiessung in Garsden

a. Objektive Tätigkeit der einzelnen

An der Erschiessung in Garsden nahmen die Angeklagten Böhme, Hersmann, Fischer-Schweder, Kreuzmann, Sakuth, Harms, Behrendt und Schmidt-Hammer teil.

Abgesehen von dem für die Erschiessung eingeteilten Schutzpolizeikommando hatte jeder der anwesenden Stapo- und SD-Angehörigen eine bestimmte Aufgabe. Die einen waren für die Bewachung der Gefangenen am Versammlungsplatz und andere für die Vorführung vom Versammlungsplatz an den Erschiessungsgraben eingeteilt. Während der Erschiessung erhielten Stapo- und SD-Angehörige den Befehl, auf die Opfer noch Nachschüsse mit Pistolen abzugeben. Wieder andere waren, wie schon erwähnt, zur Absperrung des ganzen Geländes um die Erschiessungsstätte eingeteilt, um die Flucht von Gefangenen zu verhindern und Unbefugten den Zutritt zu verwehren. Höhere Dienstgrade überwachten die Tätigkeit der Untergebenen, nahmen aber gleichzeitig auch an der Bewachung der Gefangenen und an der Absperrung teil und unterstützten vor allem durch ihre Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft und damit die Erschiessungsaktion, was sie wussten und wollten.

Der Angekl. Böhme gab Dr. Frohwann vom GPK Memel den Befehl zur Gefangennahme der Juden und kommunistenverdächtigen Litauer sowie zur Vorbereitung der Erschiessung, nachdem das Reichssicherheitshauptamt den ihm und dem Angekl. Hersmann in Gegenwart des Angekl. Kreuzmann erteilten mündlichen Befehl des Leiters der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, zur Durchführung der Säuberungsaktion in dem 25 km breiten Grenzstreifen bestätigt hatte. Er teilte seine Stapo-Leute für die Erschiessung ein, leitete die Erschiessung und stärkte, wie er wusste und wollte, durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

Der Angekl. Hersmann teilte seine SD-Leute für die Erschiessung ein, fahndete mit seinem Kraftfahrer Pap. vor der Erschiessung nach weiteren Opfern in den Häusern von Garsden, beaufsichtigte seine Leute am Erschiessungsplatz und stärkte, wie er wusste und wollte, durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

Der Angekl. Fischer-Schweder war ebenfalls massgeblich beteiligt. Ohne einen Befehl zu haben, stellte er aus freien Stücken auf die ihm durch Dr. Frohwann übermittelte Bitte des Angekl. Böhme hin ein Schutzpolizeikommando zur Verfügung, und zwar als Erschiessungskommando, obwohl er nur um die Abstellung eines Absperrkommandos gebeten worden war. An der Erschiessungsstätte erschien er aus eigenem Antrieb und gab in der Uniform eines SA-Oberführers nicht nur Anweisungen an das erschienene Schutzpolizeikommando, sondern auch an die Stapo- und SD-Angehörigen. Er schlug dem Angekl. Böhme die Erschiessungsformel vor und wies dann den Angekl. Schmidt-Hammer an, sie vor jedem Feuerbefehl den Opfern bekanntzugeben. Er wies den Angekl. Schmidt-Hammer zur Abgabe von Nachschüssen an und gab selbst einige ab. Er führte sich an der Erschiessungsstätte so auf, dass er bei den Anwesenden den Eindruck erweckte, als ob er der Leiter der Exekution sei. Durch seine Anwesenheit stärkte er, wie er wusste und wollte, die Schlagkraft der mit der Exekution Beauftragten und unterstützte dadurch die Erschiessung.

Der Angekl. Kreuzmann stärkte, wie er wusste und wollte, durch seine Anwesenheit ganz besonders die Schlagkraft der Stapo und unterstützte dadurch die Erschiessungshandlung, da er bei den Angehörigen der Stapo Tilsit nicht nur wegen seiner Tüchtigkeit - auch wegen seines zuvorkommenden Wesens -, sondern auch als Mann des Vertrauens und als rechte Hand des Angekl. Böhme ein geachteter und geschätzter Vorgesetzter war.

Der Angekl. Sakuth wirkte bei den Festnahmen am 23.6.1941 mit und nahm befehlsgemäss und nicht etwa nur aus Neugierde an der Erschiessung teil. Auch er erhöhte als SS-Hauptsturmführer und Leiter der SD-Aussenstelle Memel durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft und unterstützte dadurch, wie er wusste und wollte, die Erschiessungshandlung.

Der Angekl. Harms nahm an der Absperrung des Geländes und an der Beaufsichtigung der Stapo-Angehörigen teil. Auf Befehl des Angekl. Böhme liess er zur rascheren Abwicklung der Erschiessung die gerade betenden gefangenen Juden durch die Bewachungsleute näher an die Erschiessungsstätte heranbringen. Auch er erhöhte als Kriminalkommissar und Leiter der GPKs durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo und unterstützte dadurch die Erschiessungshandlung, was er auch wusste und billigte.

Der Angekl. Behrendt bewacht zunächst die Gefangenen am Versammlungsplatz. Nachdem der grössere Teil von ihnen erschossen war, führte er jeweils die nächste Gruppe im Laufschritt ein Stück des Weges dem eigentlichen Zuführungskommando entgegen, welches dann die Opfer vollends bis zum Graben brachte.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hatte die Führung des für die Exekution eingeteilten Schutzkommandos. Nachdem der Angekl. Fischer-Schweder an dieses vor Beginn der Exekution eine kurze Ansprache gehalten hatte, versuchte auch er noch seine Leute mit einigen Worten für ihre schwere Aufgabe seelisch zu stärken, indem er unter anderem wider besseres Wissen darauf hinwies, dass die Gefangenen der deutschen Truppe Widerstand geleistet, sich als Heckenschützen betätigt und einen Sanitätskraftwagen überfallen haben. Sodann sprach er jeweils die Erschiessungsformel und gab den Feuerbefehl. Zweimal gab er Nachschüsse mit seiner Pistole auf nicht sofort tödlich getroffene Opfer ab.

b. Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Tötung

Sämtliche an der Erschiessung in Garsden beteiligten Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer kannten schon vor ihrer Ankunft in Garsden den dem Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit von höchster Stelle erteilten Befehl, in dem 25 km breiten Grenzstreifen bedenkenlos sämtliche Juden und kommunistenverdächtige Litauer, also vor allem Tausende von jüdischen Männern, Frauen und Kinder jeden Alters zu töten.

Die Angekl. Böhme und Hersmann erhielten, wie oben schon ausgeführt wurde, mündlich diesen Befehl am Abend bezw. in der Nacht des 22.6.1941 von dem Leiter der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, wobei der Angekl. Kreuzmann bei der Befehlserteilung zugegen war. Alle 3 Angeklagten erkannten klar die Unrechtmässigkeit und das Verbrecherische dieses Befehls zur Begehung des von oberster Stelle geplanten Massenmords, weshalb der Angekl. Böhme in Gegenwart der Angekl. Hersmann und Kreuzmann wegen der erweiterten sachlichen und örtlichen Zuständigkeit darauf bestand, dass Dr. Stahlecker seinen mündlich erteilten Befehl durch das RSHA bestätigen liess.

Der Angekl. Böhme wies am Morgen des 23.6.1941 nach Kenntnisnahme von dem vom RSHA auf die Anfrage Dr. Stahleckers eingegangenen Blitzfernschreiben und nach Rücksprache mit dem Angekl. Hersmann den Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, in vollem Umfang in den neuen Aufgabenkreis in dem litauischen Grenzstreifen ein und befahl ihm, die Juden und kommunistenverdächtigen Litauer von Garsden für die Exekution zu verhaften, nach aussen hin aber die Verhaftung mit angeblichem Widerstand und angeblicher Heckenschützentätigkeit der Betroffenen zu tarnen. Dr. Frohwann weihte noch am Vormittag des 23.6.1941 vor seiner Abfahrt nach Garsden zur Gefangennahme der Juden und Kommunisten seinerseits die ihm unterstehenden Angehörigen des GPK Memel, so auch den Angekl. Behrendt und weiterhin auch den Angekl. Sakuth, den Leiter der SD-Aussenstelle Memel, der im gleichen Haus wie das GPK seine Dienststelle hatte und mit dem er auch sonst gut stand, in vollem Umfang in den genannten Aufgabenkreis ein. Der Angekl. Sakuth wurde dann am 24.6.1941 in Garsden vor Beginn der Erschiessung von seinem Vorgesetzten, dem Angekl. Hersmann, nochmals informiert.

Am Nachmittag des 23.6.1941 gab der Angekl. Hersmann den Angehörigen seiner Dienststelle in Tilsit in vollem Umfang Aufklärung über das neu zugewiesene Aufgabengebiet im Grenzstreifen, nachdem die Gefangennahme durchgeführt und der Exekutionstermin festgesetzt war.

Die Angehörigen der Stapo Tilsit wurden vom Angekl. Böhme erst am Vormittag des 24.6.1941 kurz vor der Abfahrt nach Garsden in vollem Umfang in die bevorstehenden Aufgaben eingeweiht. Sowohl der Angekl. Böhme wie auch der Angekl. Hersmann schärften dabei mit Erfolg ihren Leuten ein, nach aussen hin die Exekution mit der vorerwähnten Ausrede zu tarnen. Dass der Angekl. Fischer-Schweder am 23.6.1941 von Dr. Frohwann anlässlich des Gesuchs um Abstellung eines Schutzpolizeikommandos und dann nochmals am 24.6.1941 durch den Angekl. Böhme in Garsden vor Beginn der Exekution ebenfalls in vollem Umfang über den neuen Aufgabenkreis der Stapo und des SD Tilsit unterrichtet wurde und sich, ohne einen Befehl zu haben, aus freien Stücken, und zwar aus seinem Geltungsbedürfnis heraus, in die Erschiessung einschaltete, wurde schon weiter oben ausgeführt.

Die 7 Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Fischer-Schweder, Harms, Sakuth und Behrendt waren sich also der Rechtswidrigkeit und des verbrecherischen Zwecks dieser befohlenen Tötungen bewusst. Sie erkannten auf Grund der ihnen bekannten Tatsache, dass alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit sowie alle Kommunisten ohne Urteilsspruch nur aus politischen Gründen wegen ihrer politischen Einstellung in dem Grenzstreifen zu töten waren, dass diese von höchster Stelle befohlene Massnahme nichts anderes als ein Verbrechen war. In klarer Erkenntnis der Rechtswidrigkeit dieses Befehls handelten sie dann. Der Angekl. Schmidt-Hammer glaubte vielleicht bei der Abfahrt nach Garsden, dass es sich um Massnahmen gegen Widerstandskämpfer und Heckenschützen handle. In Garsden hatte er dann bis zum Beginn der Exekution über eine Stunde Zeit, sich das Gelände und all das, was für ihn von Bedeutung war, insbesondere die Gefangenen anzusehen, was er auch tat. Er wusste, dass die Exekution nicht auf Grund eines vorausgegangenen Urteils eines ordentlichen Gerichts oder eines Standgerichts erfolgen sollte und dass auch die von ihm vor jedem Feuerbefehl zu sprechende Erschiessungsformel keinen konkreten Hinweis auf die von den Gefangenen gegenüber der deutschen Wehrmacht angeblich begangenen Widerstandshandlungen und Heckenschützentätigkeit enthielt. Er sah, dass am Kampfort wohl zahlreiche gefallene uniformierte Russen, aber keine toten Zivilisten lagen, dass es sich bei den Gefangenen fast ausschliesslich um Juden, vom Halbwüchsigen bis zum Greis, handelte, und dass kein Verwundeter unter ihnen war; er sah dies dann erst recht, als die einzelnen Gruppen der Opfer am Exekutionsgraben ihm gegenüberstanden. Er hörte, dass auch von seinen Leuten nur von Juden gesprochen wurde. Hieraus und aus dem ganzen Verhalten der Opfer, die in geradezu bewunderungswürdiger Haltung, Gebete murmelnd, dem Tod entgegensahen, kam es ihm noch vor der Erschiessung der Opfer klar zum Bewusstsein, dass sie keine Widerstandskämpfer und Franktireure waren, sondern dass es sich um eine jede Rechtsgrundlage entbehrende und durch nichts zu rechtfertigende Erschiessung von Juden und einiger weniger kommunistenverdächtiger Litauer handelte. Nach dieser Erkenntnis folgte er nicht der Stimme seines Gewissens, sondern führte im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit die Erschiessung durch.

c. Vorstellung der Angeklagten von der inneren Einstellung der Haupttäter

Bei ihren Unterstützungshandlungen zu der Erschiessung in Garsden wie auch zu den folgenden Erschiessungen waren sich die Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Fischer-Schweder, Sakuth, Harms, Behrendt und Schmidt-Hammer über die innere Einstellung der Haupttäter und deren Kenntnis vom Fehlen jeder rechtlichen Grundlage der Vernichtungsmassnahme im klaren. Sämtliche Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer waren schon vor ihrer Ankunft in Garsden über den der Stapo und dem SD Tilsit zugewiesenen neuen Aufgabenkreis, also über die durchzuführenden Säuberungsaktionen im Grenzstreifen aufgeklärt. Sie wussten, dass die in Garsden befohlene Massenerschiessung nur der Anfang der befohlenen Massenvernichtung der Juden und Kommunisten im Grenzstreifen war. Sie wussten, dass sie Massnahmen unterstützten, die die Haupttäter genau geplant und organisiert hatten und bei welchen die Haupttäter die sie zur Tat drängenden gegen die sie davon abhaltenden Motive reiflichst abgewogen hatten. Sie wussten also, dass die Haupttäter mit Überlegung handelten. Auf Grund der ihnen befohlenen Massnahmen, sämtliche Juden und Kommunisten im Grenzstreifen bedenkenlos physisch zu vernichten, waren sie sich auch über das Motiv klar, welches die Haupttäter bei diesen Massnahmen hatten, dass nämlich die Juden wegen ihrer Rasse und die Kommunisten wegen ihrer politischen Einstellung unbedenklich und erbarmungslos zu töten waren und dann auch getötet wurden. Im übrigen war für alle an der Erschiessung Beteiligten, so auch für den Angekl. Schmidt-Hammer, das tragende Motiv der Haupttäter schon vor der Erschiessung erkennbar. Alle an der Erschiessung Mitbeteiligten, einschliesslich des Angekl. Schmidt-Hammer, sahen nämlich am Tatort, dass es sich bei den Gefangenen fast nur um Juden jeglichen Alters handelte. Da also nur wenige kommunistenverdächtige Litauer unter den Gefangenen waren, erkannten sie, dass es sich in der Hauptsache um eine ausgesprochene Judenerschiessung handelte. Sie wussten, soweit sie nicht schon vorher unterrichtet worden waren, anhand des äusseren Erscheinungsbildes und des Verhaltens der Opfer, dass alle diese Gefangenen keine Widerstandskämpfer oder Heckenschützen, also völlig unschuldige Menschen waren. Dennoch aber fanden sie sich bereit, bei deren Tötung nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit bezw. wegen ihrer politischen Einstellung mitzuwirken. Sie waren sich all der Umstände bewusst, welche die Handlung der Haupttäter zum Niederen stempeln und für einen niedrigen Beweggrund charakteristisch sind, und dass auch die Haupttäter diese Umstände von vornherein kannten. Am Tatort wurde sich auch der Angekl. Schmidt-Hammer vor der Erschiessung dessen bewusst, dass es sich um eine geplante, organisierte und um eine unter Abwägung des Für und Wider wohl durchdachte Massnahme der Haupttäter handelte.

Alle in Garsden beteiligten Angeklagten erkannten aber auch, dass die Haupttäter grausam handelten. Während alle Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer über den ganzen Umfang der Vernichtungsmassnahmen mindestens bezüglich der Vernichtung im Grenzstreifen vor der Erschiessung unterrichtet waren, wusste der Angekl. Schmidt-Hammer in Garsden vor der Erschiessung immerhin soviel, dass die beträchtliche Zahl von über 200 unschuldiger Menschen erschossen werden sollte.

Alle Angeklagten waren sich darüber im klaren, dass es bei dieser unter ihrer Mitwirkung stattfindenden Massentötung auch zu Grausamkeiten gegenüber den Opfern kommen werde. Unter ihrer Mitwirkung und Billigung sahen sie dann auch selbst, wie scheusslich die Opfer schon bei der Vorbereitung der Erschiessungshandlung behandelt wurden, als sie mit Schlägen zur Erweiterung und Vertiefung ihres eigenen zukünftigen Grabes angetrieben wurden, und wie diese Scheusslichkeiten bei der Erschiessung selbst dann noch eine Steigerung dadurch erfuhren, dass die Opfer gefühllos und unbarmherzig unter Missachtung der ihnen zugefügten körperlichen und seelischen Schmerzen mit Gebrüll und mit Stockschlägen im Laufschritt zur Hinrichtungsstätte getrieben wurden und dort noch vor ihrer eigenen Tötung die blutbesudelten Leichen ihrer unmittelbar zuvor getöteten Leidensgenossen in den auch für sie bestimmten Erschiessungsgraben werfen mussten. Deshalb waren sie sich bewusst, dass sich auch die Haupttäter schon bei der Anordnung dieser umfangreichen Massenvernichtung darüber im klaren waren und dies billigten, dass es bei deren Durchführung durch die unteren Organe, die keine Richtlinien über die Art und Weise der Durchführung und über ihr Verhalten bekommen hatten, zu Scheusslichkeiten gegenüber den Opfern kommen werde.

d. Teilnahmeform

Sämtliche an der Erschiessung in Garsden beteiligten Angeklagten, also auch die Angekl. Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder, handelten bei der Ausführung des Befehls nicht mit dem Täterwillen, sondern mit dem Gehilfenwillen. Dies trifft auch, um dies vorweg zu nehmen, bei sämtlichen 10 Angeklagten in allen übrigen Erschiessungsfällen zu. Ihrer inneren Einstellung nach wollten sie die Tat der Haupttäter nicht als eigene ausführen, sondern nur als fremde unterstützen. Bei dieser vorsätzlichen Beihilfeleistung zu dieser fremden Tat wollten sie untereinander als Werkzeuge des "Führers" und seines Führungskreises diese gemeinschaftlich unterstützen und halfen dann auch in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit, die befohlenen Massnahmen durchzuführen. Sämtliche Angeklagten wirkten also als Gehilfen, gemeinschaftlich handelnd, bei der Ausführung des von den Haupttätern als mittelbare Täter erteilten Befehls mit.

e. Kein Glaube an die Verbindlichkeit des Befehls

Die 6 Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Sakuth, Harms und Behrendt glaubten angesichts des ganz ungewöhnlichen, ungeheuren Verlangens auch nicht an die Verbindlichkeit des Befehls. Sie erkannten irrtumsfrei, dass diese befohlene Massentötung in krassem Widerspruch zu jeder menschlichen Moral, dem Völkerrecht und jeder internationalen Übung der Kriegsführung stand. Sie und auch die anderen Teilnehmer von der Stapo und dem SD, die an dieser und an den späteren Erschiessungen teilnahmen, handelten vielmehr als getreue Gefolgsleute ihres Führers in blindem Gehorsam, um den Herrschaftsanspruch des Dritten Reiches zu verwirklichen. Bei dem Angekl. Fischer-Schweder scheidet der Gedanke des bindenden Befehls schon um deswillen aus, weil er nicht auf Befehl handelte, sondern freiwillig sich und das Polizeikommando einschaltete, um eine Rolle zu spielen. Bei dem Angekl. Schmidt-Hammer war nicht wie bei den Angehörigen der Stapo und des SD das Motiv des blinden Gehorsams, sondern der Gedanke massgebend, als Polizeioffizier durchstehen zu müssen, um nicht das Gesicht eines solchen zu verlieren. Er glaubte auch nicht an die Verbindlichkeit des Befehls, da er als geistig hochstehender Mann wusste, dass die ohne Rechtsgrundlage und ohne jeden Rechtfertigungsgrund durchzuführende Tötung von über 200 Menschen mit der menschlichen Moral und mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren war.

f. Keine unausweichliche Zwangslage

Die Angeklagten handelten, wie sie wussten, nicht in einer Zwangslage, bei der es kein Ausweichen ohne unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben ihrer selbst oder ihrer Angehörigen gab. Auch eine Güterabwägung spielte keine Rolle. Keiner von ihnen befand sich, wie jeder wusste, im sogenannten Nötigungsstand oder im übergesetzlichen Notstand.

Beim Angekl. Fischer-Schweder scheidet dies schon deshalb aus, weil er nicht auf Befehl sondern aus freien Stücken handelte. Keiner der Angeklagten befand sich in dem ausweglosen Gewissenskonflikt, ob er den Befehl ausführen soll oder nicht. Keiner von ihnen handelte aus Furcht vor der Gefahr, bei Befehlsverweigerung ebenfalls erschossen zu werden oder nicht zumutbare Beeinträchtigungen an Leib oder Leben erdulden zu müssen. Sie suchten deshalb auch gar nicht ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit, um sich unter irgendeinem Vorwand der Durchführung des Befehls zu entziehen.

Die der Stapo und dem SD angehörigen Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Sakuth, Harms und Behrendt handelten vielmehr als getreue Gefolgsleute ihres Führers in blindem Gehorsam, weil sie die Verwirklichung des Herrschaftsanspruchs des Dritten Reiches wollten und sich bei ihrer ganzen ideologischen Einstellung auch gar nicht mit dem Gedanken befassten, den Befehl zur Erschiessung der Juden und der Kommunisten zu verweigern, soweit sie, wie festgestellt, an Erschiessungen teilnahmen.

Beim Angekl. Schmidt-Hammer schied bei seiner innerlich gegen den Nationalsozialismus gerichteten Einstellung allerdings das Motiv des blinden Gehorsams aus. Für ihn, der sehr stark an seiner Offiziersstellung hing, war der Gedanke ausschlaggebend, unter allen Umständen sein Gesicht als Offizier zu wahren und um jeden Preis gute Figur zu machen.

Garsden (I)

Beweiswürdigung

1. Die Taturheber

a. Allgemeines

Das Schwurgericht ist überzeugt, dass die gegen die Juden und Kommunisten gerichteten physischen Vernichtungsmassnahmen auf einen mündlichen Befehl Hitlers zurückzuführen sind, dass Hitler zusammen mit Himmler, Heydrich und der weiteren nächsten Umgebung den Vernichtungsplan ausgeheckt und ihn unter Einschaltung des RSHA organisatorisch und technisch vorbereitet hat und dann durch die Einsatzgruppen und durch die Vernichtungslager hat durchführen lassen. Das damals streng durchgeführte Führerprinzip lässt angesichts des Ausmasses dieser Vernichtungsmassnahmen auch nur die Feststellung zu, dass Hitler selbst hinter diesen Massnahmen als Hauptverantwortlicher stand.

Der Sachverständige Dr. Kra. hat auf Grund seiner langjährigen Studien in seinem Gutachten, dem sich das Schwurgericht angeschlossen hat, überzeugend ausgeführt, dass auf Hitler die Vernichtungsmassnahmen zurückzuführen sind. Schon in der Reichstagsrede vom 30.1.1939 habe er erklärt, dass im Falle eines Krieges die jüdische Rasse in Europa vernichtet werde, und Himmlers Leibarzt Kersten habe im Jahr 1948 ausgesagt, Hitler habe schon während des Frankreichfeldzugs im Sommer 1940 Himmler die radikale Vernichtung in Europa befohlen und habe die Gegenvorstellungen von Himmler nicht gelten lassen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Kra. hat Hitler schon etwa am 17.3.1941 bei einer persönlichen Unterredung dem Generalgouverneur Frank versprochen, dass das Generalgouvernement als erstes judenfrei sein werde.

Dass die Vernichtungsmassnahmen auf Hitler zurückzuführen sind, geht auch aus den glaubhaften, auszugsweise verlesenen Aussagen des früher beim Amt IV Abt. A4 des RSHA mit Judenfragen beschäftigten und im Nürnberger Prozess vernommenen Zeugen Wisliceny hervor, welcher nicht mehr lebt (vgl. IMT Bd.4 S.396-398). Danach hat in seiner Gegenwart der frühere Leiter des RSHA Amt IV A 4 b Eichmann, aus dem Panzerschrank seines Dienstzimmers ein von Himmler unterzeichnetes und an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD gerichtetes Schreiben entnommen und dieses Wisliceny zum Lesen gegeben. Nach dessen Inhalt hat Hitler die Endlösung der Judenfrage befohlen und mit deren Durchführung den Chef der Sicherheitspolizei und des SD und den Inspekteur des Konzentrationslagerwesens beauftragt. Damit decken sich wiederum die glaubhaften und verlesenen Aussagen des im Nürnberger Prozesses vernommenen Zeugen Höss, des später hingerichteten früheren Kommandanten des KZ Auschwitz (vgl. IMT Bd.11 S.440). Nach seinen Aussagen hat ihm Himmler im Sommer 1941 bei der persönlichen Befehlserteilung zur Einrichtung von Vernichtungsmöglichkeiten im KZ Auschwitz erklärt, Hitler habe die Endlösung der Judenfrage befohlen und die SS habe diesen Befehl durchzuführen. Dies ergibt sich auch aus den verlesenen und insoweit glaubhaften Aussagen des im Nürnberger Prozess vernommenen und später hingerichteten Zeugen Ohlendorf, wonach Himmler im Spätsommer in Nikolajew ihm sowie den Führern und Männern der ihm unterstellten Einsatzkommandos bei der Erteilung des Liquidationsbefehls erklärt hat, dass er allein zusammen mit dem Führer die Verantwortung für die Liquidationsmassnahmen trage (IMT Bd.4 S.351).

Auch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Es., die er auf Grund seines historischen Studiums gemacht hat, gehen die Vernichtungsmassnahmen auf einen persönlichen Anstoss Hitlers zurück. Nach seinen Ausführungen habe auch Himmler wiederholt betont, dass Hitler die Judenliquidierung befohlen habe. Dass Himmler bei der allerdings erst am 4.10.1943 stattgefundenen SS-Gruppenführertagung in Posen ganz offen - wenn auch nur in einem engeren Kreis hoher SS-Führer - von der Ausrottung des jüdischen Volkes gesprochen hat, wie sie aus der hiefür in Frage kommenden Stelle der verlesenen Rede (vgl. IMT Bd.29 S.145-146) ergibt, spricht ebenfalls dafür, dass Hitler als die oberste Spitze des Führerstaates den Befehl zu den Ausrottungsmassnahmen gegeben und bei ihrer Planung mitgewirkt hat.

Nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. Kra. ist die Endlösung der Judenfrage schon anfangs Frühjahr 1941 bei Hitler und seinen engsten Mitarbeitern eine zwar beschlossene, nach aussen hin aber noch geflissentlich getarnte Sache gewesen. Aus diesem Grund ist nach den Ausführungen des Sachverständigen bei der Besprechung zwischen Hitler, Himmler und Keitel vom 3.3.1941 über die Sondervollmachten Himmlers, bei den Ausführungen Hitlers um die Zeit vom 17.3.1941 im Anschluss an den Vortrag des Generalfeldmarschalls Halder und bei dem Abkommen vom 26.3.1941 zwischen Generalquartiermeister Wagner vom OKW und Heydrich über die Tätigkeit der Einsatzgruppen eine Bekanntgabe der geplanten Vernichtung der jüdischen Rasse geflissentlich vermieden worden. Auch bei der im Mai 1941 in Zossen stattgefundenen und von Generalquartiermeister Wagner einberufenen Besprechung der Ic-Offiziere der Heeresgruppen und der Armeen, bei welcher auch höhere SS-Dienstgrade vertreten waren, ist nach den glaubhaften Aussagen der vereidigten Zeugen Jes., damals Ic der Heeresgruppe Nord, und Frh. v. Gers., damals Ic der Heeresgruppe Mitte, die beabsichtigte Massenvernichtung der Juden mit keinem Wort erwähnt worden. Dass übrigens die Besprechung wegen des Abkommens über die Tätigkeit der Einsatzgruppen zwischen Generalquartiermeister Wagner und Heydrich nach dem ganzen Verlauf des Geschehens entgegen den verlesenen Aussagen des im Nürnberger Prozess vernommenen und später verstorbenen Zeugen Schellenberg, des früheren Chefs des Amts VI beim RSHA, nicht erst Ende Mai 1941, sondern schon im März 1941 stattgefunden hat, hat der Sachverständige Dr. Kra. überzeugend ausgeführt. Dafür spricht auch, dass nach dessen Gutachten Generalgouverneur Dr. Frank im April 1941 bekanntgegeben hat, dass ihm Hitler, wie oben schon ausgeführt wurde, bereits bei einer um die Zeit vom 17.3.1941 stattgefundenen Besprechung zugesagt habe, dass das Generalgouvernement als erstes judenfrei sein werde. Diese Besprechung beleuchtet treffend die ganze Einstellung der oberen Führung zur Judenfrage.

b. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind sich die als Haupttäter anzusehenden Taturheber des engeren Kreises um Hitler und dieser selbst bei der Planung und Durchführung der Massenvernichtungsmassnahmen der Rechtswidrigkeit dieser Massnahmen bewusst gewesen. Sie haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts gewusst, dass eine so ungeheuerliche Massnahme, durch welche die ganze jüdische Rasse in Europa ausgerottet und die Kommunisten vernichtet werden sollten, der menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht und jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, weshalb sie auch die Planung und Durchführung geflissentlich geheimgehalten und getarnt haben, solange und soweit dies möglich gewesen ist. Wenn schon die Haupttäter die ganze jüdische Rasse in Europa haben ausrotten wollen, so haben sie wenigstens am Anfang noch versucht, diese Vernichtung mit dem Schein der Legitimität zu umgeben, wie der Sachverständige Dr. Ser. überzeugend ausgeführt hat. Sie haben vorgegeben, einen "potentiellen Gegner" zu vernichten, obschon jüdische Säuglinge bestimmt keine gefährlichen Kriegsgegner gewesen sind. Aus all dem ergibt sich nach der Überzeugung des Schwurgerichts, dass die Haupttäter ein schlechtes Gewissen gehabt haben.

c. Handeln mit Überlegung

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts haben die Haupttäter unter Abwägung des Für und Wider, also mit Überlegung gehandelt. Dies ergibt sich aus der vorausschauenden Planung und aus der organisatorischen sowie technischen Vorbereitung unter Einschaltung des RSHA. Dies ergibt sich weiterhin daraus, dass für die Durchführung der Vernichtungsmassnahmen besondere Einsatzgruppen und -kommandos unter bewährten nationalsozialistischen Führern bestimmt worden sind. Die Mannschaften wiederum sind aus ganz besonders zuverlässigen und der nationalsozialistischen Ideologie ergebenen Männern ausgesucht worden, die vor dem Einsatz in Pretzsch noch geschult worden sind.

d. Handeln aus niedrigen Beweggründen

Die Haupttäter sind sich ferner nach der Überzeugung des Schwurgerichts der tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Verwerflichkeit ihrer Handlungsweise bewusst gewesen. Zur Erstrebung der Machtstellung in Europa haben sie alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht physisch vernichten, also die ganze jüdische Rasse ausrotten wollen. Sie haben aber auch sämtliche als potentielle Gegner in Frage kommenden Personen, so die politisch einer anderen Ideologie nachgehenden Kommunisten, vernichten wollen. Dass es sich dabei um niedrige Beweggründe gehandelt hat, wird bei der rechtlichen Würdigung noch ausgeführt werden. Jedenfalls sind sich die Haupttäter all der Umstände bewusst gewesen, welche charakteristisch für einen niedrigen Beweggrund sind, wobei es unerheblich ist, ob sie selbst den Beweggrund dann als niedrig bewertet haben.

e. Grausames Handeln

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind sich die Haupttäter aber auch der Umstände bewusst gewesen, welche diese Massentötungen als grausam gestempelt haben. Wer in einem solchen Umfang Tausende, ja Hunderttausende von Menschen und bei den Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht bedenkenlos töten lässt, weiss nach der Überzeugung des Schwurgerichts, dass es bei der Durchführung solcher Massentötungen seitens der Beauftragten zu allen möglichen Scheusslichkeiten kommen wird und dass darunter die Opfer körperlich und seelisch zu leiden haben werden.

Dies ist bei einer derartigen Massenvernichtung auch gar nicht anders zu erwarten. Obwohl sich die Haupttäter all dieser Umstände bewusst gewesen sind, haben sie dennoch die Massentötungen bedenkenlos durchführen lassen, weil sie nach der Überzeugung des Gerichts bar jeden Empfindens gewesen sind und völlig stumpf, aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus, gehandelt haben.

f. Teilnahmeform

Hitler und die Angehörigen seines engeren Kreises, so insbesondere Himmler und Heydrich, welche sich eingeschaltet und mit ihm zusammen geplant und organisiert hatten, haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaftlich, gehandelt. Sie haben sich völlig einig mit den Massnahmen gefühlt und haben auch neue Methoden der Tötung erproben und durchführen lassen, so in den Konzentrationslagern die Tötung der Opfer in den Gaswagen. Sie haben nicht etwa die Ausführenden zur Tötung anstiften wollen. Sie haben vielmehr allein die Verantwortung für die Massnahmen, die andere dann ausgeführt haben, tragen wollen. Das ergibt sich auch aus den insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen Ohlendorf im Nürnberger Prozess in IMT Bd.4 S.351, die verlesen worden sind. Nach seinen damaligen Aussagen hat Himmler vor den angetretenen Führern und Männern der Ohlendorf unterstehenden Einsatzgruppe D bei der Erteilung des Liquidierungsbefehls darauf hingewiesen, dass sie keinerlei persönliche oder eigene Verantwortung für die Durchführung dieses Befehls tragen, sondern dass vielmehr er und der Führer allein verantwortlich seien.

2. Kein Widerstand durch die Zivilbevölkerung in Garsden

Zu ihrer Verteidigung haben alle an der Erschiessung beteiligten 8 Angeklagten vorgebracht, bei der Erschiessung der 201 Einwohner von Garsden habe es sich um eine Vergeltungsmassnahme gehandelt, weil sich diese - hier gehen die Angaben auseinander - mit der Waffe in der Hand am Kampf um Garsden beteiligt und der deutschen Truppe Widerstand geleistet bezw. weil sie sich nach der Einnahme als Heckenschützen betätigt haben. Übereinstimmend haben sie angegeben, dass die Gefangennahme durch die deutsche Truppe und nicht etwa durch die Stapo oder den SD erfolgt sei, wobei hinsichtlich des Zeitpunkts der Gefangennahme ihre Angaben wieder voneinander abweichen.

Der Angekl. Böhme behauptet, er habe am 22.6.1941 von Dr. Frohwann des GPK Memel die fernschriftliche Mitteilung über die Gefangennahme der Zivilisten durch die deutsche Wehrmacht und von deren Bewachung durch Angehörige der Zollaufsichtsstelle Laugallen bekommen. In dem Fernschreiben des Dr. Frohwann sei die Zahl der Gefangenen, aufgeteilt nach Juden und Kommunisten, angegeben gewesen. Daraufhin habe er sofort fernschriftlich beim Inspekteur der Sicherheitspolizei in Königsberg angefragt, was mit den Gefangenen geschehen soll, und er habe noch am Nachmittag des 22.6.1941 fernschriftlich die Antwort erhalten, er solle die Ankunft des Dr. Stahlecker abwarten und von diesem Weisungen entgegennehmen. Dr. Stahlecker sei dann auch gegen 20 Uhr am gleichen Tag eingetroffen. Dieser habe ihm befohlen, sämtliche Gefangene zu erschiessen.

Die gleichen Angaben wie der Angekl. Böhme hat der Angekl. Kreuzmann gemacht.

Der Angekl. Harms hat angegeben, es sei erst in Garsden davon gesprochen worden, dass Einwohner von Garsden auf die deutsche Truppe geschossen haben, weshalb die Gefangenen erschossen werden. Er habe sich aber gleich gedacht, dass unmöglich alle Gefangenen auf die deutschen Soldaten geschossen haben können.

Der Angekl. Behrendt will bei der Abfahrt nach Garsden am 24.6.1941 gewusst haben, dass es sich um eine Erschiessung von Heckenschützen handle.

Der Angekl. Schmidt-Hammer will am Nachmittag des 23.6.1941 von seinem Kommandeur, dem inzwischen verstorbenen Major Gü., den Befehl erhalten haben, die Gefangenen mit dem Alarmzug zu erschiessen, wobei Gü. ihn dahin aufgeklärt habe, es handle sich um Heckenschützen. In Garsden habe ihm dann der Angekl. Fischer-Schweder ein ausgebranntes deutsches Kraftrad und die Leichen von 2 verbrannten deutschen Soldaten gezeigt und gesagt, das sei der Grund, weshalb die Zivilisten erschossen werden.

Der Angekl. Sakuth will am 23.6.1941 gegen 8 Uhr von Dr. Frohwann gefragt worden sein, ob er mit nach Garsden fahren wolle, dort sei eine Schweinerei passiert. Er habe zugesagt und als er gegen 9.45 Uhr mit Dr. Frohwann in Garsden angekommen sei, habe sich diesem ein Infanterieoberleutnant namens "Schlevogt", der den Arm in der Binde getragen habe, vorgestellt und gesagt, er sei am frühen Morgen mit seinen Leuten durch Garsden marschiert und habe plötzlich Feuer bekommen. Daraufhin habe er mit seinen Leuten die Häuser durchsucht und Zivilisten gefangengenommen, die teilweise mit der Waffe in der Hand angetroffen worden seien. Oberleutnant Schlevogt habe dann von Dr. Frohwann verlangt, dass er die Gefangenen, welche bis dahin von seinen verwundeten Soldaten bewacht worden seien, liquidieren solle. Als dies Dr. Frohwann mit dem Hinweis abgelehnt habe, dazu keine Ermächtigung zu haben, habe ihn Oblt. Schlevogt gebeten, ihm wenigstens die Bewachung der Gefangenen abzunehmen. Dies habe Dr. Frohwann zugesagt. Er nehme nun an, dass bei dieser Unterredung der Postenführer von der Zollaufsichtsstelle Laugallen zugegen gewesen sei, dem dann Dr. Frohwann den Auftrag erteilt habe, die Gefangenen durch seine Zollbeamten bewachen zu lassen.

Der Angekl. Hersmann behauptet, er habe erst am 23.6.1941 und nicht etwa schon am 22.6.1941 anlässlich der Besprechung mit Dr. Stahlecker von Böhme die Mitteilung bekommen, die Wehrmacht habe schon ein paarmal angerufen. Sie habe Zivilisten abgeliefert, die sie festgenommen habe, weil sie auf durchziehende deutsche Truppen geschossen haben. Am Sonntagnachmittag (22.6.1941) sei er mit Böhme in Richtung Tauroggen gefahren, wobei ihm dieser während der ganzen Fahrt weder von der Gefangennahme von Zivilisten noch von den Aufgaben der Einsatzgruppen etwas gesagt habe.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat seine Angaben im Ermittlungsverfahren verschiedentlich gewechselt. Zum Fall Garsden ist er als letzter der Angeklagten in der Hauptverhandlung vernommen worden, wobei er folgendes angegeben hat:

Am 22.6.1941 nachmittags oder am 23.6.1941 vormittags - im Ermittlungsverfahren hat er vom 22.6.1941 vormittags gesprochen - sei er von einem Oberleutnant der Wehrmacht aufgesucht worden. Dieser habe ihm gemeldet, in Garsden seien Zivilisten wegen Widerstands festgenommen und dem Zollgrenzschutz zur Bewachung übergeben worden. Der Oberleutnant habe ihn um Übernahme der Bewachung der Gefangenen gebeten, deren Erschiessung sein Kommandeur entsprechend einem Führerbefehl befohlen habe. Nach diesem Führerbefehl - davon hat der Angekl. Fischer-Schweder während der verschiedenen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nie gesprochen - könnten Zivilisten, die Widerstand geleistet haben, ohne ein Verfahren lediglich auf Befehl des Truppenkommandeurs erschossen werden. Diesen Oberleutnant habe er dann zuerst an den inzwischen verstorbenen Polizeirat Ste. verwiesen, wobei er Major Gü. habe zuziehen lassen. Da sie sich aber über die Massnahmen nicht schlüssig geworden seien, habe er den Oberleutnant zum GPK Memel geschickt. Als ihm nun Dr. Frohwann vom GPK Memel fernmündlich mitgeteilt habe, er habe nicht genug Leute zur Bewachung der Gefangenen und ihn gebeten habe, die Polizeidirektion Memel solle ihm Leute zur Verfügung stellen, habe er ihm erklärt, er sei dafür nicht zuständig. Nach diesem Telefongespräch sei er mit einem Angehörigen der Schutzpolizei entweder am 22.6.1941 nachmittags oder am 23.6.1941 vormittags - später gab er an, am 23.6.1941 vormittags - nach Garsden gefahren, wobei er Gefangene in der Stärke von etwa 90-120 Mann rechts der Strasse auf einer Wiese gesehen habe. Nach der Rückkehr habe ihm Dr. Frohwann triumphierend ein Fernschreiben gezeigt, inhaltlich dessen das Kommando der Schupo angewiesen gewesen sei, ein Erschiessungskommando abzustellen. Dieses Fernschreiben müsse vom BdO Königsberg gekommen sein, weil die Schupo mit diesem fortwährend in Verbindung gestanden sei. Daraufhin habe er Major Gü. herbeigerufen, der dann ohne ihn mit Dr. Frohwann alles Weitere für die Erschiessung besprochen habe.

Die beiden Angeklagten Böhme und Hersmann haben allerdings noch angegeben, dass die Gefangenen ohnedies auf Grund des ihnen erteilten Befehls, in dem 25 km Grenzstreifen die Säuberungsaktion durchzuführen, erschossen worden wären, auch wenn sie keinen Widerstand der deutschen Truppe gegenüber geleistet hätten.

Das Schwurgericht hat das Vorbringen der Angeklagten, die Zivilbevölkerung habe Widerstand geleistet bezw. Heckenschützentätigkeit verübt und die Gefangennahme der Zivilisten sei durch die deutsche Wehrmacht erfolgt, als leeres Verteidigungsvorbringen gewürdigt und ist überzeugt, dass in Garsden Zivilisten weder Widerstand geleistet noch sich als Heckenschützen betätigt haben.

Das Schwurgericht ist weiterhin überzeugt, dass die am 24.6.1941 erschossenen Zivilisten allein auf Grund und im Rahmen des den Angeklagten Böhme und Hersmann am 22.6.1941 abends bezw. nachts durch Dr. Stahlecker erteilten Befehls, in dem 25 km Grenzstreifen die Säuberungsmassnahmen gegen Juden und Kommunisten durchzuführen, in der Hauptsache am Vormittag des 23.6.1941 von den Angehörigen des GPK Memel, möglicherweise zusammen mit Angehörigen des GPP Laugallen und zum Teil noch am 24.6.1941 von Angehörigen des SD Tilsit festgenommen worden sind.

Um den wahren Grund der Massnahmen zu tarnen, ist dann nach der Überzeugung des Schwurgerichts auf Anweisung der Angeklagten Böhme und Hersmann das Gerücht von den Widerstandshandlungen bezw. den Heckenschützentätigkeiten der Zivilisten verbreitet worden.

Das Vorbringen der Angeklagten wird in erster Linie durch das Zeugnis der Wehrmachtsoffiziere widerlegt, welche damals an dem Kampf um Garsden unmittelbar beteiligt gewesen sind, nämlich durch die glaubwürdigen Aussagen der eidlich vernommenen Zeugen Mi. (früher Leutnant und Adjutant des II./IR 176), Fl. (früher Leutnant und Ordonnanzoffizier und nach der am 22.6.1941 erfolgten Verwundung des Zeugen Mi. Adjutant des II/IR 176) und Hof. (früher Leutnant und Adjutant des III./IR 176). Nach den Bekundungen dieser 3 Zeugen ist wider Erwarten ein harter Widerstand der mit automatischen Waffen ausgerüsteten russischen NKWD geleistet worden. Dieser harte Widerstand ist nach den Bekundungen des Zeugen Mi. möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die russische Besatzung von Garsden auf ihre telefonische Anfrage vom Vormittag des 22.6.1941 von einer rückwärtigen russischen Stelle den Befehl bekommen hat, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Dieses Telefongespräch ist seinerzeit nach den Bekundungen des Zeugen Mi. durch Anzapfen der russischen Telefonleitung von einem die russische Sprache beherrschenden Angehörigen des II./IR 176 abgehört worden.

Zur Aufklärung haben insbesondere die Aussagen des Zeugen Hof. beigetragen, welcher das Kampfgeschehen bis zur endgültigen Einnahme Garsdens um 15 Uhr miterlebt und geschildert hat. Dieser Zeuge hat die Kompanieführer des III./IR 176, so auch Oblt. Schnevogt der 10./IR 176, während des Kampfes auf dem Kampfgelände am Vormittag des 22.6.1941 aufgesucht und eingewiesen. Nach seinen Wahrnehmungen haben nicht etwa Zivilisten, sondern Angehörige der russischen NKWD-Besatzung, jede Deckung ausnützend, bis zum letzten Mann gekämpft, wobei Haus für Haus in Garsden im Nahkampf habe genommen werden müssen.

Nach den übereinstimmenden Bekundungen der obengenannten Zeugen haben sich keine Zivilisten am Kampf beteiligt. Richtig ist nur soviel, dass nach den Bekundungen des Zeugen Mi. am Morgen des 22.6.1941 einige der NKWD-Leute, offensichtlich vom Angriff überrascht, noch nicht vollständig angezogen am Kampf sich beteiligt haben, wie er am andern Tag von seinen Leuten erfahren habe. Weder am Kampftag noch in der folgenden Zeit ist nach den Aussagen dieser 3 Zeugen bei dem IR 176 oder sonst in der Truppe davon die Rede gewesen, dass sich Einwohner von Garsden am Kampf beteiligt oder sich unmittelbar nach der Einnahme als Heckenschützen beteiligt haben. Nie sei auch die Rede davon gewesen, dass die Truppe Einwohner von Garsden gefangengenommen habe. Der Zeuge Rei. (damals Ic der 61. ID) hat glaubwürdig bekundet, dass er während des Kampftages (22.6.1941) ständig Meldungen von dem dem Regimentsstab IR 176 angehörigen Oberleutnant Kirchberg erhalten habe, dass aber von einer Beteiligung der Zivilisten am Kampf oder gar von ihrer Gefangennahme durch die Truppe nie die Rede gewesen sei. Auch die Zeugen Pes. (früher Kompanieführer der 3./IR 176), Fen. (früher Nachrichtenoffizier der Panzerjägerabt. 161), Git. (früher Ia des XXVI. AK), Wo. (früher kommandierender General des XXVI. AK), We. (früher Divisionspfarrer der 61. ID), v. G. (früher Leiter der Abwehrstelle Tilsit) haben glaubhaft bekundet, dass sie weder von einem Widerstand oder von einer Heckenschützentätigkeit der Einwohner von Garsden, noch von ihrer Gefangennahme Kenntnis bekommen haben, dass sie aber Kenntnis bekommen hätten, wenn dies tatsächlich der Fall gewesen wäre, insbesondere wenn eine so grosse Anzahl von Einwohnern wegen Beteiligung am Kampf festgenommen worden wäre. In gleicher Weise hat sich der Zeuge Hu. ausgelassen, welcher damals Leutnant im Regimentsstab des Nachbarregiments IR 151 war.

Gegen das Vorbringen der Angeklagten spricht auch der Umstand, dass weder die Angeklagten noch Zeugen Leichen gefallener Zivilisten auf dem Kampfgelände gesehen haben. Wenn schon die Behauptung der Angeklagten wahr wäre, dass Zivilisten mit der Waffe in der Hand Widerstand geleistet hätten, dann wären diese Zivilisten nach der Überzeugung des Schwurgerichts im Kampf, insbesondere bei dem Häuserkampf Mann gegen Mann, von der Truppe bei der Überwindung des Widerstands getötet und keinesfalls gefangengenommen und erst recht nicht der Polizei übergeben worden.

Dies allein entspricht bei einer natürlichen Betrachtungsweise einer derartigen Sachlage und den allgemeinen militärischen Gepflogenheiten.

Die Zeugen Br. und Si. haben nach ihren glaubhaften Bekundungen den Kampf um Garsden in der Hauptsache mitverfolgt. Die Zollaufsichtsdienststelle Laugallen, zu der sie gehört haben, ist nur etwa 2-300 m von der Grenze entfernt gelegen, so dass sie von hier aus den Kampf gut haben verfolgen können. Vor Beginn des Angriffs sind die Angehörigen ihrer Dienststelle etwas zurückgezogen worden, haben sich aber nach Beginn des Angriffs wiederum zu ihrer Dienststelle begeben. Diese Zeugen haben keine Wahrnehmungen in der Richtung gemacht, dass seitens der Zivilbevölkerung am 22.6.1941 Widerstand geleistet worden sei und haben auch davon nichts gehört, dass in der darauffolgenden Nacht oder am andern Morgen Einwohner deutsche Truppen überfallen haben. Sie haben auch erst am 23.6.1941 vormittags und nicht etwa schon am 22.6.1941 gesehen, dass Einwohner gefangen waren. Der Zeuge Si. hat glaubhaft geschildert, dass am Vormittag des 23.6.1941 ein Kraftwagen mit Stapo-Beamten über die Grenze in Richtung Garsden gefahren sei und dass bald darauf Juden aus Garsden auf das deutsche Grenzhaus zu geführt worden seien. Weiterhin hat er ausgeführt, er wisse ganz bestimmt, dass nicht etwa Soldaten die Gefangenen hergeführt haben.

Die Bewachungsleute haben feldgraue Uniformen sowie Feldmützen oder Schirmmützen getragen; seines Erachtens könne es sich nur um Stapo-Beamte gehandelt haben.

Der Zeuge Gr., früher Kreisleiter von Memel, will nach seinen Bekundungen mit seinem Stellvertreter Reiter am Nachmittag des 22.6.1941 nach Garsden gefahren sein. Glaubhaft hat er bekundet, dass er noch nicht an diesem Nachmittag, sondern erst am 24.6.1941 vormittags, als er zu der Erschiessung nach Garsden gefahren sei, gefangene Einwohner gesehen habe. Der Zeuge Sep., welcher als Fotograf in Garsden gewohnt und das Kampfgeschehen von Anfang an miterlebt hat, hat nach seinen glaubhaften Bekundungen nur gesehen, dass sich die Angehörigen des russischen NKWD, nicht aber Einwohner von Garsden am Kampf beteiligt haben. Er hat nun selbst gesehen, wie am Vormittag des 23.6.1941 zwischen 10 und 11 Uhr deutsche Uniformierte mit Schirmmützen - Stapo- und SD-Angehörige haben Schirmmützen getragen - erschienen sind und sämtliche männliche Juden, die mit ihm im Stadtgarten übernachtet hatten, wohin sie von der deutschen Truppe am 22.6.1941 verwiesen worden waren, haben antreten lassen und in Richtung auf die deutsche Grenze zu weggeführt haben.

Der Zeuge Su., früher Vorsitzender der Handelskammer Memel, hat nach seinen Bekundungen am Vormittag des 23.6. oder aber auch erst am 24.6.1941 und der Zeuge Pa., bis Juli 1940 Leiter des Grenzzollkommissariats Memel-Ost und zur Tatzeit Leiter der Küstenüberwachungsstelle Memel, hat am 23.6.1941 gegen Mittag etwa 100 gefangene männliche Juden an der Grenze gesehen, welche an ihren Rassemerkmalen ohne weiteres als Juden erkennbar gewesen seien. Nach den glaubhaften Aussagen dieser beiden Zeugen hat keiner von ihnen den Grund der Festnahme gekannt bezw. erfahren können. Der Zeuge Pa. hat glaubhaft ausgesagt, er habe die Bewachungsleute - es habe sich um Zoll- oder Grenzschutzbeamte gehandelt - ausdrücklich nach dem Grund der Festnahme gefragt; die Bewachungsleute haben ihm diesen aber nicht angeben können. Nach ihren Bekundungen sei davon überhaupt keine Rede gewesen, dass sich die Gefangenen am Kampf beteiligt haben sollten. Der Zeuge Pa. hatte den Eindruck, dass die Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit festgenommen worden seien.

Diesen Zeugenaussagen stehen allerdings die der Zeugen Sa., Wu., Dr. Böt. und Gi. entgegen.

Der Zeuge Sa. war der Regimentskommandeur des IR 176 bei dem Angriff auf Garsden. In der Hauptverhandlung vom 29.5.1958 hat er bekundet, dass am Vormittag des 22.6.1941, solange er allein auf dem Regimentsgefechtsstand gewesen sei, ein Offizier des III./IR 176 ihm gemeldet habe, es haben sich Zivilisten am Kampf beteiligt und er bitte um Weisung, was mit diesen Festgenommenen geschehen soll. Dieser Offizier sei nicht verwundet gewesen; er habe die Zahl der Gefangenen genannt. Seines Erinnerns habe es sich um 30-50, jedenfalls um weniger als 100 Gefangene gehandelt. Diesem Offizier habe er den Auftrag gegeben, sich an eine Zivildienststelle in Memel zu wenden und dieser die Gefangennahme der Einwohner zu melden, damit von dort aus die entsprechenden Massnahmen getroffen werden.

Auf Vorhalt hat er dann erklärt, dass der Offizier möglicherweise "Slevogt" geheissen habe, jedenfalls habe er dem III./IR 176 angehört. Nach etwa einer halben Stunde sei der Offizier zurückgekommen und habe ihm gemeldet, der Polizeidirektor von Memel habe die Sache übernommen. Den Vorfall habe er aber an die Division nicht weitergemeldet, obwohl dies eigentlich seine Pflicht gewesen wäre.

Bei seinen früheren Aussagen vor dem Untersuchungsrichter am 16.2.1957 hat der Zeuge Sa. angegeben, er habe den Offizier zum Kreisleiter von Memel geschickt mit dem Auftrag, die Strasse durch Garsden bewachen zu lassen. Damals hat der Zeuge Sa. davon nichts bekundet, dass Zivilisten festgenommen worden seien. Er hat damals auch nichts davon gesagt, dass der Kommandeur des III./IR 176 Zivilisten festgenommen und einer Behörde in Memel übergeben habe. Der Bataillonskommandeur habe auch bei späteren Besprechungen nie etwas von einer Festnahme von Einwohnern oder von einer Übergabe festgenommener Einwohner an eine Behörde in Memel gesprochen.

Bei seiner 2. Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 3.7.1958, die unmittelbar an die Vernehmung des Zeugen Hof. erfolgt ist, hat der Zeuge Sa. auf den Vorhalt der Aussagen seiner früheren Offiziere erklärt, er habe vor seiner 1. Vernehmung zu dem Fall Garsden überhaupt keine Erinnerung an eine Beteiligung von Einwohnern am Kampf gehabt. Erst im Vorverfahren habe er sich dann die Sache durch den Kopf gehen lassen und es sei ihm "so vorgekommen, als ob ihm ein Offizier von einer Beteiligung der Einwohner am Kampf etwas gemeldet habe". Nunmehr wisse er tatsächlich nicht mehr, ob ihm überhaupt ein Offizier vom III./IR 176 die Beteiligung der Zivilisten am Kampf gemeldet und ob er diesen dann nach Memel geschickt habe. Er könne sich auch nicht daran erinnern, dass ihm der Kommandeur des III./IR 176 oder andere Offiziere seines Regiments von einer Beteiligung der Einwohner am Kampf etwas erwähnt oder gemeldet haben. Seines Erachtens sei später überhaupt nie etwas von einer Beteiligung der Einwohner am Kampf gesprochen worden. Das wisse er ganz bestimmt, dass der Kampf um Garsden erst am Nachmittag des 22.6.1941 beendet gewesen sei.

Die Aussagen des 67 Jahre alten Zeugen Sa. sind nicht geeignet, die klaren Bekundungen der Zeugen Mi. und Hof. zu entkräften. Das Schwurgericht hat von dem Zeugen Sa. den Eindruck gewonnen, dass er zwar bestrebt gewesen ist, nach bestem Wissen und Gewissen seine Aussagen zu machen, dass er sich aber vermutlich durch einen nicht glücklichen Hinweis im Vorverfahren immer mehr in den Gedanken verrannt hat, es habe ihm ein Offizier seines III. Bataillons eine Meldung von dem angeblichen Widerstand der Einwohner gemacht, obschon er vor seiner Vernehmung hievon keine Ahnung gehabt hat. Jedenfalls hat das Schwurgericht von dem Zeugen den Eindruck gewonnen, dass er in Wirklichkeit nichts mehr weiss. Im übrigen teilt das Schwurgericht die Ansicht des Zeugen Hof., dass es in Anbetracht der hohen Offiziersverluste der auf Garsden eingesetzt gewesenen Einheiten ganz unwahrscheinlich ist, dass noch während des harten Kampfes ein Offizier vom Bataillonskommandeur zum Regimentskommandeur geschickt worden wäre, um ihm die Beteiligung der Zivilbevölkerung am Kampf zu melden. Der wiederholt genannte Oblt. Schnevogt, welcher nach den Bekundungen des Zeugen Hof. der Kompanieführer der 10./IR 176 gewesen ist - der Angekl. Sakuth hat bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 8.12.1956 erstmals von einem Oblt. Schlevogt gesprochen, der sich am frühen Vormittag des 23.6.1941 in Garsden unter diesem Namen Dr. Frohwann vom GPK Memel vorgestellt habe - scheidet als angeblicher Überbringer der fraglichen Meldung nach den bestimmten Aussagen des Zeugen Hof. deshalb aus, weil Oblt. Schnevogt von ihm am Vormittag des 22.6.1941 im Kampfgelände eingewiesen worden ist, seine Kompanie bis zur Beendigung des Kampfes (15 Uhr) geführt hat und dann mit ihr zusammen im Verband des Bataillons weitermarschiert ist.

Der Zeuge Gi., früher Kreisfeuerwehrführer der Landkreise Memel und Heydekrug, will am 22.6.1941 schon gegen 12 Uhr nach Überfahren der Grenze mit dem PKW bis an die Ortschaft Garsden herangefahren, dann aber von einem deutschen Soldaten mit den Worten "aus der Mühle links der Strasse schiessen noch Juden" zur Umkehr veranlasst worden sein. Auf der Rückfahrt habe er dann links der Strasse etwa 20 Juden gesehen, welche von Soldaten mit Stahlhelmen bewacht worden seien. Seine Aussagen sind aber nicht glaubhaft. Abgesehen davon, dass er im Vorverfahren von der nicht unwichtigen Äusserung des Soldaten nichts erwähnt und nur davon gesprochen hat, es sei vermutet worden, es haben sich russische Soldaten in Garsden eingenistet und dass er auch sonst keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, werden seine Aussagen durch die der oben angeführten Zeugen widerlegt.

Nach den ersten Aussagen des Zeugen Wu., früher Angehöriger einer Pioniereinheit, in der Hauptverhandlung vom 2.7.1958, sei am 22.6.1941 schon morgens zwischen 7 und 8 Uhr der Kampf um Garsden beendet gewesen. Gegen 9.30 Uhr habe er dann den Befehl erhalten, mit 2 oder 3 Mann über die Minge vorzugehen. Dabei habe er auf eine Entfernung von 100-200 m auf einer leichten Anhöhe links der Strasse Einwohner gesehen, welche von SS oder SD mit Schirmmützen bewacht worden seien. Auf seine Frage an den Unteroffizier von einem Beerdigungskommando, wer denn Widerstand geleistet habe, habe dieser geantwortet "die Zivilbevölkerung" und dabei auf die gefangenen Einwohner gezeigt. Bei seiner 2. Vernehmung am 3.7.1958 hielt er nach Gegenüberstellung mit den Zeugen Hof. und Sa. seine bisherigen Aussagen mit der Einschränkung aufrecht, dass möglicherweise der Kampf um Garsden nicht schon um 7 Uhr morgens, sondern einige Stunden später beendet gewesen sei, die Häuser haben auch nicht mehr richtig gebrannt, sondern nur noch geschwelt. Nach den glaubwürdigen Aussagen der Zeugen Hof. und Sep. haben aber die Häuser von Garsden am 22.6.1941 erst zwischen 10 und 11 Uhr vormittags zu brennen begonnen.

Die Aussagen des Zeugen Wu. sind nicht geeignet, die bestimmten Aussagen der Zeugen Fl., Mi. und Hof. zu erschüttern, wonach am Vormittag des 22.6.1941 der Kampf um Garsden noch getobt hat und erst gegen 15 Uhr beendet gewesen ist. Auch der Zeuge Sa. hat ausgesagt, das wisse er ganz bestimmt, dass der Kampf um Garsden erst am Nachmittag des 22.6.1941 beendet gewesen sei. Der Zeuge Wu. unterliegt einer offensichtlichen Täuschung. Was von seinen Aussagen zu halten ist, ergibt sich auch daraus, dass nach seiner Vernehmung der auf seine Veranlassung hin zum Beweis für die Richtigkeit seiner Aussagen geladene Zeuge Fr., der nach den Aussagen des Zeugen Wu. am Kampftag bei ihm gewesen sein soll, glaubhaft bekundet hat, er sei zwar im letzten Krieg mit Wu. zusammen eine Zeitlang bei der gleichen Pioniereinheit, aber nie im Osten gewesen.

Der Zeuge Böt. ist Leiter des Hauptzollamts Memel gewesen. Nach seinen Bekundungen ist er am 22.6.1941 abends - später hat er nachmittags angegeben - zusammen mit dem Zeugen Pa. nach Laugallen gefahren. Dabei will er gesehen haben, dass etwa 100 Juden an der Grenze, und zwar an der Strasse, von 2 Beamten der Zollaufsichtsstelle Laugallen bewacht worden seien. Obwohl er auf Vorhalt die Möglichkeit zugegeben hat, dass er unter Umständen den 22. mit dem 23.6.1941 verwechsle, ist er doch nach der Vernehmung des Zeugen Pa. dabeigeblieben, dass er seines Erinnerns mit dem Zeugen Pa. schon am 22.6.1941 in Laugallen bezw. in Garsden gewesen sei. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts täuscht sich dieser Zeuge offensichtlich im Datum. Jedenfalls sind seine Bekundungen keinesfalls geeignet, die bestimmten Aussagen der Zeugen Hof., Mi., Sep., Fl., Br., Si. und Pa. zu erschüttern.

Die Angaben der Angeklagten, die Einwohner von Garsden, insbesondere die jüdischen Einwohner, seien von den deutschen Truppen wegen Beteiligung am Kampf bezw. wegen Heckenschützentätigkeit festgenommen worden, sind auch noch aus anderen Gründen unglaubhaft.

Wenn die jüdische Bevölkerung in diesem Ausmass der deutschen Truppe Widerstand geleistet hätte, so wäre dies bei der damaligen Einstellung der NSDAP gegen die Juden in allen deutschen Zeitungen propagandistisch ganz gross verwertet worden. Auch die Wehrmacht hätte diesen Vorfall zur Belehrung der Truppe benützt. Vor allem hätte der Angekl. Fischer-Schweder es sich nicht entgehen lassen, dem Angekl. Schmidt-Hammer den Befehl zu erteilen, jeweils in der Erschiessungsformel konkrete Angaben über das völkerrechtswidrige, heimtückische Verhalten der Gefangenen vor Erteilung des Feuerbefehls zu machen; denn die tatsächlich vom Angeklagten Schmidt-Hammer jeweils abgegebene, im Grunde genommen nichtssagende Erklärung: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen", spricht gegen das von den Angeklagten behauptete angeblich völkerrechtswidrige Verhalten der Gefangenen.

Die Unwahrhaftigkeit der Angaben der Angeklagten ergibt sich insbesondere aber auch aus ihren Widersprüchen.

Nach den Angaben der Angeklagten Böhme und Kreuzmann soll Dr. Frohwann vom GPK Memel am Vormittag oder am frühen Nachmittag des 22.6.1941 fernschriftlich die Gefangennahme der Einwohner durch die Wehrmacht wegen Widerstands gemeldet haben.

Nach den Angaben des Angekl. Fischer-Schweder habe ihm am Vormittag oder am Nachmittag des 22.6.1941 ein Oberleutnant der Wehrmacht die Gefangennahme der Einwohner wegen Widerstands gemeldet haben.

Nach den Angaben des Angekl. Sakuth wiederum seien die Zivilisten am 23.6.1941 von der Wehrmacht festgenommen worden, weil sie am frühen Morgen dieses Tages auf durchziehende deutsche Truppen geschossen haben. Er sei mit Dr. Frohwann vom GPK Memel am 23.6.1941 gegen 9.45 Uhr in Garsden angekommen. Dort habe dann ein Oberleutnant der Wehrmacht, welcher den rechten Arm in der Schlinge getragen und sich unter dem Namen "Schlevogt" vorgestellt habe, dies berichtet.

Der Angekl. Schmidt-Hammer wiederum spricht von Heckenschützentätigkeit der Zivilisten und von einem Überfall auf einen Sanitätskraftwagen.

Die Angaben des Angekl. Böhme sind schon deshalb unglaubwürdig, weil nach den insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen Krumbach schon am frühen Morgen des 22.6.1941 durch Bombenwurf der elektrische Strom und damit bis zum Abend der ganze Fernschreibeverkehr in Tilsit ausgefallen war. Es kann also weder Dr. Frohwann die Gefangennahme der Zivilisten am Vormittag oder am Nachmittag des 22.6.1941 fernschriftlich gemeldet, noch der Angekl. Böhme sich mit dem Inspekteur der Sicherheitspolizei in Königsberg wegen dieser Gefangennahme an diesem Tag fernschriftlich ins Benehmen gesetzt haben, wie der Angekl. Böhme dies behauptet.

Nach den Angaben des Angekl. Sakuth kann Dr. Frohwann deshalb nicht das Fernschreiben über die Gefangennahme der Einwohner von Garsden am 22.6.1941 an die Stapo Tilsit abgesandt haben, weil er den ganzen Tag über bis um Mitternacht mit Dr. Frohwann zusammengewesen sei und zwar zuerst auf der Dienststelle in Memel, dann auf einer gemeinsamen Autofahrt nach Bajohren und schliesslich in einer Gaststätte. Dr. Frohwann, mit dem er sehr gut gestanden sei, habe ihm dann erst am 23.6.1941 morgens gegen 8 Uhr davon erzählt, dass sich in Garsden eine "Schweinerei" ereignet habe. Er habe ihn dann gefragt, ob er mit ihm nach Garsden fahren wolle, was er dann auch gemacht habe.

Wenn die Angaben des Angekl. Böhme richtig wären, dann hätte er nach der Überzeugung des Schwurgerichts davon auch dem Angekl. Hersmann Mitteilung gemacht, mit dem er am Nachmittag des 22.6.1941 eine Autofahrt in Richtung Tauroggen gemacht hat, wie der Angekl. Hersmann durchaus glaubwürdig angegeben und der Angekl. Böhme auch zugegeben hat.

Wenn die Angaben des Angekl. Böhme richtig wären, dann wäre es mehr wie merkwürdig, dass er in Gegenwart des Angekl. Hersmann bei der Besprechung mit Dr. Stahlecker am Abend bezw. in der Nacht des 22.6.1941 von der Gefangennahme dieser Zivilisten nicht gesprochen, sondern ihm erst am andern Vormittag davon Mitteilung gemacht hat. Wären schon am 22.6.1941 tatsächlich Einwohner von Garsden festgenommen worden, so hätte nach der Überzeugung des Schwurgerichts der Angekl. Sakuth hievon auch sofort durch Dr. Frohwann Kenntnis bekommen und als Untergebener des Angekl. Hersmann bei seinem bezeugten Pflichteifer diesem hievon Mitteilung gemacht. Der Angekl. Hersmann hat aber durchaus glaubhaft angegeben, dass er erst am 23.6.1941 von dem Angekl. Böhme von der erfolgten Gefangennahme Mitteilung bekommen habe, wobei er in der Hauptverhandlung es so dargestellt hat, als ob Böhme ihm gesagt habe, die Wehrmacht habe Zivilpersonen festgenommen, weil diese auf durchziehende Truppen geschossen haben und nicht etwa, weil sie beim Angriff der deutschen Truppen am 22.6.1941 Widerstand geleistet haben.

Die Angaben des Angekl. Fischer-Schweder verdienen schon deshalb keinen Glauben, weil er sie wiederholt gewechselt hat. Er hat bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 2.5.1956 als erster behauptet, ein Oberleutnant des Heeres sei zusammen mit Kreisleiter Gr. zu ihm gekommen und habe gemeldet, sein Regiment sei in ein verheerendes Feuer geraten. Das Dorf sei nur von Juden bewohnt. Er habe zu der Besprechung Major Gü., Hauptmann Schw. und Polizeirat Ste. zugezogen. Seine Behauptung im Vorverfahren, der Kreisleiter Gr. habe ihn zusammen mit dem Wehrmachtsoffizier aufgesucht, hat er nach der Vernehmung des Zeugen Gr. fallen lassen. In der Hauptverhandlung hat er weiterhin angegeben, er habe von der Anwesenheit der Juden in Garsden in der Zeit vom 22. - 24.6.1941 überhaupt keine Kenntnis gehabt. Den Angaben des Angekl. Fischer-Schweder stehen wiederum die Aussagen des Zeugen Schw. entgegen, wonach dieser von der angeblich stattgefundenen Besprechung mit dem Wehrmachtsoffizier überhaupt nichts weiss.

Die weiteren Angaben des Angekl. Fischer-Schweder, es sei ein Fernschreiben vom BdO Königsberg, möglicherweise vom BdS Königsberg oder vom Höheren SS- und Polizeiführer Königsberg oder gar vom RSHA wegen der Abstellung eines Exekutionskommandos von der Schutzpolizei Memel gekommen, sind ebenfalls nicht glaubhaft und als leeres Verteidigungsvorbringen zu werten. Diese Feststellungen stehen auch nicht in Widerspruch mit den Aussagen des Zeugen Schw., die ohnedies mit Vorsicht zu werten sind, da der Zeuge vielfach keine klare Antwort gegeben hat. Der Zeuge Schw. will sich nur noch daran erinnern können, dass ein Fernschreiben gebracht worden sei, wobei er die Möglichkeit offen gelassen hat, dass der Absender dieses Fernschreibens die Stapo Tilsit gewesen sei. Der Angekl. Schmidt-Hammer, welcher zur damaligen Zeit die Adjutantengeschäfte versehen hat, weiss von einem Fernschreiben überhaupt nichts. Major Gü. hat bei seiner polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren von einem Fernschreiben nichts erwähnt. Nach den Aussagen des Zeugen Schw. soll in diesem Fernschreiben nur von der Abstellung eines Zuges der Schutzpolizei die Rede gewesen sein, ohne dass der Zweck für die Abstellung angegeben gewesen sei, wie dies der Angekl. Fischer-Schweder in der Hauptverhandlung entgegen seinen früheren Angaben im Vorverfahren behauptet hat. Die Angaben des Angekl. Fischer-Schweder werden im übrigen auch widerlegt durch die glaubwürdigen Aussagen der Zeugen Dr. Al., damals Leiter der Stapo-Leitstelle Königsberg und Stellvertreter des Inspekteurs der Sicherheitspolizei Königsberg, Fra. (inzwischen gestorben), früher Generalmajor der Ordnungspolizei und von Ende August 1941 ab als BdO in Königsberg tätig, Je., General der Ordnungspolizei, welcher bis Ende August 1941 die Geschäfte des BdO in Königsberg geführt hat und Ste., früher Leiter der Abt. II der Polizeidirektion Memel und Bruder des verstorbenen Polizeirats Ste. Diese Zeugen wissen von dem fraglichen Fernschreiben nichts. Abgesehen davon hat es bei dem BdO in Königsberg auch keine Fernschreibstelle gegeben. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts ist entgegen der Behauptung des Angekl. Fischer-Schweder kein Fernschreiben von den genannten Stellen, nämlich vom BdO Königsberg oder vom BdS Königsberg oder vom Höheren SS- und Polizeiführer Königsberg oder vom RSHA eingegangen. Es handelt sich vielmehr nach der Überzeugung des Schwurgerichts um das Fernschreiben, welches der Angekl. Böhme Dr. Frohwann auf dessen Vollzugsmeldung über die Gefangennahme an diesen mit dem Auftrag abgesandt hat, die Erschiessung der Gefangenen vorzubereiten und den Angekl. Fischer-Schweder um die Abstellung eines Schupo-Kommandos für den Absperrdienst bei der Erschiessung zu bitten.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts ist auch nur aus Tarnungsgründen das Gerücht von dem angeblichen Widerstand seitens der Zivilbevölkerung bezw. von deren Heckenschützentätigkeit von den Angeklagten auf Veranlassung der Angeklagten Böhme und Hersmann ausgestreut worden, weil sich die Beteiligten damals noch gescheut haben, den wahren Grund für die Vernichtung der Juden und Kommunisten in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Dies ergibt sich aus den Bekundungen der Zeugen Ju. und Krumbach. Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Ju., damals Kraftfahrer beim SD Tilsit, ist erst nachträglich von einem Überfall auf deutsche Truppen gesprochen worden. Der Zeuge Krumbach ist nach seinen glaubwürdigen Bekundungen am 23.6.1941 mit dem Zeugen Ilges nach Insterburg gefahren, um befehlsgemäss Heydrich abzuholen. Mit Heydrich und dessen Adjutanten Staudinger sind sie dann nach Gumbinnen gefahren und erst am 24.6.1941 zwischen 6 und 7 Uhr in der Frühe nach Tilsit zurückgekommen. Der Zeuge Krumbach ist dann mit Erlaubnis des Zeugen Ilges sofort nach Hause gegangen und erst zwischen 11 und 11.30 Uhr bei der Dienststelle erschienen, wo er von der Abfahrt des Kommandos unterrichtet worden ist. Er hat dann nach seinen Bekundungen erst am andern Morgen (25.6.1941) von seinen inzwischen zurückgekehrten Kameraden erfahren, dass in Garsden Juden und Kommunisten erschossen worden seien. Keine Rede sei dabei von Widerstand oder Heckenschützentätigkeit seitens der Hingerichteten gewesen. Es sei vielmehr von einer vorbeugenden Sicherungsmassnahme gesprochen worden, wobei die Kameraden sich gegenseitig Mut zugesprochen und sich dahin geäussert haben: "Menschenskinder! Verflucht noch mal! Eine Generation muss dies halt durchstehen, damit unsere Kinder dann Ruhe haben!"

Die Scheu, den wahren Grund für die Erschiessungen anzugeben und die Absicht, die Erschiessungen zu tarnen, ergibt sich auch aus der Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2), in welcher als Grund für die Erschiessung der 201 Personen in Garsden angegeben ist: "In Garsden unterstützte die jüdische Bevölkerung die russische Grenzwacht bei der Abwehr der deutschen Angriffe." Für die nachfolgenden Erschiessungen in Krottingen und Polangen wurde als Grund angegeben, dass nach der Besetzung ein Offizier und 2 Quartiermacher in Krottingen und 1 Offizier in Polangen von der Bevölkerung heimtückisch erschossen worden seien. In dieser Ereignismeldung ist dann noch wörtlich angeführt: "Bei allen 3 Grosseinsätzen vorwiegend Juden liquidiert. Es befanden sich darunter jedoch auch bolschewistische Funktionäre und Heckenschützen, die zum Teil als solche von der Wehrmacht der Sicherheitspolizei übergeben waren." Bezeichnend ist, dass, wovon später noch die Rede sein wird, im ganzen Vorverfahren von keinem der Angeklagten behauptet worden ist, dass in Krottingen und Polangen deutsche Offiziere heimtückisch getötet und deshalb die Erschiessungen eingeleitet worden seien. Erst nachdem der Verteidiger des Angekl. Böhme auf Grund seiner Einsicht in die Ereignismeldungen in der Hauptverhandlung die näheren Ausführungen in der Ereignismeldung zur Sprache gebracht hat, haben sich auch die Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Hersmann zu ihrer Verteidigung auf die angebliche heimtückische Erschiessung der deutschen Offiziere berufen.

Dass in den ersten Berichten über die Erschiessungen der Juden und Kommunisten die Gründe noch vorgetäuscht worden sind, geht auch aus den Aussagen des Zeugen Nos., des früheren Einsatzkommandoführers bei der Einsatzgruppe D (Ohlendorf) hervor. Dabei sind aber nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Dr. Kno., der von Oktober 1941 bis November 1941 die Ereignismeldungen beim Amt IV A des RSHA auf Grund der eingegangenen Berichte der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos zusammengestellt hat, nicht nachträglich Gründe für die Erschiessungen beim RSHA eingeschoben, vielmehr die in den Berichten genannten Gründe in die Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD übernommen worden.

3. Die 3 Erlasse A-C und die Besprechung mit Dr. Stahlecker

a. Geheimerlasse

Die Angaben des Angekl. Böhme über den Empfang, den Inhalt und die Bekanntgabe von 3 Geheimerlassen des RSHA, die er in der Hauptverhandlung der Einfachheit halber als Erlasse A, B und C bezeichnet hat, lassen sich nicht widerlegen.

Unwiderlegbar ist daher seine Behauptung, dass er den Erlass A über die Grenzsperre bezw. -kontrolle für den Fall Barbarossa (Kriegsbeginn mit Russland) schon mehrere Tage vor Beginn des Russlandfeldzugs und den Erlass B betreffend die Organisation, Gliederung und Bereiche der Einsatzgruppen mit Namensnennung der einzelnen Führer ebenfalls schon einige Tage vor Kriegsbeginn besessen und dass er beide Erlasse am Samstag, den 21.6.1941, also am Tag vor Beginn des Russlandfeldzugs, bei einer Dienstbesprechung in Tilsit mit den Abteilungsleitern der Stapo Tilsit, mit den Leitern der Grenzpolizeikommissariate sowie mit den Postenführern der einzelnen GP-Posten bekanntgegeben habe, ohne aber auf die Aufgaben der Einsatzgruppen einzugehen, und dass diese wiederum ihre Untergebenen hievon unterrichtet haben. Der Angekl. Kreuzmann will an dieser Dienstbesprechung nicht teilgenommen haben, mindestens will er sich an sie nicht mehr erinnern, und auch der Angekl. Harms will sich an diese Dienstbesprechung nicht mehr erinnern können. Dass aber diese Dienstbesprechung stattgefunden hat, wird vom Angekl. Carsten sowie von den Zeugen Mo. und Krumbach bestätigt, wobei der Zeuge Krumbach die Angaben des Angekl. Böhme auch insoweit bestätigt hat, dass nach seinen Bekundungen sämtliche Abteilungsleiter der Stapo Tilsit sowie die Leiter der Grenzpolizeikommissariate und die Führer der GP-Posten, somit nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch die Angeklagten Kreuzmann und Harms daran teilgenommen haben. Wenn sich die Angeklagten und die genannten Zeugen nicht mehr an die Einzelheiten dieser Besprechung erinnern können, ist dies nach der langen Zeit nicht verwunderlich.

Unwiderlegbar ist ferner die Behauptung des Angekl. Böhme, dass er den Erlass C - eine Geheime Kommandosache - betreffend die Sonderbehandlung der Juden und Kommunisten erst kurz vor Kriegsbeginn erhalten, ihn im Panzerschrank verwahrt und von seinem Inhalt erst am Sonntag, den 22.6.1941 Kenntnis genommen habe. Es ist ihm und den anderen Angeklagten der Stapo Tilsit nicht zu widerlegen, dass er an diesem Tag den Stapo-Angehörigen noch keine Mitteilung von den in diesem Erlass genannten Sonderbehandlungsmassnahmen gegen die Juden und Kommunisten gegeben hat. Dies stimmt auch mit den Angaben des Angekl. Hersmann überein, wonach ihm der Angekl. Böhme bei der gemeinsamen Fahrt am Nachmittag des 22.6.1941 in Richtung Tauroggen noch keine Mitteilung über die Aufgaben der Einsatzgruppen, insbesondere über die Sonderbehandlung der Juden und Kommunisten, gemacht habe.

b. Stahlecker-Besprechung

Unwiderlegbar sind ferner die Behauptungen der Angeklagten Böhme, Kreuzmann und Hersmann, dass am 22.6.1941 gegen 20 Uhr der SS-Brigadeführer und Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, welcher von Pretzsch aus seiner Einsatzgruppe vorausgeeilt sei, um sich bei der Heeresgruppe Nord zu melden, bei der Dienststelle der Stapo Tilsit erschienen sei.

Unwiderlegbar sind insbesondere die Angaben der 3 Angeklagten, dass Dr. Stahlecker unter Hinweis auf seine Sondervollmachten zuerst mit dem Angekl. Böhme in Abwesenheit des Angekl. Hersmann die Lage besprochen und ihm den Auftrag erteilt hat, mit den Angehörigen seines Stapo-Abschnitts in dem etwa 25 km breiten, ostwärts der damaligen Reichsgrenze auf litauischem Gebiet gelegenen Grenzstreifen die Sonderbehandlung sämtlicher Juden einschliesslich der Frauen und Kinder sowie der kommunistenverdächtigen Litauer durchzuführen. Unwiderlegbar ist ferner deren Behauptung, dass auf den Einwand des Angekl. Böhme, er habe gar nicht soviel Leute, um diese Massnahmen durchzuführen, auch der Angekl. Hersmann zugezogen worden ist und dass ihm dann von Dr. Stahlecker der Auftrag erteilt worden ist, mit seinen Leuten bei der Durchführung der Sondermassnahmen in dem Grenzstreifen mitzuwirken.

Dass während dieser Besprechung, vor allem bei der Auftragserteilung, auch der Angekl. Kreuzmann zugegen gewesen ist, hat nicht nur der Angekl. Böhme angegeben, sondern auch der Angekl. Kreuzmann zugegeben.

Nicht widerlegt werden kann ferner das Vorbringen der Angeklagten Böhme und Hersmann, sie haben zunächst versucht, sich dadurch um die Durchführung des Auftrags zu drücken, dass sie eingewendet haben, sie haben nicht genügend Leute für die Durchführung der Massnahme zur Verfügung, dass dies aber Dr. Stahlecker nicht habe gelten lassen und mit dem Hinweis, es handle sich um einen Führerbefehl, verlangt habe, dass die Massnahmen sofort durchgeführt werden müssen, weil die Bevölkerung jetzt noch dafür Verständnis habe. Nicht widerlegt werden kann ihnen auch ihre weitere Behauptung, Dr. Stahlecker habe sie auch darauf aufmerksam gemacht, dass sie möglicherweise bei dem Polizeidirektor von Memel, dem Angekl. Fischer-Schweder, den Dr. Stahlecker aus der Zeit von dessen Tätigkeit bei der Gestapo in Liegnitz und Wien her gekannt hat, Unterstützung finden können, und dass er ihnen auch empfohlen habe, sich der litauischen Selbstschutzkräfte zu bedienen und durch diese Pogrome durchführen zu lassen. Auch die Behauptungen der Angeklagten Böhme, Hersmann und Kreuzmann können nicht widerlegt werden, dass der Angekl. Böhme schliesslich Dr. Stahlecker um die Bestätigung seines Befehls durch das RSHA gebeten habe, dass daraufhin Dr. Stahlecker den Text für ein Blitzfernschreiben an das RSHA aufgesetzt habe, dass das Blitzfernschreiben sofort abgegangen und in der Frühe des 23.6.1941 die Bestätigung eingegangen sei. Dieses Vorbringen wird auch gestützt durch die Ereignismeldung UdSSR Nr.6 vom 27.6.1941 S.6 (Bew.St.9b), in welcher ausgeführt ist: "Stapo Tilsit nimmt in einem Grenzstreifen von 25 km Säuberungsaktionen von Heckenschützen pp. vor" und durch die Ereignismeldung UdSSR Nr.11 vom 3.7.1941 (Bew.St.9d), in welcher auf Seite 7 wörtlich ausgeführt ist: "Um den Einsatzgruppen und -kommandos grösstmöglichste Bewegungsfreiheit zu erhalten, wurde dem BdS in Krakau, den Stapo-Stellen Tilsit und Allenstein Genehmigung erteilt, durch zusätzliche vorübergehend wirkende EKs (Einsatzkommandos) die ihren Grenzabschnitten gegenüberliegenden neubesetzten Gebiete sicherheitspolizeilich zu bearbeiten und zu säubern. ..... Verbindungsaufnahme mit Einsatzgruppen zwecks einheitlicher Ausrichtung der Tätigkeit befohlen."

Unwahr dagegen sind nach der Überzeugung des Schwurgerichts die Behauptungen der Angeklagten Böhme und Kreuzmann, dass zur Zeit dieser Besprechung mit Dr. Stahlecker Einwohner von Garsden wegen Widerstands von der Wehrmacht festgenommen gewesen seien und dass Dr. Stahlecker auf die Mitteilung des Angekl. Böhme, diese Gefangenen seien der Stapo übergeben worden, den Befehl gegeben habe, sämtliche Gefangenen zu erschiessen. Insoweit handelt es sich um ein leeres Verteidigungsvorbringen der Angekl. Böhme und Kreuzmann. Dass seitens der Zivilbevölkerung von Garsden am 22.6.1941 der deutschen Truppe kein Widerstand geleistet worden ist, und dass daher die Truppe auch keine Einwohner gefangengenommen hat, dass vielmehr erst am Vormittag des 23.6.1941 auf Grund und im Rahmen des von Dr. Stahlecker den Angeklagten Böhme und Hersmann am Abend bezw. in der Nacht des 22.6.1941 erteilten Befehls die jüdischen Einwohner sowie die kommunistenverdächtigen Litauer von Garsden durch Angehörige des GPK Memel gefangengenommen worden sind, ist oben unter Ziff.2 schon eingehend ausgeführt worden. Hierauf wird Bezug genommen.

4. Ereignismeldungen UdSSR, Stahlecker-Berichte und andere Urkunden

a. Das Schwurgericht ist überzeugt, dass am 24.6.1941 in Garsden insgesamt 201 Personen, darunter 1 Frau, getötet worden sind, wie dies die Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2) ausweist.

Diese Zahl ist auch von dem Angekl. Böhme als wohl zutreffend anerkannt worden. Auch die Zeugen Ke., Sc., Pap., Mö., Gerke, Br. und Gr. haben die Zahl der Opfer auf etwa 200 geschätzt. Der Angekl. Sakuth will sich an die Zahl der Erschossenen nicht mehr erinnern können, während der Angekl. Kreuzmann deshalb keine Angaben will machen können, weil er an der Erschiessung nicht teilgenommen habe. Die übrigen Angeklagten geben teils geringere Zahlenwerte an, teils lassen sie die Zahl offen, wie der Angekl. Schmidt-Hammer. Dieser hat in der Hauptverhandlung angegeben, er habe bei der Abfahrt nach Garsden nicht mit einer so grossen Zahl gerechnet, während er im Vorverfahren Zahlen von 40-50 und dann von 60-80 genannt hat. Das Schwurgericht hat jedenfalls keine Veranlassung gehabt, von der Richtigkeit der in der Ereignismeldung genannten Zahl nicht überzeugt zu sein.

b. Das gleiche gilt, um dies vorweg zu nehmen, hinsichtlich der Zahlenangaben der getöteten Personen in den anderen für dieses Strafverfahren in Frage kommenden Ereignismeldungen, welche insoweit auch immer verlesen und als Beweismittel verwertet worden sind.

Der Angekl. Böhme hat glaubhaft angegeben, er habe jeweils die richtigen Zahlen der Erschossenen an das Amt IV des RSHA gemeldet. Er habe gar keine Veranlassung gehabt, falsche Zahlenangaben zu machen. Der Angekl. Hersmann hat ebenfalls glaubwürdig angegeben, er habe jeweils die richtige Zahl gemeldet und er habe, um sicher zu gehen, jeweils seine Zahlen mit denen der Stapo Tilsit verglichen, bevor er sie an das Amt III des RSHA gemeldet habe. Da die Übermittlung der Berichte im Reich, nämlich von Tilsit nach Berlin, stattgefunden hat, war die Gefahr einer versehentlichen Fehlmeldung nach der Ansicht des Gerichts mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, zumal die Meldungen von der Stapo Tilsit und dem SD Tilsit je gesondert an 2 verschiedene Ämter des RSHA gegangen sind. Nach den Bekundungen der Zeugen Fum., welcher im Amt IV A des RSHA eine Zeitlang die Ereignismeldungen UdSSR zusammengestellt hat, Lin., früher im Amt IV A 1 des RSHA tätig, und Dr. Kno., welcher nach Fum. von Oktober 1941 bis November 1941 im Amt IV A die Ereignismeldungen zusammengestellt hat, besteht auch keine Veranlassung zu der Annahme, dass beim RSHA bei der Zusammenstellung der Ereignismeldungen UdSSR auf Grund der eingegangenen Berichte der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos noch nachträglich Änderungen, d.h. Fälschungen, vorgenommen worden sind.

Der Angekl. Böhme hat von sich aus bei seiner ersten Vernehmung im Ermittlungsverfahren die Gesamtzahl der vom Einsatzkommando Tilsit Getöteten mit 6000 beziffert. Er hat dann allerdings später seine Angaben wieder etwas eingeschränkt mit der Behauptung, er sei von falschen Erwägungen ausgegangen. Immerhin geht aus der Tatsache, dass der Angekl. Böhme bei seiner ersten Vernehmung die Zahl der Getöteten nach seiner Erinnerung mit 6000 angegeben hat, soviel hervor, dass es sich um eine sehr hohe Zahl handeln muss. Das Schwurgericht hat, soweit in den Ereignismeldungen die einzelnen Erschiessungsorte mit den jeweiligen Zahlen der Erschossenen angeführt sind, diese Zahlen auch seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Dies war anfangs des Russlandfeldzuges der Fall. In den späteren Ereignismeldungen sind keine Einzelaufstellungen mehr angegeben. Das Schwurgericht hat deshalb in diesen Fällen nur die auf Grund der Angaben der Angeklagten und auf Grund der Äusserungen der Zeugen als erwiesen erachteten Zahlen seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Das gleiche gilt bezüglich der in dem Gesamtbericht bis zum 15.10.1941 des Führers der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, aufgeführten Zahl von 5502 Opfern (IMT Bd.37 S.703), welche bis zu diesem Zeitpunkt vom Einsatzkommando Tilsit getötet worden sein sollen.

c. Die bei den Akten befindlichen Ereignismeldungen sind Fotokopien von den Ereignismeldungen, welche seitens der alliierten Streitkräfte vorgefunden und beschlagnahmt worden sind. Nach den Bekundungen der obengenannten Zeugen Fum., Lin. und Dr. Kno. stimmen diese Fotokopien in Form, Umfang und Art mit den Originalereignismeldungen überein. Zweifel sind auch nicht von den Angeklagten geltend gemacht worden. Es liegen auch nach der Überzeugung des Schwurgerichts keine Anhaltspunkte vor, die Bedenken in der Richtung aufkommen lassen können, dass die Fotokopien nicht mit den Originalmeldungen übereinstimmen und dass letztere nicht richtig sind. Auch die Echtheit des Gesamtberichts des Dr. Stahlecker bis zum 15.10.1941 und seines undatierten Berichts sowie deren zutreffende Wiedergaben in IMT Bd.37 S.670-717 (Gesamtbericht bis 15.10.1941) bezw. Bd.30 S.71-80 (undatierter Bericht) sind von keinem der Prozessbeteiligten bezweifelt worden. Das Gericht ist überzeugt, dass die Originale echt und die Wiedergaben in IMT Bd.37 und 30 richtig erfolgt sind. Dasselbe gilt hinsichtlich der übrigen im Einverständnis aller Prozessbeteiligten verlesenen und im Urteil eingangs erwähnten Urkunden, vor allem auch der protokollierten Aussagen der im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militär Tribunal (IMT) vernommenen, aber heute nicht mehr lebenden Personen.

5. Die Mitwirkung der Angeklagten bei der Erschiessung in Garsden

Die Angeklagten Böhme, Hersmann, Fischer-Schweder, Schmidt-Hammer, Harms, Behrendt und Sakuth haben ihre Anwesenheit und bis auf den Angekl. Sakuth auch ihre Mitwirkung bei der Erschiessung in Garsden zugegeben. Nur der Angekl. Kreuzmann hat geleugnet, sowohl bei dieser als auch bei anderen Erschiessungen am Erschiessungsort anwesend gewesen zu sein und bei den Vorbereitungshandlungen zu den Erschiessungen unterstützend mitgewirkt zu haben.

a. Der Angekl. Böhme hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Er hat jedoch behauptet, die Einwohner von Garsden seien von der Wehrmacht am 22.6.1941 wegen Widerstands festgenommen und der Stapo übergeben worden. Es habe sich also bei dieser Erschiessung in erster Linie um eine Straf- bezw. Vergeltungsmassnahme gehandelt.

Dass dieses Vorbringen unwahr ist und dass er die Opfer allein auf Grund und im Rahmen des ihm von Dr. Stahlecker am Abend des 22.6.1941 erteilten Befehls, zusammen mit dem Angekl. Hersmann im Grenzstreifen die Säuberungsaktion durchzuführen, nach vorheriger Rücksprache mit dem Angekl. Hersmann durch das GPK Memel, möglicherweise im Verein mit dem GPP Laugallen am Vormittag des 23.6.1941 hat festnehmen lassen, ist oben unter Ziff.2 eingehend ausgeführt worden. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

Das Schwurgericht ist aber überzeugt, dass der Angekl. Böhme gleichzeitig mit der Befehlserteilung an Dr. Frohwann, die Festnahmen durchzuführen, diesen auch in vollem Umfang über den dem Stapo- und dem SD-Abschnitt Tilsit durch Dr. Stahlecker zugewiesenen neuen Aufgabenkreis im Grenzstreifen sowie über die Tarnung fernschriftlich oder fernmündlich unterrichtet hat. Dies entspricht auch allein der Sachlage; denn wenn er, wie noch auszuführen ist, am Vormittag des 24.6.1941 die Angehörigen der Stapo-Dienststelle Tilsit in vollem Umfang unterrichtet hat, so ist auch anzunehmen, dass er Dr. Frohwann bei der Befehlserteilung zur Festnahme der Juden und Kommunisten in vollem Umfang in den Aufgabenkreis eingewiesen hat.

Das Schwurgericht ist aber weiterhin überzeugt, dass Dr. Frohwann vor der Abfahrt zur Festnahme der Opfer auch die Angehörigen des GPK Memel, so auch den Angekl. Behrendt und weiterhin den Angekl. Sakuth, in alles eingeweiht hat. Bei Sakuth ist dies schon deshalb nach der Ansicht des Schwurgerichts der Fall, weil dieser, wie er selbst zugegeben hat, am Vormittag des 23.6.1941 mit nach Garsden gefahren ist und zu Dr. Frohwann in einem guten Verhältnis gestanden ist. Der Angekl. Behrendt hat auch im Vorverfahren die Möglichkeit zugegeben, dass Dr. Frohwann bei einer am 23.6.1941 erfolgten Dienstbesprechung auf die kommenden Massnahmen gegen die Juden hingewiesen hat, wovon er allerdings in der Hauptverhandlung nichts mehr hat wissen wollen.

Das Schwurgericht ist weiterhin überzeugt, dass der Angekl. Böhme spätestens am Vormittag des 24.6.1941 vor der gegen 11 Uhr erfolgten Abfahrt zu der Erschiessung in Garsden alle seine Beamten von der Dienststelle Tilsit, soweit sie anwesend gewesen sind und insbesondere die von ihm für die Teilnahme an der Erschiessung bestimmten Beamten in vollem Umfang darüber unterrichtet hat, dass in dem 25 km breiten Grenzstreifen sämtliche Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sowie die kommunistenverdächtigen Litauer zu liquidieren seien. Dies ergibt sich schon aus seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung, nach denen er vor der Abfahrt nach Garsden auf dem Flur vor seinem Dienstzimmer einen Dienstappell mit seinen Stapo-Beamten abgehalten habe. Bei diesem Appell habe er alle seine Beamten über die neue Art der Kriegsführung und "möglicherweise" über die in dem Grenzstreifen gegen die Juden und kommunistenverdächtigen Litauer durchzuführenden Sondermassnahmen unterrichtet. Dass er sie jedoch nicht nur möglicherweise, sondern nach der Überzeugung des Gerichts tatsächlich in vollem Umfang aufgeklärt hat, wie dies auch der Angekl. Hersmann nach seinen soweit glaubhaften Angaben schon am Nachmittag des 23.6.1941 gegenüber seinen SD-Leuten gemacht hat, entspricht auch durchaus der Sachlage.

Das geht auch aus den Bekundungen des Zeugen Krumbach hervor, der erst in der Frühe des 24.6.1941 zusammen mit dem Zeugen Ilges von Gumbinnen zurückgekehrt und an diesem Vormittag nicht im Dienst gewesen ist. Nach seinen glaubhaften Aussagen haben sich am Morgen des 25.6.1941 seine Kameraden von der Stapo Tilsit, darunter auch der Angekl. Kreuzmann, über die tags zuvor in Garsden erfolgte Erschiessung unterhalten und sich dahingehend ausgelassen: "Menschenskinder! Verflucht noch mal! Eine Generation muss dies halt machen, damit unsere Kinder dann Ruhe haben." Hieraus geht hervor, dass die Stapo-Beamten von Tilsit zuvor in den neuen Aufgabenkreis eingeweiht worden sind.

Dies ergibt sich ferner aus den insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen Ilges, dem früheren Stellvertreter des Angekl. Böhme, welcher durch Urteil des Schwurgerichts Köln vom 4.5.1957 wegen Beihilfe zum Mord in 2 Fällen - Juden- und Kommunistenerschiessungen in Augustowo - zu 4 Jahren Zuchthaus rechtskräftig verurteilt worden ist. Nach dessen Aussagen hat ihm der Angekl. Böhme am 24.6.1941 selbst erzählt, er habe alle Stapo-Beamten über die in dem Grenzstreifen durchzuführenden Liquidierungsmassnahmen unterrichtet. Das Verhältnis zwischen dem Zeugen Ilges und dem Angekl. Böhme ist, wie beide in der Hauptverhandlung angegeben haben, sehr gespannt gewesen. Dies sei dann nach den Bekundungen des Zeugen Ilges wohl der Grund dafür gewesen, dass er am 22.6.1941 abends zu der wichtigen Besprechung mit Dr. Stahlecker nicht zugezogen worden sei und darüber überhaupt nichts erfahren habe. Als er am 23.6.1941 mit dem Zeugen Krumbach auf den Flugplatz nach Insterburg gefahren sei, um Heydrich zu empfangen und ihn mit dem PKW nach Gumbinnen zu fahren, habe ihm der Angekl. Böhme nur kurz mitgeteilt, die Stapo Tilsit habe jetzt besondere Aufgaben zugewiesen bekommen, ohne aber diese näher zu bezeichnen. Als er nun nach Rückkehr von Gumbinnen am 24.6.1941 über das Treffen mit Heydrich und über ein inzwischen eingegangenes Fernschreiben, durch welches die Beschlagnahme eines Erholungsheims für die SS in Augustowo angeordnet worden sei, berichtet habe, habe ihn der Angekl. Böhme mit der Beschlagnahme beauftragt.

Gleichzeitig habe er ihm nunmehr mitgeteilt, dass ein Grenzstreifen von 25 km Breite durch die Stapo Tilsit politisch bereinigt werden müsse, d.h. dass alle politischen Gegner und die Juden zu liquidieren seien. Dabei habe er ausdrücklich erwähnt, er habe schon Besprechungen mit den Stapo-Beamten gehabt, so auch mit Kriminalkommissar Macholl vom GPK Sudauen, welcher für die Durchführung der Säuberungsaktionen im Suwalki-Gebiet verantwortlich sei und welcher ihm dann noch Näheres unterbreiten werde. Der Zeuge Ilges hat sich dann, wie er glaubhaft angegeben hat, entweder noch am 24. oder am 25.6.1941 mit den beiden Gestapo-Beamten Mittag und Sudau in das Suwalki-Gebiet zu Kriminalkommissar Macholl begeben.

Das Schwurgericht hat daher für erwiesen erachtet, dass auf Veranlassung des Angekl. Böhme der Angekl. Behrendt schon am 23.6.1941 durch Dr. Frohwann und die Angehörigen der Stapo Tilsit, so auch die Angeklagten Harms und Kreuzmann, am Vormittag des 24.6.1941 durch den Angekl. Böhme selbst in die Sondermassnahmen eingeweiht worden sind. Abgesehen davon ist der Angekl. Kreuzmann auch schon am Abend des 22.6.1941 in den neuen Aufgabenkreis eingeweiht worden, da er, wie er zugegeben hat, bei der Besprechung mit Dr. Stahlecker zugegen gewesen ist und eingeräumt hat, dass er dabei in Kenntnis gesetzt worden sei, dass die Juden und Kommunisten in einem bestimmten Grenzstreifen zu erschiessen seien.

Weiterhin ist gegen den Angekl. Böhme festzustellen, dass er das Schutzpolizeikommando Memel durch Dr. Frohwann bei dem Angekl. Fischer-Schweder hat fernschriftlich anfordern lassen. Es wurden dem Angekl. Böhme jedoch seine Angaben in der Hauptverhandlung, welche insoweit auch mit denen des Angekl. Fischer-Schweder übereingestimmt haben, nicht geglaubt, dass dieses Kommando von vornherein als Erschiessungskommando vorgesehen gewesen sei. Denn im Vorverfahren hat er angegeben, dass das Schupo-Kommando für Absperrdienste vorgesehen gewesen sei, und er habe auch gar nicht damit gerechnet, dass die Festgenommenen durch das Schupo-Kommando erschossen werden. Hiezu hat der Zeuge Wei. glaubhaft bekundet, der Angekl. Böhme habe auf wiederholt Fragen immer wieder ausgesagt, er sei überrascht gewesen, dass der Angekl. Fischer-Schweder in Garsden auf einmal zu ihm gesagt habe, er wolle die Erschiessung mit den Angehörigen des Schupo-Kommandos durchführen. Auch die Angaben des Angekl. Fischer-Schweder in der Hauptverhandlung stehen in Widerspruch mit denen im Vorverfahren. Im Vorverfahren hat er noch angegeben, dass in dem Fernschreiben nicht die Rede davon gewesen sei, welche Aufgaben die Schupo bei der Erschiessung habe. Die Angaben des Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung stehen auch in Widerspruch zu den Angaben des Angekl. Hersmann. Dieser hat durchaus glaubhaft angegeben, er habe zu der Erschiessung nach Garsden durch seine SD-Leute insgesamt 3 Karabiner und 10 Maschinenpistolen mitnehmen lassen, weil er davon ausgegangen sei, dass die Erschiessungen durch die Stapo- und SD-Angehörigen ausgeführt werden. Im übrigen hat der Angekl. Böhme im Laufe der Hauptverhandlung dann eingeräumt, er wisse jetzt tatsächlich nicht mehr, ob der Angekl. Fischer-Schweder nicht doch erst in Garsden seine Schupo-Leute als Exekutionskommando vorgeschlagen habe.

Der Zeuge Gr. hat in der Hauptverhandlung angegeben, der Angekl. Fischer-Schweder habe sich in Garsden vor der Erschiessung ihm gegenüber geäussert, die Herren von Tilsit haben den Auftrag, die Exekution durchzuführen; sie haben ihn aber gebeten, ein Schupo-Kommando zu stellen, weil der SD und die Stapo in Anbetracht der grossen Zahl der Gefangenen für die Erschiessung zu schwach sei. Nach der Überzeugung des Gerichts scheint sich aber sein Erinnerungsvermögen geändert zu haben; denn der Zeuge Gr. hat bei seinen polizeilichen Vernehmungen vom 7.12.1955 und vom 4.7.1956 sowie bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter am 4.9.1956 klar und deutlich angegeben, Fischer-Schweder habe zu ihm gesagt, es sei doch lächerlich, dass der SD mit seinen paar Leuten die Erschiessung einer so grossen Anzahl von Personen durchführen könne; er habe sich deshalb entschlossen, mit dem von ihm angeforderten Polizeikommando die Erschiessung durchführen zu lassen. Das Gericht hielt es deshalb für erwiesen, dass der Angekl. Fischer-Schweder sich gegenüber dem Zeugen Gr. so ausgedrückt hat, wie sich der Zeuge Gr. im Vorverfahren dreimal geäussert hat.

Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Fischer-Schweder vom Angekl. Böhme nicht um die Abstellung eines Exekutionskommandos angegangen worden ist, sondern dass er sich vielmehr aus seinem Geltungsbedürfnis heraus eingeschaltet hat, um tatkräftige Hilfestellung zu leisten, und dass die Angeklagten Böhme und Hersmann erst in Garsden von dem Angebot des Angekl. Fischer-Schweder überrascht worden sind, dass er die Erschiessungen durch das Schupo-Kommando durchführen lassen wolle. Dies steht auch im Einklang mit den weiteren Angaben des Angekl. Böhme, der Angekl. Fischer-Schweder habe in Garsden vorgeschlagen, bei der Erschiessung eine militärische Form zu wahren und jeweils vor Abgabe eines Feuerbefehls durch den Angekl. Schmidt-Hammer eine Erschiessungsformel vortragen zu lassen, wie dies auch der Angekl. Fischer-Schweder zugegeben hat.

Die Erschiessungsformel hat nach den Angaben des Angekl. Böhme gelautet: "Sie werden im Namen des Führers wegen Ihres gegen die deutsche Wehrmacht geleisteten Widerstandes erschossen", und nach den Angaben des Angekl. Fischer-Schweder: "Sie werden wegen Ihrer Verbrechen gegen die deutsche Wehrmacht erschossen", während sie nach den Angaben des Angekl. Schmidt-Hammer gelautet hat: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen." Das Schwurgericht hat festgestellt, dass die Erschiessungsformel so gelautet hat, wie sie der Angekl. Schmidt-Hammer angegeben hat und zwar deshalb, weil er sich am ehesten noch an den Wortlaut erinnern kann, da er die Erschiessungsformel sehr oft hat wiederholen müssen und weil er auch überzeugend in der Hauptverhandlung ausgeführt hat, er könne sich mit aller Bestimmtheit an den Wortlaut der Erschiessungsformel, die er so oft habe wiederholen müssen, noch erinnern, "weil sie ihm noch wochenlang nachgegangen sei".

Der Angekl. Fischer-Schweder hat in der Hauptverhandlung angegeben, er habe deshalb durch den Angekl. Schmidt-Hammer jeweils die Erschiessungsformel vortragen lassen, weil er die zu Erschiessenden über den Grund der Erschiessung habe informieren lassen wollen. Im Ermittlungsverfahren dagegen hat der Angekl. Fischer-Schweder angegeben, er habe den Beamten ihre Aufgabe seelisch erleichtern wollen, zumal auch kein Urteil vorgelegen habe. Da aber in dem Wortlaut der Erschiessungsformel konkrete Angaben über das angeblich völkerrechtswidrige Verhalten der Opfer gefehlt haben, hat das Schwurgericht festgestellt, dass die Erklärung nicht wegen der Opfer, sondern nur wegen der Angehörigen des Schupo-Kommandos aus psychologischen Gründen abgegeben worden ist.

Bei den Opfern hat es sich vorwiegend nur um männliche Juden vom Jüngling bis zum Greis gehandelt, wie es sich aus der Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 S.2 (Bew.St.9f) ergibt und wie auch die Angeklagten Böhme, Hersmann, Harms und Behrendt angegeben sowie die Zeugen Th., Sc., N., Ke., Fre., Gerke, La. und Gr. bekundet haben. Sie haben zum Teil Bärte getragen, auch hat sich ein Rabbiner im Kaftan unter ihnen befunden. Ihre körperlichen, rassischen Merkmale sind so deutlich und typisch gewesen, dass sie nach den Angaben bezw. Aussagen der oben angeführten Angeklagten und Zeugen von den Anwesenden ohne weiteres als Juden erkannt worden sind. Der Angekl. Sakuth will zwar die Gesamtmenge, aber nicht die einzelnen Gefangenen gesehen haben. Der Angekl. Schmidt-Hammer will nicht erkannt haben, dass es sich um Juden gehandelt hat und der Angekl. Fischer-Schweder will ebenfalls nicht gewusst haben, ob es sich um Juden oder um Litauer gehandelt hat. Den Aussagen des Angekl. Fischer-Schweder in der Hauptverhandlung stehen seine früheren Aussagen im Ermittlungsverfahren gegenüber, nach denen der fragliche Oberleutnant der Wehrmacht angeblich gesagt haben soll, Garsden sei fast nur von Juden bewohnt. Der Angekl. Kreuzmann will, wie schon erwähnt, deshalb nicht sagen können, ob es sich in der Hauptsache um Juden gehandelt hat, weil er seine Anwesenheit in Garsden geleugnet hat. Das Schwurgericht hat den Angeklagten Sakuth, Schmidt-Hammer, Fischer-Schweder und Kreuzmann nicht geglaubt und ihre Angaben als leeres Verteidigungsvorbringen gewertet. Es war überzeugt, dass alle beteiligten Angeklagten klar erkannt haben, dass es sich bei den Opfern in der Hauptsache um Juden gehandelt hat. Bei der Frau, die nach den Angaben der Angeklagten und nach den Bekundungen der Zeugen mit erschossen worden ist, soll es sich, was nicht zu widerlegen ist, um eine russische Kommunistin, nämlich um die Ehefrau eines russischen Kommissars gehandelt haben.

Die Leitung der Erschiessung in Garsden hat der Angekl. Böhme gehabt, was er von Anfang an zugegeben hat. Andererseits hat sich der Angekl. Fischer-Schweder an der Erschiessungsstätte durch seine wiederholten Belehrungen, Vorschläge und Anweisungen nicht nur an die Schupo-Angehörigen, sondern auch an die Stapo- und SD-Angehörigen so aufgeführt, dass er bei einem Teil der Anwesenden, so u.a. auch bei dem Angekl. Hersmann und bei dem Zeugen Sc., wie beide glaubhaft angegeben bezw. bekundet haben, den Eindruck erweckt hat, als ob er die Leitung habe.

Das Schwurgericht ist ferner überzeugt, dass der Angekl. Böhme den Angekl. Fischer-Schweder in Garsden noch vor der Erschiessung in vollem Umfang in die durch Dr. Stahlecker befohlenen Liquidierungsmassnahmen eingeweiht hat. Dies hat der Angekl. Böhme im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung immer wieder mit aller Bestimmtheit und durchaus glaubhaft angegeben. Nähere Ausführungen folgen noch.

Dass weder ein Stand- noch ein Kriegsgerichtsurteil vor der Erschiessung
ergangen ist, bedarf nach den obigen Ausführungen keiner weiteren Erörterung. Das Schwurgericht ist aber auch überzeugt, dass keiner der Beteiligten an das Vorliegen eines Stand- oder Kriegsgerichtsurteil geglaubt hat. Dies hat der Angekl. Böhme überzeugend angegeben. Auch der Angekl. Harms und der Zeuge Mö. haben erklärt, sie haben gewusst, dass gegen die Opfer kein Stand- oder Kriegsgerichtsurteil ergangen sei. Im übrigen haben die Stapo- und SD-Angehörigen dies auf Grund der vorausgegangenen Aufklärung auch gar nicht annehmen können. Die erstmals in der Hauptverhandlung aufgestellte Behauptung des geistig sehr regen und weit über dem Durchschnitt stehenden Angekl. Schmidt-Hammer, er habe annehmen müssen, dass ein Urteil vorgelegen habe und dass alles rechtmässig zugegangen sei, weil ihm dafür die Person des Major Gü. und die Korrektheit des Angekl. Fischer-Schweder garantiert haben, den er im Vorverfahren noch als gefürchteten und von allen gemiedenen, ehrgeizigen und selbstherrlichen Vorgesetzten sowie überzeugten Nationalsozialisten charakterisiert hat, ist vom Gericht als leeres Verteidigungsvorbringen gewertet worden. Die Feststellung, dass die Opfer vor der Exekution ihre Wertsachen haben abgeben und ihre Mäntel und Jacken haben ablegen müssen, beruht auf den glaubwürdigen Aussagen der Zeugen Si., Br., La. und Gerke. Dies wird auch von den Angeklagten nicht geleugnet. Dass dies auch bei den späteren Erschiessungen so gehandhabt worden ist, soll vorweggenommen werden.

Vor und während der Exekution ist es, wie das Schwurgericht festgestellt hat, zu verschiedenen Auswüchsen und Roheitsakten gekommen, die nach der Überzeugung des Schwurgerichts von allen Angeklagten zumindest ausschnittsweise wahrgenommen und zumindest von den massgeblich beteiligten Angeklagten Fischer-Schweder, Böhme und Hersmann, die zur Unterbindung der Auswüchse in der Lage und verpflichtet gewesen wären, gebilligt worden sind.

Die Opfer haben nach den Bekundungen der Zeugen Br., La. und Ke. den Verteidigungsgraben, vor welchem sie später erschossen und in welchem sie dann beerdigt worden sind, selbst erweitern und vertiefen müssen. Dabei sind sie nach den Bekundungen der Zeugen La. und Ke. geschlagen worden, ohne dass die daneben stehenden SS-Offiziere und der Angekl. Fischer-Schweder dagegen eingeschritten sind. Hiebei hat es die Bewachungsmannschaft vor allem auf den alten Rabbiner abgesehen gehabt. Ein junger, gut gekleideter Jude, dem nach den Bekundungen des Zeugen La. der Schrecken offenbar so in die Glieder gefahren ist, dass er nicht hat arbeiten können, ist von einem untersetzten, breitschultrigen SS-Mann kurzerhand an einen Nebengraben geführt und dort durch einen Genickschuss getötet worden. Dass der Erschiessungsgraben durch die Gefangenen selbst vertieft und erweitert worden ist, hat der Angekl. Böhme für durchaus möglich angegeben. Der Zeuge Br. hat glaubhaft bekundet, er habe gesehen, wie während der Erschiessung ein Stapo-Angehöriger mit einer Latte oder mit einem Prügel die Opfer an die Beine geschlagen und sie dadurch vorwärts getrieben und dabei gerufen hat: "Schnell schnell, desto früher haben wir Feierabend." Nach den Angaben des Angekl. Behrendt sind die Opfer im Laufschritt und dabei nach den Bekundungen der Zeugen Ma. und Gerke mit lautem Gebrüll und Geschrei zum Erschiessungsgraben vorwärtsgetrieben worden.

Von einer Reihe von Zeugen, so von den Zeugen Br., Gr., Fre., Th., Ma. und Mö. wird bekundet und von den Angeklagten Böhme, Hersmann und Schmidt-Hammer auch zugegeben, dass die nachfolgenden Opfer vor ihrer eigenen Erschiessung die zuvor Erschossenen in den Erschiessungsgraben haben werfen müssen, soweit sie nicht in diesen von selbst gefallen sind. Der Angekl. Böhme will, was ihm nicht geglaubt worden ist, dabei nicht das Gefühl gehabt haben, dass es sich um einen rohen Akt handle. Dies habe sich eben aus der Situation heraus als notwendig ergeben. Anfangs seien die Leichen von Stapo- und SD-Angehörigen in den Graben geworfen worden. Als ihn dann aber Dr. Frohwann darauf aufmerksam gemacht habe, dass man dies den eigenen Leuten nicht länger zumuten könne, sei er damit einverstanden gewesen, dass dies durch die Gefangenen besorgt worden sei.

Die Feststellung, dass am Anfang der Erschiessung der Angekl. Schmidt-Hammer auf Anweisung des Angekl. Fischer-Schweder zweimal und dieser selbst einige Nachschüsse abgegeben hat, beruht auf den Angaben der Angeklagten Schmidt-Hammer und Fischer-Schweder. Im weiteren Verlauf der Erschiessung hat dann jedes Opfer von einem Stapo- oder SD-Angehörigen noch einen Nachschuss in den Kopf erhalten, wie der Zeuge Th. glaubhaft ausgesagt hat, so dass es schliesslich nach den Aussagen des Zeugen N. an dem Graben von dem vielen Blut wie in einem Schlachthaus ausgesehen hat.

Die weiteren Feststellungen, dass die Juden gebetet haben, beruhen auf den Bekundungen des Zeugen Gr. und den Angaben des Angekl. Harms, dass verschiedene von ihnen vor sich hingejammert haben, auf den Bekundungen des Zeugen Fre., und dass schliesslich einige laut ihre Unschuld beteuert haben, auf den Bekundungen des Zeugen Br.

Nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen Sch. hat ihm der später gefallene Wachtmeister d.R. Knopens von dem Exekutionskommando erzählt, dass ihm sein früherer Freund und Nachbar, der Seifenfabrikant Feinstein, zugerufen habe: "Gustav, schiess gut!" Auf Grund der Aussagen der Zeugen Br. und La. war weiterhin festzustellen, dass einer von 2 jungen Juden, der nicht sofort tödlich getroffen worden war, dem Erschiessungskommando zugerufen hat: "Noch einen!" Ferner beruhen die Feststellungen, dass der Polizeiwachtmeister Thomat vom Erschiessungskommando hat ausgewechselt werden müssen, weil es ihm schlecht geworden ist, auf den Bekundungen des Zeugen N., dass nach der Erschiessung in Garsden der Polizeireservist Fernau mit Erfolg Major Gü. um seine Ablösung gebeten hat, weil er es seelisch nicht durchstehen könne, auf den Bekundungen des Zeugen A., und dass im Laufe der Erschiessungen noch weitere Schutzpolizisten abgelöst worden sind, wiederum auf den Bekundungen des Zeugen N.

Die Feststellung, dass schon bei der Abfahrt in Memel zu der Erschiessung nach Garsden teilweise auch unter den Angehörigen des Schupo-Kommandos der Zweck der Fahrt bekannt gewesen ist, beruht auf den glaubwürdigen Bekundungen des Zeugen N., welcher damals dem Schupo-Kommando angehört hat. N. hat auf seine Frage, was sie eigentlich tun müssten, von seinem Kameraden Steinert zur Antwort bekommen: "Wir fahren zu einer Judenerschiessung." Als dies der Zeuge N. mit den Worten: "Du bist ja verrückt!" bezweifelt hat, hat ihm Steinert erwidert: "Ihr werdet es ja sehen." Dass kein Arzt zu der Erschiessung zugezogen worden ist, haben die Angeklagten ohne weiteres zugegeben. Der Angekl. Böhme hat hinzugefügt, er wisse überhaupt nicht, wozu ein Arzt notwendig gewesen wäre, da es sich ja um eine Massenerschiessung gehandelt habe. Im übrigen wäre auch kaum ein Arzt zu finden gewesen, der dies gemacht hätte.

Die Feststellung, dass nach der Erschiessung an die Angehörigen des Schupo-Kommandos von Stapo-Angehörigen Schnaps verabreicht worden ist, beruht u.a. auf den Angaben des Angekl. Schmidt-Hammer und den Bekundungen des Zeugen N. Auf den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Mö., eines früheren Angehörigen des GPK Memel, beruht die Feststellung, dass Mö. nach Beendigung der Erschiessung am Tatort eine Gruppenaufnahme von den Teilnehmern gemacht hat. Ob dabei ausser den Stapo- und SD-Angehörigen auch die Angehörigen des Schupo-Kommandos einschliesslich der Angeklagten Fischer-Schweder und Schmidt-Hammer mit fotografiert worden sind, ist nicht geklärt, weshalb sich diese Feststellung nur auf die Stapo- und SD-Angehörigen bezieht. Die Tatsache jedoch, dass unmittelbar nach dem furchtbaren Blutbad, bei dem, wie die Angeklagten gewusst haben, über 200 unschuldige Menschen nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit bezw. mit wenigen Ausnahmen auch wegen ihrer politischen Einstellung getötet worden sind, sich die Teilnehmer ausnahmslos bereitgefunden haben, sich am Ort des Schreckens auch noch fotografieren zu lassen, und dass die Stapo- und SD-Führer Böhme und Hersmann dies zugelassen haben, ist bezeichnend für ihre damalige innere Einstellung zu dem grauenhaften Geschehen. Die ist nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch ein Fingerzeig dafür, dass die Angeklagten der Stapo und des SD kaltblütig, hemmungs- und bedenkenlos bei der Ausführung der Tat mitgewirkt haben.

Das Angehörige des Schupo-Kommandos erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtmässigkeit der Erschiessung gehabt und an die Behauptung, alle Gefangenen hätten Widerstand geleistet, nicht haben glauben können, ist auf Grund der Aussagen der Zeugen N., Th. und Ke., die dem Exekutionskommando angehört hatten, festgestellt worden. Nach ihren Behauptungen haben sie deshalb an den behaupteten Widerstand nicht glauben können, weil es sich, wie sie gesehen haben, bei den Gefangenen fast nur um Juden gehandelt hat, unter denen sich sehr betagte und andererseits auch wieder sehr junge befunden haben. Nach den glaubwürdigen Aussagen des Zeugen Mark., welcher selbst nicht an der Erschiessung teilgenommen hat, hat jeder Teilnehmer des Schupo-Kommandos Gewissensbisse gehabt. Der Zeuge N. hat dazu ausgesagt: "Als die Gefangenen vorgeführt wurden, sahen wir ja klar, was los war; auch Schmidt-Hammer hat dies erkennen müssen." Der Zeuge Ke. hat noch ausgeführt: "Die meisten waren der Ansicht, dass die Erschossenen unschuldig waren." Der Zeuge Th. hat ausserdem glaubhaft bekundet, dass sie nach ihrer Rückkehr dem Angekl. Schmidt-Hammer ihre Bedenken vorgetragen haben, dass dieser aber auch keine richtige Erklärung gegeben, sondern sich nur dahin ausgelassen habe, das wisse er auch nicht, er sei auch nur ein kleiner Befehlsempfänger. Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen K., früher Kraftfahrer beim Schupo-Kommando, habe es sich herumgesprochen, dass sämtliche Juden liquidiert werden. Dabei hat jedoch nicht festgestellt werden können, ob davon schon vor der Erschiessung in Garsden gesprochen worden ist.

Der Angekl. Böhme hat zu seiner Verteidigung vor allen geltend gemacht, er habe die Rechtswidrigkeit des Befehls nicht erkannt, weil er die Massnahmen vom damaligen Standpunkt aus als notwendige, präventive Kriegsmassnahmen und hinsichtlich der Juden nicht als Rassenfrage angesehen habe. Er habe auch geglaubt, dass die obere Staatsführung nichts verlange, was nicht unbedingt kriegsnotwendig sei. Die Sondermassnahmen habe er zwar als materielles, aber nicht als formelles Unrecht angesehen. Er habe nicht als Mörder, sondern allenfalls als Totschläger und dabei nicht als Täter, sondern als Gehilfe gehandelt, was auch von den andern Angeklagten geltend gemacht worden ist. Er habe bei der Säuberungsaktion nur unterstützend mitgewirkt, weil ihm dies befohlen worden sei, er habe aber nicht mit dem Täterwillen gehandelt. Schliesslich hat er geltend gemacht, er habe auf Befehl gehandelt und habe sich in einer Zwangslage, im "Befehlsnotstand", befunden.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts haben aber der Angekl. Böhme und die anderen Angeklagten von der Stapo und dem SD schon durch den gesamten Ablauf der Geschehnisse Kenntnis von der Rechtswidrigkeit gehabt.

Sie haben schon jahrelang vorher gewusst, dass die Gestapo zu einem allgemein gefürchteten Machtinstrument der Willkür und Unterdrückung entwickelt worden ist, und haben in Kenntnis dessen weiterhin dieser Organisation gedient. Als Angehörige der Stapo und als Angehörige des SD, der ebenfalls ein wichtiges und gefürchtetes Machtinstrument gewesen ist, haben sie den Befehl bekommen, in dem Grenzstreifen alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und ohne Rücksicht, ob sie strafbare Handlungen begangen hatten oder nicht, zu töten. Sie haben aber weiterhin den Befehl gehabt, alle sonstigen "potentiellen", also alle nur als möglich in Frage kommenden Gegner zu töten, vor allem die litauischen Kommunisten. Darunter sind auch solche gefallen, die nur als Kommunisten verdächtigt worden sind.

Nach der Feststellung des Gerichts sind sie sich dabei bewusst gewesen, dass nicht nur die Juden, sondern auch alle übrigen Opfer ohne vorausgehendes gerichtliches Verfahren getötet werden sollen und getötet worden sind, welches den Opfern die Gewähr für eine genaue Untersuchung, für eine ausreichende Verteidigung, für ein rechtliches Gehör und für ein objektives Urteil eines befehlsunabhängigen Gerichts gegeben hätte. Wenn es sich aber um eine bedenkenlose und erbarmungslose Tötung Tausender von unschuldigen Menschen handelt, dann kann keiner der Teilnehmer mit Erfolg behaupten, er habe noch geglaubt, dass das rechtmässig sei. Vielmehr ist sich nach der Überzeugung des Gerichts jeder von ihnen, und damit auch jeder der Angeklagten von der Stapo und von dem SD, bei Kenntnisnahme des Säuberungsbefehls irrtumsfrei darüber im klaren gewesen, dass die von höchster Stelle befohlene, ungeheuerliche Massnahme jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht sowie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und nichts anderes als ein Verbrechen bezweckt. Die Angeklagten haben nach der Überzeugung des Gerichts in klarer Erkenntnis des Rechtswidrigkeit dieses Befehls bei der Tötung der Opfer mitgewirkt.

Der Angekl. Böhme hat auch im Laufe der Hauptverhandlung eingeräumt, er habe diese Sondermassnahme für unverständlich gehalten, nach dem überstaatlichen Recht sei es kein Recht gewesen, er sei moralisch fertig gewesen und er habe ein schlechtes Gewissen gehabt. Wenn er auf den Vorhalt, dass die Tötung der jüdischen Kinder ganz gewiss nichts mehr mit einer kriegsnotwendigen Massnahme zu tun habe, trotzdem darauf bestanden hat, die Juden seien nicht wegen ihrer Rassezugehörigkeit getötet worden, es habe sich vielmehr um eine kriegsnotwendige präventive Massnahme auf lange Sicht gehandelt, um die Kinder als künftige Rächer auszuschalten, so spricht dies für sich und kann nur als leere Ausrede gewertet werden.

Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass die Angeklagten nach dem ganzen Ablauf der eingangs aufgezeichneten Geschehnisse in der Judenfrage und nach der ganzen Einstellung der obersten Führung zu politisch Andersgesinnten gewusst haben, dass die Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit ausgerottet und die Kommunisten nur aus politischen Gründen wegen ihrer politischen Einstellung getötet werden sollen und getötet worden sind und somit die befohlenen Massnahmen ein Verbrechen bezwecken.

Das Schwurgericht ist überzeugt, dass sich der Angekl. Böhme über die innere Einstellung der Haupttäter im klaren gewesen ist, da er von Dr. Stahlecker in seinen neuen Aufgabenkreis und über die Säuberungsmassnahmen im Grenzstreifen genau eingewiesen worden ist. Auf Grund der weittragenden Bedeutung dieses Befehls hat er nach der Überzeugung des Gerichts aber auch klar erkannt, dass es sich um eine genau geplante und organisierte sowie unter Abwägung des Für und Wider wohlüberlegte Massnahme der oberen Führung, der Haupttäter, gehandelt hat.

Nach der Überzeugung des Gerichts ist sich der Angekl. Böhme aber auch über das Motiv, welches die Haupttäter bei dieser Massnahme gehabt haben, im klaren gewesen, dass sie nämlich aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Dies ergibt sich daraus, dass er gewusst hat, dass in dem Grenzstreifen sämtliche Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sowie die Kommunisten getötet werden sollen. Er hat, wie festgestellt worden ist, gewusst, dass die Juden aus rassischen und die Kommunisten aus politischen Gründen getötet werden sollen und getötet worden sind, dass es sich also um die Durchführung eines Massenverbrechens handelt. Ob er nun selbst den Beweggrund der Haupttäter zu dieser Vernichtungsmassnahme als einen niedrigen gewertet hat, wovon das Gericht überzeugt ist, ist nicht ausschlaggebend. Jedenfalls hat er das äussere Erscheinungsbild erkannt, nämlich all das erkannt, was die Handlung der Haupttäter zum Niedrigen stempelt.

Das Gericht ist weiterhin überzeugt, dass sich der Angekl. Böhme der Grausamkeit der Handlungsweise der Haupttäter bewusst gewesen ist. Dies hat er schon deshalb nach der Ansicht des Gerichts besonders deutlich erkannt, weil er mit der Durchführung der Massnahmen beauftragt worden ist und weil er von Anfang an damit gerechnet hat, dass es bei Massentötungen solchen Ausmasses zu Scheusslichkeiten gegenüber den Opfern kommen werde. Der Angekl. Böhme hat zwar nicht in vollem Umfang alle Scheusslichkeiten zugegeben, die sich in Garsden abgespielt haben. Da er aber am Erschiessungsplatz selbst anwesend gewesen ist, hat er nach der Überzeugung des Gerichts selbst wahrgenommen und auch gebilligt, dass die Opfer mit Stockschlägen zur Erweiterung und Vertiefung ihres zukünftigen Grabes angetrieben, dass sie während der Erschiessungen mit Stockschlägen und mit Gebrüll im Laufschritt zum Erschiessungsgraben getrieben worden sind und dass sie dort noch vor ihrer eigenen Erschiessung die blutbesudelten Leichen ihrer unmittelbar zuvor getöteten Leidensgenossen in den auch für sie bestimmten Graben haben werfen müssen. Nach alledem ist sich der Angekl. Böhme nach der Überzeugung des Gerichts darüber im klaren gewesen, dass auch die Haupttäter bei der Erteilung des Befehls dies nicht übersehen, sondern dass sie vielmehr mit solchen Grausamkeiten bei der Durchführung ihres Befehls durch die Ausführenden gerechnet und dies gebilligt haben.

Nicht zu widerlegen ist das Verteidigungsvorbringen des Angekl. Böhme gewesen, er habe keinesfalls mit dem Täterwillen, sondern nur mit dem Gehilfenwillen die ihm befohlenen Sondermassnahmen durchgeführt bezw. durchführen lassen.

Wie schon festgestellt worden ist, sind die Behauptungen der Angekl. Böhme, Hersmann und Kreuzmann nicht zu widerlegen, dass am 22.6.1941 abends bezw. nachts der SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker als Führer der Einsatzgruppe A den Angekl. Böhme und Hersmann den Befehl zur Durchführung der Säuberungsaktion in dem Grenzstreifen erteilt hat. Beim Handeln auf Befehl spricht aber grundsätzlich die Vermutung dafür, dass der Befohlene nicht als Täter handelt, denn wer befohlen wird, handelt normalerweise deshalb, weil ihm befohlen ist und weil er dem Befehlenden Folge leisten und ihn unterstützen will. Wenn zwar grundsätzlich die Vermutung beim Befohlenen für Gehilfenschaft spricht, so ist immerhin die Täterschaft auch bei ihm möglich. Massgebend ist seine innere Einstellung zur Tat, ob er nämlich die Tat des Befehlenden nur unterstützen, also seinen Tatbeitrag nur als blosse Förderung fremden Tuns haben will oder ob er sich völlig einig fühlt mit dem Befehl in der Richtung, dass er nicht nur das unterstützen will, was der Befehlende ausgeführt haben will, sondern dass er seinen Tatbeitrag als einen Teil der Tätigkeit aller und dementsprechend die Handlungen der anderen als eine Ergänzung seines eigenen Tatanteils hat haben wollen. Ob aber der Angekl. Böhme und auch die andern Mitangeklagten dieses enge Verhältnis zur Tat gewollt haben, ist nach den gesamten Umständen zu beurteilen.

Gegen eine Gehilfenschaft kann beim Angekl. Böhme und übrigens auch beim Angekl. Hersmann der Umstand gewertet werden, dass Dr. Stahlecker ihnen nur den Befehl zur Durchführung der Säuberungsaktion gegeben, dass er aber die Art und Weise der Durchführung, so u.a. die Aufstellung der Kommandos, vor allem auch die Auswahl der zu erschiessenden Kommunisten, ihnen überlassen hat. Gegen eine Gehilfenschaft kann auch der Umstand gewertet werden, dass zwischen dem Angekl. Böhme und dem SS-Standartenführer Jäger, dem Führer des Einsatzkommandos 3 der Einsatzgruppe A mit Sitz in Kowno, ein positiver Zuständigkeitsstreit bezüglich des Grenzstreifens bestanden hat, weil jeder von ihnen für sich in Anspruch genommen hat, in diesem Grenzstreifen die Sondermassnahmen durchzuführen. Dies haben die Angeklagten Hersmann, Carsten, Behrendt, Harms und Lukys zugegeben und ist von den Zeugen To., Gerke und Krumbach glaubhaft bekundet worden. Der Angekl. Hersmann hat dabei noch glaubhaft angegeben, der Angekl. Böhme und er seien am 25.6.1941 von dem überaus jähzornigen und cholerischen Standartenführer Jäger fast hinausgeworfen worden, als sie mit ihm in Kowno wegen der Zuständigkeitsfrage verhandelt haben. Andererseits spricht für die Gehilfenschaft des Angekl. Böhme, dass er sich auf die Befehlserteilung hin Dr. Stahlecker gegenüber nicht sofort uneingeschränkt bereit erklärt hat, die Säuberungsaktion bezüglich der jüdischen Männer und der Kommunisten durchzuführen, sondern dass er, was ihm nicht zu widerlegen ist, zunächst etwas vorsichtig zurückhaltend gesprochen haben will, um sich von dem Auftrag zu drücken und dass er, als er damit keinen Erfolg gehabt hat, darauf bestanden hat, dass Dr. Stahlecker seinen Befehl durch das RSHA fernschriftlich hat bestätigen lassen, weil ihm der Auftrag sehr peinlich gewesen ist und er ein schlechtes Gewissen gehabt hat. Es ist dabei allerdings nicht die Möglichkeit auszuschliessen, dass er sich mit dieser fernschriftlichen Anfrage nur eine Rückendeckung hat verschaffen wollen. Das Schwurgericht glaubt jedoch, dass der Angekl. Böhme bei ausgesprochenem Täterwillen sich sehr rasch zur Ausführung der Tat entschlossen hätte, was er aber nicht getan hat. Um ein richtiges Bild zu bekommen, ist dabei das Verhalten des Angekl. Böhme zu berücksichtigen, das er bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder gezeigt hat, was erst später ausgeführt wird. Die Ausführung des Befehls, auch die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen, hat er nämlich hinausgeschoben, und zwar nach der Ansicht des Gerichts deshalb, weil ihm dies Gewissenspein verursacht hat. Er hat dann aber letzten Endes auch diese töten lassen, weil - nach der Ansicht des Gerichts - seines Erachtens die obere Führung die Durchführung dieses Befehls für notwendig gehalten hat. Unter diesen Umständen hat das Schwurgericht beim Angekl. Böhme nicht mit hinreichender Sicherheit den Täterwillen feststellen können. Es hat vielmehr nur für erwiesen erachtet, dass der Angekl. Böhme die von den Haupttätern befohlene Tat nicht als eigene Tat wie die Haupttäter, sondern nur unterstützend als fremde Tat, nämlich als Gehilfe, hat ausführen wollen und ausgeführt hat.

Der Angekl. Böhme hat nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt, wie er behauptet hat.

Der Gedanke an die Verbindlichkeit des Befehls scheidet in Anbetracht des überaus ungewöhnlichen, ungeheuren Verlangens, diese Massentötungen durchzuführen, von vornherein aus. Er hat nach der Überzeugung des Gerichts klar den Widerspruch dieser befohlenen Massentötungen zu jeder menschlichen Moral, zum Völkerrecht und zu jeder internationalen Übung der Kriegsführung erkannt. Abgesehen davon, dass es in keinem Kulturvolk einen bindenden Befehl gibt, der solche Verbrechen entschuldigt, ist diese Auffassung auch im Dritten Reich herrschend gewesen, wie Dr. Goebbels in dem in der Hauptverhandlung verlesenen und im "Völkischen Beobachter", süddeutsche Ausgabe A vom 28./29.5.1944 erschienenen Artikel "Ein Wort zum feindlichen Luftterror" (Bl.4869-4870) klar zum Ausdruck gebracht hat. In diesem Artikel heisst es u.a.:

"Auch die anglo-amerikanische Kriegswillkür muss irgendwo ein Ende haben. Die Piloten können sich nicht darauf berufen, dass sie als Soldaten auf Befehl handelten. Es ist in keinem Kriegsgesetz vorgesehen, dass ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, dass er sich auf seinen Vorgesetzten beruft, zumal wenn dessen Anordnungen in eklatantem Widerspruch zu jeder menschlichen Moral und jeder internationalen Übung der Kriegsführung stehen. Unser Jahrhundert hat zwar die Grenzen zwischen Krieg und Verbrechen auf der Feindseite weitgehend verwischt, aber es wäre zuviel von uns verlangt, zu erwarten, dass wir uns als Opfer dieser bodenlosen Barbarei schweigend dreinfügen sollten."

Dass auch der Angekl. Böhme angesichts des Grauens und aus dem Mass des Verbrecherischen heraus, das von ihm verlangt worden ist, dies irrtumsfrei erkannt hat, hat das Schwurgericht für erwiesen erachtet.

Wenn dann der Angekl. Böhme und, was noch auszuführen ist, auch die übrigen Angeklagten der Stapo und des SD trotz dieser Erkenntnis bei diesen Säuberungsmassnahmen mitgewirkt haben, so ist dies nach der Ansicht des Gerichts darauf zurückzuführen, dass sie als Angehörige der Stapo und des SD getreue Gefolgsleute ihres Führers gewesen sind und als solche unter Ausschaltung etwaiger Bedenken oder Hemmungen in blindem Gehorsam unterstützend haben dazu beitragen wollen und dazu beigetragen haben, den Herrschaftsanspruch des Dritten Reiches zu verwirklichen.

Der Einwand des Angekl. Böhme, den auch alle anderen Angeklagten gemacht haben, sie hätten sich im sogenannten Befehlsnotstand befunden, wäre an und für sich denkbar, wenn sie sich tatsächlich in einer Zwangslage befunden hätten, bei der es kein Ausweichen gegeben hätte, ohne unmittelbar Leib oder Leben von sich selbst oder ihrer Angehörigen zu gefährden.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts waren aber weder der Angekl. Böhme noch die anderen Angeklagten in einer solchen Zwangslage und haben auch nicht eine solche angenommen, weshalb sie auch nicht den sogenannten Nötigungsstand oder den übergesetzlichen Notstand für sich geltend machen können. Auch hat in keiner Weise der Gedanke bei ihnen eine Rolle gespielt, durch ihre Mitwirkung grösseres Übel für den gefährdeten Personenkreis zu verhindern. Nach der Überzeugung des Gerichts haben sie nicht deshalb bei der Erschiessung mitgewirkt, weil sie der ihnen sonst drohenden gegenwärtigen Leibes- oder Lebensgefahr haben entgehen wollen. Ihre Mitwirkung ist ihnen nicht durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt worden, so dass ihr Wille durch diese Drohung gebeugt worden ist.

Auf Grund der eingehenden Beweisaufnahme hat nicht festgestellt werden können, dass bei Verweigerung eines Befehls, Juden oder Kommunisten zu erschiessen, objektiv eine Gefahr für Leib oder Leben des Befehlsverweigerers bestanden hat. Es hat trotz umfangreicher Beweisaufnahme kein Fall festgestellt werden können, in dem jemand wegen Verweigerung des Befehls, Juden oder Kommunisten zu erschiessen, durch ein Gericht zum Tod verurteilt oder ohne Gerichtsurteil erschossen worden ist. Wohl aber haben verschiedene mit Erfolg es verstanden, sich unter irgendeinem Vorwand um die Erschiessungen zu drücken oder Juden die Möglichkeit zur Flucht zu geben oder Verzögerungstaktik zu betreiben. In vielen Fällen sind überhaupt keine Nachteile entstanden. Schlimmstenfalls hat es eine Beförderungssperre, eine Degradierung, den Verlust der Dienststellung oder eine Versetzung zur Fronttruppe zur Folge gehabt, was in vorliegendem Fall niemals zur Begründung des Notstandes herangezogen werden kann.

Diese Feststellungen beruhen auf den Aussagen der Sachverständigen Dr. Ser. und Dr. Kra. und unter anderem auf den Bekundungen der Zeugen Dr. S., früher Führer des Einsatzkommandos IA der Einsatzgruppe A, Schu., früher Führer eines Einsatzkommandos bei der Einsatzgruppe C, Dr. Al., früher Leiter der Stapo-Leitstelle Königsberg, v. Bom., früher Chef des Kommandoamts der Ordnungspolizei Berlin, Blö., Oberstleutnant der Schupo a.D. und früher im Kommandoamt der Ordnungspolizei Berlin, Je., General der Ordnungspolizei a.D. und früher BdO in Königsberg, Git., Generalmajor a.D. und früher Ia des 26. AK, v. Gers., General a.D. und früher Ic der Heeresgruppe Mitte, Fum., früher im Amt IV A des RSHA, Dr. Kno., früher im Amt IV A des RSHA, Ha., früher im Amt IV des RSHA, Gew., früher Gebietskommissar in Schaulen, Schul., früher beim Arbeitsamt Schaulen, Per., Oberstleutnant der Schutzpolizei a.D., H., Regierungsrat bei der Entschädigungskammer Stuttgart, Jo., früher Führer der Einsatzgruppe A nach dem Tod von Dr. Stahlecker, Mö., früher bei GPK Memel, A., früher bei Schupo Memel, Mo., früher Führer des GPP Bajohren und Weis., früher Angehöriger des Einsatzkommandos AIII der Einsatzgruppe A.

Auch in der Rede Himmlers bei der SS-Gruppenführertagung in Posen, die allerdings erst am 4.10.1943 stattgefunden hat, und insoweit in der Hauptverhandlung verlesen worden ist (vgl. IMT Bd.29 S.145-146), kommt zum Ausdruck, dass derjenige sich melden soll, der sich einer Aufgabe nicht gewachsen fühle und dass er dann in Pension geschickt werde, wenn er als zu weich angesehen werde. Der Zeuge Ha. hat ausserdem bekundet, dass selbst Heydrich bei einer Tagung von Stapo-Leitern und SD-Abschnittsführern im grossen Hörsaal der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Strasse in Berlin kurz vor oder bei Beginn des Russlandfeldzugs u.a. erklärt hat, dass eine Zeit komme, in der sehr harte Befehle gegeben werden müssten. Wer sich aus Weltanschauungsgründen oder aus sonstigen Gründen solchen Befehlen nicht gewachsen fühle, möge das sagen, dann werde er anderweitig eingesetzt werden.

Im übrigen soll nochmals auf die Feststellung hingewiesen werden, dass nach den Bekundungen der Zeugen N. und A. Angehörige des Schupo-Kommandos ausgewechselt worden sind, so u.a. der Polizeireservist Fernau, als er Major Gü. darum gebeten hatte. Festzustellen ist weiterhin auf Grund der Bekundungen des Zeugen R., dass dieser im Jahr 1939 wunschgemäss bei der Stapo in Heydekrug hat ausscheiden können.

Weder der Angekl. Böhme noch einer der andern Angeklagten hat glaubwürdig angeben können, ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht zu haben, um sich unter irgendeinem Vorwand dieser angeblichen Zwangslage zu entziehen. Der Angekl. Böhme hat vor allem nicht die Gelegenheit benutzt, die Erschiessungen dem SS-Standartenführer Jäger, dem für Litauen zuständigen Führer des Einsatzkommandos 3 der Einsatzgruppe A mit Sitz in Kowno zu überlassen, als dieser schon von Anfang an seinen Zuständigkeitsanspruch geltend gemacht hat. Er hat vielmehr bei seinem zusammen mit dem Angekl. Hersmann bei Jäger am 25.6.1941 gemachten Besuch sich auf den ihm durch Dr. Stahlecker erteilten Befehl versteift und die Zuständigkeit der Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen für die Stapo und den SD Tilsit beansprucht, so dass er und der Angekl. Hersmann von dem überaus jähzornigen und cholerischen SS-Standartenführer Jäger fast hinausgeworfen worden sind, wie der Angekl. Hersmann glaubhaft in der Hauptverhandlung mit aller Bestimmtheit angegeben hat. Wenn der Angekl. Böhme tatsächlich auch nur das Gefühl gehabt hätte, sich in einer Zwangslage zu befinden, dann hätte er nach der Überzeugung des Gerichts diese Gelegenheit benützt, um Jäger die Durchführung der Erschiessungen zu überlassen. Dass zwischen dem Angekl. Böhme und dem SS-Standartenführer Jäger ein positiver Zuständigkeitsstreit bezüglich des Grenzstreifens bestanden hat, wird auch durch die Angaben der Angekl. Harms, Carsten, Behrendt und Lukys sowie durch die Aussagen der Zeugen To., Gerke und Krumbach bestätigt. Dieser positive Zuständigkeitsstreit, der nach den Feststellungen allerdings erst am 25.6.1941 ausgetragen worden ist, ist aber nach der Überzeugung des Gerichts immerhin ein Fingerzeig für die Einstellung des Angekl. Böhme auch schon zur Zeit der am 24.6.1941 in Garsden erfolgten Erschiessung. Er ist auch zugleich aufschlussreich für die innere Einstellung des Angekl. Hersmann und des Angekl. Kreuzmann, des Vertrauten und der rechten Hand des Angekl. Böhme, weil beide den Angekl. Böhme nicht entsprechend beraten und beeinflusst haben, wenn sie tatsächlich ihrer Ansicht nach in einer Zwangslage sich befunden hätten.

Keiner der bei der Erschiessung in Garsden beteiligten Angeklagten von der Stapo und dem SD hat nach der Überzeugung des Gerichts überhaupt daran gedacht und das Empfinden gehabt, sich in einer ausweglosen Zwangslage zu befinden. Dies gilt auch, um es vorweg zu nehmen, für den Angekl. Schmidt-Hammer sowie für alle Angeklagten bei den späteren Erschiessungen. Bei dem Angeklagten Fischer-Schweder kommt hinzu, dass er gar nicht auf Befehl gehandelt, sondern sich freiwillig mit dem Schupo-Kommando in die Erschiessungen eingeschaltet hat, für ihn also der Gedanke einer Zwangslage überhaupt nicht hat in Frage kommen können.

Dieses Fehlen des Empfindens einer ausweglosen Zwangslage ergibt sich, abgesehen von dem im Vorhergehenden festgestellten Fehlen eines ernstlichen Bemühens, sich um die Teilnahme an den Erschiessungen zu drücken, deutlichst aus folgenden äusseren Umständen:

Es wird nochmals darauf verwiesen, dass der Zeuge Mö., wie er glaubwürdig bekundet hat, nach Beendigung der Erschiessung in Garsden eine Gruppenaufnahme von den Teilnehmern der Stapo und des SD gemacht hat. Nach den glaubwürdigen Aussagen des Zeugen Ras., welcher im Erkennungsdienst, vor allem im Foto-Laboratorium der Stapo Tilsit tätig gewesen ist, ist überhaupt sehr viel bei den Erschiessungen fotografiert worden. Dies hat zwar der Angekl. Böhme geleugnet; er will keine Aufnahmen von Erschiessungen gesehen haben. Der Zeuge Ras. hat aber glaubhaft bekundet, er habe auf Anweisung des Angekl. Böhme dem Gestapo-Angehörigen Mittag, der vom Angekl. Böhme immer etwas bevorzugt worden sei, eine Leica aushändigen müssen. Mittag habe dem Zeugen Ras. mindestens 4-5 Filme mit jeweils 36 Aufnahmen zum Entwickeln und zur Anfertigung von Abzügen gebracht, wovon mindestens die Hälfte der Aufnahmen Erschiessungen betroffen haben. Nach seinen Aussagen sind auf den Rollfilmen zwischen Aufnahmen von Erschiessungen auch persönliche, je während einer und derselben Erschiessung gefertigte Aufnahmen vom Angekl. Böhme und von Mittag enthalten gewesen, welche den Angekl. Böhme, wie sich der Zeuge Ras. ausgedrückt hat, in "Pose", so beispielsweise am PKW, gezeigt haben. Der Angekl. Böhme selbst hat nach den Bekundungen des Zeugen Ras. ebenfalls Aufnahmen von Erschiessungen mit einem Minox-Apparat gemacht und die Filme dem Zeugen Ras. zum Entwickeln und zur Anfertigung von Abzügen gebracht. Nach den Bekundungen des Zeugen Ras. sind auch vielfach Gruppenaufnahmen von den an den Erschiessungen Beteiligten gemacht worden, die sich neben den Massengräbern zum Teil in "Pose" aufgestellt und keineswegs etwa betrübte Gesichter gezeigt haben. Nach den Bekundungen dieses Zeugen sind vor allem auch viele Aufnahmen von Erschiessungen von dem Postenführer Schwarz des GPP Laugszargen gemacht worden, von denen der Zeuge Ras. dann Abzüge für den Angekl. Böhme hat machen müssen. Auch der Angekl. Harms hat glaubhaft angegeben, ihm habe Schwarz Aufnahmen von Erschiessungen nackter, jüdischer Frauen gezeigt. Schwarz sei unmittelbar zuvor aus dem Zimmer des Angekl. Böhme gekommen und habe gesagt, er habe auch diesem die Aufnahmen gezeigt. Teilweise sind, wie der Zeuge Ras. ausgesagt hat, auf den von ihm entwickelten Aufnahmen auch Zivilisten zu sehen gewesen, die mit Gewehren bewaffnet gewesen sind und ihre Hemdsärmel aufgekrempelt gehabt haben. Bei der Erschiessung in Polangen z.B. haben, was später noch ausgeführt wird, auch der Angekl. Hersmann und der Zeuge Krumbach Aufnahmen gemacht, wobei Krumbach seine Aufnahmen an Böhme abgegeben hat, wie der Angekl. Hersmann glaubhaft angegeben und der Zeuge Krumbach glaubhaft bekundet hat.

Vielfach sind nach Beendigung der Erschiessungen noch in der Nähe gelegene Gaststätten aufgesucht worden, in denen, wie der Zeuge Krumbach glaubhaft angegeben hat, teilweise mit dem den Juden abgenommenen Geld die Zeche bezahlt worden ist. Vor Beginn der Erschiessung in Polangen I hat sich z.B. der Angekl. Böhme an den Strand begeben, um die schöne Umgebung anzusehen, wie er selbst zugegeben hat. Keiner der Stapo- und SD-Angehörigen hat sich bemüht, die Erschiessungsaktionen humaner zu gestalten oder auch nur gegen die Exzesse einzuschreiten. Sämtliche Angeklagten haben an mehreren Erschiessungen teilgenommen und dies trotz den geschilderten sich ständig wiederholenden Exzessen.

Alle diese aufgezeigten Umstände ergeben aber nicht das Bild von Menschen, die tiefbekümmert über das von ihnen Verlangte gewesen sind und die nur aus unausweichlichem Zwang sich zur Teilnahme an Massenmorden verstanden haben. Wer solche fürchterlichen Massnahmen in diesem Umfang in einer ausweichlosen Zwangslage ausführen muss, der ist nach der Ansicht des Schwurgerichts nicht mehr in der Lage, während oder kurz vor oder unmittelbar nach einer Erschiessungsaktion sich in der geschilderten unbekümmerten Weise den Freuden des Lebens zu ergeben, und wäre nicht wie die angeklagten Stapo- und SD-Angehörigen, abgesehen von dem Angekl. Kreuzmann, bis zur deutschen Kapitulation, also auch noch während der Tage der Auflösung, bei diesen Organisationen des Verbrechens verblieben. Der Angekl. Kreuzmann ist zwar anfangs des Jahres 1945 bei der Stapo ausgeschieden und einer Wehrmachtskampftruppe zugeteilt worden. Dies ist jedoch nicht freiwillig, sondern zwangsläufig mit Auflösung seiner Dienststelle erfolgt.

Der Angekl. Böhme und die übrigen Angeklagten der Stapo und des SD können sich daher niemals mit Erfolg darauf berufen, dass sie unter Zwang oder unter vermeintlichem Zwang gehandelt haben. Sie haben nach der Überzeugung des Gerichts bei ihrer ganzen ideologischen Einstellung überhaupt nicht daran gedacht, geschweige denn den Gedanken ernsthaft erwogen, den Befehl der Erschiessung der Juden und der Kommunisten zu verweigern, soweit sie, wie festgestellt, an Erschiessungen teilgenommen haben. Sie haben vielmehr als getreue Gefolgsleute in blindem Gehorsam gehandelt, weil sie die Verwirklichung des Herrschaftsanspruchs des Dritten Reichs gewollt haben.

b. Der Angekl. Hersmann hat ebenfalls den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben, so vor allem auch seine Teilnahme und die Aufsichtsführung über seine Leute bei der Erschiessung.

Auf seinen Angaben beruht die Feststellung, dass er am 23.6.1941 nachmittags, nachdem ihm der Angekl. Böhme die Gefangennahme der Bewohner von Garsden mitgeteilt hatte, sämtliche Angehörige des SD Tilsit in vollem Umfang über den dem Stapo- und dem SD-Abschnitt Tilsit zugewiesenen Aufgabenkreis, nämlich sämtliche Juden jeden Alters und Geschlechts sowie die Kommunisten in dem 25 km breiten litauischen Grenzstreifen zu erschiessen, eingeweiht hat. Sein Vorbringen, ihm sei von dem Angekl. Böhme mitgeteilt worden, dass die Bewohner in Garsden wegen Heckenschützentätigkeit gegen die deutsche Truppe festgenommen worden seien, hat ihm, wie schon ausgeführt worden ist, das Gericht nicht abgenommen, sondern als leeres Verteidigungsvorbringen gewertet. Das Gericht ist auch weiterhin überzeugt, dass er bei der Unterrichtung seiner Leute über ihre neuen Aufgaben sie auch gleichzeitig angewiesen hat, den wahren Grund der Erschiessungen nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, vielmehr das Gerücht zu verbreiten, die Zivilisten werden wegen Widerstands bezw. wegen Heckenschützentätigkeit erschossen.

Er hat glaubhaft angegeben, dass er sowohl für Garsden wie auch jeweils für die späteren Erschiessungen seine Leute schon tags zuvor eingeteilt und entsprechend belehrt habe. Aufschlussreich sind dabei seine glaubhaften Angaben, dass keiner seiner Leute die Teilnahme an den Erschiessungen verweigert habe, dass sich vielmehr verschiedene, insbesondere die Memelländer, zu den Erschiessungen gedrängt haben. Dass nach seinem Eintreffen in Garsden von Stapo- und SD-Angehörigen noch weitere Juden festgenommen worden sind, und dass er zusammen mit seinem Fahrer, dem Zeugen Pap., ebenfalls in Häusern nach Juden gefahndet hat, hat der Angekl. Hersmann bezüglich seiner Person zunächst geleugnet, nach der Vernehmung des Zeugen Pap. aber zugegeben.

Wenn der Angekl. Hersmann auch nicht ohne weiteres zugegeben hat, die Auswüchse und Scheusslichkeiten bei der Erschiessung in Garsden ebenfalls wahrgenommen zu haben, sondern beispielsweise es nur als möglich hingestellt hat, dass die nachfolgenden Opfer die zuvor Erschossenen vor ihrer eigenen Erschiessung in den Graben haben werfen müssen, so hat das Gericht dies doch für erwiesen erachtet, da er sich nach seinen Angaben, wenn möglicherweise auch nicht die ganze Zeit, unmittelbar an der Erschiessungsstätte aufgehalten und deshalb nach der Überzeugung des Gerichts so gut wie die andern Teilnehmer die Vorgänge auch selbst gesehen hat.

Zu seiner Verteidigung hat der Angekl. Hersmann geltend gemacht, er habe aus der damaligen Mentalität heraus die Rechtswidrigkeit des Befehls nicht erkannt und er habe an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Er habe nicht als Mittäter, sondern nur als Gehilfe gehandelt und er habe sich in einer Zwangslage befunden, aus der er nicht habe ausweichen können.

Zu der Frage des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit hat der Angekl. Hersmann in der Hauptverhandlung zunächst angegeben, er habe sich über die Rechtmässigkeit oder Unrechtmässigkeit der Erschiessung in Garsden überhaupt keine Gedanken gemacht. Darüber sei er sich aber im klaren gewesen, dass nunmehr die Bereinigung der Judenfrage durch Liquidierung der Juden zu erfolgen habe, während vorher von allen möglichen Lösungen gesprochen worden sei. In seinem Schlusswort hat er fast wörtlich dazu ausgeführt, er habe den Befehl scheusslich, menschlich widerwärtig und amoralisch gefunden; es habe sich um einen unmenschlichen Wahnsinnsbefehl gehandelt, der für Menschen unzumutbar gewesen sei und der im Sinne der Moral und der christlichen Ethik ein Unrecht gewesen sei. Dieser von einer verfassungsmässig zuständigen, rechtmässigen Stelle, nämlich vom Staatsoberhaupt und dem obersten Gerichtsherrn ausgehende und von dem RSHA bestätigte Befehl, sei ihm von einem dienstlichen und militärischen Vorgesetzten als Befehl zur dienstlichen Hilfeleistung an den Hauptbefehlsempfänger (Bemerkung: womit er wohl den Angekl. Böhme gemeint hat) übermittelt worden.

Aus den eigenen Einräumungen des Angekl. Hersmann ergibt sich, dass er sich bezüglich der ihm befohlenen Massnahmen in dem Grenzstreifen bewusst gewesen ist, dass es sich um eine bedenkenlose und erbarmungslose Tötung Tausender von unschuldigen Menschen handelt, die jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht und jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Er ist sich daher, wie auch die übrigen Angeklagten von der Stapo und dem SD, der Rechtswidrigkeit der befohlenen Massnahmen bewusst gewesen und hat den verbrecherischen Zweck der befohlenen Massnahmen klar erkannt, wie schon oben bei den Ausführungen hinsichtlich des Angekl. Böhme festgestellt worden ist. Hierauf wird Bezug genommen.

Über die innere Einstellung der Haupttäter ist sich der Angekl. Hersmann nach der Überzeugung des Gerichts ebenfalls im klaren gewesen.

Durch seinen Verteidiger hat er vortragen lassen, "dass es darüber keinen Zweifel geben kann, dass die Taten, die auf Grund des sogenannten Führer-Exekutionsbefehls in dem 25 km Streifen an der Memeler Grenze geschahen, den Tatbestand des Mordes erfüllen". Er hat weiterhin ausführen lassen, die Tötung von Menschen lediglich wegen ihrer Abstammung sei sittlich so verabscheuungswürdig, dass sie nur als Zeichen einer niedrigen Gesinnung gewertet werden könne.

Das Gericht ist überzeugt, dass der Angekl. Hersmann, wie auch die anderen Angeklagten, gewusst hat, dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben, dass ihr Vorsatz die tatsächlichen Voraussetzungen der besonderen Verwerflichkeit der Tat umfasst hat, dass die Haupttäter also aus niedrigen Beweggründen und grausam gehandelt haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die näheren Ausführungen, die oben schon bei dem Angekl. Böhme gemacht worden sind, und die auch für den Angekl. Hersmann gelten, Bezug genommen.

Hinsichtlich der Teilnahmeform ist auch dem Angekl. Hersmann sein Vorbringen nicht zu widerlegen, dass er nur mit dem Gehilfenwillen und nicht mit dem Täterwillen gehandelt hat. Er ist fast gleichzeitig mit dem Angekl. Böhme von Dr. Stahlecker in den Aufgabenkreis eingeschaltet worden und hat in gleicher Weise wie der Angekl. Böhme von dem gesamten Umfang des Geschehens Kenntnis bekommen. Gegen eine Gehilfenschaft spricht, dass sich der Angekl. Hersmann sofort bereit erklärt hat, mitzumachen, nachdem vom RSHA die Bestätigung vorgelegen hatte. Er ist, wie er nicht geleugnet hat, ein politischer Aktivist im Sinn des Nationalsozialismus gewesen, möglicherweise noch mehr als der Angekl. Böhme. So sprechen für seinen Täterwillen verschiedene Bemerkungen, die er dem Angekl. Böhme gegenüber hat fallen lassen, wie das Schwurgericht festgestellt hat. Wie der Angekl. Böhme glaubhaft angegeben hat, hat der Angekl. Hersmann diesem gegenüber zum Ausdruck gebracht, er kenne die Juden besser, denn er sei aus Frankfurt. Weiterhin hat er, nachdem auf die erste Erschiessung in Krottingen vom 26.6.1941 dort ein Brand ausgebrochen war und die Judenfrauen als Brandstifter verdächtigt worden waren, zum Angekl. Böhme geäussert: "Siehst Du, das hast Du davon, wenn man nicht konsequent ist." Er hat ferner, wie der Angekl. Böhme ebenfalls glaubhaft angegeben hat, bei der Erschiessung in Krottingen vom 26.6.1941 darauf gedrängt, man solle doch gleich am nächsten Tag die Juden in Polangen erschiessen, die, wie er wisse, auch schon festgenommen worden seien. Für eine Täterschaft sprechen weiterhin die schon bei dem Angekl. Böhme angeführten Gesichtspunkte hinsichtlich der jeweiligen Aufstellung der Erschiessungskommandos, der Auswahl der zu erschiessenden Kommunisten, die Tatsache, dass er in Garsden zusammen mit seinem Kraftfahrer Pap. selbst noch nach Juden gefahndet hat sowie sein Verhalten bei dem Zuständigkeitsstreit mit dem SS-Standartenführer Jäger. Andererseits hat der Angekl. Hersmann keine Erschiessung von sich aus festgesetzt und geleitet; das Gegenteil hat nicht festgestellt werden können. Es spricht ferner der Umstand für eine Gehilfenschaft, worauf schon bei dem Angekl. Böhme hingewiesen worden ist, dass er nur auf Befehl gehandelt hat und dass beim Befohlenen die Vermutung grundsätzlich für eine Gehilfenschaft spricht. Im übrigen wird auf die Ausführungen bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen, die auch für den Angekl. Hersmann gelten.

Unter diesen Umständen hat das Schwurgericht Bedenken für die Annahme und Feststellung gehabt, dass der Angekl. Hersmann mit dem Täterwillen gehandelt hat.

An die Verbindlichkeit des Befehls hat der Angekl. Hersmann nach der Überzeugung des Gerichts so wenig geglaubt wie der Angekl. Böhme und die übrigen Angeklagten. Sein Vorbringen ist insoweit unglaubhaft und nur als leere Ausrede zu werten. Er hat, wie schon vorgetragen worden ist, mit den Ausführungen in seinem Schlusswort, es habe sich um einen für Menschen unzumutbaren, unmenschlichen Wahnsinnsbefehl gehandelt, der im Sinne der Moral und der christlichen Ethik ein Unrecht gewesen sei, selbst darauf hingewiesen und zugegeben, dass er sich des krassen Widerspruchs dieser befohlenen Massentötung zu der menschlichen Moral und zum Völkerrecht bewusst gewesen ist. Da er also klar erkannt hat, wie das Gericht feststellt, dass es sich um die Ausführung eines Verbrechens gehandelt hat, kann er sich auch nicht auf die angebliche Verbindlichkeit des Befehls berufen. Er hat nach der Überzeugung des Gerichts, wie auch die andern Stapo- und SD-Angehörigen, als getreuer Gefolgsmann seines Führers etwaige Bedenken und Hemmungen ausgeschaltet und in blindem Gehorsam mithelfen wollen und mitgeholfen, den Herrschaftsanspruch des Dritten Reiches zu verwirklichen. Im übrigen wird auf die Ausführungen bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen, welche auch für den Angekl. Hersmann gelten.

Der Einwand des Angekl. Hersmann, er habe in Befehlsnotstand gehandelt, ist nicht glaubhaft. Er ist nach der Überzeugung des Gerichts, wie schon bei dem Angekl. Böhme ausgeführt worden ist, weder in einer ausweglosen Zwangslage gewesen noch hat er eine solche angenommen. Auf die dortigen Ausführungen wird in vollem Umfang Bezug genommen.

Dass sein Einwand mit der angeblichen Zwangslage nur ein leeres Verteidigungsvorbringen ist, ergibt sich ohne weiteres auch aus der Feststellung, dass ihm in Garsden die Anzahl der festgenommenen Juden nicht genügt hat und dass er nach seinem Geständnis vor Beginn der Erschiessung zusammen mit seinem Fahrer Pap. noch nach weiteren Juden in den Häusern gefahndet hat.

Seine auf Grund der glaubhaften Aussagen der Zeugen Ko., früher bei der SD-Aussenstelle Weimar, Dr. Ki., früher zeitweise Adjutant des Reichsstatthalters Sauckel, Or., früher Staatssekretär im Innenministerium Tübingen, und Kut., früher Pressereferent beim Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Leipzig und später im Amt I des RSHA, nicht zu widerlegende Behauptung, er sei im Februar oder März 1941 nach Tilsit strafversetzt worden, vermag den Befehlsnotstand nicht zu begründen. Gegen sein Vorbringen, in Befehlsnotstand gehandelt zu haben, sprechen auch die vom Schwurgericht festgestellten und schon erwähnten Bemerkungen, die er dem Angekl. Böhme gegenüber hat fallen lassen, er kenne die Juden besser, da er aus Frankfurt sei, sein Vorwurf, dass die Judenfrauen von Krottingen nicht zusammen mit ihren Männern erschossen worden sind, und sein Drängen in Krottingen, schon am andern Tag die Juden von Polangen zu erschiessen. Wie schon bei dem Angekl. Böhme festgestellt worden ist, ist das Gericht überzeugt, dass sich der Angekl. Hersmann in keiner Zwangslage befunden und überhaupt nicht daran gedacht sowie das Empfinden gehabt hat, sich in einer ausweglosen Zwangslage zu befinden, geschweige denn, dass er den Gedanken ernsthaft erwogen hat, sich der Durchführung des Erschiessungsbefehls zu entziehen. Einen Fingerzeig dafür, wie er tatsächlich bei der Erschiessung in Garsden und bei den späteren Erschiessungen im litauischen Grenzstreifen eingestellt gewesen ist, gibt nach der Ansicht des Gerichts seine Einstellung und sein Verhalten in den letzten Kriegstagen, als jeder Einsichtige von der Niederlage der deutschen Wehrmacht überzeugt gewesen ist. Der Angeklagte hat sich damals noch der aus SD-Einheiten bestehenden und insgesamt etwa 1500 Mann starken Kampfgruppe Trummler angeschlossen und hat selbst noch am 28.4.1945 bei der Erschiessung von 5 Bürgern auf dem Marktplatz von Altötting mitgewirkt, weshalb er durch Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 wegen 5 gemeinschaftlicher, in Tateinheit begangener Verbrechen des Totschlags zu der Zuchthausstrafe von 8 Jahren verurteilt worden ist.

c. Der Angekl. Harms hat im wesentlichen den äusseren Sachverhalt, insbesondere seine Beteiligung an der Erschiessung in Garsden zugegeben.

Er will zwar bei der Erschiessung keine besondere Aufgabe gehabt haben. Dies ist jedoch widerlegt durch die bestimmten Angaben des Angekl. Böhme, dass bei allen Erschiessungen jeder eingeteilte Stapo-Beamte eine Aufgabe zugewiesen bekommen habe. Er ist sich auch nach der Überzeugung des Gerichts dessen bewusst gewesen, dass er schon durch seine Anwesenheit als Vorgesetzter sowie als Leiter der Abt. III der Stapo-Stelle Tilsit und des GPK Tilsit die Schlagkraft der Stapo erhöht und dadurch die Erschiessungshandlung unterstützt hat, was er auch gebilligt hat. Wenn er auch nicht sehr nachdrücklich mitgewirkt haben mag, was in seiner ganzen Mentalität seinen Grund hat, hat er doch einräumen müssen, an der Absperrung und Bewachung teilgenommen zu haben. Er hat auch zugegeben, dass er auf die Rüge des Angekl. Böhme, er solle nicht so untätig herumstehen, vielmehr dafür sorgen, dass die Opfer rascher zugeführt werden, die Bewachungsleute angewiesen hat, die Juden, welche gerade gebetet haben, näher an die Erschiessungsstätte heranzubringen.

Sein Vorbringen, er habe nicht gesehen - später hat er die Möglichkeit nicht ausgeschlossen -, dass die nachfolgenden Opfer die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben haben werfen müssen, bevor sie selbst erschossen worden sind, und sein weiteres Vorbringen, nicht wahrgenommen zu haben, dass die Opfer geschlagen sowie mit Gebrüll und im Laufschritt an die Erschiessungsstätte getrieben worden sind, hat ihm das Gericht nicht geglaubt, weil er sich ja an der Erschiessungsstätte, wenn auch nicht unmittelbar am Erschiessungsgraben, aufgehalten hat und deshalb diese Vorgänge hat wahrnehmen müssen.

Der Angekl. Harms war sich der Rechtswidrigkeit des Befehls bewusst, wie er eingeräumt hat. Er hat auch von Anfang an ohne weiteres zugegeben, gewusst zu haben, dass die Juden nur ihrer Rasse wegen erschossen worden sind. Im übrigen wird insoweit auf die Ausführungen über die Frage der Rechtswidrigkeit bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen.

Nach der Überzeugung des Gerichts war sich der Angekl. Harms der inneren Einstellung der Haupttäter bewusst. Dies hat der Angekl. Harms im Laufe der Hauptverhandlung auch mehr oder weniger eingeräumt. Er war einer der wenigen, die offen das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Befehls und die Kenntnis, dass die Juden nur ihrer Rasse wegen erschossen werden sollten, zugegeben hat. Auf Grund des ihm bekannt gewordenen Ausmasses der Vernichtungsmassnahmen hat er nach der Überzeugung des Gerichts gewusst, dass die Haupttäter mit Überlegung vorgegangen sind.

Er hat auf Grund seiner Angaben gewusst, dass die Juden nur wegen ihrer Rasse und die Kommunisten nur wegen ihrer politischen Einstellung getötet werden sollten. Auf Grund des ihm bekannten äusseren Erscheinungsbildes hat er also erkannt, was die Handlung der Haupttäter zum Niederen stempelt. Er hat nach der Überzeugung des Gerichts selbst wahrgenommen, wie scheusslich die Opfer behandelt worden sind und war sich nach der Überzeugung des Gerichts dessen bewusst, dass der Vorsatz der Haupttäter auch solche Scheusslichkeiten mit umfasst hat, da solche brutalen Massenerschiessungen solches zwangsläufig einschliessen.

Bezüglich der Teilnahmeform war ihm sein Vorbringen nicht zu widerlegen, er sei keinesfalls als Täter, sondern nur als Gehilfe der Haupttäter bei der Erschiessung in Garsden und bei allen späteren Erschiessungen tätig gewesen. Entsprechend seiner weichen, gutmütigen Veranlagung hat er auch nach den Feststellungen des Gerichts bei allen Erschiessungen nicht besonders nachdrücklich mitgewirkt und hat nur das jeweils ausgeführt, was er befehlsgemäss unbedingt hat ausführen müssen. Er hat deshalb nach der Überzeugung des Gerichts nur mit dem Willen gehandelt, die Tat der anderen zu unterstützen.

Auch der Angekl. Harms hat im Laufe der Verhandlung geltend gemacht, er habe an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Dieses Vorbringen wurde ihm nicht geglaubt, weil er nach der Überzeugung des Gerichts offensichtlich nur ein Verteidigungsvorbringen der andern Angeklagten nachgesprochen hat, ohne von der Richtigkeit seiner Behauptung selbst überzeugt zu sein. Er hat auf das Gericht den Eindruck eines geistig unter dem Durchschnitt stehenden Menschen gemacht, der jedoch immerhin über eine gewisse Bauernschlauheit verfügt. Wenn er auch Leiter der Abt. III bei der Stapo Tilsit gewesen ist und wenn ihm die GPKs unterstanden sind, so ist er doch der Typ des gehorsamen, devoten Subalternbeamten. Im Grunde seines Herzens ist er ein gutmütiger Mensch und hat vor allem ein Gefühl für Recht und Unrecht. Er hat auch, wie schon ausgeführt ist, eingeräumt, dass die wegen ihrer Rassezugehörigkeit erfolgte Erschiessung der Juden rechtswidrig gewesen sei. Noch in der Hauptverhandlung hat er, wie schon im Vorverfahren, angegeben, ihm sei als altem Soldaten der Gedanke, nicht zu gehorchen oder auch nur den Versuch zu machen, den Befehl nicht auszuführen, überhaupt nicht gekommen. Nachdem dann während der Hauptverhandlung der Ausdruck "Kadavergehorsam" mehrmals gefallen war, hat er in seinem Schlusswort geltend gemacht, er habe dem "Kadavergehorsam" gefolgt. Da der Angekl. Harms, wie er auch eingeräumt hat, die befohlenen Massnahmen als völlig unmoralisch und völkerrechtswidrig erkannt hat, hat er nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt, sondern eben als getreuer Gefolgsmann Hitlers in blindem Gehorsam gehandelt.

Die Behauptung des Angekl. Harms, er habe sich in einer Zwangslage befunden und in Nötigungsnotstand gehandelt, hat ihm das Gericht nicht geglaubt. Er hat sich nach der Überzeugung des Gerichts so wenig in einer Zwangslage befunden wie die andern Angeklagten der Stapo und des SD. Er hat überhaupt nicht daran gedacht und das Empfinden gehabt, sich in einer ausweglosen Zwangslage zu befinden, geschweige denn den Gedanken ernsthaft erwogen, sich der Durchführung des Befehls der Erschiessung der jüdischen Männer und der Kommunisten zu entziehen. Dass sein Vorbringen, er habe sich in einer ausweglosen Zwangslage befunden, nur ein leeres Verteidigungsvorbringen ist, geht einhellig aus der später noch zu erörternden und vom Gericht festgestellten Tatsache hervor, dass er den Befehl des Angekl. Böhme, die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder des Lagers Bataikia zu leiten, als unzumutbar mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen verstanden hat. Er hat deshalb nach der Überzeugung des Gerichts als getreuer Gefolgsmann Hitlers und als devoter Subalternbeamter in blindem Gehorsam den Befehl ausgeführt und nicht deshalb, weil er sich in einer ausweglosen Zwangslage befunden oder zu befinden geglaubt hat. Im übrigen wird auf die Ausführungen bei dem Angekl. Böhme zum Nötigungsnotstand Bezug genommen.

d. Der Angekl. Behrendt hat seine Beteiligung an der Erschiessung in Garsden im wesentlichen zugegeben. Er hat vor allem zugegeben, dass er die Gefangenen am Versammlungsplatz bewacht und, nachdem der grössere Teil von ihnen erschossen gewesen ist, jeweils die nächste Gruppe der zu Erschiessenden im Laufschritt ein Stück des Weges dem eigentlichen Zuführungskommando entgegengeführt hat.

Gegen ihn besteht starker Verdacht, dass er selbst bei der Misshandlung der Gefangenen beteiligt gewesen ist, da er von den Zeugen als sehr aktiver Gestapo-Beamter geschildert worden und damals auch noch verhältnismässig jung gewesen ist, und da er nach seinen eigenen Angaben die Gefangenen im Laufschritt zugeführt hat. Jedenfalls hat er nach der Feststellung des Gerichts die gegen die Juden verübten Grausamkeiten wahrgenommen, wenn er dies auch geleugnet hat, da er mit dem GPK Memel vor allen andern Teilnehmern schon anwesend gewesen ist, stets sich bei den Gefangenen und bei der Exekution unweit des Erschiessungsgrabens aufgehalten hat und deshalb die Vorfälle auch hat sehen müssen.

Dass der Angekl. Behrendt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit von den befohlenen Tötungen gehabt und den verbrecherischen Zweck der befohlenen Massnahmen genauso wie die andern Angehörigen von der Stapo und dem SD klar erkannt hat, ist oben schon festgestellt worden. Insoweit wird auf die Ausführungen bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen.

Der Angekl. Behrendt ist sich nach der Überzeugung des Gerichts der inneren Einstellung der Haupttäter bewusst gewesen.

Er hat aus dem ihm bekanntgegebenen Befehl entnommen, dass es sich um Vernichtungsmassnahmen grössten Ausmasses gehandelt hat, und ist sich nach der Überzeugung des Gerichts bewusst gewesen, dass solche Massnahmen von den Haupttätern nur auf Grund einer vorherigen gründlichen Planung und Organisation unter Abwägung des Für und Wider haben befohlen werden können, dass also die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben. Nach der Überzeugung des Gerichts ist sich der Angekl. Behrendt bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Haupttäter die tatsächlichen Voraussetzungen der besonderen Verwerflichkeit der Tat umfasst hat, dass sie also aus niedrigen Beweggründen und grausam gehandelt haben. Er hat gewusst, wie gegen ihn festgestellt worden ist, dass unschuldige Menschen nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und zum Teil auch wegen ihrer politischen Einstellung getötet werden sollten und getötet worden sind. Er hat also das äussere Erscheinungsbild, also all das erkannt, was die Handlung der Haupttäter zum Niedrigen stempelt. Er ist sich aber auch der Grausamkeit der Handlung der Haupttäter bewusst gewesen, weil er nach den Feststellungen des Gerichts als Ausführender selbst die Scheusslichkeiten gegenüber den Opfern wahrgenommen hat und sich deshalb nach der Ansicht des Gerichts auch darüber im klaren gewesen ist, dass auch die Haupttäter solche bei brutalen Massenerschiessungen unvermeidbare Scheusslichkeiten mit in ihren Vorsatz aufgenommen haben.

Auch dem Angekl. Behrendt ist sein Vorbringen hinsichtlich der Teilnahmeform nicht zu widerlegen gewesen, dass er nur mit dem Willen, die Tat der Haupttäter zu unterstützen, gehandelt hat. Hiefür spricht vor allem, dass er einer der jüngsten Gestapo-Beamten gewesen ist, wenn er auch schon sehr diensteifrig und aktiv sich betätigt hat.

Das Gericht ist überzeugt, dass der Angekl. Behrendt an die Verbindlichkeit des Befehls so wenig geglaubt hat wie die andern Angeklagten, weil er nach der Feststellung des Gerichts den Widerspruch der befohlenen Massentötung zum Völkerrecht und zu jeder menschlichen Moral erkannt hat. Als getreuer Gefolgsmann Hitlers hat er jedoch etwaige Bedenken ausgeschaltet und in blindem Gehorsam seinen Tatbeitrag zur Verwirklichung des Herrschaftsanspruchs des Dritten Reichs geleistet.

Das Vorbringen, er habe sich in Nötigungsnotstand befunden, ist dem Angekl. Behrendt nicht geglaubt worden. Er hat sich nach der Überzeugung des Gerichts weder in einer ausweglosen Zwangslage befunden noch eine solche angenommen. Es wird auf die Ausführungen bei dem Angekl. Böhme über den Befehlsnotstand in vollem Umfang Bezug genommen.

e. Der Angekl. Sakuth hat, wie oben schon ausgeführt worden ist, angegeben, dass er am Vormittag des 23.6.1941 mit Dr. Frohwann vom GPK Memel auf dessen Veranlassung nach Garsden gefahren sei, wo dann angeblich Dr. Frohwann von dem verwundeten Oberleutnant "Slevogt" um Übernahme der von der Wehrmacht wegen Widerstands gefangenen Einwohner von Garsden angegangen worden sei.

Dass diese Behauptung von der Unterredung mit dem Wehrmachtsoffizier nicht richtig ist - auch der Angekl. Hersmann hat hievon keine Kenntnis bekommen -, sondern dass Dr. Frohwann am 23.6.1941 vormittags deshalb nach Garsden gefahren ist, um mit seinen Leuten auf Befehl des Angekl. Böhme die Juden und Kommunisten festzunehmen, ist oben schon festgestellt worden.

Da aber der Angekl. Sakuth selbst zugegeben hat, mit Dr. Frohwann an diesem Vormittag nach Garsden gefahren zu sein, und da an diesem Vormittag Dr. Frohwann nach den Feststellungen des Gerichts die Juden aus dem Stadtgarten hat herausholen und festnehmen lassen, ist das Gericht überzeugt, dass der Angekl. Sakuth in Kenntnis von der bevorstehenden Erschiessung dieser Gefangenen schon bei dieser Festnahme mitgewirkt hat. Denn das Gericht ist weiterhin, wie oben schon ausgeführt worden ist, davon überzeugt, dass der Angekl. Sakuth zuvor in vollem Umfang von Dr. Frohwann über den neuen Aufgabenkreis in dem Grenzstreifen unterrichtet worden ist, was allerdings der Angekl. Sakuth stets geleugnet hat. Der Angekl. Hersmann nimmt dies als sicher an. Das persönlich gute Einvernehmen der beiden Aussenstellenleiter von der Stapo und dem SD, die im gleichen Gebäude in Memel ihre Dienststelle und dienstlich viel miteinander zu tun gehabt haben und die ausserdienstlich oft beieinander gewesen sind, spricht dafür, dass Dr. Frohwann den Angekl. Sakuth in eine so wichtige Angelegenheit eingeweiht hat, bevor er ihn nach Garsden mitgenommen hat. Dies gilt um so mehr, als Dr. Frohwann nach den Feststellungen des Gerichts aus den Informationen des Angekl. Böhme gewusst hat, dass der Stapo-Abschnitt Tilsit zusammen mit dem SD-Abschnitt Tilsit die Säuberungsmassnahmen im Grenzstreifen durchzuführen habe, weshalb er nach der Überzeugung des Gerichts schon aus diesem Grund den Angekl. Sakuth voll unterrichtet hat.

Dass der Angekl. Sakuth aber ausserdem noch am 24.6.1941 in Garsden vor Beginn der Erschiessung durch den Angekl. Hersmann in alle Einzelheiten eingewiesen worden ist, hat das Gericht ebenfalls für erwiesen erachtet. Der Angekl. Sakuth hat dies nicht etwa mit aller Bestimmtheit geleugnet, sondern sich dahin ausgelassen, er glaube nicht, von dem Angekl. Hersmann hierüber aufgeklärt worden zu sein. Der Angekl. Hersmann hat in der Hauptverhandlung hiezu angegeben, er habe den Angekl. Sakuth in Garsden möglicherweise nur andeutungsweise über die Liquidierungsaufgaben in dem Grenzstreifen eingeweiht, während er im Vorverfahren dem Untersuchungsrichter gegenüber diese Einschränkung nicht gemacht, sondern angegeben hat, er habe ihn aufgeklärt. Zuvor hat er schon bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben: "Sicher habe ich mit Sakuth darüber gesprochen und wahrscheinlich auch mehrmals. Da ich am ersten Tag in Garsden innerlich starke Bedenken gegen diese Massnahmen hegte, kann es auch sein, dass Sakuth in sehr vorsichtiger Form gleiches äusserte." Da aber der Angekl. Hersmann, wie festgestellt worden ist, auch die andern Angehörigen vom SD am 23.6.1941 in vollem Umfang in das neue Aufgabengebiet eingeweiht hat, ist nach der Überzeugung des Gerichts der Angekl. Sakuth, der immerhin Leiter der SD-Aussenstelle Memel und SS-Hauptsturmführer gewesen ist, erst recht von ihm in vollem Umfang unterrichtet worden. Der Angekl. Sakuth hat seine Anwesenheit bei der Erschiessung in Garsden am 24.6.1941 zugegeben, jedoch seine Mitwirkung an dieser Erschiessung geleugnet. Er hat behauptet, er habe sich während der Erschiessung zusammen mit Dr. Berthalot, dem Stellvertreter des Angekl. Hersmann, in einem Auto sitzend mit dem Rücken zum Erschiessungsplatz aufgehalten und nur Salven gehört, er habe die
Gefangenen auch nicht einzeln, sondern alle beisammen auf einem Haufen gesehen. Wegen seiner Untätigkeit sei er auch am Schluss der Erschiessung von dem Angekl. Fischer-Schweder gerügt worden.

Hinsichtlich seines Bewusstseins der Rechtswidrigkeit der Erschiessung hat der Angekl. Sakuth verschiedene Angaben gemacht. Im Vorverfahren hat er das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit geleugnet. In der Hauptverhandlung hat er angegeben, er habe sich über die Rechtmässigkeit oder Unrechtmässigkeit der Erschiessung sämtlicher Gefangener überhaupt keine Gedanken gemacht. Er habe sich eben an die vorausgegangene Schilderung des Oberleutnants der Wehrmacht von dem Widerstand und der Gefangennahme der Zivilisten gehalten. In seinem Schlusswort hat er wiederum vorgebracht, er habe das Verbrechen in Garsden nicht erkannt, und hat weiterhin behauptet, er sei nur aus Neugierde in Garsden gewesen. In der Hauptverhandlung hat er auch noch angedeutet, er habe sich in einer Zwangslage befunden.

Dass der Angekl. Sakuth nur aus Neugierde bei der Erschiessung in Garsden gewesen ist, hat ihm das Schwurgericht nicht geglaubt. Sein Vorbringen wird auch durch die glaubwürdigen Aussagen des von ihm in die Hauptverhandlung als Entlastungszeugen eingeführten Professor Fu. widerlegt. Der Zeuge Fu. ist am Priesterseminar und an der Universität Kowno tätig gewesen und hat sich von April 1941 bis August 1941 in Memel aufgehalten, wo ihn der Angekl. Sakuth kennengelernt hat. Nach den glaubhaften Bekundungen dieses Zeugen ist der Angekl. Sakuth ganz verstört bei ihm erschienen und hat ihm erzählt - und zwar nach der Erinnerung des Zeugen Fu. noch vor dem Brand in Krottingen vom 26./27.6.1941 -, er habe an einer Judenerschiessung teilnehmen müssen und hinzugesetzt, so etwas mache er nie wieder mit. Daraus erhellt, dass der Angekl. Sakuth nicht etwa aus Neugierde in Garsden gewesen ist und dass er sich auch, wie schon festgestellt ist, darüber im klaren gewesen ist, dass es sich um eine Judenerschiessung gehandelt hat. Der Angekl. Sakuth ist dann auch noch bei den späteren Judenerschiessungen in Krottingen I vom 26.6.1941 und in Polangen I vom 30.6.1941 dabeigewesen, wie noch festzustellen ist. Das Vorbringen des Angekl. Sakuth, er sei nur aus Neugierde, also ohne eine dienstliche Aufgabe in Garsden gewesen, ist aber auch schon deshalb unglaubhaft, weil der Angekl. Hersmann bis zu seiner Ankunft in Garsden, wie festgestellt worden ist, noch davon ausgegangen ist, dass die Stapo- und SD-Leute die Gefangenen selbst erschiessen müssen, so dass schon aus diesem Grund die Anwesenheit jedes einzelnen SD-Angehörigen notwendig gewesen ist.

Es mag sein, dass der Angekl. Sakuth, den übrigens der Angekl. Böhme als besonders rührig gekennzeichnet hat, bei dieser ersten Erschiessung in Garsden etwas zurückhaltend gewesen ist. Das Gericht hat ihm jedoch nicht geglaubt, dass er sich während der ganzen Zeit der Erschiessung in dem PKW aufgehalten hat. Dies hätte schon der Angekl. Hersmann nicht zugelassen. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass der Angekl. Sakuth, welcher mit den Angehörigen des GPK Memel von Anfang an und noch vor allen andern Teilnehmern in Garsden gewesen ist und die Scheusslichkeiten gegenüber den Opfern sowohl bei den Vorbereitungen als auch bei der Erschiessung selbst wahrgenommen hat, während der etwa 2 Stunden dauernden Erschiessung beim Anblick der Tötung der unschuldigen Opfer schliesslich von einem Ekel erfasst worden ist und sich dann mit Dr. Berthalot in das Kraftfahrzeug gesetzt hat. Die Gewissenspein ob dem furchtbaren Erlebnis mag ihn dann dazu getrieben haben, sich dem Zeugen Fu. zu offenbaren. Dennoch ist er aber bei den späteren Judenerschiessungen in Krottingen und Polangen wieder dabeigewesen, wie noch festzustellen ist. Das Gericht ist aber überzeugt, dass sich der Angekl. Sakuth dessen wohl bewusst gewesen ist und dies auch gebilligt hat, dass er schon durch seine Anwesenheit als SD-Aussenstellenleiter von Memel und als SS-Hauptsturmführer die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft erhöht und dadurch die Erschiessung unterstützt hat.

Der Angekl. Sakuth ist sich der Rechtswidrigkeit der Erschiessung in Garsden und der weiteren Erschiessungen bewusst gewesen und hat den verbrecherischen Zweck der befohlenen Massnahmen klar erkannt, wie oben schon festgestellt worden ist. Insoweit wird auf die Ausführungen über die Frage der Rechtswidrigkeit bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen.

Ergänzend wird noch ausgeführt: Nach den Bekundungen der Zeugen Kol., früher Landrat in Memel, Dr. Bri., früher Oberbürgermeister von Memel, Dr. Ro., früher Oberstaatsanwalt in Memel, wird der Angekl. Sakuth als ein zwar eifriger, aber gerecht denkender SD-Mann geschildert, der bemüht gewesen ist, Missstände innerhalb der Partei aufzudecken. Er ist sich daher nach der Überzeugung des Gerichts bei Kenntnisnahme des grauenhaften Säuberungsbefehls sofort bewusst gewesen, dass die dem Völkerrecht und jeder menschlichen Moral Hohn sprechende und jeder rechtlichen Grundlage entbehrende Massnahme nichts anderes als ein Verbrechen ist. Dies ergibt sich auch aus seinem oben geschilderten Verhalten gegenüber dem Zeugen Fu. Seine diesbezüglichen Angaben im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung sind deshalb unglaubhaft und nur als leeres Verteidigungsvorbringen zu werten.

Das Schwurgericht ist auch überzeugt, dass der Angekl. Sakuth bei Kenntnisnahme des Säuberungsbefehls die innere Einstellung der Haupttäter erkannt hat.

Dass solch umfangreiche, einschneidende Massnahmen nicht ohne vorherige Planung, Organisation und Abwägung des Für und Wider seitens der Haupttäter befohlen werden, dass mit anderen Worten die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben, hat auch der Angekl. Sakuth gewusst, wie das Gericht feststellt. Aus dem äusseren Erscheinungsbild dieser befohlenen Massentötung, nämlich aus der ihm bekannten Tatsache, dass alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht wegen ihrer Rassezugehörigkeit und die Kommunisten wegen ihrer politischen Einstellung zu töten sind, hat er nach der Feststellung des Gerichts alle erforderlichen Merkmale erkannt, welche die Tat der Haupttäter zum Niedrigen stempeln.

Er ist sich aber auch der Grausamkeit der Haupttäter bewusst gewesen, da es für ihn als klar denkenden Menschen unverkennbar gewesen ist, dass derartige Massenerschiessungen stets besondere körperliche und seelische Pein mit sich bringen und solche Massnahmen nur das Produkt einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung sein können, und da er an der Erschiessungsstätte selbst noch wahrgenommen hat, wie grausam mit den Opfern verfahren worden ist, womit er das Mass der Grausamkeit mehr als verdeutlicht erhalten hat. Der Angekl. Sakuth war sich daher nach der Überzeugung des Schwurgerichts bewusst, dass der Vorsatz der Haupttäter die besondere Verwerflichkeit der Tat, nämlich sowohl den niedrigen Beweggrund, als auch die Grausamkeit umfasst.

Nicht nachzuweisen ist dem Angekl. Sakuth angesichts seines Verhaltens, dass er mit dem Täterwillen gehandelt hat. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat er sowohl bei dieser wie auch bei den späteren Erschiessungen die Tat des Befehlenden nur unterstützen wollen, hat also nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt.

Der Angekl. Sakuth hat nach der Überzeugung des Gerichts nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt, was er auch nicht ausdrücklich geltend gemacht hat. Bei seinem Sinn für Recht und Unrecht hat er, wie das Gericht feststellt, klar erkannt, dass es keinen bindenden Befehl gibt, der solche Verbrechen entschuldigt.

Der Angekl. Sakuth ist nach der Überzeugung des Schwurgerichts weder bei dieser noch bei den späteren Erschiessungen in einer ausweglosen Zwangslage gewesen, noch hat er eine solche angenommen.

Sein Vorbringen, das ihm allerdings nicht geglaubt worden ist, er sei nur aus Neugierde zu der Erschiessung nach Garsden gegangen, ist auch mit einem Nötigungsnotstand nicht zu vereinbaren. Der Angekl. Sakuth ist, wie er zugegeben hat, ein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Er hat deshalb nach der Überzeugung des Gerichts als überzeugter Nationalsozialist und als getreuer Diener Hitlers unter Zurückstellung etwaiger Bedenken und Hemmungen in blindem Gehorsam mitgemacht. Seine Einstellung ergibt sich auch aus seinem Gesamtverhalten; denn er hat, wie auch die übrigen Angeklagten der Stapo und des SD, soweit sie nicht abkommandiert worden sind, bis zum Zusammenbruch zu seiner Organisation gehalten. Er hat ferner an weiteren Erschiessungen teilgenommen, obwohl er als Leiter der Aussenstelle Memel, zu welcher sonst keine weiteren SD-Angehörigen gezählt haben, nach der Ansicht des Gerichts sehr leicht die Möglichkeit gehabt hätte, sich unter irgendeinem Vorwand von den Erschiessungen zu drücken. Im übrigen wird auf die eingehenden Ausführungen zu der Frage des Nötigungsnotstands bei dem Angekl. Böhme, die auch für den Angekl. Sakuth gelten, Bezug genommen.

f. Der Angekl. Kreuzmann hat nicht nur seine Teilnahme, sondern auch seine Anwesenheit bei der Erschiessung in Garsden und bei der späteren Erschiessung in Krottingen sowie irgendwelche Vorbereitungshandlungen zu den Erschiessungen geleugnet. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts ist er jedoch beteiligt gewesen.

Vorsorglich hat er durch seinen Pflichtverteidiger ausführen lassen, er habe nicht das Unrechtsbewusstsein gehabt, denn er habe an die Gesetzmässigkeit des Führerbefehls geglaubt und ihn für sich als verbindlich angesehen. Schon in der Monarchie sei der Kaiser nicht deliktsfähig gewesen. Dies habe in verstärktem Masse für die Zeit des Hitlerreiches gegolten. Hitlers Befehl habe kein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezwecken können. Schliesslich hat der Verteidiger auch für den Angekl. Kreuzmann Nötigungsnotstand geltend gemacht.

Der Angekl. Kreuzmann wird von allen Angehörigen der Stapo-Dienststelle, die in der Hauptverhandlung als Angeklagte oder als Zeugen vernommen worden sind, als korrekter Beamter glaubhaft geschildert. Sein Vorbringen, er habe sich nach der Kapitulation in Uniform in die Kriegsgefangenschaft begeben und habe seine Zugehörigkeit zur Geheimen Staatspolizei nicht geleugnet, ist ihm nicht zu widerlegen gewesen. Andererseits hat aber der Angekl. Kreuzmann auf das Gericht nicht den Eindruck einer wahrheitsliebenden Person gemacht, insbesondere nicht, was die Angaben hinsichtlich seiner Belastung oder die der Stapo-Angehörigen betrifft. Dank seiner Intelligenz und Schlagfertigkeit ist er nie mit einer Ausrede verlegen gewesen. Dass er nach der Feststellung des Gerichts nicht wahrheitsliebend ist und wiederholt die Unwahrheit gesagt hat, hat sich u.a. aus folgendem ergeben:

Der Angekl. Kreuzmann hat als Leiter der Abt. II (Exekutivabteilung) der Stapo-Stelle Tilsit mit aller Entschiedenheit die Kenntnis von sogenannten verschärften Vernehmungen und ferner von Abrügungen der Fremdarbeiter durch Angehörige seiner Abteilung geleugnet. Auf Grund der insoweit glaubwürdigen Aussagen der Zeugen D., Gen., W., Gerke und Krumbach, welche der Abteilung II als Gestapo-Beamte angehört haben, der Zeugin Bü., welche Schreibkraft bei der Abt. II gewesen ist, sowie auf Grund der Bekundungen der Zeugen Gri., früher beim GPK Memel, R., früher bei der Stapo Tilsit und Grenzpolizeinebenstelle Heydekrug sowie O., früher bei der Schupo Tilsit, ist jedoch erwiesen, dass verschärfte Vernehmungen sowie Abrügungen von Fremdarbeitern sehr oft stattgefunden haben. In der Hauptsache hat es sich um Abrügungen von Fremdarbeitern gehandelt, welche ihren Arbeitsverpflichtungen nicht nachgekommen sind. Sie sind von den Stapo-Angehörigen der Abt. II teils im Dienstzimmer des betreffenden Beamten, teils auf dem Flur und nach den Aussagen des Zeugen O. mindestens 1-2mal wöchentlich auf einem Bock in der Garage mit Ochsenziemern geschlagen worden, wobei ihre Schmerzensschreie weithin hörbar gewesen sind. Selbst der Angekl. Böhme hat in seinem Schlusswort schliesslich zugegeben, dass sogar einmal ein polnischer Fremdarbeiter auf dem Flur zu Tode geprügelt worden ist. Nur der Angekl. Kreuzmann, der Leiter der Abteilung II, hat trotz der Aussagen der genannten Personen die Stirn gehabt, zu behaupten, er habe von diesen verschärften Vernehmungen nichts gewusst. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat er hievon als Leiter der Abt. II selbstverständlich Kenntnis gehabt, zumal nach der Vorschrift jeweils ein Kommissar bei diesen verschärften Vernehmungen hat anwesend sein müssen, und hat auch die lauten Schmerzensschreie der Geschlagenen so gut wie die andern gehört. Weiterhin hat er auf die Frage des Vorsitzenden, warum er in seinem Entnazifizierungsverfahren den Zeugen Ilges und nicht seinen Duzfreund, den Zeugen Gerke als Entlastungszeugen angegeben habe, bewusst unwahrerweise erklärt, er habe die Anschrift des Zeugen Gerke nicht gekannt. Da aber auf seinem von ihm in der Hauptverhandlung vorgelegten Spruchkammerurteil seine damalige Anschrift gestanden und diese Anschrift identisch gewesen ist mit der der Eltern des Zeugen Gerke, die, wie er damals genau gewusst hat, mit diesem in Verbindung gestanden sind, hat er diese bewusst unwahre Erklärung zurücknehmen müssen. Er ist aber um eine neue Ausrede nicht verlegen gewesen und hat angegeben, er habe damals Ilges deshalb anstelle von Gerke als Entlastungszeugen angegeben, weil er Ilges in Anbetracht des damaligen Problems, ob man der Stapo-Tätigkeit habe ausweichen können, für den richtigen Zeugen gehalten habe.

Seine Unwahrhaftigkeit hat sich auch im Zusammenhang mit dem sogenannten Frohwann-Bericht gezeigt. Der Angekl. Böhme hat nämlich im Vorverfahren bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter vom 30.10.1956 behauptet, er habe, nachdem auf seine Anfrage fernschriftlich von Königsberg mitgeteilt worden sei, er solle wegen der von der Wehrmacht übergebenen Gefangenen die nähere Anweisung des Dr. Stahlecker abwarten, vorsorglich Dr. Frohwann vom GPK Memel beauftragt, weitere Ermittlungen wegen der Festnahmen durchzuführen. Bei seiner Vernehmung vom 22.11.1956 hat er angegeben, den Bericht habe ihm der Angekl. Kreuzmann vorgelegt, er selbst habe ihn nicht gelesen. Der Angekl. Kreuzmann hat bei seiner Vernehmung vom 2.11.1956 angegeben, er erinnere sich an den Bericht von Dr. Frohwann nicht. Bei seiner Vernehmung vom 8.1.1957 hat der Angekl. Kreuzmann angegeben, es sei ihm nicht erinnerlich, einen umfangreichen Bericht von Dr. Frohwann eingesehen zu haben. Als ihm dann bei der gleichen Vernehmung die Angaben des Angekl. Böhme vom 2.11.1956 vorgehalten worden sind, hat er erklärt, er könne sich an diesen Bericht nicht erinnern. Bei seiner Vernehmung vom 21.3.1957 hat er auf die Frage, ob in den Tagen nach Beginn des Russlandfeldzugs das GPK Memel unter Dr. Frohwann berichtet habe, dass in Garsden Juden und der Teilnahme am Kampf verdächtige Einwohner festgenommen worden seien, erwidert, er könne sich an einen solchen Bericht erinnern. Er hat hinzugesetzt, in dem Bericht sei gemeldet worden, dass von Einheiten der Wehrmacht und auch von anderen Stellen Personen zugeführt worden seien. Nach der Überzeugung des Gerichts ist aber ein solcher Bericht von dem Angekl. Böhme niemals angefordert worden und ist auch bei der Stapo-Stelle Tilsit niemals eingegangen, weil nach den Feststellungen des Gerichts das Vorbringen des Angekl. Böhme nicht wahr ist, dass Einwohner von Garsden von der Wehrmacht wegen Widerstands festgenommen und dem GPK Memel übergeben worden sind. In der Hauptverhandlung hat nun der Angekl. Kreuzmann auf die Frage des Angekl. Böhme, ob er sich noch an den umfangreichen Bericht erinnere, der nach der Erschiessung in Garsden gemäss seiner (Böhmes) Anweisung vorgelegt und dann weitergeleitet worden sei, erklärt, er könne sich an den Eingang dieses Berichtes, aber nicht an seinen Inhalt erinnern, er sei sehr umfangreich gewesen. Später hat der Angekl. Kreuzmann die Frage des Oberstaatsanwalts, ob der umfangreiche Bericht von Dr. Frohwann über Garsden zu seiner Kenntnis gekommen sei, bejaht und hinzugesetzt, er sei damals Kommissar vom Dienst gewesen, er wisse noch, dass es ein grosser Bericht von Dr. Frohwann gewesen sei, er könne aber nicht mehr sagen, ob er die Festnahme der in Garsden Erschossenen betroffen habe.

Alle diese Widersprüche können nach der Überzeugung des Schwurgerichts nicht mit durch den Zeitablauf bedingten Erinnerungslücken des Angekl. Kreuzmann erklärt werden, sondern sind bewusste Unwahrheiten und Täuschungsmanöver.

Der Angekl. Böhme hat den Angekl. Kreuzmann bei den wiederholten polizeilichen Vernehmungen schwer belastet. Noch bei seiner richterlichen Vernehmung durch den Untersuchungsrichter am 16.11.1956 hat er angegeben: "Dass Kreuzmann in Garsden, Krottingen und mindestens einmal in Pogegen (Bemerkung: Pogegen betrifft die Erschiessung von russischen Kommissaren) mitgewirkt hat, weiss ich sicher." Der Angekl. Kreuzmann hat am 3.11.1956 bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, er habe an keiner Erschiessung teilgenommen und dies damit begründet, dass an ihn die Notwendigkeit der Teilnahme an Erschiessungen gar nicht herangetreten sei, was sich aus seiner dienstlichen Verwendung erkläre. Daraus könnte entnommen werden, dass der Angekl. Kreuzmann den Angekl. Böhme wegen seiner Abwesenheit hätte vertreten müssen. Dies hat er aber auch wieder nicht wahrhaben wollen, und er hat seine Aussagen dahin berichtigt, dass er nur in seiner Abteilung II den Angekl. Böhme bei dessen Abwesenheit vertreten habe. Es liegt zwar der Verdacht nahe, dass der Angekl. Kreuzmann nach dem Weggang des Zeugen Ilges der Vertreter des Angekl. Böhme gewesen ist, da eine ganze Reihe von Zeugen, welche früher der Stapo-Stelle Tilsit angehört haben, nämlich die Zeugen Ma., Li., Ras., Pe., Gerke und Krumbach in der Hauptverhandlung jeweils spontan ausgesagt haben, sie haben den Angekl. Kreuzmann für den Stellvertreter des Angekl. Böhme gehalten. Dennoch hat das Gericht den Nachweis nicht mit hinreichender Sicherheit für erbracht angesehen.

Wohl aber ist das Gericht auf Grund der Aussagen der genannten Zeugen überzeugt - der Zeuge Gerke hat dabei für den Angekl. Kreuzmann den Ausdruck "graue Eminenz" geprägt -, dass zwischen den Angekl. Böhme und Kreuzmann ein besonders enges Vertrauensverhältnis bestanden hat, was auf das gefällige Wesen und auf die guten Kenntnisse und Erfahrungen des geistig weit über dem Durchschnitt stehenden Angekl. Kreuzmann zurückzuführen ist. Der Angekl. Kreuzmann ist, wie das Gericht feststellt, der Mann des Vertrauens und die rechte Hand des Angekl. Böhme in allen dienstlichen Fragen gewesen. Beide haben sich auch nach dem Krieg wiederholt getroffen. Dies hat der Angekl. Böhme zunächst geleugnet, nach der Vernehmung des Zeugen Gerke in der Hauptverhandlung aber zugeben müssen. Der Zeuge Gerke hat ebenfalls einmal an einem vereinbarten Treffen der Angeklagten Böhme und Kreuzmann teilgenommen. Dabei ist, wie der Zeuge Gerke glaubhaft angegeben hat, von Tilsit gesprochen und vereinbart worden, sich nicht mehr zu treffen, um nicht den Angekl. Böhme der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung auszusetzen. Nach den Bekundungen des Zeugen Gerke ist auch möglicherweise ausgemacht worden, wie man sich später verhalten soll. Dies hat das Gericht für erwiesen erachtet.

Bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 29.11.1956 hat der Angekl. Kreuzmann wiederum angegeben, er habe nie an einer Erschiessung teilgenommen und habe auch nie den Befehl hiezu vom Angekl. Böhme erhalten. Dies hat er nunmehr damit begründet, er habe als einziger Beamter der Stapo-Stelle Tilsit keine feldgraue, sondern nur eine schwarze SS-Uniform gehabt und der Angekl. Böhme habe nur Gestapo-Beamte zu Erschiessungen zugezogen, die graue Uniformen gehabt haben. Als nun der Angekl. Böhme am 19.12.1956 wieder polizeilich vernommen worden ist, ist er auf Vorhalt der Angaben des Angekl. Kreuzmann "umgefallen" und hat angegeben, nach seiner bisherigen Ansicht sei der Angekl. Kreuzmann bei den Erschiessungen in Garsden und in Krottingen dabeigewesen; bei dem energischen Bestreiten des Angekl. Kreuzmann gerate er nun in Zweifel. Es sei ihm allerdings erinnerlich, dass der Angekl. Kreuzmann bei Ausbruch des Russlandfeldzugs keine feldgraue Uniform besessen habe, damals seien nur die Beamten der Grenzpolizeikommissariate mit solchen Uniformen versehen gewesen.

Nach der Überzeugung des Gerichts ist aber die Behauptung des Angekl. Kreuzmann, er habe deshalb an keiner Erschiessung teilnehmen können, weil er keine feldgraue Uniform besessen habe, nur ein leeres Schutzvorbringen. Es kann dabei völlig dahingestellt bleiben, ob der Angekl. Kreuzmann zur Zeit der Erschiessung in Garsden eine feldgraue Uniform gehabt hat oder nicht. Jedenfalls hätte er sich eine feldgraue Uniform aus der Bekleidungskammer der Stapo Tilsit beschaffen können. Der Zeuge Krumbach hat nach seinen insoweit glaubhaften Bekundungen bei dieser Kammer ebenfalls eine feldgraue Uniform gefasst, als er im Jahr 1940 als Kommissar auf Probe zur Stapo-Stelle Tilsit versetzt worden ist. Dass der Nichtbesitz einer feldgrauen Uniform kein Abhaltungsgrund für die Teilnahme an der Erschiessung in Garsden gewesen ist, ergibt sich aus den Bekundungen des Zeugen Li., der früher bei der Abt. III der Stapo Tilsit gewesen ist. Der Zeuge Li. hat glaubhaft ausgesagt, dass sowohl er als auch der Angekl. Harms in Zivil an der Erschiessung in Garsden teilgenommen haben. Er hat weiterhin ausgesagt, er glaube auch, dass der Angekl. Kreuzmann in Zivil an dieser Erschiessung teilgenommen habe, wisse dies aber nicht mehr bestimmt.

Der Angekl. Harms hat im Vorverfahren stets angegeben, er habe bei der Erschiessung in Garsden Zivilkleidung getragen. In der Hauptverhandlung hat er dann angegeben, er wisse nicht mehr, ob er schon bei der Erschiessung in Garsden oder erst später eine feldgraue Uniform getragen habe. Dafür, dass er zur Zeit der Erschiessung in Garsden noch keine feldgraue Uniform getragen hat, spricht der Umstand, dass er keinen SS-Angleichungsdienstgrad gehabt und damit in normalen Zeiten nicht das Recht zum Tragen der Uniform eines Stapo-Angehörigen gehabt hat. Weiterhin spricht auch dafür folgender Vorfall, der zugleich zeigt, dass der Besitz oder Nichtbesitz einer feldgrauen Uniform für die Teilnahme an der Erschiessung keine Rolle gespielt hat: Der Angekl. Harms hat sowohl im Vorverfahren wie insbesondere auch in der Hauptverhandlung trotz des Leugnens des Angekl. Böhme immer wieder durchaus glaubwürdig und mit aller Bestimmtheit angegeben, der Angekl. Böhme habe an ihn das Ansinnen gestellt, die Erschiessung der im Lager Batakai (Bataikia) untergebrachten jüdischen Frauen und Kinder zu leiten. Dies wird später noch näher ausgeführt. Dieses Ansinnen habe er aber abgelehnt. Darauf habe der Angekl. Böhme, was auch das Gericht für erwiesen erachtet hat, geantwortet: "Was, Kommissar, dann stecke ich Sie in eine SS-Uniform und gebe Ihnen den dienstlichen Befehl!" Wie der Angekl. Harms weiterhin glaubhaft ausgesagt hat, hat dann auf seine Bitte der Angekl. Böhme doch davon abgesehen, ihn mit der Leitung dieser Frauen- und Kindererschiessung zu beauftragen. Aus diesem Vorfall ergibt sich, dass der Angekl. Böhme davon ausgegangen ist, dass der Angekl. Harms jederzeit in eine feldgraue Uniform gesteckt werden könne.

Dass es sich nur um ein leeres Schutzvorbringen des Angekl. Kreuzmann handelt, ergibt sich vor allem aus den Angaben des Angekl. Böhme zu dem noch zu behandelnden Erschiessungsfall Polangen I. Auf die Frage des Oberstaatsanwalts hat der Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung angegeben, er habe mit der Durchführung der Erschiessung in Polangen I (30.6.1941) zunächst den Angekl. Kreuzmann beauftragen wollen. Da aber der Angekl. Hersmann bei dieser Erschiessung ebenfalls zugegen gewesen sei, habe er dem Sturmbannführer Hersmann nicht den Obersturmführer Kreuzmann als Leiter vorsetzen wollen. Auf die weitere Frage, ob sich denn der Angekl. Kreuzmann innerhalb der 6 Tage (Bemerkung: gerechnet von der am 24.6.1941 stattgefundenen Erschiessung in Garsden ab) die graue Uniform angeschafft habe, hat der Angekl. Böhme kleinlaut erwidert, das wisse er nicht, er habe es ihm aber befohlen. Er hat noch hinzugesetzt, er könne sich nach der langen Zeit nicht mehr erinnern, warum er gerade den Angekl. Kreuzmann und nicht Dr. Frohwann oder einen anderen Kommissar mit der Erschiessung habe beauftragen wollen. Letzteres ist jedoch nach der Überzeugung des Gerichts damit zu erklären, dass der Angekl. Böhme, wie er wiederholt angegeben hat, grundsätzlich jeweils "Modellfälle gebaut" hat, an denen solche Stapo-Beamte haben teilnehmen müssen, die er für eine spätere Erschiessung als deren Leiter vorgesehen gehabt hat. Hieraus ergibt sich wiederum, dass der Angekl. Kreuzmann vor der Erschiessung in Polangen an einer anderen Erschiessung teilgenommen haben muss. Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugen Krumbach und Gerke hat jeder Stapo-Beamte einmal an einer Erschiessung teilnehmen müssen. Auf die Frage, wann der Angekl. Kreuzmann an einer Erschiessung teilgenommen habe, hat der Zeuge Krumbach ausgesagt, er wisse nur, dass der Angekl. Kreuzmann ebenfalls zu Judenerschiessungen mitgefahren sei, daran erinnere er sich bestimmt und er glaube auch, dass Kreuzmann in Krottingen dabeigewesen sei. Der Zeuge Krumbach selbst hat, wie oben schon ausgeführt worden ist, an der Erschiessung in Garsden nicht teilgenommen; er ist erst am Vormittag des 24.6.1941 zwischen 11 und 12 Uhr nach seiner Rückkehr aus Gumbinnen zum Dienst erschienen. Darüber hat er keine Aussagen machen können, ob bei seinem Dienstantritt an diesem Tag der Angekl. Kreuzmann auf der Dienststelle gewesen ist, wofür an und für sich kein Grund vorgelegen hat, da der Zeuge Ilges, der formelle Stellvertreter des Angekl. Böhme, zu dieser Zeit ebenfalls in Tilsit gewesen ist. Der Zeuge Ilges hat zu dieser Frage keine präzisen Angaben machen können oder wollen und hat den Eindruck hinterlassen, dass er den Angekl. Kreuzmann tunlichst nicht hat belasten wollen.

Der Angekl. Hersmann nimmt an, dass der Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Garsden teilgenommen hat. Seiner Ansicht nach müsse der Angekl. Kreuzmann bei einer der Erschiessungen teilgenommen haben, er könne aber nicht mehr sagen, um welche Erschiessung es sich gehandelt habe. Der Zeuge Li. hat in der Hauptverhandlung zunächst angegeben, dass seines Wissens die Angeklagten Kreuzmann und Harms in Garsden dabeigewesen seien. Dies hat er wieder dahin abgeschwächt, dass er heute nicht mehr mit Sicherheit sagen könne, ob die Angeklagten Harms und Kreuzmann an dieser Erschiessung teilgenommen haben. Dabei hat er hinzugesetzt, dass weder er noch die beiden Angeklagten Harms und Kreuzmann damals eine SS-Uniform gehabt haben. Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung hat er ausgesagt, dass der Angekl. Kreuzmann bei der Erschiessung in Garsden Zivilkleidung und dazu Schaftstiefel getragen habe. Darauf hat der Angekl. Kreuzmann erwidert, er sei nie in Zivil mit Schaftstiefeln ausgegangen, in einem solchen Aufzug seien nur die Kommissare Krumbach und Gerke gegangen. Darauf hat wieder der Zeuge Li. erklärt, er wisse jetzt nicht, was der Angekl. Kreuzmann angehabt habe. Aus den Aussagen dieses Zeugen, hat das Gericht jedenfalls soviel entnommen, dass er sich zu erinnern glaubt, dass der Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Garsden teilgenommen und wahrscheinlich Zivilkleidung getragen hat.

Der Zeuge Gerke, welcher ein Duzfreund des Angekl. Kreuzmann ist und erst im letzten Drittel der Hauptverhandlung aus Schweden ausgeliefert worden ist, hat dagegen mit aller Bestimmtheit und durchaus glaubwürdig angegeben, dass der Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Garsden teilgenommen hat. Nach seinen Bekundungen sei der Angekl. Kreuzmann mit dem Angekl. Böhme in dessen PKW zur Erschiessung nach Garsden gefahren, habe sich mit dem Angekl. Böhme in Garsden von der Erschiessungsstätte für kurze Zeit entfernt, und er habe ihn dann während oder kurz vor der Erschiessung bei den Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder zwischen dem Versammlungsplatz der Gefangenen und der Exekutionsstelle eine Zeitlang stehen sehen. Die Aussagen dieses Zeugen haben einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Er ist im Gegensatz zu anderen in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen von der Stapo und dem SD offensichtlich bestrebt gewesen, ohne Schonung seiner eigenen Person die Wahrheit zu sagen. Bei seiner Zeugenvernehmung zu den Frauen- und Kindererschiessungen hat er mit Tränen in den Augen die Angeklagten beschworen, doch endlich auch die Wahrheit zu sagen.

Wenn der Angekl. Böhme seine ursprünglich mit aller Bestimmtheit gegen den Angekl. Kreuzmann wiederholt gemachten belastenden Angaben später nicht mehr mit dieser Bestimmtheit aufrechterhalten hat, nachdem er bei seinen Vernehmungen davon Kenntnis bekommen hatte, dass der Angekl. Kreuzmann jegliche Teilnahme geleugnet hat, und wenn er die Möglichkeit einer Täuschung nicht ausgeschlossen hat, so ist dies nach der Überzeugung des Gerichts nicht darauf zurückzuführen, dass sich tatsächlich in seinem Gedächtnis etwas verwischt hat, wie er sich dem Zeugen E. gegenüber ausgedrückt hat. Der Zeuge E., Oberlandesgerichtsrat beim OLG Stuttgart, hat am 28.1.1957 in der Landesstrafanstalt Hohenasperg im Auftrag seines Strafsenats den Angekl. Böhme auf die weitere Haftbeschwerde des Angekl. Kreuzmann informatorisch gehört. Der Zeuge E. hat glaubhaft bekundet, der Angekl. Böhme habe am Ende der Vernehmung auffallenderweise die Äusserung fallen lassen: "Ich bin ja der einzige, der Kreuzmann belastet." Da der Angekl. Böhme zweimal mit besonderer Betonung diese Äusserung gemacht habe, habe er von ihm den Eindruck gewonnen, als ob er habe sagen wollen, "Sie werden doch verstehen, dass ich meinen Kameraden nicht ans Messer liefere". Auf die Aussagen dieses Zeugen hat der Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung erwidert, er habe den genauen Verlauf der Vernehmung durch den Zeugen E. nicht mehr in Erinnerung. Jedenfalls sei er froh gewesen, dass jemand zu ihm gekommen sei, weil er das Gefühl gehabt habe, möglicherweise einem Irrtum in bezug auf seine Angaben gegen den Angekl. Kreuzmann erlegen zu sein. Diese Erklärung hat jedoch der Zeuge E. nicht gelten lassen und hat dazu ausgeführt, der Angekl. Böhme habe mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, dass er froh sei, sich jetzt aussprechen zu können. Die ganze Unterhaltung habe sich binnen 5-10 Minuten in aufgelockerter Weise abgespielt. Deshalb habe wohl der Angekl. Böhme angenommen, er werde Verständnis für sein Verhalten gegenüber Kreuzmann haben.

Das Gericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Böhme sein angeblich mangelndes Erinnerungsvermögen nur vorgetäuscht hat, um den Angekl. Kreuzmann zu decken, und dass er sich noch genau an die Teilnahme des Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Garsden wie auch an der von Krottingen hat erinnern können, von welcher später noch die Rede ist. Diese Überzeugung wird dadurch untermauert, dass sich der Angekl. Böhme während der mehrmonatigen Hauptverhandlung sehr oft an markante, aber für ihn oder für die Mitangeklagten unangenehme Dinge bezw. Begebenheiten angeblich nicht mehr hat erinnern können, obwohl er sie nach der Überzeugung des Gerichts unbedingt hat wissen müssen. Andererseits hat er aber wieder gezeigt, dass er doch ein sehr gutes Erinnerungsvermögen in solchen Dingen hat, die sich für ihn oder die Mitangeklagten zum Vorteil oder mindestens nicht nachteilig auswirken. In Erwägung sämtlicher Umstände ist das Gericht überzeugt, dass der Angekl. Kreuzmann als Vertrauter und rechte Hand des Angekl. Böhme an der Erschiessung in Garsden teilgenommen hat. Es ist aber auch überzeugt, dass sich der Angekl. Kreuzmann bei der Erschiessung bewusst gewesen ist und dies auch gebilligt hat, dass gerade er als geschätzter Vorgesetzter seiner Untergebenen durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft besonders gestärkt und dadurch die Erschiessung mit unterstützt hat.

Der Angekl. Kreuzmann ist sich, wie oben schon festgestellt worden ist, der Rechtswidrigkeit des Führerbefehls zur Durchführung der Massentötungen bewusst gewesen und hat den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt. Insoweit wird auf die Ausführungen über die Frage der Rechtswidrigkeit beim Angekl. Böhme Bezug genommen, die auch für den Angekl. Kreuzmann gelten.

Ergänzend wird noch ausgeführt: Der Angekl. Kreuzmann hat an der Befehlserteilung durch Dr. Stahlecker mit den Mitangeklagten Böhme und Hersmann teilgenommen und ist in die Einzelheiten des grauenvollen Befehls durch Dr. Stahlecker selbst eingeweiht worden. Schon im Vorverfahren hat er angegeben, er habe die Lösung der Judenfrage durch Erschiessungen nicht als richtig angesehen, wie viele Beamte der Dienststelle. Dies wird durch die Aussagen des Zeugen Krumbach bestätigt. Der Zeuge Krumbach hat, wie schon oben festgestellt worden ist, glaubhaft bekundet, dass am Morgen des 25.6.1941, also einen Tag nach der Erschiessung in Garsden, die Gestapo-Beamten, so auch der Angekl. Kreuzmann, im Kameradenkreis an diesen Massenerschiessungen der Juden und Kommunisten Kritik geübt haben. Alle Kameraden seien bedrückt gewesen, keiner von ihnen habe aber feige sein wollen. Sie haben sich gegenseitig stark zu machen versucht, wobei Worte gefallen seien wie: "Menschenskinder! Verflucht noch mal! Eine Generation muss dies halt durchstehen, damit unsere Kinder dann Ruhe haben."

Davon kann nach der Überzeugung des Gerichts keine Rede sein, dass der Angekl. Kreuzmann an die Gesetzmässigkeit dieses Führerbefehls geglaubt hat, wie sein Verteidiger ausgeführt hat. Er ist sich vielmehr, wie das Gericht feststellt, bei seiner Intelligenz, seiner juristischen Vorbildung und bei seinem keinesfalls abgestumpften Rechtsempfinden nach Kenntnisnahme von diesem Säuberungsbefehl irrtumsfrei darüber im klaren gewesen, dass eine solche von höchster Stelle befohlene ungeheuerliche Massnahme jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht sowie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, und dass der Säuberungsbefehl nichts anderes als ein Verbrechen bezweckt.

Der Angekl. Kreuzmann ist sich nach der Überzeugung des Gerichts auch der inneren Einstellung der Haupttäter bewusst gewesen, als er durch Dr. Stahlecker Kenntnis von dem Säuberungsbefehl bekommen hat.

Auf Grund seiner Vorbildung und seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung II, der Exekutivabteilung bei der Stapo-Stelle Tilsit, hat er, wie das Gericht feststellt, klar erkannt, dass solch umfangreiche, einschneidende Massnahmen nicht blindlings von der oberen Führung befohlen worden sind, sondern dass die Befehlserteilung nur auf Grund einer vorherigen Planung, Organisation und Abwägung des Für und Wider erfolgt ist. Er hat also, wie das Gericht feststellt, gewusst, dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben.

Er ist sich aber nach der Überzeugung des Gerichts auch bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Haupttäter die besondere Verwerflichkeit der Tat, also sowohl den niedrigen Beweggrund als auch die Grausamkeit umfasst hat. Auf Grund der Einweisung durch Dr. Stahlecker hat er, wie das Gericht feststellt, gewusst, dass alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht wegen ihrer Rassezugehörigkeit und dass ferner alle kommunistenverdächtigen Litauer ohne gründliche und zeitraubende Überprüfung, wie er selbst im Vorverfahren angegeben hat, also schon auf den blossen Verdacht hin aus politischen Gründen zu erschiessen sind. Er hat daher nach der Feststellung des Gerichts alle erforderlichen Merkmale erkannt, welche die Tat der Haupttäter zum Niedrigen stempeln. Durch seine Anwesenheit an der Erschiessungsstätte hat der Angekl. Kreuzmann, wie das Gericht feststellt, auch wahrgenommen, in welcher scheusslichen Weise die Opfer vor ihrem Tod noch behandelt worden sind, dass sie u.a. mit Gebrüll und mit Stockschlägen im Laufschritt zum Erschiessungsgraben getrieben worden sind und dass sie dort vor ihrer eigenen Erschiessung die blutbesudelten Leichen ihrer zuvor erschossenen Leidensgenossen in den Graben haben werfen müssen. Er ist sich daher nach der Überzeugung des Gerichts bewusst gewesen, dass auch die Haupttäter bei der Anordnung dieser Massenerschiessungen solche mit Massenerschiessungen derartigen Ausmasses unvermeidbar verbundene Grausamkeiten der befohlenen ausführenden Organe gegenüber den Opfern in den Vorsatz mit aufgenommen haben.

Hinsichtlich der Teilnahmeform ist dem Angekl. Kreuzmann nur nachzuweisen gewesen, dass er mit dem Gehilfenwillen und nicht mit dem Täterwillen gehandelt hat. Es hat ihm nur nachgewiesen werden können, dass er bei der Erschiessung in Garsden und bei der späteren Erschiessung in Krottingen I durch seine Anwesenheit als Vertrauter und rechte Hand des Angekl. Böhme die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft, die ihn als Vorgesetzten sehr geschätzt hat, vorsätzlich gestärkt und dadurch die befohlene Erschiessung mit unterstützt hat.

Eine weitere Teilnahme in der Richtung, dass er als Leiter der Exekutivabteilung auch als Organisator bei den Vorbereitungen und Durchführungen dieser Massnahmen im Fall Garsden oder in anderen Fällen mitgewirkt hat, ist zwar naheliegend, hat sich aber gegen ihn nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen.

Der Angekl. Kreuzmann hat nach der Überzeugung des Gerichts nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Dies hat er selbst nicht geltend gemacht; nur sein Verteidiger hat dies vorsorglich vorgetragen. Er hat selbst einen Tag nach der Erschiessung in Garsden die befohlenen Massenerschiessungen im Kameradenkreis kritisiert, wie auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach festgestellt worden ist. Die Tatsache dieser Kritikübung ist ein äusseres Zeichen seiner inneren Einstellung zu den Massentötungen, dass er nämlich, wie das Gericht feststellt, die befohlenen Säuberungsmassnahmen klar als Verbrechen erkannt hat, weil sie mit der menschlichen Moral und dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren gewesen sind und jedes Rechtfertigungsgrundes entbehrt haben, wessen er sich nach der Feststellung des Gerichts wohl bewusst gewesen ist. Angesichts dieses verbrecherischen Verlangens hat er nach der Überzeugung des Gerichts niemals an die Verbindlichkeit dieses Befehls geglaubt.

Wenn er trotz dieser klaren Erkenntnis bei dieser Erschiessung und bei der späteren in Krottingen I mitgewirkt hat, so ist dies nach der Überzeugung des Gerichts darauf zurückzuführen, dass er eben etwaige Bedenken und Hemmungen ausgeschaltet hat und in blindem Gehorsam als getreuer Gefolgsmann Hitlers auch für seine Person hat unterstützend dazu beitragen wollen, den Herrschaftsanspruch des Dritten Reiches zu verwirklichen. Dass entgegen der vorgetragenen Ansicht des Verteidigers auch Hitler als Führer des Dritten Reichs deliktsfähig gewesen ist und dass seine Befehle "bürgerliche oder militärische Verbrechen" haben darstellen können, wird unten bei den Rechtsausführungen noch gestreift werden. Jedenfalls ist der Angekl. Kreuzmann in Anbetracht seines damaligen Alters von immerhin 32 Jahren, seiner überdurchschnittlichen Intelligenz, seiner juristischen Vorbildung sowie seines Rechtsempfindens nach der Überzeugung des Gerichts keinesfalls so verbohrt gewesen, dass er etwa Hitler für deliktsunfähig gehalten hat. Der Angekl. Kreuzmann hat nicht selbst den Einwand des Nötigungsnotstandes geltend gemacht, sondern diesen nur vorsorglich durch seinen Verteidiger vortragen lassen. Nach der Überzeugung des Gerichts ist er aber so wenig wie die andern Angeklagten von der Stapo und dem SD in einer ausweglosen Zwangslage gewesen und hat auch nicht eine solche angenommen.

Er hat nach der Überzeugung des Gerichts bei seiner ganzen ideologischen Einstellung überhaupt nicht daran gedacht, geschweige denn den Gedanken ernsthaft erwogen, den Säuberungsbefehl zu verweigern, sondern hat, wie auch seine Kameraden, als getreuer Gefolgsmann Hitlers in blindem Gehorsam gehandelt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Feststellungen bei dem Angekl. Böhme Bezug genommen.

g. Der Angekl. Fischer-Schweder hat in tatsächlicher Beziehung, wie oben schon ausgeführt worden ist, in erster Linie geltend gemacht, ihn habe ein Wehrmachtsoffizier um die Abnahme von gefangenen Einwohnern gebeten, welche Widerstand geleistet haben sollen. Er habe dies verweigert und den Offizier an Dr. Frohwann vom GPK Memel verwiesen, sei dann aber später durch ein Fernschreiben des BdO Königsberg oder einer sonstigen höheren Dienststelle zur Abstellung eines Schupo-Kommandos als Erschiessungskommando befohlen worden. Dieses Vorbringen ist, wie oben schon festgestellt worden ist, nicht wahr. Die Einwohner sind vielmehr, wie oben festgestellt worden ist, auf Befehl des Angekl. Böhme, und zwar im Rahmen des ihm von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls, durch Angehörige des GPK Memel festgenommen worden, was auch der Angekl. Fischer-Schweder nach der Überzeugung des Gerichts gewusst hat.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat geleugnet, dass er am 23.6.1941 durch Dr. Frohwann vom GPK Memel von der durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsmassnahme in dem 25 km breiten Grenzstreifen unterrichtet worden sei. Dies hat das Gericht jedoch für erwiesen gehalten. Nach der Ansicht des Gerichts ist es nämlich ausgeschlossen, dass Dr. Frohwann den Angekl. Fischer-Schweder, mit dem er sogar noch gut befreundet gewesen ist, nicht in vollem Umfang in den Stahlecker-Befehl eingeweiht hat, als er ihn um die Abstellung eines Schupo-Kommandos zu Absperrzwecken gebeten hat. Es darf nicht verkannt werden, dass der Angekl. Fischer-Schweder zur damaligen Zeit als SA-Oberführer und als Polizeidirektor von Memel eine bedeutende Rolle gespielt hat, und dass Dr. Frohwann schon aus diesem Grund es nicht hätte wagen können, ihm das Märchen von der Festnahme der Einwohner durch die Wehrmacht wegen geleisteten Widerstands aufzutischen. Abgesehen davon will ja der Angekl. Fischer-Schweder nach seinem Vorbringen nicht von Dr. Frohwann, sondern von dem Wehrmachtsoffizier Kenntnis von der Gefangennahme der Einwohner wegen Widerstands bekommen haben.

Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Fischer-Schweder schon durch Dr. Frohwann genau aufgeklärt worden ist und deshalb gewusst hat, dass es sich bei den Gefangenen um unschuldige Opfer handelt, welche wegen ihrer Rasse bezw. wegen ihrer politischen Einstellung getötet werden sollten.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat auch geleugnet, dass er am 24.6.1941 in Garsden vor der Erschiessung durch den Angekl. Böhme nochmals in vollem Umfang in den Stahlecker-Befehl eingeweiht worden ist. Er hat behauptet, bei keiner Erschiessung von dem Stahlecker-Befehl Kenntnis gehabt zu haben. Ihm habe lediglich der Angekl. Böhme nach Beendigung der Erschiessung in Garsden bei der Verabschiedung noch folgendes gesagt: "Mir sind von Berlin umfassende Sicherungsaufgaben im rückwärtigen Heeresgebiet übertragen worden. Ich habe dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Kann ich dafür im Bedarfsfall mit weiterer Zurverfügungstellung Ihres Kommandos rechnen?" Daraufhin habe er korrekterweise nicht sofort ja sagen können. Möglicherweise habe er am Schluss der Erschiessung zu dem Angekl. Böhme gesagt: "Donnerwetter, das hätte ich mir nicht so vorgestellt!" Der Angekl. Böhme habe nämlich zuvor zu ihm gesagt, er müsse Partisanen bekämpfen. Demgegenüber hat aber der Angekl. Böhme schon im Vorverfahren und dann wiederum in der Hauptverhandlung mit aller Bestimmtheit angegeben, dass er den Angekl. Fischer-Schweder in Garsden vor Beginn der Erschiessung in vollem Umfang von dem ihm durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehl in dem 25 km Grenzstreifen unterrichtet habe. Der Angekl. Fischer-Schweder habe daraufhin erwidert: "Donnerwetter, das sind ja Konsequenzen, an die man gar nicht gedacht hat!" Er habe dann anschliessend und nicht erst nach Beendigung der Erschiessung den Angekl. Fischer-Schweder gefragt, ob er ihm für die weiteren Erschiessungen die Schutzpolizei als Exekutionskommando zur Verfügung stellen werde. Der Angekl. Fischer-Schweder habe ihn geantwortet: "Dies muss ich von Fall zu Fall entscheiden."

Der Angekl. Hersmann hat hiezu glaubhaft angegeben, er erinnere sich noch bestimmt, dass nach der Begrüssung in Garsden der Angekl. Böhme den Angekl. Fischer-Schweder beiseite genommen und mit ihm längere Zeit gesprochen habe. Er habe damals angenommen, dass er ihn von dem Stahlecker-Befehl unterrichte. Nach der Ansicht des Gerichts ist es auch gar nicht anders denkbar, als dass der Angekl. Fischer-Schweder als SA-Oberführer von dem Angekl. Böhme in vollem Umfang unterrichtet worden ist, zumal nach den glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme Dr. Stahlecker ihn auf den Angekl. Fischer-Schweder aufmerksam gemacht hat, nachdem er (Böhme) ihm gegenüber Bedenken geäussert hat, die Erschiessung mit seinem schwachen Mannschaftsbestand durchführen zu können. Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass die anderweitige Darstellung des Angekl. Fischer-Schweder nur ein Schutzvorbringen ist, und dass er in Garsden vor der Erschiessung durch den Angekl. Böhme in vollem Umfang mit dem Inhalt des Säuberungsbefehls vertraut gemacht worden ist.

Im übrigen hat, wie oben schon festgestellt worden ist, der Angekl. Fischer-Schweder nicht auf Befehl gehandelt, wie er behauptet, sondern hat sich aus freien Stücken in die Erschiessung eingeschaltet und hat auch nicht dem Wunsch des Angekl. Böhme entsprechend das Schupo-Kommando als Absperrkommando, sondern als Erschiessungskommando abgestellt. Er hat ferner, was er auch zugegeben hat, die Erschiessungsformel vorgeschlagen, an das Schupo-Kommando eine Ansprache gehalten und Anweisungen sowie Befehle nicht nur an die Angehörigen des Schupo-Kommandos, sondern auch an die der Stapo und des SD erteilt. Schliesslich hat er, wie er selbst zugegeben hat, Nachschüsse auf nicht sofort tödlich Getroffene abgegeben und hat hiezu auch den Befehl dem Angekl. Schmidt-Hammer erteilt.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat zu seiner Verteidigung geltend gemacht, er habe an die Rechtmässigkeit der Erschiessung geglaubt, weil er auf Grund der Schilderung des Wehrmachtsoffiziers geglaubt habe, die Gefangenen haben Widerstand geleistet. Weiterhin hat er geltend gemacht, er habe auf Befehl gehandelt und diesen für verbindlich gehalten. Schliesslich hat er den Einwand des Nötigungsnotstands erhoben.

Der Angekl. Fischer-Schweder ist sich jedoch nach den Feststellungen des Gerichts der Rechtswidrigkeit der Erschiessung in Garsden und der späteren Erschiessungen bewusst gewesen, weil er, wie das Gericht festgestellt hat, am 23.6.1941 durch Dr. Frohwann und am 24.6.1941 unmittelbar vor der Erschiessung nochmals durch den Angekl. Böhme in vollem Umfang über die Säuberungsmassnahmen ins Bild gesetzt worden ist. Da er also gewusst hat, dass es sich um eine bedenkenlose und erbarmungslose Tötung Tausender von unschuldigen Menschen gehandelt hat, und zwar um die Tötung sämtlicher Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und sämtlicher kommunistischer Litauer wegen ihrer politischen Einstellung schon auf den blossen Verdacht hin, Kommunisten zu sein, kann er keinesfalls mit Erfolg geltend machen, er habe an die Rechtmässigkeit dieser Massnahmen geglaubt. Er hat vielmehr nach der Überzeugung des Gerichts klar erkannt, dass es sich um eine unrechtmässige, verbrecherische Massnahme gehandelt hat.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat nach der Überzeugung des Gerichts auch die innere Einstellung der Haupttäter gekannt, weil er auf Grund der Aufklärungen durch Dr. Frohwann und durch den Angekl. Böhme über das Ausmass und den Grund dieser Vernichtungsmassnahmen im Bilde gewesen ist.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat nach der Überzeugung des Gerichts gewusst, dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben; denn er ist sich, wie das Gericht feststellt, darüber im klaren gewesen, dass der Befehl zur Ausrottung der ganzen jüdischen Rasse in dem Grenzstreifen nicht ohne vorherige Planung und Abwägung des Für und Wider seitens der Taturheber ergangen sein kann und ergangen ist.

Er ist sich nach der Überzeugung des Gerichts auch bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Taturheber die besondere Verwerflichkeit der Tat, also sowohl die niedrigen Beweggründe als auch die Grausamkeit umfasst. Da er nämlich in vollem Umfang in die durchzuführenden Säuberungsmassnahmen eingeweiht gewesen ist, hat er auch nach der Feststellung des Gerichts alle erforderlichen Umstände erkannt, welche die Tat der Haupttäter zum Niedrigen stempeln. Er ist weiterhin schon längere Zeit vor Beginn der Erschiessung und während derselben an dem Erschiessungsplatz oder in dessen Nähe gewesen und hat daher auch, wie das Gericht für erwiesen hält, alle die gegenüber den Opfern begangenen Scheusslichkeiten wahrgenommen. Deshalb ist er sich nach der Überzeugung des Gerichts auch bewusst gewesen, dass auch die Haupttäter bei der Anordnung dieser Massnahmen damit gerechnet und dies gebilligt haben, dass deren Durchführung nicht ohne Grausamkeiten gegenüber den Opfern vor sich gehen werde.

Dem Angekl. Fischer-Schweder ist nicht zu widerlegen, dass er nicht mit dem Täterwillen, sondern nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt hat.

Gegen sein Vorbringen spricht zwar die Feststellung, dass er nicht auf Befehl gehandelt, sondern sich und das Schupo-Kommando freiwillig eingeschaltet hat, dass er nämlich das für Absperrzwecke gewünschte Schupo-Kommando von sich aus als Erschiessungskommando eingesetzt und selbst massgeblich bei der Erschiessung mitgewirkt hat. Er behauptet zwar, er sei nicht aus Neugierde und auch nicht deshalb anwesend gewesen, um Einfluss auf die Erschiessung auszuüben. Der Grund seiner Anwesenheit am Erschiessungsplatz sei vielmehr der gewesen, dass es sich um ein aussergewöhnliches Vorkommnis gehandelt habe und dass er sich deshalb als Vorgesetzter des abgestellten Schupo-Kommandos für verpflichtet gehalten habe, die Erschiessung zu überwachen. Nach der Ansicht des Gerichts hat er jedoch nur aus Geltungsbedürfnis mitgemacht. Dazu kommt, dass er sich nach der Ansicht des Gerichts wohl als Prototyp dessen gefühlt hat, was der Nationalsozialismus immer als Ideal gepredigt hat, zumal er alter Kämpfer und Träger des goldenen Parteiabzeichens gewesen ist und eine höhere SA-Stellung - später eine höhere SS-Stellung - bekleidet hat. Es liegt daher der Verdacht nahe, dass er auch die innere Einstellung zu diesen Geschehnissen in sich getragen hat, dass nämlich die Macht des Nationalsozialismus mit allen Mitteln erhalten und gesichert werden müsse, und dass er deshalb aus eigenem Antrieb mit dem Täterwillen gehandelt hat. Das Gericht hat jedoch auch bei ihm Bedenken für diese Feststellung gehabt.

Der Angekl. Fischer-Schweder ist nämlich nach der Ansicht des Schwurgerichts trotz dieses äusseren ungünstigen Erscheinungsbildes im Grunde genommen doch nicht der Prototyp des nationalsozialistischen Eiferers gewesen. Er ist sachlichen Erwägungen nicht unzugänglich und auch sonst im Dienst korrekt gewesen, wie auf Grund der Aussagen der Zeugen Dr. Bri., Schw., Ste. und der Angaben des Angekl. Schmidt-Hammer festzustellen ist. Er hat nach den Aussagen der Zeugen Major Gü. und Ste. Fachbeamte ungestört arbeiten lassen. Er hat den früheren Oberbürgermeister Dr. Bri. nicht wegen seiner früheren Zugehörigkeit zur Freimaurerloge, noch die Gebrüder Ste. von der Polizeidirektion Memel wegen ihrer sehr aktiven Kirchenmitgliedschaft verfolgt, wie die Zeugen Dr. Bri. und Ste. dies glaubhaft bekundet haben. Gerechtigkeitsgefühl, korrektes Auftreten und stete Hilfsbereitschaft wird ihm von den Zeugen Ni., Mü., Ren. und D'He. bestätigt. Der Angekl. Fischer-Schweder ist nach der Ansicht des Gerichts als Mensch zu kennzeichnen, der bei seinem impulsiven Wesen und bei seinem angeborenen Geltungsbedürfnis, die er auch in der Hauptverhandlung gezeigt hat, sich auf Grund seiner hohen SA-Stellung zur Einschaltung und zur Hilfeleistung berufen gefühlt hat. Dies ist nach der Ansicht des Schwurgerichts der Grund dafür gewesen, dass er sich in Kenntnis der Sachlage bei der Erschiessung in Garsden und bei den folgenden Erschiessungen eingeschaltet und im Rahmen dessen mitgewirkt hat, was dem Stapo- und dem SD-Abschnitt befohlen gewesen ist. Er wäre aber nach der Ansicht des Schwurgerichts nicht von sich aus zu diesen Taten geschritten, wenn nicht der Angekl. Böhme über Dr. Frohwann an ihn herangetreten wäre. Nun aber hat er nicht zurücktreten, sondern mithelfen wollen.

Das Schwurgericht hat deshalb bei dem Angekl. Fischer-Schweder die Mittäterschaft verneint und die Beihilfe als gegeben erachtet.

Der Angekl. Fischer-Schweder kann sich schon deshalb nicht auf die Verbindlichkeit des Befehls berufen, weil er keinen Befehl zur Mitwirkung an der Erschiessung erhalten, sondern sich und die Angehörigen des Schupo-Kommandos freiwillig eingeschaltet hat, wie oben festgestellt worden ist. Er hat bei seinem impulsiven, von ständigem Betätigungsdrang erfüllten Wesen aus Geltungsbedürfnis mitgemacht, um auch eine Rolle in dem Geschehen zu spielen, wie das Gericht festgestellt hat. Der Angekl. Fischer-Schweder kann sich nicht auf Nötigungsnotstand berufen, da er, wie das Gericht festgestellt hat, nicht auf Befehl, sondern freiwillig, also niemals unter Zwang oder vermeintlichem Zwang gehandelt hat.

h. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben.

Zu seiner Verteidigung hat er vor allem geltend gemacht, er habe geglaubt, dass die Gefangenen in Garsden und später auch die in Krottingen I und Polangen I nur wegen Widerstands bezw. wegen Heckenschützentätigkeit erschossen werden und erschossen worden seien. Er habe nicht gewusst, dass es sich fast ausschliesslich um eine Massnahme gegen die Juden gehandelt habe; denn er habe bei den Erschiessungen auch nicht wahrgenommen, dass es sich bei den Gefangenen fast nur um Juden gehandelt habe. Er habe annehmen müssen, dass ein Urteil vorgelegen habe und dass alles rechtmässig sei. Er habe nicht erkannt, dass der ihm erteilte Befehl eine Handlung betroffen habe, welche ein Verbrechen bezweckt habe. Von dem Stahlecker-Befehl bezw. von dem Säuberungsbefehl habe er keine Kenntnis gehabt. Schliesslich hat er geltend gemacht, er habe auf Befehl gehandelt und sei in einer unausweichlichen Zwangslage gewesen.

Dem Angekl. Schmidt-Hammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu widerlegen gewesen, dass er, wie er behauptet hat, bei der Fahrt zur Erschiessung nach Garsden auf Grund der Äusserung des Major Gü. des guten Glaubens gewesen ist, es handle sich um eine Massnahme gegen Einwohner von Garsden, welche der deutschen Truppe Widerstand geleistet haben. Anlass zu Bedenken gibt allerdings in dieser Richtung die Aussage des Zeugen N. Dieser hat, wie das Gericht feststellt, glaubhaft bekundet, dass ihm schon auf der Fahrt nach Garsden der mitfahrende Schutzpolizist Steinert gesagt habe, sie fahren zu einer Judenerschiessung, und dass auf die zweifelnde Bemerkung des Zeugen N.: "Du bist ja verrückt", Steinert noch dazugesetzt habe: "Ihr werdet es ja sehen." Wenn aber schon ein Mitglied des Polizeikommandos den wahren Grund der Fahrt gekannt hat, dann spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihn der Angekl. Schmidt-Hammer als Kommandoführer erst recht gekannt hat. Es ist jedoch ein sicherer Nachweis gegen den Angekl. Schmidt-Hammer in dieser Richtung nicht zu führen. In Garsden hat jedoch der Angekl. Schmidt-Hammer so gut wie die Mitglieder seines Kommandos schon vor Beginn der eigentlichen Erschiessung an den Bärten der Gefangenen, an den deutlich sichtbaren typisch rassischen Merkmalen derselben, an ihrer Kopfbedeckung und an dem Kaftan des Rabbiners klar erkannt, dass es sich bei den Gefangenen fast ausschliesslich um Juden gehandelt hat. Dies hat das Schwurgericht, wie oben schon ausgeführt worden ist, auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann, Harms und Behrendt sowie auf Grund der Bekundungen der Zeugen Th., Li., N., Ke., Fre., Gerke. La. und Gr. für erwiesen erachtet.

Seine Behauptung, er habe sich die Gefangenen gar nicht so genau angesehen, hat ihm das Gericht nicht geglaubt. Es ist nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht glaubhaft, dass der Offizier eines Exekutionskommandos bei Beginn eines neuen Krieges nicht interessehalber die Festgenommenen ansieht, die gegen die eigene Truppe so heftigen Widerstand geleistet haben sollen. Es ist dem Angekl. Schmidt-Hammer nicht zu glauben, dass er sich die Gefangenen nicht angesehen hat, weil ihm angeblich der Befehl, sie erschiessen zu müssen, so zuwider gewesen sei. Seine Behauptung, er habe als früherer Einwohner aus Königsberg die Juden für Ausländer gehalten, ist, wie auch der Zeuge Dr. Bri. bekundet hat, deshalb unglaubwürdig, weil gerade der Nichtgrenzbewohner die jüdischen Merkmale der litauischen Juden noch viel besser erkannt hat, als der Grenzbewohner selbst.

Bis zum Beginn der Erschiessung hat der Angekl. Schmidt-Hammer über eine Stunde Zeit zur Verfügung gehabt, sich umzusehen und alles Wissenswerte anzusehen, was für ihn von Bedeutung gewesen ist. Nach der Überzeugung des Gerichts hat er sich deshalb auch die Gefangenen angesehen und hat aber auch gehört, dass seine Leute von Juden gesprochen haben. Seine weitere Behauptung, er habe während der Erschiessung die jeweils vor ihm stehende Gruppe der Opfer in seiner Erregung nicht angesehen, oder, wie sich sein Verteidiger ausgedrückt hat, er sei als verkrampfter oder übererregter Mensch einer ruhigen, abwägenden Beobachtung gar nicht fähig gewesen, hat das Gericht nicht geglaubt. Nach der Ansicht des Gerichts ist es unmöglich, dass der Führer eines Erschiessungskommandos, welcher jeweils an die auf nur kurze Entfernung ihm gegenüberstehende Gruppe der Opfer noch eine Erklärung abgibt und dann mit gezogenem Degen den Feuerbefehl gibt, der selbst zweimal zur Pistole greift, um Nachschüsse auf nicht tödlich Getroffene zu geben, während der langen Erschiessungsdauer, die bei 200 Opfern notwendig gewesen ist, die Opfer nicht angesehen und überhaupt kaum wahrgenommen haben will, was sich sonst alles an Scheusslichkeiten in seiner nächsten Umgebung abgespielt hat.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat auch nach der Überzeugung des Gerichts nicht etwa bloss die Rechtmässigkeit der Erschiessung bezweifelt, sondern deren Rechtswidrigkeit erkannt. Er ist sich auch bewusst gewesen, dass der ihm erteilte Befehl ein Verbrechen bezweckt hat.

Der Zeuge N. hat hiezu ausgesagt: "Als die Gefangenen vorgeführt wurden, sahen wir ja klar, was los war, auch Schmidt-Hammer hat dies erkennen müssen." Ähnlich hat sich der Zeuge Th. ausgedrückt. Auch der Angekl. Schmidt-Hammer hat nach der Überzeugung des Gerichts die Opfer angesehen und deshalb klar erkannt, dass es sich fast ausschliesslich um Juden gehandelt hat. Da er aber, wie das Gericht feststellt, gesehen hat, dass unter den Juden zum Teil sehr alte und dann wiederum sehr junge Leute gewesen sind, da er weiterhin, wie das Gericht feststellt, wahrgenommen hat, wie gefasst und Gebete murmelnd die Opfer in den Tod gegangen sind, ist er sich nach der Überzeugung des Gerichts bei seiner geistigen Regsamkeit darüber im klaren gewesen, dass es sich nicht um Menschen handelt, die Widerstand geleistet oder Heckenschützentätigkeit ausgeübt haben. Es besteht sogar der starke Verdacht, dass der Angekl. Schmidt-Hammer in Garsden durch den Angekl. Fischer-Schweder in vollem Umfang in den der Stapo und dem SD zustehenden neuen Aufgabenkreis eingeweiht worden ist, worauf seine starke Erregung nach der Unterredung mit dem Angekl. Fischer-Schweder hinweist. Die Angeklagten Fischer-Schweder und Schmidt-Hammer haben zugegeben, dass der Angekl. Schmidt-Hammer nach seinem Eintreffen mit dem Exekutionskommando in Garsden von dem Angekl. Fischer-Schweder über das Kampffeld geführt und von diesem näher eingewiesen worden ist. Nach seiner Rückkehr hat er nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen N. einen sehr erregten Eindruck gemacht, wobei ihm der Schweiss über die Stirne gelaufen ist. Er hat dann selbst noch einige Worte an seine Leute gerichtet, nachdem der Angekl. Fischer-Schweder zuvor schon eine kurze Ansprache an sie gehalten hatte, und dabei von einem Überfall auf einen Sanitätskraftwagen gesprochen, wie auf Grund der Bekundungen des Zeugen Fre. festgestellt worden ist. Wenn auch nicht der Nachweis mit Sicherheit gegen ihn zu führen ist, dass er in vollem Umfang durch den Angekl. Fischer-Schweder aufgeklärt worden ist, so ist er nach der Überzeugung des Gerichts doch soweit aufgeklärt worden, dass dieses hiedurch erlangte Wissen in Zusammenhang mit dem, was er an Ort und Stelle selbst gesehen und gehört hat, ihn klar hat erkennen lassen, dass es sich um eine Judenerschiessung handelt und dass die zusammengetriebenen Juden und Kommunisten nicht wegen Widerstands und Ähnlichem erschossen werden, sondern weil sie Juden bezw. Kommunisten sind, dass es sich deshalb um die Erschiessung unschuldiger Menschen handelt. Er hat also solches nicht bloss vermutet, sondern nach den ganzen Umständen und auf Grund seiner geistigen Regsamkeit klar erkannt. Er ist sich somit bewusst gewesen, dass der über Major Gü. an ihn ergangene Befehl der Taturheber zu dieser Massentötung nichts anderes als ein Verbrechen bezweckt hat.

Diese Feststellung ergibt sich auch aus dem späteren Verhalten des Angekl. Schmidt-Hammer. Entgegen den Ausführungen seines Verteidigers haben nämlich Angehörige seines Kommandos ihm gegenüber Bedenken geäussert. Auf Grund der glaubhaften Bekundungen des Zeugen Th. hat das Gericht festgestellt, dass seine Leute ihn nach der Rückkehr gefragt haben, warum fast nur Juden und dazu noch jeden Alters erschossen worden seien, die doch niemals alle Widerstand geleistet haben konnten. Daraufhin hat er, wie das Gericht auf Grund der Aussagen des Zeugen Th. feststellt, bezeichnenderweise geantwortet, das wisse er auch nicht, er sei eben auch nur ein kleiner Befehlsempfänger. Wenn aber der Angekl. Schmidt-Hammer, wie er behauptet, überzeugt gewesen wäre, dass die Gefangenen nur wegen Widerstands erschossen worden sind, dann hätte er nach der Überzeugung des Gerichts niemals diese eigenartige Antwort gegeben.

In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass der Angekl. Schmidt-Hammer, wie noch näher ausgeführt wird, später an den Judenerschiessungen in Krottingen I und Polangen I teilgenommen hat und dass er sich dabei ebenfalls bewusst gewesen ist, dass es sich um Erschiessungen von im wesentlichen Juden handelt, wie das Gericht festgestellt hat. Während er nun bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung keine Angaben über konkrete Widerstandshandlungen gemacht hat, vielmehr angegeben hat, er habe wegen dieser späteren Erschiessungen Bedenken rechtlicher Natur gehabt, hat er auf einmal in der Hauptverhandlung geglaubt, sich daran erinnern zu können, dass die Erschiessungen als Vergeltung für die Erschiessung eines Offiziers und zweier Quartiermacher in Krottingen und eines Offiziers in Polangen erfolgt seien. Keiner der übrigen Angeklagten hat dies im Vorverfahren behauptet. Erst nachdem der Verteidiger des Angekl. Böhme nach Einsichtnahme der Ereignismeldung Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f. S.2) festgestellt hat, dass nach den dortigen Angaben die Erschiessungen als Vergeltungsmassnahmen erfolgt sind, und zwar in Garsden wegen Widerstands der Zivilbevölkerung, in Krottingen wegen der Erschiessung von 1 Offizier und 2 Quartiermachern in der Nacht nach der Besetzung und in Polangen wegen der Erschiessung eines Offiziers am Tage nach der Besetzung, hat der Angekl. Böhme als erster von den Angeklagten in der Hauptverhandlung behauptet, die Erschiessungen in Krottingen und Polangen haben zwar im Rahmen des allgemeinen Säuberungsbefehls, immerhin aber auch wegen der Erschiessung der Offiziere stattgefunden. Der nach dem Angekl. Böhme vernommene Angekl. Hersmann hat in der Hauptverhandlung zugegeben, dass die Erschiessung in Krottingen im Rahmen der allgemeinen Säuberungsaktion erfolgt sei; er habe jedoch auch gehört, dass in Krottingen auf 2 Deutsche geschossen worden sei, wobei es 2 Tote gegeben habe. Der nach dem Angekl. Hersmann vernommene Angekl. Schmidt-Hammer, welcher früher angegeben hat, er habe von der zweiten Erschiessung ab rechtliche Bedenken gehabt, hat in der Hauptverhandlung im Fall Krottingen zunächst angegeben, Major Gü. habe ihm gegenüber davon gesprochen, es handle sich um die Exekution von Heckenschützen. Im weiteren Verlauf der Vernehmung in der Hauptverhandlung hat er sich dann aber auch die Angaben des Angekl. Böhme zu eigen gemacht und behauptet, seines Erinnerns habe entweder Major Gü. oder der Angekl. Fischer-Schweder von einem Überfall bezw. von der Tötung eines Offiziers gesprochen, er glaube eher, dass dies der Angekl. Fischer-Schweder gesagt habe, weil sich dieser längere Zeit bei seinem Zug aufgehalten habe.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat nach der Überzeugung des Gerichts insoweit bewusst die Unwahrheit gesagt. Die Behauptung der Angeklagten, bei den Erschiessungen habe es sich um Vergeltungsmassnahmen gehandelt, ist auf Grund der eingehenden Beweisaufnahme nur als leere Verteidigungsvorbringen zu werten. Keiner der zahlreichen Zeugen, insbesondere nicht die früher in diesem Raum eingesetzten Offiziere haben von der angeblichen Erschiessung von deutschen Offizieren in Krottingen und Polangen durch die Zivilbevölkerung etwas gewusst. Das Schwurgericht hat auf Grund der eingehenden Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass die bei Beginn der Judenerschiessungen in den Ereignismeldungen UdSSR noch gemachten Angaben über die angeblichen Gründe für die Erschiessungen nicht der Wahrheit entsprochen, sondern nur zur Tarnung der Verbrechen gedient haben. Wie es dabei willkürlich und heuchlerisch zugegangen ist, ergibt sich daraus, dass in der Ereignismeldung UdSSR Nr.7 vom 28.6.1941 (Bew.St.9c S.3) davon die Rede ist, dass das Einsatzkommando IA in dem ca. 50 km südostwärts Libau gelegenen Skudas unter der jüdischen Bevölkerung eine Strafaktion für die durch Juden herbeigeführte Einäscherung von Litauisch Krottingen durchgeführt habe. Die Juden von Skudas haben aber schon räumlich für eine Brandlegung in Krottingen nicht in Frage kommen können. Der Brand von Krottingen ist nach den Feststellungen des Gerichts in der Nacht vom 26./27.6.1941 nach der am 26.6.1941 erfolgten Erschiessung von 214 männlichen Juden und Kommunisten in Krottingen ausgebrochen, ohne dass die Juden als Urheber haben festgestellt werden können. Daraufhin hat die Stapo Tilsit am 27. oder 28.6.1941 63 Einwohner von Krottingen erschiessen lassen, wie weiter unten noch festgestellt wird. In der Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.Nr.9i S.2) ist aber als Grund für die Erschiessung der 63 Juden nicht etwa die angebliche Brandlegung durch die Juden angegeben.

Dass es der Angekl. Schmidt-Hammer mit der Wahrheit nicht genau nimmt, wenn er glaubt, einen Vorteil für sich herausschlagen zu können, ergibt sich auch daraus, dass er als einziger der Angeklagten und der Zeugen in der Hauptverhandlung sogar behauptet hat, er habe annehmen müssen, dass ein Urteil vorgelegen habe und dass alles rechtmässig sei, wenn schon er hat zugeben müssen, dass kein Urteil bekanntgegeben worden ist. Hiezu hat sein Verteidiger noch ausgeführt, der Angekl. Schmidt-Hammer habe angenommen, dass ein Standgericht oder eine Repressalie durchgeführt würde, d.h. er habe das nach seiner Überzeugung vorausgegangene formelle Verfahren als endgültig abgeschlossen angesehen, bei dem nach Durchführung der ordnungsgemäss zustande gekommenen Entscheidung nur noch deren Vollzug zu erledigen gewesen sei, und er sei überzeugt gewesen, dass mit der Erschiessungsformel die letzte Formalität eines bereits ordnungsgemäss abgeschlossenen Verfahrens habe erledigt werden sollen. Dies hat das Gericht dem Angeklagten nicht abgenommen. Der Angeklagte geht selbst davon aus, dass wegen Widerstands oder wegen Heckenschützentätigkeit festgenommene Zivilisten nicht ohne gerichtliches Urteil, also mindestens nicht ohne ein Standgerichtsurteil erschossen werden dürfen. Es darf dabei nicht ausser acht gelassen werden, dass es sich bei dem Angekl. Schmidt-Hammer um einen Menschen von überdurchschnittlicher Intelligenz handelt, der zur Tatzeit schon 32 Jahre alt gewesen ist, eine abgeschlossene Optikermeisterausbildung hinter sich gehabt hat und schon über 1 Jahr Polizeioffizier gewesen ist. Deshalb hat der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts bei den ihm damals bekannten Verhältnissen niemals angenommen, dass der Erschiessung ein Standgerichtsverfahren mit einem Standgerichtsurteil vorausgegangen sei oder dass etwa mit der Erschiessung ein Standgerichtsverfahren durchgeführt werde. Gerade das Gegenteil ergibt sich aus der Erschiessungsformel: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen." Wäre ein Urteil vorausgegangen, so wäre der Urteilsspruch bekanntgegeben worden, was auch der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts gewusst hat. Aus der Tatsache aber, dass nicht einmal konkrete Angaben über die angeblichen Vergehen in der Erschiessungsformel genannt sind, in Verbindung mit seinen obengenannten Wahrnehmungen bei der Erschiessung hat der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts klar erkannt, dass die Juden nur wegen ihrer Rasse und die Kommunisten nur wegen ihrer politischen Einstellung erschossen werden und dass der Befehl zu dieser Erschiessung einen verbrecherischen Zweck verfolgt.

Das Schwurgericht ist auch überzeugt, dass der Angekl. Schmidt-Hammer die innere Einstellung der Taturheber bei der Erschiessung gekannt hat.

Dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben, hat er nach der Feststellung des Gerichts schon deshalb erkannt, weil er sich bewusst gewesen ist, dass der Befehl zu einer Massenerschiessung nicht ohne vorangegangene Planung unter Abwägung des Für und Wider erfolgt ist.

Er ist sich auch nach der Feststellung des Gerichts bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Haupttäter die besondere Verwerflichkeit der Tat, also sowohl den niedrigen Beweggrund, als auch die Grausamkeit umfasst hat. Da er, wie das Gericht feststellt, gewusst hat, dass die Opfer keinen Widerstand geleistet haben und unschuldig sind, dass die Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und die Kommunisten nur wegen ihrer politischen Einstellung getötet werden, hat er das erkannt, was die Tat der Taturheber zum Niedrigen stempelt. Er hat, wie das Gericht feststellt, genau so gut wie die Angehörigen seines Schupo-Kommandos am Tatort selbst wahrgenommen, wie scheusslich die Opfer behandelt worden sind. Dass z.B. die Nachfolgenden die Leichen der zuvor Erschossenen vor ihrer eigenen Erschiessung in den Graben haben werfen müssen, hat er selbst angegeben. Nach seinen eigenen Angaben will er Major Gü. gegenüber von der scheusslichen Behandlung der Opfer Mitteilung gemacht haben.

Deshalb ist er sich nach der Überzeugung des Gerichts bewusst gewesen, dass auch die Taturheber bei der Anordnung dieser Massenerschiessung die Verübung solcher bei Massenerschiessungen zwangsläufigen Grausamkeiten durch die befohlenen ausführenden Organe gegenüber den Opfern in den Vorsatz mit aufgenommen haben.

Hinsichtlich der Teilnahmeform ist dem Angekl. Schmidt-Hammer nur der Gehilfenwille nachzuweisen gewesen. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat er sowohl bei dieser wie auch bei den späteren Erschiessungen die Tat des Befehlenden nur unterstützen wollen.

Angesichts des ihm bekannten unmoralischen, völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Verlangens, unschuldige Menschen nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse bezw. wegen ihrer politischen Einstellung zu töten, hat der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Er wird von seinen als Zeugen vernommenen Vorgesetzten und Untergebenen als korrekter, gerecht denkender, menschlich zugänglicher und intelligenter Vorgesetzter geschildert. Deshalb hat er auch nach der Überzeugung des Gerichts die Unverbindlichkeit des Befehls zu einer solchen Handlung klar erkannt. Wenn er dann trotz dieser klaren Erkenntnis unter Ausschaltung etwaiger Bedenken und Hemmungen mitgewirkt hat, so ist bei ihm nach der Überzeugung des Gerichts der Gedanke massgebend gewesen, als Polizeioffizier durchstehen zu müssen, um nicht das Gesicht eines solchen zu verlieren.

Der Angekl. Schmidt-Hammer ist nach der Überzeugung des Schwurgerichts weder bei dieser noch bei den späteren Erschiessungen in einer unausweichlichen Zwangslage gewesen, noch hat er eine solche angenommen. Er hat nicht deshalb bei den Erschiessungen mitgewirkt, weil er der ihm sonst drohenden gegenwärtigen Leibes- oder Lebensgefahr hat entgehen wollen. Er hat überhaupt nicht das Empfinden gehabt, sich in einer ausweglosen Zwangslage zu befinden. Es wird in erster Linie auf die Ausführungen über den Befehlsnotstand bei dem Angekl. Böhme verwiesen. Die Behauptung des Angekl. Schmidt-Hammer, er habe sich in einer Zwangslage befunden und habe in dieser Situation gar nicht anders handeln können, kann nur als Schutzvorbringen gewertet werden.

Ganz abgesehen davon hat der Angekl. Schmidt-Hammer gar nicht glaubhaft vorgebracht, ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht zu haben. Nach seinen Angaben hat er in dem Angekl. Fischer-Schweder einen zwar strengen, aber korrekten Vorgesetzten gesehen. Er ist mit ihm fast täglich, sei es beim Reiten, sei es beim Vortrag der Neueingänge, zusammengekommen, er hat also mit ihm Kontakt gehabt. Wenn er schon, wie das Schwurgericht feststellt, gewusst hat, dass es sich bei der Erschiessung um eine nicht zu rechtfertigende Massnahme, um ein Verbrechen handelt, hätte er die Verpflichtung gehabt, sich an ihn zu wenden und zu versuchen, von der Durchführung dieses Befehls entbunden zu werden. Dies hat er aber nicht getan. Er hat auch nicht, als er nach Beendigung der Erschiessung Major Gü. Bericht erstattet hat, diesem erklärt, er könne nicht unschuldige Menschen erschiessen lassen, er bitte, ihn mit weiteren Befehlen dieser Art zu verschonen, wie sein Verteidiger ausgeführt hat. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat vielmehr die Frage des Berichterstatters in der Hauptverhandlung, ob er bei seiner Zurückmeldung Major Gü. ausdrücklich darum gebeten habe, von seiner Abstellung zu weiteren Erschiessungen abzusehen, verneint und hinzugesetzt, Major Gü. habe aber aus seiner Schilderung, wie schrecklich der Ablauf der Erschiessung gewesen sei, und wie die Opfer behandelt worden seien, entnehmen können, dass er mit der Durchführung weiterer Erschiessungen habe verschont werden wollen. Jedenfalls hat der Angekl. Schmidt-Hammer in der Hauptverhandlung zugegeben, dass er Major Gü. nicht ausdrücklich gebeten hat, ihn nicht weitere Erschiessungen durchführen zu lassen. Nach den Aussagen des im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen Gü. - diese Aussagen sind in der Hauptverhandlung verlesen worden, da er inzwischen verstorben ist - hat der Angekl. Schmidt-Hammer diesem gegenüber keine Bedenken gegen die Exekution und ihre Rechtmässigkeit geäussert.

Gegen die Behauptung des Angekl. Schmidt-Hammer, er habe sich in Befehlsnotstand befunden, spricht auch die Tatsache, dass er anschliessend an die Erschiessung in Garsden an der in Krottingen I (26.6.1941) und an der in Polangen I (30.6.1941) nach seinem Geständnis teilgenommen hat, ohne ausdrücklich um seine Ablösung gebeten zu haben, obwohl er auf Grund der Vorgänge bei der Erschiessung in Garsden genau gewusst hat, um was es sich handelt.

Schliesslich spricht der schriftliche Bericht gegen ihn, den er entweder nach der Erschiessung in Garsden oder nach der in Krottingen über den Verlauf der Erschiessung für Major Gü. gemacht hat. Dieser schriftliche Bericht ist nämlich nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen A. durchaus sachlich ohne drastische Schilderungen gehalten gewesen. Wenn sich aber der Angekl. Schmidt-Hammer bedrückt und in einer ausweglosen Zwangslage gefühlt hätte, wäre er bei seiner Schreibgewandtheit in der Lage gewesen, dies zum Ausdruck zu bringen, wäre aber andererseits auch nicht in der Lage gewesen, einen solchen sehr sachlich gehaltenen Bericht abzugeben, zumal er ein gefühlsbetonter Mensch ist, wie das Gericht ihm unterstellt.

Nach der Überzeugung des Gerichts ist daher der Angekl. Schmidt-Hammer nicht in einer Zwangslage gewesen; er hat auch keine angenommen. Er hat vielmehr in klarer Erkenntnis des verbrecherischen Zwecks des Erschiessungsbefehls unter Ausschaltung etwaiger Bedenken und Hemmungen deshalb unterstützend mitgewirkt, weil er an seiner Offiziersstellung sehr stark gehangen hat, und weil er unter allen Umständen sein Gesicht als Offizier nicht hat verlieren wollen. Dass er aber an seiner Offiziersstellung gehangen hat, hat er in der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebracht, und dass er bei den Erschiessungen den Eindruck eines schneidigen Offiziers gemacht hat, ist durch die Aussagen seiner Untergebenen bestätigt worden.

II. Krottingen (I)

1. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten und die Durchführung der Erschiessung

Am 26.6.1941 wurden in Litauisch Krottingen 214 männliche Juden und litauische Kommunisten, in der Hauptsache Juden, erschossen.

Die etwa 20 km nördlich Memel gelegene litauische Grenzstadt Krottingen hatte im Jahr 1941 etwa 4-6000 Einwohner, wovon etwa 500-1000 Juden waren. Der Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung wird teilweise auch noch höher angegeben. Der Ort Bajohren war auf deutscher Seite der Grenzort für den Grenzübergang - Eisenbahn- und Strassenübergang - nach Litauisch Krottingen. In Bajohren befand sich ein Grenzpolizeiposten unter Kriminalsekretär Mo. (Zeuge) in Stärke von 1:6, der zum GPK Memel gehörte. Krottingen fiel in den Morgenstunden des 22.6.1941 ohne nennenswerten Widerstand in deutsche Hand. Von der Zivilbevölkerung wurde auch in den folgenden Tagen kein Widerstand geleistet.

Schon 1 oder 2 Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen begannen Gestapo-Angehörige aus Memel und Bajohren in Durchführung des den Angeklagten Böhme und Hersmann durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls, Juden und Kommunisten in Krottingen und Umgebung unter Mitwirkung litauischer Hilfspolizisten zusammenzutreiben. Bei der Auswahl der kommunistenverdächtigen Einwohner wirkte insbesondere der Angeklagte Lukys, der frühere Sicherheitspolizeichef von Krottingen, mit. Der Angekl. Lukys war, wie oben schon ausgeführt wurde, bei der Besetzung Litauens durch die Russen auf deutsches Gebiet geflüchtet und am 22.6.1941 wieder nach Litauen zurückgekehrt. Er war spätestens wieder am 24.6.1941 in Krottingen, wo er sich in dem von der Stapo gewünschten Sinn bei der Polizei massgebend betätigte. Nach dem 26.6.1941 war er zunächst Ordnungspolizeichef und dann Sicherheitspolizeichef in Krottingen. Als Sicherheitspolizeichef wurde er von seiner vorgesetzten litauischen Behörde in Kowno jedoch erst am 25.7.1941 förmlich eingesetzt.

Die festgenommenen männlichen Juden wurden in der Synagoge untergebracht. Bis zu ihrer Erschiessung mussten sie sich jeweils vormittags auf dem Marktplatz aufhalten, wo sie von den übrigen männlichen Einwohnern abgesondert waren, die sich anfangs ebenfalls dort täglich melden mussten. Während letztere aber unbehelligt blieben, waren die Juden allen möglichen Schikanen und Misshandlungen ausgesetzt. Unter anderem mussten sie oft längere Zeit auf dem Boden knien, wobei sie von Angehörigen der Gestapo mit Lederkoppeln, an denen Pistolen hingen, geschlagen wurden.

Die Vorbereitungen für die Erschiessungen wurden auf Veranlassung des Angekl. Böhme wieder durch Dr. Frohwann, den Leiter des GPK Memel, getroffen. Der Erschiessungstermin wurde auf 26.6.1941 festgesetzt. Auf Veranlassung des Angekl. Böhme bat Dr. Frohwann wieder den Angekl. Fischer-Schweder um Abstellung eines Schupo-Kommandos. Der Angekl. Fischer-Schweder war nach den früheren Feststellungen schon anlässlich der vorangegangenen Erschiessung der Juden und Kommunisten in Garsden von Dr. Frohwann und vor der Erschiessung in Garsden nochmals vom Angekl. Böhme selbst in vollem Umfang mit dem Inhalt des Säuberungsbefehls bekanntgemacht worden, wobei ihn der Angekl. Böhme noch vor Beginn der Erschiessung in Garsden um die Abstellung eines Schupo-Kommandos für etwaige weitere Erschiessungen gebeten hatte. Auf Befehl des Angekl. Fischer-Schweder stellte Major Gü. wieder ein Erschiessungskommando für die Erschiessung in Krottingen zusammen. Es wurden dabei aus dem bisherigen Kommando einige Leute ausgewechselt. Das Kommando wurde wieder dem Angekl. Schmidt-Hammer unterstellt.

Dem Angekl. Schmidt-Hammer wurde bei der Befehlserteilung zum Abrücken zu der Erschiessung von Major Gü. möglicherweise erklärt, es handle sich um die Erschiessung von Heckenschützen.

Am Morgen des 26.6.1941 fuhren die Angehörigen der Stapo Tilsit unter Führung des Angekl. Böhme in der Stärke von etwa 20 Mann und die Angehörigen des SD Tilsit unter Führung des Angekl. Hersmann in der Stärke von 8-10 Mann über Memel nach Krottingen. In Memel schlossen sich Angehörige des dortigen GPK an. Dr. Frohwann, der Leiter des GPK Memel, war schon nach Krottingen vorausgefahren, wo sich vermutlich auch schon Angehörige des GPP Bajohren befanden. Jedenfalls waren letztere auch bei der Erschiessung beteiligt. Von der Stapo Tilsit waren ausser dem Angekl. Böhme die Angekl. Kreuzmann und Harms und u.a. auch Kommissar Krumbach (Zeuge), vom SD Tilsit ausser dem Angekl. Hersmann u.a. sein Kraftfahrer Pap. (Zeuge) und von der SD-Aussenstelle Memel der Angeklagte Sakuth dabei. Vom GPK Memel nahmen der Angeklagte Behrendt und u.a. die als Zeugen vernommenen Angehörigen des GPK Memel, nämlich Ar., Ma. und Sc. teil. Sämtliche Teilnehmer der Stapo und des SD waren tags zuvor schon von der bevorstehenden Erschiessung unterrichtet worden und wussten, dass diese im Rahmen der befohlenen Säuberungsaktion erfolgte. Fast gleichzeitig mit der Stapo und dem SD Tilsit traf das Kommando der Schutzpolizei unter dem Angekl. Schmidt-Hammer auf einem LKW ein.

Bei Eintreffen des Angekl. Böhme in Krottingen befanden sich etwa 180 männliche Juden, vom Jüngling bis zum Greis, auf dem dortigen Marktplatz innerhalb einer gusseisernen Umzäunung, durch welche früher die inzwischen abgebrochene griechisch-orthodoxe Kirche eingefriedet gewesen war. Die Juden waren vorher in der Synagoge untergebracht. Auf dem Marktplatz wurde ausserdem eine grössere Anzahl kommunistenverdächtiger Litauer festgehalten. Die Gefangenen wurden von Gestapo-Leuten bewacht. Der ganze Marktplatz war von einer aufgeputschten, johlenden Menschenmenge umstellt.

Die Angeklagten Böhme und Hersmann waren bei ihrem Eintreffen über die grosse Zahl der festgenommenen Litauer erstaunt, da diese über die von Dr. Frohwann gemeldete Zahl hinausging. Auf die Mitteilung von Dr. Frohwann, dass der Angekl. Lukys, von dem der Angekl. Böhme schon in Garsden gehört hatte, weitere gefährliche Kommunisten festgenommen und im Keller seines Dienstgebäudes eingesperrt habe, suchte der Angekl. Böhme zusammen mit dem Angekl. Hersmann und mit Dr. Frohwann zunächst den Angekl. Lukys in dessen Dienstgebäude auf. Dieser vernahm gerade zu Protokoll in seinem im 1. Stock gelegenen Dienstzimmer einen kommunistenverdächtigen Litauer. Der Angekl. Böhme unterrichtete den Angekl. Lukys von der der Stapo und dem SD befohlenen Säuberungsmassnahme, die gegen sämtliche Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sowie gegen die litauischen Kommunisten durchzuführen sei. Er ersuchte ihn, an der Festnahme der Juden und Kommunisten mit seinen Leuten mitzuwirken und die von ihm schon festgenommenen und im Keller des Dienstgebäudes eingesperrten Kommunisten am Schluss der Erschiessungsaktion zu der Erschiessungsstätte zu verbringen, damit sie ebenfalls anschliessend erschossen werden.

Auf dem Marktplatz mussten die Opfer ihre Wertsachen abgeben, welche von dem Zeugen Ar., dem Verwaltungsbeamten des GPK Memel, im Beisein und unter Bewachung des Angekl. Harms in eine Kiste eingesammelt wurden. Währenddessen liess der Angekl. Böhme durch Dr. Frohwann noch weitere 30-40 männliche Juden festnehmen. Zu diesem Zweck wurden aus jeweils von 1-2 Stapo- bezw. SD-Angehörigen und einigen litauischen Hilfspolizisten als Wegweiser gebildeten Gruppen die Häuser nach Juden durchsucht. Auch der Angekl. Behrendt war bei dieser Suchaktion beteiligt.

Von den auf dem Marktplatz befindlichen festgenommenen kommunistenverdächtigen Litauern wurden auf Veranlassung des Angekl. Böhme, bei dem sich auch der Angekl. Kreuzmann aufhielt, einige ohne nähere Überprüfung auf Grund kurzer Befragung des Angeklagten Lukys freigelassen, so u.a. ein 12-14 Jahre alter Junge auf Bitten seiner Mutter. Anschliessend wurden sämtliche Opfer mit LKWs, bewacht von Stapo- und SD-Angehörigen, auf der Strasse Krottingen - Polangen zur Erschiessungsstätte gefahren. Am Ende der Fahrzeugkolonne fuhr der LKW mit dem Angekl. Schmidt-Hammer und dem Schupo-Kommando.

Kurz vor oder während dieses Abtransports wurden jüdische Frauen, die ebenfalls auf dem Marktplatz in Krottingen festgehalten waren, in bereitgestellten Panjewagen weggefahren. Als eine ältere jüdische Frau nur zögernd den für sie bestimmten Panjewagen bestieg, stiess ihr ein dort stehender Infanterist mit dem Seitengewehr in das Gesäss. Hiegegen schritt der Angekl. Fischer-Schweder, der zwischenzeitlich auch auf dem Marktplatz eingetroffen war, ein, indem er den Soldaten rügte und seinen Namen aufschrieb.

Die von Dr. Frohwann ausgewählte Erschiessungsstätte befand sich etwa 4-5 km westlich von Krottingen in Richtung Polangen in der Nähe des Gutshofes Prischmonti in einer Waldschneise. Diese Waldschneise war von den Russen in dem von dem Flüsschen Tenza durchschnittenen Wäldchen Uz'Kamaris zur Anlegung eines Panzergrabens geschlagen worden. Auf einer vor der Waldschneise gelegenen Wiese hielt die Kolonne an. Die Gefangenen mussten aussteigen und sich getrennt nach Juden und Kommunisten aufstellen. Die Juden waren für jeden Anwesenden an ihren typischen Rassemerkmalen, zum Teil auch an ihren Bärten und an ihrer Kleidung ohne weiteres erkennbar. Der Angekl. Böhme war mit seinem PKW über die Erschiessungsstätte hinausgefahren und hatte sich bis zum Eintreffen der Wagenkolonne die Ostsee angesehen. Ein Teil der Juden wurde nun gezwungen, unter Aufsicht von Stapo- und SD-Angehörigen in der Waldschneise einen Erschiessungsgraben auszuheben. Dabei wurden sie durch Stockschläge und durch viel Geschrei zur rascheren Arbeit angetrieben, ohne dass die Vorgesetzten hiegegen einschritten. Die Schmerzensschreie der Juden waren weithin hörbar.

Da den Angekl. Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder die Zahl der festgenommenen Litauer, welche als Kommunisten verdächtigt wurden, reichlich hoch erschien, kamen sie überein, unter Zuziehung des Angekl. Lukys und des Bürgermeisters von Krottingen - möglicherweise wurde noch ein weiterer Einwohner von Krottingen zugezogen - sie nochmals kurz zu überprüfen. Der Angekl. Böhme hielt dies für eine Art Gnadenakt. Der Angekl. Lukys und der Bürgermeister wurden aus Krottingen herbeigeholt, wobei der Angekl. Lukys zugleich die von ihm im Keller des Dienstgebäudes eingesperrten Kommunisten mitbrachte. Die Leitung der Überprüfung hatte der Angekl. Hersmann, der auch über die Freilassung oder Nichtfreilassung entschied. Jeder der wegen seiner angeblichen kommunistischen Einstellung festgenommenen Litauer wurde kurz befragt, wobei der SD-Angehörige Kurmies vom SD Tilsit als Dolmetscher mitwirkte. Der Angekl. Lukys gab jeweils anhand der von ihm mitgebrachten Namensliste Auskunft über den betreffenden Festgenommenen. Er spielte bei dieser Überprüfung eine massgebende Rolle, da sich der Angekl. Hersmann mehr oder weniger auf seine Angaben verliess. Der Angekl. Sakuth wirkte bei dieser Überprüfung ebenfalls mit. Auch der Angekl. Fischer-Schweder beteiligte sich hin und wieder an dem Verhör. Von insgesamt etwa 50 überprüften Litauern liess der Angekl. Hersmann etwa 30 wieder frei, da ihm die vorgebrachten Gründe ihrer Verhaftung zu "fadenscheinig" erschienen.

Eine Überprüfung der Juden fand nicht statt, da nach dem Säuberungsbefehl alle Juden ausnahmslos zu erschiessen waren. Nur ein gutgekleideter Jude, der sich bis zu der Überprüfungskommission vorgedrängt hatte, wurde auf sein Vorbringen, am 1.Weltkrieg als deutscher Reserveoffizier teilgenommen zu haben und mit dem EK I ausgezeichnet zu sein, nicht mit erschossen, sondern nach Beendigung der Erschiessung zum GPK Memel mitgenommen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Der Angekl. Fischer-Schweder, wieder in der Uniform eines SA-Oberführers, war auch bei dieser Erschiessung massgeblich beteiligt. Er gab an der Erschiessungsstätte alle möglichen Anweisungen und rügte zum Teil auch die Vorbereitungsmassnahmen. Er wies das Schupo-Kommando ein und befahl dem Angekl. Schmidt-Hammer, jeder zur Erschiessung vorgeführten Gruppe die Erschiessungsformel bekanntzugeben: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen." Der Angeklagte Schmidt-Hammer hatte die festgenommenen Juden ebenfalls als solche erkannt und gesehen, dass diese zum Unterschied von den Litauern nicht überprüft wurden. Die Überprüfung der Litauer nahm er auf etwa 40-60 m Entfernung wahr.

Die Erschiessung ging in der gleichen Weise vor sich wie in Garsden. Der ganze Platz war wieder von Stapo- und SD-Angehörigen abgesperrt, um Neugierigen den Zutritt zu verwehren und Gefangene an der Flucht zu hindern. Jeweils 10 Opfer wurden von dazu bestimmten Stapo- und SD-Angehörigen vom Versammlungsplatz, welcher vom Erschiessungsgraben durch Gebüsch abgeschirmt war, an den Erschiessungsgraben getrieben, vor dem sie sich aufstellen mussten. Ihnen gegenüber stand das etwa 20-22 Mann starke Peloton der Schutzpolizei unter Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer.

Die Angehörigen des Pelotons trugen Stahlhelme und waren mit Karabinern bewaffnet. Der Angekl. Schmidt-Hammer gab vor jeder Gruppe die ihm von dem Angekl. Fischer-Schweder befohlene Erschiessungsformel bekannt. Anschliessend gab er mit gezogenem Degen den Feuerbefehl. Jedes der Opfer erhielt von hiezu eingeteilten Stapo- und SD-Angehörigen mit der Pistole einen Nachschuss in den Kopf. Soweit die Opfer nicht in den Graben gefallen waren, mussten die nachfolgend Vorgeführten ihre Leichen in den Graben werfen.

Während der Erschiessung der Juden bat ein etwa 12 Jahre alter und bei einer anderen Gruppe eingeteilter Junge darum, zusammen mit seinem Vater erschossen zu werden. Der Angekl. Fischer-Schweder liess ihn gegen einen anderen Juden austauschen und zusammen mit seinem Vater erschiessen.

Die Gefangenen wurden in folgender Reihenfolge erschossen: Zuerst wurden die Juden und dann die schon auf dem Marktplatz festgehaltenen und an der Erschiessungsstätte nochmals überprüften litauischen Kommunisten erschossen. Anschliessend wurden die von dem Angekl. Lukys festgenommenen und im Keller seines Dienstgebäudes eingesperrten litauischen Kommunisten erschossen, die er selbst zur Erschiessungsstätte mitgebracht hatte. Am Schluss wurden noch 6 gefesselte Kommunisten von der Feldgendarmerie vorgeführt. Diese wurden nicht von dem Schupo-Kommando, sondern einzeln von Stapo- und SD-Angehörigen erschossen.

Bei der Erschiessung der Kommunisten gab es teilweise turbulente Szenen, deren genauer Hergang nicht mehr festzustellen ist. Als der Angekl. Harms am Schluss der Erschiessung eine Gruppe mit vorführte, wurde er von einem Gefangenen angefallen, zu Boden gerissen und gewürgt. Der Angeklagte Fischer-Schweder kam dem Angekl. Harms zu Hilfe und gab dem Angreifer einen Pistolenschuss unter die Achselhöhle. Ein weiteres Opfer trat den Angekl. Fischer-Schweder ans Schienbein, worauf dieser es mit einem Pistolenschuss tötete. Der Angekl. Böhme erschoss ebenfalls einen flüchtenden Litauer.

Insgesamt wurden 214 männliche Juden und litauische Kommunisten, in der Hauptsache jedoch Juden, vom Jüngling bis zum Greis, erschossen, wie es auch die Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2) ausweist. Die Zahl der Erschossenen wurde von der Stapo Tilsit an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und an das Amt IV des RSHA sowie von dem SD Tilsit an das Amt III des RSHA getrennt gemeldet. Bei der Erschiessung wurde wieder Schnaps an die Teilnehmer durch die Stapo ausgeteilt. Nach Beendigung der Erschiessung fand in Krottingen ein gemeinsames Essen, eine sogenannte Sakuska, statt. Das Essen wurde zum Teil mit dem Geld bezahlt, das den Juden abgenommen worden war. Bei diesem Essen rühmte sich dann der Angekl. Fischer-Schweder gegenüber dem Angekl. Harms, dass er ihm das Leben gerettet habe. Einige Angehörige des GPK Memel kehrten betrunken nach Memel zurück.

2. Die Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten

An dieser Erschiessung nahmen die 9 Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Fischer-Schweder, Sakuth, Behrendt, Harms, Lukys und Schmidt-Hammer teil. Mit Wissen und Wollen unterstützten sie die Erschiessungshandlung.

Wie bei jeder Erschiessung waren auch in Krottingen die Stapo- und SD-Angehörigen für bestimmte Aufgaben eingeteilt. Die einen hatten die Gefangenen am Versammlungsplatz zu bewachen, andere mussten sie von dort an den Erschiessungsgraben vorführen. Einige mussten auf die Opfer Nachschüsse abgeben. Wieder andere sperrten das ganze Gelände ab, um die Flucht von Gefangenen zu verhindern oder Unbefugten den Zutritt zu verwehren. Höhere Dienstgrade überwachten wieder die Tätigkeit der Untergebenen. Sie nahmen aber ebenfalls an der Bewachung der Gefangenen und an der Absperrung teil. Vor allem unterstützten sie aber auch schon durch ihre Anwesenheit die Durchführung der Erschiessung, weil sie dadurch die Schlagkraft sämtlicher Teilnehmer erhöhten, wie sie wussten und wollten. Im einzelnen wirkten die Angeklagten wie folgt mit:

Der Angekl. Böhme liess gemäss dem Säuberungsbefehl durch Dr. Frohwann und die ihm unterstellten Stapo-Angehörigen unter Mitwirkung der litauischen Hilfspolizei die Opfer festnehmen, die Erschiessung vorbereiten und den Angekl. Fischer-Schweder um die Abstellung des Schupo-Kommandos bitten. Er selbst teilte die Angehörigen der Stapo-Stelle Tilsit für die Erschiessung ein und leitete diese. Bei seiner Ankunft in Krottingen unterrichtete er vor der Erschiessung den Angekl. Lukys über den Inhalt des Säuberungsbefehls, ersuchte ihn, bei der Festnahme der Juden und Kommunisten mitzuwirken und die von ihm bereits festgenommenen und im Keller des Dienstgebäudes eingesperrten litauischen Kommunisten zur Erschiessung vorzuführen. Schliesslich stärkte er durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft und erschoss selbst einen flüchtenden Kommunisten.

Der Angekl. Hersmann stellte gemäss dem Säuberungsbefehl die Angehörigen des SD Tilsit sowie seinen Aussenstellenleiter in Memel, den Angekl. Sakuth, für die Erschiessung ab, überprüfte an der Erschiessungsstätte die als Kommunisten festgenommenen Litauer zusammen mit den Angeklagten Lukys und Sakuth, wobei auch der Angekl. Fischer-Schweder zeitweise mitwirkte, und entschied letzten Endes über Tod und Leben dieser Festgenommenen. Er beaufsichtigte seine Leute am Erschiessungsplatz und stärkte schon durch seine Anwesenheit in der Uniform eines SS-Sturmbannführers die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

Der Angekl. Kreuzmann stärkte durch seine Anwesenheit als geschätzter und geachteter Vorgesetzter sowie als Vertrauter und rechte Hand des Angekl. Böhme die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft.

Der Angekl. Fischer-Schweder stellte wieder freiwillig das Schupo-Kommando als Exekutionskommando auf Ersuchen des Angekl. Böhme zur Verfügung, stärkte schon durch seine Anwesenheit in der Uniform eines SA-Oberführers die Schlagkraft der Teilnehmer, wies an der Erschiessungsstätte das Schupo-Kommando ein, gab an dieses wie auch an die Stapo- und SD-Angehörigen Anweisungen und nahm zeitweise an der Überprüfung der Kommunisten an der Exekutionsstätte teil. Er liess wieder durch den Angekl. Schmidt-Hammer vor jedem Feuerbefehl den Opfern die Erschiessungsformel bekanntgeben und gab selbst mehrere Pistolenschüsse auf teils flüchtende, teils angreifende Opfer ab.

Der Angekl. Sakuth wirkte zusammen mit den Angeklagten Hersmann, Fischer-Schweder und Lukys bei der Überprüfung der Kommunisten an der Erschiessungsstätte mit. Als Leiter der SD-Aussenstelle Memel in der Uniform eines SS-Hauptsturmführers erhöhte er schon durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

Der Angekl. Behrendt wirkte dadurch bei der Erschiessung mit, dass er zusammen mit andern nach weiteren Juden fahndete und durch seine Anwesenheit an der Erschiessungsstätte die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft verstärkte.

Der Angekl. Harms überwachte am Marktplatz die Abnahme der Wertsachen, sperrte am Erschiessungsplatz ab, führte eine Gruppe der Opfer mit vor und stärkte durch seine Anwesenheit als Kriminalkommissar und Leiter der GPKs die Schlagkraft der Stapo.

Der Angekl. Schmidt-Hammer war Führer des Exekutionskommandos, sprach vor den Opfern jeweils die Erschiessungsformel und gab anschliessend den Feuerbefehl.

Der Angekl. Lukys wirkte bei den Verhaftungen mit, brachte die auf seine Veranlassung im Keller seines Dienstgebäudes eingesperrten litauischen Kommunisten gemäss der Anweisung des Angekl. Böhme zu der Erschiessungsstätte und wirkte dort massgeblich bei der Überprüfung anderer festgenommener litauischer Kommunisten mit.

Sämtliche Angeklagte mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer waren mit dem Inhalt des Säuberungsbefehls bekanntgemacht worden und waren sich daher über die Rechtswidrigkeit der Erschiessung von vornherein im klaren. Aber auch der Angekl. Schmidt-Hammer wurde sich der Rechtswidrigkeit des Erschiessungsbefehls bewusst und erkannte seinen verbrecherischen Zweck, als er in Krottingen die Opfer, getrennt nach Juden und Kommunisten, sah und dabei feststellte, dass - wie schon in Garsden - die Zahl der jüdischen Gefangenen bei weitem überwog, und als er dann an der Erschiessungsstätte wahrnahm, dass über Leben oder Tod eines grossen Teils der festgenommenen Kommunisten nur auf Grund einer ganz oberflächlichen Überprüfung durch den Angekl. Hersmann entschieden wurde, während bei den übrigen Kommunisten und bei sämtlichen Juden überhaupt keine Überprüfung stattfand, und dass vor allem alle Juden ohne Rücksicht auf ihr teils sehr hohes, teils sehr jugendliches Alter bedenkenlos erschossen wurden.

Sämtliche Angeklagte waren sich über die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat im klaren. Sie waren sich bewusst, dass die Haupttäter mit Überlegung handelten und dass ihr Vorsatz die besondere Verwerflichkeit der Tat umfasste, dass sie also aus niedrigen Beweggründen und grausam handelten.

Sämtliche bei der Erschiessung in Krottingen beteiligten Angeklagten wirkten vorsätzlich als Gehilfen, gemeinschaftlich handelnd, bei der Ausführung des von den Haupttätern als mittelbare Täter erteilten Befehls mit.

Keiner der Angeklagten glaubte an die Verbindlichkeit des Befehls - für die Person des Angekl. Fischer-Schweder scheidet dies schon im Hinblick auf seine freiwillige Mitarbeit von vornherein aus -.

Keiner der Angeklagten handelte in einer ausweglosen Zwangslage und keiner von ihnen nahm eine solche an.

3. Beweiswürdigung

a. Der Angekl. Böhme hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben.

In der Hauptverhandlung hat er zwar zunächst behauptet, die Juden und Kommunisten seien durch die Ortskommandantur in Krottingen gefangengenommen worden, wovon ihn Dr. Frohwann unterrichtet habe. Im Laufe der Hauptverhandlung hat er dann aber, wie schon im Vorverfahren, zugegeben, dass die Festnahmen durch Dr. Frohwann und seine Leute in Zusammenwirken mit dem Angekl. Lukys und den litauischen Hilfspolizisten erfolgt seien, und dass unmittelbar vor der Erschiessung durch Stapo- und SD-Angehörige zusammen mit litauischen Hilfspolizisten auf Grund von Hausdurchsuchungen noch weitere Juden festgenommen worden seien. Nach der Überzeugung des Gerichts hat die Ortskommandantur in Krottingen, die zudem nicht sofort nach dem Einmarsch errichtet worden ist, keine Juden wegen ihrer Rassezugehörigkeit und keine Kommunisten wegen ihrer politischen Einstellung festgenommen. Auch der Zeuge Dr. S., der frühere Leiter des Einsatzkommandos AI, hat glaubhaft ausgesagt, dass ihm aus der damaligen Zeit kein Fall bekannt sei, wo Ortskommandanten oder deutsche Truppen Juden gefangengesetzt und an die Stapo übergeben hätten. Auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Behrendt sowie auf Grund der Aussagen der Zeugen N., Ma., Me., Kub., Ris., Lis., Ar., Na. und Krumbach hat das Gericht es daher für erwiesen erachtet, dass zunächst die Angehörigen des GPK Memel und des GPP Bajohren in Zusammenwirken mit der litauischen Hilfspolizei die Juden und Kommunisten festgenommen haben, und dass dann am Erschiessungstag selbst noch weitere 30-40 Juden durch Stapo- und SD-Angehörige in Zusammenwirken mit litauischer Hilfspolizei festgenommen worden sind. Weiterhin hat das Gericht festgestellt, dass der Angekl. Lukys bei der Auslese der Kommunisten massgeblich mitgewirkt hat.

Die Festnahmen und die Erschiessungen der Juden und Kommunisten sind nach der Überzeugung des Gerichts auf Grund und in Ausführung des allgemeinen Säuberungsbefehls erfolgt, was auch die Angeklagten Böhme und Hersmann ohne weiteres zugegeben haben. Nur hat der Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung ausserdem behauptet, dass es sich in Krottingen auch um eine Vergeltungsmassnahme gehandelt habe. Es sei ihm nämlich von Dr. Frohwann gemeldet worden, dass in der Nacht vom 22./23.6.1941 ein deutscher Offizier und 2 deutsche Soldaten von Einwohnern in Krottingen heimtückisch erschossen worden seien. Das hat ihm das Gericht jedoch nicht geglaubt. Während des ganzen Verfahrens ist davon nie die Rede gewesen. Keiner der in Frage kommenden Zeugen hat hievon und, was später noch behandelt wird, von der angeblich 1 Tag nach der Besetzung der Ortschaft Polangen erfolgten dortigen Erschiessung eines deutschen Offiziers etwas gewusst. Es ist oben schon ausgeführt worden, dass der Angekl. Böhme erstmals in der Hauptverhandlung dies behauptet hat, nachdem sein Verteidiger die Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2) eingesehen hatte. Wenn aber tatsächlich deutsche Offiziere in Krottingen und Polangen erschossen worden wären, und dies der Grund für die beiden Massenerschiessungen gewesen wäre, dann hätten sich die Angeklagten Böhme und Hersmann im Vorverfahren dieser für sie wichtigen Ereignisse nach der Überzeugung des Gerichts bestimmt erinnert und sie auch bei ihrer Vernehmung im Vorverfahren zu ihrer Entlastung vorgebracht. Es wird insoweit auf die früheren Feststellungen Bezug genommen, nach welchen die Angaben in der Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 über die angeblichen Gründe der Erschiessungen nicht der Wahrheit entsprechen, sondern nur zur Tarnung der Verbrechen gedient haben. Wenn aber nach den Feststellungen des Gerichts selbst in den Ereignismeldungen UdSSR als Geheime Reichssachen bei Beginn der Juden- und Kommunistenerschiessungen deren wahre Gründe nicht genannt worden sind, so ist dies nach der Überzeugung des Gerichts ein Zeichen dafür, dass nicht nur die ausführenden Organe, sondern auch die massgebenden Personen des RSHA ein schlechtes Gewissen gehabt haben und sich gescheut haben, die Wahrheit zu sagen.

Die Feststellung über die Abnahme der Wertsachen, wovon der Angekl. Böhme nichts wissen will, beruht auf den Angaben des Angekl. Harms und auf den Aussagen des Zeugen Ar.

Bei den sich widersprechenden Angaben der Angeklagten und den Aussagen der Zeugen hat nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können, dass schon auf dem Marktplatz in Krottingen eine eigentliche Überprüfung der Kommunisten stattgefunden hat. Festzustellen ist lediglich, dass auf Grund kurzer Befragung jüngerer Kommunisten, darunter ein erst etwa 12 Jahre alter Junge auf Bitten seiner Mutter dort freigelassen worden sind. Der Angekl. Böhme will sich nicht mehr mit Bestimmtheit an eine Überprüfung der Kommunisten auf dem Marktplatz durch Dr. Frohwann oder durch den Angekl. Kreuzmann erinnern können; es seien eben einige noch verhältnismässig junge Kommunisten, darunter auch der 12 Jahre alte Junge, freigelassen worden. Im Vorverfahren hat er ursprünglich angegeben, er habe auf dem Marktplatz dem Angeklagten Kreuzmann das Kommando übergeben und ihm die Aussonderung der Kommunisten übertragen. Nach den Angaben der Angekl. Hersmann und Lukys soll zwar keine eigentliche Überprüfung, wohl aber eine kurze Befragung der Festgenommenen stattgefunden haben, während nach den Angaben des Angekl. Harms und nach den Aussagen des Zeugen Fre. überhaupt keine Überprüfung und Befragung vorgenommen worden sein soll. Es ist möglich, aber nicht mit hinreichender Sicherheit nachzuweisen, dass der Angekl. Böhme insoweit nur zur Entlastung des Angekl. Kreuzmann seine Angaben gewechselt hat.

Dagegen ist auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann, Fischer-Schweder, Harms, Lukys und Schmidt-Hammer sowie auf Grund der Aussagen der Zeugen Fre. und N. festzustellen, dass an der Erschiessungsstätte die Kommunisten, welche schon auf dem Marktplatz in Krottingen gefangengehalten gewesen sind, überprüft worden sind. Die Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder haben glaubhaft vorgebracht, dass ihnen die Zahl der festgenommenen Kommunisten als sehr hoch erschienen sei, weshalb sie sich zu deren Überprüfung entschlossen haben. Der Angekl. Böhme will dabei diese Überprüfung als eine Art Gnadenakt angesehen haben. Die Leitung der Überprüfung hat der Angekl. Hersmann gehabt, wie er selbst zugegeben hat und wie die Angeklagten Böhme, Fischer-Schweder, Lukys und Harms bestätigt haben. Wie der Angekl. Hersmann glaubhaft angegeben hat, ist er dabei von dem Angekl. Sakuth und zeitweise auch von dem Angekl. Fischer-Schweder unterstützt worden. Eine massgebende Rolle hat dabei der Angeklagte Lukys gespielt, wie das Gericht auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder festgestellt hat. Der Angekl. Lukys hat anhand der Namensliste jeweils die Verdachtsgründe von den einzelnen Festgenommenen vorgetragen. Hierauf hat der Angekl. Hersmann nach seinen Angaben in erster Linie seine Entscheidung gestützt, ob eine Freilassung erfolgen solle oder nicht. Nach den Feststellungen des Gerichts hat es sich dabei um eine ganz oberflächliche Überprüfung gehandelt. Dies geht aus den Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder hervor und entspricht auch durchaus der Sachlage. Auch alle übrigen Angeklagten haben, soweit sie die Überprüfung wahrgenommen haben, nach der Überzeugung des Gerichts die Oberflächlichkeit der Überprüfung klar erkannt. Der Angekl. Hersmann hat glaubhaft angegeben, er habe in allen Fällen, in denen ihm die von dem Angekl. Lukys vorgetragenen Haftgründe als "fadenscheinig" erschienen seien, jeweils die Freilassung des Festgenommenen angeordnet. Von etwa 50 überprüften Kommunisten sind insgesamt etwa 30 entlassen worden, wie das Gericht auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann und auf Grund der Aussagen der Zeugen Fre., N. und Th. festgestellt hat.

Die Juden haben den Erschiessungsgraben selbst ausheben müssen, wie u.a. auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme festgestellt worden ist. Sein Vorbringen, er habe nicht wahrgenommen, dass dabei die Juden von den Stapo- und SD-Angehörigen mit Schlägen angetrieben worden seien, was beispielsweise der Zeuge N. glaubhaft bekundet hat, ist ihm nicht geglaubt worden.

Die weitere Feststellung, dass auch in Krottingen - übrigens auch bei allen späteren Erschiessungen - jeweils die nachfolgende Gruppe der Opfer die Leichen der zuvor Erschossenen hat in den Graben werfen müssen, beruht u.a. auf den Angaben der Angeklagten Böhme und Schmidt-Hammer sowie auf den Aussagen der Zeugen Fre. und N.

Bei der Erschiessung der Kommunisten, insbesondere bei der Erschiessung der zuletzt vorgeführten 6 gefesselten Kommunisten, ist es zu turbulenten Szenen gekommen, weil die Kommunisten teils Fluchtversuche gemacht, teils die Bewacher und die Vorführenden angegriffen haben. Dies ist auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Fischer-Schweder, Harms und Schmidt-Hammer sowie auf Grund der Aussagen der Zeugen N., Th., Ma., Sc. und Krumbach festgestellt worden. Der genaue Hergang hat sich aber nicht mehr feststellen lassen. Jedenfalls hat der Angekl. Böhme einen flüchtenden Kommunisten und der Angekl. Fischer-Schweder einen Gefangenen, welcher den Angekl. Harms angegriffen hat, durch einen Schuss unter die Achselhöhle getötet. Der Angekl. Fischer-Schweder hat noch einen weiteren Gefangenen erschossen, der ihn angegriffen hat. Dies haben die beiden Angeklagten Böhme und Fischer-Schweder zugegeben. Möglicherweise hat sich unter der Gruppe der zuletzt von der Feldgendarmerie vorgeführten 6 Kommunisten eine Frau befunden, was sich aber nicht mit genügender Sicherheit hat feststellen lassen.

Dass auch bei der Erschiessung in Krottingen Schnaps ausgeschenkt worden ist, hat das Gericht auf Grund der Aussagen der Zeugen N. und Sc. festgestellt. Der Angekl. Böhme will sich angeblich daran nicht mehr erinnern. Nach Beendigung der Erschiessung ist von den Stapo- und SD-Angehörigen in einer Wirtschaft in Krottingen ein gemeinschaftliches Essen eingenommen worden, wie auf Grund der Angaben der Angeklagten Harms und Fischer-Schweder festzustellen ist. Auch daran will sich der Angekl. Böhme nicht mehr erinnern können. Verschiedene Angehörige des GPK Memel sind betrunken nach Memel zurückgekehrt, wie auf Grund der Aussagen des Zeugen Me. festgestellt worden ist.

Im übrigen hat der Angekl. Böhme zu seiner Verteidigung wie schon im Fall Garsden und in allen späteren Fällen geltend gemacht, er habe die Rechtswidrigkeit des Befehls nicht erkannt, habe an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt, habe als Gehilfe und nicht als Mittäter gehandelt und habe sich in einer ausweglosen Zwangslage befunden. Dass er nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt hat, ist ihm nicht zu widerlegen gewesen. Im übrigen sind ihm seine Angaben nicht geglaubt worden. Es wird auf die Ausführungen und die Feststellungen zum Fall Garsden Bezug genommen.

Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angekl. Böhme wie im Fall Garsden so auch im Fall Krottingen und in den späteren Fällen die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat erkannt, dass sie nämlich mit Überlegung, aus niedrigen Beweggründen und grausam gehandelt haben. Auch insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen zum Fall Garsden Bezug genommen.

b. Der Angekl. Hersmann hat ebenfalls den Sachverhalt im wesentlichen zugegeben.

Im Gegensatz zum Angekl. Böhme hat er ohne weiteres zugegeben, dass für die Erschiessung der Juden und Kommunisten in Krottingen ausschliesslich der Stahlecker-Befehl massgebend gewesen sei. Er hat allerdings später auf Frage noch behauptet, auch er habe von der Erschiessung eines Offiziers gehört. Dies ist ihm aber nicht geglaubt worden, da er dies nicht mit Überzeugung vorgetragen und während des ganzen Vorverfahrens auch nie erwähnt hat.

Zu seiner Verteidigung hat der Angekl. Hersmann die gleichen Angaben gemacht wie zum Fall Garsden. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen hinsichtlich des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, seiner Kenntnisse von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage Bezug genommen.

c. Der Angekl. Kreuzmann leugnet seine Teilnahme an der Erschiessung in Krottingen. Er will an diesem Tat überhaupt nicht dort gewesen sein. Das Gericht hat ihm dieses Vorbringen nicht geglaubt und ist von seiner Teilnahme überzeugt.

Diese Feststellung stützt sich vor allem auf die Angaben des Angekl. Böhme, die dieser bei seiner ersten Vernehmung im Vorverfahren gemacht hat, solange ihm die Angaben des Angekl. Kreuzmann noch nicht bekannt gewesen sind. Wenn der Angekl. Böhme später und insbesondere in der Hauptverhandlung sich nicht mehr an die Teilnahme des Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Krottingen erinnern will, so ist dies nach der Überzeugung des Gerichts keinesfalls auf eine mögliche Täuschung, sondern darauf zurückzuführen, dass er seinen früheren Vertrauten und bewährten Mitarbeiter nicht belasten will. Dies ergibt sich aus seiner Erklärung bei einer persönlichen Unterhaltung mit dem Zeugen Wei. im Anschluss an eine Vernehmung in der Landesstrafanstalt Hohenasperg. Der Zeuge Wei. hat glaubhaft bekundet, dass der Angekl. Böhme auf seine Frage, ob eigentlich Kreuzmann an den Erschiessungen beteiligt gewesen sei, mit dem Kopf genickt und gesagt habe: "Kreuzmann war dabei, ich weiss aber nicht mehr, bei welcher Erschiessung. Ich kann Kreuzmann verstehen, ich will ihn aber in der Hauptverhandlung auch nicht belasten." Ähnlich hat sich der Angekl. Böhme, wie schon zum Fall Garsden ausgeführt worden ist, am Schluss der informatorischen Vernehmung durch Oberlandesgerichtsrat E. ausgedrückt, der ihn in einem Haftbeschwerdeverfahren des Angekl. Kreuzmann im Auftrag des Strafsenats des OLG Stuttgart gehört hat. Der Zeuge E. hat glaubhaft bekundet, er habe aus der Äusserung des Angekl. Böhme, dass er ja der einzige sei, der Kreuzmann belaste, den Eindruck gewonnen, als ob er habe sagen wollen, "Sie werden doch verstehen, dass ich meinen Kameraden nicht ans Messer liefere".

Auch der Zeuge Opf., welcher zusammen mit dem Zeugen Wei. im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist, hat glaubhaft bekundet, dass der Angekl. Böhme gegen den Angekl. Kreuzmann in den Fällen Garsden I und Krottingen I ganz bestimmte belastende Angaben gemacht habe. Als dem Angekl. Böhme vorgehalten worden sei, dass der Angekl. Kreuzmann jegliche Beteiligung an den Erschiessungen leugne, habe er zunächst zynisch geäussert: "Dann muss ich wohl alles selbst gemacht haben." Auch dieser Zeuge hat auf Grund der wiederholten Vernehmungen des Angekl. Böhme den bestimmten Eindruck gewonnen, dass er im Laufe der Vernehmungen immer mehr bestrebt gewesen ist, seine früheren Untergebenen, insbesondere den Angekl. Kreuzmann, zu decken. Den gleichen Eindruck hat auch das Schwurgericht von dem Angekl. Böhme gewonnen, aber nicht allein von ihm, sondern auch von den andern Angeklagten und Zeugen, soweit sie früher der Gestapo und dem SD angehört haben.

Dass der Angekl. Kreuzmann genauso an den Erschiessungen teilgenommen hat wie die anderen Stapo-Angehörigen, geht aus einer, wie das Gericht feststellt, unbedachten, aber desto treffenderen Äusserung des Angekl. Harms gegenüber dem Zeugen Wei. kurz nach der Verhaftung des Angekl. Harms hervor. Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Wei. hat nämlich der Angekl. Harms, was dieser auch bestätigt, in dem PKW, in welchem er abgeholt worden ist, geäussert: "Warum denn gerade mich? Da laufen doch noch andere herum, wie Kreuzmann!"

Dass der Angekl. Kreuzmann auf das Gericht keinen wahrheitsliebenden Eindruck gemacht hat und dass der Angekl. Böhme ihn jetzt offensichtlich decken will, ist schon zum Fall Garsden I ausgeführt worden. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen Bezug genommen. Hiezu ist noch anzufügen, dass der Angekl. Kreuzmann in der Hauptverhandlung behauptet hat, er habe zwar von den Erschiessungen Kenntnis gehabt, er habe aber von den Exekutionen nichts Näheres erfahren, weil ihn der Angekl. Böhme wegen seiner verhältnismässig kurzen Zugehörigkeit zur Gestapo "mit diesen Sachen offenbar absichtlich nicht befasst habe". Dies hat ihm das Schwurgericht schon deshalb nicht geglaubt, weil er, wie festgestellt ist, die rechte Hand und der Vertraute des Angekl. Böhme gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es ganz unglaubhaft, dass sich der Angekl. Böhme mit ihm nicht über die Exekutionen unterhalten hat. Im übrigen darf hiezu auf die frühere Feststellung zum Fall Garsden I hingewiesen werden, dass nach der Bekundung des Zeugen Krumbach sich gerade auch der Angekl. Kreuzmann am Tage nach der ersten Erschiessung in Garsden an der Unterhaltung und an der Kritik wegen der Judenerschiessung beteiligt hat.

Die Feststellung der Teilnahme des Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Krottingen stützt sich weiterhin auf die insoweit glaubwürdigen Angaben des Angekl. Lukys. Dieser hat bei seiner ersten Vernehmung durch Oberstaatsanwalt Schü. und Kriminalkommissar Wei. vom 21.2.1957 angegeben, er erinnere sich irrtumsfrei, dass sich Kommissar Kreuzmann in Uniform bei dem Angekl. Böhme auf dem Marktplatz in Krottingen aufgehalten habe, als Kommunisten überprüft worden seien. Nach der Feststellung des Gerichts hat dort zwar keine eigentliche Überprüfung der Kommunisten, wie nachher an der Erschiessungsstätte, sondern nur eine kurze Befragung und Freilassung einiger junger Litauer, die als Kommunisten festgenommen worden waren, stattgefunden. Bei seiner späteren Vernehmung durch den Untersuchungsrichter vom 23.2.1957 hat der Angekl. Lukys angegeben, dass Kriminalkommissar Kreuzmann bei der ersten Erschiessung in Krottingen teilgenommen habe; er habe ihn vorher nicht gekannt, der Dolmetscher für die Gestapo namens Matinkus habe ihm damals seinen Namen genannt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 28.2.1957 durch den Zeugen Wei. wurden dem Angekl. Lukys Lichtbilder der einzelnen Angeklagten vorgezeigt. Dabei hat er, wie der Zeuge Wei. glaubhaft bekundet hat, den Angekl. Kreuzmann sofort wiedererkannt und gesagt, er habe ihn zum erstenmal auf dem Marktplatz in Krottingen gesehen und seinen Namen durch den Stapo-Dolmetscher erfahren. Kreuzmann habe damals auf den Schulterstücken 2 Sterne getragen. Mit Kreuzmann und Böhme sei er im Herbst 1942 bei einer Dienstbesprechung der litauischen Sicherheitspolizeichefs in der Dienststelle des Pakulis in Schaulen wieder zusammengetroffen.

In der Hauptverhandlung hat nun der Angekl. Lukys unter Bestätigung seiner früheren Angaben im Vorverfahren angegeben, er habe am Erschiessungstag in Krottingen auf dem dortigen Marktplatz neben den Angeklagten Böhme und Hersmann den Angekl. Kreuzmann in grauer Uniform stehen sehen; der Stapo-Dolmetscher Matinkus habe ihm seinen Namen genannt. Später habe er den Angekl. Kreuzmann in grauer Uniform zusammen mit dem Angekl. Böhme wieder in Schaulen bei der Dienstbesprechung der litauischen Sicherheitspolizeichefs getroffen. Der Angekl. Kreuzmann habe damals zu ihm gesagt, wir kennen uns doch von Krottingen her. Der Angekl. Kreuzmann hat die Angaben des Angekl. Lukys über das Treffen in Schaulen als solches bestätigt. Die Angaben des Angekl. Lukys gegenüber dem Zeugen Wei. bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 28.2.1957 sind allerdings insoweit nicht richtig, als der Angekl. Lukys damals behauptet hat, der Angekl. Kreuzmann habe seinerzeit in Krottingen 2 Sterne auf den Achselstücken getragen, da der Angekl. Kreuzmann erst am 1.9.1942 den SS-Angleichungsdienstgrad eines SS-Hauptsturmführers und damit die Berechtigung zum Tragen von 2 Sternen auf den Achselstücken erhalten hat. Insoweit täuscht sich der Angekl. Lukys nach der Feststellung des Gerichts. Die Täuschung ist nach der Ansicht des Gerichts wohl darauf zurückzuführen, dass der Angekl. Kreuzmann bei dem Treffen in Schaulen im Herbst 1942 schon den Angleichungsdienstgrad eines SS-Hauptsturmführers gehabt, also 2 Sterne getragen hat. Aus dieser Täuschung ist aber nicht notwendig zu folgern, dass sich der Angekl. Lukys wohl auch bezüglich der Anwesenheit des Angekl. Kreuzmann in Krottingen getäuscht hat. Von dem Angekl. Lukys hat das Gericht den Eindruck eines klugen, erfahrenen, zugleich aber auch sehr gerissenen Polizeibeamten mit gutem Erinnerungsvermögen bekommen. Von Anfang an hat er mit grosser Bestimmtheit seine Angaben über die Anwesenheit des Angekl. Kreuzmann bei der Erschiessung in Krottingen gemacht. Es liegen für das Schwurgericht keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er den Angekl. Kreuzmann aus irgendeinem Grund bewusst wahrheitswidrig belastet hat. Wenn sich der Angekl. Lukys auch hinsichtlich der Zahl der Sterne auf den Achselstücken des Angekl. Kreuzmann getäuscht hat, so ist das Schwurgericht doch überzeugt, dass er sich in der Person des Angekl. Kreuzmann, also über dessen Anwesenheit bei der Erschiessung in Krottingen vom 26.6.1941 nicht täuscht.

Es ist dabei nicht verkannt worden, dass die Angaben des Angekl. Lukys mit grosser Vorsicht zu werten sind, da er im ganzen gesehen in der Hauptverhandlung einen nicht gerade glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, insbesondere was die Angaben bezüglich seiner eigenen Person betrifft. Hinsichtlich seiner belastenden Angaben gegen den Angekl. Kreuzmann hat er jedoch nach der Überzeugung des Gerichts die Wahrheit gesagt. Hinzu kommt noch, dass der Zeuge Wei. nach seinen glaubhaften Bekundungen bei der Vernehmung des Angekl. Lukys sehr überrascht gewesen sei, als dieser ganz von sich aus den Namen des Angekl. Kreuzmann genannt und von ihm gesagt habe, er sei auch bei der Erschiessung in Krottingen beteiligt gewesen. Überrascht sei er deshalb gewesen, weil dem Angekl. Lukys gegenüber vorher der Name Kreuzmann überhaupt nicht erwähnt worden sei.

Schliesslich stützt sich die Feststellung bezüglich der Teilnahme des Angekl. Kreuzmann bei der Erschiessung in Krottingen auch auf die Angaben des Angekl. Behrendt. Dieser hat sowohl bei seinen polizeilichen und richterlichen Vernehmungen im Vorverfahren als auch in der Hauptverhandlung durchaus glaubwürdig angegeben, er habe den Angekl. Kreuzmann in grauer Uniform bei dem Halt der Fahrzeuge aus Tilsit in Memel bei der Wagenkolonne stehen sehen. Dass die Angehörigen der Stapo und des SD Tilsit damals über Memel zur Erschiessung nach Krottingen gefahren sind, dass ihre Fahrzeugkolonne in Memel kurz gehalten hat und dass sich dieser Kolonne die Kraftfahrzeuge mit Angehörigen des GPK Memel angeschlossen haben, wird auch von anderen Zeugen, so auch von dem Zeugen Krumbach glaubhaft bestätigt. Der Angekl. Behrendt hat in der Hauptverhandlung keinen schlechten Eindruck gemacht. Er ist im besten Mannesalter, macht einen körperlich gewandten Eindruck und hat sich geistig regsam verhalten und insbesondere ein sehr gutes Erinnerungsvermögen gezeigt. Er hat wiederholt aufklärend in der Hauptverhandlung mitgewirkt. Bis auf seine Angaben zu den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder hat er im ganzen gesehen einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Es liegen keine Anhaltspunkte eines begründeten Verdachts gegen ihn vor, dass er etwa den Angekl. Kreuzmann wider besseres Wissen belaste. Andererseits schliesst das Schwurgericht auf Grund des guten Eindrucks, den es von seiner geistigen Regsamkeit und von seinem guten Erinnerungsvermögen bekommen hat, die Möglichkeit aus, dass er sich über die Anwesenheit des Angekl. Kreuzmann bei der Wagenkolonne in Memel täuscht. Wenn aber der Angekl. Kreuzmann, wie das Gericht feststellt, schon mit dem zur Erschiessung abgestellten Kommando der Stapo von Tilsit aus den weiten Weg bis nach Memel gefahren ist, ist er nach der Überzeugung des Gerichts auch nach Krottingen vollends weitergefahren und hat an der dortigen Erschiessung teilgenommen. Es wäre auch nicht verständlich, was der Angekl. Kreuzmann in Memel zu tun gehabt hätte, da fast alle Angehörigen des GPK Memel einschliesslich dessen Leiter Dr. Frohwann zu der Erschiessung nach Krottingen gefahren sind. Schliesslich hat der Zeuge Krumbach, der frühere Kriminalkommissar bei der Abt. II der Stapo Tilsit, der ebenfalls an der Erschiessung in Krottingen teilgenommen hat, glaubhaft bekundet: Er wisse zwar nicht mehr mit Bestimmtheit, dass der Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Krottingen teilgenommen habe, er wisse nur, dass auch der Angekl. Kreuzmann, wenn auch nicht oft, zu Judenerschiessungen mitgefahren sei, und er meine, dass er in Krottingen dabeigewesen sei. Nach der Erschiessung in Krottingen sei unter den Beamten der Stapo Tilsit über die turbulenten Szenen bei der Erschiessung gesprochen worden und es sei davon die Rede gewesen, dass Harms oder Kreuzmann angefallen worden sei. Wenn aber der Angekl. Kreuzmann nicht an der Erschiessung in Krottingen teilgenommen hätte, wäre sein Name nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch nicht von den dort Beteiligten, also auch nicht von dem Zeugen Krumbach in den Mund genommen worden, der ja selbst auch an der Erschiessung in Krottingen teilgenommen und deshalb genau gewusst hat, welche Angehörige der Stapo Tilsit an der vorgenannten Erschiessung beteiligt gewesen sind.

Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Kreuzmann an der Erschiessung in Krottingen teilgenommen und dass er mindestens durch seine Anwesenheit als der Vertraute und die rechte Hand des Angekl. Böhme die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft wissentlich und willentlich gestärkt und dadurch die Erschiessungsaktion unterstützt hat.

Im übrigen hat der Angekl. Kreuzmann zu seiner Verteidigung die gleichen Angaben wie zum Fall Garsden gemacht bezw. durch seinen Verteidiger machen lassen. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, seiner Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage Bezug genommen.

d. Der Angekl. Harms hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Unter anderem hat er angegeben, dass er die Abnahme der Wertsachen durch den Zeugen Ar. überwacht und dass er auf Befehl des Angekl. Böhme eine Gruppe Kommunisten zum Erschiessungsgraben mit vorgeführt habe, wobei er von einem der Gefangenen angefallen und zu Boden gerissen, jedoch vom Angekl. Fischer-Schweder befreit worden sei. Er hat weiterhin, wie das Gericht für erwiesen hält, an der Sicherung und Absperrung mitgewirkt, auch wenn er dies entgegen seinen Angaben im Vorverfahren in der Hauptverhandlung nicht mehr hat wahrhaben wollen. Er hat ferner nach der Feststellung des Gerichts schon durch seine Anwesenheit als Kriminalkommissar und Leiter des GPK Tilsit mit Wissen und Wollen die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft gestärkt und dadurch zur Unterstützung der Erschiessungsaktion beigetragen.

Im übrigen hat der Angekl. Harms zu seiner Verteidigung das gleiche geltend gemacht wie im Fall Garsden I. Insoweit wird in vollem Umfang auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen zu der Frage des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, seiner Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage Bezug genommen.

e. Der Angekl. Behrendt hat ebenfalls den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Auf seinen eigenen Angaben beruht die Feststellung, dass auch er in Krottingen zusammen mit anderen Stapo- und SD-Leuten und mit litauischen Hilfspolizisten in den Häusern nach weiteren Juden gefahndet hat. Dass er dann nach dieser Fahndungsaktion, bei welcher weitere 30-40 männliche Juden festgenommen worden sind, an der Erschiessungsstätte als junger Beamter der Gestapo nicht untätig herumgestanden ist, sondern wie die übrigen Stapo- und SD-Angehörigen ebenfalls eine bestimmte Aufgabe gehabt und dadurch unterstützend mitgewirkt hat, bedarf keiner weiteren Ausführung. Im übrigen hat dies auch der Angekl. Böhme glaubhaft angegeben. Mindestens hat der Angekl. Behrendt, wie das Gericht feststellt, gewusst und dies auch gebilligt, dass er schon durch seine Anwesenheit an der Erschiessungsstätte die Schlagkraft der Stapo-Mannschaft verstärkt und dadurch die Erschiessungsaktion unterstützt.

Im übrigen hat der Angekl. Behrendt zu seiner Verteidigung wiederum das gleiche geltend gemacht wie zum Fall Garsden I. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen zur Frage des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, seiner Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage Bezug genommen.

f. Der Angekl. Sakuth hat in der Hauptverhandlung angegeben, er könne sich an seine Anwesenheit bei der Erschiessung in Krottingen nicht mehr erinnern; falls sich aber im Laufe der Hauptverhandlung durch Zeugenaussagen herausstellen sollte, dass er dabeigewesen sei, wolle er dies auch nicht leugnen. Er könne sich nur erinnern, dass er einmal zusammen mit Kurmies von der SD-Dienststelle Tilsit nach Krottingen gefahren sei, weil Kurmies ihm gegenüber geäussert habe, er müsse unbedingt zum Angekl. Lukys nach Krottingen fahren, sonst erschiesse dieser noch seine besten Agenten. Er sei nun mit Kurmies nach Krottingen gefahren. Dort haben sie auf einer Wiese 18-20 Gefangene vernommen, wobei Kurmies als Dolmetscher gewirkt habe. Auf seine Veranlassung sei dann auch ein etwa 13 Jahre alter Junge freigelassen worden. An dieser Vernehmung habe auch der Angekl. Hersmann teilgenommen. Die Angaben des Angekl. Sakuth, er könne sich nicht mehr erinnern, an dieser Erschiessung teilgenommen zu haben, sind nicht glaubhaft, da er sich genauso wie die anderen Angeklagten und Teilnehmer, die sich, wie unten dargelegt, zum Teil noch seiner Teilnahme entsinnen, an die turbulenten Vorgänge bei dieser Erschiessung erinnern muss. Sodann sind seine Angaben auch deshalb nicht glaubhaft, weil er sie im Verfahren wiederholt gewechselt hat. Im Vorverfahren hat er zuerst angegeben, er habe zusammen mit den Angeklagten Hersmann und Lukys sowie mit dem Dolmetscher Kurmies einen Tag vor der Exekution 18-20 litauische Kommunisten auf einer Wiese in Krottingen überprüft und dabei gewusst, dass die nicht Freigelassenen erschossen werden. Am gleichen Tag habe er mit dem Angekl. Hersmann die in der Synagoge eingesperrten männlichen Juden aufgesucht. Er hat dabei zugegeben, am Erschiessungstag selbst wieder in Krottingen gewesen zu sein und gesehen zu haben, wie die männlichen Juden zur Exekution abtransportiert worden seien. An der Erschiessung selbst habe er aber nicht teilgenommen, sondern sich 300 m davon entfernt aufgehalten. Bei einer späteren Vernehmung hat er seine Angaben über das Aufsuchen der gefangenen Juden in der Synagoge und seine Anwesenheit in Krottingen am Exekutionstag widerrufen.

Der Behauptung des Angekl. Sakuth, er habe einen Tag vor der Exekution zusammen mit dem Angekl. Hersmann 18-20 litauische Kommunisten überprüft, hat der Angekl. Hersmann bezüglich seiner Person mit aller Entschiedenheit widersprochen. Er hat mit Bestimmtheit angegeben, dass er einen Tag vor der Exekution schon deshalb nicht in Krottingen gewesen sein könne, weil er an diesem Tag (25.6.1941), wie auch das Schwurgericht oben schon festgestellt hat, zusammen mit dem Angekl. Böhme zu dem SS-Standartenführer Jäger nach Kowno gefahren sei, um mit diesem wegen der strittigen Zuständigkeitsfrage zu verhandeln. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob der Angekl. Sakuth schon am 25.6.1941 zusammen mit dem SD-Angehörigen Kurmies von der SD-Stelle Tilsit und dem Angekl. Lukys litauische Kommunisten überprüft hat, die letzterer hatte festnehmen lassen. Der Angekl. Lukys hat tatsächlich, wie das Gericht festgestellt hat, am 26.6.1941 im Keller seines Dienstgebäudes Kommunisten festgehalten und einen Kommunisten in seinem Dienstzimmer gerade vernommen, als er von den Angeklagten Böhme und Hersmann dort aufgesucht worden ist.

Die Festnahme dieser Litauer dürfte zumindest schon an dem vorausgegangenen Tag erfolgt sein. Wenn also der Angekl. Sakuth an einer Überprüfung von Kommunisten zusammen mit Kurmies und dem Angekl. Lukys am 25.6.1941, also 1 Tag vor der Erschiessungsaktion teilgenommen haben sollte, so hätte er auch schon durch diese Teilnahme bei der Erschiessung der von ihm nicht freigelassenen Kommunisten mitgewirkt.

Jedenfalls ist das Schwurgericht auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder sowie auf Grund der Aussagen des Zeugen Pap., denen zufolge der Angekl. Sakuth bei der Erschiessung anwesend gewesen ist, überzeugt, dass der Angekl. Sakuth an der Erschiessung in Krottingen am 26.6.1941 teilgenommen hat. Dies hat er auch selbst nicht mehr ernstlich in Abrede gestellt, wie aus seinen eingangs erwähnten Angaben hervorgeht. Dazu hat der Angekl. Hersmann noch durchaus glaubhaft angegeben, er wisse ganz bestimmt, dass der Angekl. Sakuth bei der Überprüfung der Kommunisten an der Erschiessungsstätte mitgewirkt habe. Der Angekl. Sakuth hat aber ausserdem schon durch seine Anwesenheit als SD-Aussenstellenleiter in der Uniform eines SS-Hauptsturmführers die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft erhöht und dadurch die Erschiessung unterstützt, was er nach der Überzeugung des Gerichts gewusst und gebilligt hat.

Im übrigen hat der Angekl. Sakuth nach der Überzeugung des Gerichts genau so gut wie die andern Teilnehmer gesehen und gebilligt, dass die Juden ihr eigenes Grab haben ausheben müssen und dabei mit Stockschlägen angetrieben worden sind und dass die nachfolgenden Opfer die Leichen der zuvor Erschossenen jeweils in den Graben haben werfen müssen. Er hat auch, wie das Gericht feststellt, die turbulenten Vorgänge mit angesehen, als Kommunisten zum Erschiessungsgraben vorgeführt worden sind und dabei Fluchtversuche unternommen und die Teilnehmer zum Teil angegriffen haben.

Dass der Angekl. Sakuth etwa auch in Krottingen wie zuvor in Garsden nur aus Neugierde gewesen sein und dass er die Erschiessung nicht als Verbrechen angesehen haben will, hat er nicht behauptet. Dies wäre im übrigen auch mit seinem Vorbringen, er könne sich an seine Anwesenheit nicht mehr erinnern und seiner weiter oben wiedergegebenen Erklärung gegenüber dem Zeugen Professor Dr. Fu. nicht zu vereinbaren. Im übrigen wird zur Frage seines Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, seiner Kenntnis über die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage auf die früheren Ausführungen und Feststellungen zum Fall Garsden I Bezug genommen.

g. Der Angekl. Fischer-Schweder hat behauptet, er habe am 26.6.1941 eine Kurierpost zu einer unter dem Befehl des Hauptmanns Fahnenschreiber stehenden und nach Litauen einmarschierten Polizeieinheit überbracht. Diese Einheit habe ihn durch Funkspruch um die Überbringung der Kurierpost gebeten. Auf der Rückfahrt von dieser Polizeieinheit sei er von Norden her nach Krottingen gekommen und habe ganz zufällig von der dortigen Erschiessung Kenntnis bekommen. Er sei auf dem Marktplatz gerade dazugekommen, als ein Wehrmachtsangehöriger eine Frau - im Vorverfahren hat er von einer Jüdin gesprochen - mit dem Seitengewehr in das Gesäss gestossen habe. Er sei daraufhin sofort aus dem PKW ausgestiegen, habe den Soldaten zurückgerissen, ihn getadelt und sich seine Personalien aufgeschrieben. Als er gerade habe weiterfahren wollen, sei er von einem Stapo- oder SD-Angehörigen angehalten und gefragt worden, ob er wisse, dass der Angekl. Böhme ganz in der Nähe sei. Möglicherweise sei dies der Angekl. Sakuth gewesen. Daraufhin sei er sofort in der ihm angegebenen Richtung zum Angekl. Böhme gefahren. Zu seiner Überraschung habe er bei diesem ein Schupo-Kommando aus Memel unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer angetroffen, das rechts der Strasse gelagert habe. Auf seine Frage, was hier eigentlich los sei, habe ihm der Angekl. Böhme erwidert, es handle sich um eine Angelegenheit der Litauer, welche die Stapo nur überwache. Er (Böhme) sei auch nur informatorisch bezw. zur Überwachung hier, Dr. Frohwann leite die Aktion. Den Grund der Erschiessung in Krottingen habe er nie erfahren. Bei der weiteren Vernehmung hat er sogar behauptet, Dr. Frohwann habe ihm gesagt, die Stapo und der SD vollstrecke Todesurteile, die litauische Gerichte gefällt haben. Auf seine Frage, wer das Schupo-Kommando nach Krottingen befohlen habe, habe ihm der Angekl. Schmidt-Hammer erwidert, dies habe Major Gü. befohlen. Er könne sich nur denken, dass sich Dr. Frohwann an Major Gü. gewandt habe. Einzelheiten habe er nie erfahren. Er hat auch weiterhin noch behauptet, er habe überhaupt keine Juden gesehen.

Die Angaben des Angekl. Fischer-Schweder tragen den Stempel der Unwahrheit. Der Angekl. Fischer-Schweder ist, wie das Gericht schon zum Fall Garsden I festgestellt hat, durch Dr. Frohwann und durch den Angekl. Böhme über die den Angekl. Böhme und Hersmann durch Dr. Stahlecker befohlenen Säuberungsmassnahmen gegen die Juden und Kommunisten in dem Grenzstreifen in vollem Umfang aufgeklärt worden. Er hat daher den Grund der Erschiessungsaktion in Krottingen gekannt und hat, wie das Gericht feststellt, gewusst und dies auch gebilligt, dass die Juden wegen ihrer Rassezugehörigkeit und die litauischen Kommunisten wegen ihrer politischen Einstellung ohne vorausgegangenes Gerichtsverfahren erschossen werden.

Bei seiner Stellung, die er als Polizeidirektor in Memel für sich beansprucht und eingenommen hat, ist es nach der Überzeugung des Gerichts und bei der von den Angeklagten und von den Zeugen geschilderten soldatischen Einstellung und Pflichtauffassung des Major Gü., des Kommandeurs der Schupo von Memel, ausgeschlossen, dass das Schupo-Kommando durch Major Gü. ohne Wissen und Willen des Angekl. Fischer-Schweder nach Krottingen abgestellt worden ist. Der inzwischen verstorbene Zeuge Gü. hat bei seiner polizeilichen Vernehmung auch glaubwürdig ausgesagt, dass der Angekl. Fischer-Schweder immer selbst bei ihm die Abstellung eines Schupo-Kommandos zu Erschiessungszwecken verlangt habe. Im übrigen deutet auch die frühere, vom Schwurgericht festgestellte Äusserung des Angekl. Fischer-Schweder in Garsden vor Beginn der damaligen Erschiessung auf die Frage des Angekl. Böhme, ob er auch für weitere Erschiessungen das Schupo-Kommando als Exekutionskommando zur Verfügung stellen werde: "Ich (Fischer-Schweder) werde dies von Fall zu Fall entscheiden", darauf hin, dass er jeweils die Abstellung des Schupo-Kommandos bewirkt hat.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Angekl. Fischer-Schweder vor der Erschiessung in Krottingen angeblich noch eine Kurierpost zu einer Polizeieinheit gebracht hat; denn jedenfalls ist er nach der Überzeugung des Gerichts von dem angesetzten Erschiessungstermin unterrichtet gewesen. Es kann weiterhin dahingestellt bleiben, ob sich der Angekl. Fischer-Schweder schon zu einem Zeitpunkt auf dem Marktplatz in Krottingen eingefunden hat, als sich dort noch die Angeklagten Böhme und Hersmann samt den übrigen Stapo- und SD-Angehörigen und den Gefangenen befunden haben, wie dies der Zeuge Sc. als einziger bekundet hat. Jedenfalls ist der Angekl. Fischer-Schweder noch so frühzeitig an die Erschiessungsstätte gekommen, dass er das Schupo-Kommando und den Angekl. Schmidt-Hammer hat einweisen können, wie das Gericht auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme und Schmidt-Hammer festgestellt hat. Die Behauptung des Angekl. Fischer-Schweder, er sei erst während der Erschiessung gekommen, steht schon in Widerspruch zu seinen eigenen Angaben, nach denen das Schupo-Kommando bei seinem Eintreffen rechts der Strasse gelagert habe. Sein weiteres Vorbringen, er habe dem Angekl. Schmidt-Hammer in Krottingen nicht befohlen, vor jedem Feuerbefehl wie in Garsden zu erklären: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen", wird widerlegt durch die insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Schmidt-Hammer.

Die Behauptung des Angekl. Fischer-Schweder, er habe nicht erkannt, dass auch Juden erschossen werden, wird schon dadurch widerlegt, dass die Gefangenen in 2 Abteilungen, nämlich aufgeteilt nach Juden und Kommunisten, aufgestellt worden sind, und dass gerade der Angekl. Fischer-Schweder die Überprüfung der Kommunisten angeregt haben will, was, wie festgestellt, bei den Juden nie der Fall gewesen ist. Übrigens sind die Juden, wie schon in Garsden, nach den Angaben der übrigen Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer und des Angekl. Kreuzmann und nach den Bekundungen der Tatzeugen Fre., N., Sc., Ma. usw. für jeden Anwesenden an ihren typischen Rassemerkmalen, zum Teil auch an ihren Bärten und an ihrer Kleidung ohne weiteres erkennbar gewesen, was auch das Gericht für erwiesen erachtet hat. Der Angekl. Fischer-Schweder leugnet, dass er auf Bitten des jüdischen Knaben dessen Austausch mit einem andern jüdischen Gefangenen veranlasst habe, damit er zusammen mit seinem Vater habe erschossen werden können. Dies hat das Gericht jedoch auf Grund der Angaben des Angekl. Harms und der Aussagen des Zeugen N. für erwiesen erachtet.

Im übrigen hat der Angekl. Fischer-Schweder den Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. So hat er zugegeben, dass er bei den turbulenten Vorgängen ebenfalls eingegriffen habe. Er habe einem Kommunisten unter die Achselhöhle geschossen, der den Angekl. Harms angegriffen und zu Boden gerissen habe. Weiterhin habe er auf einen flüchtenden Kommunisten geschossen. Auf Grund der Aussagen des Zeugen Th. hat das Gericht weiterhin festgestellt, dass der Angekl. Fischer-Schweder von einem Kommunisten an das Schienbein getreten worden ist, worauf er diesen mit einem Pistolenschuss getötet hat. Dass er gesehen und gebilligt hat, dass die Juden ihr eigenes Grab haben ausheben müssen und dabei geschlagen worden sind, und dass die nachfolgende Gruppe der Opfer jeweils die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben hat werfen müssen, hat das Gericht ebenfalls für erwiesen erachtet.

Zu seiner Verteidigung hat der Angekl. Fischer-Schweder behauptet, er habe die Rechtswidrigkeit der Erschiessung nicht gekannt und habe nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt. Ausdrücklich hat er aber bemerkt, er sei weder in einer Gewissensnot noch in einer Zwangslage gewesen. Er hat auch nicht behauptet, dass er zur Mitwirkung an dieser Erschiessung befohlen worden sei. Dies würde auch in Widerspruch mit seiner Behauptung stehen, er habe von der ganzen Erschiessung nichts gewusst und habe zufällig an ihr teilgenommen. Auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme und auf Grund der allgemeinen Umstände ist aber das Gericht überzeugt, dass er von dem Erschiessungstermin dadurch Kenntnis bekommen hat, dass ihn Dr. Frohwann im Auftrag des Angekl. Böhme um die Abstellung eines Schupo-Kommandos gebeten hat. Es ist daher festgestellt worden, dass der Angekl. Fischer-Schweder sich und das Schupo-Kommando freiwillig eingeschaltet hat.

Wie im Fall Garsden ist das Schwurgericht überzeugt, dass sich der Angekl. Fischer-Schweder der Rechtswidrigkeit der Erschiessung bewusst gewesen ist und dass er die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat gekannt, also gewusst hat, dass sie mit Überlegung, aus niedrigem Beweggrund und grausam handeln. Es hat ihm nicht widerlegt werden können, dass er nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt hat. Schon nach seinen eigenen Angaben hat er keine ausweglose Zwangslage und keine Verbindlichkeit eines Befehls angenommen, dies aber auch nicht annehmen können, weil er keinen Befehl erhalten, sondern sich freiwillig eingeschaltet hat. Zu allen diesen Fragen wird auf die Ausführungen und Feststellungen zum Fall Garsden I Bezug genommen.

h. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Er hat u.a. angegeben: Er sei mit dem gleichen Kommando nach Krottingen gefahren, wobei er aber die Möglichkeit nicht ausschliesse, dass der eine oder der andere frühere Teilnehmer ausgetauscht worden sei. Dass aber tatsächlich einige Teilnehmer nach der Erschiessung in Garsden I ausgetauscht worden sind, ist auf Grund der Aussagen der Zeugen N. und A. festgestellt worden.

Er hat weiterhin zugegeben, schon auf dem Marktplatz die Gefangenen gesehen zu haben. Er will sich aber nicht mehr daran erinnern können, ob er den Angekl. Fischer-Schweder schon auf dem Marktplatz oder erst an der Erschiessungsstätte vor Beginn der Erschiessung gesehen habe. Jedenfalls habe ihn der Angekl. Fischer-Schweder an der Erschiessungsstätte vor Beginn der Erschiessung eingewiesen und sich auch längere Zeit bei seinem Zug aufgehalten, wobei er ihm auch wieder befohlen habe, die gleiche Erschiessungsformel zu sprechen, die er schon in Garsden jeweils gesprochen habe. Dies hat auch das Gericht für erwiesen erachtet.

Weiterhin hat der Angekl. Schmidt-Hammer angegeben, er habe gesehen, dass an der Erschiessungsstätte eine Gruppe von Zivilisten durch einen SD-Offizier und andere Stapo- oder SD-Leute etwa 40-60 m von seinem Standort entfernt vernommen und ein Teil von ihnen freigelassen worden sei, und dass sich die Gruppe der anderen Gefangenen, welche nicht überprüft worden sei, etwa 60-80 m von seinem Standort entfernt aufgehalten habe. Auf Grund dieser Angaben hat das Gericht festgestellt, dass sich der Angekl. Schmidt-Hammer bewusst gewesen ist, dass die Gefangenen vor Beginn der Erschiessung in 2 voneinander getrennten Gruppen aufgestellt gewesen sind, und dass diese 2 Gruppen verschieden behandelt worden sind. Er hat weiterhin zugegeben, er habe wahrgenommen, dass jeweils die nachfolgende Gruppe der Opfer die Leichen der zuvor Erschossenen habe in den Graben werfen müssen. Das Gericht ist aber auch überzeugt, dass er genauso wie die andern Teilnehmer seines Kommandos gesehen hat, dass die Juden beim Ausheben des Grabens geschlagen worden sind.

Auch nach seinen Angaben ist es bei der Erschiessung sehr turbulent zugegangen, wobei auch der Angekl. Fischer-Schweder Pistolenschüsse abgegeben habe.

Seine Verteidigung geht dahin: Er sei des guten Glaubens gewesen, es handle sich um die Erschiessung von Heckenschützen, wie ihm Major Gü. bei der Befehlserteilung gesagt habe. Es sei ihm aber auch von Major Gü., wahrscheinlich jedoch von dem Angekl. Fischer-Schweder gesagt worden, ein deutscher Offizier sei hinterrücks überfallen und getötet worden. Er hat ferner behauptet, er habe nicht gewusst, dass in der Hauptsache Juden erschossen worden seien; er habe die Juden als solche auch gar nicht erkannt. Er schliesse allerdings die Möglichkeit nicht aus, dass sich unter den Gefangenen Juden befunden haben. Er sei sich jedenfalls der Rechtswidrigkeit der Erschiessung nicht bewusst gewesen und habe auch nicht erkannt, dass der Befehl ein Verbrechen bezweckt habe. Schliesslich hat er bezw. sein Verteidiger, wie schon zum Fall Garsden I, geltend gemacht, er habe auf Befehl gehandelt und sei in einer ausweglosen Zwangslage gewesen.

Es handelt sich im wesentlichen um das gleiche Verteidigungsvorbringen wie zum Fall Garsden I. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher in erster Linie auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen Bezug genommen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Angekl. Schmidt-Hammer auf Grund der vorausgegangenen Erschiessung in Garsden schon zum Zeitpunkt der Befehlserteilung durch Major Gü. dessen bewusst gewesen ist, dass es sich nicht um eine Vergeltungsmassnahme, also um die Erschiessung von Heckenschützen, sondern, wie zuvor schon in Garsden, um die Erschiessung von Juden und Kommunisten aus rassischen bezw. aus politischen Gründen handelt. Eine grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafür.

Auf alle Fälle ist sich der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts in Krottingen schon vor der Erschiessung der Rechtswidrigkeit des Erschiessungsbefehls bewusst geworden und hat dessen verbrecherischen Zweck klar erkannt, wie sich aus folgenden Feststellungen ergibt: Er hat die Juden an ihren typischen Rassemerkmalen, an den Bärten und an der Kleidung erkannt, er hat gesehen, dass alle Altersstufen vom Jüngling bis zum Greis vertreten waren, er hat gesehen, dass ihre Anzahl die der übrigen Gefangenen bei weitem überwogen hat, dass sie schon auf dem Marktplatz von den übrigen Gefangenen getrennt gehalten worden sind, dass dort noch nachträglich weitere 30-40 Juden zugeführt worden sind und dass aus der Gruppe der Juden ein Teil zur Aushebung des Grabens befohlen worden ist und einige davon geschlagen worden sind, während die Gruppe der litauischen Kommunisten abseits aufgestellt gewesen ist. Diese Feststellungen stützt das Schwurgericht auf die Bekundungen der Zeugen Fre., N. und Th. Wenn aber diese Zeugen, welche dem Schupo-Kommando angehört haben, dies gesehen und erkannt haben, dann hat dies der Angekl. Schmidt-Hammer nach der Überzeugung des Gerichts ebenfalls gesehen und erkannt.

Auf den Vorhalt in der Hauptverhandlung, er habe doch selbst früher im Vorverfahren angegeben, auf dem Marktplatz in Krottingen gefangene Juden und Litauer gesehen zu haben, hat der Angekl. Schmidt-Hammer behauptet, es sei bei der Vernehmung im Vorverfahren ganz allgemein von "Juden" gesprochen worden, weshalb er dann auch das Wort "Juden" in den Mund genommen habe. Dies ist nach der Ansicht des Gerichts offensichtlich eine Ausrede. Diese Auslegung könnte allenfalls dann geglaubt werden, wenn der Angekl. Schmidt-Hammer bei der damaligen Vernehmung ganz allgemein nur von "Juden" gesprochen hätte. Er hat aber von "Juden und Litauern" gesprochen. Er hat also nach der Überzeugung des Gerichts bewusst zwischen Juden und Litauern unterschieden, wie dies auch seitens der Angeklagten Böhme, Hersmann, Harms, Behrendt und Lukys und seitens der Tatzeugen geschehen ist.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat nach seinen eigenen Angaben gesehen, dass eine Gruppe der Gefangenen überprüft worden ist. Dass es sich dabei um angebliche Kommunisten und nicht um Juden gehandelt hat, hat er nach der Überzeugung des Gerichts genauso gut wie die andern Teilnehmer, insbesondere wie die seines Schupo-Kommandos, erkannt. Wenn aber nach den Feststellungen des Gerichts von etwa 50 Überprüften, wegen angeblicher kommunistischer Einstellung verhafteten Litauern auf Grund nur kurzer Befragungen etwa 30 Personen wieder freigelassen worden sind, hat er bei seiner Lebenserfahrung und bei seinen geistigen Qualitäten nach der Überzeugung des Gerichts wiederum klar erkannt, dass die Überprüfung nur ganz oberflächlich und willkürlich erfolgt ist und dass die vorausgegangenen Verhaftungen nicht anders erfolgt sein können.

Weiterhin hat er, wie das Gericht feststellt, wahrgenommen, dass die Juden, vom Jüngling bis zum Greis, betend und gefasst in den Tod gegangen sind, wie dies auch von den übrigen Teilnehmern bekundet worden ist. Er ist sich dabei, wie das Gericht wiederum feststellt, bewusst gewesen, dass sich so nicht Menschen benehmen, die sich zuvor gewalttätig und hinterrücks als Heckenschützen betätigt haben. Dass seine erst in der Hauptverhandlung aufgestellte Behauptung, bei der Erschiessung habe es sich um eine Vergeltungsmassnahme wegen der hinterlistigen Erschiessung eines deutschen Offiziers gehandelt, unwahr ist, und dass er selbst bewusst die Unwahrheit gesagt hat, hat das Gericht bereits zum Fall Garsden I festgestellt. Auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen wird Bezug genommen. Die Erschiessung in Krottingen ist unter fast gleichen Verhältnissen erfolgt wie die vorausgegangene Erschiessung in Garsden. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat im Vorverfahren soviel selbst zugegeben, er habe bei der zweiten und dritten Erschiessung durch die Wiederholung der Fälle und die verhältnismässig grosse Anzahl der "Partisanen" selbst erhebliche Bedenken bekommen und sei der Meinung gewesen, dass es sich dabei nicht nur um Partisanen gehandelt habe. Als ihm diese Angaben in der Hauptverhandlung vorgehalten worden sind, hat er behauptet, diese früheren Angaben seien nicht richtig, er sei durch besondere Umstände zu diesen Angaben gekommen, was er aber nicht näher hat erläutern können. Hier handelt es sich nach der Feststellung des Gerichts offensichtlich um eine Ausrede.

Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Schmidt-Hammer schon auf Grund der unter fast gleichen Verhältnissen vorausgegangenen Erschiessung in Garsden bei der Erschiessung in Krottingen klar erkannt hat, dass es sich um eine bedenkenlose Tötung unschuldiger Menschen handelt und dass die Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und die kommunistenverdächtigen Litauer wegen ihrer politischen Einstellung erschossen werden. Er hat also, wie das Gericht feststellt, nicht etwa nur Zweifel an der Rechtmässigkeit der Erschiessung gehabt, sondern als lebenserfahrener und geistig über dem Durchschnitt stehender Mensch deren Rechtswidrigkeit und den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt.

Bezüglich des übrigen Verteidigungsvorbringens wird auf die Ausführungen und Feststellungen zum Fall Garsden I in vollem Umfang Bezug genommen.

i. Der Angekl. Lukys hat in der Hauptverhandlung jegliche polizeiliche Tätigkeit und Mitwirkung bei der Gefangennahme der Juden und Kommunisten vom Beginn des Russlandfeldzugs bis zum 26.6.1941 einschliesslich geleugnet. Bei der Auslese der Kommunisten will er nur in dem Bestreben mitgewirkt haben, möglichst viele der festgenommenen Litauer frei zu bekommen. Im einzelnen hat er in der Hauptverhandlung angegeben: Vor Beginn des Russlandfeldzugs habe er wiederholt mit Beamten des GPK Memel und auch mit dem Angekl. Sakuth von der SD-Aussenstelle Memel Besprechungen gehabt und habe ihnen dabei vor allem Auskünfte über Memelländer gegeben. Am ersten Angriffstag (22.6.1941) habe er deutschen Truppen als Wegweiser beim Grenzübergang zwischen Garsden und Litauisch Krottingen und durch Litauen bis zur lettischen Grenze gedient. Auf dem Rückweg habe er einmal übernachtet, nämlich vom 23./24.6.1941, und sei dann mit Verwundeten auf einem LKW bis Krottingen gefahren. Von hier aus habe er sich zu der Försterei bei Memel begeben, wo seine Familie untergebracht gewesen sei. Am 26.6.1941 sei er wieder nach Krottingen gekommen, um nach seinen Möbeln zu sehen. Als er gerade in der Schule gewesen sei, um alte Freunde zu besuchen, habe ihn der Gestapo-Angehörige Matinkus vom GPP Bajohren, der auch als Dolmetscher gedient habe, im Auftrag des Polizeichefs auf den Marktplatz geholt, wo Juden und Kommunisten festgenommen gewesen seien. Dort sei er den Angeklagten Böhme und Hersmann vorgestellt worden. Die Gestapo-Beamten Dr. Frohwann und Dietz sowie der Angekl. Kreuzmann, dessen Name ihm durch Matinkus genannt worden sei, seien auch dort gewesen. Der Angekl. Böhme habe ihn fragen lassen, welche von den Gefangenen Kommunisten seien. Er habe erwidert, er sei jetzt über 1 Jahr nicht mehr in Krottingen gewesen und kenne daher nicht alle Kommunisten. Er habe festgestellt, dass unter den Gefangenen keine früheren kommunistischen Funktionäre gewesen seien. Es habe sich in der Hauptsache nur um "dumme Kommunisten" gehandelt. Auf Grund einer kurzen Befragung seien einige der Gefangenen entlassen worden. Auf seine Veranlassung sei u.a. einer der Festgenommenen namens Slavinskas freigelassen worden, worauf die Menge gerufen habe: "Hängt ihn auf!" Als er einen nachträglich beigebrachten jüdischen Rechtsanwalt als "guten Menschen" bezeichnet habe, habe diesen der Angekl. Böhme trotzdem zu dem "Haufen der Juden" bringen lassen. Auf dem Marktplatz habe der Angekl. Böhme den Polizeichef der Ordnungspolizei namens Janusonis - lt. Schriftsatz des Verteidigers RA Mat. vom 7.7.1958 heisst er Janoschornis - laut beschimpft und anschliessend entlassen.

Er habe nicht gewusst, dass die Festgenommenen erschossen werden. Seine Bekannten haben ihm nur gesagt, die Festnahmen seien durch die Polizei, die Wehrmacht und die Partisanen erfolgt und die Gefangenen kommen zum Arbeitseinsatz. Mittags sei er zum Bürgermeister gerufen worden, bei dem sich auch Partisanenführer befunden haben. Dort habe er erst erfahren, dass bereits ein Graben ausgehoben werde und dass die Festgenommenen erschossen werden. Sofort habe er nun den Bürgermeister und die andern veranlasst, mit ihm zu der Erschiessungsstätte zu fahren, um gemeinsam für die Freilassung der Gefangenen zu sprechen.

Am Erschiessungsplatz sei ihm bestätigt worden, dass die Gefangenen erschossen werden. Er habe ihre Rettung angestrebt. Er habe gesagt, "es handle sich doch um lauter primitive, dumme Leute", und habe vorgeschlagen, sie wieder nach Krottingen zu verbringen, damit er sie vernehmen könne. Es habe nun aber eine Vernehmung der gefangenen Kommunisten unter Leitung des Angekl. Hersmann stattgefunden. Soweit ihm die Häftlinge nicht bekannt gewesen seien, habe er sie jeweils gefragt: "Was warst Du bei den Kommunisten?" Bevor alle gefangenen Kommunisten vernommen worden seien, sei einer gekommen und habe gerufen: "Schluss!" Von den bis dahin Vernommenen sei etwa die Hälfte freigelassen worden. Als er mit den Freigelassenen nach Hause gegangen sei, sei er von ihnen als Befreier gefeiert worden.

Er habe sich anschliessend in das NKWD-Gebäude in Krottingen begeben, in welchem das Polizeirevier untergebracht gewesen sei, um einen Polizisten zur Abholung seiner Möbel mitzunehmen. Dort habe ihn nach der Erschiessung der Angekl. Böhme zusammen mit dem Angekl. Hersmann und Dr. Frohwann aufgesucht und habe ihn am gleichen Abend noch (26.6.1941) als Polizeichef der Ordnungspolizei von Krottingen eingesetzt. Er habe dabei dem Angekl. Böhme gesagt, er sei früher Chef der Sicherheitspolizei gewesen und nach dem Rundfunkaufruf sollen die früheren litauischen Beamten ihr altes Amt wieder einnehmen. Der Angekl. Böhme habe aber erwidert, in dem 25 km breiten Grenzstreifen habe die Stapo Tilsit zu bestimmen und er sei jetzt Ordnungspolizeichef. Den Dienst habe er aber erst am 29.6.1941 übernommen. Er habe den Angekl. Böhme um die Ausstellung eines Ausweises als Chef der Ordnungspolizei gebeten. Das sei aber nicht möglich gewesen, weil weder Lichtbild noch Stempel vorhanden gewesen seien. Als Sicherheitspolizeichef sei er von seiner vorgesetzten Behörde in Kowno erst am 25.7.1941 förmlich eingesetzt worden. Als er die Ordnungspolizei übernommen habe, haben zu ihr Praschinskas, Kubilus, Schwagschgis, Jankauskas und Reinikis gezählt; der frühere Polizeichef Janoschornis sei vom Angekl. Böhme schon am 26.6.1941 auf dem Marktplatz abgesetzt worden. Als er später Sicherheitspolizeichef geworden sei, seien ihm Praschinskas, Pendies und ab Dezember 1941 auch Smilgies unterstanden.

Der Angekl. Lukys hat den Eindruck eines klugen, erfahrenen, zugleich aber sehr gerissenen Menschen mit gutem Erinnerungsvermögen gemacht, der während der ganzen Hauptverhandlung nie um eine Ausrede verlegen gewesen ist, insbesondere wenn andere ihn belastet haben. Er selbst hat anlässlich seiner Vernehmung zu den Erschiessungen von jüdischen Frauen und Kindern bezeichnenderweise angegeben, Dr. Frohwann, der Leiter des GPK Memel, habe einmal zu ihm gesagt: "Fuchs, Du wirst auch einmal Deinen Schwanz verlieren!" Im ganzen gesehen hat der Angekl. Lukys keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht.

Es darf hier nochmals auf die Feststellungen zu seinen Personalien verwiesen werden, die auf Grund seiner eigenen Angaben getroffen worden sind. Demnach ist der Angekl. Lukys 15 Jahre lang Chef der Sicherheitspolizei in Krottingen gewesen. Nach der Besetzung Litauens durch die Russen am 17.6.1940 ist er nach Deutsch Krottingen geflohen. Mit 40-50 weiteren geflohenen litauischen Polizeibeamten hat er sich 3 Wochen lang im Arbeitsdienstlager Kudern aufhalten müssen. Er ist die ganze Zeit immer in Fühlung mit dem GPK Memel und dem GPP Bajohren geblieben und hat sich regelmässig dort melden müssen, was auch der Angekl. Behrendt bestätigt hat. Von Dezember 1940 bis Frühjahr 1941 ist er als Kriminalbeamter mit 40 weiteren ehemaligen litauischen Sicherheitspolizeibeamten im Generalgouvernement eingesetzt worden. Der Angekl. Lukys ist also vor Beginn des Russlandfeldzugs eine wohlbekannte Persönlichkeit bei der Stapo und dem SD von Memel gewesen. Er ist auch, wie er im Vorverfahren gegenüber Oberstaatsanwalt Schü. und dem Zeugen Wei. zugegeben hat, mit Dr. Frohwann persönlich bekannt gewesen.

Dass der Angekl. Lukys bei Beginn des Russlandfeldzugs am ersten Angriffstag angeblich als Wegweiser mit deutschen Truppen nach Litauen gekommen ist, ist möglich. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er gleich bei Beginn des Russlandfeldzugs mit anderen früheren litauischen Beamten von der Gestapo zur Unterstützung der deutschen Stellen nach Litauen gebracht worden ist. Der Zeuge Mo., der frühere Leiter des GPP Bajohren, meint, er habe den Angekl. Lukys zusammen mit anderen Litauern schon am 22.6.1941 beim Übertritt über die Grenze gesehen, wobei er einen Ausweis von der Gestapo gehabt habe. Der Zeuge Mo. kann sich aber nicht mehr mit aller Bestimmtheit daran erinnern. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben.

Der Angekl. Lukys ist jedenfalls nach der Überzeugung des Schwurgerichts mindestens vom 24.6.1941 ab wieder in Krottingen gewesen und hat als früherer Sicherheitspolizeichef der Stapo und dem SD Hilfestellung geleistet.

Bei seiner Vernehmung durch Oberstaatsanwalt Schü. und den Zeugen Wei. vom 21.2.1957 hat der Angekl. Lukys nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Wei. angegeben, er sei schon am 23. oder am 24.6.1941 nachmittags in Krottingen eingetroffen. Er habe gesehen, wie Juden von litauischen Partisanen durch die Stadt getrieben worden seien. Er habe sich aber am ersten Tag seines Aufenthaltes in Krottingen weniger für die Juden, um so mehr aber für die Kommunisten interessiert, die von litauischen Partisanen verhaftet worden seien. Der damalige Chef der Ordnungspolizei Janoschornis und der Bürgermeister Kubilus haben ihm gesagt, dass die Verhaftung der Juden und Kommunisten im Auftrag der Gestapo erfolge und dass die Gestapo überall Propaganda mache, dass die Juden auf deutsche Truppen geschossen haben. Damals hat er weiterhin angegeben, dass er auf Grund eines Rundfunkaufrufs vom gleichen Tag, den er als Befehl betrachtet habe, und nach welchem die früheren litauischen Beamten wieder ihre alten Stellungen übernehmen sollen, der Ansicht gewesen sei, er sei wieder zum Leiter der Sicherheitspolizei Krottingen bestellt. Am Abend des 24.6.1941 sei er über Bajohren zur Försterei nach Memel gefahren, um seine Familie von der neuen Sachlage zu unterrichten. In der Hauptverhandlung hat aber der Angekl. Lukys davon nichts erwähnt, dass er sich schon auf Grund des Rundfunkaufrufs vom 24.6.1941 wieder zum Leiter der Sicherheitspolizei bestellt gehalten habe. Er will vielmehr am 26.6.1941 ganz privat nach Krottingen gekommen sein, um angeblich nach seinen Möbeln zu sehen. Dies hat ihm das Gericht jedoch nicht geglaubt. Es wäre auch schon mehr als verwunderlich, wenn sich ausgerechnet der Angekl. Lukys, welcher nach seinen eigenen Angaben seit seiner Jugend die Kommunisten gehasst und sich für die Freiheit Litauens eingesetzt hat, nach der Befreiung Litauens von den Russen in erster Linie nur Interesse für seine Möbel gehabt hätte.

Das Schwurgericht ist vielmehr nach den ganzen Umständen und auf Grund der überzeugenden Angaben des Angekl. Böhme der festen Ansicht, dass sich Dr. Frohwann vom GPK Memel, welcher den Angekl. Lukys persönlich gekannt hat, mit ihm rechtzeitig in Verbindung gesetzt und dass Dr. Frohwann ihn über die Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen aufgeklärt hat.

Der Angekl. Lukys hat aus naheliegenden Gründen in der Hauptverhandlung immer wieder betont, er sei nicht unmittelbar nach der Besetzung Litauens durch die Deutschen Chef der Ordnungspolizei oder der Sicherheitspolizei in Krottingen, insbesondere nicht schon vor der Erschiessung der Juden und Kommunisten vom 26.6.1941 gewesen. Dem steht entgegen, dass der Angekl. Lukys im Vorverfahren selbst angegeben hat, er habe sich auf den Rundfunkaufruf vom 24.6.1941 hin wieder als Sicherheitspolizeichef eingesetzt gehalten. Dem stehen weiterhin die Aussagen des Zeugen Krumbach entgegen. Nach dessen Bekundungen ist ihm auf dem Marktplatz in Krottingen der Angekl. Lukys als Chef der
litauischen Sicherheitspolizei vorgestellt worden, wobei er festgestellt habe, dass Dr. Frohwann ihn schon gekannt habe. Er selbst habe mit dem Angekl. Lukys einige Worte gewechselt. Im Laufe seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung hat der Zeuge Krumbach auf die Frage des Verteidigers des Angekl. Lukys seine Aussage dahin eingeschränkt, er habe es noch so in Erinnerung, dass der Angekl. Lukys als Sicherheitspolizeichef vorgestellt worden sei; möglich sei allerdings auch, dass er nur als "Polizeichef" vorgestellt worden sei, auf alle Fälle sei der Angekl. Lukys aber damals Polizeichef gewesen. Auch der Angekl. Behrendt, zu dessen Tätigkeitsbezirk Krottingen gehört hat, hat mit Bestimmtheit angegeben, der Angekl. Lukys sei zur Zeit der Erschiessung vom 26.6.1941 schon Polizeichef gewesen. Er sei anfangs sowohl Chef der Ordnungspolizei als auch Chef der Sicherheitspolizei gewesen.

Als später Petrauskas als Ordnungspolizeichef eingesetzt worden sei, sei er nur noch Sicherheitspolizeichef gewesen. Die Angeklagten Böhme und Hersmann haben überzeugend angegeben, sie haben sich sofort nach ihrer Ankunft in Krottingen und nicht erst nach der Erschiessung auf die Meldung von Dr. Frohwann, der Angekl. Lukys habe einige gefährliche Kommunisten festgenommen, mit Dr. Frohwann zu dem Gebäude begeben, in welchem die litauische Polizei untergebracht gewesen sei. Dort haben sie den Angekl. Lukys in seinem im 1. Stock gelegenen Dienstzimmer angetroffen, als er gerade einen Kommunisten zu Protokoll vernommen habe; der Angekl. Lukys sei offensichtlich der Polizeichef gewesen. Der Angekl. Böhme hat weiterhin angegeben, er habe von Lukys schon in Garsden am 24.6.1941 gehört und er habe ihn jetzt sofort und nicht erst nach der Erschiessung, wie der Angekl. Lukys behauptet, mit den Säuberungsmassnahmen in dem 25 km breiten Grenzstreifen bekanntgemacht. Er habe ihm eindeutig klargemacht, dass sämtliche Juden und Kommunisten festzunehmen seien und dass die Festgenommenen erschossen werden. Er habe den Angekl. Lukys weiterhin ersucht, die von ihm festgenommenen und im Keller befindlichen Kommunisten ebenfalls vorzuführen, damit sie anschliessend erschossen werden. Die Angekl. Böhme und Hersmann haben diese Angaben so bestimmt und glaubwürdig vorgetragen, dass das Schwurgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist.

Auf den Beweisantrag des Verteidigers des Angekl. Lukys vom 7.7.1958 hat das Schwurgericht allerdings die Ladung des Zeugen Kw. / Chicago abgelehnt und zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt, dass er am 26.6.1941 das Amt eines Ordnungspolizeichefs noch nicht übernommen gehabt hatte, dass vielmehr am 26.6.1941 der Litauer Janoschornis Chef der Ordnungspolizei in Krottingen gewesen ist, dass aber Kw. ihm nach dem Einmarsch der deutschen Truppen geraten habe, den Posten als Ordnungspolizeichef einzunehmen, um an der Herstellung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung mitzuwirken. Wenn auch zu seinen Gunsten als wahr unterstellt worden ist, dass er damals noch nicht Chef der Ordnungspolizei gewesen ist, so ist damit aber noch nicht die Möglichkeit ausgeräumt, dass er schon zu dieser Zeit mindestens die Funktionen eines Polizeichefs ausgeübt hat. Es wird dabei nochmals auf seine Angaben im Vorverfahren hingewiesen, wonach er auf Grund des Rundfunkaufrufs geglaubt hat, nunmehr wieder in das Amt eines Sicherheitspolizeichefs eingesetzt zu sein. Bei dieser Vernehmung im Vorverfahren hat er gegenüber Oberstaatsanwalt Schü. und dem Zeugen Wei. zunächst angegeben, er habe im Anschluss an diese Rundfunknachricht das Amt des Sicherheitspolizeichefs wieder übernommen und sei auch durch ein Schreiben des litauischen Direktors der Sicherheitspolizei in Kaunas, Cenkus, in seinem Amt bestätigt worden. Dies hat er im Laufe der Vernehmung dahin abgeschwächt, dass er am 25.7.1941 das besagte Schreiben von Cenkus erhalten habe, dass er aber schon einige Wochen vorher die Geschäfte in Krottingen übernommen habe, ohne im Besitz einer Ernennungsurkunde zu sein. Demgegenüber hat er in der Hauptverhandlung immer wieder betont, er sei erst am 25.7.1941 durch seine vorgesetzte Behörde in Kaunas als Sicherheitspolizeichef eingesetzt worden.

Es kann aber dahingestellt bleiben, ob der Angekl. Lukys am 26.6.1941 tatsächlich Sicherheitspolizeichef gewesen ist oder nicht, d.h. ob ihm dieses Amt zu dieser Zeit von Dr. Frohwann als Leiter des GPK Memel schon förmlich übertragen gewesen ist oder nicht. Es ist dem Schwurgericht nicht unbekannt, dass im letzten Krieg Bewohner eines besetzten Landes zunächst auch ohne förmliche Einsetzung in ein Amt Hilfestellung haben leisten können, wenn sie sich dazu bereit erklärt haben. Eine solche Hilfestellung ist aber vom Angekl. Lukys auf Grund seiner früheren Tätigkeit als Sicherheitspolizeichef von Krottingen und auf Grund seiner dem GPK Memel bekannten politischen Einstellung erwartet worden, und er hat auch nach der Überzeugung des Gerichts die erwartete Hilfe kraft seiner politischen Einstellung bereitwilligst geleistet.

Das Schwurgericht ist daher auf Grund der Angaben der Angekl. Böhme, Hersmann und Behrendt sowie auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach und schliesslich auf Grund der Einräumungen des Angekl. Lukys im Vorverfahren überzeugt, dass sich der Angekl. Lukys spätestens vom 24.6.1941 ab mit polizeilichen Massnahmen in Krottingen befasst und bei der Festnahme der Juden und Kommunisten sowie bei der Überprüfung der letzteren wesentlich mitgewirkt hat.

Weiterhin hat das Schwurgericht auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme festgestellt, dass der Angekl. Böhme den Angekl. Lukys vor der kurzen Befragung der Kommunisten auf dem Marktplatz und vor deren Überprüfung an der Erschiessungsstätte am 26.6.1941 in seinem Dienstzimmer in vollem Umfang mit den Säuberungsmassnahmen in dem 25 km breiten Grenzstreifen bekannt gemacht hat. Der Angekl. Lukys hat nach der Feststellung des Schwurgerichts also gewusst, dass in diesem Grenzstreifen alle Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sowie alle Kommunisten festzunehmen sind und dass die Festgenommenen erschossen werden.

Auf Grund der eigenen Angaben des Angekl. Lukys in der Hauptverhandlung hat das Schwurgericht weiterhin festgestellt, dass ihn der Angekl. Böhme noch am 26.6.1941 zum Ordnungspolizeichef ernannt hat und dass der Angekl. Lukys diese Tätigkeit nach dem 26.6.1941, spätestens jedoch vom 29.6.1941 ab ausgeübt hat. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat er aber seit dem 24.6.1941 ununterbrochen massgebend bei der Polizei in Krottingen mitgewirkt. Weiterhin ist auf Grund seiner Angaben in der Hauptverhandlung festgestellt worden, dass er am 25.7.1941 von seiner vorgesetzten litauischen Behörde in Kowno zum Sicherheitspolizeichef in Krottingen förmlich eingesetzt worden ist, wobei aber das Schwurgericht auf Grund seiner früheren Angaben im Vorverfahren überzeugt gewesen ist, dass er diese Tätigkeit schon früher begonnen hat und dass seine vorgesetzte Behörde ihn erst am 25.7.1941 förmlich eingesetzt hat.

Bei der Überprüfung der Kommunisten an der Erschiessungsstätte hat der Angekl. Lukys nach der Feststellung des Schwurgerichts nicht etwa die Rolle des Befreiers gespielt, wie er es in der Hauptverhandlung hat wahrhaben wollen, dass er also, wie er behauptet hat, bestrebt gewesen sei, möglichst viele Litauer frei zu bekommen. Diese Behauptung steht auch in Widerspruch mit der Feststellung auf Grund der glaubhaften Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann, dass der Angekl. Lukys selbst in seinem Dienstzimmer Kommunisten vernommen und sie im Keller des Dienstgebäudes hat einsperren lassen. Das von ihm behauptete Bestreben, möglichst viele Litauer frei zu bekommen, steht auch nicht in Einklang zu seinen späteren Angaben, er habe während der Zuständigkeit der Stapo Tilsit in dem 25 km breiten Grenzstreifen weniger Juden als Kommunisten festnehmen lassen, wobei sich allerdings diese Angaben auf die Zeit nach dem 26.6.1941 beziehen.

Auch aus den Angaben des Angekl. Hersmann ist keinesfalls zu entnehmen, dass er (Hersmann) bei der Überprüfung der Kommunisten von dem Angekl. Lukys den Eindruck gewonnen hat, er (Lukys) wolle zur Freilassung möglichst vieler Kommunisten beitragen. Die Überprüfung der Kommunisten ist nach den Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Fischer-Schweder ja nur deshalb erfolgt, weil ihnen die Zahl der Festgenommenen Kommunisten zu hoch erschienen ist. Bei dieser Überprüfung hat der Angekl. Lukys, wie das Gericht auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann feststellt, eine massgebende Rolle gespielt. Er hat nach den glaubwürdigen Angaben des Angekl. Hersmann auf Grund der von ihm mitgebrachten Namensliste jeweils die Gründe für die Verhaftung vorgetragen. Auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann hat das Schwurgericht festgestellt, dass dieser jeweils die Freilassung des betreffenden Gefangenen verfügt hat, wenn ihm die vom Angekl. Lukys vorgetragenen Haftgründe als "fadenscheinig" erschienen sind.

Das Schwurgericht hat weiterhin auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann festgestellt, dass der Angekl. Lukys auf einem Lastwagen die von ihm vernommenen und im Keller des Dienstgebäudes festgehaltenen Kommunisten an die Erschiessungsstätte gebracht hat. Das Ersuchen hiezu hat er vom Angekl. Böhme vor der Erschiessung anlässlich seiner Unterrichtung über die Säuberungsmassnahmen in dem 25 km breiten Grenzstreifen bekommen, wie das Gericht auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme festgestellt hat.

Richtig ist, dass das Gericht auf den Beweisantrag des Verteidigers des Angekl. Lukys vom 7.7.1958 unter Ablehnung der Ladung des Zeugen Kw. / Chicago zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt hat, dass der Angekl. Lukys am 26.6.1941 nach der Erschiessung der männlichen Juden und Kommunisten mit den am Erschiessungsort ausgesonderten Litauern nach Krottingen zurückgekommen ist und dass die ausgesonderten Litauer ihm gegenüber grossen Dank bezeugt haben mit der Behauptung, er habe sie gerettet. Damit ist aber nicht gesagt, dass der Angekl. Lukys, welcher nach seinen Angaben die Kommunisten gehasst hat, bei der Überprüfung mit dem Bestreben mitgewirkt hat, möglichst alle oder mindestens viele der kommunistenverdächtigen Litauer frei zu bekommen, sondern nur, dass die Freigelassenen dies angenommen haben.Entgegen dem Vortrag der Staatsanwaltschaft hat dem Angekl. Lukys weder im Fall Krottingen noch, was vorweggenommen wird, in allen übrigen Fällen mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können, dass er ohne eine entsprechende Anweisung der Gestapo auf eigene Faust gehandelt, also eigenmächtig Personen verhaftet und getötet hat. Es haben zwar verschiedene Zeugen belastende Aussagen in dieser Richtung gegen ihn gemacht. Diese Aussagen beruhen jedoch nicht auf eigenen Wahrnehmungen dieser Zeugen, sondern auf Mitteilungen dritter Personen. Im einzelnen wird hierzu folgendes ausgeführt:

Die Zeugin Sin. aus Montreal/Kanada hat bekundet, sie habe sich nach der Festnahme des Angekl. Lukys im Jahr 1942 9 Tage lang in und bei Krottingen aufgehalten, um Näheres über den unnatürlichen Tod ihrer Schwester Gilene zu erfahren. Der Nachfolger des Angekl. Lukys im Amt, der Sicherheitspolizeichef Jablonskis, habe ihr auch nichts Näheres sagen können, jedoch soviel berichtet, ihre Schwester sei nach einem im Dienstzimmer vorgefundenen Zettel am 4.9.1942 getötet worden. Von dem Pächter einer etwa 10 km von Krottingen entfernt gelegenen Mühle habe sie erfahren, ihre Schwester sei am 9.9.1941 von der Dienststelle des Angekl. Lukys verhaftet worden. Sie sei 9 Monate lang teils im Gefängnis in Krottingen, teils im Arbeitslager Dimitrava festgehalten worden. Nach ihrer Entlassung habe sie von den Schandtaten des Angekl. Lukys einem Hauptmann von der deutschen Wehrmacht berichtet, der dies dann an höhere Stelle weitergemeldet habe. Etwa 2 Wochen später sei ihre Schwester vom Angekl. Lukys und 2 Deutschen wieder verhaftet worden. Sie vermute, dass der Angekl. Lukys ihre Schwester getötet habe. Der Dolmetscher Tindies des Polizeichefs Jablonskis habe sie mit einem litauischen Mädchen zusammengebracht, das zusammen mit ihrer Schwester in der gleichen Zelle untergebracht gewesen sei.

Dieses Mädchen habe ihr erzählt, der Angekl. Lukys habe weibliche Gefangene, darunter auch sie selbst, ihre Schwester Gilene und eine Jüdin in einem Raum neben den Zellen vergewaltigt. Die Zeugin hat weiterhin ausgesagt, sie habe auch gehört, dass schon am 25. oder 26.6.1941 viele Leute auf Anweisung von Lukys ermordet worden seien. Allgemein sei davon gesprochen worden, dass er bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder mitgewirkt habe.

Der Zeuge Us., ein früherer Dentist aus Vevirzeniai, jetzt wohnhaft in New York, ist nach seinen Aussagen bei dem Einmarsch der deutschen Truppen als Bürgermeister von Vevirzeniai eingesetzt worden. 2 Wochen nach dem Einmarsch der Deutschen habe die Polizei von Vevirzeniai die jüdischen Frauen und Kinder von Vevirzeniai verhaftet und zwar, wie ihm von der Polizei von Vevirzeniai gesagt worden sei, auf Befehl der Polizei von Krottingen, deren Chef der Angekl. Lukys gewesen sei. Nach etwa 3 Monaten habe ihm der Pfarrer Petrauskas gesagt, Praschinskas, der Stellvertreter und Vernehmungsbeamte des Angekl. Lukys sei im Ort und wolle die festgenommenen jüdischen Frauen und Kinder erschiessen. Daraufhin habe er sich sofort an den Ortskommandanten Kalvaris, einen gebürtigen Memeler, wenden wollen, diesen aber nicht angetroffen. Seinem Stellvertreter habe er zwar den Fall vorgetragen, aber nichts ausgerichtet. Wie ihm der Pfarrer dann mitgeteilt habe, seien abends 120 festgenommene jüdische Frauen und Kinder von Praschinskas und 3 von ihm mitgebrachten Litauern erschossen worden. 2-3 Wochen nach Erstattung seiner Meldung bei dem stellvertretenden Ortskommandanten sei er wegen seiner freundschaftlichen Beziehungen zu den Juden verhaftet worden. 3 Wochen lang sei er im Gefängnis in Krottingen gesessen und dabei von Praschinskas auf dem Bock so geschlagen worden, dass er jetzt auf dem linken Ohr nichts mehr höre. Während seiner Inhaftierung habe er den Angekl. Lukys nicht zu Gesicht bekommen. Seine Entlassung sei nur deshalb erfolgt, weil ein Mittelsmann dem Angekl. Lukys mit Anzeige bei der deutschen Ortskommandantur gedroht habe. In dem Vernehmungsprotokoll sei alles mögliche aufgenommen worden. Er habe dieses nur deshalb unterschrieben, weil Praschinskas ihm die Pistole an den Kopf gedrückt und mit Erschiessen gedroht habe. Im Gefängnis habe er von Mitgefangenen gehört, dass der Angekl. Lukys sowie seine Untergebenen Praschinskas und Smilgies samstags und sonntags im Lager Dimitrava sogenannte "Hasenjagden" veranstaltet haben, indem sie Gefangene freigelassen und auf diese dann geschossen haben. Er habe ferner gehört, dass der Angekl. Lukys auch Juden erschossen und dass er Gefangene die Kellertreppe hinuntergeworfen habe. Im Gefängnis von Krottingen seien immer etwa 20-30 Gefangene eingesessen. Aus dem Gefängnis seien immer 2-3 Gefangene wöchentlich weggekommen, von denen behauptet worden sei, sie seien ermordet worden. Teilweise seien auch mit Draht gefesselte Gefangene eingeliefert worden.

Bezeichnend für die Verteidigungstaktik des Angekl. Lukys ist, dass er wiederholt Zeugen schlecht zu machen versucht hat, wenn er von ihnen belastende Aussagen befürchtet hat, oder wenn sie solche gegen ihn gemacht haben. Als in der Hauptverhandlung die Staatsanwaltschaft die Ladung der Zeugin Sin. aus Montreal und des Zeugen Us. aus New York beantragt hat, hat er durch seinen Verteidiger vortragen lassen, der Zeuge Us. sei mit dem von ihm (Lukys) bei seiner Vernehmung durch die Zeugen Wei. und Opf. vom 30.4.1957 genannten Bürgermeister Uschalis oder mit ähnlichem Namen von Vevirzeniai identisch, der ein jüdisches Mädchen als Dienstmädchen aus dem Ghetto geholt, geschwängert und in einem Wäldchen erschlagen habe. Er habe durch Praschinskas den Fall untersuchen lassen. Bei der Sektion der Leiche sei eine Schwangerschaft festgestellt worden. Dies habe auch der Bürgermeister im Untersuchungsverfahren zugegeben. Als dem Zeugen Us. dies in der Hauptverhandlung vorgehalten worden ist, ist er offensichtlich erstaunt gewesen und hat erklärt, dies höre er zum ersten Mal, die Behauptung des Angekl. Lukys sei nicht wahr. Der Zeuge Us. hat auf das Gericht den besten Eindruck gemacht und das Gericht ist von der Unwahrhaftigkeit der Angaben des Angekl. Lukys überzeugt gewesen. Über die Zeugin Sin. hat der Angekl. Lukys behaupten lassen, sie sei in Litauen Kommunistin gewesen und habe sich auch in Deutschland als Kommunistin betätigt. Auch diese Zeugin hat mit Entrüstung diese Verdächtigung zurückgewiesen und ist nach der Überzeugung des Gerichts vom Angekl. Lukys völlig zu Unrecht verdächtigt worden. Die Verdächtigung des Zeugen Us. erscheint schon deshalb als unbegründet, weil die vom Angekl. Lukys behauptete Sektion der Leiche des jüdischen Mädchens zur Feststellung ihrer Schwangerschaft mit dem allgemeinen Befehl, sämtliche Juden zu töten, gar nicht zu vereinbaren ist.

Die Zeugin Wa. hat, nachdem sie ernstlich zu einer wahrheitsgetreuen Aussage ermahnt worden war, bekundet, sie wisse von der Ehefrau des Angekl. Lukys, dass deren Ehe nicht mehr glücklich gewesen sei, weil der Angekl. Lukys seit 1941 sehr viel getrunken habe. Die Ehefrau habe ihr auch einmal erzählt, ihr Ehemann sei mit der SS immer bei Erschiessungen gewesen.

Der Zeuge Ge., welcher von 1931 bis 5.3.1941 evangelischer Pfarrer in Krottingen gewesen ist, hat ausgesagt, er habe von Gemeindemitgliedern gehört - und zwar habe ihm seines Erinnerns dies Ku. gesagt -, der Angekl. Lukys sei bei Tötungen von Juden beteiligt gewesen.

Der Zeuge Ra., welcher ab Herbst 1941 Chef der Sicherheitspolizei in Raseiniai gewesen ist, will gehört haben, dass der Angekl. Lukys sehr streng gegen die Kommunisten gewesen sei und auch private Rache geübt habe. Der Zeuge Kub. hat bei einem Besuch in Krottingen im Jahre 1942, seiner früheren Heimat, von seinen Freunden und Bekannten gehört, Lukys habe bei den Verhaftungen und Erschiessungen mitgewirkt.

Der Zeuge Ris., ein früherer katholischer Geistlicher in Budriai hat nach seinen Aussagen über den Angekl. Lukys selbst nichts gehört, wohl aber davon, dass die Gefangenen in Krottingen sehr schlecht behandelt worden seien und nichts zu essen und zu trinken bekommen haben.

Der Zeuge C., welcher früher Generalstabsoffizier bei der litauischen Armee und von Herbst 1941 ab Berater im litauischen Innenministerium für das Kommunistenreferat gewesen ist, hat, allerdings erst auf eindringlichen Vorhalt seiner früheren Aussagen bei der Vernehmung durch den Zeugen Opf. und nach Gegenüberstellung mit diesem Zeugen, bekundet, ihm habe der ihm bekannte Gestapo-Angehörige und SS-Sturmbannführer Schweizer vom Stab des SS-Standartenführers Jäger in Kowno anlässlich einer Geburtstagsfeier beim litauischen Sicherheitspolizeichef Cenkus erzählt, der Angekl. Lukys habe in Krottingen wie ein Teufel getobt und Verhaftungen vorgenommen.

Der Angekl. Lukys hat in der Hauptverhandlung angegeben, er sei im Dezember 1942 wegen Mordverdachts und wegen Verdachts der Bereicherung an dem Gut der Ermordeten verhaftet worden, der Verdacht sei aber unbegründet gewesen. Er sei im Gefängnis in Kowno eingesessen und aus diesem am 8.7.1944 geflüchtet. Es hat sich nicht feststellen lassen, ob der Mordverdacht begründet gewesen ist oder nicht. Der Zeuge To. hat hiezu ausgesagt, er sei nach der Verhaftung des Angekl. Lukys in dem gegen diesen schwebenden Verfahren als Zeuge zu der Frage vernommen worden, ob er darüber Aussagen machen könne, dass der Angekl. Lukys Gefangene misshandelt habe. Dies habe er seinerzeit verneint, weil er darüber nichts gehört habe. Er sei von Ende Juni 1941 bis Herbst 1942 beim litauischen Sicherheitspolizeichef Cenkus in Kowno tätig gewesen und habe täglich sogenannte Gesamtberichte zusammenstellen müssen, von denen auch der SS-Standartenführer Jäger einen Abdruck bekommen habe. Anschliessend sei er von Herbst 1942 ab Untersuchungsrichter in Krottingen gewesen.

Zu der Verhaftung des Angekl. Lukys hat der vorgenannte Zeuge C. ausgesagt, ihm habe in den Jahren 1946/1947 im Lager Augsburg der frühere litauische Sicherheitspolizeichef Cenkus gesagt, er habe zusammen mit dem Gestapo-Angehörigen Schweizer den Angekl. Lukys verhaftet. Der vorgenannte Zeuge To. hat ausgesagt, er wisse bestimmt, dass der litauische Sicherheitspolizeichef Cenkus persönlich den Angekl. Lukys verhaftet habe, wisse allerdings nicht, ob dies Cenkus von sich aus oder auf Veranlassung der Gestapo gemacht habe. Im Schriftsatz vom 7.7.1958 hat RA Mat. als Verteidiger des Angekl. Lukys die Ladung des Zeugen Cenkus / New York beantragt zum Beweis dafür, "dass der Angekl. Lukys im Jahr 1942 von der Gestapo verhaftet wurde (Kriminalkommissar Schweizer im Beisein des Cenkus) und dafür, welche Gründe zur Verhaftung des Lukys führten". Dieser Beweisantrag ist als unerheblich abgelehnt worden mit der Begründung, der Angekl. Lukys habe in der Hauptverhandlung selbst angegeben, dass er wegen Mordverdachts im Jahr 1942 verhaftet worden sei. Abgesehen davon handle es sich im zweiten Teil des Beweisantrags um einen Beweisermittlungsantrag. In der Hauptverhandlung vom 15.7.1958 hat nun RA Mat. den Antrag gestellt, 2 eidesstattliche Versicherungen des früheren litauischen Polizeichefs Cenkus und des Jonas Adamaitis, jeweils datiert vom 13.4.1951, zu verlesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind diese eidesstattlichen Versicherungen seinerzeit zur Ermöglichung der Auswanderung des Angekl. Lukys von Cenkus und Adamaitis abgegeben worden, wie der Angekl. Lukys auch nicht bestritten hat. Diesen Antrag hat das Schwurgericht als unzulässig mit der Begründung abgelehnt, es stehe nicht fest, dass diese beiden Zeugen nicht mehr erreichbar seien. Das Schwurgericht hat aber gleichzeitig in dem am 16.7.1958 verkündeten Beschluss den Inhalt der beiden eidesstattlichen Versicherungen als wahr unterstellt. So ist u.a. zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt worden, dass er im Jahr 1942 von der Gestapo verhaftet worden ist und zeit seines Lebens ein Gegner des Kommunismus gewesen ist, wie Cenkus in der eidesstattlichen Versicherung behauptet hat. Dabei ist weiterhin zu seinen Gunsten als wahr unterstellt worden, dass der Zeuge Adamaitis ihn schon viele Jahre gekannt und dass er für seine Person ihn als Ehrenmann und guten Litauer gehalten habe, wie dies Adamaitis in seiner eidesstattlichen Versicherung behauptet hat.

Demnach ergibt sich aus der Behauptung im Schriftsatz vom 7.7.1958 und aus der zugunsten des Angekl. Lukys erfolgten Wahrunterstellung vom 16.7.1958, dass die Gestapo durch den SS-Sturmbannführer Schweizer aus dem Stab des SS-Standartenführers Jäger / Kowno im Beisein des litauischen Sicherheitspolizeichefs Cenkus / Kowno, dem Vorgesetzten des Angekl. Lukys, diesen im Jahr 1942 hat verhaften lassen und zwar, wie der Angekl. Lukys in der Hauptverhandlung selber angegeben hat, wegen Verdachts des Mordes und wegen Verdachts der Aneignung fremden Guts der angeblich Ermordeten. Dies hat auch das Schwurgericht festgestellt.

Der Angekl. Lukys hat zu seiner Verteidigung ausserdem noch geltend gemacht bezw. durch seinen Verteidiger geltend machen lassen: Er habe nicht das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bei den Erschiessungen gehabt und habe vor allem auch nicht positiv erkannt, dass der Befehl zur Vernichtung der Juden und Kommunisten ein Verbrechen bezweckt habe; von dem Stahlecker-Befehl habe er nichts gehört. Er habe auf Grund eines bindenden Befehls gehandelt; im litauischen Recht sei ein Befehl bindend gewesen. Für ihn sei das deutsche Militärstrafrecht massgebend gewesen, da er einen entsprechenden Revers habe unterzeichnen müssen. Er habe keinesfalls als Täter gehandelt; Gehilfenschaft komme jedoch auch nicht in Frage, da er die Tat der Haupttäter nicht habe fördern, sondern weitgehend verhindern wollen. Er habe sich in einer ausweglosen Zwangslage befunden.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts ist sich der Angekl. Lukys, wie auch die übrigen Angeklagten, von vornherein der Rechtswidrigkeit der Erschiessungsmassnahmen bewusst gewesen und hat den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt.

Entgegen dem Vortrag des Verteidigers hat das Schwurgericht, wie oben schon ausgeführt worden ist, auf Grund der insoweit glaubwürdigen und bestimmten Angaben des Angekl. Böhme festgestellt, dass der Angekl. Böhme sofort nach seinem Eintreffen in Krottingen auf die Meldung des Dr. Frohwann, der Angeklagte Lukys habe noch weitere "gefährliche" Kommunisten eingesperrt, diesen zusammen mit Dr. Frohwann und dem Angekl. Hersmann in seinem Dienstzimmer aufgesucht hat. Dies ist auch von dem Angekl. Hersmann bestätigt worden. Das Gericht hat weiterhin auf Grund der insoweit glaubwürdigen Angaben des Angekl. Böhme, wie oben schon ausgeführt worden ist, festgestellt, dass bei diesem Besuch der Angekl. Böhme den Angekl. Lukys in vollem Umfang von dem der Stapo und dem SD Tilsit erteilten Säuberungsbefehl, in dem 25 km breiten Grenzstreifen sämtliche Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und sämtliche Kommunisten festzunehmen und zu töten, Kenntnis gegeben hat. Der Angekl. Lukys ist daher schon vor seiner Mitwirkung bei der kurzen Befragung der Kommunisten auf dem Marktplatz und der nachfolgenden Überprüfung der Kommunisten an der Erschiessungsstätte von dem befohlenen Massenmord durch den Angekl. Böhme in Kenntnis gesetzt worden. Nach der Überzeugung des Gerichts ist er aber auch schon vorher von dem Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, der ihn persönlich gekannt hat und für welchen der Kreis Krottingen zuständig gewesen ist, aufgeklärt worden. Der Angekl. Lukys hat in der Hauptverhandlung eingeräumt, dass der Angekl. Böhme mit ihm über die Tätigkeit der Stapo Tilsit gesprochen und gesagt habe, dass alle Juden verschwinden und alle Kommunisten verhaftet werden müssen, wobei er (Lukys) unter dem Wort "verschwinden" verstanden habe, dass die Juden zu erschiessen seien. Der Angekl. Böhme habe ihn dabei ersucht, bei diesen Säuberungsmassnahmen mitzuwirken. Seine Behauptung, diese Aufklärung durch den Angekl. Böhme sei erst nach der Erschiessung erfolgt, ist ihm nicht geglaubt worden und wird durch die Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann widerlegt. Der Angekl. Lukys ist sich nach seiner eigenen Einlassung auch darüber klar gewesen, dass weder die Gestapo noch der SD aus eigener Machtvollkommenheit diese Massenexekutionen vorgenommen hat, sondern dass sie hiefür Befehle "ihrer Regierung" erhalten haben.

Da der Angekl. Lukys nach der Feststellung des Gerichts gewusst hat, dass sämtliche Juden einschliesslich der Frauen und Kinder wegen ihrer Rassezugehörigkeit und sämtliche Kommunisten aus politischen Gründen ohne Vorliegen eines Richterspruchs zu töten sind, kann er bei einer solchen erbarmungslosen Massentötung keinesfalls mit Erfolg geltend machen, er habe die Rechtswidrigkeit dieser Massnahmen nicht erkannt.

Nach dem Vortrag seines Verteidigers soll er den verbrecherischen Zweck des Vernichtungsbefehls deshalb nicht erkannt haben, weil er kein Staatsrechtler sei, sein ganzes Leben lang nur gegen den Kommunismus gekämpft und die Problematik des Russlandkrieges nicht erkannt habe. Zur Erkenntnis des verbrecherischen Zwecks solcher befohlenen Massentötungen bedarf es jedoch wahrhaftig keiner besonderen staatsrechtlichen Vorbildung. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angekl. Lukys bei seiner Vorbildung, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner 15 Jahre langen Praxis als früherer Sicherheitspolizeichef von Krottingen klar erkannt, dass diese befohlenen Massnahmen jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widersprechen sowie jeder rechtlichen Grundlage entbehren und deshalb nichts anderes als ein Verbrechen bezwecken.

Der Angekl. Lukys hat nach der Überzeugung des Gerichts auch die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat gekannt, da er nach den Feststellungen des Gerichts auf Grund der Aufklärung durch Dr. Frohwann und durch den Angekl. Böhme über das Ausmass und den Grund der Vernichtungsmassnahmen im Bilde gewesen ist.

Schon auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit als Sicherheitspolizeichef von Krottingen hat er nach der Überzeugung des Gerichts gewusst, dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben, da er sich nach der Feststellung des Gerichts darüber im klaren gewesen ist, dass der Befehl zur Ausrottung der jüdischen Rasse und der Tötung der Kommunisten in dem Grenzstreifen nicht ohne vorherige Planung und Abwägung des Für und Wider seitens der Taturheber ergangen sein kann und ergangen ist. Da der Angekl. Lukys nach der Feststellung des Gerichts in vollem Umfang in die durchzuführenden Säuberungsmassnahmen eingeweiht gewesen ist, also gewusst hat, dass sämtliche Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und die Kommunisten nur wegen ihrer politischen Einstellung schonungslos zu töten sind, hat er auch alle erforderlichen Umstände erkannt, die die Tat der Haupttäter zum Niedrigen stempeln. Nach der Feststellung des Gerichts ist er sich aber auch darüber im klaren gewesen, dass Massentötungen solchen Umfangs nicht ohne Grausamkeit gegenüber den Opfern vor sich gehen, und dass dies auch die Haupttäter gewusst und gebilligt haben. Der Angekl. Lukys ist sich daher nach der Überzeugung des Gerichts bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Haupttäter bei der Anordnung dieser Massnahmen die besondere Verwerflichkeit der Tat, also sowohl die niedrigen Beweggründe als auch die Grausamkeit umfasst hat.

Dem Angekl. Lukys ist nicht zu widerlegen, dass er nicht mit dem Täterwillen, sondern nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt hat.

Es liegt bei ihm zwar der Verdacht sehr nahe, dass er bei seinem Hass gegen die Kommunisten die Gelegenheit für gekommen gehalten hat, unter ihnen nun aufzuräumen. Aber sowohl im Fall Krottingen, wie auch, um dies vorwegzunehmen, in allen übrigen ihm nachweisbaren Fällen, hat nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können, dass er, ohne eine entsprechende Anweisung der Gestapo gehabt zu haben, eigenmächtig Personen verhaftet und getötet, also mit dem Täterwillen gehandelt hat.

Verschiedene oben schon näher ausgeführte Zeugenaussagen sprechen zwar für ein eigenmächtiges Handeln des Angekl. Lukys. Da diese Aussagen aber nicht auf eigenen Wahrnehmungen dieser Zeugen beruhen, diese vielmehr ihr Wissen aus Mitteilungen dritter Personen haben, hat das Schwurgericht Bedenken für die Feststellung gehabt, dass die den Angekl. Lukys belastenden Behauptungen dieser Zeugen auch wirklich den Tatsachen entsprechen. Es war sonach gegen den Angekl. Lukys nur festzustellen, dass die Festnahmen und Tötungen jeweils nur auf Anweisung der Gestapo, also in einer Art Abhängigkeitsverhältnis, vorgenommen worden sind. Dies spricht grundsätzlich nur für eine Gehilfenschaft, wie oben schon beim Angekl. Böhme zum Fall Garsden I ausgeführt worden ist. Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass er nicht nur das hat unterstützen wollen, was die Gestapo von ihm hat ausgeführt haben wollen, sondern dass er seinen Tatbeitrag als einen Teil der Tätigkeit der Haupttäter und dementsprechend die Handlungen der andern als eine Ergänzung seines eigenen Tatanteils hat haben wollen.

Das Schwurgericht hat daher bei dem Angekl. Lukys entgegen der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Ansicht im Fall Krottingen I wie auch, um dies vorwegzunehmen, in allen übrigen gegen ihn nachweisbaren Fällen nur feststellen können, dass er die Tat der Haupttäter als fremde Tat hat unterstützen wollen und unterstützt hat.

Der Angekl. Lukys hat nach der Überzeugung des Gerichts nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt, wie er hat vortragen lassen.

Er hat, wie das Gericht feststellt, auf Grund seiner geistigen Fähigkeiten, seiner Vorbildung und seiner langjährigen Tätigkeit als Sicherheitspolizeichef den Widerspruch der befohlenen Massentötung zu jeder menschlichen Moral, zum Völkerrecht und zu jeder internationalen Übung der Kriegsführung erkannt. Er hat daher, wie auch die andern Angeklagten, irrtumsfrei erkannt, dass der Befehl zur Tötung Tausender von unschuldigen Menschen nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und wegen ihrer politischen Einstellung niemals verbindlich sein kann und verbindlich ist. Im übrigen ist der Angekl. Lukys in gar keinem Befehlsverhältnis zu einer deutschen Dienststelle gestanden. Er ist vielmehr in einem litauischen Beamtenverhältnis gewesen.

Seine Behauptung, im litauischen Recht habe der bindende Befehl gegolten, ist nach der Feststellung des Gerichts bewusst unwahr, da es in keiner Kulturnation eine unbedingte Bindung an Befehle gibt, die verbrecherisch sind. Abgesehen davon, dass er überhaupt in keinem militärischen Verhältnis gestanden ist, hätten für ihn allenfalls die Bestimmungen der deutschen Militärmacht und nicht die der litauischen gegolten, da der Befehl zur Festnahme und zur Erschiessung der Juden und Kommunisten nicht von litauischen Militärdienststellen gekommen ist. Seine Behauptung steht auch wiederum in Widerspruch zu seinen Angaben am Schluss der Hauptverhandlung, er habe im August oder September 1941, möglicherweise aber auch erst im Jahr 1942, einen ihm von dem litauischen Sicherheitspolizeichef Cenkus zugeleiteten Revers unterschreiben müssen, nach welchem er der deutschen SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterstehe. Abgesehen davon, dass er diesen Revers erst nach den Erschiessungen unterschrieben hätte, hätten dann wiederum nur die deutschen Bestimmungen gegolten.

Das Schwurgericht hat seinem Vorbringen nicht geglaubt, da es sich offensichtlich um ein leeres Schutzvorbringen handelt. Der Angekl. Lukys hat vielmehr nach der Überzeugung des Gerichts das Verbrecherische des an ihn gestellten Ansinnens zur Mithilfe an den Festnahmen und an den Erschiessungen der Juden und Kommunisten erkannt und in Kenntnis dessen gehandelt, und zwar aus tief eingewurzeltem Hass gegenüber den Kommunisten und all dem, was möglicherweise diesen eine Unterstützung hat gewähren können, ohne sich irgendwie durch Befehle oder ähnliches hiezu unausweichlich gezwungen zu fühlen.

Die Behauptungen des Angekl. Lukys, er habe auf Grund des Rundfunkaufrufs wieder bei der Polizei in Krottingen arbeiten müssen, ist bewusst unwahr, wie das Gericht auf Grund der insoweit glaubhaften Aussagen der Zeugen Bal. und To. festgestellt hat. Der Zeuge Bal. ist nach seinen Aussagen vor der Besetzung Litauens durch die Russen ebenfalls litauischer Sicherheitsbeamter gewesen, hat aber unter der deutschen Besatzungsmacht nicht arbeiten wollen und auch, ohne Nachteile zu erleiden, nicht gearbeitet. Der Zeuge To. hat sich nach der Besetzung Litauens durch die Deutschen auf Grund des Rundfunkaufrufs bei der litauischen Sicherheitspolizei in Kowno gemeldet und dort beim litauischen Sicherheitspolizeichef Cenkus bis zu seiner im Jahr 1942 erfolgten Ernennung zum Untersuchungsrichter in Krottingen gearbeitet. Er hat ebenfalls glaubhaft bekundet, dass kein früherer Beamter Nachteile gehabt hat, wenn er sich nicht wieder der litauischen Behörde zur Verfügung gestellt hat. Der Angekl. Lukys hat also nicht gezwungen, sondern freiwillig bei der litauischen Polizei wieder mitgearbeitet. Nach der Überzeugung des Gerichts hat er aber auch bei seiner ganzen persönlichen Einstellung nur auf den Augenblick gewartet, wieder mitarbeiten zu können und hat auch nur allzu gern die Stapo und den SD bei den gegen die Juden und Kommunisten durchzuführenden Säuberungsaktionen unterstützt. Dabei ist nach der Ansicht des Gerichts sein auf Grund der schlechten Erfahrungen in der Jugendzeit geborener Hass gegen die Kommunisten ein tragendes Moment gewesen. Dass er einen Hass gegen die Kommunisten gehabt hat, hat der Angekl. Lukys selbst angegeben und ist auch als wahr unterstellt worden.

Es ist selbstverständlich, dass der Angekl. Lukys bei seiner freiwilligen Beamtentätigkeit an die Wünsche und Ersuchen der deutschen Besatzungsmacht, vor allem auch an die der Beamten des für Krottingen zuständigen Stapo- und SD-Abschnitts Tilsit gebunden gewesen ist und nicht nach eigenem Gutdünken hat schalten und walten können. Dass er aber trotzdem immer wieder Mittel und Wege gefunden hat, die Anweisungen zu umgehen, wenn sie ihm nicht gepasst haben, wird weiter unten ausgeführt. Das Schwurgericht hat allerdings unter Ablehnung der mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7.7.1958 beantragten Ladung des Zeugen Dr. Sandargas in Ohio/USA zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt, dass die Gestapo in Krottingen "allmächtig" gewesen ist. Das Schwurgericht hat weiterhin unter Ablehnung der im gleichen Schriftsatz vom 7.7.1958 verlangten Ladung des Zeugen Cenkus / New York zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt, dass er sich bei dem Sicherheitspolizeichef Cenkus darüber beklagt hat, dass die von ihm wegen kommunistischer Umtriebe verhafteten Litauer vor Beendigung seiner Ermittlungen von der Gestapo aus dem Gewahrsam geholt werden, und dass er deshalb auch um seine Versetzung in einen mehr im Landesinnern gelegenen Kreis gebeten habe, ohne jedoch einen Erfolg gehabt zu haben. Dies hat jedoch nach der Feststellung des Gerichts mit dem Fall Krottingen nichts zu tun und kann auch nur Vorfälle betreffen, die sich nach der am 25.7.1941 durch den beantragten Zeugen Cenkus erfolgten förmlichen Ernennung des Angekl. Lukys zum Sicherheitspolizeichef in Krottingen ereignet haben. Dass der Angekl. Lukys aber trotz der von ihm behaupteten und zu seinen Gunsten als wahr unterstellten "Allmacht" der Gestapo wiederholt nach eigenem Gutdünken gehandelt und sich um die Wünsche und Ersuchen der Gestapo nicht gekümmert hat, ergibt sich aus seinen eigenen Behauptungen, welche zu seinen Gunsten als wahr unterstellt worden sind. Das Schwurgericht hat nämlich unter Ablehnung der von ihm ebenfalls im Schriftsatz vom 7.7.1958 beantragten Ladung des Zeugen Kavalcukas / Chicago zu seinen Gunsten als wahr unterstellt, dass er den Befehl des GPK Memel, den Zeugen Kavalcukas als Propagandisten festzunehmen, nicht befolgt, sondern diesem Zeugen geraten habe, vorsichtig zu sein und für einige Zeit aus Krottingen zu verschwinden, und dass er ferner eine ganze Reihe von Personen in Litauisch Krottingen, welche, wie er gewusst hat, das GPK Memel hat verhaften wollen, gewarnt und ihnen ebenfalls zum Verschwinden aus Krottingen geraten habe.

Der Angekl. Lukys hat nach der Überzeugung des Gerichts weder im Fall Krottingen I, noch, was wiederum vorweggenommen wird, in allen übrigen gegen ihn nachweisbaren Fällen in einer ausweglosen Zwangslage oder in einer von ihm nur vermuteten ausweglosen Zwangslage gehandelt. Er hat nicht bei den Festnahmen, Vernehmungen, Überprüfungen und Erschiessungen mitgewirkt, um einer ihm oder seinen Angehörigen sonst drohenden gegenwärtigen Leibes- oder Lebensgefahr zu entgehen. Er hat auch keine konkreten Angaben gemacht bezw. machen können, dass ihm etwa seine Mitwirkung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt worden sei, so dass sein Wille durch diese Drohung gebeugt worden sei. Seine diesbezügliche Behauptung ist daher vom Schwurgericht als ein nur unwahres Schutzvorbringen gewertet worden.

Abgesehen davon hat, wie schon beim Angekl. Böhme zum Fall Garsden I ausgeführt worden ist, trotz umfangreicher Beweisaufnahme kein Fall festgestellt werden können, in dem jemand wegen Verweigerung des Befehls, Juden und Kommunisten zu erschiessen, durch Gerichtsurteil zum Tod verurteilt oder ohne Gerichtsurteil erschossen worden ist. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Der Angekl. Lukys hat auch nicht glaubhaft angegeben, dass er etwa ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht hat, um sich unter irgendeinem Vorwand dieser angeblichen Zwangslage zu entziehen, nämlich Juden und Kommunisten verhaften und erschiessen zu müssen. Dass er aber Mittel und Wege hat finden können, eine Anweisung nicht zu befolgen, wenn sie ihm nicht gepasst hat, ja dass er sogar der Gestapo entgegengearbeitet hat, geht aus seinen oben angeführten und im Beweisantrag vom 7.7.1958 vorgetragenen Behauptungen hervor, welche vom Schwurgericht zu seinen Gunsten als wahr unterstellt worden sind. Danach hat er entgegen der Weisung des GPK Memel, den Apotheker Kavalcukas von Krottingen zu verhaften, diesen rechtzeitig gewarnt und ihm zur Flucht geraten und er hat weiterhin eine ganze Reihe von Personen ebenfalls rechtzeitig gewarnt und ihnen zur Flucht geraten, nachdem er von dem Verhaftungsplan des GPK Memel erfahren hatte. Hieraus ergibt sich eindeutig, dass er Mittel und Wege hat finden können und gefunden hat, wenn er eine Anweisung der Gestapo nicht hat befolgen wollen oder wenn er deren Massnahmen nicht für richtig gehalten hat. Seine Gewandtheit und Schlauheit bei dem Bestreben, unangenehmen Lebenssituationen zu entgehen, werden schliesslich augenfällig aus der Schilderung seines Lebenslaufs, der nicht weniger als 3 erfolgreiche Fälle der Flucht aufweist. Der Angekl. Lukys hat entgegen seinen Behauptungen nach der Überzeugung des Gerichts nicht etwa unter Zwang oder unter vermutetem Zwang gehandelt, sondern freiwillig und allzu gern, vor allem gegen die Kommunisten, mitgemacht.

III. Augustowo

1. Vorbereitung und Durchführung der Erschiessung

In der Zeit vom 26.6.1941 bis 10.7.1941 sind in der Nähe von Augustowo insgesamt 316 Personen, darunter 10 Frauen, in mindestens 2 Aktionen erschossen worden.

Der südliche Teil des Stapo-Abschnitts Tilsit gehörte zum Grenzpolizeikommissariat Sudauen. Dieses GPK stand unter der Leitung des Kriminalkommissars Macholl und war etwa 15 Mann stark. Es hatte 3 Grenzpolizeiposten an der Demarkationslinie nach Polen. Jenseits der Demarkationslinie lag auf ehemals polnischem Gebiet der Ort Augustowo. In diesem Ort befand sich in schöner landwirtschaftlicher Umgebung ein russisches Erholungsheim.

Wie oben schon ausgeführt wurde, gab der Angekl. Böhme seinem Stellvertreter, dem Regierungsrat Ilges (Zeuge), am 23.6.1941 den Sonderauftrag, zusammen mit Kriminalkommissar Krumbach den Führer der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, auf dem Flugplatz in Insterburg abzuholen und ihn nach Gumbinnen zu begleiten. Die Zeugen Ilges und Krumbach kehrten erst in der Frühe des 24.6.1941 von Gumbinnen nach Tilsit zurück. Wie schon gleichfalls erwähnt wurde, bestand zwischen dem Zeugen Ilges und dem Angekl. Böhme ein gespanntes Verhältnis. Der Angekl. Böhme hatte deshalb den Zeugen Ilges weder zu der Besprechung mit Dr. Stahlecker am Abend des 22.6.1941 zugezogen, noch ihm sofort von der ihm bei dieser Unterredung erteilten Säuberungsaufgabe in dem 25 km breiten Grenzstreifen Mitteilung gemacht. Vor der Abfahrt des Zeugen Ilges mit Kriminalkommissar Krumbach nach Insterburg traf vom RSHA Berlin ein Fernschreiben des Inhalts ein, dass die Stapo Tilsit das ehemalige russische Erholungsheim in Augustowo für die SS zu beschlagnahmen habe. Am Nachmittag des 24.6.1941 erteilte der Angekl. Böhme nach seiner Rückkehr von der Erschiessung in Garsden dem Zeugen Ilges den Auftrag, zusammen mit den Gestapo-Angehörigen Mittag und Sudau das russische Erholungsheim für die SS zu beschlagnahmen. Erst bei dieser Auftragserteilung gab er ihm Kenntnis von dem Säuberungsbefehl des Dr. Stahlecker und weihte ihn in vollem Umfang in die befohlenen Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen ein. Er erteilte ihm weiterhin den Auftrag, zusammen mit Kriminalkommissar Macholl die Säuberungsaktion gegen die Juden und Kommunisten im Suwalki-Gebiet durchzuführen und raschestens voranzutreiben. Dabei teilte er ihm mit, dass er schon alle Stapo-Beamten, so auch Kriminalkommissar Macholl vom GPK Sudauen über die neuen Aufgaben unterrichtet habe, und dass Macholl ihm noch Näheres sagen werde.

Der Zeuge Ilges wurde daraufhin am 24. oder 25.6.1941 mit den Gestapo-Angehörigen Mittag und Sudau nach Augustowo in Marsch gesetzt. Zunächst traf er sich in Sudauen mit Kriminalkommissar Macholl, der ihn schon abmarschbereit erwartete. Macholl bestätigte ihm den von dem Angekl. Böhme bereits erhaltenen Auftrag zur Säuberung des Grenzstreifens von sämtlichen Juden, einschliesslich der jüdischen Frauen und Kinder, sowie von den Kommunisten. Er sagte ihm weiterhin, dass sein Kommando zur Durchführung der Säuberungsaktion verstärkt worden sei und dass sie alle bewaffnet sowie sofort einsatzbereit seien. Der Zeuge Ilges erklärte Macholl, dass zunächst das Erholungsheim in Augustowo zu beschlagnahmen sei.

Als der Zeuge Ilges mit Macholl und seinen Leuten in Augustowo eintraf, fanden sie das sicherzustellende Erholungsheim von einer Einheit der Waffen-SS besetzt vor. Der im Range eines SS-Sturmbannführers stehende Führer dieser SS-Waffeneinheit hatte gegen die Beschlagnahme nichts einzuwenden. Er teilte jedoch mit, dass seine Einheit etwa 100-120 Personen in den Kellern des Hauses eingesperrt halte und dass er diese Gefangenen der Stapo überstelle. Bei den Gefangenen handelte es sich teils um Russen, die zur Erholung in das Erholungsheim gekommen waren, teils um polnische Bedienstete und teils um Juden. Der Zeuge Ilges liess die Gefangenen mit Ausnahme der Juden durch Macholl und seine Leute überprüfen. Auf die Meldung des Macholl, dass sämtliche Gefangene unter den Säuberungsbefehl fallen, überprüfte der Zeuge Ilges mit den Gestapo-Angehörigen nochmals sämtliche Gefangene mit Ausnahme der Juden. Diese nochmalige Überprüfung hatte zur Folge, dass nunmehr nur noch 20-25 Gefangene einschliesslich der Juden zurückbehalten wurden. Die restlichen etwa 100 Leute wurden freigelassen. Die zurückbehaltenen 20-25 Gefangenen liess der Zeuge Ilges auf Grund des Stahlecker-Befehls durch einen Zug der Waffen-SS-Einheit in der Nähe von Augustowo erschiessen. Auf die Meldung des Zeugen Ilges an den Angekl. Böhme von der Beschlagnahme des Erholungsheims sowie von der Überprüfung der Gefangenen und der anschliessenden Erschiessung erklärte sich der Angekl. Böhme mit diesen Massnahmen nicht einverstanden. Er verlangte vom Zeugen Ilges, dass die Säuberung rascher vorwärts gehe und dass keine Überprüfungen mehr vorgenommen werden. Er werde auch getreten und müsse ihn deshalb auch drängen. In Tilsit sei in dieser Beziehung schon allerhand geschehen. In der Folgezeit wurden nun weitere Personen auf Grund des Säuberungsbefehls festgenommen. In der Mehrzahl handelte es sich dabei um Juden, im übrigen um Kommunisten bezw. Kommunistenverdächtige. Die Kommunisten wurden kurz überprüft, während bei den Juden wiederum keine Überprüfungen stattfanden. Der Zeuge Ilges überwarf sich dabei mit Kriminalkommissar Macholl, weil dieser bei den Überprüfungen rigoroser vorgehen wollte. Die Gefangenen wurden durch die Gestapo-Angehörigen des GPK Suwalki auf Grund des Stahlecker-Befehls erschossen.

Anfangs Juli 1941 wurde der Zeuge Ilges vom Angekl. Böhme nach Tilsit zurückgerufen. In der Zwischenzeit hatte nämlich der Angekl. Böhme beim RSHA die Abberufung des Zeugen Ilges erreicht und veranlasst, dass er zunächst bis auf weiteres in Urlaub geschickt wurde. Bei seinem Eintreffen in Tilsit erklärte ihm der Angekl. Böhme, er habe versagt, sei für die Polizei unmöglich und habe sich sofort jeder Tätigkeit zu enthalten.

Der Zeuge Ilges wurde durch Urteil des Schwurgerichts Köln vom 4.5.1957 (24 Ks 1/57) wegen Beihilfe zum Mord in 2 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 4 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der Untersuchungshaft und der Internierungshaft verurteilt. Seine Revision wurde durch Urteil des BGH vom 12.3.1958 (2 StR 48/58) verworfen. Die Zahl der Erschossenen und den Erschiessungsort meldete die Stapo Tilsit an das RSHA Amt IV und an den Führer der Einsatzgruppe A, SS-Standartenführer Dr. Stahlecker.

2. Beweiswürdigung

Von den Angeklagten kommt nur der Angekl. Böhme als Teilnehmer an der Erschiessung in Augustowo in Frage.

Dem Angekl. Hersmann, welcher ausser dem Angekl. Böhme allein noch tatverdächtig gewesen ist, da er den Zeugen Ilges in Augustowo aufgesucht hat, hat eine Mitwirkung an den Erschiessungen in Augustowo nicht nachgewiesen werden können. Der Angekl. Böhme hat in der Hauptverhandlung geleugnet, dass er dem Zeugen Ilges und dem Kommissar Macholl den Auftrag gegeben habe, im Suwalki-Gebiet die Säuberungsaktionen durchzuführen. Er hat behauptet, der Zeuge Ilges habe eigenmächtig die Festnahmen und Erschiessungen durch Macholl und dessen Leute durchführen lassen, wovon er durch den Angekl. Hersmann anlässlich dessen Besuchs in dem Erholungsheim erfahren habe. Dies hat ihm das Schwurgericht im Hinblick auf die bestimmten und insoweit glaubwürdigen Aussagen des Zeugen Ilges nicht geglaubt. Auch wenn sich der Zeuge Ilges in der Hauptverhandlung möglicherweise in ein besseres Licht hat stellen wollen, so haben er und Macholl nach der Überzeugung des Gerichts keinesfalls ohne Anweisung des Angekl. Böhme gehandelt.

Bei dem zwischen dem Angekl. Böhme und dem Zeugen Ilges bestehenden gespannten Verhältnis hätte es der Zeuge Ilges nach der Ansicht des Schwurgerichts niemals gewagt, diese Liquidierungen auf eigene Faust durchzuführen. Die Behauptung des Angekl. Böhme, er habe auch deshalb dem Zeugen Ilges Vorwürfe gemacht, weil er zusammen mit Macholl Fühlung zu dem Einsatzführer der Einsatzgruppe B aufgenommen habe, wird schon dadurch widerlegt, dass nach der Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1) der Ort Augustowo als zum Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit gehörend aufgeführt ist. Aus dieser Ereignismeldung geht aber auch wieder hervor, dass die Stapo-Stelle Tilsit von der Erschiessung der 316 Personen in Augustowo an das RSHA Berlin berichtet haben muss. Die Behauptung des Angekl. Böhme ist aber auch schon deshalb unglaubwürdig, weil nach dem ihm bekannten Grundsatzbefehl die Juden und Kommunisten schnellstens physisch zu vernichten gewesen sind. Es ist daher ganz unwahrscheinlich, dass dann einem Gestapo-Angehörigen ein eigenmächtiges und übereifriges Vorgehen zum Vorwurf gemacht werden würde. Der Vorwurf des eigenmächtigen Handelns widerspricht aber auch der von dem Angekl. Böhme unwidersprochen gebliebenen Behauptung des Zeugen Ilges, der Angekl. Böhme habe ihm gesagt, er sei zu weich und deshalb für die Polizei unmöglich. Die weitere Behauptung des Angekl. Böhme, die Ereignismeldung UdSSR Nr.2 vom 23.6.1941 (Bew.St.9a S.1) spreche für ihn, ist nicht richtig. In dieser Ereignismeldung vom 23.6.1941 ist zwar ausgeführt, dass im Bereich der Stapo Tilsit 114 Personen in Suwalki wegen Verdachts der Zugehörigkeit zu einer Widerstandsorganisation festgenommen worden sind. Abgesehen davon, dass Kommissar Macholl nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Ilges schon vor ihm den Befehl zur Durchführung der Säuberungsaktion von dem Angekl. Böhme erhalten hat, wird in dieser Ereignismeldung nicht von einer Erschiessung, sondern nur von einer Festnahme der 114 Personen berichtet.

Der Angekl. Hersmann hat die Behauptung des Angekl. Böhme nicht bestätigt, dass er dem Angekl. Böhme als erster von den Erschiessungen in Augustowo berichtet habe. Nach seinen Angaben hat er aber auch nicht einen entsprechenden Auftrag von dem Angekl. Böhme erhalten, bei seinem Besuch in Augustowo wegen der eigenmächtigen Erschiessungen des Zeugen Ilges nachzuforschen.

Die ganz am Schluss noch vorgebrachte Behauptung des Angekl. Böhme, der Grund für die Abberufung des Zeugen Ilges aus Augustowo sei vor allem der gewesen, dass ihm der Gestapo-Angehörige Mittag berichtet habe, der Zeuge Ilges unterhalte in Augustowo zu einem "Kammerkätzchen" ein Verhältnis, ist nach der Überzeugung des Gerichts von dem Angekl. Böhme bewusst unwahr vorgebracht worden. Diese Behauptung hat der Zeuge Ilges mit offensichtlich ehrlicher Entrüstung zurückgewiesen. Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Böhme dem Zeugen Ilges am 24.6.1941 und zuvor schon dem Kommissar Macholl die Anweisung gegeben hat, im Grenzstreifen des GPK Sudauen gemäss dem Grundsatzbefehl die Säuberungsaktion mit allem Nachdruck durchzuführen.

Das Gericht hält für erwiesen, dass auf Grund dieser Anweisung in dem Zeitraum vom 26.6.1941 bis 10.7.1941 von dem Zeugen Ilges bezw. von Kriminalkommissar Macholl und den ihm unterstellten Gestapo-Angehörigen, teils unter Mitwirkung der obengenannten SS-Einheit, insgesamt 316 Personen, darunter 10 Frauen, getötet worden sind, wie dies die Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i) nach der Ansicht des Gerichts zu Recht ausweist.

Nach der Feststellung des Gerichts ist der Angekl. Böhme auf Grund seiner Anweisungen an den Zeugen Ilges und an Kriminalkommissar Macholl verantwortlich, und zwar, wie in allen übrigen ihm nachweisbaren Fällen, als Gehilfe der Haupttäter.

Im übrigen hat der Angekl. Böhme zu seiner Verteidigung hilfsweise die gleichen Einwendungen wie zu den Fällen Garsden I und Krottingen I durch seinen Verteidiger machen lassen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dortigen Ausführungen und Feststellungen zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, Teilnahmeform, Verbindlichkeit des Befehls und Nötigungsnotstand Bezug genommen.

Die Tötung der 316 Personen in Augustowo ist in den beiden Eröffnungsbeschlüssen vom 29.1.1958 und vom 17.2.1958 nicht enthalten. Das Schwurgericht nimmt aber, wie bei der rechtlichen Würdigung noch ausgeführt wird, in allen Fällen eine gleichartige Idealkonkurrenz an, weshalb auch nach der Ansicht des Schwurgerichts die Tötung der 316 Personen in Augustowo, welche im Rahmen des Grundsatzbefehls der Haupttäter erfolgt ist, von dem Eröffnungsbeschluss mit umfasst wird. Nähere Ausführungen erfolgen auch noch bei den Strafzumessungsgründen.

IV. Krottingen (II)

1. Die Gefangennahme der Juden und Kommunisten und ihre Erschiessung

Am 27. oder 28.6.1941, vermutlich am 28.6.1941, sind in Krottingen weitere 63 Personen erschossen worden, von denen die Mehrzahl Juden, die übrigen kommunistenverdächtige Litauer waren.

Nach der Erschiessung von 214 Juden und Kommunisten am 26.6.1941 in Krottingen wurde in der Nacht vom 26./27.6.1941 die Synagoge von Krottingen in Brand gesteckt. Der Brand griff um sich und äscherte eine grosse Anzahl von Häusern des Städtchens Krottingen ein. Die Feuerwehren aus der ganzen Umgebung, auch aus Memel, wurden zur Brandbekämpfung eingesetzt. Die Synagoge selbst liess man abbrennen. Angehörige der Stapo und des SD, so u.a. die Angeklagten Böhme, Hersmann und Harms, ferner u.a. Kriminalkommissar Krumbach aus Tilsit sowie der Angekl. Behrendt mit den Stapo-Angehörigen Dr. Frohwann, Motzkus, Bussat und Niemann vom GPK Memel und schliesslich der Gestapo-Angehörige Matinkus vom GPP Bajohren fuhren am 27.6.1941 an die Brandstätte. Der Angekl. Böhme gab Dr. Frohwann und dem Angekl. Lukys den Auftrag, Ermittlungen nach den Brandstiftern anzustellen. Kommissar Krumbach musste im Auftrag des Angekl. Böhme von der Brandstätte Aufnahmen machen. Der Angekl. Hersmann, welcher schon in aller Frühe des 27.6.1941 nach Krottingen gefahren war, suchte den Angekl. Lukys in seiner Dienststelle auf. Der Angekl. Lukys hatte ein ganz verschwollenes Gesicht und gab als Erklärung dafür dem Angekl. Hersmann an, er sei verprügelt worden.

Obwohl die Juden als Brandstifter ihrer eigenen Kirche nicht in Frage kamen, wurde doch das Gerücht verbreitet, jüdische Frauen haben aus Rache wegen der Erschiessung ihrer Männer den Brand gelegt. Der Angekl. Hersmann machte dem Angekl. Böhme den Vorwurf, dass er nicht auch gleich die jüdischen Frauen mit ihren Männern am 26.6.1941 habe erschiessen lassen. Er sagte u.a. zu ihm: "Siehst Du, die Frauen sind doch gefährlich!"

Die Brandstifter konnten nicht ermittelt werden. Unter anderem fiel auch Verdacht auf Smilgies, einen Angehörigen der litauischen Ordnungspolizei.

Der Brand wurde nun zur Veranlassung genommen, nach weiteren Juden und Kommunisten zu fahnden und sie festzunehmen, die der Erschiessung vom 26.6.1941 entgangen waren und sich versteckt hielten. Ein grosser Teil der jüdischen Frauen und Kinder war schon zusammen mit den am 26.6.1941 erschossenen Männern festgenommen und zunächst im Schulgebäude, andere wiederum ausserhalb von Krottingen untergebracht worden. Nunmehr wurden auch die restlichen jüdischen Frauen und Kinder erfasst und an einen Ort zwischen Krottingen und Polangen abtransportiert. Am 27. oder 28.6.1941, vermutlich aber am 28.6.1941, liessen die Angeklagten Böhme und Hersmann auf Grund des ihnen von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls durch Angehörige der Stapo und des SD Tilsit sowie des GPK Memel und möglicherweise auch des GPP Bajohren insgesamt 63 männliche Gefangene, welche mit wenigen Ausnahmen nur Juden waren, an der gleichen Stelle wie zuvor in der Nähe von Krottingen erschiessen. Die Angeklagten Böhme und Hersmann waren bei dieser Erschiessung nicht zugegen. Die Opfer mussten wie in den vorausgegangenen Fällen ihre Wertsachen abgeben und einen Graben ausheben, an dem sie nachher erschossen wurden. An diesen Graben wurden sie jeweils in Gruppen von 3-5 Mann herangeführt und von den Stapo- und SD-Angehörigen durch Genickschüsse getötet.

Die Angeklagten Böhme und Hersmann sind sich wie in allen andern Fällen bei der Abstellung der Mannschaften zu dieser Erschiessung der Rechtswidrigkeit der Handlung bewusst gewesen und haben den verbrecherischen Zweck des Säuberungsbefehls sowie die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat erkannt. Sie sind sich weiterhin dessen bewusst gewesen, dass der Säuberungsbefehl nicht verbindlich ist. Durch die von ihnen angeordneten Massnahmen haben sie, ohne in einer Zwangslage oder in einer vermuteten ausweglosen Zwangslage zu sein, die Säuberungsaktionen der Haupttäter unterstützen wollen. Über die Zahl der Erschossenen und den Erschiessungsort berichteten die Stapo Tilsit an das RSHA Amt IV und an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und der SD Tilsit an das Amt III des RSHA.

2. Beweiswürdigung

a. Die Angeklagten Böhme und Hersmann haben zugegeben, dass diese Erschiessung ausschliesslich auf Grund des ihnen von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls erfolgt ist, und dass sie diese Erschiessung angeordnet und hiezu die Angehörigen ihrer unterstellten Dienststellen abgeordnet haben. Der Angekl. Böhme hat weiterhin zugegeben, dass er Dr. Frohwann den Auftrag gegeben habe, die Täter der Brandstiftung zu ermitteln, und dass bei diesen Ermittlungen nach weiteren sich versteckt gehaltenen Juden und Kommunisten gefahndet und diese dann festgenommen worden seien.

Dass die Angeklagten Böhme und Hersmann selbst bei dieser Erschiessung anwesend gewesen sind, hat ihnen bei ihrem Leugnen nicht nachgewiesen werden können, zumal sie auch nicht anderweitig belastet worden sind.

Auf Grund der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i) und auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme sowie der Aussagen der Zeugen Pap. und K. ist festgestellt worden, dass insgesamt 63 Personen erschossen worden sind, von denen die weitaus überwiegende Mehrheit Juden und der Rest kommunistenverdächtige Litauer gewesen sind. Der Angekl. Hersmann hat hiezu angegeben, er könne sich an die Zahl der Erschossenen nicht mehr erinnern. Nach seiner Erinnerung habe ihm aber der Angekl. Kreuzmann seinerzeit die Zahl der Erschossenen gemeldet. Mit dem Angekl. Kreuzmann habe er hin und wieder vor Abgabe seines Berichts an das Amt III des RSHA die Zahlen der Erschossenen verglichen, was er ganz bestimmt wisse. Der Angekl. Kreuzmann hat dies geleugnet.

Das Gericht ist überzeugt, dass die Juden niemals ihre eigene Synagoge, ihr Heiligtum, angezündet haben. Es besteht der dringende Verdacht, dass die Brandstiftung auf Anweisung der Stapo und des SD durch litauische Partisanen erfolgt ist, wie dies nach dem Stahlecker-Bericht - Gesamtbericht bis zum 15.10.1941 - (IMT Bd.37 S.682 und 683) um diese Zeit in Litauen, insbesondere auch in der Stadt Kowno, der Fall gewesen ist. Dass auch noch in anderen Ortschaften der Umgebung die Synagogen zu dieser Zeit gebrannt haben, hat der Angekl. Lukys in der Hauptverhandlung glaubhaft angegeben. Nach den Angaben des Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung soll der Angekl. Lukys die jüdischen Frauen der Brandstiftung verdächtigt haben, was ihm entweder Dr. Frohwann oder aber der Angekl. Lukys selbst gesagt habe. Der Angekl. Lukys hat dies wiederum in der Hauptverhandlung geleugnet. Er hat behauptet, dass in ganz Krottingen davon gesprochen worden sei, dass die Juden, d.h. die jüdischen Frauen, die Synagoge angezündet haben. Dies habe er aber nicht geglaubt. Er habe den Litauer Smilgies, einen Angehörigen der litauischen Ordnungspolizei, im Verdacht, weil dieser auf seine Frage, wer die Synagoge angezündet habe, nur gelächelt habe. Ob tatsächlich Smilgies der Brandstifter gewesen ist, hat sich nicht feststellen lassen.

Es ist bezeichnend für das scheinheilige Vorgehen der Gestapo, dass auf einen entsprechenden Bericht des Führers der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, in der Ereignismeldung Nr.7 vom 28.6.1941 (Bew.St.9c S.3) ausgeführt worden ist, am 27.6.1941 sei in der etwa 50 km südostwärts von Libau gelegenen Stadt Skudas unter der jüdischen Bevölkerung eine Strafaktion für die durch Juden herbeigeführte Einäscherung von Litauisch Krottingen durch das Einsatzkommando 1a erfolgt, obwohl die Juden der entfernt gelegenen Stadt Skudas als Brandstifter von Krottingen niemals in Frage kommen. Wenn auch der Angekl. Hersmann in der Hauptverhandlung geleugnet hat, dem Angekl. Böhme gegenüber die oben angeführte Äusserung in bezug auf die jüdischen Frauen gemacht zu haben, so hat das Gericht ihm insoweit nicht geglaubt und auf Grund der insoweit glaubwürdigen Angaben des Angekl. Böhme für erwiesen erachtet, dass er gegenüber dem Angekl. Böhme diese Äusserung gebraucht hat.

Im übrigen haben die Angeklagten Böhme und Hersmann zu ihrer Verteidigung das gleiche geltend gemacht bezw. geltend machen lassen wie in allen anderen ihnen zur Last gelegten Fällen. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Fällen Garsden I und Krottingen I zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, der Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und des Befehlsnotstands Bezug genommen.

b. Den Angeklagten Sakuth, Harms, Behrendt, Fischer-Schweder und Lukys ist eine Beteiligung im Fall Krottingen II nicht nachzuweisen gewesen.

Der Angekl. Fischer-Schweder ist nach dem Ermittlungsergebnis bei der Erschiessung nicht anwesend gewesen. Er hat auch nach den Feststellungen in der Hauptverhandlung kein Schutzpolizeikommando für die Erschiessung abgestellt, da die Erschiessungen durch die Stapo- und SD-Angehörigen allein durchgeführt worden sind.

Der Angekl. Behrendt will am Tag vor der Erschiessung, jedoch nicht bei der Erschiessung selbst, in Krottingen gewesen sein. Am Tag vor der Erschiessung habe er aber mit anderen Gestapo-Angehörigen von Dr. Frohwann nur den Auftrag gehabt, in dem noch leicht brennenden Krottingen zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu patrouillieren. Er habe vor allem auch nicht bei der Festnahme der Juden und Kommunisten mitgewirkt. Sein Vorbringen hat ihm nicht widerlegt werden können.

Dem Angekl. Sakuth hat ebenfalls nicht nachgewiesen werden können, dass er bei den Vorbereitungen zu dieser Erschiessung und bei dieser selbst mitgewirkt hat.

Der Angekl. Harms hat im Vorverfahren seine Teilnahme bei der Erschiessung zugegeben. In der Hauptverhandlung hat er jedoch behauptet, er sei zwar mit dem Angekl. Böhme nach Krottingen gefahren, als es dort noch gebrannt habe. Bei der Festnahme der Opfer und bei deren Erschiessung sei er aber nicht beteiligt gewesen. Seine Angaben in der Hauptverhandlung haben ihm nicht mit hinreichender Sicherheit widerlegt werden können; denn es ist nicht auszuschliessen, dass er sich bei der Vernehmung im Vorverfahren geirrt und dass er einen andern Fall gemeint hat.

Auch dem Angekl. Lukys hat bei seinem Leugnen eine Beteiligung an der Gefangennahme bezw. an der Erschiessung nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können. Selbst wenn litauische Hilfspolizei bei der Festnahme der 63 Opfer mitgewirkt haben sollte, was sehr wahrscheinlich ist, wäre nicht mit Sicherheit nachzuweisen, dass dies auf Anweisung des Angekl. Lukys oder mit dessen Wissen und Billigung erfolgt ist. Unter den besonderen Verhältnissen, die damals nach der Ansicht des Gerichts unmittelbar nach dem Brand in Krottingen geherrscht haben, ist es nicht auszuschliessen, dass die erregte Bevölkerung von sich aus Juden und sonstige Verdächtige festgenommen hat.

Andererseits ist aber trotz des Leugnens des Angekl. Lukys auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann und der Aussagen des Zeugen Krumbach festzustellen, dass jeder von ihnen den Angekl. Lukys am Morgen bezw. am Vormittag des 27.6.1941 im Dienstgebäude der litauischen Polizei aufgesucht und dort angetroffen hat. Dabei hat er, wie das Gericht auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann feststellt, ein ganz verschwollenes Gesicht gehabt und als Grund hiefür angegeben, er sei verprügelt worden. Bei dieser Gelegenheit hat er weiterhin dem Zeugen Krumbach eine Art Waffenkammer gezeigt und ihm ein Kleinkalibergewehr geschenkt, wie das Gericht auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach feststellt. Hieraus ergibt sich jedenfalls, wie das Gericht wiederum feststellt, dass der Angekl. Lukys schon vor dem 29.6.1941 für die litauische Polizei gearbeitet hat, was er in der Hauptverhandlung aus naheliegenden Gründen entschieden in Abrede gestellt hat. Er will, wie er sagt, weder vor noch unmittelbar nach der am 26.6.1941 in Krottingen erfolgten Erschiessung, sondern erst von dem Augenblick an wieder für die litauische Polizei in Krottingen gearbeitet haben, als er am 29.6.1941 mit seiner Tätigkeit als Chef der litauischen Ordnungspolizei begonnen habe.

V. Polangen (I)

1. Die Gefangennahme der Juden und ihre Erschiessung

Am 30.6.1941 wurden 111 männliche Juden bei Polangen erschossen.

Der an der Ostsee gelegene litauische Badeort Polangen befindet sich etwa 27 km nördlich Memel und rd. 3 km von der früheren deutschen Reichsgrenze entfernt. Der deutsche Grenzort war Nimmersatt. Dort befand sich ein dem GPK Memel unterstellter Grenzpolizeiposten. In dem zum litauischen Kreis Krottingen zählenden Ort Polangen befanden sich verschiedene im Eigentum von Juden stehenden Villen, von denen die Stapo und der SD Tilsit bald nach der Besetzung je eine als Erholungsheim für sich beschlagnahmten. In Polangen wohnten etwa 50 jüdische Familien.

Die Ortschaft Polangen wurde am 22.6.1941 von den deutschen Truppen kampflos genommen. Gleich in den ersten Tagen nach der Besetzung liess der Angekl. Böhme durch das GPK Memel zusammen mit litauischer Polizei die Juden von Polangen festnehmen. Die Männer wurden in der dortigen Synagoge eingesperrt, während die Frauen und Kinder in ein Kinderheim oder auf ein Hofgut zwischen Polangen und Krottingen kamen. Noch während der Erschiessung der Juden und Kommunisten in Krottingen I am 26.6.1941 schlug der Angekl. Hersmann dem Angekl. Böhme vor, nach Beendigung der Erschiessung sofort nach Polangen weiterzufahren, dort zu übernachten und am andern Tag die festgenommenen Juden zu erschiessen. Der Angekl. Böhme ging jedoch darauf nicht ein. Der Erschiessungstag wurde daraufhin von beiden auf den 30.6.1941 festgesetzt. Der Angekl. Böhme wollte ursprünglich dieser Erschiessung fernbleiben und sie durch den Angekl. Kreuzmann durchführen lassen. Davon sah er jedoch ab, weil der Angekl. Kreuzmann nur den Rang eines SS-Obersturmführers bekleidete und er ihn nicht dem Angekl. Hersmann vorsetzen wollte, der einen höheren Dienstgrad, nämlich den eines SS-Sturmbannführers innehatte.

Auf Veranlassung des Angekl. Böhme ersuchte der Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, den Angekl. Fischer-Schweder wiederum um die Abstellung eines Schupo-Kommandos. Der Angekl. Fischer-Schweder erklärte sich hiezu bereit; auf seinen Befehl stellte Major Gü. ein Erschiessungskommando zusammen, welches in der Hauptsache aus den gleichen Leuten wie zuvor bestand, und beauftragte wieder den Angekl.

Schmidt-Hammer mit dessen Führung. Die Angekl. Böhme und Hersmann teilten am Tage vor der Erschiessung ihre Leute wieder ein. Der Angekl. Sakuth wurde durch Dr. Frohwann, möglicherweise aber auch durch den Angekl. Hersmann, vom Erschiessungstermin benachrichtigt. Daraufhin verhandelte der Angekl. Sakuth mit dem Führer einer in Polangen liegenden Luftwaffeneinheit und erreichte es, dass von dieser Einheit ein Zug für die Erschiessung zur Verfügung gestellt wurde.

Am Erschiessungstag fuhren der Angekl. Böhme mit etwa 25 Gestapo-Angehörigen von der Stapo Tilsit und der Angekl. Hersmann mit etwa 8 SD-Angehörigen vom SD Tilsit nach Krottingen. Der Angekl. Hersmann fuhr voraus. Bei seiner Ankunft waren Dr. Frohwann mit den Angehörigen des GPK Memel - unter ihnen befand sich auch der Angekl. Behrendt - und wahrscheinlich auch mit den Angehörigen des GPP Nimmersatt sowie der Angekl. Sakuth von der SD-Aussenstelle Memel schon anwesend. Der Angekl. Sakuth verständigte den Angekl. Hersmann von der mit dem Luftwaffeneinheitsführer getroffenen Vereinbarung, wovon der Angekl. Hersmann dem Angekl. Böhme bei seinem Eintreffen wiederum Mitteilung machte. Die Angeklagten Böhme und Hersmann suchten daraufhin den Einheitsführer der Luftwaffe auf. Zu dieser Zeit war das von dem Einheitsführer der Luftwaffe zur Verfügung gestellte Kommando bereits angetreten.

Stapo- und SD-Angehörige wurden sodann in kleine Gruppen eingeteilt. Befehlsgemäss durchsuchten sie mit litauischen Polizisten nochmals die Häuser nach Juden. Sie konnten noch einige vorfinden und lieferten sie bei den inzwischen von der Synagoge zum eingefriedeten Autobahnhof verbrachten Gefangenen ab. Bei den Gefangenen handelte es sich ausschliesslich um männliche Juden, die in allen Altersklassen, vom Jüngling bis zum Greis, vertreten waren.

Die Gefangenen wurden anschliessend zum Erschiessungsplatz verbracht, welcher im Dünengelände von Polangen zwischen Buschwerk ausgesucht worden war. Bei dem Eintreffen der Gefangenen war das Schupo-Kommando von Memel unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer schon anwesend. Es lagerte im Gras. Neben das Schupo-Kommando legten sich dann auch die Gefangenen ins Gras, welche von Gestapo-Leuten bewacht wurden. Es kam zu einer gegenseitigen Unterhaltung. Einige der Gefangenen, so der Juwelier Segal und der Konditormeister Gurewitz wohnten nämlich früher in Memel und waren mit verschiedenen Angehörigen des Schupo-Kommandos, die in der Hauptsache aus Reservisten bestanden, bekannt. Der Konditormeister Gurewitz war in Memel nicht nur wegen seiner auffälligen Leibesstärke, sondern auch deshalb stadtbekannt, weil er sich im Winter immer ein Loch in das Eis im Memeler Hafen schlagen liess und in dem Eiswasser badete. Dass es sich bei den Gefangenen um Juden handelte, war allen Teilnehmern, auch dem Angekl. Schmidt-Hammer, klar. Sie waren an ihren typischen Rassemerkmalen ohne weiteres als Juden erkennbar. Nach dem Eintreffen des Luftwaffenzugs machte ihn der Angekl. Schmidt-Hammer mit dem Ablauf der Erschiessung und mit dem Feuerbefehl bekannt. Er wies die Luftwaffenangehörigen an, sich ebenfalls in 2 Gliedern neben dem Schupo-Kommando aufzustellen und zusammen mit diesem auf sein Kommando gleichzeitig auf die jeweils am Graben aufgestellten Opfer zu schiessen. Als Grund der Erschiessung gab er gegenüber den Luftwaffensoldaten an, es handle sich bei den Gefangenen um Heckenschützen.

Nach Abgabe ihrer Wertsachen mussten die Gefangenen einen Graben ausheben. Da der Boden aus lockerem Sand bestand, rutschten die Grabenwände immer wieder ein. Dies veranlasste die aufsichtsführenden Stapo- und SD-Leute, die Opfer zur rascheren Arbeit anzutreiben. Dabei wurde der Jude Feinstein, der wegen eines Klumpfusses körperbehindert war, in Gegenwart des Angekl. Schmidt-Hammer wiederholt geschlagen. Die Stapo- und SD-Angehörigen wussten auf Grund der vor der Erschiessung in Garsden erfolgten Aufklärung, dass die Juden auf Grund des Säuberungsbefehls erschossen werden. Aber auch der Angekl. Schmidt-Hammer wusste, dass die Juden nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit getötet werden.

Der Erschiessungsvorgang spielte sich in der gleichen Weise ab, wie bei den beiden ersten Erschiessungen in Garsden I und Krottingen I. Die Opfer wurden von ihrem ganz in der Nähe gelegenen Versammlungsplatz jeweils in Gruppen von 10 Mann von dazu eingeteilten Stapo- und SD-Angehörigen an den Graben geführt, vor dem sie sich mit Blickwendung zu dem gegenüberstehenden Erschiessungskommando aufstellen mussten. Vor Abgabe des Feuerbefehls gab der Angekl. Schmidt-Hammer, wie schon in Garsden und Krottingen, jeweils den am Graben aufgestellten Opfern die Erklärung: "Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen." Nach Abgabe der Salve gaben dazu eingeteilte Stapo- und SD-Angehörige noch Nachschüsse auf die Opfer ab. Die nachfolgende Gruppe der Opfer musste jeweils die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben werfen, soweit diese nicht von selbst in diesen gefallen waren. Als die Leiche des obengenannten Konditormeisters Gurewitz nicht in den Graben gefallen war, befahl ein Gestapo-Mann einem besonders schmächtigen jüdischen Jüngling der nachfolgenden Gruppe, diese Leiche in den Graben zu werfen. Da dies dem Jüngling nicht sofort gelang, schlug der namentlich nicht ermittelte Gestapo-Mann auf diesen ein und schrie dabei: "Nun beeile Dich schon, je schneller Du machst, um so schneller hast Du Feierabend!"

Gegen Ende der Erschiessung wurde der Angekl. Hersmann darauf aufmerksam gemacht, dass sich noch ein jüdischer Kinderarzt in einem Lazarett in Polangen aufhalte und dort zusammen mit dem deutschen Sanitätspersonal arbeite. Daraufhin gab der Angekl. Hersmann den Befehl, auch diesen Arzt zu holen. Der Arzt wurde trotz des Protestes des deutschen Sanitätspersonals von Stapo- und SD-Leuten in einem PKW abgeholt und in seinem weissen Arztmantel erschossen.

Bei der Erschiessung wurde an die Teilnehmer Schnaps verabreicht, wie dies bei den Erschiessungen immer üblich war. Von den Erschiessungsvorgängen haben der Angekl. Hersmann, ein Luftwaffenoffizier und Kriminalkommissar Krumbach Aufnahmen gemacht. Der Zeuge Krumbach hat seinen Film an den Angekl. Böhme abgeben müssen, während dem Luftwaffenoffizier der Film vom Angekl. Hersmann abgenommen wurde.

Nach Beendigung der Erschiessung nahmen die Stapo- und SD-Angehörigen ein gemeinschaftliches Essen in Polangen ein, welches zuvor bei dem Zeugen Na. bestellt worden war. Nach dieser Erschiessung in Polangen gab der Angekl. Böhme den Leitern der GPK und den Führern der GPP die Generalvollmacht, künftig kleinere Gruppen Juden und Kommunisten auf eigene Verantwortung festzunehmen und zu erschiessen und ihm hievon Meldung zu machen.

2. Die Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten

An dieser Erschiessung waren die Angeklagten Böhme, Hersmann, Fischer-Schweder, Sakuth, Behrendt, Harms und Schmidt-Hammer beteiligt. Mit Wissen und Wollen unterstützten sie die Erschiessungshandlung.

Wie schon bei den vorausgegangenen Erschiessungen waren auch in Polangen die Stapo- und SD-Angehörigen zu bestimmten Aufgaben eingeteilt. Die einen mussten die Gefangenen am Versammlungsplatz bewachen, andere mussten sie von dort zum Erschiessungsgraben vorführen. Wieder andere hatten Nachschüsse abzugeben. Schliesslich waren Leute für die Absperrung des Geländes eingeteilt, um eine etwaige Flucht der Gefangenen zu verhindern oder Unbefugten den Zutritt zu verwehren. Die höheren Dienstgrade überwachten wiederum die Tätigkeit der Untergebenen, wirkten dabei gleichzeitig bei der Bewachung und Absperrung mit und unterstützten schon durch ihre Anwesenheit die Erschiessungshandlung, weil sie dadurch die Schlagkraft sämtlicher Teilnehmer erhöhten. Dies wussten und wollten sie. Im einzelnen ist noch auszuführen:

Der Angekl. Böhme liess durch Dr. Frohwann vom GPK Memel die Festnahmen durchführen und die Vorbereitungen für die Erschiessung treffen. Er selbst teilte die Gestapo-Angehörigen ein bezw. stellte sie für die Erschiessung ab und leitete die Erschiessung.

Der Angekl. Hersmann stellte seine SD-Leute zu der Erschiessung ab, beaufsichtigte sie am Erschiessungsplatz und liess nachträglich noch den jüdischen Kinderarzt holen.

Der Angekl. Fischer-Schweder, welcher bei der Erschiessung selbst nicht zugegen war, liess auf Ersuchen des Angekl. Böhme bezw. des Dr. Frohwann vom GPK Memel durch Major Gü. ein Schupo-Kommando unter dem Befehl des Angekl. Schmidt-Hammer als Erschiessungskommando aus freien Stücken abstellen.

Der Angekl. Sakuth war als Ortskundiger die rechte Hand des Angekl. Hersmann und erhöhte durch seine Anwesenheit als SS-Hauptsturmführer die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft. Er bereitete die Erschiessung dadurch mit vor, dass er durch Rücksprache mit dem Führer der in Polangen stationierten Luftwaffeneinheit die Abstellung eines Luftwaffenzuges für die Erschiessung erreichte.

Der Angekl. Behrendt wirkte bei der Bewachung der Gefangenen mit.

Der Angekl. Harms überwachte die Tätigkeit seiner Untergebenen und erhöhte schon durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Teilnehmer.

Der Angekl. Schmidt-Hammer war der Führer des aus der Schupo und der Luftwaffe bestehenden Erschiessungskommandos. Er gab jeweils den vorgeführten Opfern eine Erklärung ab und gab auch die Feuerbefehle.

Sämtliche Angeklagte waren sich der Rechtswidrigkeit der Erschiessung bewusst und erkannten klar den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls. Sie waren sich über die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat im klaren, wussten also, dass diese mit Überlegung handelten und dass ihr Vorsatz die besondere Verwerflichkeit der Tat umfasste. Keiner von ihnen glaubte an die Verbindlichkeit des Befehls, was beim Angekl. Fischer-Schweder wegen seiner freiwilligen Mitarbeit schon von vornherein ausscheidet. Schliesslich handelte keiner von ihnen in einer ausweglosen Zwangslage und keiner von ihnen nahm eine solche an.

3. Beweiswürdigung

a. Der Angekl. Böhme hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen eingeräumt. Er hat vor allem zugegeben, dass die Erschiessung ausschliesslich auf Grund des ihm durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls durchgeführt worden sei. Der Angekl. Böhme will allerdings auch davon gehört haben, dass in Polangen ein deutscher Offizier hinterrücks erschossen worden sei. Nach seinen Angaben sei dies aber nicht der Grund für die Judenerschiessung gewesen. Das Gericht hat ihm aber auch nicht geglaubt, dass er davon gehört habe, dass ein deutscher Wehrmachtsoffizier erschossen worden sei. Dies ist auch während des ganzen Vorverfahrens von keinem der Angeklagten und von keinem der Zeugen behauptet worden. Wäre aber tatsächlich ein deutscher Offizier einen Tag nach der Besetzung Polangens hinterrücks erschossen worden, so hätten dies die Angeklagten nach der Ansicht des Gerichts auch im Vorverfahren vorgebracht, um sich dadurch zu entlasten. Es wird insoweit auf die Ausführungen und Feststellungen zu den Fällen Garsden I und Krottingen I Bezug genommen. Dort ist ausgeführt worden, dass der Angekl. Böhme erstmals in der Hauptverhandlung behauptet hat, dass in Krottingen und Polangen deutsche Offiziere erschossen worden seien, nachdem sein Verteidiger die Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2) eingesehen hatte. Dass nach den Feststellungen des Gerichts die Angaben über die Erschiessung der deutschen Offiziere in die Ereignismeldung falsch sind und nur zur Beschönigung bezw. Tarnung der Säuberungsmassnahmen gedient haben und auf einen entsprechend falschen Bericht der Stapo und des SD Tilsit zurückzuführen sind, ist oben schon ausgeführt worden.

Nach den Feststellungen des Gerichts sind die Juden von Polangen auf Betreiben des Angekl. Böhme durch Dr. Frohwann und die ihm unterstellten Leute in Zusammenwirken mit der litauischen Polizei auf Grund des Stahlecker-Befehls festgenommen worden. Dies entspricht allein der Sachlage und wird auch von den Zeugen B. und Na. bekundet. Der Angekl. Böhme hat dies zwar nicht offen zugegeben, sondern nur als möglich hingestellt. Andererseits hat er wiederum behauptet, er sei von Dr. Frohwann und von dem Angekl. Hersmann zu dieser Erschiessung geradezu gedrängt worden. Dass die Juden von Polangen etwa durch die deutsche Wehrmacht festgenommen worden sind, wie dies der Angekl. Hersmann gehört haben will, ist nach der Ansicht des Schwurgerichts völlig ausgeschlossen. Keiner der zahlreichen Zeugen hat ausgesagt, dass die Wehrmacht Juden im Wege der Säuberungsaktion festgenommen und der Gestapo zum Erschiessen übergeben hat.

Auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme und der Aussagen der Zeugen Ste., N., Th., Mark., Sc., Kol., Pap., Sch. und B. hat das Gericht festgestellt, dass es sich bei den 111 Opfern nur um Juden gehandelt hat.

Auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme und der der Angeklagten Hersmann, Sakuth und Harms sowie auf Grund der Aussagen der Zeugen N., Th., Sc. und Sch. ist weiterhin festgestellt worden, dass die Juden, wie in den vorausgegangenen Fällen, ihr Grab selbst haben ausheben müssen. Dass dabei der wegen seines Klumpfusses körperbehinderte Jude Feinstein geschlagen worden ist, hat der Zeuge N. glaubhaft ausgesagt. Gegen den Angeklagten Böhme hat insoweit nicht festgestellt werden können, dass er diesen Vorfall mit angesehen hat, weil nach den Bekundungen des Zeugen N. in diesem Augenblick nur der Angekl. Schmidt-Hammer in der Nähe gewesen sei.

Wie in den vorausgegangenen Fällen haben jeweils auch in Polangen und, um dies vorwegzunehmen, auch in den späteren Fällen die nachfolgenden Gruppen der Opfer die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben werfen müssen. Dies ist auch vom Angekl. Böhme ohne weiteres zugegeben und von den Tatzeugen bekundet worden.

Die Feststellungen bezüglich des Juden Gurewitz beruht auf den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Sch. Diesen Vorgang will keiner der Angeklagten gesehen haben. Dies ist jedoch nicht glaubhaft, da sich dieser Vorgang unmittelbar am Erschiessungsgraben während der Erschiessung abgespielt hat. Auf Grund der Ereignismeldung UdSSR Nr.14 vom 6.7.1941 (Bew.St.9f S.2) ist festgestellt worden, dass insgesamt 111 Personen erschossen worden sind. Dies steht auch in Einklang mit den Aussagen der Zeugin B., die gesehen hat, dass etwa 100 jüdische Männer von dem Autobahnhof abtransportiert worden sind. Die Angeklagten selbst können sich an die genaue Zahl der Erschossenen nicht mehr erinnern, was bei den vielen Erschiessungen und nach der langen Zeit verständlich ist. Da nach den insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann jeweils wahrheitsgetreue Angaben über die Zahl der Erschossenen in den Berichten an das RSHA gemacht worden sind, hat das Gericht keinen Zweifel an der Richtigkeit der in der Ereignismeldung angegebenen Zahl. Im übrigen wird insoweit auf die früheren Ausführungen und Feststellungen zu den Ereignismeldungen Bezug genommen.

Auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme beruht die Feststellung, dass er nach der Erschiessung in Polangen den Leitern der GPK und den Führern der GPP die Generalvollmacht erteilt hat, Juden und Kommunisten zu erfassen und auf eigene Verantwortung zu erschiessen, soweit es sich um Erschiessungen kleineren Umfangs handle, und dass er sie angewiesen hat, jeweils Meldung zu erstatten.

b. Auch der Angekl. Hersmann hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben.

Seine Behauptung, er habe gehört, dass die Festnahmen der Juden von den in Polangen stationierten Luftwaffensoldaten durchgeführt worden seien, ist ihm nicht geglaubt worden, da dies auch von keinem der Zeugen jemals bekundet worden ist. Mit aller Entschiedenheit hat der Angekl. Hersmann in Abrede gestellt, dass er mit dem Führer der Luftwaffeneinheit die Abstellung eines Zuges vereinbart habe. Mit Bestimmtheit hat er angegeben, dass diese Vereinbarung der Angekl. Sakuth getroffen habe, der mit dem GPK Memel nach Polangen vorausgefahren sei und ihm bei seinem Eintreffen in Polangen von dieser Vereinbarung Mitteilung gemacht habe. Dies hat ihm das Schwurgericht geglaubt, auch wenn dies der Angekl. Sakuth nicht wahrhaben will, zumal kein vernünftiger Grund dafür besteht, anzunehmen, der in seinen Angaben durchweg vorsichtige Angekl. Hersmann, der seine massgebliche Teilnahme im Fall Polangen I zugibt, wolle den Angekl. Sakuth zu Unrecht belasten.

Der Angekl. Hersmann hat zugegeben, dass er die Festnahme des jüdischen Kinderarztes angeordnet habe, nachdem er auf diesen entweder durch Dr. Frohwann oder durch den Angekl. Sakuth aufmerksam gemacht worden sei.

Auf seinen eigenen Angaben beruht die Feststellung, dass er selbst während der Erschiessung von den Erschiessungsvorgängen Aufnahmen gemacht und einem anwesenden Luftwaffenoffizier, der ebenfalls fotografiert hat, den Film weggenommen hat.

c. Der Angekl. Fischer-Schweder hat nicht nur seine Anwesenheit, sondern jegliche Beteiligung an der Erschiessung in Polangen geleugnet. Seine Behauptung, er sei bei der Erschiessung nicht anwesend gewesen, hat ihm zwar nicht widerlegt werden können. Der Angekl. Schmidt-Hammer sowie die Zeugen N. und Th. meinen zwar, sich an seine Anwesenheit erinnern zu können. Mit Bestimmtheit wollen sie sich aber auch wieder nicht daran erinnern können. Das Gericht hat deshalb Bedenken gehabt, seine Anwesenheit festzustellen.

Der Angekl. Fischer-Schweder hat aber bei dieser Erschiessung dadurch unterstützend mitgewirkt, dass er, wie das Gericht feststellt, das Schupo-Kommando auf das ihm durch Dr. Frohwann übermittelte Ersuchen des Angekl. Böhme freiwillig abgestellt hat; denn das Schwurgericht ist überzeugt, dass die Abstellung des Schupo-Kommandos für die Erschiessung in Polangen sowie für sämtliche Erschiessungen keinesfalls ohne Wissen und Willen des Angekl. Fischer-Schweder erfolgt ist. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen zum Fall Krottingen I Bezug genommen.

Nach der Feststellung des Gerichts hat der Angekl. Fischer-Schweder auf Grund der im Fall Garsden I durch Dr. Frohwann und durch den Angekl. Böhme erfolgten Aufklärung über die Säuberungsmassnahmen gewusst, dass es sich auch bei der Erschiessung in Polangen wiederum um die Durchführung der Säuberungsmassnahmen handelt und hat in Kenntnis dessen das Schupo-Kommando zur Unterstützung der Erschiessungshandlung abgestellt.

d. Der Angekl. Sakuth hat ursprünglich im Vorverfahren seine Anwesenheit bei der Erschiessung in Polangen in Abrede gestellt, diese aber in der Hauptverhandlung zugegeben. Er hat weiterhin zugegeben, gewusst zu haben, dass es sich um eine Judenerschiessung gehandelt habe. Er will jedoch den Grund der Erschiessung nicht gekannt haben. Dies ist ihm jedoch nicht geglaubt worden, da er nach der Feststellung des Gerichts zum Fall Garsden I durch Dr. Frohwann und durch den Angekl. Hersmann in vollem Umfang über die Säuberungsmassnahmen aufgeklärt worden ist. Der Angekl. Sakuth hat in der Hauptverhandlung - im ganzen gesehen - keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Obwohl er nach der Schilderung der Angekl. Böhme und Hersmann und auch nach den Bekundungen von Zeugen sehr rührig und sehr tatkräftig gewesen ist als Leiter der SD-Aussenstelle Memel, will er von allem nichts mehr wissen und sich vor allen Dingen aus allem herausgehalten haben. Dies ist ihm jedoch nicht geglaubt worden.

Der Angekl. Sakuth hat ferner geleugnet, insofern bei den Vorbereitungen zu der Erschiessung mitgewirkt zu haben, als die Abstellung eines Zuges der in Polangen stationierten Luftwaffeneinheit auf seine Verhandlungen mit dem Führer dieser Einheit zurückzuführen sei. Dies hat jedoch das Schwurgericht auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann für erwiesen erachtet, zumal auch, wie schon oben bemerkt, kein Grund vorliegt, die Richtigkeit dieser Angaben zu bezweifeln. Während der Erschiessung hat sich der Angekl. Sakuth vorwiegend bei dem Angekl. Hersmann aufgehalten, wie dieser glaubhaft angegeben hat, und zwar, wie das Gericht feststellt, als dessen rechte Hand, da die dortige Gegend zu seinem Zuständigkeitsbereich gezählt und er deshalb die notwendigen Ortskenntnisse gehabt hat.

Gerade wegen seiner Ortskenntnisse liegt deshalb auch der Verdacht sehr nahe, dass es der Angekl. Sakuth war, der den Angekl. Hersmann darauf aufmerksam gemacht hat, dass in einem Lazarett von Polangen noch ein jüdischer Kinderarzt zusammen mit deutschem Sanitätspersonal arbeite. Der Angekl. Hersmann hat zugegeben, dass während der Erschiessung auf seinen Befehl der jüdische Kinderarzt geholt und anschliessend erschossen worden ist. Der Angekl. Sakuth will sich aber an diesen Kinderarzt überhaupt nicht erinnern. Vor allem hat er in Abrede gestellt, dass er den Angekl. Hersmann auf diesen Kinderarzt aufmerksam gemacht und ihn geholt hat. Der Angekl. Böhme will den Vorfall mit dem Kinderarzt erst nachträglich durch den Angekl. Hersmann erfahren haben; seines Erinnerns sei aber nach der damaligen Erklärung des Angekl. Hersmann der Angekl. Sakuth als der "rührige SD-Aussenstellenleiter" des Angekl. Hersmann beim Abholen des Kinderarztes dabeigewesen. Der Zeuge Pap. ist nach seinen Aussagen zusammen mit dem Angekl. Sakuth vom Erschiessungsplatz nach Polangen gefahren, um den jüdischen Kinderarzt zu holen; bei dieser Fahrt sei aber der Kinderarzt nicht vorgefunden worden. Der Angekl. Hersmann hat in der Hauptverhandlung angegeben, er wisse nicht mehr, ob ihm Dr. Frohwann oder der Angekl. Sakuth auf den Kinderarzt aufmerksam gemacht habe, und er wisse auch nicht mehr, wer auf seinen Befehl den Kinderarzt geholt habe. Das Gericht hat daher Bedenken für die Feststellung gehabt, dass der Angekl. Sakuth den Angekl. Hersmann auf den Kinderarzt aufmerksam gemacht und dass er ihn abgeholt hat.

Das Gericht ist jedoch überzeugt, dass sich der Angekl. Sakuth bewusst gewesen ist und dies auch gebilligt hat, dass er schon durch seine Anwesenheit in der Uniform eines SS-Hauptsturmführers die Schlagkraft der Teilnehmer gestärkt und dadurch die Erschiessungshandlung unterstützt hat.

e. Auch der Angekl. Behrendt hat den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Auf Grund seiner Angaben ist gegen ihn festgestellt worden, dass er die Gefangenen am Erschiessungsplatz bewacht hat. Mehr ist gegen ihn nicht festzustellen, wenn schon der Verdacht naheliegt, dass er sich bei seinem damaligen Alter von erst 29 Jahren wesentlich aktiver beteiligt hat.

f. Der Angekl. Harms hat seine Anwesenheit bei der Erschiessung zugegeben.

Während er im Vorverfahren angegeben hat, er habe bei der Absperrung mitgewirkt, hat er dies in der Hauptverhandlung nicht mehr wahrhaben wollen. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Nach der Überzeugung des Gerichts ist er sich jedenfalls bewusst gewesen und hat dies auch gebilligt, dass er als Kriminalkommissar und Vorgesetzter der Angehörigen der ihm unterstellten Grenzpolizeikommissariate allein schon durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Gestapo-Mannschaft gestärkt und dadurch zur Unterstützung der Erschiessungshandlung beigetragen hat.

Unwiderlegbar hat er dagegen vorgebracht, er habe aus Mitleid den Augenblick benützt, einem jungen Juden zur Flucht zu verhelfen, als der jüdische Kinderarzt in seinem weissen Arztmantel an die Erschiessungsstätte gebracht worden sei und das Augenmerk aller Teilnehmer auf sich gezogen habe. Diese Handlungsweise entspricht durchaus der Mentalität des Angekl. Harms, der es beispielsweise nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen R. zugelassen hat, dass dieser eine schwer misshandelte Jüdin in seinem Haushalt zur Pflege hat aufnehmen dürfen.

g. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat zwar den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Er hat jedoch behauptet, er habe geglaubt, es handle sich um die Erschiessung von Heckenschützen, wie ihm Major Gü. bei der Befehlserteilung gesagt habe. Es sei auch davon gesprochen worden, dass ein deutscher Wehrmachtsoffizier von den Einwohnern aus Polangen hinterrücks erschossen worden sei. Er habe nicht gewusst, dass es sich um eine Erschiessung von Juden handle, da er die Juden als solche nicht erkannt habe. Nach den vorausgegangenen Erschiessungen der Juden und Kommunisten in Garsden I und Krottingen I ist die Behauptung des Angeklagten Schmidt-Hammer wenig glaubhaft, dass Major Gü. auch diesesmal wieder bei der Erteilung des Befehls, die Erschiessung mit dem Schupo-Kommando in Polangen durchzuführen, allen Ernstes gesagt hat, es handle sich um die Erschiessung von Heckenschützen. Selbst nichtbeteiligte Zeugen wie der Landrat Kol. und der Leiter der Abteilung II der Polizeidirektion Memel, Ste., haben nach ihren glaubhaften Bekundungen gewusst, dass die Juden von Polangen nicht wegen Heckenschützentätigkeit, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse erschossen werden. Auch keiner der übrigen Angeklagten oder der in Frage kommenden Zeugen hat behauptet bezw. bekundet, dass es sich um eine Erschiessung von Heckenschützen handeln würde. Die erst in der Hauptverhandlung aufgestellte Behauptung des Angekl. Schmidt-Hammer, es habe sich um eine Vergeltungsmassnahme wegen der Erschiessung eines deutschen Offiziers gehandelt, ist daher nach der Überzeugung des Gerichts ein leeres Verteidigungsvorbringen. Insoweit wird auf die Ausführungen zum Fall Garsden I Bezug genommen. Das Schwurgericht ist überzeugt, dass sich der Angekl. Schmidt-Hammer schon in dem Augenblick, als er den Befehl zur Mitwirkung an dieser Erschiessung erhalten hat, auf Grund der vorausgegangenen Erschiessungen in Garsden I und Krottingen I darüber im klaren gewesen ist, dass es sich nicht um die Erschiessung von Heckenschützen, sondern um die Erschiessung unschuldiger Menschen, sei es nun die Erschiessung von Juden aus rassischen Gründen oder um die Erschiessung von Kommunisten aus politischen Gründen handelt.

Es ist eine offensichtliche Ausrede des Angekl. Schmidt-Hammer, wenn er auch im Fall Polangen im Gegensatz zu den andern Angeklagten und den Zeugen behauptet, er habe die Gefangenen nicht an ihren typischen Rassemerkmalen als Juden erkannt. Seine Behauptung ist schon deshalb unglaubhaft, weil alle Gefangenen vor der Erschiessung eine Zeitlang unmittelbar neben seinen Schutzpolizisten im Gras gelegen sind und sich mit diesen unterhalten haben, wie auf Grund der Bekundungen des Zeugen N. festgestellt worden ist.

Unglaubhaft ist auch seine Behauptung, er habe nicht gesehen, dass die Gefangenen ihr eigenes Grab haben ausheben bezw. erweitern müssen und dass sie dabei teilweise geschlagen worden sind, sowie, dass die nachfolgende Gruppe der Opfer wie schon bei den früheren Erschiessungen in Garsden I und Krottingen I die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben haben werfen müssen, und dass dabei ein junger Jude mit Schlägen angetrieben worden ist; denn diese Vorgänge sind gerade von den Schupo-Angehörigen N., Th. und Sch. bekundet worden, auch ist der Angekl. Schmidt-Hammer während der Erschiessung ganz in der Nähe des Grabens gestanden, so dass es ausgeschlossen ist, dass er diese Vorgänge nicht auch wahrgenommen hat.

Nach der Überzeugung des Gerichts ist sich der Angekl. Schmidt-Hammer schon vor Beginn der Erschiessung in Polangen dessen bewusst gewesen, dass es sich bei den Gefangenen nur um Juden handelt, dass sie völlig unschuldig sind und dass sie nur aus rassischen Gründen ohne Gerichtsurteil erschossen werden. Er hat nach der Überzeugung des Gerichts auch klar erkannt, dass der Befehl der Vorgesetzten zu dieser Erschiessung nur die Durchführung eines Verbrechens bezweckt hat.

Zu a. - g.

Im übrigen haben sämtliche Angeklagte zu ihrer Verteidigung die gleichen Ausführungen gemacht bezw. durch ihre Verteidiger geltend machen lassen wie schon in den vorausgegangenen Fällen. Insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen zu den Fällen Garsden I und Krottingen I Bezug genommen. Nach der Feststellung des Gerichts sind sich also sämtliche Angeklagte der Rechtswidrigkeit der Erschiessungshandlung bewusst gewesen und haben den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt. Sie haben auch die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat erkannt und haben nur Beihilfe zur Tat der Haupttäter leisten wollen und geleistet. Sie haben nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt und haben schliesslich auch nicht in einer ausweglosen Zwangslage gehandelt oder eine solche angenommen. Dabei wird ausdrücklich noch darauf hingewiesen, dass der Angekl. Fischer-Schweder nicht auf Befehl, sondern aus freien Stücken gehandelt hat.

In den künftigen Fällen wird zu diesen sich stets wiederholenden Verteidigungsvorbringen nur noch dann Stellung genommen werden, wenn ein besonderer Anlass hiezu vorliegt.

VI. Szweksznie

1. Die Gefangennahme der Juden und ihre Erschiessung

Ende Juni 1941, wahrscheinlich jedoch im Juli 1941, wurden in dem etwa 40 km südwestlich von Memel gelegenen litauischen Grenzort Szweksznie mindestens 20 Juden erschossen. Die Erschiessung fand auf Grund des dem Angekl. Böhme durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls durch Angehörige des GPK Memel oder der Stapo Tilsit statt. Entweder gab der Angekl. Böhme hiezu unmittelbar den Befehl oder aber erfolgte die Erschiessung auf Grund der von ihm an die GPK erteilten Generalvollmacht, kleinere Gruppen von Juden und Kommunisten selbst zu erfassen und auf eigene Verantwortung zu erschiessen.

Die Zahl der Erschossenen und den Erschiessungsort meldete die Stapo Tilsit wie immer an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und an das Amt IV des RSHA.

Näheres konnte über diese Erschiessung nicht mehr festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme leugnet nicht, entweder unmittelbar oder mittelbar für diese Erschiessung verantwortlich zu sein. Er will sich aber an diese Erschiessung, auch was die Zahl der Opfer betrifft, nicht mehr erinnern können, was ihm bei der Vielzahl der Erschiessungen auch nicht widerlegt werden kann. Er lässt die Frage offen, ob er die Stapo-Angehörigen von Memel oder Tilsit unmittelbar beauftragt hat, oder ob das GPK Memel auf Grund der von ihm erteilten Generalvollmacht auf eigene Verantwortung gehandelt und ihm die Erschiessung gemeldet hat.

Der Angekl. Hersmann will sich an diesen Fall ebenfalls nicht mehr erinnern können; eine Mitwirkung bei dieser Erschiessung ist ihm auch nicht nachzuweisen. Er hat aber bestätigt, dass der Angekl. Böhme nach der Erschiessung von Polangen den einzelnen Grenzpolizeikommissariaten Generalvollmacht zur Erfassung und Erschiessung kleinerer Gruppen von Juden und Kommunisten in eigener Verantwortung erteilt hat. Auch die Zeugen Enn., bis zum 20.8.1941 V-Mann beim SD Memel, Qu., gebürtig aus Memel und damals Angehöriger des Polizeibatl. 11, Viktoria Pro., damals wohnhaft in Tauroggen, und Sch., damals Angehöriger der Schupo Memel, wissen nichts Näheres über diese Erschiessung und haben nach ihren glaubhaften Bekundungen auch nur von einer Judenerschiessung durch ein Kommando der Stapo aus Tilsit oder Memel gehört.

Nach den Aussagen der Zeugen Sch. und Qu. soll sogar ein Schupo-Kommando von Memel, und zwar nach der Bekundung des Zeugen Sch. unter dem Befehl des Oblt. Sander mitgewirkt haben. Dies ist durchaus möglich, aber nicht mit hinreichender Sicherheit nachzuweisen. Es ist deshalb auch gegen den Angekl. Fischer-Schweder keine Beteiligung wegen Abstellung eines Schupo-Kommandos festzustellen, was ihm allerdings auch nicht im Eröffnungsbeschluss zur Last gelegt ist.

Da nach den Zeugenaussagen ein ganzes Kommando von Stapo-Angehörigen für diese Erschiessung eingesetzt worden ist, was nach der Ansicht des Schwurgerichts nicht der Fall gewesen wäre, wenn es sich um die Erschiessung von nur wenigen Opfern gehandelt hätte, ist festgestellt worden, dass mindestens 20 Opfer erschossen worden sind.

Auf Grund der Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann ist weiterhin festzustellen, dass die Zahl der in Szweksznie Erschossenen wie immer an das RSHA wahrheitsgemäss gemeldet worden ist. Demnach ist diese Zahl in der Zahl von 3302 enthalten, welche die Ereignismeldung Nr.26 vom 18.7.1941 (Bew.St.9l S.1) als Gesamtzahl der bis zu diesem Zeitpunkt durch oder auf Veranlassung der Stapo Tilsit Erschossenen ausweist.

VII. Krottingen (III)
(dieser Fall ist während der Hauptverhandlung als Krottingen VI bezeichnet worden)

1. Gefangennahme und Erschiessung der Juden

Ende Juni/Juli 1941 wurden 15 jüdische Männer von Krottingen erschossen.

Einige Tage nach der auf den Brand von Krottingen erfolgten zweiten Erschiessung von Krottingen kam der Zeuge Mo., damals Postenführer des GPP Bajohren, dazu, als Angehörige der litauischen Ordnungspolizei jüdische Einwohner zusammentrieben. Die männlichen Juden - 15 an der Zahl - wurden in einem Gartenhaus untergebracht, während die jüdischen Frauen und Kinder auf das Gut Prischmonti kamen. Der Angekl. Lukys meldete dem Zeugen Mo. die erfolgte Festnahme und die Zahl der Festgenommenen.

Der Zeuge Mo. seinerseits meldete die Festnahme der 15 männlichen Juden über das GPK Memel an die Stapo Tilsit. Daraufhin erteilte ihm der Angekl. Böhme in Ausführung des ihm von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls den Auftrag, die männlichen Juden zu erschiessen.

Der Zeuge Mo. verabredete daraufhin mit dem Angekl. Lukys den Zeitpunkt der Erschiessung, zu welcher er an einem Nachmittag mit 3-4 Gestapo-Beamten seines Grenzpolizeipostens sowie mit 6-8 Infanteristen und 3 Zollbeamten nach Krottingen fuhr. Die Infanteristen waren ihm mit ihrem Einverständnis von einem Feldwebel zur Verfügung gestellt worden, den er darum gebeten hatte. Die Beteiligung der 3 Zollbeamten erfolgte auf deren Wunsch.

Der Angekl. Lukys brachte die von litauischen Ordnungspolizisten bewachten 15 jüdischen Gefangenen mit einem LKW. Sie waren vorher in einem direkt an dem Flüsschen Danje gelegenen Haus untergebracht gewesen. Der Zeuge Mo. fuhr nun mit seinen Leuten und der Angekl. Lukys mit den Gefangenen zu der etwa 4-5 km westlich von Krottingen in der Nähe des Gutshofes Prischmonti gelegenen Waldschneise, wo schon die früheren Erschiessungen stattgefunden hatten. Den Weg zeigte der Angekl. Lukys.

Die Erschiessung fand unter der Leitung des Zeugen Mo. statt. Zunächst mussten die Juden einen Graben ausheben. Daraufhin erklärte ihnen der Zeuge Mo., ohne hiezu beauftragt zu sein, dass sie deshalb erschossen werden, weil sie Krottingen in Brand gesteckt haben. Sodann mussten 7-8 der Opfer unmittelbar vor dem Graben niederknien, und zwar mit Blickwendung zu den ihnen gegenüberstehenden und mit Karabinern bewaffneten Infanteristen und Zollbeamten, während die restlichen Opfer hinter einem etwa 20 m davon entfernten Gebüsch bewacht wurden. Als nach der ersten Salve noch 2 Opfer lebten, gaben ihnen Gestapo-Beamte Nachschüsse. Daraufhin musste die nachfolgende Gruppe vor ihrer eigenen Erschiessung die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben werfen, soweit sie nicht in diesen gefallen waren.

Nach der Erschiessung meldete der Zeuge Mo. deren Vollzug an die Stapo-Stelle Tilsit und an das GPK Memel. Die Stapo-Stelle Tilsit berichtete über den Erschiessungsort und die Zahl der Erschossenen wie immer an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und an das Amt IV des RSHA.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme will sich an diese Erschiessung nicht mehr erinnern, während der Angekl. Lukys seine Beteiligung leugnet. Die Feststellungen beruhen daher vorwiegend auf den insoweit glaubhaften Aussagen des Zeugen Mo., welcher bei Beginn des Russlandfeldzugs Führer des GPP Bajohren (Stärke 1:6) gewesen ist.

Der Zeuge Mo. ist selbst dringend verdächtig, sowohl an dieser als auch an anderen Erschiessungen beteiligt gewesen zu sein, was er auch nicht in Abrede gestellt hat. Seine Aussagen sind daher an und für sich mit Vorsicht zu werten.

Der Zeuge Mo. hat den Angekl. Lukys nicht nur in diesem Fall, sondern auch noch in anderen Fällen erheblich belastet. Wenn auch seine Aussagen im Vorverfahren mit denen in der Hauptverhandlung nicht mehr in allen Punkten übereinstimmen, so hat der Zeuge Mo. den Angekl. Lukys im ganzen gesehen doch in den wesentlichen Punkten gleichbleibend belastet. Mit seiner ihm eigenen Verteidigungstaktik hat nun der Angekl. Lukys auch diesen Zeugen als unglaubwürdig hinzustellen versucht. Das Schwurgericht hat jedoch von dem Zeugen Mo. auf Grund von dessen eingehender Vernehmung in der Hauptverhandlung keinesfalls den Eindruck gewonnen, dass er unglaubwürdig ist und dass er zu Unrecht den Angekl. Lukys belastet hat. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte für die begründete Annahme, dass der Zeuge Mo. etwa böswillig und wider besseres Wissen den Angekl. Lukys belastet hat, zumal sich der Zeuge Mo. durch seine Aussagen selbst belastet hat. Das Gericht hat aber auch nicht von dem Zeugen Mo. den Eindruck gewonnen, dass er etwa leichtfertig seine Aussagen gemacht hat. Vielmehr ist der Zeuge offensichtlich schon auf Grund seines schweren Lungenleidens bemüht gewesen, die reine Wahrheit zu sagen. Zur Zeit der Hauptverhandlung hat er an offener Lungentuberkulose gelitten und ist von einem amerikanischen Militärflugzeug entgegenkommenderweise von der Heilanstalt zur Hauptverhandlung nach Ulm geflogen worden. Der Zeuge Mo. hat durch seine den Angekl. Lukys belastenden Aussagen seine eigene Lage auch in keiner Weise verbessert. Im übrigen entspricht das, was der Zeuge Mo. an Belastungsmaterial gegen den Angekl. Lukys vorgetragen hat, durchaus dem Inhalt des Auftrags, den der Angekl. Lukys nach seinen eigenen Angaben von dem Angekl. Böhme am 26.6.1941 in Krottingen erhalten hat, dass nämlich alle Juden "verschwinden" und alle Kommunisten verhaftet werden müssen. Er hat auch an anderer Stelle in der Hauptverhandlung zugegeben, dass er für die Stapo Tilsit während deren Zuständigkeit in dem 25 km breiten Grenzstreifen Juden und Kommunisten festgenommen hat, allerdings mehr Kommunisten als Juden. Das Verhältnis zwischen dem Zeugen Mo. und dem Angekl. Lukys ist auch, wie das Gericht auf Grund der glaubhaften Bekundungen des Zeugen Mo., denen der Angekl. Lukys nicht entgegengetreten ist, festgestellt hat, ganz gut gewesen. Der Zeuge Mo. hat den Angekl. Lukys nach seinen unwidersprochen gebliebenen Aussagen vielfach zu Ermittlungen im Dienstwagen mitgenommen. Der Zeuge Mo. hat auch glaubhaft bekundet, er, wie auch die übrigen Angehörigen der Stapo von Memel und Tilsit, hätten eigentlich im Jahr 1942 die Verhaftung des Angekl. Lukys bedauert; der Angekl. Lukys sei allerdings bei seinen eigenen Landsleuten sehr unbeliebt gewesen, was ihm sein Dolmetscher Matinkus, der mehr über den Angekl. Lukys gewusst habe, wiederholt gesagt habe.

In seinem Schlusswort hat der Verteidiger des Angekl. Lukys dessen Beteiligung bei dieser Erschiessung in Abrede gezogen und zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Zeugen Mo. u.a. ausgeführt: Der Zeuge Mo. habe bei seinen polizeilichen Vernehmungen vom 12.9.1957 und vom 29.10.1957 ausgesagt, die Juden seien offenbar von der litauischen Polizei, insbesondere von dem Angekl. Lukys, festgenommen worden; er selbst (Mo.) habe mit diesen Festnahmen nichts zu tun gehabt, hievon habe ihm der Angekl. Lukys berichtet. In der Hauptverhandlung habe aber der Zeuge Mo. ausgesagt, er sei bei dem Zusammentreiben der Juden durch die litauische Ordnungspolizei, deren Leiter Petrauskas gewesen sei, dabeigewesen. Wenn aber der Zeuge Mo. bei den Festnahmen selbst zugegen gewesen sei, so sei seine Aussage unsinnig, der Angekl. Lukys habe ihm die Festnahmen gemeldet. Da Petrauskas erst nach der am 25.7.1941 erfolgten Einsetzung des Angekl. Lukys in das Amt eines Sicherheitspolizeichefs aus Kowno gekommen sei, um das Amt des Ordnungspolizeichefs in Krottingen zu übernehmen, habe die Verhaftung der Juden auch erst nach dem 25.7.1941 stattgefunden. Dann komme aber eine Beteiligung des Angekl. Lukys nicht mehr in Betracht, da der Angekl. Lukys dem Ordnungspolizeichef Petrauskas nicht unterstanden sei. Es ist richtig, dass der Zeuge Mo. insoweit seine Aussagen gewechselt hat. Er ist aber stets dabei geblieben, dass ihm der Angekl. Lukys die Festnahmen der Juden gemeldet und dass er später nach vorheriger Vereinbarung die 15 jüdischen Männer in einem LKW gebracht hat, worauf sie zu der früheren Erschiessungsstätte gefahren seien, um die Juden zu erschiessen, wobei der Angekl. Lukys den Weg gezeigt habe.

Zu den Ausführungen des Verteidigers ist zunächst zu sagen, dass gar nicht festgestellt ist, zu welchem Zeitpunkt Petrauskas das Amt eines litauischen Ordnungspolizeichefs in Krottingen tatsächlich übernommen hat. Es ist eine durch nichts bewiesene Behauptung des Verteidigers, Petrauskas sei erst am 25.7.1941 aus Kowno gekommen, um das Amt des Ordnungspolizeichefs zu übernehmen, weil an diesem Tag die förmliche Einsetzung des Angekl. Lukys in das Amt eines Sicherheitspolizeichefs erfolgt sei. Wie ausgeführt, ist auf den Beweisantrag des Verteidigers des Angekl. Lukys mit Schriftsatz vom 7.7.1958 unter Ablehnung der Ladung des Zeugen Kw./Chicago zugunsten des Angekl. Lukys seine Behauptung als wahr unterstellt worden, dass er am 26.6.1941 das Amt eines Ordnungspolizeichefs noch nicht übernommen gehabt habe, dass vielmehr am 26.6.1941 der Litauer Janoschornis Chef der Ordnungspolizei in Krottingen gewesen sei. Zuvor hat der Angekl. Lukys nach den Bekundungen des Zeugen Wei. bei seiner ersten Vernehmung im Ermittlungsverfahren durch Oberstaatsanwalt Schü. und den Zeugen Wei. am 21.2.1957 angegeben, dass am 26.6.1941 der Angekl. Böhme auf dem Marktplatz in Krottingen mit dem litauischen Polizeichef Janoschornis "herumgeschrien" und ihn daraufhin sofort entlassen habe; zu seinem Nachfolger sei dessen Stellvertreter Ramanauskas bestimmt worden. Bei der gleichen Vernehmung hat er später angegeben, dass er am 25.7.1941 durch ein Schreiben seines Direktors Cenkus aus Kowno als Leiter des litauischen Polizeidienstes bezw. der Kriminalpolizei in Krottingen bestätigt worden sei, dass er aber schon einige Wochen vorher die Geschäfte in Krottingen übernommen habe. Es wird insoweit auf die Feststellungen des Schwurgerichts zum Fall Krottingen I Bezug genommen. Nach diesen Feststellungen hat der Angekl. Lukys vom 24.6.1941 an ununterbrochen massgebend bei der Polizei in Krottingen mitgewirkt, ist am 26.6.1941 durch den Angekl. Böhme zum Ordnungspolizeichef eingesetzt worden, hat dieses Amt spätestens am 29.6.1941 angetreten und ist am 25.7.1941 von seiner vorgesetzten Behörde in Kowno förmlich zum Sicherheitspolizeichef eingesetzt worden, nachdem er aber schon früher mit dieser Tätigkeit begonnen hatte.

Da der Zeuge Mo. nach seinen Bekundungen zufällig Zeuge der Festnahmen der Juden gewesen ist, ist die von ihm bekundete Tatsache nicht unsinnig, wie der Verteidiger meint, dass ihm nachher der Angekl. Lukys die Anzahl der festgenommenen Juden gemeldet hat. Wenn Petrauskas bei diesen Festnahmen mitgewirkt hat, wie der Zeuge Mo. in der Hauptverhandlung bekundet und der Angekl. Lukys anschliessend bestätigt hat, steht damit noch lange nicht fest, dass die Festnahmen nach dem 25.7.1941 erfolgt sind. Keinesfalls wird dadurch eine Beteiligung des Angekl. Lukys an diesen Festnahmen und an der späteren Erschiessung ausgeschlossen. Der Angekl. Lukys hat nämlich nach der Vernehmung des Zeugen Mo. in der Hauptverhandlung anschliessend angegeben, er habe die 15 jüdischen Männer von Petrauskas übernommen, wobei er allerdings geleugnet hat, dass er die Gefangenen zum Erschiessungsplatz habe fahren lassen und dass er dort während der Erschiessung anwesend gewesen sei. Wie wechselnd seine Angaben sind, ergibt sich auch daraus, dass er im Vorverfahren am 8.2.1958 angegeben hat, ihm seien am 29.6.1941 von seinem Amtsvorgänger Janoschornis 15 männliche Juden und Kommunisten übergeben worden, die ohne sein Zutun von 3 deutschen Soldaten gequält und anschliessend erschossen worden seien. Bei seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung, also vor der Vernehmung des Zeugen Mo. in der Hauptverhandlung, hat er behauptet, er wisse von der Erschiessung der 15 Juden überhaupt nichts und er habe auch dem Zeugen Mo. keinen LKW zur Verfügung gestellt. Der Angekl. Böhme, welcher, wie oben schon ausgeführt, sich an diese Erschiessung nicht mehr erinnern will, hat noch angegeben, er fühle sich auf Grund der Bekundungen des Zeugen Mo. für diese Erschiessung verantwortlich.

Das Schwurgericht hat auf Grund der insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen Mo. sowie auf Grund der Einlassungen der Angekl. Böhme und Lukys die unter Ziff.1 getroffenen Feststellungen für erwiesen erachtet.

Im übrigen haben die Angeklagten Böhme und Lukys bezw. deren Verteidiger zu ihrer Verteidigung das gleiche geltend gemacht wie in den andern Fällen. Insoweit wird zu der Frage des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, der Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat bzw. bezüglich des Angekl. Böhme auf die Ausführungen und Feststellungen in den Gründen zu den Fällen Garsden I und Krottingen I und bezüglich des Angekl. Lukys auf die zu dem Fall Krottingen I Bezug genommen.

Dem Angekl. Hersmann kann bei seinem Leugnen mangels näherer Verdachtsgründe keine Beteiligung bei dieser Erschiessung nachgewiesen werden.

VIII. Tauroggen (I)

1. Verhaftung und Erschiessung der Opfer

Am 2.7.1941 wurden 133 männliche Personen aus Tauroggen, in der Hauptsache Juden, von Stapo- und SD-Angehörigen erschossen.

Die in nordostwärtiger Richtung von Tilsit gelegene litauische Grenzstadt Tauroggen liegt von der Grenze etwa 8 km und von Tilsit etwa 33 km entfernt. Etwa 1.5 km von der litauischen Grenze entfernt befand sich der deutsche Grenzort Laugszargen, in welchem ein Grenzpolizeiposten in Stärke von 1:8 unter Kriminalsekretär Schwarz stationiert war.

Bei Kriegsbeginn hatte Tauroggen etwa 16000 Einwohner, wovon etwa 3000 Juden waren. Die Stadt wurde am 22.6.1941 von den deutschen Truppen nach kurzem Kampf genommen. Die Zivilbevölkerung hatte sich am Kampf nicht beteiligt. Gemäss dem ihm von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehl beauftragte der Angekl. Böhme den Postenführer Schwarz, die Juden und Kommunisten von Tauroggen festzunehmen. Diesem Befehl kam Schwarz einige Tage nach dem 22.6.1941 nach. Unter Mitwirkung des litauischen Ordnungsdienstes nahm er mit seinen Gestapo-Beamten die männlichen Juden und einige Kommunisten fest und meldete deren Festnahme dem Angekl. Böhme. Dieser setzte den Erschiessungstermin auf den 2.7.1941 fest und liess durch Schwarz die notwendigen Vorbereitungen treffen. Der Angekl. Böhme wollte an dieser Erschiessung selbst teilnehmen und mit ihr seinen Leuten einen sogenannten "Modellfall" bauen, damit sie dann bei späteren Erschiessungen selbständig handeln konnten. Am Tag vor der Erschiessung überprüfte Schwarz die festgenommenen Kommunisten; die Juden wurden wie stets nicht überprüft.

Am Erschiessungstag fuhren der Angekl. Böhme mit Gestapo-Beamten aus Tilsit und der Angekl. Hersmann mit 4-5 SD-Leuten aus Tilsit nach Tauroggen. Die Gestapo war zusammen mit den Gestapo-Angehörigen aus Laugszargen unter Schwarz etwa 20-30 Mann stark.

Die Erschiessungsstätte befand sich ausserhalb von Tauroggen an einem Panzergraben in der Nähe eines zerstörten Bauernhofes. Hinter den Mauern dieses Hofes mussten sich die Gefangenen bereitstellen. Dort wurden ihnen die Wertsachen abgenommen. Die gefangenen Juden mussten den Panzergraben an einer Stelle, welche als ihr Grab vorgesehen war, vertiefen. Sodann wurden die Opfer jeweils in kleinen Gruppen an den Graben geführt, wo sie sich mit Blick zum Graben hart an dessen Rand niederknien mussten. Alsdann wurden sie von Gestapo- und SD-Leuten durch Genickschüsse, die mit Pistolen abgegeben wurden, getötet. Mit Abgabe der Schüsse wurde ihnen gleichzeitig ein Stoss versetzt, so dass sie in die Grube fielen.

An diesem Tag wurden insgesamt 133 männliche Personen erschossen, die fast ausschliesslich Juden waren. Nur wenige Kommunisten befanden sich unter den Opfern. Unter den Opfern befanden sich u.a. der jüdische Arzt Dr. Joffe und der jüdische Zahnarzt Dr. Möst.

Wie stets meldeten die Angekl. Böhme und Hersmann die Zahl der Erschossenen und den Erschiessungsort an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann sowie auf den Aussagen der Zeugen Pap., Liubomiras und Viktoria Pro., Kazi., Sp., No., M., Ras., Schul. und Kni. sowie auf die Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1).

a. Eine Beteiligung an dieser Erschiessung ist lediglich den Angeklagten Böhme und Hersmann nachzuweisen, welche den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben haben. Auf Grund der Angaben dieser beiden Angeklagten ist gegen sie festzustellen, dass in Ausführung des Stahlecker-Befehls der Angekl. Böhme den Kriminalsekretär Schwarz mit der Festnahme der Juden und Kommunisten sowie mit der Vorbereitung der Erschiessung beauftragt hat, dass beide Angeklagte ihre Leute zu dieser Erschiessung befohlen und an ihr selbst teilgenommen habe, wobei der Angekl. Böhme sie geleitet hat.

Beide Angeklagte haben sich an die Zahl der Erschossenen nicht mehr erinnern können. Sie halten aber die in der Ereignismeldung genannte Zahl von 133 Opfern, welche auch mit den Aussagen des Zeugen Pap. - 100-150 Juden - etwa übereinstimmt, für richtig. Das Schwurgericht hat daher festgestellt, dass insgesamt 133 Personen männlichen Geschlechts, in der Hauptsache Juden, erschossen worden sind. Wo die 133 Opfer nach ihrer Gefangennahme untergebracht worden sind, hat nicht festgestellt werden können. Nach den Angaben des Angekl. Hersmann sollen sie im früheren GPU-Gefängnis von Tauroggen eingesperrt gewesen sein. Die Zeugen Liubomiras und Viktoria Pro. geben als Unterbringungsart der gefangenen jüdischen Männer sowie deren Frauen und Kinder Baubaracken in der Vitautasstrasse an. Nach den Aussagen der Zeugen Kazi., No. und M. sollen sich die männlichen Juden in den Kellern des Gymnasiums und des Hauses Bergmann befunden haben. Nach den Aussagen sämtlicher Zeugen ist die Gesamtzahl der nach und nach festgenommenen Juden einschliesslich der Frauen und Kinder jedenfalls weit höher gewesen, wobei die Festgenommenen in mehreren Aktionen nach und nach unter der Leitung des Kriminalsekretärs Schwarz erschossen worden sind.

Im übrigen haben die beiden Angeklagten Böhme und Hersmann zu ihrer Verteidigung wieder die gleichen Ausführungen gemacht, wie in allen übrigen Fällen. Insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, der Teilnahmeform usw. bei den Fällen Garsden I und Krottingen I Bezug genommen.

b. Der Angekl. Schmidt-Hammer hat entgegen seinen Angaben im Vorverfahren in der Hauptverhandlung seine Teilnahme an dieser Erschiessung mit dem Schupo-Kommando aus Memel in Abrede gestellt und vorgebracht, er habe diese Erschiessung mit einer in Pogegen stattgefunden Erschiessung von Kommissaren verwechselt. Dies hat ihm nicht widerlegt werden können, da auch nach den bestimmten und insoweit glaubhaften Angaben der Angekl. Böhme und Hersmann sowie nach den Aussagen des Zeugen Pap. bei dieser Erschiessung in Tauroggen ein Schupo-Kommando nicht mitgewirkt hat.

c. Dem Angekl. Fischer-Schweder hat eine Beteiligung an dieser Erschiessung ebenfalls nicht nachgewiesen werden können. Für seine persönliche Teilnahme an dieser Erschiessung, die er in Abrede gestellt hat, liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine Beteiligung durch Abstellung eines Schupo-Kommandos kommt nach den Feststellungen in der Hauptverhandlung nicht mehr in Frage.

d. Auch dem Angekl. Kreuzmann hat entgegen der Annahme im Eröffnungsbeschluss eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können. Der Angekl. Kreuzmann selbst hat schon im Vorverfahren eine Beteiligung in Abrede gestellt. Er ist allein vom Angekl. Böhme im Vorverfahren belastet worden. Der Angekl. Böhme will nach seinen früheren Angaben dem Angekl. Kreuzmann die Anweisung zur Überprüfung der gefangenen Kommunisten gegeben und ihn auch mit der Oberleitung der Erschiessung beauftragt haben, wobei dann allerdings der Angekl. Kreuzmann die Ausführung einem jungen Kommissar überlassen habe.

Hiezu hat der Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung angegeben, er habe bei der Vernehmung im Vorverfahren geglaubt, dass er den Angekl. Kreuzmann mit den Vorbereitungen und mit der Oberleitung der Erschiessung beauftragt habe. Heute wisse er dies nicht mehr. Jedenfalls hätte der Angekl. Kreuzmann den ihm erteilten Auftrag nicht durch einen jungen Kommissar ausführen lassen können. In der Hauptverhandlung hat der Angekl. Böhme weiterhin angegeben, er könne sich zwar nicht vorstellen, dass der Angekl. Kreuzmann bei einer Erschiessungsaktion dabeigewesen sei. Er könne aber bei bestem Willen nicht mehr sagen, bei welcher Aktion er dabeigewesen sei.

Es liegt zwar der starke Verdacht vor, dass der Angekl. Böhme seine Angaben nur im Interesse des Angekl. Kreuzmann geändert hat. Da aber der Angekl. Kreuzmann in diesem Fall auch von anderer Seite nicht belastet wird, hat das Schwurgericht eine sichere Feststellung gegen ihn nicht treffen können.

IX. Georgenburg (I)

1. Festnahme und Erschiessung der Juden und Kommunisten

Am 3.7.1941 wurden in Georgenburg 322 Personen, darunter 5 Frauen, getötet.

Die ostwärts Tilsit an der Memel gelegene litauische Stadt Georgenburg hatte bei Beginn des Russlandfeldzugs etwa 5-6000 Einwohner, wovon 1000-1500 Juden waren. Georgenburg liegt etwa 12 km von der damaligen deutschen Reichsgrenze und rd. 60 km von Tilsit entfernt. Der frühere deutsche Grenzort Schmalleningken liegt etwa 1.5 km von der Grenze entfernt. In Schmalleningken befanden sich ein Grenzpolizeiposten in Stärke von 1:4 unter dem Angekl. Carsten, ein Zollamt - Hafen und Landstrasse - unter dem damaligen Zollinspektor Os. (Zeuge) sowie eine Wehrmachtsleitstelle.

Am Morgen des 22.6.1941 wurde die Stadt Georgenburg nach kurzem Kampf von den deutschen Truppen genommen. Mit der kämpfenden Truppe ging der Angekl. Carsten in Ausführung eines Sonderauftrags mit vor und barg wichtige litauische Staatspapiere, die von dem im Jahr 1940 von den Russen verhafteten litauischen Sicherheitspolizeichef Povilaitis bei einem etwa 4-5 km von der Grenze entfernten litauischen Gut in einer Kiste verpackt vergraben worden waren. Wie alle andern Stapo-Angehörigen war auch der Angekl. Carsten von dem Angekl. Böhme mit den gegen die Juden und Kommunisten in dem Grenzstreifen durchzuführenden Sondermassnahmen in vollem Umfang bekannt gemacht worden. Im Auftrag des Angekl. Böhme setzte er sich in Ausführung des Säuberungsbefehls wenige Tage nach der Besetzung mit den zuständigen Führern des litauischen Ordnungsdienstes bezw. der litauischen Partisanen und mit dem damaligen Bürgermeister Höpfner (Gebneris) von Georgenburg in Verbindung, indem er wiederholte Besprechungen mit diesen im Hause des katholischen Pfarrers abhielt, liess die Juden und Kommunisten namentlich erfassen und anschliessend durch seine Leute vom GPP Schmalleningken in Zusammenwirken mit dem litauischen Ordnungsdienst festnehmen, zum Teil auch nur unter Hausarrest stellen. Die erfolgte Festnahme meldete er an den Angekl. Böhme, der hievon wiederum den Angekl. Hersmann unterrichtete.

Der Angekl. Hersmann verkehrte damals im Kasino des Polizeibataillons von Tilsit. Dort erfuhr er von dessen mit ihm näher bekannten Adjutanten, dass das Polizeibataillon in der Gegend von Georgenburg eine Übung durchführen werde. Daraufhin setzte er den Adjutanten von der bevorstehenden Erschiessung der Juden und Kommunisten in Kenntnis und bat ihn, Angehörige des Polizeibataillons als Erschiessungskommando zur Verfügung zu stellen. Der Adjutant sagte dies zu, worauf sie als Erschiessungstermin den 3.7.1941 bestimmten. Von dieser Vereinbarung und von dem auf den 3.7.1941 festgesetzten Erschiessungstermin gab der Angekl. Hersmann dem Angekl. Böhme Kenntnis, welcher mit dieser Regelung einverstanden war.

Nunmehr gab der Angekl. Böhme dem Angekl. Carsten den Auftrag, die Vorbereitungen für den auf den 3.7.1941 festgesetzten Erschiessungstermin zu treffen, insbesondere die Erschiessungsstätte auszusuchen und einen Erschiessungsgraben ausheben zu lassen.

Nach Rücksprache mit dem Bürgermeister Höpfner bestimmte der Angekl. Carsten den auf einer Anhöhe gelegenen jüdischen Friedhof als Erschiessungsstätte und liess dort ein Massengrab für die Opfer ausheben. Ausserdem sorgte er für das Anlegen einer Namensliste der Festgenommenen unter Angabe der jeweiligen Haftgründe.

In der Frühe des 3.7.1941 trafen die Angeklagten Böhme und Hersmann mit ihren Stapo- und SD-Angehörigen aus Tilsit in Stärke von 30-40 Mann in Georgenburg ein, wo der Angekl. Carsten und die ihm unterstellten Gestapo-Angehörigen von Schmalleningken, so u.a. die Kriminalassistenten Schlegel und Hof. schon anwesend waren. Von der Stapo Tilsit waren u.a. die Kommissare Gerke (Zeuge) und Krumbach (Zeuge) und vom SD die Kraftfahrer Ju. (Zeuge) und Pap. (Zeuge) mitgekommen. Im Hof des Gebäudes des litauischen Ordnungsdienstes berichtete der Angekl. Carsten dem Angekl. Böhme über die von ihm getroffenen Vorbereitungen. Er gab weiterhin Auskunft über die Anzahl der Festgenommenen und die Gründe ihrer Festnahme anhand der in deutscher Sprache abgefassten Namensliste. Bis auf wenige Kommunisten waren die Gefangenen männliche Juden. Unter den gefangenen Kommunisten befanden sich 2 Frauen, darunter eine Telefonistin.

Auf die Frage des Angekl. Böhme, ob die Verdachtsgründe gegen die Kommunisten auch begründet seien, erwiderte der Angekl. Carsten, dass die Kommunisten von zuverlässigen Litauern überprüft worden seien und dass von den 2 gefangenen Frauen die Telefonistin besonders gefährlich sei, weil sie mit dem NKWD zusammengearbeitet habe.

Zwischen den Angeklagten Böhme und Carsten kam es nun zu einer heftigen Auseinandersetzung, weil der Angekl. Böhme die Vorbereitungen als mangelhaft beanstandete und weil vor allem nicht alle männlichen Juden festgenommen waren. Er liess deshalb kleine Gruppen von Stapo- und SD-Angehörigen zusammenstellen, unter denen sich auch die Zeugen Krumbach und Gerke befanden, und durch diese zusammen mit litauischen Ordnungspolizisten die unter Hausarrest gestellten männlichen Juden aus ihren Häusern holen. Auf diese Weise wurden nachträglich nochmals mindestens 60 Juden festgenommen. Diesen schlossen sich 3 jüdische Frauen und deren Kinder an. Währenddessen bat ein litauischer Arzt den Angekl. Carsten um die Freilassung eines festgenommenen jüdischen Arztes, da dieser als Chirurg in Georgenburg dringend benötigt werde. Der Angekl. Carsten verwies ihn an den Angekl. Böhme. Als der litauische Arzt seine Bitte dem Angekl. Böhme gegenüber sehr dringend vorbrachte, schlug dieser nach ihm, so dass dessen Mappe zu Boden fiel, und liess ihn unverrichteter Sache wieder abziehen.

Der Angekl. Hersmann sah in der Zwischenzeit nach dem Erschiessungskommando des Polizeibataillons, da dieses entgegen der mit dem Adjutanten des Polizeibataillons getroffenen Vereinbarung nicht zur Stelle war. Nachdem er schliesslich den Adjutanten erreicht hatte, teilte dieser ihm mit, dass der Kommandeur die Erschiessung der Festgenommenen durch Angehörige seines Bataillons nicht zulasse. Darüber waren die Angekl. Böhme und Hersmann sehr verärgert, da durch die nachträglichen Festnahmen die Zahl der Festgenommenen auf über 300 angewachsen war.

Die Gefangenen wurden im Fussmarsch, bewacht durch litauische Ordnungspolizisten, zum jüdischen Friedhof geführt. Dort mussten sie ihre Wertsachen an Kriminalkommissar Gerke abgeben und ihre Oberkleidung ablegen. Der Angekl. Böhme war mit dem Angekl. Carsten zu der Erschiessungsstätte auf den jüdischen Friedhof gefahren und hatte inzwischen die Aushebung eines weiteren Massengrabes durch die jüdischen Gefangenen angeordnet, da das bereits ausgehobene Massengrab wegen der nachträglich Festgenommenen nicht ausreichte. Durch den Angekl. Carsten liess er die dazu notwendigen Geräte beschaffen.

Nach dem Eintreffen der Gefangenen auf dem Friedhof bemühte sich der Angekl. Carsten bei dem Angekl. Böhme mit Erfolg um die Freilassung von 2 seiner ehemaligen V-Leute, welche ebenfalls nachträglich verhaftet worden waren. Die gefangenen Juden mussten nun das zweite Massengrab ausheben. Dabei schlugen 2 Juden in Gegenwart des Stapo-Angehörigen Wiechert, vermutlich auf dessen Veranlassung, mit Spaten aufeinander ein.

Sodann wurden die Opfer einzeln von Gestapo- und SD-Angehörigen von dem ganz in der Nähe gelegenen Versammlungsplatz geholt und teilweise durch lautes Schreien und Schlagen mit Stöcken zum Erschiessungsgraben getrieben. Dabei waren die Schmerzensschreie der geschlagenen Opfer weithin hörbar. Mit Blickwendung zum Graben mussten sich die Opfer an dessen Rand aufstellen, zum Teil auch niederknien, und wurden durch Pistolenschüsse ins Genick getötet. Gleichzeitig erhielten sie einen Stoss, so dass sie in den Graben fielen. Da die Opfer fortlaufend herangeführt wurden, sahen die Nachfolgenden die Tötung ihrer Leidensgenossen mit an.

Während der Erschiessung sahen Einwohner von 2 in der Nähe gelegenen Bauernhöfen dem Erschiessungsvorgang zu, was der Angekl. Carsten bemerkte. Er machte den Angekl. Böhme darauf aufmerksam, worauf er von diesem den Auftrag erhielt, den Einwohnern das Zusehen zu verbieten. Diesem Befehl kam der Angekl. Carsten nach.

Bei den Erschiessungen ereigneten sich verschiedene Zwischenfälle, welche auch von einigen Offizieren des Polizeibataillons wahrgenommen wurden, die sich nach Beendigung ihrer Übung aus Neugierde eingefunden hatten. Unter anderem griff ein jüdischer Spediteur, welcher im 1.Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft hatte und mit dem EK I ausgezeichnet war, den Angekl. Böhme an; bei diesem Angriff wurde der Jude erschossen. Ein oder zwei Gefangene griffen Kriminalkommissar Krumbach an und wurden dabei erschossen. Verschiedene Juden machten Fluchtversuche, wobei die Angeklagten Böhme und Hersmann selbst je einen Flüchtenden erschossen. Bei einer dieser turbulenten Szenen wurde ein SD-Mann versehentlich in den Oberschenkel geschossen. An seiner Stelle musste der SD-Kraftfahrer Pap. (Zeuge) einspringen, welcher auch noch 3 Gefangene durch Genickschüsse tötete. Von diesen Zwischenfällen und der schlechten Organisation berichtete dann das Polizeibataillon an höhere Stelle. Dies hatte zur Folge, dass sich die Angeklagten Böhme und Hersmann gegenüber dem RSHA verantworten mussten, was aber keine nachteilige Folgen für sie hatte.

Insgesamt wurden 322 Personen, darunter 5 Frauen und einige jüdische Kinder erschossen, welche sich von ihren Eltern nicht trennen wollten. Die Angeklagten Böhme und Hersmann meldeten, wie stets, die Zahl der Erschossenen und den Ort der
Erschiessung an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, und an das RSHA, welches in der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1) darüber berichtete:

"Gemeinsam mit dem SD-Abschnitt Tilsit wurden im litauischen Grenzgebiet seitens der Stapo Tilsit weitere Grossaktionen durchgeführt. So wurden ..... am 3.Juli in Georgenburg 322 Personen, darunter 5 Frauen ..... erschossen."

Nach Beendigung der Erschiessung gab es in einer Gastwirtschaft in Georgenburg ein gemeinschaftliches Essen, eine sogenannte Sakuska, das der Angekl. Carsten im Auftrag des Angekl. Böhme bestellt hatte. Hiebei wurde auch ziemlich Schnaps ausgeschenkt. Dieses Essen wurde auf Anordnung des Angekl. Böhme von dem Zeugen Gerke mit dem Geld bezahlt, das den Juden vor ihrer Erschiessung abgenommen worden war. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Georgenburg erzählte der Angekl. Carsten noch am gleichen Abend völlig ungerührt seinem Duzfreund Os. (Zeuge) Einzelheiten von dieser Erschiessung, wobei er das Gespräch mit den Worten einleitete: "Heute morgen haben die Juden von Georgenburg über die Klinge springen müssen."

Nachdem später auch sämtliche jüdischen Frauen und Kinder erschossen worden waren, wurde am Ortseingang von Georgenburg eine Tafel mit der Aufschrift angebracht: "Ort ist judenfrei."

2. Die Art der Beteiligung der einzelnen Angeklagten

An dieser Erschiessung waren die Angeklagten Böhme, Hersmann und Carsten beteiligt.

a. Der Angekl. Böhme liess entsprechend dem ihm von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehl durch den von ihm in die Sondermassnahmen in vollem Umfang eingeweihten Angeklagten Carsten und dessen Leute vom GPP Schmalleningken unter Mitwirkung der litauischen Hilfspolizei die Opfer festnehmen und die Erschiessung durch den Angekl. Carsten vorbereiten. Am Erschiessungstag selbst liess er durch Angehörige der Stapo und des SD Tilsit unter Mitwirkung der litauischen Ordnungspolizei noch weitere unter Hausarrest stehende Juden festnehmen. Für die Erschiessung teilte er die Stapo- und SD-Angehörigen ein. Die Erschiessung fand unter seiner Leitung statt. Es handelte sich um einen sogenannten "Modellfall", welcher den Kommissaren und Postenführern als Vorbild dienen sollte, damit sie spätere Erschiessungen in eigener Verantwortung durchführen könnten. Während der Erschiessung erschoss er selbst einen flüchtenden Juden und stärkte im übrigen durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

Nach der Erschiessung liess er die Zeche des gemeinsamen Essens durch Kriminalkommissar Gerke (Zeuge) mit einem Teil des den Juden abgenommenen Geldes bezahlen.

b. Der Angekl. Hersmann stellte seine Leute zu der Erschiessung ab, beaufsichtigte diese während der Erschiessung, erschoss selbst einen flüchtenden Gefangenen und stärkte, wie er wusste und wollte, durch seine Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaft.

c. Der Angekl. Carsten liess nach Rücksprache mit dem Bürgermeister Höpfner und den Führern des litauischen Ordnungsdienstes bezw. der litauischen Partisanen den grössten Teil der männlichen Juden sowie die Kommunisten durch seine Leute vom GPP Schmalleningken unter Mitwirkung der litauischen Ordnungspolizei festnehmen und weitere Juden unter Hausarrest stellen. Auf weitere Weisung des Angekl. Böhme bereitete er die Erschiessung vor, indem er sich nach Rücksprache mit dem Bürgermeister Höpfner für den jüdischen Friedhof als Erschiessungsstätte entschloss, wo er auch ein Massengrab ausheben liess. Er liess eine Namensliste der Festgenommenen in deutscher Sprache unter Angabe der Gründe der Festnahmen anlegen und berichtete am Erschiessungstag anhand dieser Liste dem Angekl. Böhme. Für die Aushebung des Massengrabes beschaffte er die notwendigen Geräte. Während der Erschiessung sicherte er die Erschiessungsstätte ab, wobei er u.a. Einwohnern von in der Nähe gelegenen Bauernhäusern das Zusehen verbot. Wie die Angeklagten Böhme und Hersmann war sich auch der Angekl. Carsten der Rechtswidrigkeit der Erschiessungshandlung bewusst und hat den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt. Er hat auch die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat erkannt und hat die Tat der Haupttäter nur unterstützen wollen.

Er hat nicht an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt und hat schliesslich nicht in einer ausweglosen Zwangslage gehandelt oder eine solche angenommen. Dies gilt auch für alle übrigen ihm nachweisbaren Erschiessungsfälle.

3. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann und Carsten sowie auf den Aussagen der Zeugen Pap., St., Os., Op., Dr. Ra., Gerke, Ju., Krumbach, O. und auf der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1).

a. Die Angeklagten Böhme und Hersmann haben den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Sie haben vor allem zugegeben, dass diese Erschiessung in Ausführung des ihnen von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls erfolgt ist. Der Angekl. Hersmann hat auch zugegeben, dass er auf die Mitteilung der Gefangennahme der Juden und Kommunisten durch den Angekl. Böhme den Erschiessungstermin bestimmt und die Abstellung eines Erschiessungskommandos mit dem Adjutanten des Polizeibataillons Tilsit vereinbart habe, was allerdings der Kommandeur dieses Bataillons zu ihrem Leidwesen nicht zugelassen habe.

Die Behauptung des Angekl. Böhme, nicht er, sondern der Angekl. Hersmann habe am Erschiessungstag die Verhaftung weiterer Juden befohlen, wird durch die Angaben der Angekl. Hersmann und Carsten widerlegt.

Der Angekl. Böhme ist auch trotz seines Leugnens durch die bestimmten Angaben des Angekl. Carsten überführt worden, dass er den litauischen Arzt wegen der von ihm erbetenen Freigabe des jüdischen Chirurgen misshandelt habe.

Die Angeklagten Böhme, Hersmann und Carsten haben vorgegeben, dass die ersten Festnahmen in Georgenburg nicht auf Veranlassung des Angekl. Böhme durch den Angekl. Carsten, sondern durch spontane Selbstaktionen der Litauer erfolgt seien. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind diese "spontanen" Selbstaktionen der Litauer jedoch allein auf das Drängen der Gestapo zurückzuführen, wie es sich aus dem Stahlecker-Bericht vom 15.10.1941 eindeutig ergibt (vgl. IMT Bd.37 S.672). Der Angekl. Carsten hat auch zugegeben, dass er unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wiederholt Besprechungen im katholischen Pfarrhaus in Georgenburg mit dem Bürgermeister Höpfner (Gebneris) und den Führern der litauischen Ordnungsleute bezw. der Partisanen geführt hat, was auch der Zeuge Os. bestätigt hat. Der Zeuge St. hat glaubhaft bekundet, er habe als früherer evangelischer Pfarrer von Georgenburg in der Zeit von Ende 1941 bis Anfang 1942 seine frühere Pfarrgemeinde aufgesucht. Dabei habe er von seinem Nachfolger und von dem Bürgermeister Höpfner Näheres über die Judenerschiessungen erfahren. Es sei ihm berichtet worden, dass SS-Leute aus Schmalleningken zusammen mit schlecht beleumundeten Litauern die Festnahmen durchgeführt haben. Der Angekl. Carsten sei massgeblich beteiligt gewesen. Dass der Angekl. Carsten die Festnahme der Juden und Kommunisten dem Angekl. Böhme gemeldet hat, hat sowohl er als auch der Angekl. Böhme angegeben. Das Gericht ist daher überzeugt, dass die ersten Festnahmen der Juden und Kommunisten auf Veranlassung des Angekl. Böhme durch den Angekl. Carsten und seine Beamten vom GPP Schmalleningken zusammen mit den litauischen Ordnungsleuten nach vorausgegangener Rücksprache mit Bürgermeister Höpfner und den Führern der litauischen Ordnungsleute und Partisanen erfolgt sind.

Die Feststellung, dass beim Ausheben des zweiten Massengrabes auf dem jüdischen Friedhof 2 jüdische Männer in Gegenwart des Gestapo-Angehörigen Wiechert mit Spaten aufeinander eingeschlagen haben, beruht auf den Angaben des Angekl. Hersmann und den Aussagen des Zeugen Gerke. Ob diese Schlägerei etwa darauf zurückzuführen ist, dass der Gestapo-Mann demjenigen der beiden Juden die Freilassung versprochen hat, der den anderen mit dem Spaten erschlagen würde, hat nicht festgestellt werden können.

Die Angeklagten Böhme, Hersmann und Carsten wollen nicht wahrgenommen haben, dass die Opfer teils durch lautes Schreien und auch durch Schlagen mit Stöcken zum Exekutionsplatz getrieben worden sind, wie das Gericht auf Grund der bestimmten Aussagen des Zeugen Ju. für erwiesen erachtet hat. Wenn aber der Zeuge Ju. diese Vorgänge wahrgenommen hat, so haben sie nach der Überzeugung des Gerichts auch die 3 Angeklagten wahrgenommen, da sie sich in der Nähe aufgehalten und da sich die Vorgänge während der Erschiessung immer wiederholt haben.

Die Feststellung, dass die nachfolgenden Opfer jeweils haben mit ansehen müssen, wie ihre Leidensgenossen vor ihnen erschossen worden sind, beruht auf den Angaben des Angekl. Hersmann und den Aussagen der Zeugen Gerke und O. Der Angekl. Hersmann hat dies damit zu entschuldigen versucht, dass sie bei dieser Erschiessung infolge des Ausfalls des vorgesehenen Schupo-Kommandos zu wenig Bewachungsleute gehabt haben, um die Opfer genügend weit vom Erschiessungsplatz entfernt bereitstellen und sie jeweils gruppenweise erst nach der Erschiessung der vorausgegangenen Gruppe vorführen zu können. Die weitere Feststellung, dass insgesamt 322 Personen, darunter 5 Frauen, getötet worden sind, beruht auf der Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1) sowie auf den Angaben der Angekl. Böhme und Hersmann, dass sie immer wahrheitsgetreu die Zahl der Erschossenen an das RSHA gemeldet haben, sowie auf den Aussagen des Zeugen Gerke, der die Anzahl der Erschossenen auf rd. 300 Personen schätzt. Dabei beruht auf den Angaben des Angekl. Hersmann die weitere Feststellung, dass sich unter den Opfern auch einige jüdische Kinder befunden haben, die bei ihren Eltern haben bleiben wollen; denn, wie schon ausgeführt, sind nur 2 von den 5 erschossenen Frauen Nichtjüdinnen gewesen. Die weitere Feststellung, dass sich unter den 322 Opfern nur einige wenige Kommunisten befunden haben, beruht auf den Angaben der 3 Angeklagten Böhme, Hersmann und Carsten und wird auch von den Zeugen, insbesondere von Dr. Ra., bestätigt, der ihre Zahl mit nur 6-7 Personen angibt.

b. Der Angekl. Carsten hat im Vorverfahren zunächst jegliche Beteiligung geleugnet, schliesslich aber auf Grund der ihn belastenden Angaben des Zeugen Os. immer mehr eingeräumt. Aber noch in der Hauptverhandlung hat er behauptet, dass die Juden und Kommunisten ohne sein Zutun von den Litauern festgenommen worden seien. Dies ist ihm, wie schon bei den Angeklagten Böhme und Hersmann ausgeführt worden ist, nicht geglaubt worden. Er hat vielmehr nach der Feststellung des Schwurgerichts auf Veranlassung des Angekl. Böhme zusammen mit seinen Gestapo-Beamten und mit litauischen Ordnungsleuten die Festnahmen durchgeführt.

Der Angekl. Carsten hat in der Hauptverhandlung geleugnet, dass ihn der Angekl. Böhme mit den Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen bekanntgemacht habe. Dies ist ihm jedoch nicht geglaubt worden, da es den gesamten Umständen und den diesbezüglichen, insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme und Bekundungen des Zeugen Ilges widerspricht. Im Laufe der Hauptverhandlung hat der Angekl. Carsten angegeben, er habe schon am 22.6.1941 durch seinen Kriminalassistenten Schlegel Kenntnis von der Bildung von Einsatzkommandos erhalten. Weiterhin hat er behauptet, der Angekl. Böhme habe ihm nach der Erschiessung in Georgenburg gesagt, sein Nachrichtendienst erstrecke sich auch auf die 25 km Zone. Er habe ihm aber verboten, weitere Exekutionen vorzunehmen, da er (Böhme) sonst "mit Jäger Krach bekomme". Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Angekl. Böhme von Dr. Stahlecker am Abend des 22.6.1941 den Befehl bekommen, die Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen raschestens durchzuführen. Um aber diesem Befehl nachkommen zu können, hat er, wie das Gericht feststellt, notwendigerweise unverzüglich sämtliche ihm unterstellten Gestapo-Angehörigen, vor allem die Leiter der Grenzpolizeikommissariate und die Führer der Grenzpolizeiposten von diesen befohlenen Massnahmen unterrichten müssen. Dies ist nach den vorausgehenden Feststellungen des Gerichts gegenüber den Angehörigen des GPK Memel, der Stapo-Stelle Tilsit und, wie der Angekl. Böhme dem Zeugen Ilges am 24.6.1941 erklärt hat, gegenüber sämtlichen übrigen Stapo-Beamten, selbst gegenüber Kriminalkommissar Macholl von dem entlegenen GPK Sudauen auch am 23. bezw. am 24.6.1941 geschehen. Ausserdem hat der Angekl. Böhme alsbald nach der Erschiessung Polangen I vom 30.6.1941 in Ausführung des Säuberungsbefehls seinen Unterführern die allgemeine Ermächtigung erteilt, kleine Gruppen von Juden und Kommunisten zu liquidieren. Es ist nach der Auffassung des Schwurgerichts ausgeschlossen, dass der Angekl. Carsten dabei übergangen worden ist.

Der Angekl. Carsten hat schliesslich zugegeben, dass er auf Veranlassung des Angekl. Böhme die notwendigen Vorbereitungen für die Erschiessung getroffen hat. Er habe u.a. nach Rücksprache mit dem Bürgermeister Höpfner den jüdischen Friedhof als Erschiessungsstätte ausgesucht und dort ein Massengrab ausheben lassen. Die Überprüfung der Kommunisten habe er zwar nicht selbst vorgenommen, aber anhand einer Namensliste dem Angekl. Böhme die Verdachtsgründe vorgetragen, welche zuverlässige Litauer ermittelt haben.

In der Hauptverhandlung hat der Angekl. Carsten zunächst behauptet, er habe die Erschiessungsvorgänge nicht mit angesehen, "er habe sie auch nicht mit ansehen können, weil er die Erschiessungen nicht für rechtmässig gehalten habe". Im Laufe seiner Vernehmung hat sich aber auf Grund seiner genauen Angaben über die Erschiessungsvorgänge ergeben, dass er, wenn auch nicht ununterbrochen, so doch die meiste Zeit der Erschiessung beigewohnt hat. Im übrigen wird er insoweit durch die bestimmten und durchaus glaubwürdigen Bekundungen des Zeugen Os., des früheren Zollinspektors von Schmalleningken, überführt, der mit ihm gut befreundet gewesen ist. Nach dessen glaubhaften Bekundungen hat der Angekl. Carsten unmittelbar nach seiner Rückkehr von der Erschiessung ohne Zeichen von Rührung alle Einzelheiten von der Erschiessung erzählt und seine Schilderung mit den Worten eingeleitet: "Heute morgen haben die Juden von Georgenburg über die Klinge springen müssen." Hieraus ergibt sich nach der Feststellung des Gerichts nicht nur, dass er während der Erschiessung die meiste Zeit anwesend gewesen ist, sondern auch seine kalte und herzlose Einstellung zu den Erschiessungen.

Auf Grund der Angaben des Angekl. Carsten und der Aussagen des Zeugen Krumbach ist zugunsten des Angekl. Carsten festgestellt worden, dass er sich beim Angekl. Böhme mit Erfolg um die Freilassung von 2 ehemaligen V-Leuten bemüht hat. Dagegen hat das Gericht Bedenken gehabt, allein auf Grund seiner Angaben zu seinen Gunsten festzustellen, er habe bei den nachträglichen Festnahmen 3 jüdische V-Leute so rechtzeitig gewarnt, dass sie haben fliehen können, da er im ganzen gesehen keinen besonders glaubwürdigen Eindruck gemacht hat.

Im übrigen hat der Angekl. Carsten zu seiner Verteidigung das gleiche geltend gemacht, bezw. durch seinen Verteidiger geltend machen lassen, wie die übrigen Angeklagten. Er liess vortragen, er habe keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Erschiessung gehabt und habe den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls nicht erkannt, und er habe weiterhin an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Ferner hat er geltend machen lassen, er habe allenfalls nur Beihilfe zu der ihm befohlenen Tat geleistet; er könne aber wegen Fehlens der Ursächlichkeit nicht belangt werden, da die Erschiessungen auch ohne seine Beteiligung vorgenommen worden wären. Schliesslich hat er noch vorgebracht, er habe in einer ausweglosen Zwangslage gehandelt.

Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angekl. Carsten - wie alle übrigen Angeklagten - Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Erschiessung gehabt. Dies hat er auch mit seiner Behauptung zugegeben, er habe deshalb bei den Erschiessungen nicht zusehen können, weil er diese nicht für rechtmässig gehalten habe. Da er nach der Feststellung des Gerichts als Führer des GPP Schmalleningken spätestens bei der Erteilung des Auftrags, die Juden und Kommunisten in Georgenburg festzunehmen, in vollem Umfang über die befohlenen Säuberungsmassnahmen unterrichtet worden ist, hat er nach der Überzeugung des Gerichts auch klar erkannt, dass die von höchster Stelle befohlene Massnahme jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht sowie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, und dass sie deshalb nichts anderes als ein Verbrechen ist. Er hat, wie die andern Angeklagten, klar erkannt, dass mit diesem Säuberungsbefehl nur ein verbrecherischer Zweck verfolgt wird. Im übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen beim Angekl. Böhme zum Fall Garsden I Bezug genommen.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angekl. Carsten bei Kenntnisnahme des Säuberungsbefehls auch die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat erkannt. Er ist sich nach der Feststellung des Gerichts darüber im klaren gewesen, dass die Haupttäter mit Überlegung gehandelt haben, da solche umfangreichen, einschneidenden Massnahmen nicht ohne vorheriges Abwägen des Für und Wider befohlen werden. Weiterhin hat er nach der Feststellung des Gerichts aus dem äusseren Erscheinungsbild der befohlenen Massnahmen alle erforderlichen Merkmale erkannt, welche die Tat der Haupttäter zum Niedrigen stempeln, und war sich auch der Grausamkeit der Handlungsweise der Haupttäter schon auf Grund seiner eigenen Wahrnehmungen an der Erschiessungsstätte bewusst. Er ist sich daher nach der Überzeugung des Gerichts bewusst gewesen, dass der Vorsatz der Haupttäter die besondere Verwerflichkeit der Tat, also sowohl den niedrigen Beweggrund als auch die Grausamkeit, umfasst.

Dem Angekl. Carsten hat nicht widerlegt werden können, dass er sowohl bei dieser wie auch bei den späteren Erschiessungen die Tat der Haupttäter nur hat unterstützen wollen, dass er also nur mit dem Gehilfenwillen gehandelt hat.

So wenig wie die andern Angeklagten hat er nach der Feststellung des Gerichts an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Er hat dies auch nicht selbst behauptet, sondern durch seinen Verteidiger vortragen lassen. Da er nach seinen eigenen Angaben die Unrechtmässigkeit der Tötungen erkannt hat, hat er nach der Überzeugung des Gerichts angesichts dieses von ihm klar erkannten verbrecherischen Verlangens auch niemals an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angekl. Carsten weder bei dieser noch bei den späteren Erschiessungen in einer ausweglosen Zwangslage gehandelt bezw. eine solche angenommen. Er hat auch nicht etwa behauptet, ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht zu haben, um sich unter irgendeinem Vorwand der Ausführung des Befehls zu entziehen. Gegen ein Handeln in einer ausweglosen Zwangslage spricht vor allem auch die auf Grund der Aussage des Zeugen Os. getroffene Feststellung, dass der Angekl. Carsten vollständig unberührt von dem unmittelbar vorausgegangenen grauenhaften Geschehen seine Schilderung von der Erschiessung in Georgenburg mit den Worten eingeleitet hat: "Heute morgen haben die Juden vor Georgenburg über die Klinge springen müssen." Wer so frivol von seiner Beteiligung an einem Massenmord sprechen kann, der hat nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus dem Gefühl einer ausweglosen Zwangslage gehandelt.

c. Dem Angekl. Kreuzmann hat entgegen der Annahme im Eröffnungsbeschluss eine Beteiligung an der Erschiessung in Georgenburg nicht nachgewiesen werden können. Es hat ihm vor allem nicht nachgewiesen werden können, dass er die Erschiessung organisatorisch vorbereitet hat und dass er zu dieser Erschiessung die seiner Abteilung angehörenden Kriminalkommissare Gerke und Krumbach abgestellt hat. Auf Grund der Ermittlungen in der Hauptverhandlung ist sein Vorbringen nicht zu widerlegen, dass der Angekl. Böhme jeweils selbst die Teilnehmer für die einzelnen Erschiessungen bestimmt hat.

X. Tauroggen (II)

1. Festnahme und Erschiessung der Juden

In der Zeit vom 3.7.1941 bis 10.7.1941 wurden in Tauroggen weitere 122 Juden erschossen.

Wie schon zum Fall Tauroggen I ausgeführt wurde, nahm der Postenführer Schwarz des GPP Laugszargen zusammen mit seinen Gestapo-Beamten unter Mitwirkung des litauischen Ordnungsdienstes einige Tage nach der am 22.6.1941 erfolgten Einnahme der Stadt Tauroggen durch die deutschen Truppen nach und nach sämtliche Juden und Kommunisten in Tauroggen im Auftrag des Angekl. Böhme auf Grund des Säuberungsbefehls fest.

Wie schon oben festgestellt, gab der Angekl. Böhme nach der Erschiessung in Polangen vom 30.6.1941 seinen Unterführern die allgemeine Ermächtigung, Erschiessungen in eigener Verantwortung durchzuführen und dies unter Angabe der Anzahl der Erschossenen jeweils an die Stapo-Stelle Tilsit zu melden. Nachdem der Angekl. Böhme mit der am 2.7.1941 erfolgten Erschiessung von 133 Juden und Kommunisten in Tauroggen I dem Postenführer Schwarz einen "Modellfall gebaut" hatte, liess Schwarz auf Grund der allgemeinen Ermächtigung weitere 122 Juden erschiessen.

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in der Zeit vom 3.7.1941 bis 10.7.1941 liess Schwarz 122 Juden durch seine Gestapo-Beamten unter Mitwirkung des litauischen Ordnungsdienstes zu einem etwa 2 km von Tauroggen entfernten Waldgelände am Schilaler-Weg bringen. Dort mussten die Opfer ihre Wertsachen abgeben und einen Graben ausheben. Sodann wurden sie einzeln an den Graben herangeführt und durch Genickschüsse getötet. Von den Erschiessungsvorgängen machte Schwarz Aufnahmen.

Den Vollzug der Erschiessung meldete Schwarz unter Angabe der Anzahl der Erschossenen an die Stapo-Stelle Tilsit, von wo aus an das RSHA Amt IV und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, weiterberichtet wurde.

Die Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.9.1941 S.1 und 2 (Bew.St.9i) enthält darüber folgenden Bericht: "Ferner wurden noch folgende Exekutionen durchgeführt ..... GPP Laugszargen in Tauroggen und Umgebung 122 Personen ....."

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den Angaben der Angekl. Böhme und Hersmann und auf den Aussagen der Zeugen Liubomiras Pro., Kni., Kazi. und M. sowie auf der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.9.1941.

Unwiderlegbar hat der Angekl. Böhme angegeben, dass diese Erschiessung zwar ohne seine Anwesenheit, jedoch auf Grund seiner den Unterführern gegebenen Ermächtigung durch den Postenführer Schwarz in eigener Verantwortung durchgeführt worden sei, nachdem er für diesen durch die erste Erschiessung in Tauroggen "einen Modellfall gebaut" habe. Dass der Postenführer Schwarz mehrere Erschiessungen durchgeführt hat, wird auch durch die Zeugen Pro. und M. bestätigt. Das Schwurgericht hat deshalb festgestellt, dass diese Erschiessung durch den Postenführer Schwarz auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme durchgeführt worden ist.

Dass es sich bei den Opfern ausschliesslich um männliche Juden gehandelt hat, ist auf Grund der Aussagen der obengenannten Zeugen festgestellt worden.

Der Angekl. Hersmann hat unwiderlegbar angegeben, dass diese Erschiessung ohne seine Beteiligung erfolgt ist.

XI. Wladislawa-Neustadt

1. Tatsächliche Feststellungen

In der Zeit zwischen dem 4.7.1941 und 10.7.1941 wurden in Wladislawa-Neustadt 192 männliche Juden erschossen. Die unmittelbar an der früheren deutsch-litauischen Grenze gegenüber dem früheren deutschen Grenzort Schirrwindt gelegene Stadt Wladislawa-Neustadt ist rd. 80 km von der nordwestlich gelegenen Stadt Tilsit entfernt. In Schirrwindt befand sich ein Grenzpolizeiposten. Dieser zählte zu dem GPK Eydtkau (Stärke 1:18-20), dessen Leiter der durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Kriminalobersekretär Tietz war.

Die Festnahme der Juden fand auf Veranlassung des Angekl. Böhme durch das GPK Eydtkau und den GPP Schirrwindt in Zusammenwirken mit litauischen Ordnungsleuten statt. Auf Veranlassung des Angekl. Böhme wurde auch der Erschiessungstermin festgesetzt. An dem näher nicht mehr feststellbaren Erschiessungstag in der Zeit vom 4.7.1941 bis 10.7.1941 waren von der Stapo Tilsit, dem GPK Eydtkau und dem GPP Schirrwindt 30-35 Gestapo-Beamte, darunter der Gestapo-Beamte Benger, unter der Führung eines namentlich nicht bekannten Kriminalkommissars anwesend. Der Angekl. Hersmann nahm mit etwa 10 SD-Männern an der Erschiessung teil. Es wirkten ausserdem litauische Ordnungsleute mit. Die Erschiessung fand im Kasernengelände von Wladislawa statt. Nach Abgabe ihrer Wertsachen mussten die Opfer einen Graben ausheben. Sodann wurden sie jeweils gruppenweise an den Grabenrand geführt und von den litauischen Ordnungsleuten mit Karabinern erschossen. Stapo- und SD-Angehörige gaben Nachschüsse ab. Soweit die Leichen nicht in den Graben gefallen waren, musste die nachfolgende Gruppe sie in den Graben werfen. Bei der Erschiessung sahen der litauische Landrat und der litauische Bürgermeister zu. Der Leiter der Exekution ist nicht festzustellen.

Die Stapo und der SD Tilsit meldeten die Erschiessung unter Angabe der Zahl der Erschossenen an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker. In der Ereignismeldung UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1 und 2) ist darüber berichtet:

"Gemeinsam mit dem SD-Abschnitt Tilsit wurden im litauischen Grenzgebiet seitens der Stapo Tilsit weitere Grossaktionen durchgeführt (Bemerkung: es werden nun die Erschiessungsorte Tauroggen, Georgenburg usw. aufgeführt) .... Ferner wurden noch folgende Exekutionen durchgeführt: GPP Schirrwindt in Wladislawa (Neustadt) und Umgebung 192 Personen ...."

Nach Beendigung der Erschiessung fand ein gemeinsames Essen statt. Hiezu waren die Gestapo- und SD-Angehörigen von dem litauischen Landrat und dem litauischen Bürgermeister eingeladen.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann und auf den Bekundungen des Zeugen Mü., eines früheren Angehörigen der Polizeidirektion Tilsit, sowie auf der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941. Der Angekl. Böhme hat nach seinen Angaben an dieser Erschiessung nicht teilgenommen. Er will an diesem Tag in Berlin beim RSHA gewesen sein. Er will aber zu dieser Erschiessung seine Stapo-Beamten abgestellt und den Angekl. Hersmann mit der Durchführung der Erschiessung beauftragt haben.

Der Angekl. Hersmann hat seine Anwesenheit und die Abstellung von etwa 10 SD-Angehörigen zugegeben. Er will aber nicht mehr wissen, ob der Angekl. Böhme bei dieser Erschiessung anwesend gewesen ist und ob er (Hersmann) als Leiter zu dieser Erschiessung oder zu der von Wilkowischken vom Angekl. Böhme beauftragt worden ist. Er habe aber auch an der Erschiessung in Wilkowischken teilgenommen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Angekl. Böhme an dieser Erschiessung selbst teilgenommen hat oder nicht und ob er wegen seiner Abwesenheit den Angekl. Hersmann oder einen seiner Kommissare mit der Leitung beauftragt hat. Auf Grund der Angaben beider Angeklagten ist jedenfalls festzustellen, dass diese Erschiessung auf Veranlassung des Angekl. Böhme in Ausführung des Säuberungsbefehls erfolgt ist, und dass er hiezu 30-35 Gestapo-Beamte unter der Führung eines Kriminalkommissars zur Teilnahme befohlen hat. Weiterhin ist auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann festzustellen, dass dieser mit etwa 10 SD-Männern an dieser Erschiessung teilgenommen hat und dass sich der Erschiessungsvorgang in der oben geschilderten Weise abgespielt hat. Als weiterer Teilnehmer an dieser Erschiessung hat namentlich nur der im Jahr 1942 ums Leben gekommene Gestapo-Beamte Benger auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme und der Bekundungen des Zeugen Mü. festgestellt werden können.

Der Angekl. Hersmann hat in der Hauptverhandlung die Zahl der erschossenen Personen auf etwa 200 angegeben. Da aber nach den Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann die Anzahl der Erschossenen von der Stapo und dem SD Tilsit jeweils wahrheitsgetreu und zwar getrennt an die Ämter IV bezw. III des RSHA gemeldet worden ist und da in der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 die Zahl der Erschossenen in Höhe von 192 Personen angegeben ist, hat das Schwurgericht diese Zahl seiner Feststellung zugrunde gelegt.

XII. Krottingen (IV)
(in der Hauptverhandlung wurde dieser Fall ebenfalls als Krottingen IV bezeichnet)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag anfangs Juli 1941 wurden in Krottingen mindestens 4 kommunistischer Umtriebe verdächtige Litauer erschossen.

Diese Kommunisten waren von dem Angekl. Lukys und Angehörigen der litauischen Polizei in Ausführung des durch den Angekl. Böhme dem Angekl. Lukys gegebenen Säuberungsbefehls festgenommen worden. Wenige Tage später suchte der Zeuge Mo., damals Führer des GPP Bajohren, den Angekl. Lukys in Krottingen dienstlich auf. Dieser teilte ihm mit, dass er 4 Litauer festgenommen und schon Vorbereitungen zu ihrer Erschiessung getroffen habe. Daraufhin wurden im Beisein des Zeugen Mo. die Opfer von dem Angekl. Lukys und 2-3 litauischen Ordnungsleuten auf den Friedhof von Krottingen geführt. Der Zeuge Mo. handelte auf Grund der allgemeinen Ermächtigung, die der Angekl. Böhme seinen Unterführern nach der Erschiessung in Polangen I in Ausführung des ihm von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls erteilt hatte. Ob es sich um den litauischen oder um den jüdischen Friedhof handelte, konnte nicht geklärt werden. Bei ihrer Ankunft war bereits ein Grab ausgehoben. Die Erschiessung wurde durch die litauischen Ordnungsleute durchgeführt.

Den Vollzug der Erschiessung meldete der Zeuge Mo. unter Angabe der Anzahl der Opfer auf dem Dienstweg über das GPK Memel an die Stapo-Stelle Tilsit, von wo aus wie immer an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, berichtet wurde.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen im wesentlichen auf den Angaben des Angekl. Böhme und den Einlassungen des Angekl. Lukys sowie auf den Aussagen des Zeugen Mo.

Der Angekl. Böhme hat unwiderlegbar angegeben, er wisse von dieser Erschiessung nichts, gleichwohl trage er aber auch für diese Erschiessung die Verantwortung; denn er habe schon am 26.6.1941 in Krottingen den Angekl. Lukys mit dem Säuberungsbefehl bekanntgemacht und er habe weiterhin nach der Erschiessung in Polangen I seinen Unterführern die allgemeine Ermächtigung zur Erschiessung von kleineren Gruppen gegeben. Der Angekl. Lukys hat im Vorverfahren und auch in der Hauptverhandlung behauptet, er wisse von dieser Erschiessung nichts und er werde von dem Zeugen Mo. leichtfertig belastet, dessen Aussagen unglaubhaft seien und sich widersprechen. Der Angekl. Lukys wird jedoch durch die Aussagen des Zeugen Mo. überführt. Dieser hat sowohl bei seinen polizeilichen Vernehmungen vom 12.9.1957 und vom 29.10.1957 wie auch in der Hauptverhandlung über das Wesentliche stets bestimmt ausgesagt, der Angekl. Lukys habe die litauischen Kommunisten festgenommen und in seiner Gegenwart auf dem Friedhof in Krottingen durch 2-3 litauische Ordnungsleute erschiessen lassen.

Der Verteidiger meint nun, der Zeuge Mo. sei völlig unglaubwürdig, weil er seine Aussagen in verschiedenen Punkten geändert habe; es spreche alles dafür, dass der Zeuge Mo. die Erschiessung selbst durchgeführt habe.

Das Schwurgericht ist sich bewusst, dass die Aussagen des Zeugen Mo. mit Vorsicht zu werten sind, weil er selbst der Teilnahme an verschiedenen Erschiessungen dringend verdächtig ist, wie schon in den Urteilsgründen zum Fall Krottingen III ausgeführt worden ist.

Es ist richtig, dass der Zeuge Mo. in dem jetzigen Fall zunächst versucht hat, seine Person möglichst herauszuhalten und sich in ein günstiges Licht zu stellen, indem er bei den polizeilichen Vernehmungen ausgesagt hat, er habe nur aus Neugierde der Erschiessung beigewohnt, um zu sehen, wie die Litauer solche Erschiessungen durchführen, und er habe nicht die Absicht gehabt, in irgendeiner Weise einzugreifen und durch seine Anwesenheit einen Tatbeitrag zu leisten. In der Hauptverhandlung hat er aber doch glaubhaft bekundet, er habe den Angekl. Lukys an dem Erschiessungstag dienstlich aufgesucht und er habe auch nachher die Erschiessung unter Angabe der Zahl der Erschossenen auf dem Dienstweg gemeldet. Er habe nämlich von seinem Vorgesetzten Dr. Frohwann, dem Leiter des GPK Memel, ganz allgemein den Auftrag gehabt, den Angekl. Lukys nicht nur zu überwachen, sondern ihn auch in seiner Tätigkeit zu unterstützen.

Richtig ist, dass der Zeuge Mo. bei den polizeilichen Vernehmungen ausgesagt hat, der Angekl. Lukys habe ihn zuvor von der Festnahme der Kommunisten und von dem Erschiessungstermin mit dem Hinzufügen verständigt, der Angekl. Böhme habe ihm gesagt, er solle die Sache bereinigen. In der Hauptverhandlung hat er dann glaubhaft bekundet, der Angekl. Lukys habe ihn erst bei seinem Dienstbesuch in Krottingen von der Festnahme der Litauer und von der schon vorbereiteten Erschiessung in Kenntnis gesetzt; er habe ihm dabei nicht gesagt, von wem er hiezu den Befehl erhalten habe. Dies hat er auch auf Vorhalt seiner anderslautenden polizeilichen Aussagen mit aller Bestimmtheit aufrechterhalten und hinzugefügt, seine polizeilichen Aussagen seien insoweit nicht richtig; denn er könne sich jetzt wieder genau daran erinnern, dass die Litauer am gleichen Tag erschossen worden seien, an dem ihm der Angekl. Lukys anlässlich seines Dienstbesuchs in Krottingen ihre Festnahme sowie ihre vorgesehene Erschiessung gemeldet habe. Das Gericht ist auf Grund des persönlichen Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von dem Zeugen Mo. gewonnen hat, überzeugt, dass er in der Hauptverhandlung die Wahrheit gesagt hat und dass seine früheren Aussagen insoweit auf einem Irrtum beruhen.

Richtig ist auch, dass der Zeuge Mo. bei den polizeilichen Vernehmungen den litauischen Friedhof als Erschiessungsort angegeben hat, während er in der Hauptverhandlung durchaus glaubhaft ausgesagt hat, er wisse nicht mehr, ob es sich um den litauischen oder um den jüdischen Friedhof gehandelt habe. Es ist ferner richtig, dass der Zeuge Mo. bei seiner zweiten polizeilichen Vernehmung vom 29.10.1957 ausgesagt hat, es seien 6 Litauer erschossen worden, während er in der Hauptverhandlung von 4-6 Litauern gesprochen hat. Der Zeuge Mo. hat aber auch schon bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung vom 12.9.1957 die genaue Zahl der erschossenen Litauer nicht bestimmt angeben können, sondern ausgesagt, er glaube, dass es sich um 6 Personen gehandelt habe. Richtig ist auch, dass der Zeuge Mo. bei den polizeilichen Vernehmungen ausgesagt hat, die Opfer haben an dem Graben niederknien müssen und seien von den litauischen Ordnungsleuten durch Genickschüsse mit Karabinern getötet worden. In der Hauptverhandlung dagegen hat er durchaus glaubhaft bekundet, er könne nicht mehr sagen, ob die Opfer tatsächlich durch Genickschüsse getötet worden seien. Dies hat er damit glaubhaft begründet, dass er einen betrunkenen Wehrmachtsunteroffizier abgewehrt habe, der einem der litauischen Ordnungsleute während bezw. unmittelbar vor der Erschiessung den Karabiner aus der Hand gerissen habe. Die gleiche Aussage hat der Zeuge Mo. schon bei seiner zweiten polizeilichen Vernehmung vom 29.10.1957 gemacht. Durch diese Abwehrhandlung habe er dem Erschiessungsvorgang nicht zusehen können; "offensichtlich" seien aber die Opfer durch Genickschüsse getötet worden. Nach der Ansicht des Schwurgerichts sind die Opfer auch wahrscheinlich durch Genickschüsse getötet worden; dies kann jedoch als unwesentlich dahingestellt bleiben. Schliesslich hat die Verteidigung auch darin eine Änderung der Aussagen des Zeugen Mo. erblickt, dass er bei den polizeilichen Vernehmungen ausgesagt habe, die Gefangenen seien "unter unserer Bewachung" zum Friedhof geführt worden, während er in der Hauptverhandlung kein Wort mehr davon gesprochen habe, dass auch er an der Bewachung beteiligt gewesen sei. Hiezu wird bemerkt, dass der Zeuge Mo. in der Hauptverhandlung gar nicht ausdrücklich gefragt worden ist, ob er die Gefangenen mitbewacht hat. Eine besondere Veranlassung zu dieser Frage hat auch nicht vorgelegen, da Mo. als Zeuge und nicht als Angeklagter vernommen worden ist und zudem bekundet hat, dass er mit zu der Erschiessung gegangen sei.

Diese von dem Verteidiger beanstandeten Änderungen der Aussagen des Zeugen Mo. sind mit Ausnahme des ursprünglichen Versuchs, seine eigene Mitwirkung in Abrede zu stellen, nach der Überzeugung des Gerichts darauf zurückzuführen, dass sich der Zeuge Mo. nach der inzwischen verstrichenen langen Zeit von 17 Jahren an die Einzelheiten nicht mehr bezw. nicht mehr sofort erinnert hat. Dabei ist auch noch zu berücksichtigen, dass das Erinnerungsvermögen auch dadurch erschwert wird, dass der Zeuge Mo. nicht nur an dieser, sondern an mehreren Erschiessungen teilgenommen hat. Im ganzen gesehen hat jedenfalls der Zeuge Mo. den Angekl. Lukys in den wesentlichen Punkten gleichbleibend belastet. Stets hat er mit Bestimmtheit ausgesagt, der Angekl. Lukys und seine Leute haben litauische Kommunisten festgenommen und der Angekl. Lukys habe zusammen mit 2-3 litauischen Ordnungsleuten diese Kommunisten in seiner Gegenwart auf dem Friedhof in Krottingen erschossen. Keinesfalls hat das Schwurgericht von dem Zeugen Mo. auf Grund der eingehenden Vernehmungen in der Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, dass er wissentlich zu Unrecht den Angekl. Lukys belastet und, wie der Verteidiger meint, die Tat selbst begangen hat und dass er nunmehr die Schuld dem Angekl. Lukys zuschieben will. Dafür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen Mo. auf die Ausführungen in den Gründen zum Fall Krottingen III - Erschiessung von 15 männlichen Juden - Bezug genommen. Ausdrücklich wird noch hervorgehoben, dass das Schwurgericht von dem Zeugen Mo. auch nicht den Eindruck gewonnen hat, dass er etwa leichtfertig den Angekl. Lukys belastet hat.

Der Angekl. Lukys hat sich in allen Fällen gleich verteidigt. Stets hat er die Tat geleugnet, die Belastungszeugen schlecht zu machen versucht und schliesslich nach wochenlanger Hauptverhandlung, zum Teil auch wegen unwesentlicher Dinge, Beweis mit in Amerika wohnenden Zeugen angetreten. Er hat im ganzen gesehen auf das Gericht einen denkbar ungünstigen und unglaubwürdigen Eindruck gemacht. Seine Behauptung, er habe weder in diesem noch in den anderen Erschiessungsfällen mitgewirkt, ist schon deshalb unglaubhaft, weil es gerade auch zu seinen Aufgaben gezählt hat, bei der ganzen Säuberungsaktion mitzuwirken, wie auf Grund seiner eigenen Angaben und der des Angekl. Böhme oben schon festgestellt worden ist. Denn, wie schon oben ausgeführt, hat ihn der Angekl. Böhme selbst am 26.6.1941 mit den Sondermassnahmen gegen die Juden und Kommunisten in dem 25 km breiten Grenzstreifen bekanntgemacht. Dass er die Kommunisten gehasst hat, hat er selbst angegeben. Er hat auch bei seiner Vernehmung zum Fall Krottingen I in der Hauptverhandlung angegeben, er habe für die Stapo Tilsit während deren Zuständigkeit in dem 25 km breiten Grenzstreifen Juden und Kommunisten festgenommen. Offensichtlich wegen dieser zuletzt genannten Angaben des Angekl. Lukys hat nun sein Verteidiger in seinem Schlussvortrag darauf hingewiesen, dass auf seine im Schriftsatz vom 7.7.1958 beantragte Ladung des früheren Vorgesetzten des Angekl. Lukys, des früheren Sicherheitspolizeichefs von Litauen, Cenkus, damals in Kowno, jetzt in New York, das Schwurgericht unter Ablehnung der Ladung dieses Zeugen durch Beschluss vom 15.7.1958 zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt habe: "Er habe dem Zeugen Cenkus mehrfach erklärt, die Gestapo nehme die von Lukys wegen kommunistischer Umtriebe verhafteten Leute einfach aus dessen Gewahrsam an sich, bevor er seine Ermittlungen beendet habe", und "er habe sich wegen des genannten Vorgehens der Gestapo, gegen das er machtlos gewesen sei, in einen anderen Kreis, und zwar mehr in das Landesinnere, versetzen lassen wollen, wobei aber sein Antrag weder von Jäger in Kowno, noch von der Gestapo in Tilsit genehmigt worden sei". Das Schwurgericht hat jedoch keinesfalls zugunsten des Angekl. Lukys als wahr unterstellt, dass die Gestapo sämtliche von ihm wegen kommunistischer Umtriebe verhafteten Personen aus seinem Gewahrsam geholt hat, wie möglicherweise der Verteidiger meint. Solches hätte Cenkus auch niemals bestätigen können, da er seinen Sitz in Kowno, also weit ab von Krottingen gehabt hat. Es ist bei dieser Wahrunterstellung auch ganz offen gelassen, von wann ab sich der Angekl. Lukys bei Cenkus über die Eingriffe beschwert und wann er um seine Versetzung in das Landesinnere gebeten hat. Nach Lage der Dinge ist das Gericht überzeugt, dass dies nicht vor und auch nicht unmittelbar nach seiner durch Cenkus erfolgten formellen Einsetzung zum Sicherheitspolizeichef von Krottingen der Fall gewesen ist, die der Angekl. Lukys auf den 25.7.1941 datiert. Die Erschiessung der Kommunisten hat aber, wie das Gericht auf Grund der Aussagen des Zeugen Mo. feststellt, schon anfangs Juli 1941 stattgefunden.

Da der Zeuge Mo. nicht mehr weiss, ob 4 oder 6 Litauer erschossen worden sind, hat das Schwurgericht zugunsten des Angekl. Lukys seiner Feststellung die Mindestzahl von 4 Opfern zugrunde gelegt. Das Schwurgericht hat weiterhin offen gelassen, auf welchem der Friedhöfe in Krottingen die Erschiessung stattgefunden hat, da dies der Zeuge Mo. nicht mehr weiss.

Das Schwurgericht hält daher für erwiesen, dass mindestens 4 litauische Kommunisten durch den Angekl. Lukys und litauische Ordnungsleute wegen des Verdachts kommunistischer Umtriebe auf Grund der ihm am 26.6.1941 durch den Angekl. Böhme entsprechend der Ausführung des Säuberungsbefehls erteilten Anweisungen festgenommen und im Beisein des Zeugen Mo. auf einem der Friedhöfe in Krottingen erschossen worden sind. Dem Angekl. Hersmann hat eine Mitwirkung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden können.

XIII. Einzelerschiessung bei Schmalleningken

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem der ersten Kriegstage, spätestens am 10.7.1941, wurde in der Nähe von Schmalleningken auf litauischem Boden ein Jude erschossen.

In dem deutschen Grenzort Schmalleningken waren, wie schon in den Gründen zum Fall Georgenburg I ausgeführt wurde, ein Grenzpolizeiposten in Stärke von 1:4 unter dem Angekl. Carsten, ferner ein Zollamt unter Leitung des damaligen Zollinspektors Os. (Zeuge) sowie eine Wehrmachtsleitstelle. Die Wehrmachtsleitstelle war ebenfalls im Zollgebäude untergebracht.

Der Jude war entweder von dem Angekl. Carsten aufgegriffen oder ihm übergeben worden. Der Angekl. Carsten versuchte zunächst, ein Standgerichtsurteil zu erwirken. Er führte deshalb den Juden, der einen Kopfverband trug, dem Leiter der Frontleitstelle, einem namentlich nicht festgestellten Hauptmann der Wehrmacht, vor und behauptete diesem gegenüber in Gegenwart des Zeugen Os., bei dem Gefangenen handle es sich um einen Kommunisten, der Litauer an Russen verraten habe und ihm von Georgenburg aus gebracht worden sei. Der Angekl. Carsten verlangte nun von dem Hauptmann den Zusammentritt eines Standgerichts, damit der Gefangene in einem Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt und dann erschossen werden könne. Der Hauptmann richtete einige Fragen an den Gefangenen. Dieser gab an, von Litauern geschlagen worden zu sein. Daraufhin besprach sich der Hauptmann mit einem zu seiner Dienststelle zählenden Leutnant und mit dem Zeugen Os. in einem Nebenraum, da in dieser Zusammensetzung das Standgericht entschieden hätte. Mit der Erklärung, sie seien unzuständig, gab der Hauptmann dem Angekl. Carsten den Gefangenen wieder zurück.

Auf die Rückfrage des Angekl. Carsten bei der Stapo-Stelle Tilsit erhielt er den Bescheid, den Gefangenen auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme an seine Unterführer zu erschiessen und Vollzug zu melden. Diese allgemeine Ermächtigung hatte der Angekl. Böhme nach der ersten Erschiessung in Polangen I in Ausführung des Stahlecker-Befehls seinen Unterführern erteilt. Auf Grund dieser Anweisung verbrachte der Angekl. Carsten zusammen mit dem Kriminalassistenten Schlegel seiner Dienststelle den Gefangenen über die Grenze auf litauischen Boden. Dort zogen sie ihm den Kopfverband über die Augen, stellten ihn gegen eine Wand und töteten ihn durch gleichzeitig in die Herzgegend abgegebene Pistolenschüsse. Wie der Angekl. Böhme war sich auch der Angekl. Carsten der Rechtswidrigkeit seiner Handlung bewusst und kannte den verbrecherischen Zweck des Säuberungsbefehls. Er war sich auch der inneren Einstellung der Haupttäter bewusst und wollte die Tat der Haupttäter nur unterstützen. Er glaubte auch nicht an die Verbindlichkeit des Befehls und befand sich in keiner ausweglosen Zwangslage und nahm auch keine an. Den Vollzug der Erschiessung meldete der Angekl. Carsten an die Stapo-Stelle Tilsit, welche ihrerseits, wie üblich, die Erschiessung an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, weitermeldete. In der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i S.1 und 2) ist darüber enthalten: "Ferner wurden noch folgende Exekutionen durchgeführt: ..... GPP Schmalleningken 1 Person."

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen auf den Angaben der Angeklagten Böhme, Hersmann, Carsten, Harms und den Aussagen der Zeugen Os., Stu. und Op. sowie auf der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941.

Der Angekl. Böhme hat unwiderlegbar angegeben, er könne sich an diese Einzelerschiessung nicht mehr erinnern. Jedenfalls trage er aber auch für diese Erschiessung die Verantwortung; denn der Angekl. Carsten habe keinesfalls von sich aus, sondern nur auf Grund der allgemeinen Ermächtigung gehandelt, die er nach Durchführung der ersten Erschiessung in Polangen seinen Unterführern in Ausführung des ihm erteilten Säuberungsbefehls erteilt habe.

Der Angekl. Carsten hat seine Angaben wiederholt gewechselt. Im Vorverfahren hat er zunächst behauptet, er wisse von dieser Erschiessung nichts, möglicherweise habe die Zollbehörde oder die Feldgendarmerie eine Erschiessung gemeldet. Später hat er behauptet, es handle sich um einen Unglücksfall. Bei der Notlandung eines deutschen Flugzeugs habe sich nämlich ein Schuss gelöst, durch welchen ein Hirte getroffen worden sei. Dieser Hirte sei dann an seiner Verwundung gestorben, wovon ihm ein Zollbeamter Mitteilung gemacht habe. Er habe dann dem Angekl. Harms den Tod des Hirten gemeldet. Nach der Vernehmung des Zeugen Os. im Vorverfahren hat er nunmehr behauptet, 2 deutsche Offiziere haben ihm einen Weissrussen zugeführt, der auf deutsche Soldaten geschossen habe und deshalb von einem Feldgericht zum Tode verurteilt worden sei. Das schriftliche Urteil haben ihm die Offiziere vorgezeigt. Im Auftrag der beiden Offiziere habe er den Weissrussen einsperren müssen, weil sie noch weitere Ermittlungen haben durchführen wollen. Dieser sei aber ausgebrochen und geflüchtet. Nach seiner Wiederergreifung haben ihm die beiden Offiziere nunmehr den Befehl gegeben, er solle ihn erschiessen. Auf seine Rückfrage habe ihm der Angekl. Harms die Ermächtigung zu dieser Erschiessung erteilt. Zusammen mit Kriminalassistent Schlegel seiner Dienststelle habe er den Gefangenen auf litauischem Boden erschossen.

In der Hauptverhandlung hat der Angekl. Carsten die im Vorverfahren zuletzt gemachten Angaben im wesentlichen aufrechterhalten. Er hat aber jetzt behauptet, die beiden Offiziere haben ihm das schriftliche Urteil nicht gezeigt, sie haben es auch nicht bei sich gehabt. Aus Papieren, die sie bei sich geführt haben, sei aber hervorgegangen, dass der Gefangene zum Tod verurteilt worden sei. Er habe allerdings auch diese Papiere nicht eingesehen. Er habe den Gefangenen nicht für einen Juden gehalten. Er habe auch vom Angekl. Böhme keine allgemeine Ermächtigung zum Erschiessen von Juden und Kommunisten erhalten. Nachdem ihm der Angekl. Harms auf seine telefonische Rückfrage die Anweisung zur Erschiessung des Gefangenen gegeben habe, habe er ihn zusammen mit dem Kriminalassistenten Schlegel über die Grenze auf litauischen Boden verbracht, ihm den Kopfverband über die Augen gezogen, ihn an eine Wand gestellt und dann zusammen mit Schlegel erschossen. Sie haben beide gleichzeitig in die Herzgegend des Opfers Schüsse aus ihren Pistolen abgegeben. Das ganze Vorbringen des Angekl. Carsten ist mit Ausnahme seiner Schilderung über die Tötung des Gefangenen völlig unglaubhaft und offensichtlich ein leeres Schutzvorbringen.

Der Angekl. Carsten wird durch die glaubhaften Aussagen des Zeugen Os. überführt, der ein Duzfreund von ihm ist. Nachdem der Angekl. Carsten im Vorverfahren die Aussagen des Zeugen Os. mitgeteilt bekommen hat, hat er in der Hauptverhandlung dessen Glaubwürdigkeit mit dem Zeugnis der Zeugin Op. erschüttern wollen. Dies ist ihm aber nicht gelungen, da diese Zeugin über den Zeugen Os. nichts Ungünstiges hat aussagen können. Auf das Schwurgericht hat der Zeuge Os. einen sehr glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat anschaulich den Vorgang geschildert, wie der Angekl. Carsten seinerzeit mit dem Gefangenen, der einen Kopfverband getragen habe, zu der Wehrmachtsleitstelle in Schmalleningken gekommen sei und um die Aburteilung des Gefangenen durch ein Standgericht gebeten habe, damit dieser erschossen werden könne. Nachdem der Hauptmann der Wehrmachtsleitstelle mit seinem Leutnant und mit ihm den Fall besprochen habe, habe er dem Angekl. Carsten den Gefangenen mit der Erklärung zurückgegeben, für diesen sei das Standgericht nicht zuständig. Auf Grund der glaubhaften Aussagen des Zeugen Os. hat das Schwurgericht festgestellt, dass der Vorgang sich so abgespielt hat, wie der Zeuge ausgesagt hat.

Auf den glaubhaften Aussagen des Zeugen Os. beruht insbesondere auch die Feststellung, dass es sich bei dem Gefangenen um einen Juden gehandelt hat und dass dies auch der Angekl. Carsten gewusst hat. Wie der Zeuge Os. glaubhaft ausgesagt hat, ist der Gefangene an seinen typischen Rassemerkmalen ohne weiteres von jedermann als Jude erkennbar gewesen. Dies hat allerdings der Angekl. Carsten aus naheliegenden Gründen nicht wahrhaben wollen. Nach seinen Behauptungen soll es sich ja nicht um eine Judenerschiessung auf Grund des Säuberungsbefehls, sondern um die Erschiessung eines Heckenschützen gehandelt haben, welcher bereits durch ein Feldgericht zum Tod verurteilt gewesen sei. Aus diesem Grund hat er nach der Ansicht des Gerichts auch geleugnet, dass die Erschiessung dieses Gefangenen auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme an seine Unterführer erfolgt sei und dass er Kenntnis von dieser allgemeinen Ermächtigung gehabt habe. Dass aber der Angekl. Böhme seine Unterführer nach der ersten Erschiessung in Polangen allgemein ermächtigt hat, in Ausführung des Säuberungsbefehls kleinere Gruppen von Juden und Kommunisten in eigener Verantwortung zu erschiessen, ist auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme festgestellt worden, wie oben in den Gründen schon ausgeführt worden ist.

Auf Grund des Vorbringens des Angekl. Harms, er hätte den Angekl. Carsten an den Angekl. Böhme selbst oder an den Angekl. Kreuzmann verwiesen, wenn er bei ihm wegen der Erschiessung des Juden angefragt hätte, hat das Gericht nicht festgestellt, dass der Angekl. Carsten tatsächlich bei ihm angefragt hat, wie dieser behauptet. Da aber der Angekl. Carsten nach den Feststellungen des Gerichts zunächst versucht hat, den Gefangenen durch ein Standgericht aburteilen zu lassen, ist nach der Ansicht des Gerichts die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass er, wie auch festgestellt worden ist, vorsichtshalber vorher bei der Stapo-Stelle Tilsit Rückfrage gehalten hat, obwohl ihm die allgemeine Ermächtigung des Angekl. Böhme bekannt gewesen ist.

Der auf Antrag des Angekl. Carsten in die Hauptverhandlung geladene Zeuge Stu. hat den Angekl. Carsten zu entlasten versucht. Nach seinen Aussagen soll ihm der Angekl. Carsten etwa 6 Wochen nach Beginn des Russlandfeldzugs erzählt haben, er habe von der Wehrmacht einen gefangenen Heckenschützen zum Erschiessen übernommen. An diese Erzählung will sich der Zeuge Stu. wieder erinnert haben, als ihm während des gegen den Angekl. Carsten schwebenden Strafverfahrens dessen Ehefrau mitgeteilt habe, ihr Ehemann befinde sich wegen der Erschiessung eines Heckenschützen in Untersuchungshaft. Andererseits soll aber der Angekl. Carsten diesem Zeugen nach dessen Erinnerung keine Mitteilung von der grossen Judenerschiessung in Georgenburg gemacht haben, obwohl dies viel naheliegender gewesen wäre. Das Schwurgericht hat den Aussagen dieses Zeugen nicht geglaubt, da er einen völlig unglaubwürdigen Eindruck gemacht hat.

Das Gericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Carsten zusammen mit dem Kriminalassistenten Schlegel seiner Dienststelle den von ihm entweder selbst aufgegriffenen oder ihm übergebenen Juden auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme, die dieser in Ausführung des ihm von Dr. Stahlecker gegebenen Säuberungsbefehls seinen Unterführern erteilt hat, jedoch nach vorheriger Rückfrage bei der Stapo-Stelle Tilsit, erschossen hat. Weiterhin ist das Gericht überzeugt, dass der Angekl. Carsten in Kenntnis des Säuberungsbefehls nur deshalb versucht hat, ein Standgerichtsurteil zu erhalten, weil er ein schlechtes Gewissen gehabt hat, den Juden nur wegen seiner Rassezugehörigkeit zu erschiessen.

Im übrigen wird bezüglich der Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, der Teilnahmeform usw. zur Vermeidung von Wiederholungen bezüglich des Angekl. Böhme auf die Ausführungen zum Fall Garsden I und bezüglich des Angekl. Carsten auf die zum Fall Georgenburg I Bezug genommen. Entgegen der Annahme in dem Eröffnungsbeschluss hat dem Angekl. Hersmann eine Mitwirkung bei dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden können.

XIV. Einzelerschiessung zwischen Batakai und Georgenburg

1. Tatsächliche Feststellungen

Am 6. oder 13.7.1941 wurde ein Litauer in einem Waldstück zwischen Batakai (Botoki) und Georgenburg erschossen. An einem der obengenannten Tage unternahm der Angekl. Böhme mit 14 Gestapo-Angehörigen in 2-3 PKWs von dem deutschen Grenzort Laugszargen aus eine Kontrollfahrt in das litauische Grenzgebiet. Unter den Teilnehmern befanden sich der Angekl. Harms sowie der Führer des GPP Laugszargen, Kriminalsekretär Schwarz. Auf dieser Fahrt wurde u.a. auch ein Barackenlager bei dem rd. 25 km von der Grenze entfernten Ort Batakai aufgesucht, wo eine grosse Zahl jüdischer Frauen und Kinder untergebracht war.

Als die Fahrzeugkolonne zwischen Batakai und Georgenburg an einer litauischen Polizeistelle hielt, meldete der dortige litauische Postenführer dem Angekl. Böhme, dass er einen verdächtigen Mann festgenommen habe. Nach kurzer Aussprache zwischen dem Angekl. Böhme und dem litauischen Polizeipostenführer liessen diese den Gefangenen holen. Bei ihm handelte es sich um einen 40-50 Jahre alten Litauer, der einen ziemlich verkommenen Eindruck machte. Er wurde nun von dem Angekl. Böhme, einigen Gestapo-Beamten und einem litauischen Ordnungsdienstmann, welcher einen Spaten trug, zu Fuss zu einem in der Nähe gelegenen Waldstück geführt. Die Wagenkolonne folgte in langsamer Fahrt nach und hielt vor dem Waldstück an. In Ausführung des Säuberungsbefehls liess der Angekl. Böhme in diesem Waldstück den Gefangenen erschiessen. Anschliessend wurde die Kontrollfahrt fortgesetzt.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme erinnert sich zwar, dass an einem der beiden Sonntage vom 6.7. oder 13.7.1941 eine Kontrollfahrt im litauischen Grenzgebiet stattgefunden hat, an welcher u.a. der Angekl. Harms und Kriminalsekretär Schwarz teilgenommen haben und bei welcher auch das Barackenlager aufgesucht worden ist, in welchem jüdische Frauen und Kinder untergebracht gewesen sind. Er will sich aber an die Erschiessung der Einzelperson nicht mehr erinnern, was ihm in Anbetracht der vielen zur damaligen Zeit stattgefundenen Erschiessungen nicht widerlegt werden kann.

Der Angekl. Böhme wird jedoch durch die Angaben des Angekl. Harms überführt, der durchaus glaubhaft im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung den Vorgang geschildert hat. Der Angekl. Harms hat zwar nach seinen Angaben die Erschiessung selbst nicht mit angesehen, diese aber auf Grund der damaligen Gesamtumstände angenommen, zumal der Angekl. Böhme mit den Gestapo-Beamten und dem litauischen Ordnungsdienstmann ohne den Gefangenen wieder aus dem Wald gekommen ist. Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angekl. Böhme den Gefangenen als kommunistisch verdächtige Person auf Grund des ihm erteilten Säuberungsbefehls erschiessen lassen. Der Angekl. Harms hat zwar nach seinen Angaben an dieser Kontrollfahrt teilgenommen. Es hat ihm aber nicht widerlegt werden können, dass er an der Erschiessung nicht beteiligt gewesen ist, weil er während deren Durchführung zusammen mit den restlichen Gestapo-Beamten in dem PKW auf die Rückkehr der andern gewartet hat. Dem Angekl. Kreuzmann hat entgegen der Annahme im Eröffnungsbeschluss eine Teilnahme an dieser Erschiessung nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können. Er hat seine Teilnahme an dieser Fahrt in Abrede gestellt. Da der Angekl. Harms in der Hauptverhandlung entgegen seinen belastenden Angaben im Vorverfahren angegeben hat, er wisse nicht mehr, ob der Angekl. Kreuzmann an dieser Fahrt überhaupt teilgenommen habe, ist eine sichere Feststellung gegen diesen nicht möglich gewesen. Dem Angekl. Hersmann ist im Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 die gleiche Anzahl von Opfern zur Last gelegt wie dem Angekl. Böhme. Eine Beteiligung an der Erschiessung dieser Einzelperson kann dem Angekl. Hersmann jedoch nicht nachgewiesen werden, da er nach den Angaben des Angekl. Harms bei dieser Fahrt nicht dabeigewesen ist.

XV. Wirballen-Kyrbatai

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in der Zeit zwischen dem 11.7.1941 und dem 18.7.1941 sind mindestens 200 Personen, darunter 6-8 Frauen und 1-2 Kinder bei Wirballen-Kyrbatai erschossen worden.

Die litauische Stadt Kyrbatai liegt ostwärts Gumbinnen unmittelbar an der früheren deutsch-litauischen Grenze gegenüber dem früheren deutschen Grenzort Eydtkau. Die litauische Stadt Wirballen liegt rd. 5 km südostwärts von Kyrbatai. In dem deutschen Grenzort Eydtkau befand sich das GPK Eydtkau in Stärke von etwa 18-20 Mann unter der Leitung des Kriminalobersekretärs Tietz, welcher durch Selbstmord aus dem Leben geschieden ist.

In Ausführung des Säuberungsbefehls liess der Angekl. Böhme durch die Angehörigen des GPK Eydtkau in dem obengenannten Zeitraum Juden und Kommunisten in den beiden Städten festnehmen. Durch einen Kriminalkommissar der Stapo Tilsit, vermutlich durch den Zeugen Krumbach, liess er die Erschiessung vorbereiten und die Kommunisten überprüfen. Die Erschiessung war als "Modellfall" für Kriminalobersekretär Tietz gedacht.

Am Erschiessungstag fuhren die Angeklagten Böhme und Hersmann in aller Frühe mit Stapo- und SD-Angehörigen aus Tilsit, deren Zahl nicht bekannt ist, zu dem von Tilsit aus südostwärts gelegenen über 90 km entfernten Kyrbatai ab. Als Erschiessungsgelände war ein von einem Panzergraben durchzogenes Weidegelände bestimmt, welches einige Kilometer von Kyrbatai entfernt lag. Dorthin wurden die Opfer gefahren. Am Erschiessungsplatz waren der Angekl. Böhme mit Gestapo-Angehörigen aus Tilsit, worunter sich die Kriminalkommissare Gerke (Zeuge) und Krumbach (Zeuge) befanden, die Gestapo-Angehörigen des GPK Eydtkau unter der Führung des Kriminalobersekretärs Tietz, der Angekl. Hersmann mit SD-Angehörigen aus Tilsit, darunter die Kraftfahrer Pap. und Ju., sowie litauische Ordnungsleute, welche mit Karabinern bewaffnet waren, anwesend.

Die Opfer bestanden bis auf wenige Kommunisten aus Juden, unter denen sich der jüdische Arzt Karganski sowie 6-8 Frauen und 1-2 Kinder befanden.

Die Opfer mussten einen Graben ausheben, an dem sie später erschossen wurden. Ferner mussten sie ihre Wertsachen abgeben, welche von dem Zeugen Gerke eingesammelt wurden, und mit Ausnahme der Frauen auch die Oberkleidung ausziehen. Die Erschiessung leitete der Angekl. Böhme. Ausser ihm und den Gestapo-Angehörigen wirkten auch die litauischen Ordnungsleute mit. Wie die Opfer erschossen wurden und ob dazu Pistolen oder Karabiner verwendet wurden, konnte nicht näher festgestellt werden.

Nach Beendigung der Erschiessung fand ein gemeinsames Essen statt, das mit dem Geld bezahlt wurde, welches den Opfern zuvor abgenommen worden war.

Über die Zahl der Erschossenen und den Ort der Erschiessung wurde wie üblich seitens der Stapo-Stelle Tilsit und der SD-Stelle Tilsit getrennte Meldung an das RSHA sowie von der Stapo-Stelle Tilsit auch an den Leiter der Einsatzgruppe A erstattet.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen beruhen auf den Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann sowie auf den Aussagen der Zeugen Pap., Ju., Gerke, Krumbach, Fe., Eheleute Ku., Ka. und Ru. Die Angeklagten Böhme und Hersmann haben den äusseren Sachverhalt im wesentlichen zugegeben. Sie haben vor allem zugegeben, dass die Festnahme und Erschiessung der Opfer in Ausführung des ihnen von Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls durchgeführt worden ist. Die Opfer sind durch Angehörige des GPK Eydtkau festgenommen worden, wie auf Grund der Angaben des Angekl. Böhme und der Aussagen der Zeugin Ru. festgestellt worden ist. Ob die Festnahmen und die Vorbereitungen zur Erschiessung unter der Leitung des Kriminalkommissars Krumbach (Zeuge) - was dieser allerdings bestreitet - oder eines anderen Kommissars der Stapo-Stelle Tilsit erfolgt sind, hat nicht geklärt werden können. Vermutlich hat der Zeuge Krumbach die Leitung gehabt, wie der Angekl. Böhme und der Zeuge Gerke angegeben bezw. bekundet haben. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben.

Nach den glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme hat dieser den Fall als "Modellfall" für Kriminalobersekretär Tietz "gebaut", damit dieser künftig in eigener Verantwortung die Säuberungsaktion hat durchführen können.

Die Feststellung hinsichtlich der Abgabe der Wertsachen und der Ablegung der Oberkleider beruht auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen Gerke und Ju.

Bei den widersprechenden Angaben hat nicht geklärt werden können, wie die Erschiessung im einzelnen vor sich gegangen ist und ob dazu Pistolen oder Karabiner verwendet worden sind. Nach der Feststellung des Schwurgerichts sind mindestens 200 Personen erschossen worden. Der Angekl. Böhme schätzt die Anzahl der Erschossenen auf etwa 230 und der Zeuge Gerke auf 2-300 Personen. Dass es sich bei den Opfern mit Ausnahme einiger Kommunisten nur um Juden gehandelt hat, ist auf Grund der Angaben sämtlicher Beteiligter festgestellt worden. Die Feststellung, dass sich unter den Opfern 6-8 Frauen und 1-2 Kinder befunden haben, beruht auf den bestimmten Aussagen des Zeugen Gerke.

Nach den Angaben des Angekl. Böhme habe die Erschiessung vermutlich am 14.7.1941 stattgefunden; denn er könne sich erinnern, dass er am 16.7.1941 zum RSHA nach Berlin gefahren sei. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat die Erschiessung an einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in der Zeit vom 11.7. bis 18.7.1941 stattgefunden. Dies ergibt sich aus den Ereignismeldungen Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i) und Nr.26 vom 18.7.1941 (Bew.St.9l). In der Ereignismeldung vom 9.7.1941 ist angegeben, dass bis zu diesem Zeitpunkt im Stapo- und SD-Abschnitt Tilsit insgesamt 1743 Personen erschossen worden sind. Dies entspricht auch der Gesamtzahl der bis zu diesem Zeitpunkt jeweils unter Angabe der Zahl der Erschossenen und der Erschiessungsorte gemeldeten Einzelerschiessungen. In den späteren Ereignismeldungen sind die Erschiessungsorte und die Zahl der Erschossenen nicht mehr angegeben. Da in der Ereignismeldung vom 18.7.1941 aber berichtet wird, dass nach der Meldung der Stapo-Stelle Tilsit bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 3302 Personen erschossen worden sind, hat nach der Ansicht des Schwurgerichts die Erschiessung nach der Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941, jedoch im Hinblick auf das rasche Anschwellen der Zahl der Erschossenen in dieser kurzen Zeitspanne und die insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme zum Zeitpunkt der Erschiessungen vor dem 18.7.1941 stattgefunden.

XVI. Krottingen (V)
(in der Hauptverhandlung wurde dieser Fall als Krottingen III bezeichnet)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in der Zeit zwischen dem 11.Juli und 18.Juli 1941 wurden auf Veranlassung des Angekl. Böhme im Rahmen der Säuberungsaktion 120 männliche Juden auf dem jüdischen Friedhof in Krottingen durch Gestapo-Angehörige erschossen.

An dieser Erschiessung nahm der Angekl. Böhme mit Stapo-Angehörigen teil, die entweder aus Tilsit oder aus Memel gekommen waren. Näheres ist über die Teilnehmer nicht festzustellen.

Der jüdische Friedhof lag auf einem Hang oberhalb des Flüsschens Danje. Vom jenseitigen Flussufer sah eine erhebliche Menschenmenge auf eine Entfernung von 2-300 m mit Entsetzen und in starres Schweigen gehüllt der Erschiessung zu. Die Sicht war durch Hecken erschwert. Unter den Zuschauern befand sich eine Zeitlang der aus Memel stammende und mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Zeuge T., welcher damals zu einer Feldeisenbahnabteilung eingezogen war. Dieser Zeuge war an diesem Tag dienstlich in Krottingen. Als er wiederholt Schüsse vernahm, die sich wie unregelmässige Salven anhörten, frug er einen des Weges kommenden und ihm vom Sehen bekannten früheren litauischen Kriminalbeamten, was denn los sei. Dieser sah ihn ungläubig an und sagte dann lächelnd: "Sie wissen das nicht? Heute werden Juden erschossen." Auf die weitere Frage des Zeugen T., wieviel Juden und wo sie erschossen werden, erwiderte der Litauer: "120 Mann und zwar auf dem jüdischen Friedhof." Daraufhin liess sich der Zeuge T. sofort an eine Stelle am Flussufer fahren, von welcher er, wie er wusste, eine Sicht zum jüdischen Friedhof hatte. Er konnte jedoch wegen der Hecken die einzelnen Vorgänge nicht erkennen, sondern nur sich bewegende Gestalten sehen.

Während dieser Erschiessung wollte ein stämmiger Jude flüchten. Er wurde jedoch sofort ergriffen. Zur Strafe musste er auf Veranlassung des Angekl. Böhme die unregelmässig in den Erschiessungsgraben gefallenen Leichen einschichten; er wurde ganz am Schluss ebenfalls erschossen.

Diese Erschiessung wurde wie üblich unter Angabe der Zahl der Opfer und des Ortes an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, gemeldet.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme will sich an diese Erschiessung nicht erinnern und an ihr auch nicht teilgenommen haben. Er wird jedoch durch die glaubhaften Aussagen des Zeugen T. überführt. Der Zeuge T. hat nach seinen glaubhaften Bekundungen am Erschiessungstag von einem Litauer in Krottingen erfahren, dass 120 Juden auf dem jüdischen Friedhof erschossen werden und hat eine Zeitlang dieser Erschiessung aus 2-300 m Entfernung zugesehen, ohne allerdings Einzelheiten erkennen zu können. Derselbe Zeuge hat im Spätherbst oder im Dezember 1941 nach seinen Bekundungen kurze Zeit bei dem stellvertretenden Bürgermeister von Krottingen gewohnt und von diesem sich die Zahl der Opfer und die Namen der Teilnehmer an dieser Erschiessung angeben lassen, wobei er von den Namen der Teilnehmer nur noch den des Angekl. Böhme als des damaligen Leiters der Erschiessung im Gedächtnis behalten hat. Von dem stellvertretenden Chef der Bahnpolizei in Krottingen, welcher nach seinen Erzählungen damals offenbar ebenfalls an dieser Erschiessung teilgenommen hat, hat der Zeuge T. nach seinen Bekundungen ebenfalls die Namen der Teilnehmer, so auch den des Angekl. Böhme, erfahren und den Vorgang mit dem stämmigen Juden in anschaulicher Schilderung erzählt bekommen. Schliesslich hat der Zeuge T., wie er glaubhaft ausgesagt hat, unter Angabe der Namen der Teilnehmer an dieser Erschiessung und an einer später stattgefundenen Erschiessung jüdischer Frauen und Kinder einem Bekannten bei der Feldkommandantur in Schaulen schriftlich berichtet. Dass auf dem jüdischen Friedhof in Krottingen Erschiessungen stattgefunden haben und zwar wiederholt, wird von den Zeugen Na. und Lis. bestätigt.

Bezüglich des Zeitpunkts der Erschiessung sagt der Zeuge T. aus, dass sie Ende Juni / Anfang Juli 1941 stattgefunden habe. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat die Erschiessung in dem Zeitraum vom 11.7.1941 bis zum 18.7.1941 stattgefunden. Diese Erschiessung ist nämlich in den Ereignismeldungen UdSSR bis zum 11.Juli 1941 nicht aufgeführt, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt, später jedoch nicht mehr, jeweils die Erschiessungszahlen und die Erschiessungsorte genannt sind. Sie ist daher auch nicht in der in der Ereignismeldung UdSSR Nr.19 vom 11.7.1941 (Bew.St.9i) genannten Gesamtzahl von 1743 Personen, die bis zu diesem Zeitpunkt erschossen worden sind, enthalten. In der Ereignismeldung Nr.26 vom 18.7.1941 (Bew.St.9l) wird berichtet: "Stapoleit Tilsit meldet, dass sie bisher bei der Säuberungsaktion jenseits der ehemaligen sowjetrussisch-litauischen Grenze insgesamt 3302 Personen liquidiert hat." Demnach sind in der Zwischenzeit vom 11.7.1941 bis 18.7.1941, also binnen 7 Tagen, weitere 1559 Personen erschossen worden. Hierunter befinden sich nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch die 120 Juden. Das Schwurgericht ist daher überzeugt, dass der Angekl. Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls in der Zeit vom 11.7. bis 18.7.1941 weitere 120 männliche Juden auf dem jüdischen Friedhof in Krottingen hat erschiessen lassen und dass auch über diese Erschiessung in üblicher Weise an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, berichtet worden ist.

Der Angekl. Hersmann, welchem im Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 die Erschiessung der gleichen Anzahl von Opfern zur Last gelegt ist wie dem Angekl. Böhme, kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden. Auch dem Angekl. Lukys kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden.

XVII. Vevirzeniai (I)

1. Tatsächliche Feststellungen

Im Juli 1941, jedoch nach dem 11.Juli 1941, wurden in der kleinen litauischen Grenzstadt Vevirzeniai mindestens 50 jüdische Männer erschossen.

Die zum Kreis Krottingen gehörende kleine Stadt Vevirzeniai liegt rd. 35 km südostwärts Memel.

Die Erschiessung führte das GPK Memel unter der Leitung von Dr. Frohwann auf Grund der allgemeinen Ermächtigung durch, die ihm der Angekl. Böhme nach der Erschiessung in Polangen I in Ausführung des ihm von Dr. Stahlecker gegebenen Säuberungsbefehls erteilt hatte. Näheres ist über diese Erschiessung nicht bekannt.

Wie üblich wurde von der Stapo Tilsit über diese Erschiessung unter Angabe des Erschiessungsorts und der Zahl der Opfer an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, gemeldet.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme hat unwiderlegbar angegeben, dass er sich an diese Erschiessung nicht erinnern könne, dass er aber für sie verantwortlich sei, weil sie wohl durch das GPK Memel auf Grund der allgemeinen Ermächtigung erfolgt sei, welche er nach der Erschiessung in Polangen Dr. Frohwann im Rahmen des Säuberungsbefehls erteilt habe.

Ausser dem Angekl. Böhme hat keinem der Angeklagten eine Beteiligung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden können, insbesondere auch nicht den Angeklagten Hersmann und Fischer-Schweder.

Nach den Aussagen des Zeugen Sch. soll zwar an dieser Erschiessung auch ein Schupo-Kommando aus Memel unter Leitung des Oberleutnants Sander teilgenommen haben. Hieraus würde sich eine Beteiligung des Angekl. Fischer-Schweder durch Abstellung dieses Schupo-Kommandos ergeben. Da der Zeuge Sch. sein Wissen aber nur aus Erzählungen Dritter hat und sonstige Anhaltspunkte für eine Teilnahme eines Schupo-Kommandos aus Memel an dieser Erschiessung fehlen, hat das Schwurgericht Bedenken für die Feststellung gehabt, dass tatsächlich ein Schupo-Kommando aus Memel beteiligt gewesen ist.

Die genaue Zahl der Opfer hat nicht festgestellt werden können. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind aber mindestens 50 jüdische Männer erschossen worden. Dies ergibt sich aus den späteren Feststellungen des Schwurgerichts, dass zu einem späteren Zeitpunkt mindestens 100 jüdische Frauen und Kinder von Vevirzeniai erschossen worden sind, und dem Verhältnis der Zahl der erschossenen jüdischen Männer zur Zahl der erschossenen jüdischen Frauen und Kinder, das sich anhand der verschiedenen Erschiessungen jeweils ergab.

Nach den Aussagen des Zeugen Us. sollen die jüdischen Männer schon wenige Tage nach Beginn des Russlandfeldzugs erschossen worden sein. Der Zeuge Us. hat bei Beginn des Russlandfeldzugs in Vevirzeniai als Dentist gewohnt und ist von den deutschen Truppen als Bürgermeister eingesetzt worden. Dieser Zeuge hat auf das Gericht einen durchaus glaubwürdigen Eindruck gemacht. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Erschiessung der 50 jüdischen Männer irrt er sich jedoch nach der Ansicht des Schwurgerichts; denn diese Erschiessung ist in den Ereignismeldungen UdSSR bis zum 11.7.1941 einschliesslich namentlich und zahlenmässig nicht aufgeführt, was aber bis zu diesem Zeitpunkt nach den früheren Ausführungen in den Gründen immer der Fall gewesen ist. Die Erschiessung hat daher nach der Feststellung des Gerichts nach dem 11.Juli 1941 stattgefunden.

XVIII. Wilkowischken

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in der Zeit vom 16.Juli bis Ende Juli 1941 wurden in der litauischen Stadt Wilkowischken mindestens 120 männliche Juden erschossen.

Die Stadt Wilkowischken liegt rd. 20 km ostwärts des früheren deutschen Grenzorts Eydtkau. In Eydtkau befand sich, wie schon ausgeführt, ein GPK in Stärke von 18-20 Mann unter der Leitung des Kriminalobersekretärs Tietz.

Im Rahmen des Säuberungsbefehls liess der Angekl. Böhme die Juden durch das GPK Eydtkau festnehmen. Die Erschiessung fand im Kasernengelände von Wilkowischken in Gegenwart der Angeklagten Böhme und Hersmann durch Angehörige der Stapo und des SD Tilsit und des GPK Eydtkau unter Mitwirkung der litauischen Polizei statt.

Von den Angehörigen der Stapo Tilsit war u.a. der Zeuge Krumbach vom Angekl. Böhme zu der Erschiessung befohlen. Vor ihrer Erschiessung mussten die Opfer zuerst ihre Wertsachen abgeben und einen Graben ausheben. Daraufhin wurden sie durch Karabinerschüsse getötet. Näheres ist hierüber nicht bekannt. Die Stapo und der SD meldeten wie üblich diese Erschiessung getrennt an das RSHA und die Stapo Tilsit ausserdem noch an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker. In den Ereignismeldungen UdSSR wurde diese Erschiessung nicht besonders genannt.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen beruhen auf den Angaben der Angeklagten Böhme und Hersmann und den Aussagen der Zeugen Krumbach, Bal., Ce., eines früheren Bäckers aus Wilkowischken, und Ka., welcher zur Erschiessungszeit in dem 18 km südlich von Wilkowischken gelegenen Ort Karalkreslis gewohnt hat.

Der Angekl. Böhme will bei dieser Erschiessung nicht anwesend gewesen sein; er will vielmehr den Angekl. Hersmann mit deren Leitung beauftragt haben.

Der Angekl. Hersmann gibt seine Anwesenheit zu; er weiss aber nicht mehr, ob der Angekl. Böhme ebenfalls anwesend gewesen ist oder ob der Angekl. Böhme ihn mit der Durchführung beauftragt hat.

Auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach hat das Gericht festgestellt, dass der Angekl. Böhme dieser Erschiessung tatsächlich beigewohnt hat. Der Zeuge Krumbach hat glaubhaft angegeben, er sei damals mit dem Angekl. Böhme von Tilsit aus im gleichen PKW nach Wilkowischken gefahren. Über die Teilnahme weiterer Angeklagter mit Ausnahme der Angekl. Böhme und Hersmann ist nichts bekannt.

Über die Anzahl der Opfer gehen die Aussagen auseinander. In den Ereignismeldungen UdSSR ist darüber nichts enthalten. Der Angekl. Böhme hat in der Hauptverhandlung keine näheren Angaben über die Zahl der Opfer gemacht, während er im Vorverfahren ihre Zahl auf 200 angegeben hat. Der Zeuge Krumbach meint, dass in Wilkowischken mehr Personen als in Polangen I (111 Personen), aber weniger als in Krottingen I (214) erschossen worden seien. Das Schwurgericht hat festgestellt, dass mindestens 120 Personen erschossen worden sind.

XIX. Polangen (II)
(in der Hauptverhandlung als Polangen III bezeichnet)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag Ende Juli 1941 wurde ein litauisches Ehepaar aus Polangen, welches kommunistischer Umtriebe verdächtig war, zwischen Polangen und Nimmersatt erschossen.

An diesem Tag suchte der Zeuge Mo. wie fast täglich zur damaligen Zeit auf einer Inspektionsfahrt im litauischen Grenzgebiet den Angekl. Lukys in Krottingen auf. Der Angekl. Lukys meldete ihm, dass ein kommunistenverdächtiges Ehepaar zu erschiessen sei, welches sich im Arrest in Polangen befinde. Dieses Ehepaar war vom Angekl. Lukys auf Grund der ihm durch den Angekl. Böhme am 26.6.1941 erteilten Anweisung festgenommen worden, dass sämtliche Juden und Kommunisten in dem Grenzstreifen zu erfassen und zu erschiessen seien. Der Zeuge Mo. fuhr mit dem Angekl. Lukys und einem litauischen Ordnungsdienstmann nach Polangen. Dort besorgte der Angekl. Lukys einen LKW. Das litauische Ehepaar wurde aus dem Gefängnis geholt und auf den LKW verladen. Der Angekl. Lukys fuhr anschliessend mit dem gefangenen Ehepaar und dem litauischen Ordnungsdienstmann in dem LKW zu der vorbereiteten Erschiessungsstätte im Dünengelände zwischen Polangen und Nimmersatt. Der Zeuge Mo. folgte in seinem PKW. Bei ihrer Ankunft war das Grab schon ausgehoben. An der Erschiessungsstätte teilte der Angekl. Lukys den Eheleuten mit, dass sie jetzt erschossen werden. Seiner Aufforderung, voneinander Abschied zu nehmen, kamen sie nicht nach. Daraufhin liess der Angekl. Lukys in Gegenwart und unter Aufsicht des Zeugen Mo. die Eheleute nebeneinander im Grab niederknien und tötete zunächst die Ehefrau und anschliessend den Ehemann durch Pistolenschüsse ins Genick. Die Erschiessung erfolgte auf Grund der allgemeinen Ermächtigung, welche der Angekl. Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls nach der Erschiessung in Polangen I seinen Unterführern gegeben hatte. Den Vollzug der Erschiessung meldete der Zeuge Mo. auf dem Dienstweg über das GPK Memel an die Stapo-Stelle Tilsit. Von dort aus wurde wie üblich die Erschiessung an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, berichtet. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders genannt.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme hat unwiderlegbar angegeben, er wisse zwar von dieser Erschiessung nichts, trage aber hiefür die Verantwortung, da die Erschiessung jedenfalls auf Grund der von ihm im Rahmen des Säuberungsbefehls den Leitern der GPKs und den Führern der GPP erteilten allgemeinen Ermächtigung erfolgt sei.

Der Angekl. Lukys hat wie in allen ihm zur Last gelegten Fällen geleugnet. Er hat behauptet, er habe das Ehepaar nicht eingesperrt und habe mit der Erschiessung auch nichts zu tun. Der Zeuge Mo. sei unglaubwürdig.

Das Schwurgericht hat dem Angekl. Lukys jedoch nicht geglaubt; er ist durch die Aussagen des Zeugen Mo. überführt. Das Schwurgericht ist sich dabei bewusst gewesen, dass die Aussagen des Zeugen Mo. vorsichtig zu werten sind, weil er selbst der Teilnahme an dieser Erschiessung und an verschiedenen anderen dringend verdächtig ist. Auf Grund der eingehenden Vernehmung des Zeugen Mo. hat das Gericht von ihm aber nicht den Eindruck gewonnen, dass er etwa wider besseres Wissen oder auch nur leichtfertig den Angekl. Lukys belastet hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird bezüglich der Glaubwürdigkeit des Zeugen Mo. auf die Ausführungen in den Urteilsgründen zum Fall Krottingen III Bezug genommen. Auf Grund der Aussagen des Zeugen Mo. in der Hauptverhandlung wurde entgegen der Annahme im Eröffnungsbeschluss die Erschiessungszeit auf Ende Juli 1941 festgestellt. Das Schwurgericht hält daher für erwiesen, dass Ende Juli 1941 ein litauisches Ehepaar aus Polangen wegen des Verdachts kommunistischer Umtriebe durch den Angekl. Lukys auf Grund der ihm am 26.6.1941 durch den Angekl. Böhme in Ausführung der auf Grund des Säuberungsbefehls erteilten Anweisung festgenommen worden ist, und hält weiterhin für erwiesen, dass dieses Ehepaar im Dünengelände zwischen Polangen und Nimmersatt durch den Angekl. Lukys im Beisein und unter Aufsicht des Zeugen Mo. auf Grund der allgemeinen Ermächtigung getötet worden ist, welche der Angekl. Böhme seinen Unterführern im Rahmen des Säuberungsbefehls gegeben hatte.

Im übrigen haben die Angeklagten Böhme und Lukys bezw. deren Verteidiger das gleiche geltend gemacht wie in den übrigen Fällen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, ihrer Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der ausweglosen Zwangslage bezüglich des Angekl. Böhme auf die Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen zu den Fällen Garsden I und Krottingen I und bezüglich des Angekl. Lukys auf die in den Gründen zu dem Fall Krottingen I Bezug genommen. Dem Angekl. Hersmann kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden.

XX. Erschiessung des ehemaligen litauischen Krim.Kommissars Gewildis bei Krottingen

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in den Monaten Juli/August 1941 wurde der ehemalige litauische Kriminalkommissar Gewildis von dem Angeklagten Behrendt und dem Angehörigen des GPK Memel, Motzkus, nördlich von Memel auf litauischem Boden in einer Kiesgrube erschossen. Gewildis war vor der Rückgliederung des Memellandes an Deutschland im Jahr 1939 stellvertretender Chef der litauischen Sicherheitspolizei in Memel. Obwohl er von Geburt selbst Deutscher war, war er im ganzen Memelland als Deutschenhasser bekannt und stand in dem schlechten Ruf, seine eigenen Landsleute übel misshandelt und denunziert zu haben. Nach der Rückgliederung des Memellands an Deutschland begab er sich nach Litauen, wo er bei dem Einmarsch der Russen von diesen wegen seiner Zugehörigkeit zur litauischen Polizei verhaftet wurde. Er kam entweder im Wege der deutsch-litauischen Umsiedlungsaktion anfangs des Jahres 1941 oder erst nach Beginn des Russlandfeldzugs im Sommer 1941 nach Ostpreussen zurück und nahm bei seiner Mutter in Memel Wohnung.

Im Auftrag von Dr. Frohwann, des Leiters des GPK Memel, nahm der Angeklagte Behrendt Gewildis im Juli/August 1941 in Memel fest und führte die Ermittlungen gegen ihn durch. Den Ermittlungsbericht legte er Dr. Frohwann vor, welcher ihn an die Stapo-Stelle Tilsit weiterleitete. Auf die Rückfrage der Stapo-Stelle Tilsit beim RSHA kam von dort der Befehl, Gewildis zu liquidieren. Diesen Liquidierungsbefehl gab die Stapo-Stelle Tilsit fernschriftlich an das GPK Memel weiter. Von Dr. Frohwann erhielt der Angekl. Behrendt sodann den Auftrag, zusammen mit Kriminalsekretär Motzkus vom GPK Memel den im Gefängnis in Memel einsitzenden Gewildis im Kraftwagen in das litauische Grenzgebiet zu fahren und ihn dort zu erschiessen, wobei ihm die nähere Auswahl der Erschiessungsstelle überlassen blieb. Der Angekl. Behrendt und Kriminalsekretär Motzkus fuhren mit dem gefesselten Gewildis in einem von dem Gestapo-Angehörigen Bussat gelenkten PKW zu einem von dem Angekl. Behrendt zuvor ausgesuchten Steinbruch, der sich in einem Wald in der Gegend von Litauisch Krottingen befand. Der Angekl. Behrendt und Kriminalsekretär Motzkus wussten, dass Gewildis nicht auf Grund eines vorausgegangenen gerichtlichen Verfahrens zum Tod verurteilt worden war. Sie waren sich der Rechtswidrigkeit der Erschiessungshandlung bewusst und haben den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls erkannt.

Mit einem mitgebrachten Spaten hoben die Angekl. Behrendt und Motzkus in gegenseitiger Ablösung ein Grab aus. Dann musste sich Gewildis mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen, worauf ihm zunächst Motzkus und dann der Angekl. Behrendt einen Genickschuss aus ihren Pistolen gaben.

Der Vollzug der Erschiessung wurde von der Stapo-Stelle Tilsit an das RSHA gemeldet.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Böhme hat angegeben, er könne sich an diesen Fall nicht erinnern, es müsse sich um einen von dem RSHA angeordneten Sonderfall handeln, der mit der von Dr. Stahlecker befohlenen Säuberungsaktion bezw. mit seiner den Unterführern im Rahmen des Säuberungsbefehls gegebenen allgemeinen Ermächtigung nichts zu tun habe. Dies ist ihm nicht zu widerlegen gewesen. Das Schwurgericht ist überzeugt, dass das RSHA die Anordnung zu der Erschiessung des Gewildis als Sonderbefehl der Stapo Tilsit gegeben hat. Es ist durchaus möglich, dass der Angekl. Böhme von diesem Befehl des RSHA überhaupt keine Kenntnis gehabt hat oder dass er sie erst nach der Erschiessung erhalten hat. Es ist sehr wohl möglich, dass der Befehl vom RSHA in Abwesenheit des Angekl. Böhme bei der Stapo Tilsit eingegangen ist und dass dann entweder der Angekl. Kreuzmann der Abt. II oder ein anderer Kriminalkommissar diesen Befehl direkt an das GPK Memel zum Vollzug weitergeleitet hat. Dem Angekl. Böhme ist daher eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachzuweisen. Der Angekl. Behrendt hat glaubhaft angegeben, dass er auf Anordnung von Dr. Frohwann Gewildis festgenommen und die notwendigen Ermittlungen gegen ihn durchgeführt habe. Er hat weiterhin unwiderlegbar angegeben, Dr. Frohwann habe ihm das Fernschreiben der Stapo Tilsit gezeigt, in welchem die Erschiessung des Gewildis angeordnet gewesen sei und er habe ihm und Kriminalsekretär Motzkus den Befehl erteilt, Gewildis auf litauischem Boden zu erschiessen. Auf seinen unwiderlegbaren Angaben beruht weiterhin die Feststellung, dass er zusammen mit Motzkus Gewildis in einer Steingrube auf litauischem Boden durch Genickschüsse getötet hat, wobei zunächst Motzkus und anschliessend er einen Genickschuss abgegeben haben. Auch die Zeugen Sc. und Mo. haben bekundet, dass sie davon gehört haben, der Angekl. Behrendt habe Gewildis erschossen. Für die an und für sich unwahrscheinliche Behauptung des Angekl. Lukys, er habe gehört, der Angekl. Behrendt habe Gewildis auf der Treppe der Polizeidirektion in Memel erschossen, fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Der Angekl. Behrendt hat sich damit verteidigt, er habe geglaubt, die Erschiessung gehe in Ordnung, da Gewildis die Deutschen im Memelland in übler Weise verfolgt und misshandelt habe. Dass Gewildis ein Deutschenhasser gewesen ist, die Memeldeutschen verfolgt und übel misshandelt hat, ist auch auf Grund der Aussagen der Zeugen Su., Ste., Sc., Me., Mo. und L. festzustellen. Die Behauptung des Angekl. Behrendt jedoch, er habe geglaubt, der Erschiessungsbefehl gehe in Ordnung und er habe dessen verbrecherischen Zweck nicht erkannt, ist nach der Überzeugung des Schwurgerichts ein leeres Schutzvorbringen. Der Befehl des RSHA, Gewildis ohne gerichtliches Verfahren zu erschiessen, ist rechtswidrig gewesen, da er mit den ureigensten Grundrechten der Menschen nicht vereinbar ist. Der Angekl. Behrendt hat in der Hauptverhandlung selbst angegeben, er habe gewusst, dass Gewildis nicht auf Grund eines vorausgegangenen gerichtlichen Verfahrens zum Tod verurteilt worden sei. Er ist sich also, wie das Schwurgericht feststellt, darüber im klaren gewesen, dass die vom RSHA befohlene Tötung des Gewildis ohne vorausgegangenes gerichtliches Verfahren jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, da, wie der Angekl. Behrendt nach der Überzeugung des Gerichts gewusst hat, nur ein gerichtliches Verfahren die Gewähr für eine genaue Untersuchung, für eine ausreichende Verteidigung, für ein rechtliches Gehör und für ein objektives Urteil eines befehlsunabhängigen Gerichts gegeben hätte.

Dagegen hat das Schwurgericht im Hinblick auf die schlechte Qualifizierung des Opfers Bedenken für die Feststellung gehabt, dass der oder die Befehlsgeber im RSHA aus niedrigen Beweggründen den Erschiessungsbefehl gegeben haben, bezw. dass ihr Vorsatz eine besondere Verwerflichkeit umfasst hat. Bei dem Angekl. Behrendt ist dabei noch zu berücksichtigen, dass gerade er auf Grund seiner Ermittlungstätigkeit die Schandtaten des Gewildis näher erfahren hat und sich nach der Ansicht des Schwurgerichts gar nicht bewusst gewesen ist, dass der oder die Befehlsgeber aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben könnten, selbst wenn deren Vorsatz eine besondere Verwerflichkeit in ihren tatsächlichen Voraussetzungen erfasst hätte.

Zu seiner Verteidigung hat der Angekl. Behrendt weiterhin geltend gemacht, nicht er, sondern Motzkus habe den tödlichen Schuss auf Gewildis abgegeben. Er habe nur noch vorsichtshalber einen Nachschuss gegeben. Aus dem ganzen Erscheinungsbild ergibt sich jedoch zwingend die innere Einstellung des Angekl. Behrendt zur Tat. Er hat nach der Feststellung des Schwurgerichts in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaftlich mit Motzkus Gewildis töten wollen und getötet, wie es ihm Dr. Frohwann befohlen hatte.

Weiterhin hat der Angekl. Behrendt zu seiner Verteidigung geltend gemacht, er habe keinesfalls als Mittäter, sondern allenfalls nur als Gehilfe gehandelt. Nach der Feststellung des Gerichts hat er jedenfalls auf Befehl gehandelt. Wenn auch grundsätzlich beim Befohlenen die Vermutung für eine Gehilfenschaft spricht, so wäre immerhin denkbar, dass der Angekl. Behrendt als Memelländer und auf Grund seiner Ermittlungstätigkeit gegen Gewildis so eingestellt gewesen wäre, dass er sich in dieser Einstellung zu Gewildis völlig einig mit dem Erschiessungsbefehl gefühlt und als Mittäter gehandelt hätte. Nach der Feststellung des Schwurgerichts lässt jedoch die Gesamthaltung des Angekl. Behrendt nur auf ein williges Werkzeug schliessen, das die Tat der Befehlenden nur hat unterstützen wollen.

Das weitere Vorbringen des Angekl. Behrendt, er habe an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt und habe sich in einem ausweglosen Nötigungsstand befunden, ist ihm nicht geglaubt worden. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen in den Urteilsgründen zum Fall Garsden I Bezug genommen.

Dem Angekl. Hersmann kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden.

XXI. Polangen (III)
(in der Hauptverhandlung wurde dieser Fall als Polangen II bezeichnet)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im August 1941 wurden im Dünengelände von Polangen mindestens 60 litauische Kommunisten, darunter 3-5 Frauen, erschossen.

Die Opfer waren in Durchführung der Säuberungsaktion festgenommen und in dem etwa 8 km nördlich der Stadt Krottingen gelegenen Arbeitslager Dimitrava untergebracht worden. Durch wen die Festnahmen erfolgt sind, ist nicht bekannt. Eine Namensliste der Opfer bekam der Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, von dem Führer des GPP Bajohren, dem Zeugen Mo., ausgehändigt.

Der Erschiessungstermin wurde von Dr. Frohwann auf Grund der allgemeinen Ermächtigung angesetzt, die der Angeklagte Böhme im Rahmen der Säuberungsaktion seinen Unterführern erteilt hatte. Näheres über die Erschiessung vereinbarte Dr. Frohwann auch mit dem Angekl. Lukys. Als Erschiessungsstätte war eine Stelle im Dünengelände bei Polangen vorgesehen. Vom GPK Memel und vom GPP Bajohren wurden insgesamt 20-25 Gestapo-Beamte, darunter auch der Angekl. Behrendt, als Teilnehmer für die Erschiessung abkommandiert.

Das Erschiessungskommando wurde am Schlagbaum zwischen Bajohren und Polangen von dem Angekl. Lukys und etwa 5 nicht uniformierten litauischen Polizeibeamten erwartet. Auf die Erklärung des Angekl. Lukys, es handle sich bei den Gefangenen um gefährliche Kommunisten, wurde er von Dr. Frohwann angewiesen, die Gefangenen mit Draht zu fesseln und sie mit Lastkraftwagen von Dimitrava abzuholen und zur Erschiessungsstätte zu fahren. Der Angekl. Lukys fuhr daraufhin mit seinen litauischen Polizeibeamten und mit den Gestapo-Beamten Pohl, Motzkus und Birkenbach in einem oder in 2 Lastkraftwagen zum Lager Dimitrava. Die andern Gestapo-Beamten begaben sich zu der vorgesehenen Erschiessungsstätte, wo sie bis zur Ankunft der Gefangenen einen Graben aushoben.

Obwohl jeweils 2 Gefangene mit schwarzem Isolierdraht, den der Angekl. Lukys besorgt hatte, aneinandergefesselt waren, und obwohl weiterhin der Lastkraftwagen oder die beiden Lastkraftwagen mit Zeltbahnen bedeckt waren, gelang es doch 2 der insgesamt 62 Gefangenen, während der Fahrt vom LKW abzuspringen und zu flüchten. Ihre Flucht meldete der Angekl. Lukys Dr. Frohwann bei der Ankunft des Gefangenentransports an der Erschiessungsstätte.

Bei der Erschiessungsstätte wurden jeweils 2 aneinandergefesselte Opfer an den Graben geführt und dort von Gestapo-Beamten durch Genickschüsse getötet. Der Angekl. Behrendt war zur Bewachung der Gefangenen bei dem in der Nähe des Erschiessungsgrabens haltenden LKW eingeteilt. Der Angekl. Lukys wirkte mit seinen Leuten ebenfalls bei der Bewachung der Gefangenen mit.

Der Vollzug der Erschiessung wurde unter Angabe der Zahl der Erschossenen und des Erschiessungsorts über die Stapo Tilsit an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, gemeldet. In den Ereignismeldungen UdSSR wurde über diese Erschiessung jedoch nichts besonderes berichtet.

2. Beweiswürdigung

Eine Beteiligung an dieser Erschiessung ist nur den Angekl. Böhme, Behrendt und Lukys, jedoch nicht dem Angekl. Hersmann nachzuweisen.

Der Angekl. Böhme hat unwiderlegbar angegeben, er könne sich an diese Erschiessung nicht mehr erinnern, sie sei aber jedenfalls auf Grund der von ihm seinen Unterführern im Rahmen des Säuberungsbefehls erteilten allgemeinen Ermächtigung erfolgt. Er hat weiterhin angegeben, er vermute, dass der Angekl. Lukys durch das GPK Memel eingeschaltet gewesen sei, mit der er ja immer zusammengearbeitet habe.

Der Angekl. Behrendt hat seine Beteiligung an dieser Erschiessung ebenfalls zugegeben. Auf seinen nicht widerlegbaren Angaben beruht die Feststellung, dass er an der Erschiessungsstätte die Gefangenen bewacht hat.

Der Angekl. Lukys hat wie immer seine Beteiligung auch an dieser Erschiessung geleugnet. Er hat behauptet, er habe weder die 60 Kommunisten festgenommen, noch bei ihrer Erschiessung dadurch mitgewirkt, dass er sie gefesselt in einem LKW zu der Erschiessungsstätte habe fahren lassen. Er hat weiterhin behauptet, er habe bis Herbst 1941 etwa 20 Kommunisten festgenommen, diese aber im Gefängnis in Krottingen festgehalten. Diese Gefangenen seien von Dr. Frohwann abgeholt und in Richtung Polangen weggefahren worden, wo sie im Dünengelände erschossen worden seien. Unterwegs seien 6 Gefangene geflüchtet. Weiterhin hat er behauptet, er habe gar keinen Grund zur Unterbringung seiner Gefangenen im Arbeitslager Dimitrava gehabt, da die Haftanstalt in Krottingen über 50 Gefangene habe aufnehmen können. Schliesslich hat er noch behauptet, der Angekl. Behrendt sei unglaubwürdig und er verwechsle zweifellos diese Erschiessung mit einer erst in den Jahren 1943 oder 1944 stattgefundenen Erschiessung.

Es ist zwar wahrscheinlich, dass die 60 Gefangenen von dem Angekl. Lukys und seinen Leuten auf Grund der ihm am 26.6.1941 von dem Angekl. Böhme erteilten Anweisung festgenommen und in dem Arbeitslager Dimitrava inhaftiert worden sind. Nach den Bekundungen der Zeugen Dr. Ra., ab September 1941 litauischer Sicherheitspolizeichef in Raseiniai, und Gew., ab Sommer 1941 Gebietskommissar in Schaulen, hat nämlich der Angeklagte Lukys sehr wohl die Möglichkeit gehabt, Gefangene in das Arbeitslager Dimitrava einzuweisen, und er hat auch nach den Angaben des Angekl. Behrendt dort Gefangene untergebracht. Der Zeuge Mo. hat ausgesagt, er habe mit dem Angekl. Lukys wiederholt das Arbeitslager Dimitrava aufgesucht. Weiterhin hat der Angekl. Behrendt glaubhaft angegeben, er sei zufällig dazugekommen, wie der Zeuge Mo. im Dienstzimmer von Dr. Frohwann in Memel anhand einer Namensliste über die Erschiessung der gefangenen Kommunisten gesprochen habe, wobei der Name des Angekl. Lukys gefallen sei. Der Zeuge Mo. hält diesen Vorgang für durchaus möglich, weiss aber nicht mehr, von wem er die Namensliste erhalten hat. Er hat die Möglichkeit offen gelassen, dass diese Namensliste gelegentlich der Absetzung des früheren Leiters des Arbeitslagers Dimitrava angefertigt und ihm übergeben worden ist.

Das Schwurgericht hat daher nicht mit genügender Sicherheit für erwiesen erachtet, dass die fraglichen 60 Gefangenen durch den Angekl. Lukys festgenommen worden sind.

Im übrigen hat das Schwurgericht keine Veranlassung gehabt, die Richtigkeit der den Angekl. Lukys belastenden Angaben des Angekl. Behrendt zu bezweifeln. Zunächst darf bemerkt werden, dass die Mitwirkung des Angekl. Lukys bei den Säuberungsmassnahmen zu seinem Wirkungskreis gehört hat. Nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen ist der Angekl. Lukys im August 1941 Sicherheitspolizeichef von Krottingen gewesen und ist schon am 26.6.1941 von dem Angekl. Böhme mit den Sondermassnahmen im Grenzstreifen bekannt gemacht und zur Mitwirkung angewiesen worden. Der Angekl. Behrendt hat anschaulich und durchaus glaubhaft geschildert, dass ihr Erschiessungskommando von dem Angekl. Lukys und etwa 5 seiner Polizisten in Zivil am Schlagbaum zwischen Bajohren und Polangen erwartet worden sei. Als der Angekl. Lukys Dr. Frohwann gesagt habe, bei den Gefangenen handle es sich um gefährliche Kommunisten, sei der Angekl. Lukys von Dr. Frohwann angewiesen worden, Draht zu besorgen, die Gefangenen damit zu fesseln und sie an die Erschiessungsstätte zu fahren. Gleichzeitig habe Dr. Frohwann zur Bewachung der Gefangenen die 3 Gestapo-Beamten Pohl, Motzkus und Birkenbach mitgegeben. Weiterhin hat der Angekl. Behrendt angegeben, er wisse nicht mehr, ob die Gefangenen mit einem Lastkraftwagen in 2 Fahrten oder mit 2 Lastkraftwagen in einer Fahrt geholt worden seien. Das Gericht hat es daher offen gelassen, ob die Gefangenen mit einem oder mit 2 Lastkraftwagen aus dem Lager abgeholt worden sind. Bei dem sehr guten Erinnerungsvermögen des Angekl. Behrendt, der sich nicht bloss in diesem Fall, sondern auch in anderen Fällen an alle
Einzelheiten hat erinnern können, hält das Schwurgericht es für ausgeschlossen, dass er sich in seinen Angaben getäuscht hat.

Der von dem Angekl. Lukys geschilderte Vorgang, es seien einmal 20 Gefangene aus Krottingen geholt worden, von denen 6 geflüchtet seien, hat mit dem vorliegenden Fall gar nichts zu tun; denn nach den glaubhaften Angaben des Angekl. Behrendt handelt es sich nicht nur um 20, sondern um 60-80 Gefangene. Auch der Einwand des Verteidigers vermag den Angekl. Lukys nicht zu entlasten, der Angekl. Behrendt verwechsle "zweifellos" diesen Fall mit einer Erschiessung, die möglicherweise in den Jahren 1943 und 1944 in dem damaligen Vernichtungslager Dimitrava stattgefunden habe. Dieser Einwand ist deshalb nicht durchschlagend, weil nach den bestimmten und glaubhaften Angaben des Angekl. Behrendt der Angeklagte Lukys in der oben geschilderten Weise an der Erschiessung beteiligt gewesen ist. An den angeblichen Erschiessungen in den Jahren 1943 und 1944 kann allerdings der Angekl. Lukys nicht teilgenommen haben, da er, wie früher festgestellt, schon Ende 1942 verhaftet worden ist.

Auf Grund der Angaben des Angekl. Behrendt, es seien 60-80 Personen, darunter 3-5 Frauen, erschossen worden, hat das Schwurgericht zugunsten des Angeklagten festgestellt, dass mindestens 60 kommunistenverdächtige Litauer, darunter 3-5 Frauen, erschossen worden sind.

Das Schwurgericht hat daher für erwiesen erachtet, dass im August 1941 in den Dünen von Polangen auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angeklagten Böhme, die dieser im Rahmen der Säuberungsmassnahmen seinen Unterführern erteilt hatte, unter Leitung von Dr. Frohwann durch 20-25 Angehörige des GPK Memel und des GPP Bajohren mindestens 60 litauische Kommunisten, darunter 3-5 Frauen, erschossen worden sind. Das Gericht hat weiterhin festgestellt, dass der Angeklagte Lukys an dieser Erschiessung dadurch mitgewirkt hat, dass er mit etwa fünf seiner Polizeibeamten die Gefangenen hat fesseln lassen und sie dann mit 1 oder 2 Lastkraftwagen aus dem Arbeitslager Dimitrava abgeholt und zur Erschiessungsstätte gebracht hat, wo er und seine Leute sowie auch der Angeklagte Behrendt an der Bewachung der Gefangenen mitgewirkt haben. Im übrigen haben die Angeklagten Böhme, Behrendt und Lukys bezw. deren Verteidiger zu ihrer Verteidigung das gleiche geltend gemacht wie in den übrigen Fällen. Insoweit wird zu den Fragen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit, ihrer Kenntnis von der inneren Einstellung der Haupttäter zur Tat, der Teilnahmeform, der Verbindlichkeit des Befehls und der Zwangslage bezüglich der Angeklagten Böhme und Behrendt auf die Ausführungen und die Feststellungen in den Gründen zum Fall Garsden I und bezüglich des Angekl. Lukys auf die in den Gründen zum Fall Krottingen I Bezug genommen.

XXII. Calvaria Kreis Mariampol

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im August 1941 wurden bei Calvaria mindestens 120 Personen, darunter 36 Juden sowie einige Frauen und Kinder, erschossen. Die kleine litauische Stadt Calvaria Krs.Mariampol, in welcher etwa 6-700 Juden wohnten, liegt rd. 40 km nordostwärts der Stadt Sudauen und rd. 30 km ostwärts der ursprünglichen Reichsgrenze, jedoch von dem Suwalki-Zipfel aus gerechnet noch innerhalb des 25 km breiten Grenzstreifens. In Sudauen war nach dem Polenfeldzug ein GPK unter der Leitung des Kriminalkommissars Macholl in Stärke 1:15 mit drei GPP an der Demarkationslinie nach Polen stationiert.

Kriminalkommissar Macholl war von dem Angekl. Böhme schon am 23.6.1941, spätestens am 24.6.1941, in vollem Umfang in die in dem Grenzstreifen durchzuführenden Säuberungsmassnahmen eingeweiht und angewiesen worden, die Säuberungsaktion gegen die Juden und Kommunisten im Suwalki-Gebiet durchzuführen.

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag des Monats August 1941 wurden nachts in Calvaria auf Grund der von dem Angekl. Böhme erteilten Ermächtigung durch Angehörige des GPK Sudauen und durch litauische Polizisten fast 300 Personen, darunter 36 Juden sowie einige Frauen und Kinder, verhaftet. Bei diesen Festnahmen spielten sich grauenhafte Szenen ab. Die Opfer wurden teilweise fürchterlich misshandelt und mit zusammengeschlagenen Knochen wie Holzscheite auf Lastkraftwagen geworfen. In ihrer Not weckten Ehefrauen, deren Männer festgenommen worden waren, am frühen Morgen den katholischen Dekan von Calvaria, Prälat Dr. Kr. (Zeuge), und baten ihn um Hilfe. Als dieser mit 2 Vikaren auf die Strasse kam, hörte er aus einem kleinen Gasthof, in welchem Juden abstiegen und in welchem Menschen zusammengetrieben waren, fürchterliche Schreie, die offensichtlich von Juden herrührten, die im 1. Stock barbarisch geschlagen wurden. Da seinen beiden Vikaren der Eintritt in das Haus von 2 am Eingang postierten Gestapo-Beamten verwehrt wurde, wollte der Zeuge Kr. selbst in das Haus hinein.

Auf dem Wege dorthin sah er, wie festgenommene Männer, Frauen und einige etwa 12 Jahre alte Mädchen in unmenschlicher Weise geschlagen wurden. Ihm selbst wurde der Zutritt zu dem Gasthof ebenfalls verwehrt. Solange er am Eingang stand, wurde eine Frau, die offensichtlich völlig zusammengeschlagen war, herausgezogen und von 2 Zivilisten weggetragen. Von den Festgenommenen wurden mindestens 120 Personen, darunter 36 Juden und einige Frauen und Kinder, mit Lastwagen nach dem etwa 2 km südlich von Calvaria gelegenen Dorf Smalningkai gefahren. Dort wurden sie am gleichen Morgen noch von Gestapo-Angehörigen des GPK Sudauen und von litauischen Polizisten erschossen. Das Massengrab wurde so dürftig mit Erde bedeckt, dass nachher noch ein Kinderfuss herausragte. Abgesehen von den 36 Juden war unter den übrigen Opfern der Prozentsatz der wirklichen Kommunisten nur ganz gering. Kriminalkommissar Macholl meldete den Vollzug der Erschiessung unter Angabe der Zahl der Opfer an die Stapo Tilsit. Der Angekl. Böhme gab die Meldung an das RSHA Berlin und an die Einsatzgruppe A weiter. In den Ereignismeldungen UdSSR wurde über diese Erschiessung bezüglich des Erschiessungsortes und der Anzahl der Opfer nicht besonders berichtet.

2. Beweiswürdigung

Von den Angeklagten hat nur dem Angeklagten Böhme, nicht etwa auch dem Angeklagten Hersmann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden können. Es wird in erster Linie Bezug genommen auf die Feststellungen in den Gründen zum Fall Augustowo, wonach der Angekl. Böhme Kriminalkommissar Macholl mit der Durchführung der Säuberungsmassnahmen gegen die Juden und Kommunisten im Suwalki-Gebiet schon beauftragt gehabt hatte, bevor er am 24.6.1941 den ihm missliebigen Regierungsrat Ilges (Zeuge) über die von Dr. Stahlecker befohlenen Säuberungsmassnahmen aufgeklärt und ihn zur tatkräftigen Durchführung dieser Massnahmen nach Augustowo beordert hat.

Der Angekl. Böhme hat zugegeben, dass ihm Kriminalkommissar Macholl die stattgefundene Erschiessung unter Angabe der Zahl der Opfer gemeldet, und dass er seinerseits die Meldung an das RSHA weitergegeben hat.

Im übrigen beruhen die Feststellungen auf den glaubhaften und ganz sachlich abgegebenen Aussagen des Zeugen Kr., der die Vorgänge an und bei dem jüdischen Gasthof selbst erlebt hat. Über weitere Vorgänge, so auch über die Erschiessung hat er glaubhaft das bekundet, was ihm nach seinen Aussagen von den beiden Vikaren und von Ordensmitgliedern glaubhaft berichtet worden sei.

Der Zeuge Kr. hat ausgesagt, er könne die genaue Zahl der Opfer nicht angeben, es seien aber von den ursprünglich rd. 300 Festgenommenen etwa 150 Personen, darunter 36 Juden sowie einige Frauen und Kinder, erschossen worden. Das Gericht hat deshalb zugunsten des Angekl. Böhme festgestellt, dass mindestens 120 Personen erschossen worden sind.

III. Abschnitt Die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder

A. Allgemeines

I. Tatsächliche Feststellungen

Wie schon oben in den Gründen des Urteils ausgeführt wurde, gab der Führer der Einsatzgruppe A, SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, bei seinem Besuch am 22.6.1941 abends auf der Dienststelle der Stapo Tilsit unter Hinweis auf seine Sondervollmachten den Angeklagten Böhme und Hersmann in Gegenwart des Angekl. Kreuzmann den Befehl, mit ihren Angehörigen des Stapo- und SD-Abschnitts Tilsit in dem 25 km breiten Grenzstreifen die Sonderbehandlung, d.h. die physische Vernichtung sämtlicher Juden einschliesslich der Frauen und Kinder und sonstiger potentieller Gegner, vor allem der kommunistisch eingestellten Litauer durchzuführen. Diesen Befehl liess Dr. Stahlecker auf Betreiben des Angekl. Böhme durch das RSHA bestätigen, was durch ein Blitzfernschreiben des RSHA am frühen Morgen des 23.6.1941 erfolgte, wie oben in den Gründen schon festgestellt wurde.

Schon am 23. und 24.6.1941 gaben die Angeklagten Böhme und Hersmann, wie oben in den Gründen festgestellt wurde, diesen Befehl ihren Männern in vollem Umfang bekannt, so dass jeder von ihnen wusste, dass diese Sondermassnahmen auch die jüdischen Frauen und Kinder umfasste.

Dem Säuberungsbefehl kamen die Angeklagten Böhme und Hersmann auch insoweit sofort nach, als sie schon am 23.6.1941 mit der Festnahme der Juden einschliesslich der Frauen und Kinder begannen, und die männlichen Juden einschliesslich der Halbwüchsigen sowie die Kommunisten - letztere nach kurzer Überprüfung - raschestens erschiessen liessen. Die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder zögerte der Angekl. Böhme jedoch - wohl aus inneren Hemmungen - noch etwas hinaus, wenn es auch schon anfangs vorkam, dass vereinzelt jüdische Frauen und Kinder zusammen mit den jüdischen Männern erschossen wurden. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle jedoch wurden die jüdischen Frauen und Kinder nach ihrer Festnahme zwar nicht in Ghettos, wohl aber in abgelegenen Häusern und Höfen sowie Baracken untergebracht, wo sie, von litauischen Ordnungsleuten bewacht und von litauischen Behörden verpflegt, ein kümmerliches Dasein führten und letzten Endes unter der Kontrolle der Gestapo und des SD standen. In der Regel wurde den jüdischen Frauen das Schicksal ihrer erschossenen Männer und Söhne verschwiegen oder ihnen vorgetäuscht, sie befänden sich im Arbeitseinsatz.

Auf das wiederholte Drängen von Dr. Stahlecker, insbesondere nach dem Brand von Krottingen, kamen dann aber auch die Angeklagten Böhme und Hersmann dem Liquidierungsbefehl bezüglich der jüdischen Frauen und Kinder nach und wiesen ihre Gestapo- und SD-Angehörigen an, nunmehr auch sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu töten bezw. durch Litauer töten zu lassen und die einzelnen Tötungsaktionen zu leiten. Diese Tötungen führte der Angekl. Böhme "auf seine Art" durch. Er setzte nämlich dafür vorwiegend litauische Kräfte, bestehend aus litauischen Hilfspolizisten, Asozialen u.a., ein, die, meistens betrunken gemacht, unter Aufsicht von Stapo- und SD-Leuten die Tötungen der jüdischen Frauen und Kinder zum Teil auf scheusslichste Weise durchführten. Von diesen Tötungen mussten vielfach Stapo-Angehörige Aufnahmen machen, die wohl zum Teil auch dazu dienen sollten, der Mit- und Nachwelt zu beweisen, dass nicht die Deutschen, sondern die Litauer selbst die jüdischen Frauen und Kinder auf bestialische Weise umgebracht haben. Zum Teil führten Stapo- und SD-Angehörige die Erschiessungen der Frauen und Kinder auch allein durch. Der Erschiessungsort sowie die Zahl der Erschossenen wurden jeweils den Angekl. Böhme und Hersmann gemeldet und von ihnen an das RSHA und an Dr. Stahlecker weitergemeldet. Im Kreis Krottingen war es anfangs August 1941 der Angekl. Behrendt, welcher auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme, nunmehr auch sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu töten, vor der Einführung der Zivilverwaltung in Litauen sich einschaltete und bei einer Landratsbesprechung auf die diesbezüglichen Befehle des Angekl. Böhme und des Einsatzgruppenführers Dr. Stahlecker hinwies, wie noch näher ausgeführt wird.

II. Beweiswürdigung

Während der Angekl. Böhme in der Hauptverhandlung die Erschiessung der jüdischen Männer und der litauischen Kommunisten im Rahmen des ihm erteilten Säuberungsbefehls zugegeben hat, hat er geleugnet, dass auf seinen Befehl hin die jüdischen Frauen und Kinder getötet worden sind. Er hat zwar ohne weiteres zugegeben, dass Dr. Stahlecker ihm und dem Angekl. Hersmann am 22.6.1941 den Befehl auch zur Tötung der jüdischen Frauen und Kinder gegeben und in der Folgezeit dessen Durchführung wiederholt angemahnt hat. Er hat aber behauptet, diesen Befehl niemals ausgeführt zu haben. Er will auch keinen Druck auf irgendeine Dienststelle in dieser Hinsicht ausgeübt haben. Schon bei seinem ersten Besuch bei dem Führer des Einsatzkommandos 3, SS-Standartenführer Jäger in Kowno, habe er diesem erklärt, er könne seinen Stapo-Angehörigen nicht zumuten, die jüdischen Frauen und Kinder zu töten, da sie jeden Abend zu ihren Familien zurückkehrten. Jäger habe sich allerdings ablehnend verhalten. Der Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, habe ihm vorgeschlagen, die Erschiessungen durch die Litauer durchführen zu lassen. Dies habe er aber abgelehnt. Es sei ihm aber dann doch ganz recht gewesen, als ihm von Dr. Frohwann und auch von dem Führer des GPP Laugszargen, Kriminalsekretär Schwarz, gemeldet worden sei, dass die Litauer nun selbst die jüdischen Frauen und Kinder erschiessen wollen. Dazu hat er in seinem Schlusswort ausgeführt, Schwarz habe ihm fernmündlich erklärt, er wolle zusammen mit den Litauern die jüdischen Frauen und Kinder des Lagers Batakai erschiessen. Er habe ihm aber geantwortet, er solle selbst an dieser Erschiessung nicht teilnehmen und solle das die Litauer allein machen lassen, er sei nur an einem kurzen Bericht über die Erschiessung und an der Meldung der genauen Zahl der Erschossenen interessiert. Schwarz habe ihm daraufhin fernmündlich die Erschiessung der Frauen und Kinder gemeldet. Weiterhin hat der Angekl. Böhme angegeben, es sei auch möglich, dass sich seine Männer in eigener Verantwortung eingeschaltet haben. Er habe ihnen zwar davon nichts gesagt, dass der Säuberungsbefehl auch die jüdischen Frauen und Kinder umfasse, dies hätten aber alle gewusst. Schliesslich hat er noch behauptet, er habe sich bei den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder durch die Litauer nur nachrichtenmässig eingeschaltet, er habe eben die ihm gemeldeten Zahlen der Erschossenen an das RSHA und an Dr. Stahlecker weitergemeldet.

Der Angekl. Hersmann hat sich ähnlich wie der Angekl. Böhme verteidigt. Während er zugegeben hat, seine SD-Männer schon am 23.6.1941 in vollem Umfang mit dem Inhalt des Säuberungsbefehls bekanntgemacht und zusammen mit den Stapo-Angehörigen die jüdischen Männer, allerdings vereinzelt auch Frauen und Kinder, sowie litauische Kommunisten erschossen zu haben, hat er die Mitwirkung seiner Person und seiner Leute an sonstigen Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder hartnäckig geleugnet. Er hat behauptet, er habe auf das Drängen von Dr. Stahlecker, mit diesen Erschiessungen endlich zu beginnen, bei dem Angekl. Böhme vorsichtig vorgetastet, wie er sich zu der ihnen befohlenen Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder stelle. Als er nun festgestellt habe, dass der Angekl. Böhme ebenfalls gegen diese Erschiessungen eingestellt sei, habe er mit ihm vereinbart, diese Erschiessungen nicht mit eigenen Leuten durchzuführen. Die Litauer haben von ihrer vorgesetzten Dienststelle den Befehl bekommen, die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen. Er habe nur die ihm jeweils von den Litauern gemeldeten Zahlen der Erschossenen an das RSHA weitergemeldet, ohne dass er die durch die Litauer durchgeführten Erschiessungen durch seine SD-Männer habe beaufsichtigen lassen.

Es kann dem Angekl. Böhme nicht widerlegt werden, dass er zunächst Hemmungen gehabt hat, auch die jüdischen Frauen und Kinder durch seine Gestapo-Angehörigen erschiessen zu lassen. Dem Angekl. Hersmann ist dagegen nicht geglaubt worden, dass auch er solche Hemmungen gehabt hat. Seiner Behauptung widersprechen die insoweit glaubhaften und bestimmt gemachten Angaben des Angekl. Böhme, dass nämlich, wie bereits in den Urteilsgründen zum Fall Krottingen II festgestellt worden ist, der Angekl. Hersmann nach dem Brand von Krottingen dem Angekl. Böhme Vorwürfe gemacht hat, dass er die jüdischen Frauen und Kinder nicht auch habe sofort liquidieren lassen.

Unwahr ist dagegen die Behauptung des Angekl. Böhme, er habe schon bei seinem ersten Besuch in Kowno SS-Standartenführer Jäger, dessen Einsatzkommando 3 für die Säuberungsmassnahmen in Litauen zuständig gewesen ist, darum gebeten, ihm die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder abzunehmen; denn das Schwurgericht hat auf Grund der insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Hersmann festgestellt, dass anlässlich der Besuche des Angekl. Böhme bei SS-Standartenführer Jäger in Kowno nie von Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder gesprochen, sondern wegen Zuständigkeitsfragen gestritten worden ist, was insbesondere beim ersten Besuch am 25.6.1941 in Gegenwart des Angekl. Hersmann der Fall gewesen ist. Unwahr ist weiterhin die Behauptung des Angekl. Böhme, er habe die Stapo-Angehörigen darüber nicht unterrichtet, dass sich die Säuberungsmassnahme auch auf die jüdischen Frauen und Kinder erstrecke, wenngleich jeder seiner Stapo-Angehörigen dies gewusst habe. Es wird insoweit auf die früheren Feststellungen des Schwurgerichts Bezug genommen, wonach der Angekl. Böhme die Stapo-Angehörigen von vornherein in vollem Umfang, also auch darüber aufgeklärt hat, dass auch die jüdischen Frauen und Kinder zu vernichten sind.

Unwahr sind aber vor allem die Behauptungen der Angeklagten Böhme und Hersmann, sie haben bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder überhaupt nicht mitgewirkt. Das Schwurgericht ist vielmehr überzeugt, dass sie, vor allem der Angekl. Böhme, für diese Erschiessungen verantwortlich sind und dass sie im Rahmen des Säuberungsbefehls ihre Untergebenen allgemein angewiesen haben, diese Erschiessungen durchzuführen bezw. sie durch die Litauer in ihrer Anwesenheit und unter ihrer Überwachung durchführen zu lassen. Dabei kann jedoch dem Angekl. Hersmann nur ein Fall mit genügender Sicherheit nachgewiesen werden, bei welchem er an der Erschiessung von mindestens 100 jüdischen Frauen und Kindern mitgewirkt hat. Näheres wird später noch ausgeführt.

Dies ergibt sich schon aus dem Gesamtablauf der Dinge und aus der Tatsache, dass die Angeklagten Böhme und Hersmann von Dr. Stahlecker mit der Säuberungsaktion im litauischen Grenzstreifen beauftragt worden und deshalb auch für die Durchführung in dem für sie zuständigen Gebiet verantwortlich gewesen sind.

Beide Angeklagte haben im Vorverfahren lange Zeit trotz eindringlicher Vorhalte immer wieder beteuert, von den Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder nichts zu wissen. Sie haben sich auch in der Hauptverhandlung trotz erdrückenden Beweismaterials gescheut, der Wahrheit die Ehre zu geben, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob die Scham und das schlechte Gewissen oder die Angst vor der Bestrafung sie daran gehindert hat, die Wahrheit zu sagen. Dies hat sich insbesondere beim Angekl. Böhme nach der Vernehmung der Zeugen Gerke und R. zu der Erschiessung von mindestens 50 aus Litauen geflüchteten jüdischen Frauen und Kindern in die Gegend von Heydekrug - Kolleschen gezeigt. Minutenlang hat der Angekl. Böhme offensichtlich mit sich gerungen, die Wahrheit zu sagen, um schliesslich zu erklären, wenn Gerke es so sage, nämlich dass der Angekl. Böhme oder der Angekl. Kreuzmann den Befehl zur Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder bei Kolleschen gegeben habe, müsse es möglicherweise schon so gewesen sein, er wolle es auch nicht abstreiten, er wisse es aber nicht mehr. Am Nachmittag des gleichen Verhandlungstages hat er auf nochmaligen Vorhalt durchaus unglaubhaft angegeben, "er habe es gedächtnismässig nicht mehr in Erinnerung, dass Frauen und Kinder erschossen worden seien, und er könne sich auch nicht erinnern, dies angeordnet zu haben". In seinem Schlusswort ist der Angekl. Böhme nochmals auf die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Krottingen zu sprechen gekommen und hat dazu angegeben, Dr. Frohwann habe den Vorschlag gemacht, in Krottingen die Frauen und Kinder unter seiner Leitung durch litauische Ordnungspolizei erschiessen zu lassen. Er habe sich zwar dagegen ausgesprochen, sei von sich aus auch nicht in irgendeiner Form tätig geworden, habe aber auch nicht den Mut aufgebracht, sich ausdrücklich solchen Massnahmen entgegen zu stellen; er habe eben die Augen verschlossen.

Das Schwurgericht hat auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach, Dr.med.dent. Bo., Ar., Kurt Ban., Gerke und Os. sowie auf Grund der Angaben der Angekl. Harms und Lukys festgestellt, dass die Angekl. Böhme und Hersmann die Liquidierung der jüdischen Frauen und Kinder "auf ihre Art" erledigt haben, nämlich dadurch, dass sie ihre Stapo- und SD-Angehörigen angewiesen haben, die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen bezw. in ihrer Gegenwart und unter ihrer Aufsicht durch Litauer erschiessen zu lassen, worauf sie die ihnen gemeldeten Erschiessungszahlen an das RSHA und an Dr. Stahlecker weitergemeldet haben. In diesem Sinn sind nach der Feststellung des Gerichts die Angaben des Angekl. Böhme im Vorverfahren gegenüber den Zeugen Wei. und Opf. zu verstehen, die er in der Hauptverhandlung allerdings nicht mehr hat wahrhaben wollen: "Kaum hatte ich die Liquidierung der Frauen und Kinder auf meine Art erledigt - nämlich durch die Einschaltung der Litauer -, da kam die neue Anordnung wegen der Erschiessung der russischen Kommissare."

Damit deckt sich auch die Aussage des Zeugen Krumbach, die er allerdings zu diesem Punkt offensichtlich sehr zurückhaltend gemacht hat: Es sei ihm später bekannt geworden, dass ihre Leute, so auch Kriminalsekretär Schwarz, Aufträge zur Erschiessung von Frauen und Kindern an Litauer weitergegeben haben. Schwarz habe ihm selbst erzählt, dass er mit seinen Leuten und zusammen mit Litauern eine Frauen- und Kindererschiessung in Batakai durchgeführt habe. Hiezu müsse Schwarz vom Angekl. Böhme den Befehl bekommen haben.

Der Zeuge Dr.med.dent. Bo., der zur Tatzeit in Memel gewohnt hat, hat glaubhaft bekundet, er sei im Herbst 1941 an einem Samstagnachmittag gegen 14 Uhr dem Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, auf der Strasse in Memel begegnet. Dr. Frohwann sei ganz bleich im Gesicht gewesen und habe den Eindruck gemacht, als ob er mit den Nerven vollständig fertig sei. Er habe ihn gebeten, mit ihm in ein Café zu gehen, was er auch gemacht habe. Dort habe ihm Dr. Frohwann gesagt, er komme soeben von einem fürchterlichen Massaker; jüdische Frauen und Kinder seien in Litauisch Krottingen mit Eisenstangen erschlagen worden. Resigniert habe er hinzugesetzt: "Nun ja, ich muss halt damit fertig werden." Aus dem ganzen Verhalten von Dr. Frohwann und aus dessen Erregtheit, insbesondere aus seinen Schlussworten: "Nun ja, ich muss halt damit fertig werden", habe er unbedingt entnehmen müssen, dass Dr. Frohwann bei diesem Massaker selbst zugegen gewesen sei. Dies hat auch das Schwurgericht für erwiesen erachtet.

Dieser Vorfall wird auch von dem nach seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Zeugen Ar., zur Tatzeit Angehöriger des GPK Memel, bestätigt. Nach dessen Aussagen hat ihm Dr. Frohwann im Herbst 1941 von einer "Schweinerei" in Krottingen erzählt, bei welcher jüdische Frauen und Kinder von Litauern mit Eisenstangen erschlagen worden seien. Wörtlich habe Dr. Frohwann damals noch gesagt: "Das mache ich in Zukunft nicht mehr mit, das ist keine gute Visitenkarte für die Polizei."

Der Zeuge Gerke, früher Kriminalkommissar bei der Stapo Tilsit, hat nach seinen glaubhaften Aussagen ebenfalls auf seiner Dienststelle im August/September 1941 gehört, dass jüdische Frauen und Kinder durch Litauer mit Eisenstangen erschlagen worden seien. Seiner Ansicht nach seien diese Tötungen von der Stapo-Stelle Tilsit angeordnet worden. Der Zeuge Gerke hat auch glaubhaft bekundet, dass er zusammen mit 8-10 Gestapo-Beamten aus Tilsit auf Befehl der Stapo-Stelle Tilsit mindestens 50 jüdische Frauen und Kinder im Raum Heydekrug - Kolleschen erschossen habe. Diese Aussagen sind schon deshalb glaubhaft, weil er sich dadurch selbst der Teilnahme an dieser Erschiessung bezichtigt hat. Mit Tränen in den Augen hat er bei seiner Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung die Angeklagten beschworen, doch endlich die Wahrheit zu sagen.

Auch der Angekl. Lukys hat insoweit glaubhaft angegeben, dass Gestapo-Beamte zusammen mit litauischen Polizisten die jüdischen Frauen und Kinder im Kreis Krottingen erschossen haben, und dass er über sämtliche Erschiessungen im Kreis Krottingen an die Stapo-Stelle Tilsit habe berichten müssen. Durch die insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Lukys ist auch erwiesen, dass der Angekl. Behrendt bei einer Landratsbesprechung in Krottingen anfangs August 1941 darauf gedrungen hat, dass endlich die jüdischen Frauen und Kinder beseitigt werden, wie des näheren noch ausgeführt wird. Aus den glaubhaften Angaben des Angekl. Harms ergibt sich, dass der Angekl. Böhme die Tötung der jüdischen Frauen und Kinder nicht etwa nur stillschweigend geduldet, sondern dass er sie veranlasst hat. Auf seine Veranlassung ist es zurückzuführen, dass seine Gestapo-Beamten die Erschiessung der jüdischen Frauen teils selbst durchgeführt, teils sie durch Litauer haben durchführen lassen und sie dabei geleitet haben. Auf Grund der Angaben des Angekl. Harms, die allerdings der Angekl. Böhme in Abrede gestellt hat, hat das Schwurgericht festgestellt: Nach der Erkundungsfahrt in das litauische Grenzgebiet, an welcher ausser dem Angekl. Böhme u.a. auch der Angekl. Harms und Kriminalsekretär Schwarz vom GPP Laugszargen teilgenommen haben und bei welcher ein Litauer erschossen sowie das Lager von Batakai aufgesucht worden ist, hat der Angekl. Böhme den Angekl. Harms abends kommen lassen und ihm erklärt: "Harms, morgen werden Frauen und Kinder erschossen, Sie haben die Erschiessung zu übernehmen." Auf die Erwiderung des Angekl. Harms: "Herr Regierungsrat, das kann ich nicht!", hat der Angekl. Böhme erklärt: "Was, Kommissar, dann stecke ich Sie in eine SS-Uniform und gebe Ihnen den dienstlichen Befehl." Als ihm der Angekl. Harms geantwortet hat, er könne das nicht machen, hat der Angekl. Böhme schliesslich erklärt: "Gut, dann können Sie weggehen; Sie brauchen das nicht, Sie haben eine Frau und Kinder." Ursprünglich hat damals, wie der Angekl. Harms angegeben und der Angekl. Böhme zugegeben hat, Kriminalsekretär Schwarz vom GPP Laugszargen dem Angekl. Böhme vorgeschlagen, das ganze Lager von Batakai mit den jüdischen Frauen und Kindern in die Luft zu sprengen, was aber wegen Gefährdung des in der Nähe gelegenen Bahnhofs undurchführbar gewesen ist.

Auf Grund der glaubhaften Angaben des Angekl. Harms hat das Gericht weiterhin festgestellt: Einige Zeit nach der Fahrt nach Batakai hat Kriminalsekretär Schwarz den Angekl. Harms in seinem Dienstzimmer in Tilsit aufgesucht und ihm erklärt, die jüdischen Frauen und Kinder von dem Lager Batakai seien nunmehr durch litauische Polizisten erschossen worden. Schwarz hat ihm daraufhin aus einer Anzahl von Farbfotos 2 Nahaufnahmen gezeigt. Auf diesen ist jeweils ein Litauer abgebildet gewesen, der eine nackte Frau auf einen See oder auf einen Sumpf zugetrieben hat, wobei er die Frau mit einer Hand an den Haaren gehalten und mit der andern Hand ihr eine Pistole in den Nacken gedrückt hat. Schwarz hat zu dem Angekl. Harms noch gesagt, er komme gerade vom Angekl. Böhme und habe auch ihm diese Bilder gezeigt.

Hiezu hat der Angekl. Böhme angegeben: Es sei richtig, dass Schwarz den Vorschlag gemacht habe, das Lager mit den jüdischen Frauen durch eine in der Nähe liegende Pioniereinheit in die Luft zu sprengen. Er habe allerdings, ohne sich dies merken zu lassen, sich vorgenommen, diesen Plan nicht durchzuführen. Der Angekl. Harms habe von ihm nicht den Befehl erhalten, die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen bezw. deren Erschiessung zu übernehmen. Im Vorverfahren hat er hiezu angegeben, er habe möglicherweise dem Angekl. Harms den Auftrag erteilt, sich um diese Erschiessung zu kümmern und ihm zu berichten. Schwarz habe er keinen Auftrag gegeben, die Erschiessung zu überwachen. Dieser habe ihm allerdings fernmündlich hierüber gemeldet. Schwarz habe ihm auch keine Aufnahmen von den Frauen- und Kindererschiessungen gezeigt.

Die Angaben des Angekl. Harms werden durch die Aussagen des Zeugen Kurt Ban. bestätigt, dem Schwarz das Massengrab der jüdischen Frauen und Kinder und Aufnahmen von der Erschiessung gezeigt sowie die Erschiessung selbst näher geschildert hat. Dem Zeugen Os., früher Zollinspektor in Schmalleningken, hat, wie dieser glaubhaft ausgesagt hat, der Angekl. Carsten an Ort und Stelle von einer tags zuvor durch betrunkene Litauer erfolgten Erschiessung jüdischer Frauen und Kinder berichtet. Auf Grund der damaligen ins einzelne gehenden Schilderung ist der Zeuge Os. davon überzeugt, dass der Angekl. Carsten an dieser Frauen- und Kindererschiessung teilgenommen hat, wie später noch näher ausgeführt wird.

Der Angekl. Böhme und vor allem der Angekl. Hersmann werden ausserdem durch die Aussagen der Zeugen Pap., W., T., Enn. und Ju. der Mitwirkung an den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder überführt.

Der Zeuge Pap., früher Kraftfahrer beim SD in Tilsit, hat glaubhaft ausgesagt, er habe seinerzeit auf der SD-Dienststelle in Tilsit gehört, dass der Angekl. Hersmann wiederholt mit einigen SD-Leuten im PKW der Stapo zu Frauen- und Kindererschiessungen gefahren sei, während er zu den Erschiessungen der jüdischen Männer sonst immer von ihm gefahren worden sei. Der SD-Angehörige Gl. (Zeuge) oder der SD-Angehörige Nikolaus habe ihm selbst erzählt, dass er an mehreren Frauen- und Kindererschiessungen teilgenommen habe; bei diesen Erschiessungen haben sich die Frauen nackt ausziehen müssen. Der Zeuge Gl. will dies nicht wahrhaben. Der Zeuge W., früher Angehöriger bei der Stapo Tilsit, hat ebenfalls insoweit glaubhaft bekundet, ihm habe der Zeuge Gen., früher Angehöriger der Stapo Tilsit, ebenfalls davon erzählt, an Frauen- und Kindererschiessungen teilgenommen zu haben. Er habe damals gesagt, es sei ganz gruselig gewesen und es sei ihm an die Nieren gegangen, weil ein kleines Kind dabeigewesen sei, das etwa so alt gewesen sei wie sein eigenes. Der Zeuge Gen. hat dies bestritten. Der Zeuge Gen. ist unmittelbar nach seiner zweiten Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung am 4.7.1958, bei welcher er eine geladene Pistole bei sich getragen hat, wegen Verdachts der versuchten Anstiftung zum Meineid der Zeugen D. und W., wegen versuchter Nötigung und wegen uneidlicher Falschaussage im Schwurgerichtssaal festgenommen worden. Er hat am 5.7.1958 in der Untersuchungshaftanstalt Ulm Selbstmord verübt.

Der aus Memel stammende Zeuge T., welcher zur Tatzeit bei der Feldeisenbahnabteilung 18 als Feldeisenbahner und zugleich als Dolmetscher für die litauische und russische Sprache eingezogen gewesen ist, hat glaubhaft bekundet, ihm habe der stellvertretende Bahnpolizeichef von Krottingen drastisch geschildert, dass im Herbst 1941 jüdische Frauen und Kinder von Krottingen völlig nackt durch Litauer mit Prügeln niedergeschlagen und dann mit Bajonetten erstochen worden seien, was von anwesenden Stapo-Angehörigen fotografiert worden sei. Aus der anschaulichen Schilderung des Bahnpolizeichefs habe er entnehmen müssen, dass dieser selbst an diesem Massaker als Augenzeuge teilgenommen habe.

Der Zeuge Enn., welcher früher V-Mann beim SD Tilsit gewesen ist und viel mit dem SD-Mann Kalisch dieser Dienststelle zusammengearbeitet hat, hat glaubhaft bekundet, Kalisch habe ihm ganz entsetzt von Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder durch Litauer in Gegenwart von Stapo- und SD-Angehörigen erzählt und dabei gesagt, die Gestapo habe die Erschiessungen geleitet, es sei ganz grauenhaft gewesen, das hätten wir Deutsche doch wirklich nicht notwendig. Der Zeuge Ju., früher Kraftfahrer beim SD Tilsit, hat ausgesagt, er habe ein- oder zweimal SD-Angehörige aus Tilsit zu Erschiessungen von jüdischen Frauen und Kindern gefahren, an denen jedesmal auch Stapo-Angehörige teilgenommen haben. Er habe bei dieser Erschiessung oder diesen Erschiessungen zwar nicht zugesehen, Litauer haben ihm aber gesagt: "Heute sind die Frauen und Kinder dran."

Die Behauptung der Angeklagten, die grosse Masse der jüdischen Frauen und Kinder sei in Ghettos gekommen, wird durch das Gutachten des Sachverständigen Wer., dem sich das Schwurgericht angeschlossen hat, widerlegt. Nach dessen Nachforschungen haben die Juden jede Massenverlegung sehr genau registriert. Gerade aus dem fraglichen litauischen Grenzgebiet haben sich die Juden nur ganz vereinzelt in Ghettos retten können. Wenn jüdische Frauen und Kinder aus diesem litauischen Grenzgebiet am Anfang der Säuberungsmassnahmen in nennenswerter Zahl in Ghettos verbracht und erst später liquidiert worden wären, hätte er dies bei seinen Nachforschungen unter allen Umständen feststellen müssen. Richtig sei zwar, dass Juden, welche im Innern von Litauen gewohnt haben, zum Teil in Ghettos gekommen seien. So sei um die Zeit vom 15.8.1941 das Ghetto in Kowno und um die Zeit vom 20.8.1941 das Ghetto in Schaulen eröffnet worden. Nach dem Ergebnis der eingehenden Nachforschungen dieses Sachverständigen sind gerade die Juden aus dem litauischen Grenzgebiet im Gegensatz zu den Juden in anderen Ostgebieten besonders schnell vernichtet und so gut wie ausgerottet worden.

Dies ergibt sich auch aus den glaubhaften Aussagen des Zeugen Fri. und der Zeugin Pi., welche beide bei Beginn des Russlandfeldzugs mit ihren Familien in Kowno gewohnt haben und alsbald in das dortige Ghetto gekommen sind. Der aus Memel stammende Zeuge Fri. hat im litauischen Grenzgebiet, so in Krottingen, Verwandte gehabt.

Er kann sich nur an eine Frau aus dem Grenzgebiet erinnern, welche, der Exekution entkommen, sich längere Zeit versteckt gehalten hat und dann in das Ghetto in Kowno gekommen ist, wo sie ihr Schicksal erzählt hat. Die Zeugin Pi. hat bis zum Jahre 1939 bei ihren Eltern in Memel gewohnt, ist mit diesen am 1.4.1939 nach Polen ausgewandert und hat sich anschliessend nach Kowno verheiratet. Sie ist im Ghetto in Kowno bis zum Jahr 1943 als Gehilfin bei einem SS-Scharführer, der dort als Zahnarzt tätig gewesen ist, beschäftigt worden. Dadurch hat sie einen gewissen Einblick bekommen, wer alles im Lager untergebracht gewesen ist. Nach ihren bestimmten Aussagen sind keine jüdischen Frauen und Kinder aus dem Grenzgebiet, vor allem auch nicht aus Polangen, in das Ghetto in Kowno gekommen.

Der Zeuge Gew., früher Gebietskommissar bei der Zivilverwaltung in Schaulen/Litauen, weiss ebenfalls davon nichts, dass jüdische Frauen und Kinder aus dem litauischen Grenzgebiet in Ghettos gekommen sind. Die Behauptung des Angekl. Böhme, er sei von dem Zeugen Gew. im Juni/Juli 1941 in Tilsit aufgesucht worden und habe bei dieser Gelegenheit den Zeugen Gew. gebeten, die jüdischen Frauen und Kinder durch deren Arbeitseinsatz vor der Vernichtung zu bewahren, wird durch die Aussagen dieses Zeugen widerlegt. Bei der Wertung der Aussagen dieses Zeugen ist sich das Schwurgericht bewusst gewesen, dass der Zeuge ebenfalls der Teilnahme an den Vernichtungen verdächtig ist. Der Zeuge Gew. hat aber insoweit glaubhaft ausgesagt, es sei ganz ausgeschlossen, dass er vor Einrichtung seiner Dienststelle in Schaulen, was frühestens anfangs August 1941 gewesen sei, den Angekl. Böhme in Tilsit aufgesucht habe. Wenn der Angekl. Böhme tatsächlich an ihn herangetreten wäre, wie er es behaupte, so müsste er sich unbedingt daran erinnern. Da es sich um das Schicksal Tausender von Frauen und Kindern gehandelt habe, hätte er das Ansuchen des Angekl. Böhme vor seiner Entscheidung als wichtiges Vorkommnis an Reichskommissar Lohse berichten müssen, woran er sich aber nicht erinnern könne.

B. Die Besprechung beim Landrat in Litauisch Krottingen

I. Tatsächliche Feststellungen

Anfangs August 1941 war eine Besprechung beim Landrat in Litauisch Krottingen angesetzt, da in Bälde mit dem Beginn der Tätigkeit der Zivilverwaltung zu rechnen war. Bei dieser Besprechung sollte u.a. über die Ernährungsfrage, über die Judenfrage, über die Zahlen der Erschossenen, Verhafteten und Verschleppten, über die Erfahrungen mit den Meldungen an die vorgesetzte litauische Behörde nach Kowno und an die Stapo Tilsit sowie über die Auswirkungen der Tätigkeit der Gestapo Tilsit berichtet werden.

Schon mehrere Tage vor dieser Besprechung wurden verschiedentlich Beamte des GPK Memel und der GPP Bajohren und Laugallen bei dem Angekl. Lukys vorstellig und verlangten, dass endlich die jüdischen Frauen und Kinder beseitigt werden, da es hiefür zu spät sei, wenn einmal die Zivilverwaltung eingesetzt sei. Der Angekl. Lukys wurde auch von dem Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, gefragt: "Was macht die Judenzucht?" Anlässlich dieses Besuchs sagte noch Dr. Frohwann zu dem Angekl. Lukys: "Fuchs, Du wirst auch einmal Deinen Schwanz verlieren."

Kurz vor Beginn dieser Landratsbesprechung suchte der Angekl. Behrendt, welcher hiezu nicht eingeladen worden war, den Angekl. Lukys auf und erklärte ihm, er habe von dem Stattfinden der Besprechung Kenntnis bekommen und er werde auch dazu erscheinen. An der Besprechung nahmen ausser dem Landrat Szadwitas von Krottingen der Bürgermeister Piktuczis von Krottingen, ein Beamter des Gebietskommissariats, der Angekl. Lukys als Chef der litauischen Sicherheitspolizei von Krottingen, Petrauskas als Chef der litauischen Ordnungspolizei von Krottingen, ein Partisanenführer, der landwirtschaftliche Sonderführer und der Angekl. Behrendt, letzterer allerdings als ungebetener Gast, teil. Die Anwesenden fühlten sich wegen der Anwesenheit des Angekl. Behrendt unbehaglich. Mit Rücksicht auf dessen Anwesenheit sah deshalb auch der Angekl. Lukys von der ihm aufgetragenen Berichterstattung über seine Feststellungen über die Auswirkungen der Tätigkeit der Gestapo ab.

Bei der Besprechung der Verpflegungsfragen kam auch die Rede auf die Verpflegung der jüdischen Frauen und Kinder. Hier mischte sich nun der Angekl. Behrendt ein, und zwar auf Grund der den Gestapo-Angehörigen durch den Angekl. Böhme erteilten allgemeinen Anweisung, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu töten. Er erklärte, die jüdischen Frauen und Kinder arbeiten sowieso nicht und müssten deshalb als unnütze Esser beseitigt werden. Auf den Einwand des Landrats und des litauischen Ordnungspolizeichefs Petrauskas, dass solche Massnahmen von ihrer vorgesetzten Behörde in Kowno bis jetzt nicht angeordnet worden seien, erwiderte der Angekl. Behrendt, in dem 25 km breiten Grenzstreifen bestimme allein die Gestapo Tilsit, seine Vorgesetzten wünschen die Liquidierung der jüdischen Frauen und Kinder und der "Regierungsrat" habe es so bestimmt. Anschliessend an diese Besprechung sprach er noch mit dem Ordnungspolizeichef Petrauskas.

Andern Tags teilte Petrauskas dem Angekl. Lukys mit, er habe mit der vorgesetzten Behörde in Kowno gesprochen. Von dort habe er den Bescheid erhalten, dass die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Kowno aus nicht angeordnet, aber auch nicht verboten werde und dass die Entscheidung ihm überlassen bleibe. Petrauskas hat hinzugesetzt, der Angekl. Behrendt habe noch gesagt, die Gestapo wolle nicht mehr selbst liquidieren, sondern die Liquidierung der jüdischen Frauen und Kinder durch die Litauer durchführen lassen.

In den nächsten Tagen wurde der Angekl. Behrendt noch wiederholt beim Landrat in Krottingen und beim Angekl. Lukys wegen der alsbaldigen Durchführung der Liquidierung der jüdischen Frauen und Kinder vorstellig. Die Einwirkungen des Angekl. Behrendt hatten zur Folge, dass kurze Zeit darauf mit den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder im Kreise Krottingen begonnen wurde. Die Erschiessungen liess sich der Angekl. Lukys jeweils melden, soweit er an ihnen nicht selbst teilgenommen hatte; die Meldungen gab er seinerseits an die Stapo Tilsit weiter.

Für diese Tötungen der jüdischen Frauen und Kinder im Kreis Krottingen sind neben den Ausführenden die Angeklagten Böhme und Behrendt mitverantwortlich. Der Angekl. Böhme ist wegen seiner im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilten allgemeinen Anweisung an die Gestapo-Angehörigen, die jüdischen Frauen und Kinder zu töten bezw. unter ihrer Leitung durch Litauer töten zu lassen, mitverantwortlich. Der Angekl. Behrendt ist mitverantwortlich, weil er in Kenntnis des Säuberungsbefehls und auf Grund dieser allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme die Massnahmen der Haupttäter unterstützen wollte und deshalb entsprechend auf die massgebenden litauischen Teilnehmer bei der Landratsbesprechung selbst und auch noch kurz danach einwirkte.

II. Beweiswürdigung

a. Der Angekl. Böhme hat behauptet, er habe seine Gestapo-Beamten im Rahmen des Stahlecker-Befehls nicht allgemein angewiesen, die jüdischen Frauen und Kinder zu töten bezw. töten zu lassen. In seinen Fernschreiben habe er sie vielmehr ausdrücklich angewiesen, nur jüdische Männer vom 16. Lebensjahr an aufwärts sowie gefährliche Kommunisten zu erschiessen. Dies hat ihm das Schwurgericht jedoch nicht geglaubt.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angekl. Böhme seine Untergebenen im Rahmen des ihm erteilten Säuberungsbefehls auf das wiederholte Drängen von Dr. Stahlecker hin allgemein angewiesen, sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen bezw. sie durch Litauer in ihrer Anwesenheit und unter ihrer Leitung erschiessen zu lassen und die Zahl der Erschossenen jeweils zu melden. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen zu den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder in den Urteilsgründen Bezug genommen.

Dagegen ist sein Vorbringen, er habe von dieser Besprechung beim Landrat in Krottingen keine Kenntnis, und er habe auch dem Angekl. Behrendt zur Teilnahme an dieser Besprechung keinen Sonderauftrag gegeben, nicht zu widerlegen gewesen.

b. Der Angekl. Behrendt hat geleugnet, Kenntnis von einer allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme gehabt zu haben, dass die Gestapo nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder töten müsse bezw. dass sie deren Tötung durch Litauer zu veranlassen und die Tötung zu überwachen habe. Er hat weiterhin geleugnet, jemals an einer Besprechung beim Landrat in Krottingen teilgenommen und sich wegen der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder bei litauischen Behörden eingeschaltet zu haben.

Dies ist ihm jedoch nicht geglaubt worden.

Das Schwurgericht hält für erwiesen, dass der Angekl. Behrendt diese allgemeine Anweisung des Angekl. Böhme gekannt und sich auf Grund dieser allgemeinen Anweisung bei der Landratsbesprechung eingeschaltet und die alsbaldige Tötung der jüdischen Frauen und Kinder als unnütze Esser verlangt hat. Dagegen hat nicht festgestellt werden können, dass er auf Grund eines Sonderauftrags des Angekl. Böhme dieser Besprechung beigewohnt hat.

Der Angekl. Behrendt wird durch die Aussagen des Angekl. Lukys überführt. Das Schwurgericht hat insoweit dem Angekl. Lukys geglaubt, obwohl er im ganzen gesehen bestimmt keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat. Der Angekl. Lukys hat diese Besprechung beim Landrat in Krottingen in Einzelheiten geschildert, die nach der Auffassung des Schwurgerichts nicht erdichtet sind. Glaubhaft hat er ausgesagt, warum diese Besprechung angesetzt worden ist, welche Besprechungsthemen vorgesehen gewesen sind, dass einige dieser Themen nicht haben behandelt werden können und dass er selbst seinen Bericht über die Gestapo nicht vorgetragen habe, weil der Angekl. Behrendt als ungebetener Gast erschienen sei und sich die übrigen Teilnehmer in Gegenwart eines Gestapo-Beamten unbehaglich gefühlt haben. Wenn der Angekl. Lukys den Angekl. Behrendt wider besseres Wissen hätte belasten wollen, wie der Angekl. Behrendt vorgibt, dann hätte er nach der Ansicht des Schwurgerichts wohl nicht eine Darstellung gewählt, welche, alles in allem, keinesfalls den Eindruck einer gesuchten erweckt, und hätte sich im Verlauf seiner Vernehmungen in Widersprüche bei der weitläufigen Schilderung dieser Vorgänge verwickelt. Die den Angekl. Behrendt belastenden Angaben des Angekl. Lukys sind auch schon deshalb glaubhaft, weil sie ganz im Rahmen der Geschehnisse liegen. Es ist dem Angekl. Lukys auch insoweit geglaubt worden, dass vor dieser Besprechung beim Landrat auch schon andere Gestapo-Beamte an ihn herangetreten sind und die Beseitigung der jüdischen Frauen und Kinder verlangt haben.

Bedeutsam ist hier die bereits erwähnte Äusserung des Angekl. Böhme im Vorverfahren bei seiner ersten Vernehmung durch die Zeugen Wei. und Opf. vom 26.4.1957: "Kaum hatte ich die Liquidierung der jüdischen Frauen und Kinder auf meine Art erledigt, da kam die neue Anordnung wegen der Erschiessung der russischen Kommissare." Nach der Feststellung des Schwurgerichts ergibt sich hieraus, dass der Angekl. Böhme mit seiner allgemeinen Anweisung an die Gestapo-Beamten, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen, an eine "Erledigung auf andere Weise", nämlich an eine Tötung unter Einschaltung von Litauern gedacht hat. Gerade dies aber hat nach den Angaben des Angekl. Lukys der Angekl. Behrendt bei der Landratsbesprechung verlangt. Bezeichnend ist vor allem, dass kurz nach der Landratsbesprechung laufend im Kreis Krottingen jüdische Frauen und Kinder unter Einschaltung der Litauer erschossen worden sind.

Dass der Angekl. Lukys auch im Fall Gewildis den Angekl. Behrendt nicht zu Unrecht belastet hat, hat sich auf Grund der späteren Angaben des Angekl. Behrendt gezeigt. Bei der Aktivität und Mentalität des Angekl. Behrendt ist es aber auch sehr naheliegend, dass er sich bei dieser Landratsbesprechung eingeschaltet hat. Dazu ist er als Memelländer, der 2 Jahre beim litauischen Militär gedient hat, anschliessend bis zur Rückgliederung bei der memelländischen Landes- und Kriminalpolizei tätig gewesen ist und die litauische Sprache vollkommen beherrscht hat, auch besonders geeignet gewesen. Dadurch, dass sich der Angekl. Behrendt auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu töten, bei dieser Landratsbesprechung eingeschaltet hat, was die Mitwirkung der Litauer bei diesen Tötungen zur Folge gehabt hat, ist er für alle nachfolgenden Tötungen der jüdischen Frauen und Kinder im Kreise Krottingen mitverantwortlich. Er hat nach der Feststellung des Schwurgerichts den allgemeinen Säuberungsbefehl in dem litauischen Grenzgebiet in vollem Umfang gekannt und hat bis zum Zeitpunkt der Besprechung beim Landrat selbst schon an Erschiessungen jüdischer Männer und Kommunisten teilgenommen gehabt. Er hat, wie das Schwurgericht feststellt, auch weiterhin die Tat der Haupttäter dadurch unterstützen wollen und unterstützt, dass er sich bei dieser Besprechung beim Landrat eingeschaltet, die massgebenden Teilnehmer an dieser Besprechung zur Mitwirkung aufgefordert und deren etwaige Hemmungsvorstellungen durch den Hinweis, dass die Stapo Tilsit in dem Grenzstreifen allein zu bestimmen habe, beseitigt und sie aber auch dadurch davon abgehalten hat, sich gegen entsprechende Aktionen ihrer Landsleute zu wenden.

C. Einzelfälle der Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder

I. Georgenburg (II)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag in den Monaten Juli/August 1941 wurden in einer etwa 80 m von der Strasse Schmalleningken - Georgenburg entfernten Waldschneise - etwa 3 km von der deutschen Grenze und etwa 9 km von der litauischen Stadt Georgenburg entfernt - mindestens 100 Juden, darunter einige alte Männer und ein Rabbiner, im übrigen sonst nur Frauen und Kinder auf Grund der im Rahmen des Stahlecker-Befehls von dem Angekl. Böhme an seine Untergebenen erteilten allgemeinen Anweisung erschossen.

Der Angekl. Carsten, Postenführer des in dem deutschen Grenzort Schmalleningken stationierten Grenzpolizeipostens (Stärke 1:4), hatte auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme im Rahmen des Säuberungsbefehls die Juden durch litauische Ordnungspolizei festnehmen lassen. Während die jüdischen Männer schon am 3.7.1941 erschossen worden waren, wurden die jüdischen Frauen und Kinder mit einigen Greisen weiterhin gefangengehalten und von litauischen Hilfspolizisten, so u.a. auch von dem litauischen Hilfspolizisten Urbanas bewacht.

Die Gefangenen wurden nachts unter Leitung des Angekl. Carsten von dessen Gestapo-Beamten und litauischen Hilfspolizisten in einem etwa 9 km langen Fussmarsch zu der Erschiessungsstätte geführt. Unter ihnen befanden sich zum Teil Frauen mit Säuglingen. Vor dem Abmarsch wurde den Frauen gesagt, sie kommen zu ihren Männern und sie sollen sämtliche Wertsachen mitnehmen. An der Erschiessungsstätte war eine Grube, die flächenmässig etwa 5 x 6 m gross war. Die Opfer mussten ihre Wertsachen abgeben und sich entkleiden, und zwar die alten Männer bis auf die Unterhosen und die Frauen bis auf die Büstenhalter und Schlüpfer. Alsdann betete der mitgeführte Rabbiner mit den Opfern. Anschliessend wurden sie in den frühen Morgenstunden von den litauischen Hilfspolizisten, welche betrunken waren, unter der Leitung des Angekl. Carsten erschossen. Wie die Erschiessung durchgeführt wurde, ist näher nicht bekannt.

Der Vollzug der Erschiessung wurde unter Angabe der Zahl der Opfer und des Erschiessungsorts von dem Angekl. Carsten an die Stapo-Stelle Tilsit und von dort aus an das RSHA und an Dr. Stahlecker gemeldet. In den Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD ist die Erschiessung nicht besonders genannt. Am darauffolgenden Tag fuhr der Angekl. Carsten mit seinem Duzfreund, dem Zollinspektor Os. (Zeuge), von Schmalleningken aus nach Georgenburg. Unterwegs hielt er bei der fraglichen Waldschneise an und ging mit dem Zeugen Os. zu Fuss bis zu dem Massengrab. An Ort und Stelle schilderte er ihm die am Vortage erfolgte Erschiessung.

Später besorgte der Angekl. Carsten noch Chlorkalk, welcher auf das Massengrab gestreut wurde, da sich der Verwesungsgeruch bemerkbar machte.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Carsten hat die Teilnahme an dieser Erschiessung geleugnet. Immerhin hat er die Möglichkeit eingeräumt, einen Befehl zur Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder erhalten zu haben. Diesen Befehl will er aber nicht ausgeführt haben. Er habe nur von Litauern über 2 Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder Kenntnis bekommen. Dies habe er allerdings der Stapo-Stelle Tilsit weitergemeldet. Er hat auch behauptet, er kenne die Erschiessungsstelle nicht, obwohl er gelegentlich bei Jagden nach den Massengräbern gefahndet habe. Es sei richtig, dass er sich Chlorkalk besorgt habe, aber nur für die Gräber auf dem jüdischen Friedhof. Das Schwurgericht hat dem Angekl. Carsten nicht geglaubt, dass er an dieser Erschiessung nicht beteiligt gewesen ist. Der Angekl. Carsten hat während der ganzen Hauptverhandlung keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht.

Der Angekl. Carsten wird vor allem durch die Aussagen des Zeugen Os. überführt. Dieser hat glaubhaft bekundet, ihm habe schon einige Zeit vor der fraglichen Fahrt mit dem Angekl. Carsten der litauische Hilfspolizist Urbanas erzählt, dass er zusammen mit andern Hilfspolizisten im Auftrag des Angekl. Carsten die jüdischen Frauen und Kinder bewachen müsse und dabei viel Geld verdiene, weil die Jüdinnen ihm immer Geld anbieten, um länger leben zu dürfen. Er sei einige Zeit später im Juli oder August 1941 an einem Vormittag mit dem Angekl. Carsten wieder einmal über die Grenze gefahren. Etwa 3 km nach der Grenze habe der Angekl. Carsten in einem Wald gehalten und sei mit ihm zu Fuss in eine etwa 80 m von der Strasse entfernte Waldschneise gegangen. Dort habe er ihm ein etwa 5 x 6 m grosses Massengrab gezeigt und gesagt, dass hier am Abend zuvor jüdische Frauen und Kinder sowie einige alte Juden und ein Rabbiner durch Litauer erschossen worden seien. Die Litauer seien betrunken gewesen. Die Frauen haben sich bis auf Büstenhalter und Schlüpfer und die Männer bis auf die Unterhose ausziehen müssen. Der Rabbiner habe noch eine Ansprache gehalten bezw. gebetet. All dies hat der Zeuge Os. in glaubhafter, anschaulicher Weise bekundet und hinzugefügt, er sei auf den Bericht des Angekl. Carsten hin so bestürzt gewesen, dass er gar nicht habe sprechen können, sondern ihn nur angesehen habe. Nach dem ganzen Verhalten des Angekl. Carsten und auf Grund dessen eingehender Schilderung dieser Erschiessung, die er ganz sachlich ohne irgendwelche Anzeichen einer seelischen Erregung abgegeben habe, sei er überzeugt, dass der Angekl. Carsten an dieser Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder durch die Litauer teilgenommen habe. Dies hat auch das Schwurgericht für erwiesen erachtet.

Der Zeuge Os. hat weiterhin bekundet, dass kurze Zeit nach dieser Fahrt der Polizist Urbanas ihm ebenfalls von dieser Erschiessung berichtet habe. Nach dessen Erzählung haben die Opfer etwa 9 km zu Fuss bis zur Erschiessungsstelle gehen müssen. Unter ihnen haben sich teils Frauen befunden, die erst kurz zuvor entbunden gehabt haben.

Der Angekl. Carsten wird weiterhin durch den Zeugen St. belastet, welcher von 1934 bis 7.3.1941 evangelischer Pfarrer in Georgenburg gewesen ist. Dieser hat glaubhaft bekundet, ihm haben anlässlich seines Besuchs in der Zeit von Ende 1941 bis anfangs 1942 der Bürgermeister Höpfner (Gebneris) von Georgenburg und der damalige evangelische Pfarrer von Georgenburg erzählt, dass bei den Erschiessungen der jüdischen Männer sowie der jüdischen Frauen und Kinder der Angekl. Carsten massgeblich beteiligt gewesen sei. Er habe den Litauern Waffen und Munition aushändigen lassen.

Den jüdischen Frauen sei vor ihrem Abtransport zur Erschiessungsstätte geraten worden, ihre sämtlichen Wertsachen mitzunehmen, da sie zu ihren Männern kommen werden. Der Zeuge O., früher Adjutant des Polizeibataillons Tilsit, hat glaubhaft bekundet, dass ihm von Angehörigen seines Schupo-Kommandos berichtet worden sei, jüdische Frauen und Kinder von Georgenburg seien auf Anweisung der Gestapo durch litauische Polizei erschossen worden. Seines Erachtens haben bei diesen Erschiessungen durch die Litauer schon deshalb Gestapo-Angehörige zugegen sein müssen, weil zur damaligen Zeit die litauische Polizei noch gar keine eigenen Waffen gehabt habe. Der Zeuge O. hat weiterhin einen Vorfall bekundet, den er selbst miterlebt hat. Danach hat er auf einer Fahrt mit seinem Kommandeur nach Georgenburg eine Jüdin mit einem kleinen Kind völlig aufgelöst aus einem Wald herauskommen und auf der Strasse flüchten sehen. Sie haben mit dem PKW gehalten, um die Frau nach dem Grund ihres Verhaltens zu fragen. Die Jüdin sei aber weitergeflüchtet und es sei ausserdem aus dem Wald ein Gestapo-Mann herausgekommen, so dass sie nichts weiter unternommen haben. Kurz darauf sei ein betrunkener uniformierter litauischer Polizist aus dem Wald gekommen. Auf ihre Frage, was denn hier eigentlich los sei, habe dieser erwidert, es seien soeben jüdische Frauen und Kinder erschossen worden. In Georgenburg haben sie dann erfahren, die litauische Polizei habe von der Gestapo Alkohol bekommen und dann die jüdischen Frauen und Kinder erschossen, wobei von den jüdischen Frauen ein erheblicher Teil schwanger gewesen sei.

Das Schwurgericht ist daher trotz des Leugnens des Angekl. Carsten überzeugt, dass er auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme durch betrunken gemachte Litauer die jüdischen Frauen und Kinder hat erschiessen lassen und dass diese Erschiessung unter seiner Leitung durchgeführt worden ist.

Auf Grund der Aussagen des Zeugen Os., dass auch ganz kleine Kinder, sogar Säuglinge, getötet worden seien und dass das Massengrab flächenmässig etwa 5 x 6 m gross gewesen sei, hat das Schwurgericht festgestellt, dass mindestens 100 Personen erschossen worden sind.

Der Angekl. Böhme hat seine Beteiligung an dieser Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder geleugnet. Er will sich an diesen Fall nicht erinnern. Es sei ihm zwar wiederholt gemeldet worden, dass jüdische Frauen und Kinder durch Litauer erschossen worden seien. Er habe sich aber nur nachrichtenmässig eingeschaltet und die gemeldeten Zahlen der Erschossenen an das RSHA und an Dr. Stahlecker weitergemeldet. Das Schwurgericht hat jedoch dem Angekl. Böhme nicht geglaubt, dass diese Erschiessung ohne seine Mitwirkung erfolgt ist und dass er sie nicht veranlasst hat. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts ist auch diese Erschiessung nur auf Grund seiner allgemeinen Anweisung an die ihm unterstellten Gestapo-Männer erfolgt. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen Bezug genommen.

Dem Angekl. Hersmann, welchem in dem Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 die gleiche Anzahl von Verbrechen zur Last gelegt ist wie dem Angekl. Böhme, kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden.

II. Wirballen

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im Juli/August 1941 wurden vom frühen Morgen bis gegen 9 Uhr vormittags in dem Weidegelände Vigainis bei Wirballen mindestens 200 Juden, darunter einige alte Männer, im übrigen Frauen und Kinder, erschossen.

Die Opfer waren etwa 3 Wochen vorher auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angeklagten Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls an seine Unterführer durch Gestapo-Beamte unter der Leitung des Kriminalobersekretärs Tietz, des Leiters des GPK Eydtkau (Stärke 1:18-20) verhaftet und in einem roten Backsteingebäude untergebracht worden. Dort wurden sie von litauischen Polizisten bewacht. An Markttagen durften die Judenfrauen einkaufen; sonst war der Zivilbevölkerung die Abgabe von Lebensmitteln an die Gefangenen verboten.

Am Tag vor der Erschiessung kam Kriminalobersekretär Tietz mit etwa 15-20 Gestapo-Beamten aus Eydtkau nach Wirballen, um die noch gefangenen Juden gemäss der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme zu erschiessen, die dieser seinen Untergebenen im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilt hatte. Mit der Erschiessung sollte im Morgengrauen begonnen werden. Noch in der Nacht wurden die Opfer mit litauischen Pferdefuhrwerken zu dem Weidegelände Vigainis gefahren. Dort mussten sie ihre Wertsachen abgeben und sich bis aufs Hemd - die Kinder völlig nackt - ausziehen.

Gruppenweise mussten sich die Opfer am Rand eines über 20 m langen und 2-3 m breiten Grabens aufstellen. Auf eine Entfernung von etwa 20 Schritten wurden sie durch Stapo-Beamte mit Gewehren oder Maschinenpistolen erschossen. Der Grabenrand war schliesslich voll Blut.

Während der Erschiessung standen in der Nähe der Erschiessungsstätte Lastkraftwagen und Pferdefuhrwerke, mit welchen die Gestapo-Beamten und die Opfer gekommen waren. Seitwärts des Erschiessungsgrabens liess ein Viehhirte Kühe weiden. Ausser den Genannten waren keine Zivilisten, vor allem auch keine litauischen Hilfspolizisten, am oder in der Nähe des Tatorts. Bei diesen Erschiessungen kam es zu verschiedenen Vorfällen. So wurde das nackte Kind der Jüdin Scheppkus, einer früheren Nachbarin der Zeugin Ru., nur angeschossen. Blutend und hilfesuchend lief das Kind zu seiner ebenfalls am Grabenrand stehenden, nur mit dem Hemd bekleideten Mutter. Diese riss einen Streifen von ihrem Hemd ab, um damit ihr Kind zu verbinden. Während des Verbindens wurden beide erschossen. Alte Juden, die nicht mehr richtig gehen konnten, wurden von Stapo-Männern mit Gewehrkolben oder mit den Kolben ihrer Maschinenpistolen geschlagen und zum Erschiessungsgraben getrieben.

Unter anderem wurden die Jüdin Schmargolos in hochschwangerem Zustand und das Kind der Jüdin Zander, ebenfalls einer früheren Nachbarin der Zeugin Ru., erschossen. 2 Litauer, die Söhne des Viehhirten, wurden ebenfalls erschossen, weil sie den Opfern noch etwas zu essen geben wollten. Einem verwundeten Juden gelang es, unbemerkt wegzukriechen und heimzugehen. Er erlag jedoch zu Hause seiner schweren Verwundung.

Von den Erschiessungsvorgängen machten Gestapo-Beamte Aufnahmen.

Die Erschiessung meldete Kriminalobersekretär Tietz unter Angabe der Zahl der Erschossenen an die Stapo-Stelle Tilsit. Von hier aus wurde an das RSHA und an Dr. Stahlecker weiterberichtet. In den Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD wurde diese Erschiessung nicht besonders genannt.

Angefügt wird noch, dass sich Kriminalobersekretär Tietz jüdisches Eigentum der Erschossenen, so Frauenpelze und Schmuck, rechtswidrig zueignete. In dem später gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren beging er Selbstmord in der Untersuchungshaft.

2. Beweiswürdigung

Von sämtlichen Angeklagten kann eine Beteiligung an dieser Erschiessung nur dem Angekl. Böhme, dagegen nicht dem Angekl. Hersmann nachgewiesen werden, welchem im Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 die gleiche Anzahl von Tötungsverbrechen zur Last gelegt ist wie dem Angekl. Böhme.

Der Angekl. Böhme hat jegliche Mitwirkung an dieser Erschiessung geleugnet. Er will vor allem nicht Kriminalobersekretär Tietz zu dieser Erschiessung veranlasst haben. Tietz habe ihm zwar gesagt, dass in ganz Litauen jetzt auch die jüdischen Frauen und Kinder getötet werden. Er habe ihm aber erwidert, er dürfe nur männliche Juden vom 16. Lebensjahr an aufwärts und besonders gefährliche Kommunisten erschiessen lassen, wie er ihn und die andern Stapo-Stellen schon vorher auch durch Fernschreiben instruiert habe. Andererseits hat der Angekl. Böhme wiederum angegeben, dass er von dieser Erschiessung bei seiner Rückkunft aus Berlin erfahren habe. Diese Erschiessung sei, wie alle übrigen, an das RSHA und an Dr. Stahlecker gemeldet worden. Während er anfangs behauptet hat, er könne sich nicht daran erinnern, dass sich Kriminalobersekretär Tietz an jüdischem Gut der Erschossenen vergriffen habe, hat er in der Hauptverhandlung dies schliesslich zugegeben, aber wiederum nicht wahrhaben wollen, dass sich Tietz insbesondere Damenmäntel der erschossenen Jüdinnen rechtswidrig zugeeignet hat.

Das Vorbringen des Angekl. Böhme, diese Erschiessung gehe nicht auf seine Veranlassung zurück, ist ihm nicht geglaubt worden. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts ist auch diese Erschiessung auf Grund seiner allgemeinen Anweisung an die ihm unterstellten Gestapo-Beamten erfolgt. Wegen dieser allgemeinen Anweisung wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen Bezug genommen.

Im übrigen beruhen die Feststellungen im wesentlichen auf den Aussagen der Zeugin Ru., einer früheren Hebamme in Wirballen, welche zufällig einen Teil dieser Erschiessung aus nächster Nähe miterlebt hat. Diese Zeugin, zur Zeit ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung 67 Jahre alt, ist offensichtlich bemüht gewesen, vor Gericht die Wahrheit zu sagen und ihre grauenvollen Erlebnisse nach bestem Wissen und Gewissen wiederzugeben. Glaubhaft hat sie bekundet, dass zur Verhaftung sämtlicher Juden aus Richtung Eydtkau grau uniformierte Deutsche mit grauen Schirmmützen mit schwarzen Bändern mit 3 Lastkraftwagen gekommen seien.

Während die jüdischen Männer seinerzeit sofort verladen und angeblich zur Arbeit weggeführt, in Wirklichkeit aber erschossen worden seien, seien die Jüdinnen und die jüdischen Kinder sowie einige jüdische Greise in ein rotes Backsteingebäude gesperrt und in der Folgezeit bis zu ihrer Erschiessung von litauischen uniformierten Polizisten bewacht worden. Die Zeugin hat weiterhin glaubhaft bekundet:

Im Juli/August 1941, als noch der Roggen auf den Äckern gestanden sei, habe sie eine Kranke in dem Nachbardorf Warbutschen aufsuchen müssen. Damals sei noch ab 22 Uhr Sperrstunde gewesen. Sie habe sich deshalb gegen 23 Uhr einem ihr bekannten Bauern angeschlossen, der eine Ausnahmegenehmigung gehabt habe, weil er von Wirballen aus in das Nachbardorf einen Kranken mit seinem Fuhrwerk habe fahren müssen. Bei der Abfahrt habe sie von diesem Bauern erfahren, dass an diesem Nachmittag wieder deutsche Uniformierte mit Schirmmützen aus Eydtkau mit ihren Lastkraftwagen gekommen seien. Sie habe sich die Nacht über bei der Kranken aufgehalten und sei gegen 5 Uhr morgens aufgebrochen, um über das Weidegelände Vigainis nach Hause zurückzukehren. Auf der Weide habe ein litauischer Viehhirte Kühe geweidet. Plötzlich sei sie auf einen über 20 m langen und etwa 2-3 m breiten Graben gestossen, in dem sie eine grosse Anzahl Leichen jüdischer Frauen und Kinder und die Leiche eines männlichen Juden erblickt habe. Die Leichen der Jüdinnen und des alten Juden seien nur mit dem Hemd bekleidet gewesen, während die Kinder nackt im Graben gelegen seien. Unter den Leichen habe sie die der hochschwangeren Jüdin Schmargolos und die des Kindes Zander erkannt, die früher in ihrer Nachbarschaft gewohnt haben. Die Jüdin Schmargolos habe sich ehrenamtlich in Wirballen als Hebamme betätigt. Der Grabenrand sei voll von Blutlachen gewesen. Sie sei bis auf einige Meter an den Graben herangekommen. Ob des furchtbaren Anblicks sei sie ohnmächtig geworden und umgesunken. Nach einiger Zeit sei sie wieder zu sich gekommen und habe sich zwischen den weidenden Kühen befunden. Dorthin habe sie der Viehhirte auf dem Boden gezogen, wie er ihr nachher berichtet habe. Am Boden liegend habe sie von hier aus Lastkraftwagen und Pferdefuhrwerke mit dabeistehenden litauischen Bauern erblickt sowie die Erschiessungen der Juden mit angesehen, die offenbar jetzt wieder weitergegangen seien und bis gegen 9 Uhr vormittags gedauert haben. Von dem Erschiessungsgraben sei sie mindestens 20 m entfernt gewesen; wahrscheinlich sei die Entfernung grösser gewesen. Sie sei aber immerhin so nah am Graben gelegen, dass sie später ihre Nachbarin Scheppkus und deren Kind noch deutlich erkannt habe. Sie habe jetzt auch 15-20 grau uniformierte Deutsche gesehen, welche auf eine Entfernung von etwa 20 Schritten auf die am Graben stehenden, nur mit dem Hemd bekleideten Jüdinnen und deren nackte Kinder geschossen haben. Dabei habe sie den Vorgang mit ihrer Nachbarin Scheppkus mit angesehen, welche ihr verwundetes Kind habe verbinden wollen. Weiterhin habe sie gesehen, wie die Uniformierten alte, gehbehinderte männliche Juden mit Kolbenstössen zu dem Graben getrieben haben. Der Viehhirte habe ihr noch erzählt, die Opfer haben laut geschrien, woran sie sich aber nicht mehr erinnern könne. Sie habe wegen dieses Erlebnisses einen solchen Nervenschock erlitten, dass sie heute noch darunter leide. Bei ihrer Rückkehr nach Wirballen habe sie glaubhaft erzählt bekommen, dass am gleichen Tag noch 2 Söhne des Viehhirten erschossen worden seien, weil sie versucht haben, den Jüdinnen etwas zu essen zu geben. Weiterhin habe sie erfahren, dass ein schwerverwundeter Jude unbemerkt vom Erschiessungsplatz habe wegkriechen und sich nach Hause habe retten können, dass er aber doch seinen schweren Verletzungen erlegen sei. Weiterhin sei ihr berichtet worden, dass Gestapo-Beamte von dieser Erschiessung Aufnahmen gemacht haben.

Die Zeugin Ru. hat die Zahl der Opfer auf 2-300 Personen geschätzt. Zugunsten des Angekl. Böhme ist festgestellt worden, dass mindestens 200 Personen erschossen worden sind.

III. Krottingen (VI)
(in der Hauptverhandlung wurde dieser Fall als Krottingen VIII bezeichnet)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag Mitte August 1941 liess der Angekl. Lukys auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme im Rahmen des Säuberungsbefehls mindestens 20 jüdische Frauen und Kinder in einem Wäldchen erschiessen, das sich in einem sumpfigen Gelände und in der Nähe einer der Strassen befand, die zu der nordostwärts von Krottingen gelegenen Stadt Telschei führten.

Bei den Opfern handelte es sich um die Angehörigen der 15 jüdischen Männer, welche Ende Juni / anfangs Juli 1941 unter Leitung des Führers des GPP Bajohren, Mo. (Zeuge), und unter Mitwirkung des Angekl. Lukys erschossen worden waren (vgl. hiezu Fall Krottingen III). Diese Frauen und Kinder waren in dem an der Strasse Krottingen - Polangen gelegenen Gut Prischmonti untergebracht.

Bei einer Dienstfahrt zeigte der Angekl. Lukys dem Zeugen Mo. das Massengrab und berichtete ihm von der Erschiessung. Der Zeuge Mo. meldete diese Erschiessung an seine vorgesetzte Dienststelle nicht weiter, da sie schon einige Zeit zurücklag.

2. Beweiswürdigung

Der Angekl. Lukys hat in der Hauptverhandlung zu den Frauen- und Kindererschiessungen zunächst ganz allgemein angegeben, dass sich die Gestapo-Beamten, vor allem auch die Gestapo-Beamten Meissner und Meike vom GPP Bajohren, um die Erschiessung der Frauen und Kinder gekümmert und sie zusammen mit litauischen Polizisten durchgeführt haben. Dies wisse er aus den bei ihm eingegangenen Meldungen, die er jeweils an die Stapo Tilsit weiterberichtet habe. Bezüglich der Erschiessung der 60 jüdischen Frauen und Kinder - diese Zahl ist im Eröffnungsbeschluss vom 17.2.1958 den Angeklagten Böhme und Lukys zur Last gelegt - sei er unbeteiligt. Der Zeuge Mo. werde die Frauen und Kinder wohl selbst erschossen haben und wolle ihn jetzt dafür verantwortlich machen. Später hat er, wie auch schon im Vorverfahren, angegeben, der litauische Ordnungspolizeichef Petrauskas habe diese jüdischen Frauen und Kinder mit den aus Polangen stammenden jüdischen Frauen und Kindern in einem Bunker bei Polangen erschossen. Vorher seien die Frauen und Kinder in dem Gutshof Wilemiske, auch Wilemischki genannt, untergebracht gewesen.

Das Schwurgericht hat dem Angekl. Lukys nicht geglaubt, dass er mit dieser Erschiessung nichts zu tun habe. Es ist vielmehr überzeugt, dass er diese Erschiessung mit seinen Leuten durchgeführt hat, wie es der Zeuge Mo. bekundet hat. Bezüglich der von dem Angekl. Lukys angezweifelten Glaubwürdigkeit des Zeugen Mo. wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen zu den Fällen Krottingen III (Erschiessung von 15 jüdischen Männern) und Krottingen IV (Erschiessung von 4 Kommunisten) Bezug genommen.

Das Schwurgericht hat entgegen der Behauptung des Angeklagten Lukys von dem Zeugen Mo. auf Grund der eingehenden Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht den Eindruck gewonnen, dass er den Angekl. Lukys wider besseres Wissen belaste und ihm die Schuld an dieser Erschiessung zuschieben wolle, die er wohl selbst durchgeführt habe. Wenn der Zeuge Mo., welcher, wie früher schon ausgeführt, ebenfalls der Teilnahme an Erschiessungen verdächtig ist, selbst an dieser Erschiessung, jedoch ohne Mitwirkung des Angekl. Lukys, beteiligt gewesen wäre, hätte er nach der Ansicht des Schwurgerichts im Vorverfahren den bis dahin noch unbekannten Fall gar nicht angegeben, da er als verständiger Mensch mit seiner eigenen strafrechtlichen Verfolgung hätte rechnen müssen.

Nicht richtig ist, dass die Aussagen des Zeugen Mo. in Widerspruch zu denen der Zeugen B. und Na. stehen, wie der Verteidiger des Angekl. Lukys in seinem Schlussvortrag ausgeführt hat. Nach seinen Ausführungen seien nach den Aussagen des Zeugen Mo. die jüdischen Frauen und Kinder von Krottingen in dem Gutshof Prischmonti, der zwischen Krottingen und Polangen gelegen sei, untergebracht und später in einem in Richtung Telschei gelegenen Wäldchen erschossen worden. Nach den Ausführungen des Verteidigers habe die Zeugin B. aber ausgesagt, dass die in Frage stehenden Frauen und Kinder in dem Gutshof Wilemiske untergebracht und in halbfertigen Betonunterständen, die sich in einem Wäldchen von Kunigiskiai befunden haben, erschossen worden seien. Die Aussagen dieser Zeugin, meint der Verteidiger, verdienen aber mehr Glauben als die des Zeugen Mo., welcher ein erhebliches Interesse an seiner eigenen Entlastung habe. Nach den Bekundungen des Zeugen Na. seien die jüdischen Frauen und Kinder von Wilemiske zudem von der Gestapo und nicht von Litauern erschossen worden.

Dem steht jedoch entgegen, dass die zur Tatzeit in Polangen wohnende Zeugin B. bei ihren Aussagen klar unterschieden hat zwischen jüdischen Frauen und Kindern aus Polangen und anderen jüdischen Frauen und Kindern, die nicht aus Polangen gekommen sind, deren Herkunftsort sie aber sonst nicht kennt. Sie hat ausgesagt, dass die aus Polangen stammenden jüdischen Frauen und Kinder in ein aus einem Holzhaus bestehendes Kinderheim gekommen seien, welches auf der rechten Seite der von Polangen nach Krottingen führenden Strasse gelegen sei. Sie hat weiterhin glaubhaft ausgesagt, dass die anderen jüdischen Frauen und Kinder, die nicht aus Polangen gekommen seien, in dem auf der linken Seite der von Polangen nach Krottingen führenden Strasse gelegenen Gutshof Prischmonti untergebracht worden seien, welcher sich näher bei Krottingen befunden habe als das Kinderheim. Nach den Aussagen des Zeugen Mo. sind aber gerade die aus Krottingen stammenden fraglichen jüdischen Frauen und Kinder in dem Gutshof Prischmonti untergebracht worden. Die Zeugin B. hat weiterhin ausgesagt, sie habe von einer Fischersfrau gehört, dass jüdische Frauen und Kinder in halbfertigen Bunkern in einem Wäldchen von Kunigiskiai erschossen worden seien, wobei sie aber nicht ausgesagt hat, dass es sich dabei gerade um die im Gutshof Prischmonti untergebracht gewesenen Frauen und Kinder gehandelt habe. Nach den Bekundungen des Zeugen Na. sind die jüdischen Frauen und Kinder von Polangen zuerst in der Synagoge von Polangen, daraufhin in dem in der Nähe von Polangen gelegenen Gut Walterischkiai untergebracht und später in dem Wald von Kunigiskiai unter der Leitung eines Tilsiter Kommandos ermordet worden. Der Zeuge Na. gibt die Zahl der Opfer auf 216 Personen an, da von den ursprünglich festgenommenen 226 Personen in der Zwischenzeit 10 Personen gestorben seien. Der Zeuge Na. war früher Direktor der Gymnasien von Polangen und Krottingen. Zur Tatzeit hat er in Polangen gewohnt und bei Ausbruch des Russlandfeldzuges die Aufgaben eines zweiten Bürgermeisters übernommen. Seine vor dem deutschen Generalkonsulat in Chicago am 14.8.1957 gemachten Aussagen sind in der Hauptverhandlung im Einverständnis aller Beteiligten verlesen worden, da der Zeuge Na. seiner Ladung zur Hauptverhandlung wegen Krankheit nicht hat Folge leisten können.

Die Aussagen der beiden Zeugen B. und Na. bezüglich der im Wald von Kunigiskiai erschossenen Personen betreffen nach der Feststellung des Schwurgerichts die aus Polangen stammenden jüdischen Frauen und Kinder, wie in den Urteilsgründen zu dem Fall Polangen III noch näher ausgeführt wird. Entgegen den Aussagen der Zeugen B. und Mo. weiss der Zeuge Na. davon nichts, dass auch in dem Gutshof Prischmonti jüdische Frauen und Kinder untergebracht worden sind.

Aus den Aussagen des Zeugen Na. ergibt sich aber weiterhin, dass der Angekl. Lukys nicht in bestem Ruf gestanden ist. Der Zeuge Na. kann allerdings nur das bekunden, was er von dritter Seite gehört hat und was als Gerücht im Kreis Krottingen im Umlauf gewesen ist. So sei einige Wochen nach dem Einmarsch der Deutschen davon gesprochen worden, dass die Angekl. Behrendt und Lukys für die Erschiessungen verantwortlich seien. Nach seinen Bekundungen sind 3-4 Wochen nach dem Brand von Krottingen wiederholt Gruppen von 3-5 Personen erschossen worden. Auch dafür ist gerüchtweise nach seinen Bekundungen der Angekl. Lukys mit seinem Stab verantwortlich gemacht worden.

Das Schwurgericht hat den Aussagen des Zeugen Mo. geglaubt und festgestellt, dass die Angehörigen der im Juni/Juli 1941 erschossenen 15 jüdischen Männer nach ihrer Verhaftung in dem Gut Prischmonti untergebracht und später von dem Angekl. Lukys und seinen Leuten Mitte August 1941 in dem bei Krottingen in Richtung Telschei gelegenen Wäldchen erschossen worden sind, wie dies der Angekl. Lukys gegenüber dem Zeugen Mo. nach dessen glaubhaften Bekundungen berichtet hat.

Der Zeuge Mo. hat ausgesagt, er schätze nach der Grösse des Massengrabes die Zahl der Erschossenen auf etwa 60 Personen. Das Schwurgericht hat jedoch Bedenken gehabt, diese Aussagen für die Feststellung der Zahl der Opfer zugrunde zu legen. Da nämlich die Tiefe des Massengrabs nicht bekannt ist, ist es schwer zu schätzen, wieviel Leichen in das Massengrab gebettet worden sind. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass ein Teil der zuvor erschossenen 15 jüdischen Männer ledig gewesen ist. Das Schwurgericht hat daher entgegen der im Eröffnungsbeschluss vom 17.2.1958 genannten Zahl von 60 Opfern ihre Zahl auf 20 Personen als Mindestzahl festgestellt. Das Schwurgericht hat weiterhin festgestellt, dass der Angekl. Lukys diese Erschiessung nicht aus eigenem Antrieb durchgeführt hat. Er hat vielmehr nach der Überzeugung des Schwurgerichts auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme, welche dieser im Rahmen des auch dem Angekl. Lukys bekannten Säuberungsbefehls seinen Gestapo-Beamten erteilt hat, und auf Grund des vom Angekl. Behrendt bei der Landratsbesprechung geäusserten Verlangens, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu liquidieren, gehandelt, um die befohlenen Säuberungsmassnahmen der Haupttäter zu unterstützen.

Der Angeklagte Böhme will von dieser Erschiessung nichts wissen. Er hat aber zugegeben, dass er schon am 26.6.1941 den Angekl. Lukys in vollem Umfang mit den Säuberungsmassnahmen in dem 25 km breiten Grenzstreifen bekanntgemacht und mit der Mitwirkung beauftragt hat. Dies hat auch das Schwurgericht für erwiesen erachtet. Der Angekl. Böhme ist auf Grund dieser Auftragserteilung an den Angekl. Lukys sowie auf Grund seiner allgemeinen Anweisung an die Gestapo-Beamten, nunmehr auch sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen bezw. durch die Litauer erschiessen zu lassen, verantwortlich. Der Angekl. Behrendt hat, wie früher festgestellt, bei der Landratsbesprechung auf Grund dieser allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme die Anwesenden aufgefordert, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen.

Gegen den Angekl. Hersmann hat eine Mitwirkung an dieser Erschiessung nicht festgestellt werden können.

Der Angekl. Behrendt hat seine Mitwirkung bei dieser Erschiessung geleugnet. Er ist jedoch mitverantwortlich, weil er auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme bei der Landratsbesprechung in Krottingen, an welcher auch der Angekl. Lukys teilgenommen hat, die Beseitigung der jüdischen Frauen und Kinder im Landkreis Krottingen verlangt hat mit der Folge, dass kurz darauf die jüdischen Frauen und Kinder durch Litauer, so auch die genannten 20 jüdischen Frauen und Kinder durch den Angekl. Lukys, erschossen worden sind. Insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen zu dem Fall "Die Besprechung beim Landrat in Litauisch Krottingen" Bezug genommen.

IV. Garsden (II)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im August/September 1941 wurden in einem Wald bei Garsden mindestens 100 jüdische Frauen und Kinder durch betrunkene litauische Polizisten getötet. Diese Erschiessung erfolgte auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an seine Gestapo-Männer, deren Durchführung im Landkreis Krottingen der Angekl. Behrendt von den massgebenden Teilnehmern bei der Landratsbesprechung in Krottingen verlangte.

Diese Opfer waren am gleichen Vormittag nach der am 23.6.1941 durch Gestapo-Beamte des GPK Memel unter Dr. Frohwann erfolgten Festnahme der jüdischen Männer durch die gleichen Gestapo-Beamten festgenommen und in einer ausserhalb von Garsden gelegenen Scheune untergebracht worden.

Die Zahl der Erschossenen wurde von dem Angekl. Lukys über das GPK Memel an die Stapo-Stelle Tilsit und von dort an das RSHA sowie an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, weitergemeldet. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

Die jüdischen Frauen und Kinder sind, wie schon zum Fall Garsden I ausgeführt, am Vormittag des 23.6.1941 unmittelbar nach der Verhaftung der jüdischen Männer durch die gleichen Gestapo-Männer des GPK Memel festgenommen und in einer Scheune jenseits des Minge-Flüsschens untergebracht worden.

Dies hat das Schwurgericht auf Grund der Aussagen des Zeugen Sep., eines früheren Fotografen in Garsden, festgestellt, wie in den Urteilsgründen zum Fall Garsden I ausgeführt worden ist. Hierauf wird Bezug genommen. Auch der Zeuge Su. hat diese Form der Unterbringung bestätigt.

Auf den Angaben des Angekl. Lukys und den Aussagen der Zeugen Sep. und Br. beruht die Feststellung, dass diese Frauen und Kinder im August/September 1941 durch betrunkene litauische Hilfspolizisten in einem Wald bei Garsden getötet worden sind. Die Art und Weise der Tötung dieser Opfer hat sich nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Es ist insbesondere nicht erwiesen, dass auch diese Opfer, wie es zum Teil bei der Vernichtung jüdischer Frauen und Kinder von Krottingen der Fall gewesen ist, mit Prügeln oder Eisenstangen erschlagen worden sind. Letzteres ist zwar wahrscheinlich, da auch die Zeugen Br. und Sep. ausgesagt haben, ihnen sei erzählt worden, dass die jüdischen Frauen und Kinder von Garsden durch betrunkene litauische Hilfspolizisten totgeschlagen worden seien. Es sollen auch schon am 23.6.1941 jüdische Kleinkinder von Garsden dadurch durch Litauer getötet worden sein, dass sie mit den Köpfen gegen Bäume geschlagen worden seien, wie der Zeuge La., der frühere Leiter des Zollkommissariats Memel-Ost, auf Grund einer Mitteilung des Bürgermeisters von Garsden ausgesagt hat.

Es hat nicht festgestellt werden können, ob und welche Gestapo-Beamte bei dieser durch die litauischen Hilfspolizisten durchgeführten Tötung anwesend gewesen sind.

Das Schwurgericht hat festgestellt, dass mindestens 100 jüdische Frauen und Kinder getötet worden sind. Für diese Feststellung ist insbesondere massgebend, dass die männlichen Angehörigen dieser Opfer am 24.6.1941 in Garsden erschossen worden sind und dass sie den weit überwiegenden Teil der damals erschossenen 201 Personen ausgemacht haben. Andererseits ist als vermindernder Faktor berücksichtigt worden, dass nach den obengenannten Aussagen des Zeugen La. schon am 23.6.1941 jüdische Kleinkinder aus diesen Familien in einem kleinen Wäldchen bei Garsden ermordet worden sein sollen.

Der Angekl. Böhme hat auch bei dieser Frauen- und Kindererschiessung seine Mitwirkung geleugnet. Nach der Feststellung des Schwurgerichts geht jedoch auch diese Erschiessung auf seine allgemeine Anweisung an die ihm unterstellten Gestapo-Beamten zurück, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu beseitigen. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen Bezug genommen.

Gegen den Angekl. Behrendt ist trotz seines Leugnens ebenfalls eine unterstützende Mitwirkung an dieser Erschiessung festzustellen, weil er auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an die Gestapo-Beamten zur Unterstützung der ihm bekannten Säuberungsmassnahmen der Haupttäter sich bei der Landratsbesprechung in Krottingen eingeschaltet und von den massgebenden litauischen Teilnehmern die Durchführung des Befehls des Angekl. Böhme verlangt hat, nunmehr die jüdischen Frauen und Kinder als unnütze Esser im Landkreis Krottingen zu beseitigen. Insoweit wird auf die Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen zum Fall "Die Besprechung beim Landrat in Krottingen" Bezug genommen. Gegen den Angekl. Hersmann hat eine Mitwirkung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden können.

V. Heydekrug - Kolleschen

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im August/September 1941 wurden in der Gegend von Heydekrug - Kolleschen auf litauischem Boden, nahe an der Grenze, mindestens 50 Juden, darunter einige Greise, im übrigen Frauen und Kinder, erschossen. Die vorher in Litauen ansässig gewesenen Opfer waren wegen der Säuberungsaktionen im litauischen Grenzstreifen auf deutschen Boden geflüchtet, wo sie in unbewohnten, halb zerfallenen und unweit der Grenze gelegenen Häusern unterschlüpften und ein kümmerliches Leben fristeten. Sie waren armselig gekleidet und unterernährt. Auf Befehl der Stapo-Stelle Tilsit fuhren am Erschiessungstag 8-10 Gestapo-Beamte, unter ihnen Kriminalkommissar Gerke (Zeuge), in 2-3 Kraftfahrzeugen zu dem Aufenthaltsort der Juden. Dort holten sie sämtliche Juden aus den Häusern und führten sie auf litauischen Boden an einen Waldrand. An einem dort befindlichen Graben töteten sie die Opfer durch Genickschüsse.

Die Stapo-Stelle Tilsit meldete diese Erschiessung unter Angabe der Zahl der Erschossenen an das RSHA und an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders aufgeführt.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen Gerke und R., insbesondere auf denen des Zeugen Gerke, welcher als Teilnehmer an dieser Erschiessung den Vorgang eingehend geschildert und abschliessend das ganze Bild der Erschiessung mit dem Ausdruck "scheusslich" zusammengefasst hat. Der Zeuge Gerke hat nach seinen Aussagen als früherer Kommissar der Abteilung II der Stapo Tilsit an verschiedenen Säuberungsaktionen teilgenommen. In der Hauptverhandlung hat dieser Zeuge seine früheren Untaten offensichtlich bereut und ohne Rücksicht auf seine eigene Person versucht, eine Bresche in die in der Hauptverhandlung gezeigte gemeinsame Abwehrfront seiner früheren Kameraden zu schlagen, und hat sie tränenden Auges angefleht, endlich die Wahrheit zu sagen. Unmittelbar nach seiner Zeugenvernehmung hat sich die dramatischste Szene während der ganzen Hauptverhandlung abgespielt, als auf Vorhalt seiner Aussagen der Angekl. Böhme in der Stille des Schwurgerichtssaals minutenlang mit sich innerlich gerungen hat, ob er nun zur Frage der Frauen- und Kindererschiessungen die Wahrheit sagen solle oder nicht. Der Angekl. Böhme hat sich aber nicht durchringen können und hat eine ausweichende Antwort gegeben. Der Zeuge R. ist bis Ende Dezember 1939 ap. Kriminalassistent in Heydekrug gewesen. Er ist dann aus dem Staatsdienst ausgeschieden, hat aber weiterhin bis zum Jahr 1944 in Heydekrug gewohnt. Nach seinen glaubhaften Aussagen hat er erstmals im Jahr 1941 und später wiederholt gehört, dass im Raum Kolleschen jüdische Frauen und Kinder sowie einige Männer durch das Einsatzkommando Tilsit erschossen worden seien. Der Zeuge Gerke hat zwar nicht mehr mit Bestimmtheit aussagen können, ob die Erschiessungsstelle auf deutschem oder auf litauischem Boden gewesen ist. Er glaubt eher, dass die Erschiessung auf litauischem Boden stattgefunden hat. Da nach den Feststellungen des Schwurgerichts alle übrigen im Rahmen dieser Säuberungsaktion erfolgten Erschiessungen auf litauischem Boden stattgefunden haben und da damals auch Gewildis von dem Angekl. Behrendt befehlsgemäss von Memel aus auf litauischen Boden hat geschafft werden müssen, um dort erschossen zu werden, hat nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch die Erschiessung der 50 Juden auf litauischem Boden stattgefunden.

Auf Grund der Aussagen des Zeugen Gerke hat das Schwurgericht weiterhin festgestellt, dass mindestens 50 Juden erschossen worden sind, welche mit Ausnahme einiger Greise Frauen und Kinder gewesen sind.

In der Hauptverhandlung hat der Zeuge Gerke zunächst ausgesagt, er und der Angekl. Harms haben von dem Angekl. Böhme oder von dem Angekl. Kreuzmann den Befehl erhalten, mit Stapo-Beamten von Tilsit die Juden bei Kolleschen zu erschiessen.

Von sämtlichen Angeklagten kann jedoch nur gegen den Angekl. Böhme, dagegen nicht auch gegen die Angeklagten Kreuzmann und Harms eine Mitwirkung an dieser Erschiessung mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.

Dem Angekl. Hersmann ist im Eröffnungsbeschluss die gleiche Anzahl von Tötungen zur Last gelegt wie dem Angekl. Böhme. Zur Feststellung seiner Beteiligung an dieser Erschiessung fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte.

Der Angekl. Böhme hat seine Beteiligung an dieser Erschiessung geleugnet. Er hat allerdings behauptet, möglicherweise habe er einen Erschiessungsbefehl erteilt, ohne gewusst zu haben, dass es sich um die Erschiessung von Frauen und Kindern handle. Als ihm nach der Vernehmung des Zeugen Gerke dessen Aussagen vorgehalten worden sind, hat er angegeben, wenn Gerke es so sage, müsse es schon so gewesen sein, er wolle es ja nicht bestreiten, er wisse es aber nicht mehr. Schliesslich hat er noch behauptet, er habe möglicherweise die Frauen- und Kindererschiessungen aus seinem Gedächtnis verdrängt. Daraufhin ist dem Angekl. Böhme nahegelegt worden, sich die Sache über die Mittagspause zu überlegen, worauf die Hauptverhandlung über die Mittagszeit unterbrochen worden ist. In der Nachmittagsverhandlung hat der Angekl. Böhme auf weitere Vorhalte angegeben, er wisse nicht, ob seine Männer auf Grund der von ihm erteilten allgemeinen Ermächtigung auch einmal zu Erschiessungen von Frauen und Kindern eingesetzt worden seien. "Gedächtnismässig habe er es nicht in Erinnerung, dass Frauen und Kinder erschossen worden seien", und er könne sich auch nicht daran erinnern, eine Frauen- und Kindererschiessung angeordnet zu haben.

Bei diesem Vorbringen des Angekl. Böhme handelt es sich um leere Ausreden. Er hat, wie das Gericht oben in den Urteilsgründen festgestellt hat, seinen Untergebenen die allgemeine Anweisung zur Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder im Rahmen des Stahlecker-Befehls gegeben.

Es lässt sich allerdings nicht feststellen, ob in diesem Fall der Angekl. Böhme, was naheliegt, einen Sonderbefehl zur Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder bei Kolleschen erteilt hat, oder ob auf Grund seiner allgemeinen Anweisung von der Stapo-Stelle Tilsit aus, und in diesem Fall vermutlich durch den Angekl. Kreuzmann, das Exekutionskommando in Stärke von 8-10 Mann abgestellt worden ist. Der Zeuge Gerke weiss nicht mehr, ob er von dem Angekl. Böhme selbst oder von dem Angekl. Kreuzmann, zu dessen Abteilung II er gehört hat, den Einsatzbefehl erhalten hat. Auf jeden Fall ist der Angekl. Böhme nach der Feststellung des Schwurgerichts für diese Erschiessung mitverantwortlich, sei es, dass er im Rahmen des Stahlecker-Befehls einen Sonderbefehl für diese Erschiessung gegeben hat, oder dass das Exekutionskommando von der Stapo-Stelle Tilsit auf Grund der im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilten allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme abgestellt worden ist.

Der Angekl. Kreuzmann hat, wie immer, auch in diesem Fall eine Beteiligung an der Erschiessung in Abrede gestellt. Da der Zeuge Gerke nicht mehr weiss, welcher von den beiden Angeklagten Böhme und Kreuzmann das Exekutionskommando für diese Erschiessung abgestellt hat, kann dem Angekl. Kreuzmann nicht mit hinreichender Sicherheit eine Beteiligung nachgewiesen werden.

Der Angekl. Harms hat ebenfalls seine Beteiligung an dieser Erschiessung in Abrede gestellt. Er ist durch den Zeugen Gerke stark belastet worden. Der Zeuge Gerke hat zunächst ausgesagt, der Angekl. Harms habe nach seiner Überzeugung diese Erschiessung sogar geleitet. Da aber der Zeuge Gerke später seine ursprünglich bestimmten Aussagen dahin abgeschwächt hat, "er wisse ziemlich sicher", dass der Angekl. Harms an dieser Erschiessung teilgenommen habe, hat das Schwurgericht doch Bedenken für eine sichere Feststellung hinsichtlich der Teilnahme des Angekl. Harms gehabt. Hiebei hat insbesondere auch zugunsten des Angekl. Harms der Umstand eine nicht unbedeutende Rolle gespielt, dass er nach den Feststellungen des Schwurgerichts schon früher gegenüber dem Angekl. Böhme das Ansinnen abgelehnt hat, die Erschiessung der in dem Lager Batakai untergebrachten jüdischen Frauen und Kinder zu leiten.

VI. Polangen (IV)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag Ende August / Anfang September 1941 wurden in halbfertig betonierten Unterständen im Wäldchen von Kunigiskiai bei Polangen mindestens 200 jüdische Frauen und Kinder durch Gestapo-Beamte vom GPK Memel und litauischen Hilfspolizisten erschossen. Diese Opfer waren nach ihrer in den ersten Kriegstagen des Russlandfeldzugs durch Gestapo-Beamte vom GPK Memel und litauische Hilfspolizisten erfolgten Verhaftung in einem zwischen Polangen und Krottingen gelegenen Kinderheim oder Hofgut untergebracht worden.

Die Erschiessung erfolgte auf Grund der vom Angekl. Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilten allgemeinen Anweisung an seine ihm unterstellten Gestapo-Beamten. Die Mitwirkung der litauischen Hilfspolizisten ist darauf zurückzuführen, dass der Angekl. Behrendt, gestützt auf diese allgemeine Anweisung des Angekl. Böhme, bei einer Besprechung beim Landrat in Krottingen von den massgebenden litauischen Teilnehmern dieser Besprechung die Beseitigung der jüdischen Frauen und Kinder im Landkreis Krottingen, wozu auch Polangen zählte, verlangt hatte.

Wie die Erschiessung erfolgte, ist nicht näher bekannt. Über diese Erschiessung berichtete das GPK Memel, welches auch von dem Angekl. Lukys eine Meldung bekommen hatte, an die Stapo-Stelle Tilsit. Von dort aus wurde unter Angabe der Zahl der Opfer an das RSHA und an den Führer der Einsatzgruppe A weiterberichtet. In den Ereignismeldungen UdSSR wurde diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

Nach den Behauptungen des Angekl. Lukys sollen sämtliche jüdische Frauen und Kinder aus dem ganzen Kreis Krottingen zusammengezogen worden sein und dann in den Bunkern von dem litauischen Ordnungspolizeichef Petrauskas erschossen worden sein. Es habe sich um über 100 Frauen und Kinder gehandelt. Das ist deshalb nicht richtig, weil im Kreis Krottingen weit über 100 jüdische Frauen und Kinder gewohnt haben, und weil nach den Feststellungen des Schwurgerichts im Kreis Krottingen mehrere Erschiessungen von jüdischen Frauen und Kindern an verschiedenen Orten stattgefunden haben.

Der Angekl. Lukys hat in der Hauptverhandlung an anderer Stelle selbst von mehreren Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder, so von Erschiessungen in Garsden, Polangen und Vevirzeniai berichtet und behauptet, die Stapo-Beamten von Memel und Bajohren haben sich um diese Frauen- und Kindererschiessungen immer gekümmert. Sie seien jeweils gekommen und haben zusammen mit litauischen Polizisten die jüdischen Frauen und Kinder erschossen, was er aus den Berichten wisse. Er habe dann jeweils selbst an die Stapo weiterberichtet. Nach den Aussagen der Zeugen B. und Na. sind Gestapo-Beamte aus Richtung Memel an der Erschiessung beteiligt gewesen.

Das Schwurgericht hat deshalb festgestellt, dass Gestapo-Beamte vom GPK Memel zusammen mit litauischen Hilfspolizisten diese Erschiessung durchgeführt haben. Das Schwurgericht hat weiterhin festgestellt, dass die jüdischen Frauen und Kinder nach ihrer Gefangennahme zwischen Polangen und Krottingen entweder in einem Kinderheim oder in einem Hofgut untergebracht worden sind. Näheres hat nicht festgestellt werden können.

Der Angekl. Lukys hat behauptet, die Frauen und Kinder seien in dem Gut Wilemischki untergebracht worden, wobei nach den Ausführungen seines Verteidigers im Schlussvortrag wiederum nicht feststeht, ob das Gut Wilemischki etwa mit dem von der Zeugin B. als Unterbringungsort genannten Kinderheim, einem auf der rechten Seite der von Polangen nach Krottingen führenden Strasse gelegenen Holzhaus, identisch ist.

Der Zeuge Na., früher Gymnasialdirektor von Polangen und Krottingen und kurz nach Kriegsbeginn zweiter Bürgermeister von Polangen, nennt als Unterkunftsort der in Polangen festgenommenen jüdischen Frauen und Kinder das bei Polangen gelegene Gut Walterischkiai. Da nach seinen Bekundungen die Gemeindeverwaltung von Polangen für die Verpflegung dieser Gefangenen hat aufkommen müssen, und da der Zeuge Na. sich noch an die ursprüngliche Zahl von 226 Gefangenen erinnern kann, ist anzunehmen, dass seine Aussagen am ehesten stimmen. Es ist in der Hauptverhandlung auch behauptet worden, jüdische Frauen und Kinder aus Polangen seien in das Ghetto nach Kowno (Kaunas) gekommen. Dies ist nicht richtig, wie auf Grund der Aussagen der Zeugen Pi. und Fri. sowie auf Grund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Wer. festgestellt worden ist.

Die Feststellung, dass mindestens 200 Frauen und Kinder erschossen worden sind, beruht vor allem auf den Bekundungen des Zeugen Na. Er beziffert die Zahl der ursprünglich festgenommenen Frauen und Kinder mit 226 Personen und glaubt, dass in der Gefangenschaft höchstens 10 Personen gestorben sind. Da bei der am 30.6.1941 vorausgegangenen Erschiessung der jüdischen Männer aus Polangen nach der Feststellung des Schwurgerichts 111 männliche Personen getötet worden sind, sind nach der Überzeugung des Schwurgerichts mindestens 200 jüdische Frauen und Kinder getötet worden, wie das allgemeine Zahlenverhältnis der Männer zu den Frauen und Kindern angibt.

Der Angekl. Böhme leugnet seine Mitwirkung an dieser Erschiessung. Er will aber aus der Gegend von Polangen einmal eine Meldung über Frauen- und Kindererschiessungen bekommen haben.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts ist jedoch auch diese Erschiessung auf die allgemeine Anweisung des Angekl. Böhme zurückzuführen, die er im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilt hat. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen Bezug genommen. Der Angekl. Behrendt hat seine Mitwirkung an dieser Erschiessung geleugnet. Wie aber oben in den Gründen schon festgestellt ist, hat er sich auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an die Gestapo-Beamten, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu töten, bei der Landratsbesprechung in Krottingen eingeschaltet und die Beseitigung der jüdischen Frauen und Kinder als unnütze Esser verlangt. Dies hat zur Mitwirkung der Litauer bei den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder im Landkreis Krottingen beigetragen. Er ist deshalb auch für diese Erschiessung mitverantwortlich.

Dem Angekl. Hersmann ist nach dem Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 ebenfalls eine Beteiligung an dieser Erschiessung zur Last gelegt. Dies hat ihm jedoch nicht nachgewiesen werden können.

VII. Batakai (Bataikia)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag Ende August/September 1941 wurden in einem Sumpfgelände dicht an einem etwa 2-3 km von der Ortschaft Batakai entfernten Wald mindestens 500 jüdische Frauen und Kinder unter Leitung des Kriminalsekretärs Schwarz durch Gestapo-Beamte und durch litauische Hilfspolizisten erschossen.

Diese jüdischen Frauen und Kinder hatte Kriminalsekretär Schwarz vom GPP Laugszargen (Stärke 1:8) auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angeklagten Böhme, die er den ihm unterstellten Gestapo-Beamten erteilt hatte, durch seine Gestapo-Beamten und durch litauische Hilfspolizisten in Tauroggen festnehmen und in 3 grossen, von den Russen in der Nähe des Bahnhofs von Batakai erbauten Baracken unterbringen lassen, wo sie von litauischen Hilfspolizisten bewacht wurden. Da die Bewachung etwas lässig durchgeführt wurde, gelang dem aus Tilsit stammenden Zeugen Kni. der Zutritt in das Lager, wo er sich umsehen und mit einer ihm bekannten Jüdin aus Tauroggen unterhalten konnte.

Wie oben in den Gründen schon ausgeführt wurde, hatte Kriminalsekretär Schwarz dem Angekl. Böhme ursprünglich vorgeschlagen, das Lager samt den Insassen in die Luft zu sprengen. Dieser Vorschlag kam jedoch auf Grund einer Besichtigung wegen Gefährdung des in der Nähe gelegenen Bahnhofs nicht zur Ausführung. Daraufhin wies der Angekl. Böhme den Angekl. Harms an, die Leitung der Erschiessung dieser jüdischen Frauen und Kinder zu übernehmen, nahm aber davon wieder Abstand, als der Angekl. Harms ihm erklärte, er könne dies nicht machen. Daraufhin beauftragte der Angekl. Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls Kriminalsekretär Schwarz mit der Erschiessung dieser jüdischen Frauen und Kinder, welche dieser auch mit seinen Gestapo-Beamten und litauischen Hilfspolizisten durchführte.

Am Erschiessungstag liess Kriminalsekretär Schwarz durch die Opfer an der Erschiessungsstätte einen etwa 100 m langen Graben ausheben. Nachdem die Frauen ihre Wertsachen abgegeben hatten, mussten sie sich völlig nackt ausziehen. Gruppenweise mussten sich daraufhin die Opfer, schon halbtot vor Durst und Müdigkeit, vor dem Graben aufstellen, wo sie mit Maschinenpistolen und auch durch Genickschüsse mit Pistolen erschossen wurden. Teilweise noch lebend wurden die Opfer begraben. An die Litauer war vorher Schnaps ausgeteilt worden. Von den Erschiessungsvorgängen machten die Gestapo-Beamten Aufnahmen.

Schwarz meldete den Vollzug der Erschiessung dem Angekl. Böhme, dem er auch Aufnahmen von dieser Erschiessung zeigte. Von der Stapo-Stelle Tilsit wurde diese Erschiessung unter Angabe der Zahl der Opfer an das RSHA und an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, berichtet. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

Dieser Sachverhalt beruht auf den Einräumungen des Angekl. Böhme, auf den Angaben des Angekl. Harms und auf den Aussagen der Zeugen Viktoria Pro., Kazi., No., Kni., Krumbach, Kurt Ban. und Amanda Ban.

Von den Angeklagten hat nur gegen den Angekl. Böhme eine Mitwirkung an dieser Erschiessung festgestellt werden können, dagegen entgegen dem Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 nicht gegen den Angekl. Hersmann.

Der Angekl. Böhme hat behauptet, er habe Kriminalsekretär Schwarz keinen Befehl zur Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder gegeben. Er habe ihn lediglich mit der Feststellung beauftragt, inwieweit jüdische Frauen und Kinder erschossen werden, da er nachrichtenmässig daran interessiert gewesen sei. In seinem Schlusswort hat er dazu noch angegeben: Als Schwarz ihm fernmündlich mitgeteilt habe, er wolle zusammen mit Litauern die Frauen und Kinder von Batakai erschiessen, habe er ihm gesagt, er solle selbst an dieser Erschiessung nicht teilnehmen und solle dies allein die Litauer machen lassen. Er sei nur an einem kurzen Bericht über die Erschiessung und über die genaue Zahl der Opfer interessiert. Dies ist jedoch dem Angekl. Böhme nicht geglaubt worden. Ganz abgesehen davon, dass Kriminalsekretär Schwarz nur dann einen Bericht über die Erschiessung und über die Anzahl der Erschossenen hat machen können, wenn er selbst an dieser Erschiessung teilgenommen hat, ist das Schwurgericht überzeugt, dass diese Erschiessung auf den Befehl des Angekl. Böhme zurückzuführen ist.

Dass der Angekl. Böhme eine allgemeine Anweisung an seine Gestapo-Beamten erteilt hat, sämtliche jüdischen Frauen und Kinder in dem 25 km breiten Grenzstreifen zu erschiessen, ist schon weiter oben in den Gründen ausgeführt und festgestellt worden. Hierauf wird Bezug genommen. Auf Grund der Angaben des Angekl. Harms hat das Schwurgericht darüber hinaus festgestellt, dass die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Batakai auf einen Sonderbefehl des Angekl. Böhme an Kriminalsekretär Schwarz zurückzuführen ist, nachdem der Angekl. Harms das ursprünglich an ihn gestellte Ansinnen, diese Erschiessung zu übernehmen, zurückgewiesen hat. Der Angekl. Harms hat dazu glaubhaft angegeben, dass ihn der Angekl. Böhme ursprünglich mit dieser Erschiessung habe beauftragen wollen und dass er erst davon Abstand genommen habe, als er ihm erklärt habe, dies nicht machen zu können. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Gründen Bezug genommen.

Der Angekl. Harms hat weiterhin glaubhaft angegeben, dass einige Zeit nachher Kriminalsekretär Schwarz ihn aufgesucht und ihm erklärt habe, die jüdischen Frauen und Kinder vom Lager Batakai seien nunmehr durch litauische Polizisten erschossen worden, wobei er ihm auch Farbaufnahmen von den Erschiessungen gezeigt habe. Auf 2 Aufnahmen, die er angesehen habe, habe jeweils ein Litauer eine nackte Jüdin auf einen See oder auf einen Sumpf zugetrieben, wobei er die Frau mit einer Hand an den Haaren gehalten und mit der andern Hand ihr eine Pistole in den Nacken gedrückt habe. Schwarz habe ihm noch gesagt, er komme gerade von dem Angekl. Böhme und habe auch ihm die Bilder gezeigt.

Der Zeuge Krumbach hat hiezu ausgesagt, er habe mit Gestapo-Beamten Kriminalsekretär Schwarz in Laugszargen aufsuchen wollen, ihn aber nicht angetroffen. Schwarz habe ihm nachher als Grund seiner Abwesenheit in Laugszargen angegeben, er habe an diesem Tag mit seinen Gestapo-Männern und mit Litauern jüdische Frauen und Kinder aus dem Lager Batakai erschossen. Nach den Aussagen des Zeugen Krumbach müsse Schwarz zu dieser Erschiessung von dem Angekl. Böhme beauftragt worden sein.

Über die Durchführung der Erschiessung hat der Zeuge Kurt Ban., und zwar auf Grund einer ihm am Tatort von Kriminalsekretär Schwarz gemachten Schilderung glaubhaft ausgesagt: Er sei zur Tatzeit als Fallschirmjäger bei seinen Eltern in Laugszargen im Urlaub gewesen und habe sich während dieser Zeit auch mit Schwarz angefreundet. Sein Vater habe in Laugszargen einen Molkereibetrieb geleitet, der dem Molkereibesitzer Hans Mertins gehört habe. Dieser Mertins habe in der NSDAP eine massgebende Rolle gespielt und habe nach der Schilderung des Kriminalsekretärs Schwarz ebenfalls an dieser Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder aus dem Lager Batakai teilgenommen. Zwei Tage nach der Erschiessung habe ihn nämlich Schwarz zu einer Privatfahrt mitgenommen, die er (Schwarz) und Mertins im Volkswagen des Mertins nach Kowno gemacht haben. Dabei seien sie über Batakai gefahren und haben die Erschiessungsstätte aufgesucht, weil Schwarz seit dieser Erschiessung sein Feuerzeug vermisst habe und der Annahme gewesen sei, es bei dieser Erschiessung verloren zu haben. Am Tatort habe ihm Schwarz ein frisch aufgeworfenes, etwa 100 m langes Massengrab gezeigt. Er habe gesagt, dass 2 Tage zuvor jüdische Frauen und Kinder aus dem Lager Batakai hier erschossen worden seien, und habe ihm näher geschildert, wie die Jüdinnen vor der Erschiessung den Graben haben ausheben und sich völlig nackt ausziehen müssen, wie sie schon halbtot vor Müdigkeit und Durst gewesen seien, wie die Kinder geschrien haben, was ihm besonders nahegegangen sei, und dass sogar einige nur angeschossene Opfer noch lebend begraben worden seien.

Schwarz habe ihm auch noch Aufnahmen von der Erschiessung gezeigt und hinzugefügt, dass auch Mertins an dieser Erschiessung teilgenommen habe. Mertins selbst hat wiederum von der Erschiessung der Zeugin Amanda Ban., der Mutter des Zeugen Ban., Näheres erzählt, wie diese glaubhaft bekundet hat.

Der Zeuge Kni. hat glaubhaft ausgesagt, er habe bei seinem Besuch des Lagers Batakai die Zahl der dort gefangenen jüdischen Frauen und Kinder auf mindestens 1500 bis 1800 Personen geschätzt. Der ihm bekannte Landwirt Pliske habe ihm erzählt, dass die im Lager Batakai untergebracht gewesenen Frauen und Kinder Ende August / Anfang September 1941 dicht bei einem etwa 2-3 km von Batakai entfernten Wald erschossen worden seien. Nach seinen Ortskenntnissen habe es sich um ein hügeliges Gelände gehandelt, dessen Niederungen sumpfig seien. Von einem litauischen Hilfspolizisten, der selbst an dieser Erschiessung teilgenommen habe, habe er gehört, dass die an der Erschiessung beteiligten Litauer Schnaps und nach der Erschiessung auch die Kleider der Erschossenen bekommen haben. Dieser habe ihm auch erzählt, dass die Gestapo-Männer die Erschiessungsvorgänge fotografiert haben.

Die Zahl der Opfer hat das Schwurgericht mangels genügend sicherer Unterlagen zugunsten des Angekl. Böhme auf mindestens 500 Personen festgestellt. Hiebei handelt es sich aber um die unterste Grenze; denn nach den Zeugenaussagen sollen weit mehr Personen, so nach den Aussagen des Zeugen Kni. zwischen 1500 und 1800, erschossen worden sein.

VIII. Krottingen (VII)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im September 1941 wurden bei Krottingen mindestens 120 Juden, darunter einige alte Männer, im übrigen Frauen und Kinder, getötet. Diese Opfer waren in der Zeit um den 27.6.1941 auf Veranlassung des Angekl. Böhme auf Grund des ihm erteilten Säuberungsbefehls durch die ihm unterstellten Gestapo-Beamten in Zusammenwirken mit litauischer Polizei festgenommen und zwischen Krottingen und Polangen festgehalten worden, wobei der genaue Aufenthaltsort nicht festgestellt werden konnte.

Die Tötung wurde unter der Leitung des Dr. Frohwann vom GPK Memel auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an die ihm unterstellten Gestapo-Beamten, die er im Rahmen des Stahlecker-Befehls erteilt hatte, durch Gestapo-Beamte und litauische Hilfspolizisten durchgeführt.

Die gefangenen Jüdinnen waren wiederholt vorstellig geworden, warum sie nicht zu ihren Männern kommen. Am Erschiessungstag wurde ihnen mitgeteilt, sie kommen jetzt zu ihren Männern, müssten sich aber vor dem Abtransport noch ärztlich untersuchen lassen. Für diese angebliche Untersuchung mussten sie sich in einer Scheune nackt ausziehen. Daraufhin mussten sie einzeln die Scheune verlassen und um diese herumgehen. Dort wurden sie durch litauische Hilfspolizisten, die unter Alkohol gesetzt waren, in Gegenwart von Dr. Frohwann und seinen Gestapo-Beamten mit Eisenstangen und Prügeln erschlagen und anschliessend noch mit Bajonetten erstochen. Diese furchtbaren Vorgänge wurden von Gestapo-Beamten fotografiert. Da diese Tötungsart jedoch zu zeitraubend war, wurde der Rest der Opfer erschossen.

Über diese Erschiessung meldeten Dr. Frohwann und der Angekl. Lukys an die Stapo-Stelle Tilsit. Dem Angekl. Lukys war hierüber von dem litauischen Ordnungspolizisten berichtet worden. Von der Stapo-Stelle Tilsit wurde die Erschiessung unter Angabe der Zahl der Opfer an das RSHA und an den Führer der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, weitergemeldet. In den Ereignismeldungen UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD ist diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

a. Auf Grund der Zeugenaussagen ist festzustellen, dass die in der Zeit vom 27.6.1941 festgenommenen jüdischen Frauen und Kinder aus Krottingen in der Gegend zwischen Krottingen und Polangen festgehalten und von litauischen Polizisten bewacht worden sind. Dagegen ist ihr genauer Aufenthaltsort unbekannt, da insoweit die Aussagen der Zeugen auseinandergehen. Der Zeuge Dr. Ro. hat hiezu ausgesagt, er habe ausgangs Juni 1941 bei einer Fahrt mit dem Landrat Kol. von Memel auf freiem Feld bei Krottingen etwa 100 bis 400 jüdische Frauen, Kinder und alte Männer gesehen, die nach seinen Erkundigungen nach dem Brand von Krottingen (26./27.6.1941) festgenommen worden seien.

Der Zeuge Me., ein früherer Gestapo-Angehöriger des GPK Memel, hat ausgesagt, er habe 2 Monate nach Beginn des Russlandfeldzugs in einer Scheune zwischen Krottingen und Polangen jüdische Frauen und Kinder gesehen, die von litauischen Polizisten bewacht worden seien. Der aus Memel stammende Zeuge T., welcher bei Beginn des Krieges zu der Feldeisenbahnabteilung 18 als Feldeisenbahner und zugleich als Dolmetscher für die russische und litauische Sprache eingezogen worden ist, hat bekundet, er habe Ende Juni / anfangs Juli 1941 zwischen Krottingen und Polangen auf freiem Feld in der Nähe eines Bauernhauses eine grössere Anzahl jüdischer Frauen und Kinder ganz notdürftig bekleidet gesehen, welche von litauischen Polizisten bewacht worden seien. Von einem der litauischen Polizisten habe er erfahren, dass die Juden aus Krottingen stammen und dass ihre Männer erschossen worden seien.

Mit Sicherheit hat dagegen auf Grund der glaubwürdigen Aussagen der Zeugen Dr.med.dent. Bo., Ar. und T. festgestellt werden können, dass diese jüdischen Frauen und Kinder grossenteils auf eine ganz scheussliche Art durch litauische Hilfspolizisten unter Aufsicht des Leiters des GPK Memel, Dr. Frohwann, und seiner Gestapo-Beamten getötet worden sind, nämlich dadurch, dass sie völlig nackt mit Eisenstangen und Prügeln erschlagen und anschliessend noch mit Bajonetten erstochen worden sind. Wie früher in den Urteilsgründen schon ausgeführt worden ist, hat der Zeuge Dr.med.dent. Bo., der zur Tatzeit in Memel gewohnt hat, glaubhaft bekundet, er sei im Herbst 1941 an einem Samstagnachmittag gegen 14 Uhr dem ihm bekannten Leiter des GPK Memel, Dr. Frohwann, auf der Strasse in Memel begegnet. Dr. Frohwann sei ganz bleich gewesen und habe den Eindruck erweckt, als ob er einen Nervenschock erlitten habe. Er habe auf dessen Bitte mit ihm ein Café aufgesucht. Dort habe ihm Dr. Frohwann gesagt, er komme soeben von einem fürchterlichen Massaker; in Litauisch Krottingen seien jüdische Frauen und Kinder mit Eisenstangen erschlagen worden. Er habe resigniert hinzugesetzt: "Nun ja, ich muss halt damit fertig werden." Aus dem ganzen Verhalten von Dr. Frohwann, aus seiner Erregtheit und aus seinen Schlussworten: "Nun ja, ich muss halt damit fertig werden", habe er unbedingt entnehmen müssen, dass Dr. Frohwann bei diesem Massaker selbst zugegen gewesen sei, was auch das Schwurgericht für erwiesen erachtet hat.

Die Aussagen des Zeugen Dr. Bo. werden auch durch die Aussagen des inzwischen durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Zeugen Ar., eines früheren Gestapo-Beamten beim GPK Memel, bestätigt. Dieser hat, was ebenfalls früher in den Gründen schon ausgeführt worden ist, glaubhaft ausgesagt, dass Dr. Frohwann im Herbst 1941 von einer "Schweinerei" in Krottingen erzählt habe, bei welcher Litauer jüdische Frauen und Kinder mit Eisenstangen erschlagen haben. Dr. Frohwann habe damals wörtlich noch gesagt: "Das mache ich nicht mehr mit, das ist keine gute Visitenkarte für die Polizei!"

Diese Aussagen werden auch von dem schon erwähnten Zeugen T. bestätigt, welcher bekundet hat, er sei Ende 1941 oder Anfang 1942 von dem stellvertretenden Chef der Bahnpolizei in Krottingen in dessen Wohnung eingeladen worden. Dieser habe ihm erzählt, dass diese jüdischen Frauen und Kinder aus Krottingen, deren Anzahl er mit 150 Personen angegeben habe, noch bis Herbst 1941 in ihrer ärmlichen Kleidung haben ausharren müssen, bis sie getötet worden seien. Sein Gastgeber habe ausführlich geschildert, dass den Jüdinnen vorgemacht worden sei, sie kommen wieder zu ihren Männern, sie müssten sich jedoch zuvor noch ärztlich untersuchen lassen. Die Frauen haben sich in einer Scheune nackt ausziehen und diese einzeln verlassen müssen. Auf dem Weg zu der angeblichen ärztlichen Untersuchung seien sie hinter der Scheune mit Prügeln niedergeschlagen und anschliessend mit Bajonetten erstochen worden. Da diese Tötungsart aber zu zeitraubend gewesen sei, sei der Rest der Opfer erschossen worden. Die grausame Tötung sei von den Gestapo-Beamten fotografiert worden, welche sich dadurch, wie der Bahnpolizeichef ihm gegenüber bemerkt habe, nur ein Beweismaterial dafür haben verschaffen wollen, auf welch grausame Weise die Juden von den Litauern getötet worden seien. Auf Grund der ausführlichen Schilderung des ganzen Tötungsvorgangs des stellvertretenden Bahnpolizeichefs sei er überzeugt, dass dieser an der Tötung als Augenzeuge selbst teilgenommen habe.

Die genaue Zahl der Opfer hat nicht festgestellt werden können.

Der Zeuge Ro. hat die Zahl der Gefangenen auf 100-400 Personen geschätzt. Der Zeuge T. hat bekundet, der stellvertretende Bahnpolizeichef von Krottingen habe von 150 Opfern gesprochen. Zu berücksichtigen ist, dass am 26.6.1941 in Krottingen 214 Männer erschossen worden sind, von denen die weitaus überwiegende Mehrheit Juden gewesen sind, worunter sich allerdings auch Jugendliche befunden haben. Das Schwurgericht hat deshalb zugunsten der Angeklagten festgestellt, dass mindestens 120 Personen getötet worden sind, wobei es sich aber um die unterste Grenze handelt.

Die Feststellung, dass auch der Angekl. Lukys über diese Frauen- und Kindererschiessungen an die Stapo Tilsit berichtet hat, beruht auf seinen eigenen Angaben. Er hat glaubhaft angegeben, dass ihm sämtliche Frauen- und Kindererschiessungen im Kreis Krottingen mitgeteilt worden seien und dass er verpflichtet gewesen sei, an die Stapo Tilsit hierüber weiterzumelden. Er habe deshalb auch über die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Krottingen berichtet.

b. Eine Beteiligung an dieser Erschiessung kann nur gegen die Angeklagten Böhme und Behrendt festgestellt werden. Entgegen dem Eröffnungsbeschluss kann dagegen dem Angekl. Hersmann keine Mitwirkung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden. Der Angekl. Böhme hat seine Mitwirkung an dieser Erschiessung geleugnet. In seinem Schlusswort hat er behauptet, Dr. Frohwann habe ihm vorgeschlagen, die jüdischen Frauen und Kinder von Krottingen unter seiner Leitung durch litauische Ordnungsleute erschiessen zu lassen. Er habe sich dagegen ausgesprochen. Er sei weder bei dieser noch bei anderen Frauen- und Kindererschiessungen in irgendeiner Form tätig geworden. Er habe allerdings auch nicht den Mut gehabt, sich ausdrücklich solchen Massnahmen entgegenzustellen. Er habe eben die Augen verschlossen.

Das Schwurgericht hat jedoch dieses Vorbringen nicht geglaubt und hat, wie früher in den Gründen schon ausgeführt worden ist, festgestellt, dass diese Erschiessung, wie auch alle anderen Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder in dem litauischen Grenzstreifen, auf eine allgemeine Anweisung des Angekl. Böhme zurückzuführen ist, die er im Rahmen des Stahlecker-Befehls seinen ihm unterstellten Gestapo-Beamten gegeben hat.

Der Angekl. Behrendt hat geleugnet, bei irgendeiner Erschiessung jüdischer Frauen und Kinder beteiligt gewesen zu sein. Er ist jedoch für die Erschiessung in Krottingen VII wie auch für alle andern Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder im Landkreis Krottingen mitverantwortlich. Wie schon früher in den Urteilsgründen festgestellt ist, hat er sich auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an die Gestapo-Beamten, nunmehr auch die jüdischen Frauen und Kinder zu töten, bei der Landratsbesprechung in Krottingen eingeschaltet und die Beseitigung sämtlicher jüdischer Frauen und Kinder als unnützer Esser verlangt. Dies hat zur Mitwirkung der Litauer bei den Frauen- und Kindererschiessungen beigetragen.

IX. Vevirzeniai (II)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im September 1941 wurden in einem buschigen Gelände bei Vevirzeniai Krs.Krottingen mindestens 100 jüdische Frauen und Kinder durch 3 Gestapo-Beamte des GPP Bajohren und 2-3 Litauer auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme im Rahmen des Stahlecker-Befehls erschossen. Unter den Gestapo-Beamten befand sich der Gestapo-Beamte Meissner und unter den Litauern der schon mehrfach genannte Praschinskas.

Nachdem die jüdischen Männer von Vevirzeniai - nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen mindestens 50 Personen - im Juli 1941, jedoch nach dem 11.7.1941, erschossen worden waren, wurden noch im gleichen Monat sämtliche jüdischen Frauen und Kinder von Vevirzeniai durch litauische Polizisten auf Veranlassung des GPP Bajohren verhaftet und auf den Gutshof Treppkalnis verbracht. Diese Verhaftung erfolgte auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des Angekl. Böhme, die er den ihm unterstellten Gestapo-Beamten im Rahmen des Säuberungsbefehls erteilt hatte. Die Gefangenen mussten bei Bauern arbeiten, von denen sie auch verpflegt wurden. Sie wurden nur von einem litauischen Arbeiter bewacht.

Als der katholische Pfarrer von Vevirzeniai erfuhr, dass Praschinskas mit einigen Litauern im Ort sei, um die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder vorzubereiten, wollte er die Juden noch katholisch taufen, um sie dadurch vor der Vernichtung zu bewahren. Hievon benachrichtigte er auch den Angekl. Lukys und den von den Deutschen eingesetzten Bürgermeister Us. (Zeuge). Der Zeuge Us. begab sich zur deutschen Ortskommandantur, um die Erschiessung zu verhindern. Da der aus Memel stammende Ortskommandant gerade ortsabwesend war, hatte er keinen Erfolg.

Am Erschiessungstag wurden die Opfer in dem Gutshof Treppkalnis abgeholt und zu der Erschiessungsstätte geführt, wo bereits ein Graben ausgehoben war. Wie die Erschiessung durchgeführt wurde, ist näher nicht bekannt.

Die Leichen wurden so schlecht begraben bezw. mit so wenig Erde zugedeckt, dass teilweise noch Hände von ihnen aus dem Boden herausragten, wie der Zeuge Us. bei seinem etwa 1 Woche nach der Erschiessung erfolgten Besuch des Massengrabes feststellte.

Auf Anordnung des Ortskommandanten wurde daraufhin das Massengrab besser zugedeckt.

Der GPP Bajohren sowie der Angekl. Lukys meldeten diese Erschiessung an die Stapo Tilsit unter Angabe der Zahl der Opfer. Die Stapo Tilsit machte ihrerseits hievon dem RSHA und dem Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, Meldung. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen beruhen im wesentlichen auf den Angaben des Angekl. Lukys und den Aussagen des Zeugen Us.

Die genaue Zahl der Opfer hat nicht festgestellt werden können. Der Angekl. Lukys gibt ihre Zahl mit 60-70 Personen und der Zeuge Us. mit 120 an. Da nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen im Juli 1941 mindestens 50 männliche Angehörige dieser Frauen und Kinder getötet worden sind, sind nach der Überzeugung des Schwurgerichts nach dem allgemeinen Zahlenverhältnis der Männer zu den Frauen und Kindern mindestens 100 Frauen und Kinder erschossen worden. Der Angekl. Böhme hat jegliche Mitwirkung an dieser Erschiessung geleugnet. Nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen ist er jedoch auch für diese Erschiessung auf Grund seiner allgemeinen Anweisung mitverantwortlich, die er im Rahmen des Stahlecker-Befehls seinen Gestapo-Beamten erteilt hat.

Der Angekl. Behrendt hat seine Mitwirkung an dieser Frauen- und Kindererschiessung ebenfalls geleugnet. Er ist jedoch für diese Erschiessung wie auch für alle andern Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder im Landkreis Krottingen mitverantwortlich. Er hat zur Mitwirkung der Litauer bei den Erschiessungen der jüdischen Frauen und Kinder im Kreis Krottingen nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen dadurch beigetragen, dass er auf Grund der allgemeinen Anweisungen des Angekl. Böhme, nunmehr auch sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu beseitigen, bei der Landratsbesprechung in Krottingen von den massgebenden Teilnehmern an dieser Besprechung die Beseitigung sämtlicher jüdischer Frauen und Kinder im Kreis Krottingen verlangt hat. Der Angekl. Lukys ist ebenfalls stark verdächtig, an den Festnahmen und Erschiessungen dieser Frauen und Kinder beteiligt gewesen zu sein. Eine Mitwirkung hat ihm jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden können. Gegen ihn spricht die Teilnahme des Litauers Praschinskas an dieser Erschiessung, welcher nach den Aussagen des Zeugen Us. eine massgebende Rolle in dem dem Angekl. Lukys unterstellten Gefängnis von Krottingen und bei den Vernehmungen gespielt hat. Es ist jedoch nicht bekannt, von welchem Zeitpunkt ab er dem Angekl. Lukys unterstellt gewesen ist. Die Behauptung des Angekl. Lukys, er habe dem Gestapo-Mann Meissner gegenüber die Abstellung zweier seiner Beamten zu der Erschiessung verweigert, erscheint unter den damaligen Verhältnissen wenig glaubhaft. Da er nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen schon am 26.6.1941 von dem Angekl. Böhme in vollem Umfang in die Säuberungsmassnahmen im Grenzgebiet eingeweiht und zur Mitwirkung aufgefordert worden war und da er über die Teilnehmer an dieser Erschiessung und über die Abgabe von Gnadenschüssen durch den Gestapo-Mann Meissner nähere Angaben hat machen können, ist seine Beteiligung an dieser Erschiessung sehr naheliegend. Mangels weiterer stichhaltiger Anhaltspunkte hat jedoch das Schwurgericht Bedenken gehabt, seine Mitwirkung an dieser Erschiessung festzustellen.

Dem Angekl. Hersmann, welchem im Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 die gleiche Anzahl von Verbrechen zur Last gelegt ist wie dem Angekl. Böhme, hat keine Beteiligung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden können.

X. Tauroggen (III)

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im September 1941 wurden in einem am Sunja-Flüsschen in der Nähe des alten Friedhofs von Tauroggen gelegenen Wäldchen mindestens 130 jüdische Frauen und Kinder durch Gestapo-Beamte und litauische Hilfspolizisten unter Leitung des Kriminalsekretärs Schwarz vom GPP Laugszargen auf Grund der allgemeinen Anweisung des Angekl. Böhme an seine Gestapo-Beamten getötet.

Während nach den früheren Feststellungen am 2.7.1941 und in der Zeit vom 3.7.1941 bis 10.7.1941 jüdische Männer aus Tauroggen im Rahmen der Säuberungsmassnahmen erschossen worden sind, wurden die jüdischen Frauen und Kinder von Tauroggen im Juli/August 1941 unter Leitung des Kriminalsekretärs Schwarz durch seine Gestapo-Beamten und litauische Polizisten auf Anweisung des Angekl. Böhme festgenommen und in Baubaracken in der Vitautasstrasse von Tauroggen untergebracht. Dort wurden sie von litauischen Polizisten bewacht.

Am Erschiessungstag liess Schwarz die Opfer mit Lastwagen zu der Erschiessungsstätte verbringen. Dort mussten sie ihre Wertsachen abgeben und sich völlig nackt ausziehen. Ob der Erschiessungsgraben schon ausgehoben war oder ob ihn die Frauen haben ausheben müssen, ist nicht bekannt. Die litauischen Hilfspolizisten bekamen von der Gestapo Schnaps zu trinken und waren während der Erschiessung mindestens angetrunken. Wie die Erschiessung durchgeführt wurde, ist näher nicht bekannt. Mindestens ein Teil der Opfer wurde durch Genickschüsse getötet. Die Opfer wurden teilweise grausam behandelt. Von den Erschiessungsvorgängen machte Kriminalsekretär Schwarz Aufnahmen. Unter den Opfern befand sich auch die Ehefrau des zuvor erschossenen jüdischen Arztes Dr. Joffe.

Kriminalsekretär Schwarz erstattete unter Angabe der Zahl der Opfer Vollzugsmeldung an die Stapo Tilsit, von wo aus an das RSHA und an den Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, weiterberichtet wurde. In den Ereignismeldungen UdSSR ist diese Erschiessung nicht besonders erwähnt.

2. Beweiswürdigung

a. Diese Feststellungen beruhen im wesentlichen auf den Einräumungen des Angekl. Böhme und auf den Aussagen der Zeugen Liubomiras und Viktoria Pro., Kazi., Sp., No., M. und Kas. Diese Zeugen wohnten bis auf Kas. früher in Tauroggen. Der Zeuge Kas. ist zur Tatzeit Führer des Gendarmeriepostens in Laugszargen gewesen.

Von diesen Zeugen hat nur der Zeuge No. gesehen, wie die Opfer vor der Erschiessung mit Lastwagen von den Baubaracken weggefahren worden sind. Keiner der Zeugen hat die Erschiessung selbst mit angesehen. Ihr Wissen haben sie von dritten Personen, die zum Teil an diesen Erschiessungen teilgenommen haben. Alle Zeugen - ausgenommen der der Teilnahme verdächtige Zeuge M. - haben im wesentlichen übereinstimmende, glaubhafte Aussagen gemacht. Die Zeugin Sp. hat den Erschiessungsvorgang von einer Frau aus Tauroggen erzählt bekommen, welche beim Beerensuchen zufällig zu der Erschiessung gekommen ist und auf Befehl eines Gestapo-Beamten auf dem Boden hat liegen müssen. Dem Zeugen M. hat nach seinen Aussagen ein litauischer Hilfspolizist namens Atkotsaitis, welcher selbst mitgeschossen hat, Näheres mitgeteilt. Die Zeugin No. hat nach ihren Aussagen nach der Erschiessung in der Nähe des Massengrabes noch Kleider der Opfer herumliegen sehen; sie hat weiterhin bei dem ihr bekannten Hilfspolizisten Trion, einem Teilnehmer an dieser Erschiessung, eine von den Opfern stammende goldene Uhr und einen goldenen Ring gesehen. Der Zeuge Kas. hat glaubhaft bekundet, ihm habe einmal an einem Abend im Herbst 1941 der ihm bekannte Kriminalsekretär Schwarz gesagt, heute schmecke ihm weder das Essen noch das Trinken, er komme von einer Judenerschiessung. Auf die Frage des Zeugen Kas., wieviel Juden erschossen worden seien, habe Schwarz nur gelächelt. Hieraus habe er geschlossen, dass sehr viele Juden erschossen worden seien.

Die genaue Zahl der Opfer hat nicht festgestellt werden können. Nach der Feststellung des Schwurgerichts sind mindestens 130 Personen erschossen worden. Nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen Kazi. sind weit mehr Frauen und Kinder als Männer erschossen worden. Der Zeuge M. hat ausgesagt, er habe wiederholt die jüdischen Frauen und Kinder in den Baubaracken bewachen müssen. Seiner Schätzung nach seien dort weit über 1000 Personen gefangengehalten worden. Dass die Zahl der Opfer sehr gross gewesen sein muss, hat, wie schon ausgeführt, der Zeuge Kas. aus dem Verhalten des Kriminalsekretärs Schwarz entnommen. Da nach der Feststellung des Schwurgerichts am 2.7.1941 133 Männer, und zwar hauptsächlich Juden, sowie in der Zeit vom 3.7.1941 bis 10.7.1941 weitere 122 Juden erschossen worden sind, ist die vom Schwurgericht festgestellte Zahl von 130 Personen die unterste Grenze. Nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen Liubomiras Pro., Kazi. und M. sind die Opfer bei der Erschiessung grausam behandelt worden, wie ihnen mitgeteilt worden ist. Säuglinge sind zum Teil an den Beinen gefasst und durch Schlagen an Bäume zerschmettert worden. Kinder sind zum Teil lebend in die Grube geworfen und zugedeckt worden. Der Zeuge M. hat bekundet, ihm habe der Litauer Atkotsaitis erzählt, er habe der beleibten Jüdin Grositas noch einen Klaps auf den nackten Hintern gegeben, bevor er sie durch einen Genickschuss getötet habe.

b. Von den Angeklagten kann nur gegen den Angekl. Böhme eine Mitwirkung an dieser Erschiessung festgestellt werden. Er hat behauptet, er habe Kriminalsekretär Schwarz weder die Festnahme noch die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Tauroggen befohlen. Da im September 1941 schon die Zivilverwaltung im litauischen Grenzgebiet bestanden habe, habe möglicherweise der zuständige Amtskommissar Merten die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von Schwarz verlangt. Er (Böhme) sei nur nachrichtenmässig an der Erschiessung interessiert gewesen.

Dies ist dem Angekl. Böhme nicht geglaubt worden. Nach Lage der Dinge ist es auch völlig unwahrscheinlich, dass Kriminalsekretär Schwarz auf Verlangen des zuständigen Amtskommissars mit seinen Gestapo-Beamten diese Erschiessung durchgeführt hat, ohne zuvor die Einwilligung seines Vorgesetzten, des Angekl. Böhme, einzuholen. Der Angekl. Böhme ist auch für diese Erschiessung mitverantwortlich, da sie nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen auf seine im Rahmen des Stahlecker-Befehls ergangene allgemeine Anweisung an seine Gestapo-Beamten, sämtliche jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen, zurückzuführen ist.

Dem Angekl. Hersmann kann entgegen dem Eröffnungsbeschluss eine Beteiligung an dieser Erschiessung nicht nachgewiesen werden.

XI. Mitwirkung des Angekl. Hersmann bei einer namentlich nicht bekannten Frauen- und Kindererschiessung

1. Tatsächliche Feststellungen

An einem näher nicht mehr feststellbaren Tag im Juli/September 1941 nahm der Angekl. Hersmann mit SD-Angehörigen, worunter sich u.a. der SD-Kraftfahrer Ju. sowie der Leiter der SD-Aussenstelle Tilsit, SS-Hauptsturmführer Kalisch, befanden, an der Erschiessung von mindestens 100 jüdischen Frauen und Kindern an einem unbekannten Ort im litauischen Grenzgebiet teil. Diese Erschiessung erfolgte im Rahmen der von Dr. Stahlecker befohlenen Säuberungsmassnahmen unter Leitung der Gestapo aus Tilsit durch litauische Hilfspolizisten. Die Gestapo- und SD-Angehörigen fuhren in 6-10 PKWs von Tilsit zum Erschiessungsort.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen auf den Einräumungen der Angekl. Böhme und Hersmann sowie insbesondere auf den Aussagen der Zeugen Pap., eines früheren Kraftfahrers beim SD Tilsit, und Enn., eines früheren V-Mannes beim SD Tilsit.

Der Angekl. Hersmann hat in der Hauptverhandlung zwar zugegeben, dass Dr. Stahlecker ihm schon am 22.6.1941 bei der ihm und dem Angekl. Böhme erfolgten Erteilung des Säuberungsbefehls erklärt habe, dass in dem 25 km breiten Grenzstreifen sämtliche Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht zu vernichten seien.

Während er im Vorverfahren jedoch geleugnet hat, dass Dr. Stahlecker nachher ausdrücklich noch den Befehl zur Vernichtung der jüdischen Frauen und Kinder gegeben habe, und dass er von einem derartigen Befehl des Dr. Stahlecker an den Angekl. Böhme etwas gewusst habe, vielmehr sogar behauptet hat, er habe gehört, dass die jüdischen Frauen und Kinder auf Schiffen nach Schweden gekommen seien, hat er in der Hauptverhandlung angegeben, dass Dr. Stahlecker nach dem Brand von Krottingen (26./27.6.1941) darauf bestanden habe, raschmöglichst auch die jüdischen Frauen und Kinder zu erschiessen. Daraufhin will er, wie früher in den Gründen schon ausgeführt worden ist, bei dem Angekl. Böhme vorsichtig vorgetastet haben, wie er sich zu der ihnen befohlenen Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder stelle. Als er festgestellt habe, dass auch der Angekl. Böhme gegen diese Erschiessung durch eigene Leute eingestellt gewesen sei, habe er mit ihm vereinbart, diese Erschiessung nicht mit eigenen Leuten durchführen zu lassen.

Dass er jedoch keine Hemmungen gehabt, vielmehr dem Angekl. Böhme nach dem Brand von Krottingen noch Vorwürfe gemacht hat, weil er die jüdischen Frauen und Kinder nicht auch gleich hat erschiessen lassen, und dabei noch gesagt hat, er sei in Frankfurt/Main aufgewachsen und könne die Juden besser beurteilen als der Angekl. Böhme, hat das Schwurgericht auf Grund der insoweit glaubhaften Angaben des Angekl. Böhme festgestellt, wie schon früher in den Gründen ausgeführt worden ist.

Aus seinen Angaben in der Hauptverhandlung geht aber soviel hervor, dass er und der Angekl. Böhme sich einig geworden sind, für diese Erschiessungen Litauer einzuschalten und mit ihren eigenen Leuten die Erschiessungen nur zu leiten und zu überprüfen. In der Hauptverhandlung hat er zwar behauptet, die Litauer haben die Erschiessungen auf Befehl ihrer vorgesetzten Behörde durchgeführt und sie haben diese Erschiessungen nicht überwacht. Dies ist ihm jedoch nicht geglaubt worden. Er hat weiterhin behauptet, die Zahl der erschossenen jüdischen Frauen und Kinder habe er jeweils an das RSHA gemeldet. Dabei hat er sich in Widersprüche verwickelt. Im Vorverfahren hat er angegeben, er könne sich nicht erinnern, dass die Litauer ihm die Erschiessungszahlen gemeldet haben. In der Hauptverhandlung hat er zunächst angegeben, er wisse nicht, ob die Weitermeldung der Erschiessungszahlen auf eigenen oder auf fremden Meldungen beruht habe. Schliesslich hat er behauptet, er habe diese Meldungen jeweils von der Gestapo bekommen.

Der Angekl. Hersmann wird vor allem durch das Zeugnis seiner früheren SD-Angehörigen überführt, deren Aussagen nochmals kurz vorgetragen werden:

Der Zeuge Pap. hat glaubhaft bekundet, er habe bei der SD-Dienststelle in Tilsit gehört, dass der Angekl. Hersmann wiederholt mit einigen SD-Leuten im PKW der Stapo zu Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder gefahren sei. Das sei ihm deshalb aufgefallen, weil er sonst immer den Angekl. Hersmann gefahren habe. Weiterhin hat er mit aller Bestimmtheit bekundet, entweder der SD-Angehörige Glowienka oder der SD-Angehörige Nikolaus habe ihm selbst von einer Teilnahme an mehreren Frauen- und Kindererschiessungen erzählt, bei denen sich die Jüdinnen haben nackt ausziehen müssen.

Ebenso hat der Zeuge Enn., welcher als früherer V-Mann beim SD Tilsit viel mit dem Leiter der SD-Aussenstelle, dem SS-Hauptsturmführer Kalisch, zusammengearbeitet hat, glaubhaft bekundet, ihm habe Kalisch ganz entsetzt davon erzählt, dass er mit Stapo- und SD-Angehörigen bei einer von der Gestapo geleiteten Erschiessung dabeigewesen sei, bei welcher die jüdischen Frauen und Kinder durch Litauer erschossen worden seien. Kalisch habe dabei noch erwähnt, es sei ganz grauenhaft gewesen, das hätten wir Deutsche doch wirklich nicht notwendig.

Schliesslich hat der Zeuge Ju. glaubhaft bekundet, er sei ein- bis zweimal mit Stapo- und SD-Angehörigen aus Tilsit in 6-10 Personenkraftwagen zu Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder nach Litauen gefahren, könne aber den Erschiessungsort bezw. die Erschiessungsorte nicht mehr angeben. Er sei bei seinem Kraftwagen geblieben und habe der Erschiessung nicht zugesehen. Auf seine Frage an Litauer, was heute eigentlich los sei, haben sie ihm erwidert: "Heute sind die Frauen und Kinder dran."

Wie schon oben in den Gründen ausgeführt worden ist, ist das Schwurgericht überzeugt, dass auch der Angekl. Hersmann mit seinen SD-Angehörigen in Ausführung des ihm und dem Angekl. Böhme durch Dr. Stahlecker erteilten Säuberungsbefehls bei Erschiessungen jüdischer Frauen und Kinder mitgewirkt hat. Mit erforderlicher Sicherheit kann dem Angekl. Hersmann allerdings nur die Mitwirkung an einer dieser Frauen- und Kindererschiessungen nachgewiesen werden. Nach den ganzen Umständen besteht jedoch der dringende Verdacht, dass er mit seinen SD-Männern an mehreren solcher Erschiessungen teilgenommen hat, zumal er und der Angekl. Böhme von Dr. Stahlecker den Befehl zur gemeinsamen Durchführung der Säuberungsmassnahmen im litauischen Grenzgebiet erhalten haben.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind bei dieser Frauen- und Kindererschiessung mindestens 100 Personen erschossen worden. Diese Zahl ist deshalb als Mindestzahl festgesetzt worden, weil bei allen Erschiessungen, an denen die Gestapo zusammen mit dem SD beteiligt gewesen ist, regelmässig höhere Zahlen an Opfern festgestellt worden sind. Aus der Anzahl der 6-10 PKWs, mit welchen das Erschiessungskommando zur Erschiessung gefahren ist, ergibt sich eine starke Beteiligung der Gestapo- und SD-Angehörigen, was wiederum den Schluss auf eine umfangreiche Erschiessung zulässt.

IV. Abschnitt Erschiessungen ohne Mitwirkung der Angeklagten

I. Mariampol

1. Tatsächliche Feststellungen

In der Zeit vom 22.6.1941 bis 10.7.1941 wurden bei der Stadt Mariampol 68 Personen erschossen.

Die Stadt Mariampol liegt ausserhalb des 25 km breiten Grenzstreifens, und zwar rd. 50 km von der früheren deutschen Reichsgrenze entfernt.

In der Ereignismeldung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 11.7.1941 Nr.19 S.1 (Bew.St.9i) ist vermerkt:

"Gemeinsam mit dem SD-Abschnitt Tilsit wurden im litauischen Grenzgebiet seitens der Stapo Tilsit weitere Grossaktionen durchgeführt.

So wurden am 2.Juli in Tauroggen 133 Personen, am 3.Juli in Georgenburg 322 Personen (darunter 5 Frauen), in Augustowo 316 Personen (darunter 10 Frauen) und in Mariampol 68 Personen erschossen."

In der gleichen Ereignismeldung S.4 ist unter Ziff.2 angegeben:

"Detachierte Gruppen vom Einsatzkommando 3 sind zur Zeit in Mariampol und Raseiniai tätig. Nach Erledigung ihrer Aufgaben treten sie zum Hauptkommando zurück."

2. Beweiswürdigung

Die Mitwirkung an dieser Erschiessung ist den Angeklagten Böhme und Hersmann in dem Eröffnungsbeschluss vom 29.1.1958 S.13 Ziff.10 Bl.4147 ebenfalls zur Last gelegt.

Der Angekl. Böhme hat angegeben, er könne sich an diese Erschiessung nicht erinnern. Da die Stadt Mariampol weit ausserhalb des 25 km breiten Grenzstreifens liege, sei diese Exekution auch nicht von der Stapo Tilsit durchgeführt worden. Die Erschiessung werde wohl durch eine abkommandierte Abteilung des Einsatzkommandos 3 des SS-Standartenführers Jäger durchgeführt worden sein, welcher seines Erachtens damals schon mit seinen Männern in Mariampol tätig gewesen sei. Wahrscheinlich hätten dann Gestapo-Beamte dieser abkommandierten Abteilung den Kriminalkommissar Tietz vom GPK Eydtkau ersucht, die Zahl der Erschossenen an die Stapo Tilsit zu melden. Es sei unwahrscheinlich, dass Kriminalkommissar Tietz mit seinen Gestapo-Beamten die 68 Personen erschossen habe, weil er für Tietz erst bei der Erschiessung in Wirballen-Kyrbatai einen sogenannten "Modellfall" gebaut habe. Nach der Feststellung des Schwurgerichts hat diese Erschiessung in der Zeit vom 11.7.1941 bis 18.7.1941 stattgefunden. Der Angekl. Böhme hat noch angegeben, er sei für die Abfertigung der Ereignismeldung UdSSR vom 11.7.1941 Nr.19 nicht verantwortlich.

Der Angekl. Hersmann hat seine Mitwirkung an dieser Erschiessung in Abrede gestellt und ebenfalls geltend gemacht, dass diese Erschiessung in der weit ausserhalb des Grenzstreifens gelegenen Stadt Mariampol wohl durch einen abkommandierten Teil des Einsatzkommandos 3 durchgeführt worden sei. Er habe die Meldung über diese Erschiessung von der Stapo-Stelle Tilsit erhalten und sie an das Amt III des RSHA weitergegeben.

Dieses Vorbringen kann den Angeklagten Böhme und Hersmann nicht widerlegt werden. Die Zeugen Bal. und Kr. wissen auch nur von dritter Seite, dass in Mariampol im Tal des Flüsschens Sesupe Juden von der Gestapo erschossen worden sind, sie wissen aber nicht, woher diese Gestapo-Männer gekommen sind. Da in der gleichen Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 S.4 unter Ziff.2 ausgeführt ist, dass eine detachierte Gruppe des Einsatzkommandos 3 zur Zeit in Mariampol und Raseiniai tätig sei und nach Erledigung ihrer Aufgaben wieder zum Hauptkommando zurücktrete, ist es immerhin möglich, dass diese detachierte Gruppe die 68 Personen in Mariampol erschossen hat, und dass fälschlicherweise diese Erschiessung für das Einsatzkommando Tilsit gebucht worden ist.

Eine Beteiligung an dieser Erschiessung kann daher den Angekl. Böhme und Hersmann nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.

Vorbemerkung zu den nachfolgend genannten Erschiessungen II-VII

Die unter Ziff.II-VII genannten Erschiessungen sind erst in der Hauptverhandlung bekannt geworden und in den Ereignismeldungen UdSSR nicht erwähnt, obwohl sie nach den Feststellungen zum Teil schon kurz nach Beginn des Russlandfeldzugs durchgeführt worden sind.

Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen die von der Stapo und dem SD Tilsit in dem litauischen Grenzgebiet durchgeführten Erschiessungen bis zu der Ereignismeldung Nr.19 vom 11.7.1941 jeweils unter Angabe der Erschiessungsorte und der Zahl der Erschossenen aufgeführt sind, wobei in dieser Ereignismeldung Nr.19 auch die Zahl 1741 als Gesamtzahl der bis zu diesem Zeitpunkt Erschossenen genannt ist. In den späteren Ereignismeldungen sind die einzelne Erschiessungsorte nicht mehr aufgeführt. In der Ereignismeldung Nr.26 vom 18.7.1941 (Bew.St.9l) wird hinsichtlich der von der Stapo und dem SD Tilsit durchgeführten Erschiessungen letztmals erwähnt, dass von ihnen bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 3302 Personen erschossen worden sind.

Die Angeklagten haben eine Mitwirkung bei den nachfolgend genannten Erschiessungsfällen Ziff.II-VII in Abrede gestellt.

II. Krottingen (VIII)
(Dieser Fall wurde in der Hauptverhandlung Krottingen V genannt)

1. Tatsächliche Feststellungen

Im Juli 1941 wurden 4 Gymnasiasten von Krottingen erschossen. Darunter befanden sich der damals 18 Jahre alte Schüler Gudas, der während der russischen Besatzungszeit Leiter der kommunistischen Jugend war, und eine namentlich nicht bekannte Schülerin, welche Führerin der kommunistischen Pioniere für den Kreis Krottingen war.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellung beruht auf den Aussagen des Zeugen Na., des früheren Gymnasialdirektors von Krottingen und Polangen. Nach seinen Aussagen ist in Krottingen davon gesprochen worden, dass der Angekl. Lukys und sein Stab für diese Erschiessungen verantwortlich seien. Mangels weiterer Verdachtsgründe kann jedoch den Angeklagten, vor allem dem Angekl. Lukys, eine Beteiligung an diesen Erschiessungen nicht nachgewiesen werden.

III. Pilwischken

1. Tatsächliche Feststellungen

Kurz nach Beginn des Russlandfeldzugs wurden in dem rd. 30 km von der früheren Reichsgrenze entfernten Ort Pilwischken auf einer Wiese bei der Mühle Kaptein mindestens 20 Juden erschossen.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen auf den Aussagen der Zeugen Fe., des früheren evangelischen Pfarrers von Wilkowischken und Pilwischken, Dr. Ku., eines früheren Arztes in dem Kreis Wilkowischken, und Qu., eines früheren Angehörigen des Polizeibataillons Nr.11.

Nach den Aussagen des Zeugen Qu. sollen die Opfer durch litauische Partisanen erschossen worden sein. Es ist nicht bekannt, ob einer der Angeklagten an dieser Erschiessung teilgenommen oder sie veranlasst hat. Da die Erschiessung in den Ereignismeldungen nicht besonders erwähnt ist, obgleich sie kurz nach Kriegsbeginn stattgefunden hat, ist die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass sie durch eine detachierte Gruppe des Einsatzkommandos 3 oder durch andere unbekannte Täter durchgeführt worden ist. Eine Beteiligung an dieser Erschiessung kann keinem der Angeklagten nachgewiesen werden.

IV. Skaudvile

1. Tatsächliche Feststellungen

Ende Juni 1941 wurden in der rd. 35 km von der früheren Reichsgrenze entfernten kleinen Stadt Skaudvile Juden in unbekannter Zahl durch Gestapo- oder SD-Angehörige erschossen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellung beruht auf den Aussagen des Zeugen Kni. Kni., ein gebürtiger Tilsiter, ist wegen kommunistischer Umtriebe verfolgt worden und hat sich nach dem Jahr 1934 in das Memelgebiet begeben. Dort blieb er bis zum Jahr 1939 und ist dann nach Litauen geflüchtet, wo er sich im Kreis Krottingen illegal aufgehalten hat. Kni. hat von dieser Erschiessung durch seinen Schwager Kenntnis bekommen. Nicht bekannt ist, woher die Gestapo- oder SD-Angehörigen gekommen sind, welche die Erschiessung durchgeführt haben, und insbesondere nicht, ob sie zum Tilsiter Abschnitt gehört haben. Letzteres ist deshalb unwahrscheinlich, weil Skaudvile über 10 km ausserhalb der 25 km breiten Grenzzone liegt, und weil diese Erschiessung auch nicht in den Ereignismeldungen UdSSR genannt ist, obwohl sie schon Ende Juni 1941 durchgeführt worden ist.

Es kann daher keinem der Angeklagten eine Beteiligung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden.

V. Vainutas

1. Tatsächliche Feststellungen

In den ersten Tagen nach Beginn des Russlandfeldzugs wurden in dem rd. 5 km von der früheren Reichsgrenze entfernten Ort Vainutas Krs.Tauroggen Personen in unbekannter Zahl erschossen.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellung beruht auf den Aussagen des Zeugen Kni., dem wiederum ein litauischer Hilfspolizist aus Vainutas dies erzählt hat.

Da diese Ortschaft in Grenznähe und nicht allzuweit von dem GPP Laugszargen liegt, besteht starker Verdacht, dass bei dieser Erschiessung Kriminalsekretär Schwarz mit seinen Gestapo-Männern mitgewirkt hat. Da aber Näheres nicht bekannt ist, und da vor allem auch diese Erschiessung nicht in den Ereignismeldungen UdSSR genannt ist, ist gegen die Angeklagten eine Mitwirkung an dieser Erschiessung nicht festzustellen.

VI. Erschwilkis (Erzwilki)

1. Tatsächliche Feststellungen

In dem ostwärts von Tauroggen und rd. 20 km von der früheren Reichsgrenze entfernt gelegenen Ort Erschwilkis ist in den ersten Tagen nach Beginn des Russlandfeldzugs eine unbekannte Anzahl von Personen erschossen worden.

2. Beweiswürdigung

Diese Feststellung beruht wiederum auf den Aussagen des Zeugen Kni., der seine Kenntnisse von dritter Seite hat. Auch hier besteht Verdacht, dass Kriminalsekretär Schwarz mit seinen Gestapo-Beamten an dieser Erschiessung beteiligt gewesen ist. Da aber die Ereignismeldungen UdSSR über diese Erschiessung nichts enthalten, obwohl sie schon in den ersten Tagen nach Kriegsbeginn stattgefunden hat, und da auch sonstige Verdachtsgründe fehlen, kann eine Mitwirkung der Angeklagten an dieser Erschiessung nicht festgestellt werden.

VII. Schilale

1. Tatsächliche Feststellungen

Im Juni/Juli 1941 sind in Schilale Juden in unbekannter Zahl erschossen worden.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellung beruht auf den Aussagen des Zeugen No., eines früheren Einwohners von Tauroggen. Dieser hat sein Wissen von dritter Seite. Durch wen die Erschiessung durchgeführt worden ist, ist unbekannt.

Mangels näherer Anhaltspunkte kann keinem der Angeklagten eine Beteiligung an dieser Erschiessung nachgewiesen werden.

V. Abschnitt

Rechtliche Würdigung

I. Vorfragen

1. Geltungsbereich des deutschen Strafrechts

Das deutsche Strafrecht gilt für die von den Angeklagten in Litauen, also im Ausland begangenen Verbrechen der Beihilfe zum Mord bezw. zum Totschlag.

Sämtliche Angeklagten bis auf den Angekl. Lukys besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Für sie ist die Bestimmung des §3 StGB massgebend. Danach gilt für die Tat eines deutschen Staatsangehörigen, einerlei, ob er sie im Inland oder im Ausland begeht, das deutsche Strafrecht (§3 Abs.1 StGB). Ist jedoch die im Ausland begangene Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht, dann gilt das deutsche Strafrecht nicht, wenn die Tat wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht ist (§3 Abs.2 StGB). Da es sich aber um Verbrechen der Beihilfe zum Mord bezw. zum Totschlag handelt, die auch in Litauen mit Strafe bedroht sind, gilt für die Angeklagten, soweit sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, wegen der von ihnen in Litauen begangenen Verbrechen der Beihilfe zum Mord bezw. zum Totschlag das deutsche Strafrecht.

Der Angekl. Lukys, früher litauischer Staatsangehöriger, ist jetzt staatenlos. Für ihn ist die Bestimmung des §4 Abs.2 Ziff.3 StGB in der Fassung der Verordnung vom 6.5.1940 mit Wirkung vom 21.5.1940 (RGBl. I 1940 S.754) massgebend. Danach gilt für eine von einem Ausländer im Ausland begangene Straftat das deutsche Strafrecht, wenn die Straftat durch das Recht des Tatorts mit Strafe bedroht ist und wenn der Täter im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird, obwohl die Auslieferung nach der Art der Straftat zulässig wäre. Nach §§2, 3 und 4 des deutschen Auslieferungsgesetzes vom 23.12.1929 (RGBl. I S.239) wäre der Angekl. Lukys an und für sich auszuliefern, da es sich um Verbrechen des Mords und nicht um politische Straftaten handelt. Da aber in Litauen jetzt Sowjetrussland die Strafgewalt ausübt, und da zwischen Sowjetrussland und der Deutschen Bundesrepublik zur Zeit ein Auslieferungs- und ein sonstiger Rechtshilfeverkehr nicht stattfindet, gelten für den Angekl. Lukys wegen der von ihm in Litauen begangenen Verbrechen der Beihilfe zum Mord die deutschen Strafbestimmungen.

2. Kein Verstoss gegen den Grundsatz "ne bis in idem"

Rechtsirrig ist die Ansicht des Verteidigers des Angekl. Sakuth, dass eine Verurteilung der Angeklagten durch das Schwurgericht wegen der ihnen zur Last gelegten Verbrechen des Mords bezw. der Beihilfe zum Mord gegen den in Art.103 Abs.3 des Grundgesetzes verbrieften Grundsatz: "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden" verstosse, soweit sie bereits durch ein Spruchgericht wegen ihrer früheren Zugehörigkeit zu einer sogenannten verbrecherischen Organisation (Art.6 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs) rechtskräftig abgeurteilt oder diesbezüglich rechtskräftig freigesprochen worden seien.

Durch Spruchgerichte sind nur die Angeklagten Sakuth und Kreuzmann wegen ihrer früheren Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation (SD bezw. Gestapo) verurteilt worden.

Der Angekl. Sakuth ist durch Urteil des Spruchgerichts Hiddesen - 4 SpLs 113/47 - vom 1.10.1947 zu 2 Jahren Gefängnis unter Anrechnung der Internierungshaft von 1 Jahr und 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden, wobei ihm nach Verbüssung der Teilstrafe von 7 Monaten die Reststrafe von 2 Monaten Gefängnis am 26.6.1951 erlassen worden ist.

Der Angekl. Kreuzmann ist durch Urteil des Spruchgerichts Benefeld/Bomlitz vom 9.3.1948 - 4 SpLs 60/48 - zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden, wobei die erkannte Strafe durch die seit 2.6.1945 erlittene Untersuchungshaft als verbüsst erklärt worden ist. Eine Urteilsabschrift befindet sich in Bl.4917-4920.

Der Angekl. Behrendt ist durch Urteil des Spruchgerichts Stade vom 5.12.1947 - 11 SpLs 73/47 - rechtskräftig freigesprochen worden.

Die Angeklagten Sakuth und Kreuzmann sind also ausweislich der Spruchgerichtsurteile nur wegen ihrer früheren Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation, nicht aber wegen Teilnahme an Erschiessungen von Juden und Kommunisten von den Spruchgerichten verurteilt worden. Aus den Gründen der Spruchgerichtsurteile geht hervor, dass der Angekl. Sakuth im damaligen Verfahren von Judenerschiessungen überhaupt keine Kenntnis gehabt haben will und dass der Angekl. Kreuzmann mit seiner Abteilung II der Stapo Tilsit nur an der Deportation von 60 Juden aus dem Kreis Tilsit nach Theresienstadt beteiligt gewesen sein will.

Die Spruchgerichte wären im übrigen auch rechtlich nicht in der Lage gewesen, die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Erschiessungen der Juden und Kommunisten einzubeziehen, auch wenn diese in den Spruchgerichtsverfahren erörtert worden wären (vgl. Urteil des BGH vom 15.1.1957 - 1 StR 18/50 - in Lindenmaier/Möhring Nr.1 zu Art.103 GG und OGHBZ, Urteil vom 15.2.1949 in NJW 1949 S.357). Dies ergibt sich aus der Einleitung, ferner aus Art.I und Art.IV der 3. Militärregierungsverordnung Nr.69 betreffend Verfahren gegen Angehörige verbrecherischer Organisationen in der britischen Zone und aus §38 Abs.1 der Verfahrensordnung für die deutschen Spruchgerichte zur Aburteilung von Mitgliedern verbrecherischer Organisationen in der britischen Zone vom 17.2.1947.

3. Keine Verwirkung des Strafanspruchs

Rechtsirrig ist die auf ein Strafurteil gestützte Ansicht eines der Verteidiger, wonach der Strafanspruch gegen die Angeklagten deshalb verwirkt sei, weil ein Staat nicht die Teilnehmer an Verbrechen nachher strafrechtlich verfolgen könne, denen er zuvor die Durchführung der von ihm organisierten Verbrechen befohlen habe.

Würden also in einem Staat die Anhänger eines Usurpators auf dessen Befehl Verbrechen begehen, dann könnten sie später nach der vorgetragenen Ansicht deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil sie ja nur die Befehle des inzwischen gestürzten Machthabers befolgt haben. Ein unmögliches Ergebnis! Hier wird irrigerweise der Staat mit dem jeweiligen Träger der Staatsgewalt identifiziert.

4. Deliktsfähigkeit Hitlers

Rechtsirrig ist die Ansicht des Verteidigers des Angekl. Kreuzmann, dass Hitler nicht deliktsfähig gewesen sei, und dass deshalb seine Befehle auch keine bürgerlichen oder militärischen Verbrechen haben bezwecken können. Der Verteidiger begründet seine Ansicht damit, dass in der Monarchie der Kaiser und König sowohl nach der Reichsverfassung wie auch nach der preussischen Verfassung unverletzlich und nicht deliktsfähig gewesen seien. Der Monarch habe also keine Verbrechen begehen können. Deshalb habe auch ein Befehl des obersten Kriegsherrn nach dem Willen des Gesetzgebers niemals ein Verbrechen bezwecken können. Dies gelte in verstärktem Masse für die Zeit des Dritten Reiches. Hitler habe nach damaliger Auffassung alle staatlichen Kompetenzen, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung in seiner Person vereinigt. Sein Wille sei unumstössliches Gesetz gewesen und sei von allen Staatsorganen einschliesslich der Gerichte als solches respektiert worden. Deshalb habe auch sein Befehl erst recht kein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezwecken können.

Nach der einhelligen Auffassung in der Strafrechtstheorie hat der Monarch sehr wohl strafbare Handlungen begehen können, nur ist er der Gerichtsbarkeit entzogen gewesen, solange er Monarch gewesen ist. Dies gilt um so mehr für Hitler, der seine Herrschaft nicht etwa von Gottes Gnaden, sondern vom Volk abgeleitet und gerade darauf gepocht hat, dass er in dieser germanischen Demokratie dem Volk verantwortlich sei. In Hitlers Buch "Mein Kampf" ist zum Führerprinzip ausgeführt, dass es den Anhängern der Bewegung freistehe, ihn vor dem Forum einer neuen Wahl zur Verantwortung zu ziehen und ihn seines Amtes zu entkleiden, wenn er gegen die Grundsätze der Bewegung verstossen oder ihren Interessen schlecht gedient habe. Wenn auch während des Dritten Reichs in der Staatsrechtslehre zum Teil irrigerweise die Ansicht vertreten worden ist, Hitlers Wille sei die Quelle aller Rechtsetzung, sein Befehl sei oberstes Gebot, so ist sich doch jeder gerecht Denkende und Fühlende, soweit er auch nur einen Funken von Gerechtigkeitssinn besessen hat, darüber im klaren gewesen, dass auch ein Befehl Hitlers niemals eine rechtswidrige Tat zu einer rechtmässigen hat machen können, insbesondere dann nicht, wenn die befohlene Handlung die elementaren Rechtsgrundsätze verletzt und jeder menschlichen Moral sowie dem Völkerrecht Hohn spricht.

5. Zeitliche Geltung der Strafgesetze

Seit der Tatzeit sind verschiedene der in Frage kommenden gesetzlichen Strafbestimmungen geändert worden. Gemäss §2 Abs.2 StGB in der Fassung des Bereinigungsgesetzes vom 4.8.1953 (BGBl. I S.735) bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. Die schon durch das Kontrollratsgesetz Nr.11 aufgehobene Kannvorschrift des Gesetzgebers von 1935 ist also durch die schon früher geltende Muss-Vorschrift ersetzt worden.

Die Frage des mildesten Gesetzes i.S. des §2 Abs.2 StGB entscheidet sich nicht nach der abstrakten Strafdrohung, sondern ist unter Vergleichung der in Betracht kommenden Vorschriften einheitlich danach zu beantworten, ob die Gesamtheit der in jedem Gesetz angedrohten Strafnachteile die dem Täter günstigere Beurteilung der Tat nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zulässt - Schwarz §2 Anm.4b, RGSt. 58 S.239, 64 S.362.

Ist der gesetzliche Tatbestand sowohl der alten als auch der neuen Fassung durchweg erfüllt und ist die gesetzliche Strafdrohung dieselbe geblieben, so darf nur das ältere Gesetz, das zur Tatzeit gegolten hat, angewendet werden (BGHSt. Urteil vom 16.10.1952 in Lindenmaier/Möhring Nr.2 zu §2a StGB).

a. Die Gesetzestexte des §211 StGB (Mord) und des §212 StGB (Totschlag) sind durch das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4.9.1941 (RGBl. I S.549) mit Wirkung vom 15.9.1941 neu gefasst worden. Bis dahin ist beim Mordtatbestand in Gegensatz zum Tatbestand des Totschlags ein Handeln mit Überlegung verlangt worden, während jetzt die sittliche Bewertung entscheidet und eine besondere Verwerflichkeit i.S. des §211 Abs.2 StGB vorliegen muss. Zur Tatzeit haben für die nachgenannten Bestimmungen die Fassungen gelautet:

§211 StGB:"Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft."

§212 StGB:"Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Totschlags mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft."

Durch das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4.9.1941 (RGBl. I 1941 S.549) haben die Strafvorschriften über Mord und Totschlag folgende Fassungen erhalten:

§211 StGB:"Der Mörder wird mit dem Tode bestraft. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet."

§212 StGB:"Wer einen Menschen vorsätzlich tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit lebenslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft."

Durch Art.102 GG für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.Mai 1949 (BGBl. 1949 S.1) ist die Todesstrafe abgeschafft worden. Der Abschaffung der Todesstrafe durch das Grundgesetz hat das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.8.1953 (BGBl. I S.735) die Strafvorschriften der §§211 und 212 StGB angepasst.

§211 Abs.1 StGB hat die Fassung erhalten: "Der Mörder wird mit lebenslangem Zuchthaus bestraft." Der Absatz 3 des §211 StGB ist gestrichen worden.

In §212 StGB sind die Worte "mit lebenslangem Zuchthaus oder" gestrichen worden und als Abs.2 die Vorschrift hinzugefügt worden: "In besonders schweren Fällen ist auf lebenslanges Zuchthaus zu erkennen."

Eine Vergleichung der 3 oben erwähnten Fassungen des §211 StGB ergibt, dass Mord nunmehr allein mit lebenslangem Zuchthaus bestraft wird. Hieraus folgt, dass bei der Frage des mildesten Gesetzes im Sinn des §2 Abs.2 StGB in den den Gegenstand des Verfahrens bildenden Fällen nachzuprüfen ist, ob sowohl die Tatbestandsmerkmale des §211 StGB alte Fassung (a.F.) als auch die des §211 StGB neue Fassung (n.F.) erfüllt sind. Würde beispielsweise nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nur der Tatbestand des §211 StGB a.F. bejaht werden können, der des §211 StGB n.F. aber verneint werden müssen, dann wäre der Sachverhalt nach der Strafbestimmung des §212 StGB n.F. (Totschlag) zu beurteilen; denn die Strafbestimmung des §212 StGB n.F. (Totschlag) wäre gegenüber dem §211 StGB a.F. (Mord) das mildeste Gesetz i.S. des §2 Abs.2 StGB, während der Tatbestand des §212 StGB a.F. nicht gegeben wäre, denn dort ist ein Handeln ohne Überlegung vorausgesetzt.

Sind nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung beide gesetzlichen Tatbestände der alten und der neuen Fassung des §211 StGB erfüllt, so hat die Bestrafung nach §211 StGB n.F. zu erfolgen, da hier nicht mehr die Todesstrafe, sondern lebenslanges Zuchthaus angedroht ist.

b. Die zur Tatzeit gültige gesetzliche Bestimmung des Begriffs der Beihilfe im Sinn des §49 StGB ist durch Art.2 der Verordnung zur Durchführung der VO zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29.5.1943, RGBl. I S.341, geändert worden. Nach §49 Abs.2 StGB a.F. ist die Strafe des Gehilfen nach demjenigen Gesetz festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, muss jedoch nach den über die Bestrafung des Versuchs aufgestellten Grundsätzen ermässigt werden. Nach §49 Abs.2 StGB n.F. ist für die Beihilfe allgemein die gleiche Strafe zulässig, wie für die vollendete Tat, sie kann jedoch nach den über die Bestrafung des Versuchs aufgestellten Grundsätzen ermässigt werden. Demnach ist im Sinn des §2 Abs.2 StGB die Bestimmung des §49 Abs.2 StGB a.F. das mildere Gesetz.

c. Nach der zur Tatzeit gültigen Bestimmung des §44 StGB a.F. hat das versuchte Verbrechen oder Vergehen milder als das vollendete bestraft werden müssen. Durch Art.1 der VO zur Durchführung der VO zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29.5.1943, RGBl. I 1943 S.341, ist §44 StGB geändert worden. An die Stelle der obligatorischen Strafmilderung beim Versuch ist die bloss wahlweise Strafmilderung getreten. Im Sinn des §2 Abs.2 StGB ist §44 StGB a.F. das mildere Gesetz.

II. Straftat der Haupttäter

1. Die Urheber der Massnahmen für die "Sonderbehandlung der potentiellen Gegner", also der physischen Vernichtung sämtlicher Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht und der Kommunisten im Ostraum sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Schwurgerichts Hitler, Himmler, Heydrich und deren nähere Umgebung. Sie haben gemeinsam den Vernichtungsplan ausgeheckt und ihn unter Einschaltung des RSHA organisatorisch und technisch vorbereitet und durch die Einsatzgruppen und Vernichtungslager durchführen lassen, welche jeweils befehlsgemäss gehandelt haben. Eine rechtliche Würdigung der Handlungen der Taturheber hat daher der der Angeklagten vorzugehen.

2. a. Objektive Rechtswidrigkeit

Die von den Taturhebern geplanten und von den Einsatzgruppen durchgeführten Tötungen sind objektiv rechtswidrig. Bei allen zivilisierten Völkern gehört es zu dem unantastbaren und keine Ausnahme duldenden Kernbereich des Rechts, der unabhängig von ausdrücklicher Anerkennung in völkerrechtlichen Abkommen und innerstaatlichen Gesetzen und Anordnungen gilt, dass einem Menschen, selbst wenn er ein todeswürdiges Verbrechen begangen hat, sein Leben nur in Vollziehung eines auf Todesstrafe lautenden Urteils eines befehlsunabhängigen Gerichts genommen werden darf, nachdem ihm in einem vorausgegangenen Verfahren das rechtliche Gehör gewährt und der Nachweis seiner Schuld erbracht worden war (BGHSt. Bd.2 S.334). Schon wegen Verstosses gegen diesen Kernbereich des Rechts haben
die Taturheber rechtswidrig gehandelt.

Bei dem den Gegenstand des Verfahrens bildenden Fall handelt es sich aber nicht etwa um die rechtswidrige Tötung von Menschen, die todeswürdige Verbrechen begangen haben. Hier handelt es sich vielmehr um die vorsätzliche, erbarmungslose Tötung Tausender von unschuldigen Menschen, nämlich um die restlose Tötung aller Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht nur wegen ihrer Rassezugehörigkeit und um die Tötung einer Vielzahl von Litauern aus politischen Gründen, weil sie Kommunisten gewesen sind, oder nur verdächtig gewesen sind, Kommunisten zu sein. Mit dieser Massenvernichtungsmassnahme haben die Taturheber lediglich die Machtstellung in Europa erreichen und erhalten wollen. Eine solche ungeheuerliche Massnahme widerspricht jeder menschlichen Moral sowie dem Völkerrecht und entbehrt jeder Rechtsgrundlage.

Völkerrechtswidrig sind diese Tötungen deshalb, weil sie gegen folgende Artikel der Haager Landkriegsordnung (LKO) verstossen, nämlich gegen Art.23b und 23c (meuchlerische Tötung von Angehörigen des feindlichen Volkes und Tötung eines wehrlosen Feindes), Art.43 (nach Übergang der gesetzmässigen Gewalt in die Hände des Besetzenden hat dieser alle Vorkehrungen für die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Lebens, und zwar tunlichst unter Beachtung der Landesgesetze zu treffen), Art.46 (die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet und das Privateigentum darf nicht eingezogen werden) und Art.50 (keine Strafe in Geld oder anderer Art darf über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann).

Aber selbst wenn die LKO auf den Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion keine Anwendung finden sollte, sind die Tötungen deshalb rechtswidrig, weil sie die allgemein verbindlichen völkerrechtlichen Grundsätze verletzen, was nach der Ansicht des BGH die allgemeinen Bestimmungen der LKO mindestens sind. Diese allgemeinen verbindlichen völkerrechtlichen Grundsätze gewähren der Bevölkerung eines im Kriege befindlichen oder besetzten Staates einen gewissen Mindestbestand an Rechten, deren Verletzung die Grenze zwischen Recht und Unrecht überschreitet. Dabei haben die freien, keinen Widerstand leistenden Landeseinwohner mindestens die gleichen Rechte wie die gefangenen Soldaten. "Es gehört nach alledem zu den gesicherten Erkenntnissen, dass keine kriegführende Macht und keine Besatzung in ihrem Tun und Lassen rechtlich völlig ungebunden ist; auch sie unterliegt vielmehr rechtlichen Schranken. Diese ergeben sich einerseits aus dem nicht missbilligten Bestreben, völkerrechtlich anerkannte Kriegs- und Besatzungszwecke zu erreichen, andererseits aber, wie es Abs.9 der Einleitung der LKO (RGBl. 1910 S.109) ausdrückt, aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens. Ein solches Recht höherer Rangordnung, wie es den Handlungen der Kriegführenden und der Besatzungen gewisse Schranken setzt, steht ebenso als unantastbarer Kernbereich des Rechts auch über jedem innerstaatlichen Recht" (BGHSt. Bd.1 S.391 ff., S.398-399).

Eine solche Massnahme ist auch dadurch kein "Recht" geworden, dass sie auf einer Willenskundgebung Hitlers beruht; denn "obrigkeitliche Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den Gedanken der Gleichheit bewusst verleugnen und allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen von Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit gröblich missachten, schaffen kein Recht, und ein ihnen entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht". (Vgl. BGHSt. Bd.2 S.770 und die dort angeführten Entscheidungen). Die physische Vernichtung der Juden ist der Ausfluss eines erbarmungslosen Rassenhasses und Rassenwahns. In den Juden haben die Taturheber als führende Männer des Nationalsozialismus Menschen minderen Ranges, schlechthin Untermenschen erblickt, die ihrer Ansicht nach neben der "arischen Herrenrasse" nicht haben bestehen können und deshalb haben vernichtet werden müssen.

Bei der Tötung der Kommunisten kommt die dem Hitlerregime eigene abgrundtiefe Verachtung der Menschenrechte aller derjenigen zum Ausdruck, die als politische Gesinnungsgegner gekennzeichnet sind. Sie sind als untragbar erklärt worden, bloss weil aus ihrer abweichenden politischen Einstellung heraus die entfernteste Möglichkeit eines Widerstandes oder einer Gefahr hätte entstehen können.

b. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit

Der Täter, welcher die Merkmale einer strafbaren Handlung mit Wissen und Willen verwirklicht hat, muss in den Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit allgemeines Verbrechensmerkmal ist, wie beim Mord, nicht nur dann wegen eines vorsätzlichen Verbrechens bestraft werden, wenn er das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehabt hat, sondern auch, wenn er es bei gehöriger Anspannung des Gewissens gehabt hätte (BGHSt. Bd.2 S.194; BGH, Urteil vom 28.11.1952, in L-M Nr.19 zu §211 StGB).

Die Rechtswidrigkeit solcher ungeheuerlicher Massenvernichtungsmassnahmen ist aber offenkundig, also jedermann bekannt. Die Taturheber sind sich deshalb nach der Überzeugung des Schwurgerichts bei der Planung und Durchführung dieser Massnahmen der Rechtswidrigkeit ihres Handelns bewusst gewesen. Sie haben klar erkannt, dass eine so ungeheuerliche Massnahme, durch welche die ganze jüdische Rasse im Ostraum ausgerottet und die Kommunisten vernichtet werden sollten, der menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht und jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Sie haben deshalb auch die Planung und Durchführung geflissentlich geheimgehalten und getarnt, solange und soweit es möglich gewesen ist. Für sie hat der Ostfeldzug eine günstige Gelegenheit geboten, nunmehr mit den Juden und Kommunisten endgültig aufzuräumen, die ihnen schon immer ein Dorn im Auge gewesen sind.

c. Keine Rechtfertigungsgründe

Die Rechtswidrigkeit der Tötungen der Juden und Kommunisten als "potentieller Gegner", also als nur möglicher Gegner, wird auch nicht durch Rechtfertigungsgründe, so etwa durch den der Staatsnotwehr (§53 StGB) oder des übergesetzlichen Notstandes bezw. Staatsnotstandes (§54 StGB) beseitigt.

Die Rechtfertigungsgründe der Staatsnotwehr und des Staatsnotstandes zugunsten des Staates werden in der Rechtsprechung neuerdings anerkannt, sind aber auf verhältnismässig seltene Ausnahmefälle zu beschränken, vor allem auf die, in denen der Staat in seinem Bestande bedroht ist (Schönke-Schröder 8.Aufl. Anm.III zu §53 StGB und Anm.IV zu §54 StGB; RGSt. Bd.63 S.220).

Staatsnotwehr (§53 StGB) kommt schon deshalb nicht in Frage, weil es sich bei den Vernichtungsmassnahmen nicht etwa um die Abwehr eines in der Gegenwart drohenden Angriffs gehandelt hat, was auch die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts gewusst haben. Gesetzliche Notwehr darf keinesfalls zu dem Zweck ausgeübt werden, um in alle Zukunft die Fortsetzung oder Wiederholung eines Angriffs oder gar die Begehung eines noch gar nicht erfolgten Angriffs, wie es hier der Fall gewesen ist, unmöglich zu machen (RGSt. Bd.63 S.222). Übergesetzlicher Notstand (§54 StGB) scheidet deshalb aus, weil es an der Verhältnismässigkeit der Schwere der Gefahr und der Schwere der durch die Abwehrhandlung begangenen Rechtsgüterverletzung fehlt. Die Massentötungen der Juden und Kommunisten sind auch nicht im entferntesten das einzige Mittel gewesen, um das höhere Rechtsgut, nämlich das Deutsche Reich und das deutsche Volk, zu schützen (RGSt. Bd.63 S.226). Dies haben die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch klar erkannt. Nach den vorgenannten Feststellungen scheidet auch Putativnotwehr oder -notstand aus.

Die Massentötungen der Juden und Kommunisten sind auch nicht als Kriegsmassnahmen zu rechtfertigen. Selbst wenn zugunsten der Haupttäter unterstellt werden würde, dass die Massentötungen der Juden und Kommunisten eine Kriegsmassnahme gewesen seien, wäre diese Massnahme völkerrechtswidrig und damit rechtswidrig gewesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Haager Landkriegsordnung (LKO) vom 18.10.1907 (RGBl. 1910 S.132 ff.), gegen deren Artikel 23b und 23c, 43, 46 und 50 diese Massnahmen verstossen haben, auf den Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion Anwendung findet, weil die Sowjetunion dem Haager Abkommen sowie dem Genfer Abkommen nicht beigetreten ist. Auf jeden Fall greifen auch hier die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts und damit mindestens die allgemeinen Bestimmungen der LKO ein, wonach der Bevölkerung eines besetzten Staats ein gewisser Mindestbestand an Rechten zu gewährleisten ist, deren Verletzung die Grenze zwischen Recht und Unrecht überschreitet, was auch die Haupttäter nach der Überzeugung des Schwurgerichts gewusst haben (BGHSt. Bd.1 S.391, 397-398).

3. a. Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft

Die Taturheber sind die Haupttäter der Massentötungen. Sie haben nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaftlich, gehandelt.

Die Haupttäter haben auch die Ausführenden nicht etwa zur Tötung anstiften wollen, sondern haben allein die Verantwortung für die auf ihren Befehl hin ausgeführten Tötungen tragen wollen, wie es sich auch aus den insoweit glaubhaften Bekundungen des im Nürnberger Prozess vernommenen Zeugen Ohlendorf ergibt (IMT Bd.4 S.351). Sie haben also vorsätzlich und gemeinschaftlich als mittelbare Täter die Erschiessungen der Juden und Kommunisten mit Eigentäterwillen durch die mit Gehilfenvorsatz handelnden Angehörigen der Einsatzgruppen bezw. Einsatzkommandos als "dolose Werkzeuge" ausführen lassen.

Die Haupttäter haben als mittelbare Täter vorsätzlich die Vernichtungsmassnahmen geplant und den Befehl an die Durchführenden zur Tötung der Opfer erteilt und dabei den gesetzlichen Tatbestand des Mordes sowohl i.S. des §211 StGB a.F. als auch i.S. des §211 StGB n.F. erfüllt.

b. Tötung mit Überlegung

Der Mordtatbestand des §211 StGB a.F. verlangt die vorsätzliche Tötung eines Menschen mit Überlegung. Mit Überlegung handelt im Sinn des §211 StGB a.F., wer bei der Ausführung in genügend klarer Erwägung über den zur Erreichung seines Zwecks gewollten Erfolg der Tötung, über die zum Handeln drängenden und von diesem abhaltenden Beweggründe sowie über die zur Herbeiführung des gewollten Erfolges erforderliche Tätigkeit handelt (RGSt. Bd.42 S.262). Aus der vorausschauenden Planung, organisatorischen und technischen Vorbereitung unter Einschaltung des RSHA ergibt sich zwingend, dass die Haupttäter unter Abwägung des Für und Wider, also mit Überlegung gehandelt haben.

c. Tötung aus besonders verwerflichen Gründen

Die Haupttäter haben als mittelbare Täter vorsätzlich Menschen aus besonders verwerflichen Gründen, nämlich aus niedrigen Beweggründen und grausam i.S. des §211 Abs.2 StGB n.F. töten lassen.

Niedrig ist ein Tötungsbeweggrund, welcher nach allgemein sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich ist (BGHSt. Bd.3 S.132). Der Beweggrund für die befohlenen Massentötungen sämtlicher Juden ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht aus rassischen Gründen steht nach allgemeiner sittlicher Wertung auf der tiefsten Stufe und ist kaum noch zu übertreffen. Der Beweggrund für die befohlene Tötung der politisch einer anderen Ideologie nachgehenden litauischen Kommunisten aus politischen Gründen ist nach Auffassung des Schwurgerichts aber gleichfalls ein niedriger Beweggrund (vgl. Aufsatz "Der politische Mord" von Justizminister Zinn in Süddeutsche Juristenzeitung 1948 Sp.142), zumal die Tötung in solch grossem Umfang geplant und ins Werk gesetzt worden ist. Die Haupttäter haben dadurch die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtet und die sittliche Verantwortung, vor die jedermann gestellt ist, bewusst so stark verleugnet, dass der Antrieb ihres Tuns keinerlei Rechtfertigung oder Verständnis, sondern nur noch Verachtung verdient (BGHSt. Bd.2 S.254).

Hinsichtlich der niedrigen Beweggründe haben die Haupttäter die Umstände gekannt, die den Antrieb zu ihrem Handeln zu einem besonders verwerflichen machen (BGH vom 5.12.1950 in L-M Nr.2 zu §211 StGB). Wie in den Urteilsgründen schon festgestellt ist, haben die Haupttäter gewusst, dass die Massentötungen der Juden nur aus rassischen und die der Kommunisten nur aus politischen Gründen, also in beiden Fällen aus Gründen erfolgt, durch welche die menschliche Persönlichkeit in gröbster Weise missachtet wird. Dies haben sie auch gebilligt.

Grausam tötet i.S. des §211 Abs.2 StGB n.F., wer dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt. Diese Gesinnung braucht nicht im Wesen des Täters zu wurzeln; es genügt, dass sie ihn bei der Tat beherrscht (BGHSt. Bd.3 S.180 ff. und S.264). Dass es bei der Durchführung dieser Massentötungen seitens der mit der Durchführung Befohlenen zu allen möglichen Scheusslichkeiten kommen wird, was dann auch tatsächlich der Fall gewesen ist, und dass darunter die Opfer körperlich und seelisch zu leiden haben werden, ist bei einer derartigen Massenvernichtung auch gar nicht anders zu erwarten. Dies haben die Haupttäter nach der Feststellung des Schwurgerichts gewusst und auch gebilligt. Wenn sie trotz dieser klaren Erkenntnis diese Massentötungen bedenkenlos und erbarmungslos haben durchführen lassen, so haben sie aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus gehandelt.

4. Gleichartige Tateinheit

Die Haupttäter haben nach den Feststellungen des Schwurgerichts den Befehl, nämlich den Grundsatzbefehl zur

Erschiessung der Juden und Kommunisten an das RSHA bezw. an die Einsatzgruppen gegeben. Es ist nun die Frage zu prüfen, ob es sich bei den auf diesen Befehl hin erfolgten Tötungen rechtlich um eine Handlung (Tateinheit i.S. des §73 StGB) oder um mehrere der Anzahl der Tötungsfälle entsprechende Handlungen handelt (Tatmehrheit i.S. des §74 StGB).

Nach der Ansicht des Schwurgerichts liegt bei den Haupttätern eine in einem Grundsatzbefehl zusammengefasste Handlung vor, die sich in der Verletzung verschiedener höchstpersönlicher Rechtsgüter, nämlich des Lebens der Getöteten, auswirkt. Da durch eine Handlung nicht mehrere Gesetze, sondern nur ein Gesetz, nämlich der Tatbestand des Mords mehrmals verletzt wird, liegt eine sogenannte gleichartige Tateinheit i.S. des §73 StGB vor.

Es ist zwar ein allgemeiner Begriff des "Massenverbrechens", also der Massentötung als einer rechtlichen Handlungseinheit für das deutsche Strafrecht nicht anzuerkennen (BGHSt. Bd.1 S.219 ff.). Es handelt sich aber nicht um die Feststellung eines Massenverbrechens, sondern um die Prüfung der Frage, ob die Haupttäter, welche als mittelbare Täter die Ausführenden als dolose Werkzeuge durch eine Handlung, nämlich durch den Grundsatzbefehl zur Tötung einer feststellbaren Zahl von Menschen veranlasst haben, nur wegen einer "Tat" in den festgestellten Fällen (§73 StGB) oder wegen mehrerer, nämlich wegen der insgesamt festgestellten Tötungsfälle (§74 StGB) zu bestrafen wären.

Bei natürlicher Betrachtungsweise liegt ein einheitlicher, historischer Vorgang vor. Die Haupttäter haben nach der Feststellung des Schwurgerichts nicht durch mehrere Befehle, sondern durch einen Grundsatzbefehl, also durch eine Willensbetätigung die Ausführenden zu den Tötungen veranlasst, somit auch im Rechtssinne nur eine Handlung begangen. Wenn auch die Haupttäter in mittelbarer Täterschaft gehandelt haben, so ist nach der Ansicht des Schwurgerichts dieser Fall genauso zu behandeln wie die durch dieselbe natürliche Handlung eines Anstifters erfolgte Anstiftung mehrerer Personen zum Meineid (RGSt. Bd.70 S.26 ff.) oder die mehrmalige Verletzung desselben Strafgesetzes durch eine in natürlichem Sinne einheitliche Handlung eines Täters, z.B. durch dessen gleichzeitige Aufforderung an 2 Mädchen, ihm ihren Geschlechtsteil zu zeigen (BGHSt. Bd.1 S.20 ff.). Mit der Erteilung des Grundsatzbefehls hat die Ausführung der vielen in Tateinheit stehenden Morde in seinem Anfangsstadium begonnen.

Gleichgültig ist dabei, ob das verletzte Strafgesetz, wie es beim Mordtatbestand zutrifft, ein höchstpersönliches Rechtsgut, nämlich das Leben des Menschen, schützt (BGHSt. Bd.1 S.20).

III. Die Straftaten der Angeklagten

1. Mitwirkung der Angeklagten auf Grund des Grundsatzbefehls

Auf Grund des Grundsatzbefehls der Haupttäter hat nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen am Abend des 22.6.1941 der damalige SS-Brigadeführer und Leiter der Einsatzgruppe A, Dr. Stahlecker, seinerseits den Angekl. Böhme und Hersmann den Befehl erteilt, mit ihren Stapo- und SD-Angehörigen in dem 25 km breiten litauischen Grenzstreifen die Sondermassnahmen gegen die Juden und Kommunisten durchzuführen.

Sämtliche 10 Angeklagte haben bei den auf den Grundsatzbefehl der Haupttäter zurückzuführenden Tötungen der Juden und Kommunisten in irgendeiner Weise, teils mehr, teils weniger stark, mitgewirkt. Teils haben sie als Vorgesetzte die Befehle zu den Tötungen an ihre Untergebenen weitergegeben oder weitere Personen eingeschaltet bezw. einschalten lassen, teils entsprechende unterstützende Handlungen bei den Tötungen geleistet, teils selbst getötet.

2. a. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, Kenntnis vom verbrecherischen Zweck des Befehls

Die Tötungen sind, wie schon ausgeführt worden ist, objektiv rechtswidrig.

Sämtliche Angeklagte haben die Rechtswidrigkeit der Tötungen und deren verbrecherischen Zweck klar erkannt, wie schon früher in den Urteilsgründen ausgeführt worden ist. Hierauf wird Bezug genommen. Die angeordnete Massnahme der Massentötung Tausender von Menschen aus rassischen und politischen Gründen ist so ungeheuerlich, dass ihre Rechtswidrigkeit für jeden Angehörigen eines zivilisierten Staates auch ohne weiteres offenkundig ist.

Bei sämtlichen Angeklagten, mit Ausnahme der Angeklagten Fischer-Schweder und Lukys ist die Bestimmung des §47 MStGB anzuwenden, da sie in Ausführung eines Befehls in Dienstsachen gehandelt haben.

Die Angeklagten Böhme, Kreuzmann, Behrendt, Carsten und Harms sind nämlich als Angehörige der Gestapo und die Angeklagten Hersmann und Sakuth als Angehörige des SD einer Sondergerichtsbarkeit unterstanden (VO über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.10.1939 - RGBl. I S.2107 - i.V. mit dem Erlass des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei v. 9.4.1940 - XXI RA III, Bew.St.12a -). Nach dem zuletzt genannten Erlass vom 9.4.1940 hat die gesamte Sicherheitspolizei einschliesslich des SD als in besonderem Einsatz befindlich gegolten.

Der Angekl. Schmidt-Hammer ist als Angehöriger der Ordnungspolizei ebenfalls der Sondergerichtsbarkeit unterstanden. Für die Ordnungspolizei haben die gleichen o.a. Bestimmungen sowie die Runderlasse des Chefs der Ordnungspolizei vom 19.5.1940 und vom 14.7.1940 - Bew.St.12b - gegolten. Danach ist auch die Ordnungspolizei bei Einsätzen ausserhalb der Reichsgrenze, gleichviel ob die Polizeiangehörigen geschlossen oder im Einzeldienst Verwendung gefunden haben, der Sondergerichtsbarkeit unterstanden. Die Unterstellung unter diese Sondergerichtsbarkeit hat für den genannten Personenkreis die sinngemässe Anwendung der Vorschriften des Militärstrafgesetzbuchs und der Militärstrafgerichtsordnung sowie deren Einführungsgesetze und ferner die Zuständigkeit der SS-Gerichte bezw. der SS- und Polizeigerichte zur Folge gehabt.

Der Grundsatzbefehl der Haupttäter sowie die Befehle des Reichssicherheitshauptamts und der untergeordneten Stellen sind also militärischen Befehlen gleichgestanden. Damit ist auch der mündliche Befehl des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker an die Angekl. Böhme und Hersmann einem militärischen Befehl gleichgestanden.

Nach §47 Abs.1 MStGB ist der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich, wenn durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt wird. Nach §47 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 MStGB "trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers, wenn ihm bekannt war, dass der Befehl eines Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte".

Die Kenntnis des Untergebenen i.S. des §47 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 MStGB bedeutet aber dessen sicheres Wissen um den verbrecherischen Zweck des Befehls und damit auch um die Rechtswidrigkeit (BGHSt. Bd.5 S.239 ff. und Bd.10 S.303). "Nur dieses sichere Wissen begründet die strafrechtliche Verantwortlichkeit des gehorchenden Untergebenen. Ein blosser Zweifel des Untergebenen an der Rechtmässigkeit des Befehls genügt ebensowenig wie es ausreicht, dass der Untergebene den verbrecherischen Charakter des Befehls hätte erkennen können oder müssen. Zur Kenntnis gehört hier das Wissen des Gehorchenden, dass der Befehlende mit dem Befehl die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens beabsichtigt habe. Die allgemeinen Grundsätze über den Verbotsirrtum sind im Rahmen des §47 MStGB angesichts der ausdrücklichen Regelung wegen der Eigenart der militärischen Befehlsverhältnisse unanwendbar" (BGHSt. Bd.5 S.244). Nach Arndt (Wehrstrafrecht S.103) genügt es für die Kenntnis des verbrecherischen Zwecks, dass der Täter in seiner Begriffs- und Vorstellungswelt auf Grund seiner Denkweise zu dem Bewusstsein durchgedrungen ist, dass die besagte Handlung etwas erheblich Unrechtes darstellt. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts haben die Angeklagten der Stapo und des SD dieses sichere Wissen um den verbrecherischen Zweck des Befehls schon deshalb gehabt, weil die Angekl. Böhme und Hersmann durch SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker in vollem Umfang über die Sondermassnahmen aufgeklärt worden sind und weil sie ihrerseits wiederum die ihnen unterstellten Gestapo- und SD-Männer über die Sondermassnahmen in dem litauischen Grenzstreifen in vollem Umfang unterrichtet haben, wie oben schon ausgeführt worden ist. Da also die Angeklagten der Stapo und des SD gewusst haben, dass es sich bei der befohlenen Massnahme um die erbarmungslose Tötung Tausender von Menschen nur aus rassischen bezw. aus politischen Gründen gehandelt hat, haben sie nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch irrtumsfrei erkannt, dass die von höchster Stelle befohlene ungeheuerliche Massnahme jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht widerspricht, jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und ein Verbrechen bezweckt.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat nach den Feststellungen des Schwurgerichts den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls ebenfalls klar erkannt. Es hat ihm zwar nicht nachgewiesen werden können, dass auch er vor Beginn der Erschiessungen in vollem Umfang über die Sondermassnahmen aufgeklärt worden ist. Er hat aber bei seiner Vorbildung gewusst, dass einem Menschen sein Leben nur in Vollziehung eines auf Todesstrafe lautenden Urteils eines befehlsunabhängigen Gerichts genommen werden darf, selbst wenn er ein todeswürdiges Verbrechen begangen hat. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat er jeweils am Tatort nach den ganzen Umständen klar erkannt, dass sämtliche Opfer ohne das Urteil eines vorausgegangenen Gerichtsverfahrens getötet werden sollen. Er hat weiterhin nach der Überzeugung des Schwurgerichts spätestens jeweils am Tatort den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt; denn er hat erkannt, dass es sich um ausgesprochene Judenerschiessungen handelt und dass die Juden nur aus rassischen und die kommunistischen Litauer nur aus politischen Gründen erschossen werden. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen Bezug genommen.

Die Angeklagten Fischer-Schweder und Lukys haben nicht in Ausführung eines Befehls in Dienstsachen i.S. des §47 MStGB gehandelt, so dass diese Bestimmung auf sie auch keine Anwendung findet.

Für den Angekl. Fischer-Schweder gilt als Beamten die Bestimmung des §7 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26.1.1937 (RGBl. I S.39 ff.). Danach ist ein Beamter für die Gesetzmässigkeit seiner Amtshandlungen verantwortlich und darf keine Anordnung befolgen, deren Ausführung für ihn erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde. Der Angekl. Fischer-Schweder hat aber nicht etwa dienstliche Anordnungen seiner Vorgesetzten oder der kraft besonderer Vorschrift ihm gegenüber zur Erteilung von Weisungen berechtigten Personen befolgt, als er das Schupo-Kommando von Memel für die Erschiessungen abgestellt hat. Er hat sich vielmehr freiwillig in die Aktion eingeschaltet und hat freiwillig auf die Bitte von Dr. Frohwann vom GPK Memel, ein Schupo-Kommando für Absperrzwecke zur Verfügung zu stellen, ein solches als Erschiessungskommando abgestellt und hat selbst an 2 Erschiessungen persönlich teilgenommen.

Der Angekl. Lukys ist in gar keinem Befehlsverhältnis zu einer deutschen Dienststelle, sondern in einem Beamtenverhältnis zum litauischen Staat gestanden, in welches er auf seinen Wunsch, allerdings mit Billigung der Stapo Tilsit, eingesetzt worden ist. Darüber ist er sich nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch völlig im klaren gewesen. Schon vor Beginn des Russlandfeldzugs ist er als früherer Sicherheitspolizeichef von Krottingen mit dem GPK Memel in Verbindung gestanden. Er hat gewusst, dass seine unterstützende Mitarbeit kraft seiner früheren politischen Einstellung erwünscht ist. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat er als Kommunistenhasser auf den Augenblick gewartet, dass er mit den deutschen Truppen wieder nach Litauen hat kommen können, um gemäss seinen früheren Funktionen bereitwilligst die von ihm gewünschte Hilfestellung zu leisten, die er dann auch freiwillig geleistet hat. Da also auf die Angeklagten Fischer-Schweder und Lukys die Bestimmung des §47 MStGB keine Anwendung findet, würden sie sich schon strafbar gemacht haben, wenn sie bei gehöriger Anspannung des Gewissens das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehabt hätten (BGHSt. Bd.2 S.194 ff. und BGH Urteil vom 28.11.1952 in L-M Nr.19 zu §211 StGB). Beide Angeklagte haben aber nach der Überzeugung des Schwurgerichts die Rechtswidrigkeit der Tötung und den verbrecherischen Zweck des Grundsatzbefehls genauso klar erkannt wie die andern Angeklagten auch. Da sie nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen durch den Angekl. Böhme ebenfalls in vollem Umfang mit den Sondermassnahmen bekanntgemacht worden sind, haben sie auch gewusst, dass nach dem Grundsatzbefehl Tausende von Juden jeden Alters und Geschlechts und eine Vielzahl von litauischen Kommunisten ohne gerichtliches Urteil erbarmungs- und bedenkenlos nur aus rassischen bezw. politischen Gründen getötet werden sollen. Damit haben sie auch nach der Überzeugung des Schwurgerichts die für jeden Angehörigen eines zivilisierten Staates offenkundige Rechtswidrigkeit dieser Massnahmen und den verbrecherischen Zweck dieses Befehls klar erkannt.

b. Keine Rechtfertigungsgründe

Die Rechtswidrigkeit der Tötungen der Juden und Kommunisten als sogenannter "potentieller Gegner" wird auch bei den Angeklagten nicht durch Rechtfertigungsgründe beseitigt. Staatsnotwehr (§53 StGB) und übergesetzlicher Notstand bezw. Staatsnotstand (§54 StGB) kommen aus den schon bei den Haupttätern geschilderten Gründen nicht in Frage.

Sämtliche Angeklagten waren sich, wie schon ausgeführt, über die wirkliche Sachlage sowie über Sinn und Zweck des Befehls völlig im klaren. Ein Tatbestandsirrtum und damit Putativnotwehr oder -notstand scheidet deshalb auch auf ihrer Seite schon um deswillen insoweit aus.

Die Angeklagten können sich aber auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie etwa das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes rechtsirrtümlich angenommen hätten, also einem Bewertungsirrtum erlegen wären, der nach den Grundsätzen über den Verbotsirrtum zu behandeln wäre (BGHSt. Bd.2 S.194; Bd.3 S.274).

Soweit die Angeklagten sich darauf berufen haben und behauptet haben, bei den Tötungen habe es sich um eine kriegsnotwendige Präventivmassnahme gehandelt, hat ihnen das Schwurgericht keinen Glauben geschenkt. Es hat sich dabei offensichtlich um ein leeres Verteidigungsvorbringen gehandelt. Wie wenig glaubhaft ihre Angaben insoweit sind, ergibt sich auch aus den auf Grund der Aussagen des Zeugen Krumbach getroffenen Feststellungen, wonach sich Angehörige der Stapo Tilsit nach der ersten Erschiessung in Garsden gegenseitig Mut zugesprochen haben mit den Worten: "Menschenskinder! Verflucht noch mal! Eine Generation muss dies halt machen, damit dann unsere Kinder Ruhe haben!" Nicht im entferntesten geht hieraus hervor, dass die Angeklagten etwa die Voraussetzungen für eine Staatsnotwehr, einen Staatsnotstand oder eine kriegsbedingte Präventivmassnahme angenommen hätten. Die Unglaubhaftigkeit und Haltlosigkeit ihres Verteidigungsvorbringens ergibt sich weiterhin aus der verlegenen Antwort des Angekl. Böhme auf den Vorhalt in der Hauptverhandlung, dass die Tötung der jüdischen Kinder ganz gewiss nichts mehr mit einer kriegsnotwendigen Massnahme zu tun habe: "Die Juden seien nicht wegen ihrer Rassezugehörigkeit getötet worden, es habe sich vielmehr um eine kriegsnotwendige präventive Massnahme auf lange Sicht gehandelt, um die Kinder als künftige Rächer auszuschalten." Es ist ein Spiel mit Worten, wenn von den Angeklagten behauptet worden ist, es habe sich um eine kriegsnotwendige Präventivmassnahme gehandelt. In Wirklichkeit haben sie damit nach der Ansicht des Schwurgerichts gegen ihre Überzeugung das verabscheuungswürdige Verbrechen des Juden- und Kommunistenmords zu rechtfertigen versucht, weil sie das schlechte Gewissen geplagt hat. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind sie sich alle darüber völlig im klaren gewesen, dass der Ostfeldzug nunmehr eine günstige Gelegenheit biete, mit den Juden und Kommunisten endgültig aufzuräumen, die der oberen Führung des Nationalsozialismus schon immer ein Dorn im Auge gewesen sind.

Die Angeklagten können auch nicht mit Erfolg als Rechtfertigungsgrund geltend machen, Hitlers Befehl sei oberstes Gebot gewesen. Es ist zwar während des Dritten Reichs zum Teil in der Staatsrechtslehre die Ansicht vertreten worden, dass Hitlers Befehle die Quelle aller Rechtsetzung und sein Befehl oberstes Gebot seien. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sind sich aber alle Angeklagten darüber im klaren gewesen, dass auch ein Befehl Hitlers eine rechtswidrige Tat niemals zu einer rechtmässigen machen kann, insbesondere dann nicht, wenn es sich um den Massenmord Tausender von Juden und einer Vielzahl von Kommunisten nur aus rassischen bezw. politischen Gründen handelt, und wenn diese befohlene Handlung für jedermann offenkundig die elementaren Rechtsgrundsätze verletzt sowie jeder menschlichen Moral und dem Völkerrecht Hohn spricht.

Ebensowenig können sich die Angeklagten mit Erfolg darauf berufen, sie haben an die Verbindlichkeit des Befehls geglaubt. Abgesehen davon, dass es in keinem Kulturvolk einen bindenden Befehl gibt, der entschuldigt (BGHSt. Bd.2 S.257), was selbst Goebbels, wie schon oben ausgeführt, in seinem im Völkischen Beobachter, Süddeutsche Ausgabe vom 28./29.Mai 1944 erschienenen Artikel "Ein Wort zum feindlichen Luftterror" klar zum Ausdruck gebracht hat, scheidet der Gedanke an die Verbindlichkeit des Befehls in Anbetracht des überaus ungewöhnlichen und ungeheuren Verlangens, diese Massentötungen durchzuführen, von vornherein aus. Dies haben auch die Angeklagten angesichts des Grauens und aus dem Mass des Verbrechens heraus, das von ihnen verlangt worden ist, nach der Überzeugung des Schwurgerichts irrtumsfrei klar erkannt, wie früher in den Gründen schon ausgeführt worden ist. Nach den früheren Ausführungen haben die Angeklagten trotz dieser klaren Erkenntnis, soweit sie der Stapo und dem SD angehört haben, als getreue Gefolgsleute ihres Führers unter Ausschaltung etwaiger Bedenken und Hemmungen in blindem Gehorsam unterstützend dazu beitragen wollen und dazu beigetragen, den Herrschaftswillen des Dritten Reiches zu verwirklichen. Trotz dieser klaren Erkenntnis der Unverbindlichkeit des Befehls hat der Angekl. Schmidt-Hammer deshalb unterstützend mitgewirkt, weil er nach der Ansicht des Schwurgerichts unter allen Umständen sein Gesicht als Offizier nicht hat verlieren wollen.

Der Angekl. Fischer-Schweder kann sich schon deshalb nicht auf die Verbindlichkeit des Befehls berufen, weil er keinen Befehl zur Mitwirkung an der Erschiessung erhalten hat, wie schon ausgeführt worden ist. Er hat aus Geltungsbedürfnis mitgemacht, um auch eine Rolle in dem Geschehen zu spielen. Der Angekl. Lukys kann sich schon deshalb nicht auf die Verbindlichkeit des Befehls berufen, weil er in gar keinem Befehlsverhältnis zu einer deutschen oder litauischen Dienststelle gestanden ist. Sein Vorbringen ist insoweit nicht glaubhaft und nur als leeres Verteidigungsvorbringen zu werten. Abgesehen davon hat er auch nach der Überzeugung des Schwurgerichts auf Grund seiner geistigen Fähigkeiten und seiner langjährigen Erfahrungen als früherer Sicherheitspolizeichef von Krottingen irrtumsfrei klar erkannt, dass der Befehl der "deutschen Regierung" zu solch grauenhaften Massnahmen niemals verbindlich sein kann und verbindlich ist. Im übrigen wird auf die früheren Ausführungen in den Urteilsgründen Bezug genommen.

3. a. Gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord

Bei den den Gegenstand des Verfahrens bildenden Tötungen haben die 10 Angeklagten vorsätzlich, in klarer Erkenntnis der Rechtswidrigkeit und des verbrecherischen Zwecks der angeordneten Säuberungsmassnahmen, in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken die Tötungen als fremde Tat durch Rat und Tat unterstützen wollen und unterstützt.

Nach der subjektiven Theorie des Reichsgerichts ist für die Unterscheidung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe lediglich entscheidend, "ob der Beschuldigte die Ausführungshandlung mit Täterwillen unternommen, d.h. die Tat als eigene gewollt hat, oder ob er damit lediglich eine fremde Tat hat unterstützen wollen" (RGSt. Bd.74 S.84). Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs darf jedoch die "subjektive Theorie" nicht in der Weise verstanden und angewendet werden, wie es das Reichsgericht in dem oben genannten Urteil getan hat. Diese Willensrichtung ist nach der Ansicht des BGH keine einfache innere Tatsache. Was der Beteiligte will, ist vielmehr auf Grund aller Umstände, die von seiner Vorstellung umfasst gewesen sind, vom Gericht wertend zu ermitteln. Dabei ist ein wesentlicher Anhaltspunkt, wie weit der Beteiligte den Geschehensablauf mitbeherrscht, so dass Durchführung und Ausgang der Tat massgeblich auch von seinem Willen abhängen. Auch wenn er ohne eigenes Interesse an dem Erfolg der Tat ist, kann seine Einstellung zu ihr trotzdem aus anderen Gründen als "Täterwille" zu beurteilen sein (BGHSt. Bd.8 S.390 ff. sowie Bd.8 S.393 ff., 395-396).

Der BGH kommt in der angeführten Entscheidung Bd.8 S.393 zu dem Leitsatz: "Wer mit eigener Hand einen Menschen tötet, ist grundsätzlich auch dann Täter, wenn er es unter dem Einfluss und in Gegenwart eines anderen nur in dessen Interesse tut" (gegen RGSt. Bd.74 S.84).

Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs entscheidet daher über die Teilnahmeart stets die innere Einstellung jedes Beteiligten zur Tat, wobei aber diese innere Einstellung vom Gericht nach den gesamten Umständen wertend zu ermitteln ist. Ein schwerwiegendes Anzeichen für den Täterwillen ist dabei regelmässig die völlige Verwirklichung des äusseren Tatbestands durch den Täter, das jedoch durch andere, entgegenstehende Anzeichen widerlegt werden kann.

Alle Angeklagten haben, soweit sie ihre Mitwirkung nicht völlig geleugnet haben wie der Angekl. Kreuzmann, geltend gemacht, sie haben nur auf Befehl und dabei nicht mit dem Täterwillen gehandelt, sondern allenfalls nur mit dem Gehilfenwillen die ihnen befohlene Tat der Haupttäter unterstützen und fördern wollen.

Obwohl die Angeklagten an den Tötungsmassnahmen massgeblich beteiligt sind, hat das Gericht bei ihrem Leugnen unter Würdigung aller Umstände doch nicht feststellen können, dass sie, und zwar auch die Angeklagten Böhme, Hersmann, Fischer-Schweder und Lukys, mit dem Täterwillen gehandelt haben, dass sie also ihren Tatbeitrag nicht bloss als Förderung fremden Tuns, sondern als einen Teil der Tätigkeit aller und dementsprechend die Handlungen der anderen als eine Ergänzung ihres eigenen Tatanteils haben haben wollen. Insoweit wird auf die früheren Ausführungen und Feststellungen Bezug genommen. Zusammenfassend wird nochmals ausgeführt: Die der Stapo und dem SD angehörenden Angeklagten Böhme, Hersmann, Kreuzmann, Harms, Behrendt, Carsten und Sakuth sowie der der Ordnungspolizei angehörende Angekl. Schmidt-Hammer haben auf dienstlichen Befehl hin gehandelt. Beim Handeln auf Befehl spricht aber die Vermutung grundsätzlich dafür, dass der Befohlene nicht als Täter handelt. Der Befohlene handelt normalerweise deshalb, weil ihm befohlen worden ist, und weil er dem Befehlenden Folge leisten und ihn unterstützen will. Immerhin ist auch beim Befohlenen eine Täterschaft möglich, wenn die gesamten Umstände auf eine Täterschaft schliessen lassen.

Trotz des Handelns auf Befehl spricht bei den Angeklagten Böhme und Hersmann für eine Täterschaft der Umstand, dass sie als Abschnittsführer der Stapo und des SD Tilsit den Befehl und auch gewisse nähere Anweisungen zur Durchführung der Säuberungsaktion von SS-Brigadeführer Dr. Stahlecker, dem Leiter der Einsatzgruppe A, bekommen haben, dass ihnen aber doch im grossen und ganzen die Art und Weise der Durchführung, so vor allem auch die Auswahl der zu erschiessenden Kommunisten, überlassen geblieben ist.

Gegen eine Gehilfenschaft spricht bei den Angekl. Böhme und Hersmann weiterhin der Umstand, dass der Angekl. Böhme nicht den zwischen ihm und SS-Standartenführer Jäger / Kowno entstandenen positiven Zuständigkeitsstreit wegen des litauischen Grenzstreifens als willkommene Gelegenheit dazu benützt hat, die Erschiessungen im litauischen Grenzstreifen dem Einsatzkommando 3 des SS-Standartenführers Jäger zu überlassen, und dass der Angekl. Hersmann nicht in dieser Richtung auf den Angekl. Böhme eingewirkt hat.

Gegen eine Gehilfenschaft des Angekl. Hersmann spricht sein politischer Aktivismus im Sinn des Nationalsozialismus, dass er nach den Feststellungen des Schwurgerichts den Angekl. Böhme durch seine verschiedenen Äusserungen gegen die Juden scharf zu machen versucht und ihm nach dem Brand von Krottingen Vorwürfe gemacht hat, dass er die Judenfrauen nicht auch gleich habe mit erschiessen lassen.

Andererseits spricht beim Angekl. Böhme gegen eine Täterschaft, dass er unwiderlegt sich auf die Befehlserteilung hin nicht sofort uneingeschränkt zur Durchführung der Säuberungsaktion gegenüber Dr. Stahlecker bereit erklärt hat, dass er sich vielmehr zunächst in vorsichtiger Weise von der Durchführung des Befehls zu drücken versucht hat und dass er sich schliesslich den mündlich erteilten Befehl des Dr. Stahlecker vom RSHA hat fernschriftlich bestätigen lassen sowie, dass er die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder hinausgezogen hat.

Bei dem Angekl. Hersmann spricht vor allem gegen eine Täterschaft, dass er von sich aus keine Erschiessung festgesetzt und geleitet hat.

Bei den übrigen Angeklagten von der Stapo und von dem SD, nämlich bei den Angeklagten Kreuzmann, Harms, Behrendt, Carsten und Sakuth sowie bei dem Angekl. Schmidt-Hammer von der Schupo Memel kommt der Wille, die Tat der Haupttäter als fremde Tat nur zu fördern und zu unterstützen, viel klarer zum Ausdruck. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass sie eigenmächtig gehandelt haben und dass sie nicht nur als Untergebene aus einem Abhängigkeitsverhältnis heraus eben das ausgeführt haben, was ihnen befohlen worden war, und dass sie ihren Tatbeitrag nicht bloss als Förderung fremden Tuns haben haben wollen.

Bei dem Angekl. Lukys liegt der Verdacht nahe, dass er bei seinem Hass gegen die Kommunisten, geboren aus der schlechten Erfahrung, die er in seiner Jugendzeit mit den Kommunisten gehabt hat, die Gelegenheit für gekommen gehalten hat, unter ihnen aufzuräumen. Aber auch bei ihm hat das Schwurgericht Bedenken gehabt, eine Täterschaft bezw. Mittäterschaft festzustellen, weil in allen gegen ihn nachweisbaren Fällen nicht mit hinreichender Sicherheit hat festgestellt werden können, dass er ohne eine entsprechende Anweisung der Gestapo eigenmächtig Personen verhaftet und getötet, also mit dem Täterwillen gehandelt hat. Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass er nicht nur das hat unterstützen wollen, was die Gestapo von ihm hat ausgeführt haben wollen, sondern dass er seinen Tatbeitrag als einen Teil der Tätigkeit der Haupttäter und dementsprechend deren Handlungen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils hat haben wollen.

Bei dem Angekl. Fischer-Schweder, der sich und das Schupo-Kommando freiwillig eingeschaltet und also nicht auf Befehl gehandelt hat, welcher das für Absperrzwecke gewünschte Schupo-Kommando von sich aus als Erschiessungskommando eingesetzt und selbst massgebend bei den Erschiessungen mitgewirkt hat, liegt die Annahme für eine Mittäterschaft sehr nahe. Dafür spricht vor allem, dass er sich nach der Ansicht des Schwurgerichts als alter Kämpfer und Träger des goldenen Parteiabzeichens sowie als SA- und später als SS-Oberführer wohl als Prototyp dessen gefühlt hat, was der Nationalsozialismus immer als Ideal gepredigt hat. Deshalb liegt auch der Verdacht nahe, dass er die innere Einstellung zu diesen Geschehnissen in sich getragen hat, dass nämlich die Macht des Nationalsozialismus mit allen Mitteln erhalten und gesichert werden müsse, und dass er deshalb aus eigenem Antrieb mit dem Täterwillen gehandelt hat. Wenn das Schwurgericht trotzdem Bedenken für eine Feststellung der Mittäterschaft gehabt hat, so ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass er nach der Ansicht des Schwurgerichts trotz dieses äusseren ungünstigen Erscheinungsbildes eben doch nicht der Prototyp des nationalsozialistischen Eiferers gewesen ist. Er ist vielmehr als ein Mensch zu kennzeichnen, der sich bei seinem impulsiven Wesen und bei seinem angeborenen Geltungsbedürfnis auf Grund seiner hohen SA-Stellung zur Einschaltung und zur Hilfeleistung berufen gefühlt hat, der aber von sich aus nie zu diesen Taten geschritten wäre, wenn nicht der Angekl. Böhme über Dr. Frohwann an ihn herangetreten wäre.

Die Hilfeleistung des Gehilfen kann durch Rat oder Tat und zwar intellektuell, physisch oder psychisch erfolgen (Schönke-Schröder, 8.Aufl. Anm.III 3 zu §49 StGB; RGSt. Bd.73 S.53; OLG Stuttgart in NJW 1950, S.118; BGHSt. Bd.8 S.390 ff.). Der Angekl. Behrendt hat beispielsweise bei der Landratsbesprechung psychisch auf die damaligen Teilnehmer eingewirkt, dass die Litauer bei der Tötung der jüdischen Frauen und Kinder mitwirken sollen.

Nach den ganzen Umständen haben die 10 Angeklagten ihren Tatbeitrag zur Unterstützung der angeordneten Säuberungsmassnahmen jeweils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, also gemeinschaftlich, geleistet; denn sie haben nach der Feststellung des Schwurgerichts bei ihren Hilfeleistungen zu den Säuberungsmassnahmen zusammen helfen wollen und zusammen geholfen.

Alle Angeklagten haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts jeweils mit dem Vorsatz gehandelt, durch ihren Tatbeitrag die Tat der Haupttäter zu unterstützen. Soweit Angeklagte sich damit verteidigt haben, sie haben bei den Tötungen die Haupttat nicht fördern wollen und seien nur untätig am Tatort dabeigestanden, wie beispielsweise der Angekl. Sakuth im Fall Garsden, hat ihnen das Schwurgericht nicht geglaubt. Es handelt sich offensichtlich um ein leeres, hinterher zurechtgelegtes Verteidigungsvorbringen.

Bei den Erschiessungen ist jeder Mann notwendig gebraucht worden. Die Teilnehmer sind jeweils für die Erschiessungen bestimmt worden und jeder von ihnen hat eine Aufgabe gehabt, wie die Angekl. Böhme und Hersmann glaubhaft angegeben haben. Dass die am Tatort weilenden Angeklagten höherer Dienstgrade, wie Kreuzmann, Harms und Sakuth, ganz abgesehen von Böhme und Hersmann, nicht etwa als Statisten anwesend gewesen sind, sondern um die Tätigkeit der Angeklagten niederer Dienstgrade zu überwachen, durch ihre Anwesenheit die Schlagkraft der Stapo- und SD-Mannschaften zu stärken und dadurch die Tötungshandlungen zu unterstützen, und dass dies die Angeklagten Kreuzmann, Harms und Sakuth auch gewusst und gewollt haben, und zwar schon auf Grund ihrer langjährigen Zugehörigkeit zu den allseits gefürchteten Machtinstrumenten der Stapo und des SD, ist nach den ganzen Umständen selbstverständlich und ist auch vom Schwurgericht als erwiesen erachtet worden.

b. Mitursächlichkeit der Beihilfehandlungen

Die Hilfeleistung der Angeklagten ist mitursächlich für den Erfolg gewesen.

Die Ansicht eines der Verteidiger ist nicht richtig, dass die Ursächlichkeit deshalb nicht festliege, weil die Tötungen wohl auch durchgeführt worden wären, wenn der eine oder der andere Angeklagte nicht mitgemacht hätte. Würde man der Auffassung dieses Verteidigers folgen, so bliebe kein Täter mehr übrig, da ja dieser Grundsatz für alle Beteiligten gelten würde. Wenn mehrere an einer Straftat teilnehmen, bezieht sich die Ursächlichkeit ihres Verhaltens für den Taterfolg auf das gemeinsame Tun aller Beteiligten (OGHSt. Bd.2 S.296). Abgesehen hievon ist eine solche Ursächlichkeit im Sinne der "conditio sine qua non" für den Begriff der Beihilfe gar nicht notwendig. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn der Gehilfe durch seinen Tatbeitrag die Handlung des Haupttäters fördern will und fördert. Dabei ist es aber nicht notwendig, dass der Erfolg der Haupttat gerade durch die betreffende Gehilfentätigkeit ursächlich mitbewirkt, gefördert oder erleichtert wird (Schönke-Schröder, 8.Aufl., Anm.III 1 zu §49 StGB und die dort angegebenen Stellen, vor allem RGSt. Bd.58 S.113 ff.).

Es haben also alle Angeklagten Beihilfe geleistet, auch diejenigen, die am Tatort als Vorgesetzte die Aufsicht über die Untergebenen mit dem Bewusstsein und mit dem Willen geführt haben, dadurch die Tötungshandlungen zu unterstützen, und auch diejenigen Angeklagten, die bei Vorbereitungshandlungen, vor allem bei der Gefangennahme der Opfer, mitgewirkt haben und dabei gewusst und dies gebilligt haben, dass sie getötet werden. Dies trifft aber für sämtliche Angeklagte zu. Es ist nicht notwendig, dass die Beihilfe zur unmittelbaren Ausführung der Haupttat (Tötung) geleistet worden ist; sie braucht sich auch nicht auf ein Tatbestandsmerkmal der Haupttat zu erstrecken. Es genügt, dass sie der Gehilfe zu blossen Vorbereitungshandlungen der Haupttat mit dem Bewusstsein und dem Willen leistet, diese zu fördern, sofern nur die Haupttat mindestens zu einer strafbaren Versuchshandlung führt (Schönke-Schröder, 8.Aufl. Anm.III 1 zu §49 StGB; RGSt. Bd.59 S.379, 61 S.361 und 67 S.193).

4. Beihilfe zum Mord i.S. des §211 StGB alte und neue Fassung

Die 10 Angeklagten haben durch ihren Tatbeitrag zu den Tötungen mit Ausnahme des Falles Gewildis gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord i.S. des §211 StGB alte und neue Fassung geleistet.

Wie das Schwurgericht früher schon festgestellt hat, haben die Haupttäter die Tatbestandsmerkmale des Mords i.S. des §211 StGB alte Fassung (Tötung von Menschen mit Überlegung) und neue Fassung (Tötung von Menschen aus niedrigen Beweggründen und grausam) erfüllt.

Die Frage, ob ein Gehilfe bei der Tötung eines Menschen wegen Beihilfe zu einem Mord oder zu einem Totschlag zu bestrafen ist, richtet sich nach der Rechtsprechung danach, ob er die qualifizierenden Tatumstände des §211 StGB, und zwar in vorliegendem Fall wegen §2 Abs.2 StGB sowohl alter als auch neuer Fassung, die beim Haupttäter vorliegen müssen, kennt oder wenigstens mit ihrem Vorhandensein rechnet und trotzdem seinen Tatbeitrag auch für den Fall leistet, dass sie tatsächlich vorliegen (Schönke-Schröder, 8.Aufl. Anm.VII 1 zu §211 StGB; BGHSt. Bd.2 S.251 ff.).

Wie früher in den Urteilsgründen schon festgestellt worden ist, haben die Angeklagten die innere Einstellung der Haupttäter zur Tat gekannt.

Sie sind sich bewusst gewesen, dass die Haupttäter bei der Anordnung einer solchen tiefeingreifenden und grauenvollen Massnahme der Massentötung Tausender von Juden und Kommunisten unter Abwägung des Für und Wider, also mit Überlegung, gehandelt haben.

Sie haben weiterhin klar erkannt, dass es sich um die Durchführung eines Massenverbrechens handelt, und zwar bezüglich der Tötung sämtlicher Opfer einschliesslich der im Fall Krottingen I nachträglich zugeführten 6 gefesselten Kommunisten, dass die Tötung sämtlicher Juden in diesem Grenzstreifen ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht nur aus rassischen Gründen und die der Kommunisten nur aus politischen Gründen erfolgt. Sie haben also ihrerseits das Erscheinungsbild, nämlich all das klar erkannt, was die Handlung der Haupttäter zum Niedrigen stempelt. Dies genügt aber nach der Rechtsprechung (BGHSt. Bd.2 S.60 und S.255). Gleichgültig ist dabei, ob sie dies auch als niedrigen Beweggrund gewertet haben (Schönke-Schröder 8.Aufl. Anm.VI Abs.2 zu §211 StGB).

Die Angeklagten sind sich auch nach der Überzeugung des Gerichts in allen Fällen darüber im klaren gewesen, dass die Haupttäter grausam gehandelt haben. Dies ist ihnen deshalb besonders deutlich geworden, weil sie es bei der Durchführung dieser Säuberungsmassnahmen selbst miterlebt haben, wie grausam es dabei zugegangen ist, und weil sie aus dem Mass dieser Massnahmen erkannt haben, dass die Haupttäter, welche solche Massnahmen in diesem Umfang angeordnet haben, nicht haben übersehen können und auch nicht übersehen haben und dies in ihren Vorsatz mit eingeschlossen haben, dass solche Grausamkeiten unvermeidbar sind.

Nicht notwendig ist, dass die Angeklagten als Gehilfen selbst mit Überlegung oder aus niedrigen Beweggründen oder grausam gehandelt haben. Es handelt sich dabei nicht um Strafschärfungsgründe oder um persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse beim Täter i.S. des §50 Abs.2 StGB, sondern um Tatbestandsmerkmale des Mordes (OGHSt. Bd.1 S.103, 328/29; BGHSt. Bd.2 S.256). Der Bundesgerichtshof führt hiezu aus: "Aus alledem folgt nach den allgemeinen Grundsätzen über die Tatbeihilfe (§49), dass wegen Teilnahme am Mord schon derjenige zu bestrafen ist, der an einer vorsätzlichen Tötung vorsätzlich teilnimmt und dabei diejenigen Umstände kennt, aus denen sich die Anwendung des §211 auf die Haupttat ergibt, ohne dass er selbst ein Tatbestandsmerkmal des Mordes zu verwirklichen braucht" (BGHSt. Bd.2 S.256).

5. Gleichartige Tateinheit

Wie schon ausgeführt worden ist, liegt bei den Haupttätern nach der Ansicht des Schwurgerichts eine sogenannte gleichartige Tateinheit i.S. des §73 StGB vor, weil sie durch eine Willensbetätigung, nämlich durch den Grundsatzbefehl, die Ausführenden, also auch die Angeklagten, zu den Tötungen veranlasst, somit auch im Rechtssinn nur eine Handlung begangen haben. Mit der Erteilung des Grundsatzbefehls durch die Haupttäter hat die Ausführung der vielen in Tateinheit stehenden, zahlenmässig feststellbaren Morde in seinem Anfangsstadium begonnen.

Die Angeklagten haben auf Grund dieses Grundsatzbefehls gehandelt. Deshalb sind nach der Ansicht des Schwurgerichts auch die Beihilfehandlungen der Angeklagten zu den Mordfällen ohne Rücksicht darauf, ob sie zu einer oder zu mehreren Erschiessungen geleistet worden sind, als eine in gleichartiger Tateinheit begangene gemeinsame Beihilfe zu dem gemeinschaftlichen Mord, und zwar, da ihre Beihilfe nur soweit reicht, als sich ihr Vorsatz erstreckt hat, sich also beschränkt auf die Erschiessungsfälle, an denen sie mit wissen und Wollen, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, teilgenommen haben, in der bei jedem Angeklagten jeweils festgestellten Zahl von Tötungsfällen anzusehen.

Gegen alle 10 Angeklagten ist daher je 1 Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord i.S. der §§211 n.F., 47, 49 a.F., 73 StGB in all den Fällen, die noch im einzelnen angeführt werden, festzustellen.

6. Totschlag des Angekl. Behrendt im Fall Gewildis

Einen Sonderfall bildet die Erschiessung des ehemaligen litauischen Kriminalkommissars Gewildis durch den Angeklagten Behrendt.

Nach den Feststellungen in den Urteilsgründen hat der Angekl. Behrendt zusammen mit Kriminalsekretär Motzkus auf Befehl des RSHA, der ihm über die Stapo Tilsit übermittelt worden ist, im Juli/August 1941 nördlich Memel in einer Kiesgrube auf litauischem Boden Gewildis erschossen. Gewildis ist im ganzen Memelland als Deutschenhasser bekannt gewesen und in dem schlechten Ruf gestanden, seine eigenen Landsleute übel misshandelt und denunziert zu haben.

a. Die vom RSHA als Haupttäter angeordnete Tötung des Gewildis ist rechtswidrig, auch wenn es sich bei Gewildis um einen Vaterlandsverräter handelt. Es verstösst gegen den Kernbereich des Rechts, wenn einem Menschen, selbst wenn er ein todeswürdiges Verbrechen begangen hat, das Leben ohne ein auf Todesstrafe lautendes Urteil eines befehlsunabhängigen Gerichts genommen wird (BGHSt. Bd.2 S.334). Gewildis ist in keinem vorausgegangenen Gerichtsverfahren das rechtliche Gehör und eine ordnungsmässige Verteidigung gewährt sowie gegen ihn der Nachweis der Schuld erbracht worden. Es handelt sich also um eine rechtswidrige Tötung.

Da diese Tötung gegen die ureigensten Grundrechte verstösst, haben auch nach der Überzeugung des Schwurgerichts die dem RSHA angehörenden befehlsgebenden Haupttäter die Rechtswidrigkeit erkannt. Aus dem gleichen Grund haben auch der Angekl. Behrendt und Kriminalsekretär Motzkus die für jeden Angehörigen eines zivilisierten Staates offenkundige Rechtswidrigkeit und den verbrecherischen Zweck dieser befohlenen Tötung erkannt, wie früher schon zum Fall Gewildis ausgeführt worden ist, worauf Bezug genommen wird. Ein Rechtfertigungsgrund scheidet sonach objektiv wie subjektiv aus.

Da der Angekl. Behrendt auf Befehl seiner vorgesetzten Dienststelle gehandelt hat und der Sondergerichtsbarkeit unterstanden ist, kommt §47 MStGB zur Anwendung. Der Angekl. Behrendt und Kriminalsekretär Motzkus haben aber nach der Feststellung des Schwurgerichts den verbrecherischen Zweck dieser befohlenen Tötung klar erkannt. Es kennzeichnet sich deshalb ihre Tat als vorsätzliche, gemeinschaftliche, rechtswidrige Tötung eines Menschen.

b. Der Angekl. Behrendt hat zwar auf Befehl seiner vorgesetzten Dienststelle gehandelt. Er hat aber zusammen mit Kriminalsekretär Motzkus die tödlichen Schüsse auf Gewildis abgegeben, ihn also mit eigener Hand getötet, was an und für sich ein Anzeichen für seinen Täterwillen ist (BGHSt. Bd.8 S.393). Es wäre auch denkbar, dass er sich als Memelländer in seiner Einstellung zu Gewildis völlig einig mit dem Befehl seiner Dienststelle gefühlt und auch aus diesem Grund mit dem Täterwillen, also als Mittäter, gehandelt hätte. Der Angekl. Behrendt hat den Täterwillen in Abrede gestellt.

Auch in diesem Fall hat das Schwurgericht unter Würdigung der gesamten Umstände eine Täterschaft bezw. eine Mittäterschaft des Angekl. Behrendt und des Kriminalsekretärs Motzkus nicht festgestellt, sondern lediglich eine Beihilfe angenommen, weil die Gesamthandlung des Angekl. Behrendt und des Kriminalsekretärs Motzkus nur auf willige Werkzeuge schliessen lässt, die die Tat der Befehlenden nur haben unterstützen wollen.

c. Die Handlung des Angekl. Behrendt und des Kriminalsekretärs Motzkus im Fall Gewildis kennzeichnet sich jedoch nicht als gemeinschaftliche Beihilfe zu einem Verbrechen des Mords. Dem oder den Haupttätern ist das Ergebnis der gegen Gewildis geführten Ermittlungen übersandt worden. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts haben er oder sie, wie die ganzen Umstände ergeben, unter Abwägung des Für und Wider diese Erschiessung geplant und sie dann befohlen, weshalb sie mit Überlegung i.S. des §211 StGB a.F. gehandelt haben. Auch der Angekl. Behrendt, welcher damals die Ermittlungen gegen Gewildis geführt hatte, und sein Mitarbeiter Motzkus haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts erkannt, dass sich der oder die Haupttäter auf Grund des Studiums der Ermittlungsakten das Für und Wider der Tötung erwogen, also mit Überlegung gehandelt haben.

Nach §2 Abs.2 StGB sind aber auch die besonders verwerflichen Tatbestandsmerkmale des §211 Abs.2 StGB n.F. zu überprüfen. Von ihnen würde jedes für sich allein die vorsätzliche rechtswidrige Tötung des Gewildis zum Mord stempeln. Nach Lage der Dinge würde aber nur ein Handeln aus niedrigen Beweggründen in Frage kommen. Im Hinblick auf die schlechte Qualifizierung des Opfers (Gewildis) hat aber das Schwurgericht schon Bedenken für die Feststellung gehabt, dass der oder die Haupttäter im RSHA den Erschiessungsbefehl aus niedrigen Beweggründen gegeben haben und dass ihr Vorsatz dieses den Mord gegenüber dem Totschlag kennzeichnende Merkmal auch umfasst hat (BGH in L-M Nr.2 zu §211 StGB). Selbst wenn dies aber auch zutreffen würde, würde sich nicht feststellen lassen, dass sich der Angekl. Behrendt, welcher auf Grund seiner Ermittlungstätigkeit die Schandtaten des Gewildis näher erfahren hat, und sein Mitarbeiter, Kriminalsekretär Motzkus, bewusst gewesen sind, dass der oder die Haupttäter aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben, oder dass sie ein solches Motiv auch nur für möglich gehalten und die Tat trotzdem gebilligt hätten.

d. Im Fall Gewildis, für welchen als Taturheber des RSHA möglicherweise nur ein einziger Beamter des RSHA in Frage kommt, ist daher gegen den Angeklagten Behrendt, der mit Kriminalsekretär Motzkus in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken gehandelt hat, ein Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Totschlag i.S. der §§212 n.F., 49 a.F., 47 StGB festzustellen.

7. Kein Nötigungsnotstand

Die für die Verurteilung erforderliche Schuld der Angeklagten wird auch nicht durch Nötigungsstand (§52 StGB) oder durch Notstand (§54 StGB) ausgeschlossen. Die Angeklagten haben aber auch keine solchen Umstände i.S. der §§52, 54 StGB irrtümlich angenommen.

Sämtliche Angeklagten haben sich damit verteidigt, sie haben sich in einem "Befehlsnotstand" befunden. Der Befehl sei für sie bindend gewesen und sie seien Gefahr gelaufen, ebenfalls erschossen zu werden, wenn sie den Erschiessungsbefehl nicht befolgt hätten. Für den Angekl. Kreuzmann hat dies sein Verteidiger hilfsweise geltend gemacht. In erster Linie wird insoweit auf die früheren Ausführungen Bezug genommen; zusammenfassend wird aber noch das Folgende vorgetragen:

a. Die Tatsache, dass die Angeklagten mit Ausnahme der Angeklagten Fischer-Schweder und Lukys auf dienstlichen Befehl hin gehandelt haben, könnte allerdings insofern von Bedeutung sein, als sie durch den rechtswidrigen und deshalb unverbindlichen und als rechtswidrig erkannten Befehl in eine Notstandslage versetzt worden wären und ihnen deshalb der Schutz der §§52, 54 StGB zur Seite stehen könnte. Der Unterschied zwischen dem Nötigungsstand bezw. der Nötigung durch Zwangslage (§52 StGB) und dem Notstand (§54 StGB) besteht darin, dass beim Nötigungsstand eine Person auf einen andern einen Zwang ausübt, durch den dieser zu einer bestimmten, den Tatbestand einer Strafbestimmung erfüllenden Handlung genötigt wird, während in §54 StGB die Abnötigung der Handlung durch eine Person nicht vorausgesetzt wird (Schönke-Schröder Anm.I zu §52 StGB).

Beim Nötigungsstand muss der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden gewesen ist, zu der Handlung genötigt worden sein. Nach der Rechtsprechung ist es aber erforderlich, dass der Täter das Bewusstsein dieser Gefahr gehabt und sich mit dem Bestreben, ihr auszuweichen, zu der befohlenen Handlung entschlossen hat. Wenn der Täter aus anderen Gründen als in dem Bestreben, der Gefahr auszuweichen, den Befehl ausgeführt hat, ist §52 StGB nicht anwendbar. Es ist ferner notwendig, dass dem Täter die Handlung durch die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt wird, dass also sein Wille durch diese Drohung gebeugt wird (BGHSt. Bd.3 S.271 ff., 275, 276; OGHSt. Bd.1 S.310, 313). Diese Voraussetzungen liegen aber bei den Angeklagten nicht vor.

b. Es kann zunächst ganz dahingestellt bleiben, ob sich die Angeklagten durch die Nichtbefolgung des Befehls, die Juden und Kommunisten zu erschiessen, einer Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt hätten, was auf Grund der eingehenden Beweisaufnahme übrigens zu verneinen ist. Insoweit wird in vollem Umfang auf die früheren Ausführungen und Feststellungen in den Urteilsgründen Bezug genommen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nämlich das Schwurgericht überzeugt, dass den Angeklagten ohne Ausnahme die Tat gar nicht durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt worden ist, dass also ihr Wille durch Drohung gar nicht gebeugt worden ist. Sie haben bei dieser Säuberungsaktion nicht deshalb ihren Tatbeitrag geleistet, weil sie genötigt gewesen sind oder irrtümlich sich für genötigt gehalten haben, um einer drohenden Leibes- oder Lebensgefahr für sich selbst oder für ihre Angehörigen (Sippenhaftung) zu entgehen.

c. Soweit die Angeklagten der Gestapo und dem SD angehört haben, ist aus ihrem Verhalten weder vor noch bei der Tat noch später bis Kriegsende auch nur die Möglichkeit zu entnehmen, dass sie den Säuberungsbefehl gegen ihren Willen, sich einer übermächtigen Drohung beugend, ausgeführt haben. Dies ergibt sich aus dem Folgenden:

Die Angeklagten Böhme, Kreuzmann, Harms, Behrendt, Carsten, Hersmann und Sakuth sind schon vor dem Krieg nicht im Sinn des §52 StGB dazu genötigt worden, der Gestapo und dem SD beizutreten. Dabei sind ihnen aber schon bei ihrem Eintritt in diese Organisationen diese durch die Vorgänge des 30.6.1934 ("Röhm-Putsch"), durch die Kristallnacht, die Konzentrationslager usw. als verbrecherisch bekannt gewesen. Sie haben auch keine ernsthaften Versuche unternommen, vor dem Krieg unter irgendeinem Vorwand aus diesen Organisationen wieder auszutreten. Während ihrer Zugehörigkeit zur Gestapo und zum SD haben sie vielfach die jedem gesunden Rechtsempfinden Hohn sprechenden anfallenden Aufgaben als etwas Selbstverständliches erfüllt. Zu den Aufgaben der Gestapo hat u.a. gehört: Die Überwachung der Kirchen, Juden und politisch Andersdenkenden, die Verfolgung von Verdächtigen ohne gründliche Prüfung ihrer Schuld oder Unschuld und die Einweisung ohne Richterspruch der ihnen nicht Genehmen in Konzentrationslager, die Aussageerpressung durch verschärfte Vernehmungen, die Aufsicht über die ausländischen Arbeiter und deren strenge Bestrafung bis zur Sonderbehandlung.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind von Angehörigen der Abteilung II der Stapo Tilsit, die dem Angekl. Kreuzmann unterstanden ist, Fremdarbeiter wegen Vernachlässigung ihrer Arbeitspflicht laufend dadurch abgerügt worden, dass sie teils im Dienstzimmer des betreffenden Gestapo-Beamten, teils im Flur der Dienststelle der Stapo Tilsit und mindestens 1-2mal wöchentlich auch auf einem Bock in der Garage mit Ochsenziemern barbarisch geschlagen worden sind, so dass ihre Schmerzensschreie weithin hörbar gewesen sind und mindestens in einem festgestellten Fall ein Fremdarbeiter dabei totgeschlagen worden ist. Als Angehörige der Stapo und des SD haben diese Angeklagten jahrelang den beiden gefürchteten und berüchtigten Machtinstrumenten des Dritten Reichs und damit dem Verbrechen und dem Terror bis zum Schluss des Krieges treu gedient, wobei der Angekl. Hersmann sogar noch am 28.4.1945 auf dem Marktplatz in Altötting bei der Erschiessung von 5 Bürgern mitgewirkt hat.

Wer, wie die Angeklagten von der Stapo und von dem SD, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus Jahre hindurch bereitwillig dem Verbrechen und dem Terror gedient hat, der kann sich nicht der Verantwortung durch den blossen Hinweis entziehen, er hätte für Leib und Leben fürchten müssen, wenn er seine weitere Mitwirkung bei verbrecherischen Handlungen versagt hätte (BGHSt. Bd.3 S.276).

Folgende Umstände sprechen weiterhin gegen die Behauptung der Angeklagten von der Stapo und dem SD, in Befehlsnotstand gehandelt zu haben:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist unmittelbar nach der ersten Erschiessung in Garsden eine Gruppenaufnahme von den Teilnehmern der Stapo und des SD gemacht worden. Bei den späteren Erschiessungen sind teils die Erschiessungsvorgänge selbst fotografiert worden, teils Gruppenaufnahmen von den Teilnehmern an den Massengräbern gemacht worden, wobei diese nicht etwa betrübte Gesichter gemacht, sondern sich in "Pose" gezeigt haben. Weiterhin haben die Teilnehmer vielfach nach Beendigung der Erschiessungen Gaststätten aufgesucht, in denen teils mit dem den getöteten Juden abgenommenen Geld die Zeche bezahlt worden ist. Alle diese Umstände deuten nicht darauf hin, dass die Angeklagten von der Gestapo und dem SD etwa tief bekümmert über die ihnen angeblich abgezwungenen Handlungen gewesen sind. Wer aber solche furchtbaren Massnahmen in diesem Umfang gegen seinen Willen in einer ausweglosen Zwangslage ausführen muss, der leidet seelisch so stark darunter, dass dies schon bei der Durchführung dieser Massnahmen zum Ausdruck kommt und dass ihn dies auch in seinem späteren Leben nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.

Bei den Angeklagten Böhme, Hersmann und Kreuzmann spricht weiterhin gegen ihre Behauptung, in Befehlsnotstand, also in einer ausweglosen Zwangslage gehandelt zu haben, der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellte positive Zuständigkeitsstreit wegen des litauischen Grenzstreifens zwischen der Stapo Tilsit und dem Führer des Einsatzkommandos 3, SS-Standartenführer Jäger / Kowno. Nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen hat der mit der Durchführung der Säuberungsaktion in Litauen beauftragte SS-Standartenführer Jäger auch in dem litauischen Grenzstreifen die Säuberung mit seinem Einsatzkommando durchführen wollen, was aber der Angekl. Böhme unter Berufung auf den Befehl des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker nicht zugelassen hat. Wären die Angeklagten Böhme, Hersmann und Kreuzmann tatsächlich in der von ihnen behaupteten ausweglosen Zwangslage bezw. vermeintlichen ausweglosen Zwangslage gewesen, dann hätte der Angekl. Böhme nach der Überzeugung des Schwurgerichts bestimmt das Bestreben des SS-Standartenführers Jäger als willkommenen Anlass benützt, ihm die Durchführung der Säuberungsmassnahmen im Grenzstreifen zu überlassen. Der Angekl. Hersmann als SD-Abschnittführer und Duzfreund des Angekl. Böhme und der Angekl. Kreuzmann als enger Vertrauter und rechte Hand des Angekl. Böhme hätten mindestens auch versucht, den Angekl. Böhme zur Übertragung der Durchführungsmassnahmen an Jäger zu veranlassen, was sie aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gemacht haben. Wer sich aber um die Durchführung solcher grauenhafter Massnahmen geradezu reisst, kann wahrhaftig nicht ernstlich von einem Handeln in einer ausweglosen Zwangslage reden.

Auch aus der Art, in der die Angeklagten den Säuberungsbefehl durchgeführt haben, ergibt sich, dass sie nicht in einer Zwangslage gehandelt haben, sondern dass sie freiwillig, wie auch sonst immer, als getreue Diener ihres Führers, wenn auch möglicherweise anfangs mit einem unbehaglichen Gefühl, auch diesen Säuberungsbefehl ausgeführt haben. Schon am andern Morgen nach Erteilung des Befehls hat der Angekl. Böhme durch seine Männer die Juden und Kommunisten in Garsden festnehmen lassen. Am gleichen Tag oder einen Tag später hat er Kriminalkommissar Macholl des ganz abgelegenen GPK Sudauen den Säuberungsbefehl erteilt. Er hat am 24.6.1941 Regierungsrat Ilges (Zeuge) ebenfalls dorthin abgeordnet, ihn aber wieder abgelöst, weil er ihm nicht scharf genug gegen die Juden und Kommunisten vorgegangen ist. Bei der Durchführung der Säuberungsaktionen wurden die letzten Juden noch nachträglich aus den Häusern geholt. Nach den früheren Feststellungen in den Urteilsgründen sind die Opfer, vor allem die Juden, vor ihrer Tötung noch misshandelt und mit Stockschlägen und wüstem Gebrüll zum Erschiessungsgraben getrieben worden. Wer aber in einer ausweglosen Zwangslage bei einer Massentötung von Menschen mitwirken muss, wird niemals die Opfer vorher noch misshandeln oder ihre Misshandlung zulassen, insbesondere nicht als Vorgesetzter. In Georgenburg hat der Angekl. Böhme einen litauischen Arzt misshandelt, weil er ihn um die Freilassung eines jüdischen Arztes gebeten hatte. Der Angekl. Hersmann hat in Polangen während der Erschiessung noch einen jüdischen Arzt aus dem Lazarett holen lassen. Nach dem Brand von Krottingen hat er dem Angekl. Böhme vorgeworfen, dass er die jüdischen Frauen nicht auch sofort habe erschiessen lassen. Der Angekl. Behrendt hat die litauischen Teilnehmer an der Landratsbesprechung in Krottingen dahingehend bearbeitet, dass die Litauer bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder mitwirken sollen. Ein solches Verhalten und ein derartiger Diensteifer ist aber mit einem angeblichen Handeln in Befehlsnotstand nicht vereinbar.

Die Angeklagten von der Stapo und dem SD haben in der Hauptverhandlung aber auch nicht behauptet, dass sie etwa zur Tatzeit einander ihr Leid geklagt und zum Ausdruck gebracht haben, sie führen den Befehl nur deshalb aus, weil sie in einer ausweglosen Zwangslage seien. Aus dem von dem Zeugen Krumbach bekundeten Gespräch, welches Stapo-Angehörige auf der Stapo-Dienststelle in Tilsit am Morgen des 25.6.1941 nach der tags zuvor in Garsden erfolgten ersten Erschiessung geführt haben und an welchem auch der Angekl. Krumbach teilgenommen hat, ergibt sich nicht im entferntesten, dass sie in einer ausweglosen, bezw. in einer vermeintlichen ausweglosen Zwangslage gehandelt haben. Sie haben zwar einen etwas bedrückten Eindruck gemacht, was nach dieser ersten Massenerschiessung auch nicht verwunderlich ist, sie haben die ganze Aktion auch kritisiert, keiner von ihnen hat aber als feig gelten wollen und sie haben sich gegenseitig Mut zugesprochen, wobei Worte gefallen sind wie: "Menschenskinder! Verflucht noch mal! Eine Generation muss dies halt durchstehen, damit es unsere Kinder besser haben!" Gerade dieses Verhalten der Gestapo-Angehörigen und ihre Worte im Kameradenkreis nach der ersten Erschiessung sind ein untrügliches Zeichen für ihr damaliges Denken und Fühlen, dass sie nämlich nicht in einer ausweglosen Zwangslage gewesen sind und auch keine solche irrtümlich angenommen haben, sondern dass sie als Gestapo-Angehörige diesen Säuberungsbefehl, wenn auch zunächst mit einem unbehaglichen Gefühl, in genauso blinder Unterordnung durchgeführt haben, wie andere Befehle zuvor auch. Genauso gedacht und gefühlt haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch die Angeklagten Hersmann und Sakuth vom SD. Einige SD-Leute haben sich sogar zu den Erschiessungen gedrängt, wie auf Grund der Angaben des Angekl. Hersmann festgestellt worden ist.

Keiner der Angeklagten hat übrigens behauptet, dass er tatsächlich von einem Vorgesetzten mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben bedroht worden sei, falls er bei der Durchführung des Säuberungsbefehls nicht mitwirke, und dass sein eigener Wille durch eine solche Drohung gebeugt worden sei. Keiner von ihnen ausser dem Angekl. Harms hat begründet behaupten können, dass er auch nur einmal nach Auswegmöglichkeiten gesucht und alles versucht habe, den Erschiessungsbefehl nicht durchführen zu müssen. Keiner der Angeklagten hat behauptet, ausdrücklich einen Vorgesetzten um die Entbindung von der Durchführung des Befehls gebeten zu haben, weil er es seelisch nicht durchstehen oder rechtlich nicht verantworten könne. Aber auch der Angekl. Harms hat sich nur wegen der Zumutung des Angekl. Böhme, die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder vom Lager Batakai zu leiten, gewehrt, und zwar mit Erfolg. Bei der Erschiessung der jüdischen Männer und der Kommunisten hat er anstandslos mitgewirkt.

d. Der Angekl. Schmidt-Hammer ist ebenfalls in keiner ausweglosen Zwangslage gewesen oder hat eine solche angenommen. Dies ergibt sich aus seinem ganzen Verhalten. Er hat nach den Feststellungen des Schwurgerichts mit dem Schupo-Kommando an verschiedenen Tagen an 3 Juden- und Kommunistenerschiessungen teilgenommen. Von Beruf aus Optikermeister, ist er zur Tatzeit Reserveoffizier der Ordnungspolizei und alles andere als ein verschworener Anhänger des Nationalsozialismus gewesen und hat auch mit der Gestapo und mit dem SD und mit der inneren Einstellung ihrer Angehörigen nichts gemein gehabt. In Major Gü. hat er einen korrekten Vorgesetzten gehabt und hat aber auch nach seinen Angaben den Angekl. Fischer-Schweder als einen zwar strengen, aber korrekten Vorgesetzten angesehen, mit dem er fast täglich beim Vortrag der Neueingänge wie beim Reiten zusammengekommen ist. Er selbst ist bei seinen Vorgesetzten und bei seinen Untergebenen als tüchtiger Offizier geschätzt worden. Ihm ist also der Weg zu seinen Vorgesetzten offen gestanden und er hat die Möglichkeit gehabt, mit ihnen persönliche Anliegen in der gehörigen Form und mit den richtigen Worten zu besprechen, wozu er bei seinem Alter von immerhin 34 Jahren, seiner Vorbildung und seiner Intelligenz sowie bei seiner Rede- und Schreibgewandtheit in der Lage gewesen ist. Obwohl er nach den Feststellungen des Schwurgerichts die Rechtswidrigkeit der Erschiessungen und den verbrecherischen Zweck des Erschiessungsbefehls klar erkannt hat, hat er keine Ausweichmöglichkeit gesucht und hat vor allem mit keinem Wort Major Gü. oder den Angekl. Fischer-Schweder darum gebeten, dass er als Führer des Exekutionskommandos abgelöst werde, weil er seelisch diese Erschiessungen nicht durchstehen und sie moralisch und rechtlich nicht verantworten könne. Er will zwar nach seinen Angaben Major Gü. mündlich berichtet und dabei auch das Grauenhafte geschildert haben; er hat aber mit keinem Wort um seine Ablösung gebeten. Sein schriftlicher Bericht, den er nach der ersten oder zweiten Erschiessung für Major Gü. nach den Bekundungen des Zeugen A. gemacht hat, ist ganz sachlich und ohne irgendwelche drastische Schilderung gehalten. Wenn er sich aber bei den Erschiessungen in einer ausweglosen Zwangslage gefühlt hätte, wäre er als gefühlsbetonter Mensch, wie das Gericht unterstellt, gar nicht in der Lage gewesen, einen solchen sachlichen Bericht abzugeben. Er hätte vielmehr seiner verzweifelten Stimmung und seiner seelischen Not Ausdruck verliehen, was bei ihm bei seiner Schreibgewandtheit ein leichtes gewesen wäre.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat auch nicht behauptet bezw. behaupten können, dass ihm durch Drohung eines Vorgesetzten mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben seine Mitwirkung an den Erschiessungen abgenötigt und sein eigener Wille gerade durch diese Drohung gebeugt worden wäre.

e. Der Angekl. Fischer-Schweder hat schon deshalb nicht im Nötigungsnotstand gehandelt, weil er nicht auf Befehl gehandelt hat. Er hat sich freiwillig auf Grund seines ihm angeborenen Geltungsbedürfnisses in die Mitwirkung bei den Erschiessungen eingeschaltet und kann sich schon deshalb niemals mit Erfolg darauf berufen, in einer ausweglosen Zwangslage oder in einer vermutlichen ausweglosen Zwangslage gehandelt zu haben.

f. Der Angekl. Lukys kann sich ebenfalls nicht mit Erfolg auf "Befehlsnotstand" berufen. Er ist in gar keinem Befehlsverhältnis, sondern in einem Beamtenverhältnis zu einer litauischen Dienststelle gestanden und hat deshalb auch nicht auf dienstlichen Befehl der Gestapo hin gehandelt, was er nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch gar nicht angenommen hat. Er hat als freiwilliger Mitarbeiter Ersuchen und Weisungen erhalten, aber keine dienstlichen Befehle von der Gestapo. Er hat auch keine konkreten Angaben gemacht bezw. machen können, dass ihm seine Mitwirkung in den gegen ihn festgestellten Fällen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt worden sei, so dass sein Wille durch diese Drohung gebeugt worden sei. Er hat auch nicht glaubhaft angeben können, dass er in den gegen ihn nachgewiesenen Fällen ernsthaft nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht hat, um sich unter irgendeinem Vorwand dieser angeblichen Zwangslage zu entziehen.

Es spricht vielmehr die Tatsache, dass er in anderen Fällen Mittel und Wege hat finden können und gefunden hat, Weisungen der Gestapo nicht zu befolgen oder ihre Vorhaben zu durchkreuzen, wenn er die Weisungen nicht hat befolgen wollen oder wenn er die Massnahmen nicht für richtig gehalten hat, gegen seine Behauptung, dass er in den gegen ihn festgestellten Fällen in einer ausweglosen oder vermeintlichen ausweglosen Zwangslage gehandelt habe. So hat er nach der Feststellung des Schwurgerichts die Weisung des GPK Memel, den Apotheker Kavalcukas von Krottingen zu verhaften, nicht befolgt, sondern ihn rechtzeitig gewarnt und ihm zur Flucht verholfen. Er hat weiterhin eine ganze Reihe von Personen ebenfalls rechtzeitig gewarnt und ihnen zur Flucht verholfen, nachdem er von dem Verhaftungsplan des GPK Memel Kenntnis bekommen hatte.

Schon vor Beginn des Russlandfeldzugs hat der Angekl. Lukys auf Grund seiner Verbindung und auf Grund seiner Beziehungen zum GPK Memel gewusst, dass bei seiner politischen Einstellung gegen die Kommunisten und bei seinen Kenntnissen und Erfahrungen als früherer Sicherheitspolizeichef von Krottingen seine Mitarbeit erwünscht ist. Welche Aufgabe die Gestapo aber bisher gehabt hat, das hat er schon vor Beginn des Russlandfeldzugs als früherer Sicherheitspolizeichef klar durchschaut. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat er auf den Augenblick gewartet, in dem er nach der Besetzung Litauens durch die Deutschen entsprechend seiner früheren Tätigkeit die von ihm gewünschte Hilfeleistung geben kann und er hat sie in der Folgezeit auch freiwillig gegeben, wobei bei ihm das tragende Motiv sein Hass gegen die Juden gewesen ist.

g. Das Verteidigungsvorbringen sämtlicher Angeklagten, in Befehlsnotstand gehandelt zu haben, ist offensichtlich nur ein nachträglich zurechtgelegtes leeres Schutzvorbringen.

Das Schwurgericht ist überzeugt, dass sich keiner der Angeklagten in einer ausweglosen Zwangslage befunden hat, dass keiner von ihnen eine solche irrtümlich angenommen und nur mit dem Bestreben bei den Erschiessungen mitgewirkt hat, dadurch einer vermeintlichen Gefahr für Leib oder Leben auszuweichen. Aus der Art und Weise der durchgeführten Erschiessungen ergibt sich vielmehr, dass die Angeklagten überhaupt nicht daran gedacht haben, dass ihnen bei Nichtausführung des Befehls eine Gefahr für Leib oder Leben drohen könnte.

Sie haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts auch gar nicht daran gedacht, geschweige denn den Gedanken ernsthaft erwogen, den Befehl zur Erschiessung der Juden und Kommunisten zu verweigern und zwar die Angeklagten von der Stapo und dem SD schon auf Grund ihrer ideologischen Einstellung. Als einziger hat der Angekl. Harms eine Ausnahme gemacht, als ihm die Leitung der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder von dem Lager Batakai zugemutet worden ist. Bei der Erschiessung der jüdischen Männer und der Kommunisten hat er aber ebenfalls anstandslos mitgewirkt.

Im übrigen haben die Angeklagten von der Gestapo und dem SD als getreue Gefolgsleute ihres Führers in blindem Gehorsam gehandelt, weil sie die Verwirklichung des Herrschaftsanspruchs des Dritten Reichs in dieser Form gebilligt haben.

Der Angekl. Schmidt-Hammer hat nach der Überzeugung des Schwurgerichts unter Ausschaltung etwaiger Bedenken und Hemmungen deshalb bei den Erschiessungen unterstützend mitgewirkt, weil er, von seinen Vorgesetzten und Untergebenen als schneidiger Offizier charakterisiert, an seiner Offiziersstellung sehr stark gehangen hat und unter allen Umständen sein Gesicht als Offizier nicht hat verlieren wollen, doch von falschem Ehrbegriff geleitet. Der Angekl. Fischer-Schweder hat aus Geltungsbedürfnis und der Angekl. Lukys aus Hass gegen die Kommunisten mitgewirkt.

IV. Zusammenstellung der einzelnen Straftaten der Angeklagten

In den nachfolgend genannten, chronologisch aufgeführten Erschiessungsfällen sind die Angeklagten schuldig, gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord, beziehungsweise gemeinschaftliche Beihilfe zum Totschlag (Angekl. Behrendt), an den jeweils zahlenmässig festgestellten Opfern geleistet zu haben:

1. Angekl. Böhme
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Augustowo Zahl der Opfer 316
Krottingen II Zahl der Opfer 63
Polangen I Zahl der Opfer 111
Szweksznie Zahl der Opfer 20
Krottingen III Zahl der Opfer 15
Tauroggen I Zahl der Opfer 133
Georgenburg I Zahl der Opfer 322
Tauroggen II Zahl der Opfer 122
Wladislawa-Neustadt Zahl der Opfer 192
Krottingen IV Zahl der Opfer 4
Schmalleningken Zahl der Opfer 1
Batakai - Georgenburg Zahl der Opfer 1
Wirballen-Kyrbatai Zahl der Opfer 200
Krottingen V Zahl der Opfer 120
Vevirzeniai I Zahl der Opfer 50
Wilkowischken Zahl der Opfer 120
Polangen II Zahl der Opfer 2
Polangen III Zahl der Opfer 60
Calvaria Krs.Mariampol Zahl der Opfer 120
Georgenburg II Zahl der Opfer 100
Wirballen Zahl der Opfer 200
Krottingen VI Zahl der Opfer 20
Garsden II Zahl der Opfer 100
Heydekrug - Kolleschen Zahl der Opfer 50
Polangen IV Zahl der Opfer 200
Batakai Zahl der Opfer 500
Krottingen VII Zahl der Opfer 120
Vevirzeniai II Zahl der Opfer 100
Tauroggen III Zahl der Opfer 130
 
Gesamtzahl der Opfer 3907
 
2. Angekl. Hersmann
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Krottingen II Zahl der Opfer 63
Polangen I Zahl der Opfer 111
Tauroggen I Zahl der Opfer 133
Georgenburg I Zahl der Opfer 322
Wladislawa-Neustadt Zahl der Opfer 192
Wirballen-Kyrbatai Zahl der Opfer 200
Wilkowischken Zahl der Opfer 120
Jüdische Frauen und Kinder Zahl der Opfer 100
 
Gesamtzahl der Opfer 1656
 
3. Angekl. Fischer-Schweder
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Polangen I Zahl der Opfer 111
 
Gesamtzahl der Opfer 526
 
4. Angekl. Lukys
 
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Krottingen III Zahl der Opfer 15
Krottingen IV Zahl der Opfer 4
Polangen II Zahl der Opfer 2
Polangen III Zahl der Opfer 60
Krottingen VI Zahl der Opfer 20
 
Gesamtzahl der Opfer 315
 
5. Angekl. Kreuzmann
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
 
Gesamtzahl der Opfer 415
 
6. Angekl. Harms
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
 
Polangen I Zahl der Opfer 111
 
Gesamtzahl der Opfer 526
 
7. Angekl. Behrendt
a. Beihilfe zum Mord:
 
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Polangen I Zahl der Opfer 111
Polangen III Zahl der Opfer 60
Krottingen VI Zahl der Opfer 20
Garsden II Zahl der Opfer 100
Polangen IV Zahl der Opfer 200
Krottingen VII Zahl der Opfer 120
Vevirzeniai II Zahl der Opfer 100
 
Gesamtzahl der Opfer 1126
 
b. Beihilfe zum Totschlag:
Gewildis Zahl der Opfer 1
 
8. Angekl. Carsten
Georgenburg I Zahl der Opfer 322
Schmalleningken Zahl der Opfer 1
Georgenburg II Zahl der Opfer 100
 
Gesamtzahl der Opfer 423
 
9. Angekl. Sakuth
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Polangen I Zahl der Opfer 111
 
Gesamtzahl der Opfer 526
 
10. Angekl. Schmidt-Hammer
Garsden I Zahl der Opfer 201
Krottingen I Zahl der Opfer 214
Polangen I Zahl der Opfer 111
 
Gesamtzahl der Opfer 526

Soweit den Angeklagten in den beiden Eröffnungsbeschlüssen weitere Straftaten zur Last gelegt worden sind, sind die Angeklagten mangels Beweises freizusprechen, da, wie bereits ausgeführt, die Angeklagten diesbezüglich nicht haben überführt werden können.

V. Keine Verjährung der Straftaten der Angeklagten

Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung (§67 StGB) richtet sich nach der Höhe der für den Einzelfall angedrohten und nicht etwa nach der Höhe der verwirkten Strafe, wobei mildernde Umstände ausser Betracht bleiben (Schwarz, Anm.2 zu §67 StGB). Für die Bestrafung wegen der im Jahr 1941 begangenen Verbrechen der Beihilfe zum Mord bezw. zum Totschlag gilt gem. §49 Abs.2 StGB a.F. der Strafrahmen des §44 Abs.2 StGB a.F. Wie oben schon ausgeführt worden ist, sind für die im Jahr 1941 begangenen strafbaren Handlungen gem. §2 Abs.2 StGB die Bestimmungen der §§44, 49 StGB in der alten Fassung anzuwenden.

Demnach betragen die Höchststrafen für die von allen Angeklagten im Jahr 1941 begangenen Verbrechen der Beihilfe zum Mord (§§211 n.F., 49 a.F., 44 a.F. StGB) je 15 Jahre Zuchthaus und für das im Jahr 1941 durch den Angekl. Behrendt begangene Verbrechen der Beihilfe zum Totschlag (§§212 n.F., 49 a.F., 44 a.F., 19 Abs.2 StGB) 14 Jahre 11 Monate Zuchthaus. Die Strafverfolgung verjährt also nach §67 Abs.1 2. Halbsatz StGB jeweils in 15 Jahren.

Die Strafverfolgung wäre somit bei sämtlichen Angeklagten, ausgenommen bei dem Angekl. Fischer-Schweder, im Jahr 1956 verjährt. Bei dem Angekl. Fischer-Schweder ist die Verjährung der Strafverfolgung durch den gegen ihn in dieser Strafsache am 3.5.1956 erlassenen Haftbefehl des Amtsgerichts Ulm/Donau nach §68 StGB unterbrochen worden, so dass nach der Unterbrechung eine neue Verjährung begonnen hat.

Die Verjährung der Strafverfolgung ist aber bei sämtlichen Angeklagten nach den Ahndungsgesetzen der verschiedenen Zonen gehemmt worden, so in der amerikanischen Zone für Baden-Württemberg durch das Gesetz Nr.28 zur Ahndung nationalsozialistischer Straftaten vom 31.5.1946 - RegBl. S.171 -, für Hessen durch das Gesetz vom 29.5.1946 - GVBl. S.136 -, für Bayern durch das Gesetz vom 31.5.1946 - GVBl. S.182 -, in der französischen Zone für Württemberg-Hohenzollern durch die Rechtsanordnung vom 16.5.1947 - RegBl. S.67 -, für Baden durch die Landesverordnung vom 23.12.1946 - ABl. S.151 -, für Rheinland-Pfalz durch das Landesgesetz vom 23.3.1948 - GVBl. S.244 -, in der gesamten britischen Zone durch die Verordnung des ZJA vom 23.5.1947 - VOBl. BZ S.65 -.

Diese Ahndungsgesetze und -verordnungen sind in ständiger Rechtsprechung als gültiges Recht anerkannt (BGH in NJW 1952 S.271; BVerfG in NJW 1953 S.177).

In der amerikanischen Zone lautet Artikel 1 des Ahndungsgesetzes von Baden-Württemberg vom 31.5.1946 (RegBl. S.171):

"Verbrechen und Vergehen, insbesondere Verbrechen und Vergehen, die mit Gewalttaten und Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Gründen verbunden sind und die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus politischen, rassischen oder religionsfeindlichen Gründen nicht bestraft wurden, sind zu verfolgen (Bemerkung: nach §1 des Ahndungsgesetzes in der britischen Zone: können verfolgt werden), wenn Grundsätze der Gerechtigkeit, insbesondere die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die nachträgliche Sühne verlangen."

Da die Staatsanwaltschaft unter Bejahung des öffentlichen Interesses die Anklage erhoben hat, hat das Schwurgericht nachzuprüfen, ob die Voraussetzungen für die Strafverfolgung im Sinn der Ahndungsgesetze bezüglich der von den Angeklagten begangenen Verbrechen vorliegen. Dies ist nach der Überzeugung des Schwurgerichts in allen gegen die Angeklagten festgestellten Fällen, einschliesslich des Falles Gewildis, zu bejahen.

Die von den Angeklagten begangenen Verbrechen sind - auch soweit es, wie in der britischen Zone, nur eine "Kann-Bestimmung" ist - zu verfolgen, weil sie so ungeheuerlich und so schwerwiegend sind, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit, insbesondere auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz trotz des seither verstrichenen langen Zeitraums die nachträgliche Sühne bei allen 10 Angeklagten nach Auffassung des Schwurgerichts verlangen.

Die Ermordung Tausender von Juden aus rassischen Gründen und einer Vielzahl von Kommunisten aus politischen Gründen ist geradezu ein Schulbeispiel für die Anwendung der Ahndungsgesetze, durch welche die von den nationalsozialistischen Machthabern bewusst verleugnete Idee von der Gleichheit der Menschen wiederhergestellt wird. Der teilweise von der Verteidigung vorgebrachte Gesichtspunkt, es müsse am Ende eines solch furchtbaren Weltkriegs und am Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ein Schlusstrich unter die in Zusammenhang mit dem Krieg und den besonderen politischen Verhältnissen des Dritten Reiches begangenen Verbrechen gezogen werden, vermag hieran nichts zu ändern; denn insoweit handelt es sich um eine rechtspolitische Erwägung, worüber der Gesetzgeber, aber nicht das Gericht zu entscheiden hat.

Die Tatsache, dass die Ermordung der Juden und Kommunisten auf den Grundsatzbefehl Hitlers und seiner näheren Umgebung und die Tötung des Gewildis auf Befehl des RSHA zurückzuführen sind, befreit die Angeklagten nicht von der Verantwortlichkeit für die von ihnen begangenen Verbrechen, sie kann nur strafmildernd berücksichtigt werden (vergl. Art.2 Abs.2 des Ahndungsgesetzes von Baden-Württemberg).

Der Strafverfolgung der gegen die Angeklagten festgestellten Verbrechen stehen die Rechtsvorteile der Verjährung nicht entgegen. Entsprechend dem Grundsatz des §69 StGB (Ruhen der Verfolgungsverjährung) ist in ganz Deutschland durch diese Ahndungsgesetze die Strafverfolgungsverjährung gehemmt worden, wenn die Voraussetzungen für die Strafverfolgung vorliegen, was nach den vorausgegangenen Feststellungen der Fall ist. Die Strafverfolgung derartiger Verbrechen und Vergehen ist in der amerikanischen Zone vom 30.1.1933 bis zum 1.7.1945 (Art.2 Abs.3 des Ahndungsgesetzes von Baden-Württemberg) und in der britischen Zone vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 (§1 der VO des ZJA vom 23.5.1947) gehemmt gewesen; erst nachher hat die Verjährungsfrist zu laufen begonnen.

Bei sämtlichen 10 Angeklagten sind daher die von ihnen im Jahr 1941 begangenen Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord und beim Angekl. Behrendt ausserdem das im Jahr 1941 begangene Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Totschlag nicht verjährt. Sämtliche 10 Angeklagten sind wegen dieser Straftaten zur Verantwortung zu ziehen.

VI. Abschnitt

A. Allgemeine Strafzumessungsgründe

1. Zugunsten der Angeklagten ist zu berücksichtigen: Das den Gegenstand des Verfahrens bildende furchtbare Geschehen ist letzten Endes auch durch das Versagen aller Kreise und Stände einschliesslich der höchsten Beamtenstellen und der oberen Führung der Wehrmacht der damaligen Zeit bedingt gewesen. Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit hat zwar keine Kenntnis von diesen schaurigen Vorgängen gehabt und hat erst recht nicht an der Durchführung dieser Straftaten teilgenommen. Es hat aber deshalb versagt, weil alle, abgesehen von den Verfolgten einerseits und von den von der nationalsozialistischen Ideologie Besessenen andererseits, soweit sie bei ihrem Alter zu politischem und rechtlichem Denken fähig gewesen sind, aus Furcht, Feigheit oder aus geistiger Trägheit nicht die entsprechenden Folgerungen gezogen haben, um den Ausbau und die Festigung der Macht der damaligen Gewalthaber sowie deren ungerechte Massnahmen verschiedenster Art zu verhindern. Auch das Ausland hat versagt, weil es, möglicherweise aus zweckhaften Gründen, nicht die entsprechenden Folgerungen aus dem Geschehen gezogen hat, wozu es eher in der Lage gewesen wäre als der Inländer, sondern mit den Machthabern verhandelt hat.

Zu berücksichtigen sind ferner der Gesichtspunkt der allgemeinen Autoritätsgläubigkeit des Deutschen, welche das Produkt der Erziehung vieler Jahrhunderte ist, und weiterhin der grosse Einfluss der einheitlich gesteuerten Propaganda auf die breite Masse des deutschen Volkes, nachdem die Presse gleichgeschaltet worden war.

Ganz allgemein sind ferner zugunsten der Angeklagten die damaligen Verhältnisse zu berücksichtigen. Es wurden seitens der oberen Führung alle Anstrengungen gemacht, die Jugend im Sinn der nationalsozialistischen Ideologie zu erziehen und die Erwachsenen in diesem Sinn zu schulen und umzuformen, sei es durch die Parteiformationen, sei es durch die Propaganda der gleichgeschaltete Presse. Nach der siegreichen Beendigung der Feldzüge in Polen, Norwegen und Frankreich hat die Verherrlichung Hitlers bei der Masse des deutschen Volkes kaum noch Grenzen gekannt. Hiedurch sind auch die Angeklagten entsprechend beeinflusst worden. Es ist aber nicht richtig, wie von Seiten der Verteidigung behauptet wird, dass zur Zeit der Begehung der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftaten der Krieg schon in ein Stadium eingetreten gewesen wäre, in dem sich die Massstäbe über das Zulässige und Nichtzulässige allenthalben verschoben hätten. Nach dem siegreich beendeten Frankreichfeldzug hat sich Deutschland auf der Höhe der Macht gefühlt. Nichts, aber auch gar nichts, hat Veranlassung zu solch furchtbaren Verbrechen und Missgriffen gegeben, die sich mit fortschreitendem Krieg immer mehr ausgeweitet haben. Ganz allgemein ist zugunsten der Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sie, wie oben ausgeführt, nicht von sich aus gehandelt haben, sondern dass der Anstoss von aussen gekommen ist. Die Ermordung der Juden und Kommunisten ist auf den Grundsatzbefehl Hitlers und seiner engeren Umgebung und die Tötung des Gewildis auf den Befehl des RSHA zurückzuführen.

Weiterhin ist zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sich sämtliche Angeklagten seit Kriegsende gut geführt haben, dass ein Teil von ihnen in fortgeschrittenem Alter steht, dass ein Grossteil von ihnen in Internierungshaft und in Kriegsgefangenschaft gewesen ist und dass die meisten der Angeklagten neuerworbene Stellen durch dieses Strafverfahren wieder verloren haben.

2. Zuungunsten der Angeklagten ist in Betracht zu ziehen: Soweit die Angeklagten der Stapo und dem SD angehört haben, haben sie schon durch den Eintritt in eine dieser Organisationen eine schwere Lebensführungsschuld auf sich geladen; denn es ist schon von 1934 an nicht zu übersehen gewesen, dass diese Organisationen praktisch die massgebenden Handlanger der Gewalt gewesen sind. Trotz des ihnen bekannten vielen Unrechts, das diese Organisationen gedeckt, gefördert und selbst begangen haben, haben die Angeklagten ihnen bis zum Schluss des Krieges bezw. bis zur Auflösung ihrer Dienststellen treu gedient.

Sämtliche Angeklagten haben entweder der Polizei oder dem SD, also Einrichtungen angehört, deren Aufgabe die Überwachung und Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung, Recht und Gerechtigkeit ist. Da die Angeklagten sonach ein besonders scharfes Empfinden für Recht und Gerechtigkeit hätten haben müssen, wiegt es besonders schwer, dass ausgerechnet sie versagt und bei der Durchführung der schweren Verbrechen mitgewirkt haben. Dies gilt bei dem Angeklagten Schmidt-Hammer jedoch nur in vermindertem Mass, da er erst durch den Krieg in den Polizeidienst gekommen ist. Weiterhin ist zu ihren Ungunsten in Betracht zu ziehen das Ausmass der Tötungen, deren rohe und brutale Durchführung und die bewusste Missachtung der Persönlichkeit der Opfer, die unmittelbar vor der Erschiessung sich haben ausziehen und ihr Grab selbst haben graben müssen, die zum Teil noch fotografiert, ferner misshandelt und mit Gebrüll und Stockschlägen zum Erschiessungsgraben getrieben worden sind, wo sie angesichts ihres Todes noch die blutbesudelten Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben haben werfen müssen.

Schwerwiegend sind auch die Folgen dieser Massnahmen für das deutsche Volk. Für Generationen ist das Ansehen Deutschlands schwer getroffen. Die Massenmorde haben den Morgenthau-Plan als natürliche Reaktion des Hasses auf das schwere Unrecht hin, das vor allem an dem jüdischen Volk geschehen ist, ausgelöst. Schwer haben darunter auch die deutschen Kriegsgefangenen leiden müssen.

B. Die Strafzumessungsgründe im einzelnen

Bei den Angeklagten sind im einzelnen noch verschiedene Gesichtspunkte teils zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, teils zu ihren Ungunsten in Betracht zu ziehen.

1. Angekl. Böhme

Zu seinen Gunsten spricht, dass er, wie nicht zu widerlegen ist, sich nicht sofort uneingeschränkt Dr. Stahlecker gegenüber zur Durchführung der Säuberungsmassnahmen bereiterklärt hat, nachdem ihm dieser hiezu den Befehl erteilt hatte, sondern dass er sich dessen mündlich erteilten Befehl vom RSHA hat fernschriftlich bestätigen lassen und dass er weiterhin die Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder trotz des Drängens von Dr. Stahlecker und des Angekl. Hersmann zunächst verzögerlich behandelt hat. Dagegen kann bei ihm im Gegensatz zu dem Grossteil seiner Mitangeklagten weder Kriegsgefangenschaft noch Internierungshaft zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, da er es nach dem Krieg verstanden hat, sich beidem zu entziehen.

Zu seinen Ungunsten sind folgende Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen: Der Angekl. Böhme, welcher seit dem Jahr 1933 der SS angehört hat, hat ungeachtet seiner Intelligenz und juristischen Vorbildung mit einer geradezu eisernen Konsequenz die Juden im litauischen Grenzstreifen ausgerottet, so dass es nach dem Beweisergebnis nur ganz wenigen von ihnen gelungen ist, ihr Leben zu retten. Er hat solche Untergebene bevorzugt, welche bei diesen Säuberungsmassnahmen besonders scharf vorgegangen sind, wie die Gestapo-Angehörigen Mittag, Schwarz und Sudau; im übrigen hat er seinen Untergebenen gegenüber einen scharfen Ton
angeschlagen.

Der Angekl. Böhme hätte ausserdem leicht die Möglichkeit gehabt, sich um die Säuberungsaktion zu drücken, da der mit der Durchführung dieser Massnahmen in Litauen betraute Führer des Einsatzkommandos 3, SS-Standartenführer Jäger / Kowno, auch den litauischen Grenzstreifen für sich beansprucht hat. Der Angekl. Böhme hat aber bei diesem positiven Zuständigkeitsstreit darauf bestanden, dass ihm die Säuberung in dem litauischen Grenzstreifen zustehe.

Ganz besonders fällt zu seinen Ungunsten die Häufung der Säuberungsaktionen und vor allem der Umstand ins Gewicht, dass er die Leitung dieser Massnahmen im Grenzstreifen gehabt hat. Deshalb ist zu seinen Ungunsten ganz besonders in Betracht zu ziehen, dass er als Leitender das Fotografieren bei und unmittelbar nach den Erschiessungen nicht nur zugelassen, sondern veranlasst hat, dass er die Mitwirkung betrunkener Litauer zugelassen hat, welche den Alkohol von der Stapo erhalten haben, und dass er es, ohne dagegen einzuschreiten, hat mit ansehen können, wie brutal und roh die Erschiessungen in der früher näher geschilderten Weise durchgeführt worden sind. Für diese Auswüchse ist er als Leiter der Säuberungsmassnahmen in dem Grenzstreifen und als Vorgesetzter der Gestapo-Beamten in erster Linie verantwortlich. Er hat es auch unterlassen, jeweils einen Arzt zu den Erschiessungen zuzuziehen, der den Tod der Opfer festgestellt hätte. Der Angekl. Böhme hat auch keineswegs den Eindruck gemacht, als ob er zur Tatzeit von dem furchtbaren Geschehen innerlich berührt gewesen wäre oder wenigstens heute davon innerlich berührt wäre, was sich aus dem Folgendem ergibt: Er hat es als Vorgesetzter ruhig mit ansehen können und zugelassen, dass die Erschiessungen roh und brutal durchgeführt worden sind. Er hat die Erschiessungsvorgänge und sich selbst sowie das Erschiessungskommando in "Pose" fotografieren lassen. Das den Opfern unmittelbar vor ihrem Tod abgenommene Geld hat er teilweise zur Bezahlung gemeinsamer an die Erschiessungen sich anschliessender Essen und zur Bestreitung der Unkosten für den Erholungsaufenthalt der Gestapo-Beamten in Polangen verwenden lassen. Bei der Erschiessung in Georgenburg I hat er einen litauischen Arzt geschlagen, der ihn um die Freilassung eines festgenommenen jüdischen Arztes gebeten hatte. In der Hauptverhandlung hat er sich kalt und sachlich ausgelassen und u.a. von "Modellfällen" gesprochen, die er jeweils für seine Untergebene "gebaut" habe, damit sie Muster für künftige von ihnen durchzuführende Liquidierungen haben.

2. Angekl. Hersmann

Es ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen: Nicht auszuschliessen ist, dass er nach Tilsit strafversetzt worden ist und dass für ihn deshalb seine Stellung etwas geschwächt gewesen ist. Auf Grund seines ganzen Verhaltens in der Hauptverhandlung hat das Schwurgericht von ihm auch den Eindruck gewonnen, dass er sich jetzt innerlich gewandelt und das von ihm begangene grosse Unrecht eingesehen hat und seine Untaten bereut. Er hat auch in der Hauptsache die ihm zur Last gelegten Verbrechen zugegeben. Er hat ferner eine nicht sehr glückliche Jugend gehabt. Auch soll zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass er tatsächlich Unsauberkeiten von NS-Funktionären gegeisselt hat.

Schliesslich ist noch zu seinen Gunsten zu werten, dass er vom 8.6.1945 bis zum 3.9.1948 in Internierungshaft und vom 2.8.1949 bis zum 1.12.1954 in Untersuchungshaft bezw. in Strafhaft wegen der gemeinschaftlichen Erschiessung von 5 Bürgern aus Altötting gewesen ist, so dass er praktisch von 1945 bis heute mit Ausnahme von 3 Jahren die Freiheit nicht gesehen hat, da er in dem vorliegenden Verfahren am 29.10.1956 vorläufig festgenommen worden ist und sich seitdem in Untersuchungshaft befindet.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen: Als altes Parteimitglied (seit 1.9.1930) und freiwilliges Mitglied der SS (seit April 1931) ist er mit der Ideologie der nationalsozialistischen Weltanschauung besonders verwachsen gewesen, weshalb er auch auf rasche Durchführung der Säuberungsmassnahmen, auch bezüglich der jüdischen Frauen und Kinder, gedrängt hat.

Er hat von Dr. Stahlecker den mündlichen Befehl zur Mitwirkung an der Durchführung der Säuberungsmassnahmen im litauischen Grenzstreifen bekommen und ist daher neben dem Angekl. Böhme, dem eigentlichen Leiter, für deren Durchführung verantwortlich gewesen. Er hat aber so wenig wie der Angekl. Böhme die günstige Gelegenheit der Ausweichmöglichkeit ergriffen und hat auch letzteren nicht entsprechend zu beeinflussen versucht, als bei ihrem gemeinschaftlichen Besuch in Kowno am 25.6.1941 der Führer des Einsatzkommandos 3, SS-Standartenführer Jäger, darauf gepocht hat, mit seinem Einsatzkommando auch den litauischen Grenzstreifen zu säubern.

Als Führer des SD-Abschnitts Tilsit hat er gegenüber seinen SD-Angehörigen eine leitende Stellung eingenommen. Er ist aber als Vorgesetzter ebensowenig wie der Angekl. Böhme gegen die rohe und brutale Durchführung der Erschiessungen und gegen deren unglaubliche Auswüchse eingeschritten. Dies wäre das mindeste gewesen, was von ihm hätte erwartet werden können. Bei der Erschiessung jüdischer Frauen und Kinder hat auch er nach der Feststellung des Schwurgerichts mitgewirkt. Er hat ferner persönlich nach den letzten Juden in den Häusern gefahndet und hat im Fall Polangen I während der Erschiessung noch einen jüdischen Kinderarzt, der zusammen mit deutschem Sanitätspersonal in einem Lazarett gearbeitet hat, holen lassen, um auch ihn erschiessen zu lassen.

Dies alles und die weitere Tatsache, dass er selbst im April 1945 noch bei der gemeinschaftlichen Erschiessung von 5 Bürgern aus Altötting mitgewirkt hat, lässt nach der Überzeugung des Schwurgerichts einen sicheren Schluss auf seine eiskalte, nüchterne, herzlose innere Einstellung zu den Säuberungsmassnahmen zur Tatzeit zu.

3. Angekl. Fischer-Schweder

Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen: Gegenüber den Angeklagten Böhme und Hersmann ist er intelligenzmässig unterlegen. Er ist zwar alter Kämpfer (Parteimitglied seit 28.8.1925) und Inhaber des goldenen Parteiabzeichens, ist aber nach dem Jahr 1933 parteimässig nicht mehr besonders aktiv gewesen. Nach der Machtübernahme ist er während verschiedener Jahre ein pflichteifriger Beamter gewesen. Vor Beginn des Krieges hat er mitunter auch menschliche Züge gegenüber den Juden gezeigt. Er ist auch darauf bedacht gewesen, dass die Erschiessungen in einer besseren Form erfolgen sollten, was aber tatsächlich nicht zur Auswirkung gekommen ist.

Bei dem Angekl. Fischer-Schweder kann jedoch weder Kriegsgefangenschaft noch Internierungshaft zu seinen Gunsten gewertet werden. Wie früher schon ausgeführt worden ist, ist er unter Verschweigung seiner früheren SS-Zugehörigkeit schon nach 6 Wochen aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden und hat durch Angabe falscher Personalien seine Einstufung als "nicht betroffen" im Spruchkammerverfahren erreicht.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen: Neben einem grossen Geltungsbedürfnis hat er ein sehr anmassendes Verhalten, das er auch in der Hauptverhandlung - zumindest im Anfang - gezeigt hat. Aus seinem Geltungsbedürfnis heraus hat er sich auch bei den Erschiessungen eingeschaltet und ohne Veranlassung ein Schutzpolizeikommando als Exekutionskommando eingesetzt. Dadurch hat er den Angekl. Schmidt-Hammer und die Angehörigen des Schupo-Kommandos in das furchtbare Geschehen mit hineingezogen und zur Mitwirkung bei diesem Säuberungsverbrechen veranlasst.

Als SA-Oberführer hat er bei den gegen ihn festgestellten Erschiessungen den höchsten Dienstgrad aller Beteiligten bekleidet, davon auch - völlig unberechtigt, da der Angekl. Böhme die Leitung gehabt hat - durch Weisungen und kritische Äusserungen reichlich Gebrauch gemacht und - wieder aus seinem Geltungsbedürfnis heraus - bei der Erschiessung in Garsden I sogar die Leitung an sich gerissen und eigenhändig Nachschüsse erteilt. Von einer Einsicht und Reue ist bei ihm bislang nichts zu spüren.

4. Angekl. Lukys

Zu seinen Gunsten spricht: Er hat eine schwere Jugendzeit hinter sich und hat insbesondere unter den jahrelangen politischen Wirren seines Heimatlandes Litauen schwer zu leiden gehabt. Schon mit 15 Jahren ist er von den Kommunisten verschleppt worden und hat dabei nichts Gutes gesehen und erlebt. Dies hat bei ihm eine entsprechende Reaktion ausgelöst, was die gegen ihn festgestellten strafbaren Handlungen zum Nachteil der Kommunisten zwar keinesfalls entschuldigt, ihr Motiv jedoch klarlegt und sie auch bei der Beurteilung in einem etwas milderen Licht erscheinen lässt. Zu seinen Gunsten ist auch zu werten, dass er seine Heimat verloren hat, dass seine Familienangehörigen getrennt von ihm in USA leben, dass er vorzeitig gealtert ist und dass sein Gesundheitszustand zu wünschen übrig lässt.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen: Bei dem Angekl. Lukys, einem früheren Alkoholiker, handelt es sich um einen klugen, erfahrenen, aber sehr gerissenen und, im ganzen gesehen, nicht wahrheitsliebenden, charakterlich minderwertigen Menschen.

Es steht im Belieben jedes Angeklagten, wie er sich verteidigt. Der Angekl. Lukys hat jedoch in der Hauptverhandlung hinsichtlich seiner Verteidigung einen schlechten Eindruck gemacht. Abgesehen davon, dass er nie um eine offensichtliche Ausrede verlegen gewesen ist, hat er fast jeden Belastungszeugen in übler Weise schlecht zu machen versucht, um dessen Aussagen von vornherein als unglaubhaft hinzustellen. Wie früher schon ausgeführt worden ist, hat er u.a. dem Zeugen Us., einem früheren Dentisten aus Vevirzeniai, jetzt wohnhaft in New York, der auf das Schwurgericht einen durchaus guten und glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, zu dessen grosser Überraschung sogar einen Mord an einem jüdischen Mädchen nach angeblich vorausgegangener Schwängerung in die Schuhe schieben wollen. Die Zeugin Sin., jetzt wohnhaft in Montreal/Kanada, die den Angekl. Lukys des Mordes an ihrer Schwester Gilene bezichtigt hat, hat er politisch als Kommunisten verdächtigt und sie auf diese Weise "madig" zu machen versucht.

Schwer fällt zu seinen Ungunsten sein scharfes und gefühlloses Vorgehen gegen seine Landsleute ins Gewicht, die er selbst denunziert hat, sein unmenschliches Vorgehen gegen das litauische Ehepaar, das er am Erschiessungsgraben zum Abschiednehmen aufgefordert hat, worauf er die Eheleute im Graben nebeneinander hat niederknien lassen und sie eigenhändig erschossen hat, sowie seine Mitwirkung bei der Erschiessung jüdischer Frauen und Kinder.

Auch bei ihm ist von einer Einsicht und Reue nichts zu spüren.

5. Angekl. Kreuzmann

Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen: Er ist gegenüber seinen Untergebenen in Dienstsachen stets korrekt gewesen und ist auch trotz seiner führenden Stellung als Vertrauter und rechte Hand des Angekl. Böhme nicht besonders aktiv nach aussen hervorgetreten. Als er im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten ist, hat er seine frühere Zugehörigkeit zur Gestapo nicht geleugnet.

Weiterhin ist zu seinen Gunsten zu werten, dass er sich vom 20.6.1945 bis zum 9.3.1948 in Internierungshaft befunden hat und Heimatvertriebener ist.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen: Obwohl ihm der positive Zuständigkeitsstreit zwischen dem Angekl. Böhme und SS-Standartenführer Jäger / Kowno bekannt und er selbst mehrmals mit dem Angekl. Böhme bei Jäger gewesen ist, hat er nichts unternommen, um den Angekl. Böhme dahin zu beeinflussen, von der der Stapo Tilsit durch Dr. Stahlecker gestellten Säuberungsaufgabe loszukommen, also Jäger nachzugeben und ihm den litauischen Grenzstreifen zur Durchführung der Säuberungsmassnahmen zu überlassen. Dazu wäre er bei seiner Intelligenz, geistigen Reife, juristischen Schulung und besonderen Erfahrung in Exekutivangelegenheiten sowie vor allem bei seinem guten Einvernehmen mit dem Angekl. Böhme als dessen Vertrauter und rechte Hand sehr wohl in der Lage gewesen und in Anbetracht des verbrecherischen und grauenhaften Verlangens auch moralisch verpflichtet gewesen. Zu seinen Ungunsten ist auch zu werten, dass er als Leiter der Abt. II der Stapo Tilsit nicht gegen die verschärften Vernehmungen und die Häufigkeit der barbarisch durchgeführten körperlichen Züchtigungen der Fremdarbeiter eingeschritten ist. Dadurch hat er die Roheit seiner Untergebenen gefördert, was sich wiederum bei der Durchführung der Säuberungsmassnahmen in übelster Weise ausgewirkt hat. Er hat aber auch bei den Erschiessungen in Garsden I und Krottingen I, an denen er, wie festgestellt, selbst teilgenommen hat, nicht seinen Einfluss zur Unterbindung der rohen und brutalen Auswüchse geltend gemacht.

Weiterhin spricht zu seinen Ungunsten seine mehrfach gezeigte mangelnde Wahrheitsliebe. Wie schon ausgeführt ist, hat er wider besseres Wissen hartnäckig seine Kenntnis darüber geleugnet, dass in der von ihm geführten Abteilung II verschärfte Vernehmungen stattgefunden haben und Fremdarbeiter wegen Arbeitspflichtverletzungen mit Ochsenziemern geschlagen worden sind, obwohl dies nach Aussage einer Reihe von Zeugen, insbesondere auch nach den Aussagen von 5 seiner früheren Gestapo-Beamten, sehr oft der Fall gewesen ist und die Schmerzensschreie der Opfer weithin hörbar gewesen sind, und obwohl schliesslich auch der Angekl. Böhme zugegeben hat, dass dabei auch einmal ein polnischer Fremdarbeiter auf dem Gang des Dienstgebäudes zu Tode geprügelt worden ist. Er hat weiterhin in der Hauptverhandlung zunächst bewusst unwahr erklärt, er habe in seinem Entnazifizierungsverfahren den früheren Kriminalkommissar Gerke (Zeuge) deshalb nicht als Entlastungszeugen angegeben, weil er dessen Anschrift nicht gekannt habe. Dies hat er auf Vorhalt seines Spruchkammerurteils wieder zurücknehmen müssen. Er ist aber auch jetzt nicht um eine neue Ausrede verlegen gewesen und hat angegeben, er habe Ilges (Zeuge) deshalb anstelle von Gerke als Entlastungszeugen angegeben, weil er Ilges in Anbetracht des damaligen Problems, ob man der Gestapo-Tätigkeit habe ausweichen können, für den richtigen Zeugen gehalten habe. Da der Angekl. Kreuzmann jegliche Mitwirkung an den Erschiessungen in Abrede gestellt hat, hat er verständlicherweise wegen der gegen ihn festgestellten Straftaten auch keine Reue zeigen können. Er hat aber auch während der ganzen Hauptverhandlung nicht den Eindruck gemacht, dass er die Säuberungsmassnahmen innerlich verabscheut und die Opfer bedauert habe.

Das Charakterbild, das das Schwurgericht vom Angekl. Kreuzmann auf Grund seines Verhaltens in der Hauptverhandlung gewonnen hat, deckt sich völlig mit dem, welches das auf Grund der Angaben der Mitangeklagten und der Aussagen der Zeugen festgestellte Verhalten des Angeklagten zur Tatzeit hat erwarten lassen: Ein intelligenter, etwas kalter und berechnender, pflichteifriger, äusserlich sehr beherrschter Verstandesmensch, dessen Leugnen und Ausreden nicht nur dem natürlichen Bestreben des Angeklagten entspringen, sich der Bestrafung zu entziehen, sondern darüber hinaus Uneinsichtigkeit und einen erheblichen Charaktermangel verraten.

6. Angekl. Harms

Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen: Er ist der Typ des gehorsamen, devoten Subalternbeamten von einfacher geistiger Natur. Im Grunde seines Herzens ist er ein gutmütiger Mensch, der sich bei den Erschiessungen nicht sehr aktiv betätigt, sich vielmehr möglichst gedrückt hat, und dem menschliche Züge nicht abzusprechen sind. Es spricht besonders zu seinen Gunsten, dass er den Angekl. Böhme - und zwar mit Erfolg - um die Entbindung von dem Befehl gebeten hat, die Erschiessung der im Lager Batakai untergebrachten jüdischen Frauen und Kinder zu leiten. Er hat zugegeben, dass er die Erschiessung der Juden wegen ihrer Rassezugehörigkeit als rechtswidrig angesehen habe.

Bei der Stapo Tilsit hat der Angekl. Harms eine schlechte Position gehabt, weil ihn der Angekl. Böhme wegen seiner mässigen geistigen Eigenschaften und wegen seiner weichen Veranlagung nicht besonders ernst genommen und geschätzt hat, was bei Harms wiederum Minderwertigkeitsgefühle ausgelöst hat. Weiterhin spricht für ihn sein fortgeschrittenes Alter und seine lange Internierungshaft vom 22.6.1945 bis zum 12.8.1948.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen: Er ist, wohl infolge seiner mässigen geistigen Fähigkeiten, etwas uneinsichtig und macht einen charakterlich labilen Eindruck. Um in seiner Laufbahn vorwärts zu kommen, ist er bereit gewesen, gegen sein Gewissen Opfer auf sich zu nehmen; allein deshalb ist er auch zusammen mit seiner Ehefrau aus der Kirche ausgetreten. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass er bei der Stapo Tilsit als Leiter der Abteilung III und des GPK Tilsit eine nicht gerade untergeordnete Stellung eingenommen hat.

7. Angekl. Behrendt

Zu seinen Gunsten spricht: Zur Tatzeit noch verhältnismässig jung und im nationalsozialistischen Geist erzogen, hat er trotz seiner geistigen Regsamkeit vieles kritiklos hingenommen. Wegen seiner guten litauischen Sprachkenntnisse hat er vielfach dienstliche Aufträge im litauischen Grenzgebiet erledigen müssen. Dadurch ist er bei seinem Temperament und dienstlichem Eifer wiederum der Gefahr ausgesetzt gewesen, ganz besonders scharf im Interesse der Säuberungsmassnahmen zu handeln, so vor allem auch bei der Landratsbesprechung in Krottingen, bei welcher er sich eingeschaltet und auf die litauischen Teilnehmer eingeredet hat, bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder mitzuwirken.

Nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung hat der Angekl. Behrendt jetzt offenbar eine innere Umkehr erfahren. Er ist auch offensichtlich bemüht gewesen, mit seinem guten Erinnerungsvermögen zur Aufklärung der Sache beizutragen. Weiterhin ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er 4 Kinder im Alter von 4-18 Jahren hat. Heimatvertriebener ist und sich vom 27.2.1946 bis zum 18.12.1947 in Internierungshaft befunden hat.

Zu seinen Ungunsten ist sein Aktivismus zu werten. Zusammen mit seiner Ehefrau, aber offensichtlich gegen deren Willen, ist er im Dritten Reich aus der Kirche ausgetreten. Gegen ihn spricht ferner die scheussliche Tatausführung im Fall Gewildis und vor allem seine Mitwirkung bei der Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder durch seine Einschaltung bei der Landratsbesprechung in Krottingen.

8. Angekl. Carsten

Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen: Er macht einen etwas einfältigen Eindruck und ist gefühlslabil. Die schlechten Erfahrungen, die er als Grenzdeutscher jahrelang bei den politischen Wirren gemacht hat, mögen entsprechend auf seinen Charakter eingewirkt haben. Er hat eine schwere Jugend gehabt, ist Heimatvertriebener und hat sich bis zum 4.11.1950 in Kriegsgefangenschaft befunden.

Zu seinen Ungunsten ist sein Zug zur Unwahrhaftigkeit zu werten. Er hat den Sachverhalt möglichst zu verschleiern versucht. Ins Gewicht fällt vor allem die von ihm geleitete Erschiessung der jüdischen Frauen und Kinder im Fall Georgenburg II.

9. Angekl. Sakuth

Zu seinen Gunsten ist zu werten: Bei seiner SD-Tätigkeit hat er weitgehend Missstände zu bekämpfen versucht und ist bei den Erschiessungen, vor allem bei der ersten Erschiessung in Garsden nicht besonders aktiv hervorgetreten. Zu seinen Gunsten ist weiterhin zu werten, dass er Grenzdeutscher und jetzt Heimatvertriebener ist und wegen seiner Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation unter Anrechnung von 1 Jahr und 3 Monaten Internierungshaft vom Spruchgericht Hiddesen zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, wovon restliche 2 Monate zunächst ausgesetzt und am 26.6.1951 erlassen worden sind.

Zu seinen Ungunsten ist in Betracht zu ziehen, dass er trotz überdurchschnittlicher Intelligenz und seiner zeitweise moralischen Hemmungen an mehreren Erschiessungen teilgenommen hat, obwohl gerade er als Leiter und einziger SD-Angehöriger der SD-Aussenstelle Memel am leichtesten Mittel und Wege hätte finden können, sich unter irgendeinem Vorwand um deren Teilnahme zu drücken. Auch ist er zur Unwahrhaftigkeit geneigt und versteht es, zu schauspielern, was insbesondere im Zusammenhang mit der Vernehmung des von ihm benannten Entlastungszeugen Professor Fu. zutage getreten ist.

10. Angekl. Schmidt-Hammer

Zu seinen Gunsten spricht, dass er nicht Mitglied der NSDAP gewesen ist und den Nationalsozialismus auch innerlich abgelehnt hat, dass ihn keine Lebensführungsschuld trifft, weil er keiner verbrecherischen Organisation beigetreten, sondern erst während des Krieges zur Ordnungspolizei einberufen worden ist, dass er ein korrekter und beliebter Vorgesetzter gewesen ist und bei den Erschiessungen die Form zu wahren bemüht gewesen ist sowie, dass er Einsicht und Reue zeigt.

Weiterhin ist zu seinen Gunsten zu werten, dass er eine lange und sehr schwere Zeit der Kriegsgefangenschaft in Jugoslawien hinter sich hat.

Zu seinen Ungunsten hat ihm, abgesehen von dem gegen ihn festgestellten Sachverhalt, nichts angelastet werden können.

C. Strafen

I. Hauptstrafen

Unter Berücksichtigung der zum Allgemeinen und Besonderen ausgeführten Strafzumessungsgründe hält das Schwurgericht bei den Angeklagten folgende Strafen für angemessen, aber auch für ausreichend:

1. Angekl. Böhme: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 3907 Fällen eine Zuchthausstrafe von fünfzehn Jahren.
2. Angekl. Hersmann: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 1656 Fällen eine Zuchthausstrafe von dreizehn Jahren. Aus dieser Strafe als Einsatzstrafe und aus der gegen ihn durch Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 (Ks 3/50) rechtskräftig erkannten Zuchthausstrafe von 8 Jahren, deren Strafrest bis 1.11.1958 ausgesetzt und noch nicht erlassen ist, ist gem. §§74, 79 StGB eine Gesamtstrafe von fünfzehn Jahren Zuchthaus gebildet worden.
3. Angekl. Fischer-Schweder: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren.
4. Angekl. Lukys: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 315 Fällen eine Zuchthausstrafe von sieben Jahren.
5. Angekl. Kreuzmann: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 415 Fällen eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren.
6. Angekl. Harms: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen eine Zuchthausstrafe von drei Jahren.
7. Angekl. Behrendt:
a. Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 1126 Fällen eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren.
b. Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Totschlag unter Zubilligung mildernder Umstände i.S. des §213 StGB eine Gefängnisstrafe von einem Jahr. Mildernde Umstände i.S. des §213 StGB sind dem Angekl. Behrendt im Hinblick auf die Persönlichkeit des Opfers und im Hinblick auf die ganze gegen Gewildis gerichtete Stimmung in der memelländischen Bevölkerung wegen seines früheren üblen Verhaltens gegenüber den Deutschen gewährt worden.
Zu a-b: Aus diesen beiden Einzelstrafen von 5 Jahren Zuchthaus und 1 Jahr Gefängnis ist unter Zugrundelegung der Zuchthausstrafe von 5 Jahren als Einsatzstrafe und nach Umwandlung (§21 StGB) der Gefängnisstrafe von 1 Jahr in eine Zuchthausstrafe von 8 Monaten eine Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten Zuchthaus gem. §§74, 79 StGB gebildet worden.
8. Angekl. Carsten: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 423 Fällen eine Zuchthausstrafe von vier Jahren.
9. Angekl. Sakuth: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen eine Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
10. Angekl. Schmidt-Hammer: Wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen eine Zuchthausstrafe von drei Jahren.

II. Nebenstrafen

Bei sämtlichen Angeklagten mit Ausnahme des Angekl. Schmidt-Hammer hat es das Schwurgericht im Hinblick auf den grossen Unrechtsgehalt und die Folgen der Tat sowie die Persönlichkeit der Täter für geboten gehalten, ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte gem. §32 StGB abzuerkennen (vgl. hiezu BGHSt. Bd.5 S.198) und zwar bei dem
Angekl. Böhme auf die Dauer von zehn Jahren,
Angekl. Hersmann auf die Dauer von zehn Jahren neben der Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus, wobei die neben der durch Urteil des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 (Ks 3/50) verhängten Einzelstrafe von 8 Jahren Zuchthaus ausgesprochene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren dafür entfällt (§§74, 76, 79 StGB; vgl. hiezu OGHBZ in NJW 1950 S.655),
Angekl. Fischer-Schweder auf die Dauer von sieben Jahren,
Angekl. Lukys auf die Dauer von fünf Jahren,
Angekl. Behrendt auf die Dauer von drei Jahren,
Angekl. Kreuzmann auf die Dauer von vier Jahren,
Angekl. Harms auf die Dauer von zwei Jahren,
Angekl. Carsten auf die Dauer von drei Jahren,
Angekl. Sakuth auf die Dauer von zwei Jahren.

III. Nachtrag zum Fall Augustowo

Zu der Verurteilung des Angekl. Böhme im Fall Augustowo und zu der gegen ihn erkannten Strafe von 15 Jahren Zuchthaus ist noch auszuführen:

Falls entgegen der Auffassung des Schwurgerichts in vorliegendem Fall die Möglichkeit gleichartiger Idealkonkurrenz verneint werden würde und falls weiterhin die Auffassung vertreten werden würde, dass der Fall Augustowo von der Anklage nicht umfasst ist, weil die Anklage ihn aus Beweisgründen ausdrücklich ausnimmt, weshalb der Fall Augustowo mangels Anklage nicht hätte abgeurteilt werden können, hätte das Schwurgericht auf dieselbe Strafe erkannt. Auch bei Wegfall der im Fall Augustowo in Frage stehenden Zahl von 316 Getöteten hätte das Schwurgericht auf die Strafe von 15 Jahren Zuchthaus erkannt, weil die Höhe dieser Strafe nur in der Begrenzung des Strafrahmens ihre Begründung hat.

IV. Ausführungen zu §47 Abs.3 MStGB

Bei Handeln auf Befehl in Dienstsachen gibt die zur Tatzeit gültige, inzwischen aufgehobene, aber gem. §2 Abs.2 StGB anzuwendende Bestimmung des §47 Abs.3 MStGB die Möglichkeit, bei einem Untergebenen, welchem bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betrifft, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckt, von der Strafe abzusehen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Schuld des Täters gering ist.

Nach der Feststellung des Schwurgerichts ist bei keinem der Angeklagten, auch nicht bei dem Angekl. Schmidt-Hammer, angesichts der Schwere der Verbrechen und der ungeheuren Folgen des Massenmords, worüber sie sich klar gewesen sind, die Schuld gering. Auch im Totschlagsfall Gewildis ist bei dem Angekl. Behrendt die Schuld nicht gering, da, abgesehen von der Art und Weise der Durchführung der Tötung, die Hinrichtung eines Menschen ohne ein Gerichtsurteil gegen den Kernbereich des Rechts verstösst und deshalb eine schwere Verfehlung ist.

V. Straffreiheitsgesetze

Die Straffreiheitsgesetze finden zugunsten der Angeklagten keine Anwendung, weil die Strafgrenzen überschritten werden und insbesondere weil es sich um Mord und ferner um Totschlag aus dem Jahr 1941 handelt (Württ.-Bad. Gesetz Nr.210 über die Gewährung von Straffreiheit vom 8.5.1947 (§4) - RegBl. Württ.-Baden 1947 S.39 ff. -; Straffreiheitsgesetz der britischen Zone vom 3.6.1947 - GVBl. S.68 -; Straffreiheitsgesetz der Bundesrepublik vom 31.12.1949 (§§3 Abs.1 und 4 Abs.1) - BGBl. 1949 S.37 -; Straffreiheitsgesetz der Bundesrepublik vom 17.7.1954 (§9) - BGBl. 1954 S.203 ff. -.

VI. Untersuchungshaft, Internierungshaft, Eventualbeweisantrag

1. Untersuchungshaft

Bei sämtlichen Angeklagten erscheint es angemessen, jeweils die erlittene Untersuchungshaft auf die gegen sie erkannten Strafen gem. §60 StGB anzurechnen.

Bei dem Angekl. Hersmann ist ausserdem die auf Grund des Urteils des Schwurgerichts Traunstein vom 21.9.1950 (Ks 3/50) verbüsste Strafzeit und die dort angerechnete Untersuchungshaft anzurechnen.

2. Internierungshaft

Entgegen dem Antrag der Verteidigung kann die von den Angeklagten Hersmann, Kreuzmann, Harms, Behrendt und Sakuth erlittene Internierungshaft auf die erkannten Strafen nicht angerechnet, sondern, wie geschehen, lediglich strafmildernd gewertet werden, da die Voraussetzungen für eine Anrechnung fehlen (vgl. OGHBZ in NJW 1949 S.189-190).

Die Internierungshaft ist gegen die genannten 5 Angeklagten nicht wegen der den Gegenstand des jetzigen Strafverfahrens bildenden Straftaten, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation von den Besatzungsmächten verhängt worden und auch nicht etwa in dem hier anhängigen Verfahren wegen der vorliegenden Straftaten.

3. Eventualbeweisantrag

Die Behauptung des Angekl. Hersmann in seinem Eventualbeweisantrag vom 11.8.1958 kann als wahr unterstellt werden, da die betreffenden Tatsachen für die Entscheidung ohne Bedeutung sind.

In diesem Beweisantrag hat der Angekl. Hersmann behauptet: Er sei während seiner Internierungshaft im Internierungslager Darmstadt vom 8.6.1945 bis zum 2.8.1948 einige Wochen zum Internationalen Militärtribunal nach Nürnberg überstellt worden, wo er wegen seiner früheren Zugehörigkeit zu den Einsatzgruppen D und E vernommen worden sei. Damals habe er seine Mitwirkung bei den durch das Einsatzkommando Tilsit durchgeführten Erschiessungen verschwiegen. Am letzten Verhandlungstag habe er aber auf die Frage, ob er selbst Juden erschossen oder Judenerschiessungen gesehen habe oder von Judenerschiessungen etwas wisse, angegeben, er habe einmal in der Nähe von Memel eine Erschiessung von etwa 200 Juden gesehen, die damals der Heckenschützentätigkeit verdächtigt worden seien. Es habe ihn damals überrascht, dass er nicht nach weiteren Einzelheiten in der litauischen 25 km breiten Zone gefragt worden sei. Sein Zellengenosse Pleiger - der von ihm für diese Behauptung in dem Eventualbeweisantrag benannte Zeuge - habe ihn dahin aufgeklärt, dass in der Anklagebank nur 22 Angeklagte Platz haben und dass es die Gewohnheit der Amerikaner sei, bei den jeweiligen Verhandlungen immer nur diese 22 Plätze zu besetzen.

Die von dem Angekl. Hersmann in dem amerikanischen Verfahren während seiner Internierungszeit in Nürnberg erlittene Untersuchungshaft von einigen Wochen kann in dem jetzigen Verfahren nicht auf die gegen ihn erkannte Strafe angerechnet werden, da die damalige Freiheitsentziehung in einem anderen Verfahren und wegen einer anderen Straftat erfolgt ist.

VII. Abschnitt

Kostenentscheidung

Soweit die Angeklagten verurteilt worden sind, haben sie die Kosten des Verfahrens zu tragen; soweit sie freigesprochen worden sind, trägt die Staatskasse die Kosten (§§465, 467 StPO).

Zu einer Übernahme der den Angeklagten in den Fällen des Freispruchs erwachsenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse besteht keine Veranlassung, da die Angeklagten in all diesen Fällen trotz erheblichen noch bestehenden Verdachts freigesprochen worden sind (§467 Abs.2 StPO).

   

Last modified: January 15, 2009
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