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The Holocaust History Project.
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Treblinka-Prozess - Urteil

LG Düsseldorf vom 3.9.1965, 8 I Ks 2/64

Urteil

Erster Teil:
Das Vernichtungslager Treblinka

A. Die Judenpolitik und Judenverfolgung in der nationalsozialistischen Zeit
I. Die Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben in den Jahren 1933 bis 1935
II. Die Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft in den Jahren 1936 bis 1938
III. Die Zeit der Auswanderung der Juden in den Jahren 1939 bis 1941
IV. Die Endlösung der Judenfrage
B. Die Rolle der SS und Polizei bei der Endlösung der Judenfrage
C. Die nationalsozialistische Judenvernichtung im Generalgouvernement
I. Die Zeit von Ende 1939 bis Anfang 1941
II. Die Endlösung im Generalgouvernement
III. Die Zahl der Opfer im Vernichtungslager Treblinka
D. Beschreibung des Vernichtungslagers Treblinka
E. Der Ablauf der Massentötungen
F. Die Grundlage der Feststellungen

Zweiter Teil:
Die Persönlichkeit der Angeklagten und ihr Verhalten im Vernichtungslager Treblinka

A. Der Angeklagte Franz
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Sein Aufgabengebiet im Vernichtungslager Treblinka
III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seinen Aufgaben in Treblinka
IV. Der Hund Barry und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka
V. Einzeltaten des Angeklagten Franz im Rahmen der Massentötungen, der sogenannten Transportabfertigungen
1. Erschlagen eines Kindes
2. Erschiessung eines Kindes und seiner Eltern
3. Tötung eines Säuglings
4. Tötung eines Säuglings in der Frauenauskleidebaracke
5. Tötung eines weiteren Kleinkindes in der Frauenauskleidebaracke
6. Erschiessung einer etwa 18 Jahre alten Jüdin im Lazarett
7. Tötung eines Juden mit einem Gewehrkolben
8. Der Tod der Warschauer Jüdin Inka Salzwasser
9. Tötung eines alten Juden
10. Tötung eines weiteren alten Juden
VI. Erwiesene Einzeltaten (sogenannte Exzesstaten) des Angeklagten Franz ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala
2. Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Todestag von Max Biala und ihre Überstellung zur Erschiessung im Lazarett
3. Erschiessung des Itzek Choncinsky auf der Latrine
4. Der Tod des jüdischen Arztes Dr. Roland Choranzicky
5. Verletzung eines Häftlings durch einen Schuss mit dem Jagdgewehr und seine Liquidierung im Lazarett
6. Der Tod des Hans Burg
7. Erschiessung von 7 Häftlingen
8. Erschiessung eines Häftlings, der den Davidstern nicht abgetrennt hatte
9. Erschiessung eines jungen Häftlings im oberen Lager
10. Erschiessung der Häftlinge Chaim Edelmann, Jakob Edelmann und Salk Wolfowicz
11. Erschiessung von zwei Häftlingen im Lazarett im Anschluss an den sogenannten Sport
12. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, den er zuvor durch einen Peitschenhieb am Auge verletzt hatte
13. Erschiessung des Häftlings Eliasz Adlerstein im oberen Lager
14. Erschiessung des Häftlings Mendel Nuessenbaum im oberen Lager vom Pferd aus
15. Tötung des Goldjuden Stern
16. Tötung eines Häftlings im Lazarett, der zuvor durch einen Schuss in die Hüfte verletzt worden war
17. Erschiessung eines von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett
18. Erhängung eines Häftlings im oberen Lager
19. Liquidierung des aus mindestens 25 Personen bestehenden Restkommandos Ende November 1943
VII. Tötungen von Häftlingen ausserhalb der Transportabfertigung, die im Eröffnungsbeschluss nicht enthalten sind
1. Der Tod des jungen Kutschers
2. Erschiessung eines zuvor auf dem Prügelbock misshandelten Häftlings im Lazarett
3. Erschiessung eines Häftlings auf dem Sortierplatz
4. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Stückes Brot
5. Erschiessung eines Häftlings in der Nähe des Mohrrübenbeetes
6. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Selbstmordversuchs
7. Tötung eines jungen Arbeitsjuden bei der Ausführung von Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz
8. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, der dem misshandelten Goldjuden Stern Wasser reichen wollte
9. Tötung eines jungen Häftlings in der Nähe des Kartoffellagers
10. Erhängung des Häftlings Sklarczyk
11. Auspeitschung und Tötung eines Häftlings im unteren Lager
12. Erhängung von drei Häftlingen
VIII. Nicht erwiesene Einzeltaten ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Der Tod eines Mannes, der nicht in das obere Lager gehen wollte
2. Tötung eines Arbeitsjuden vom Sortierkommando durch mehrere Unterleibsschüsse und einen Kopfschuss
3. Erhängung von zwei Häftlingen, von denen einer Langner hiess
4. Die Erschiessung des Boxers aus Krakau
5. Erschiessung von 5 Häftlingen des Sortierkommandos
6. Die Erhängung von drei Häftlingen wegen Geheimbündelei
7. Die Erhängung von zwei Häftlingen, die in einem beladenen Güterwagen fliehen wollten
8. Tötung eines jungen Goldjuden
9. Erschiessung eines Baumfällers im Totenlager
10. Tödliches Zerfleischen eines Häftlings durch den Hund Barry in der Nähe der sogenannten "Kasse"
11. Tödliches Zerfleischen eines Häftlings aus der Küche der Ukrainer durch Barry
12. Der Tod des Latrinenkapos
13. Tötung mehrerer Häftlinge beim Flaschenschiessen
14. Das Erschlagen eines zum Appell zu spät gekommenen Häftlings auf dem Appellplatz
15. Das Erschlagen von 12 Häftlingen des Holzhackerkommandos
16. Die Erschiessung des Czenstochauers Stajer
17. Erschiessung von etwa 350 Häftlingen durch Salven aus Maschinenpistolen
18. Erschiessung eines polnischen Bauern
19. Das Wettschiessen im Arbeitslager Treblinka
IX. Die innere Einstellung des Angeklagten Franz zu seinem Einsatz in Treblinka
B. Der Angeklagte Stadie
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Sein Aufgabengebiet im Vernichtungslager Treblinka
III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Stadie und zu seinen Aufgaben in Treblinka
IV. Der Tod des Lagerältesten Rakowski
V. Exzesstaten ausserhalb der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses
1. Der Fall des Küchenjungen
2. Der Fall des Kapo Monjek
VI. Die innere Einstellung des Angeklagten Stadie zu seinem Einsatz in Treblinka
C. Der Angeklagte Matthes
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka
III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Matthes und zu seiner Tätigkeit in Treblinka
IV. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Matthes ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Selektion von mindestens 5 fleckfieberkranken Häftlingen in der Baracke zur Erschiessung im Lazarett
2. Erschiessung des Warschauers Alek Weintraub
3. Erschiessung des Josel Rosenbaum und eines Häftlings mit dem Vornamen David
V. Die erwiesene Erhängung von drei auf der Flucht gefassten Häftlingen (Exzesstat ausserhalb der Massentötungen, die nicht im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt ist)
VI. Nicht erwiesene Einzeltaten ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Selektion von Häftlingen beim Appell zur Erschiessung im Lazarett des unteren Lagers oder an den Leichengruben des oberen Lagers
2. Erschiessung eines Häftlings, der Matthes mit einem Messer verletzt hatte, und weiterer mindestens 80 Personen aus Anlass dieses Attentats
3. Erschiessung von 24 fluchtverdächtigen Häftlingen
VII. Die innere Einstellung des Angeklagten Matthes zu seinem Einsatz in Treblinka
D. Der Angeklagte Mentz
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka
III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seiner Tätigkeit in Treblinka
IV. Einzelfälle von Erschiessungen im Lazarett durch den Angeklagten Mentz bei den Transportabfertigungen
1. Erschiessung einer grossen Anzahl älterer Juden, die mit einem Personenzug aus Deutschland gekommen waren
2. Erschiessung einer Greisin
3. Erschiessung von zwei kranken Frauen, die mit einem Transport aus Wengrow gekommen waren
4. Erschiessung zweier Schwestern im Alter von acht bis zehn Jahren
5. Die Tötung einer Grossmutter, einer Mutter und eines neugeborenen Kindes
6. Die Erschiessung einer alten Frau in der brennenden Lazarettgrube
7. Erschiessung von zwei Kleinkindern
V. Die im Eröffnungsbeschluss als Einzeltat aufgeführte Mitwirkung des Angeklagten Mentz bei der Erschiessung des Restkommandos von mindestens 25 Personen
VI. Einzelfälle der Tötung von Arbeitsjuden, bei denen Mentz mitgewirkt hat und die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift bei Mentz nicht aufgeführt sind
1. Beihilfe zur Erschiessung von mindestens 3 Häftlingen anlässlich des Todes von Max Biala
2. Erschiessung des kranken Häftlings Hans Berg
3. Die Erschiessung von drei Arbeitsjuden des Desinfektionskommandos im Lazarett
4. Der Tod des Arbeitsjuden Herschel aus Tomaschow-Mazowiecki VII. Nicht erwiesene Fälle ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Beteiligung an der Erschiessung von mindestens 100 Häftlingen am Tage nach dem Tode von Max Biala
2. Die Erschiessung von mindestens 40 fleckfieberkranken Arbeitsjuden des oberen Lagers im Winter 1942/1943
3. Mitwirkung an der Erschiessung einer zahlenmässig nicht näher bestimmbaren Gruppe jüdischer Häftlinge im Totenlager VIII. Die innere Einstellung des Angeklagten Mentz zu seinem Einsatz in Treblinka
E. Der Angeklagte Miete
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka
III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seinen Aufgaben in Treblinka
IV. Erwiesene Einzeltaten des Angeklagten Miete im Rahmen der Transportabfertigungen
1. Erschiessung einer hochschwangeren Frau im Lazarett
2. Der Tod einer etwa 20 Jahre alten Jüdin in der Gaskammer
3. Massenerschiessung alter Juden im Lazarett
4. Erschiessung eines alten Juden aus Petrikau
V. Die nicht erwiesene Erschiessung eines Kleinkindes während einer Transportabfertigung
VI. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Der Tod des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten Sport
2. Die Erschiessung eines jungen Häftlings auf dem Sortierplatz wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns
3. Erschiessung eines Häftlings, der beim Leichentransport in die Lazarettgrube gerutscht war
4. Die Erschiessung von fünf Fleckfieberkranken im Lazarett
VII. Einzelfälle der Tötung von Arbeitshäftlingen ausserhalb der Transportabfertigungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift nicht aufgeführt sind
1. Die Erschiessung des Lagerältesten Rakowski
2. Erschiessung eines von Barry angefallenen Häftlings
3. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Selbstmordversuchs auf Anordnung des Angeklagten Franz
4. Erschiessung eines Häftlings, den Franz zuvor durch einen Schuss aus einem Luftgewehr verletzt hatte
5. Tötung eines jungen Arbeitsjuden bei der Ausführung von Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz
6. Erschiessung des Jakob Galitzarski im Lazarett
7. Erschiessung eines jungen Arbeitsjuden, der seinen Onkel vor der Vergasung retten wollte
8. Die Erschiessung eines Häftlings wegen einer Handverletzung
9. Erschiessung eines Häftlings, der in der Nähe der Lazarettgrube urinierte
10. Erschiessung eines aus Czenstochau stammenden Häftlings mit dem Vornamen Abraham, weil er eine rohe Kartoffel ass
11. Tötung eines aus Lodz stammenden Häftlings mit dem Vornamen Josek
12. Der Tod des Kuba Steinowicz
13. Die Erschiessung eines Häftlings, dem Miete zuvor die Häftlingsnummer heruntergerissen hatte
14. Der Tod des jungen Häftlings Geggler aus Kielce
15. Die Tötung des Joel Weiss
16. Die Erschiessung eines Czenstochauers im Lazarett wegen der Nichtabtrennung eines Davidsterns
17. Die Tötung eines weiteren aus Czenstochau stammenden Häftlings im Lazarett wegen der Nichtentfernung eines Judensterns
18. Die Selektion von mindestens zwei Typhuskranken und ihre Erschiessung im Lazarett
19. Der Tod eines nachtblinden Silbersachensortierers
20. Die Selektion und Erschiessung eines kranken Pelzsortierers
21. Erschiessung von zwei in der Küche tätigen Arbeitsjuden im Lazarett
22. Die Erschiessung eines zum Holzfällerkommando gehörenden Arbeitsjuden im Lazarett
23. Erschiessung eines jungen Häftlings, der eine Dose Ölsardinen gefunden und geöffnet hatte, und seines Vaters
VIII. Nicht erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Das Erschlagen eines Häftlings, der den SS-Unterscharführer Max Biala mit einem Messer getötet hatte
2. Die Erschiessung des Goldjuden Stern im Lazarett
3. Der Tod des Hans Burg, der auf dem Sortierplatz Erdarbeiten verrichtete
4. Erschiessung eines bei der Beladung von Güterwaggons von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett
5. Die Erschiessung zweier mit dem Kopf nach unten aufgehängter Häftlinge
IX. Die innere Einstellung des Angeklagten Miete zu seinem Einsatz in Treblinka
F. Der Angeklagte Suchomel
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka
1. Sein Verhalten bei der Abfertigung von Transporten
2. Sein Verhalten ausserhalb der Massentötungen
III. Erwiesene Einzeltaten des Angeklagten Suchomel im Rahmen der Massentötungen
1. Das Abführen einer nackten Jüdin zur Erschiessung im Lazarett
2. Die Liquidierung von fünf bis sechs Zigeunerinnen und eines Zigeunerkindes im Lazarett
3. Der Tod der Frau Cudak aus Czenstochau
IV. Nicht erwiesene Einzelfälle im Rahmen der Massentötungen
1. Der Puppenfall
2. Liquidierung einer Gruppe von etwa 50 Zigeunern
3. Erschiessung eines Kindes in der Himmelfahrtsstrasse
V. Nicht erwiesene Exzesstaten ausserhalb der Massentötungen, die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss aufgeführt sind
1. Die Erschiessung von Häftlingen ohne Grund oder wegen zu langsamer Ausführung von Befehlen
a. Liquidierung mehrerer Männer im Lazarett
b. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett
c. Erschiessung einer weiblichen oder männlichen Person im Lazarett
2. Die Mitwirkung an der Tötung von mehr als 100 Häftlingen am Tage nach dem Tode von Max Biala
3. Die Erschiessung einer nicht mehr genau zu ermittelnden Anzahl von Goldjuden
VI. Die innere Einstellung des Angeklagten Suchomel zu seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka
G. Der Angeklagte Münzberger
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka
III. Die im Rahmen der Massentötungen erfolgte Erschiessung einer Frau und zweier Kinder an einem Verbrennungsrost
IV. Nicht erwiesene Exzesstaten ausserhalb der Massentötungen
1. Die Tötung einzelner jüdischer Häftlinge in einer Vielzahl von Fällen wegen geringer Verstösse gegen die Lagerordnung
a. Erschiessung eines deutschen Juden
b. Erschiessung eines älteren Leichenträgers
c. Erschiessung eines weiteren Leichenträgers
2. Seine Mitwirkung bei der Massenerschiessung von Arbeitshäftlingen des Totenlagers
a. Tötung von 70 Häftlingen
b. Erschiessung von 50 Typhuskranken
c. Weitere Erschiessung von mehr als 50 Typhuskranken
3. Die Erschiessung des Häftlings Mietek Szczypior
4. Die Mitwirkung des Angeklagten Münzberger an der Erhängung von fünf Häftlingen des oberen Lagers
5. Seine Beteiligung an einer Erschiessung von 24 Häftlingen
6. Seine Mitwirkung bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos
V. Die innere Einstellung des Angeklagten Münzberger zu seinem Einsatz in Treblinka
H. Der Angeklagte Lambert
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben in Treblinka
III. Die innere Einstellung des Angeklagten Lambert zu seinem Einsatz in Treblinka
I. Der Angeklagte Ru.
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka
III. Die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss nicht erwähnte Mitwirkung des Angeklagten Ru. an der Erschiessung des jüdischen Restkommandos
IV. Die innere Einstellung des Angeklagten Ru. zu seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka
J. Der Angeklagte H.
I. Seine persönlichen Verhältnisse
II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka
III. Seine innere Einstellung zu den Vorgängen in Treblinka

Dritter Teil:
Die rechtliche Würdigung des Verhaltens der Angeklagten im Vernichtungslager Treblinka

1. Fragen des Strafprozessrechts
A. Die Anwendung des deutschen Strafrechts auf die Angeklagten
B. Die Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses vom 6.Mai 1964
C. Zur Verjährung der Strafverfolgung
2. Materiellrechtliche Fragen
A. Die Strafbarkeit der Haupttäter
B. Die rechtliche Beurteilung der von den Angeklagten Franz, Matthes und Miete begangenen Taten
I. Ihre Mitwirkung bei der Massentötung
1. Franz
2. Matthes
3. Miete
II. Erwiesene Einzeltaten (sogenannte Exzesstaten) des Angeklagten Franz ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala
2. Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Tode von Max Biala und ihre Überstellung zur Erschiessung im Lazarett
3. Erschiessung des Itzek Choncinsky auf der Latrine
4. Der Tod des jüdischen Arztes Dr. Roland Choranzicky
5. Verletzung eines Häftlings durch einen Schuss mit dem Jagdgewehr und seine Liquidierung im Lazarett
6. Der Tod des Hans Burg
7. Erschiessung von sieben Häftlingen
8. Erschiessung eines Häftlings wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns
9. Erschiessung eines jungen Häftlings im oberen Lager
10. Erschiessung der Häftlinge Chaim Edelmann, Jakob Edelmann und Salk Wolfowicz
11. Erschiessung von zwei Häftlingen im Lazarett im Anschluss an den sogenannten Sport
12. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, den er zuvor durch einen Peitschenhieb am Auge verletzt hatte
13. Erschiessung des Häftlings Eliasz Adlerstein im oberen Lager
14. Erschiessung des Häftlings Mendel Nuessenbaum im oberen Lager vom Pferd aus
15. Tötung des Goldjuden Stern
16. Tötung eines Häftlings im Lazarett, der zuvor durch einen Schuss in die Hüfte verletzt worden war
17. Erschiessung eines von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett
18. Erhängung eines Häftlings im oberen Lager
19. Liquidierung des aus mindestens 25 Personen bestehenden Restkommandos Ende November 1943
III. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Matthes ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Selektion von mindestens fünf fleckfieberkranken Häftlingen zur Erschiessung im Lazarett
2. Erschiessung des Warschauers Alek Weintraub
3. Erschiessung des Josel Rosenbaum und eines Häftlings mit dem Vornamen David
IV. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Erschiessung des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten Sport im Lazarett
2. Die Erschiessung eines jungen Häftlings auf dem Sortierplatz wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns
3. Erschiessung eines Häftlings, der beim Leichentransport in die Lazarettgrube gerutscht war
4. Die Erschiessung von fünf Fleckfieberkranken im Lazarett
C. Die rechtliche Beurteilung der von den Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. begangenen Taten
I. Ihre Mitwirkung bei der Massentötung
1. Mentz
2. Münzberger
3. Stadie
4. Suchomel
5. Lambert
6. Ru.
II. Erwiesene Beihilfehandlungen der Angeklagten Mentz und Stadie ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind
1. Die Mitwirkung des Angeklagten Mentz bei der Erschiessung des mindestens 25 Personen umfassenden jüdischen Restkommandos
2. Die Beteiligung des Angeklagten Stadie an der Erschiessung des Lagerältesten Rakowski
D. Das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Schuldausschliessungsgründen bei den Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Suchomel, Stadie, Lambert und Ru.
E. Die Freisprechung des Angeklagten H. von dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord
F. Strafzumessung
I. Strafrahmen
II. Allgemeine Strafzumessungserwägungen
III. Besondere Strafzumessungserwägungen
1. Franz
2. Matthes
3. Miete
4. Mentz
a. Strafe für seine Mitwirkung bei der Massenvernichtung
b. Strafe für seine Mitwirkung an der Liquidierung des Restkommandos
5. Münzberger
6. Stadie
a. Strafe für seine Mitwirkung bei der Massentötung
b. Strafe für die Beihilfe zur Ermordung Rakowskis
c. Gesamtstrafe
7. Suchomel
8. Lambert
9. Ru.
IV. Zum Urteilstenor
G. Nebenentscheidungen

8 I Ks 2/64

Im Namen des Volkes

In der Strafsache gegen

1. den Koch Kurt Hubert Franz, geboren am 17.Januar 1914 in Düsseldorf, wohnhaft in Düsseldorf, Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 2.Dezember 1959 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts in Düsseldorf vom 2.Dezember 1959 -

2. den Rentner Otto Stadie, geboren am 10.März 1897 in Berlin, wohnhaft in Nordenau (Kreis Meschede), Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 15.Juli 1963 aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts in Düsseldorf vom 24.Juni 1963 -,

3. den Oberpfleger Heinrich Arthur Matthes 1, geboren am 11.Januar 1902 in Wermsdorf (Kreis Leipzig), wohnhaft in Bayreuth, Deutscher, verwitwet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 28.März 1962 aufgrund des Haftbefehls des Untersuchungsrichters I bei dem Landgericht in Düsseldorf vom 7.März 1962 -,

4. den Rentner Willi Mentz, geboren am 30.April 1904 in Schönhagen Kreis Bromberg, wohnhaft in Niedermeien (Kreis Lemgo) Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 23.Juni 1960 aufgrund des Haftbefehls des Untersuchungsrichters I bei dem Landgericht in Düsseldorf -,

5. den Geschäftsführer August Wilhelm Miete, geboren am 1.November 1908 in Westerkappeln (Kreis Tecklenburg), wohnhaft in Lotte (Kreis Tecklenburg), Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 27.Mai 1960 aufgrund des Haftbefehls des Untersuchungsrichters I bei dem Landgericht in Düsseldorf vom 13.Mai 1960 -,

6. den Schneidermeister Franz Suchomel, geboren am 3.Dezember 1907 in Krumau an der Moldau (Tschechoslowakei), wohnhaft in Altötting, Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 11.Juli 1963 aufgrund des Haftbefehls des Landgericht in Düsseldorf vom 24.Juni 1963 -,

7. den Tischler Gustav Münzberger, geboren am 17.August 1903 in Weisskirchlitz (Kreis Teplitz-Schönau in der Tschechoslowakei), wohnhaft in Unterammergau, Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 13.Juli 1963 aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts in Düsseldorf vom 24.Juni 1963 -,

8. den Maurermeister Erwin Hermann Lambert, geboren am 7.Dezember 1909 in Schildow (Kreis Niederbarnim), wohnhaft in Stuttgart, Deutscher, verheiratet, unbestraft
- in dieser Sache in Untersuchungshaft im Gefängnis Düsseldorf-Derendorf seit dem 3.September 1965 aufgrund des Haftbefehls des Schwurgerichts bei dem Landgericht in Düsseldorf vom 3.September 1965 -,

9. den Krankenpfleger H., geboren am 14.Dezember 1903 in Obergrauschwitz (Kreis Leipzig), wohnhaft in Berlin, Deutscher, geschieden, unbestraft

10. den Rentner Ru., geboren am 8.Juni 1890 in Berlin, wohnhaft in Berlin, Deutscher, verwitwet, unbestraft

wegen Mordes und wegen Beihilfe zum Mord

hat das Schwurgericht bei dem Landgericht in Düsseldorf aufgrund der Sitzungen vom 12., 13., 15., 19., 20., 22., 26., 27. und 29.Oktober 1964, vom 3., 5., 9., 10., 12., 16., 17., 19., 23., 24., 26. und 30.November 1964, vom 1., 3., 7., 8., 10., 14., 15., 17., 21., 22. und 28.Dezember 1964, vom 4., 5., 7., 11., 12., 14., 15., 19., 21., 25., 26. und 28.Januar 1965, vom 1., 2., 4., 15., 16., 18., 22. und 25.Februar 1965, vom 8., 19., 22., 23., 25., 29. und 30.März 1965, vom 1., 5., 6., 8., 12., 13., 22. und 29.April 1965, vom 4., 6., 10., 21., 25. und 31.Mai 1965, vom 10., 14., 21. und 28.Juni 1965, vom 5., 12. und 23.Juli 1965, vom 2., 3., 5., 6., 9., 10., 12., 13., 16., 17., 19., 23. und 24.August 1965 in der Sitzung vom 3.September 1965 für Recht erkannt:

I. Es werden verurteilt:

1. der Angeklagte Franz unter Freisprechung im übrigen wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens dreihunderttausend Personen, wegen Mordes in fünfunddreissig Fällen an mindestens einhundertneununddreissig Personen und wegen versuchten Mordes zu lebenslangem Zuchthaus;

2. der Angeklagte Matthes unter Freisprechung im übrigen wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens einhunderttausend Personen und wegen Mordes in vier Fällen an mindestens acht Personen zu lebenslangem Zuchthaus;

3. der Angeklagte Miete unter Freisprechung im übrigen wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens dreihunderttausend Personen und wegen Mordes in acht Fällen an mindestens neun Personen zu lebenslangem Zuchthaus;

4. der Angeklagte Mentz unter Freisprechung im übrigen wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens dreihunderttausend Personen und wegen Beihilfe zum Mord an mindestens fünfundzwanzig Personen zu lebenslangem Zuchthaus;

5. der Angeklagte Münzberger unter Freisprechung im übrigen wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens dreihunderttausend Personen zu zwölf Jahren Zuchthaus;

6. der Angeklagte Stadie wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens dreihunderttausend Personen und wegen Beihilfe zum Mord zu einer Gesamtstrafe von sieben Jahren Zuchthaus;

7. der Angeklagte Suchomel unter Freisprechung im übrigen wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens dreihunderttausend Personen zu sechs Jahren Zuchthaus;

8. der Angeklagte Lambert wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens dreihunderttausend Personen zu vier Jahren Zuchthaus;

9. der Angeklagte Ru. wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens einhunderttausend Personen zu drei Jahren Zuchthaus.

II. Der Angeklagte H. wird freigesprochen.

III. Soweit die Angeklagten zu einer zeitigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, wird ihnen die erlittene Untersuchungshaft auf diese Strafe angerechnet.

IV. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden aberkannt: Den Angeklagten Franz, Matthes, Miete und Mentz auf Lebenszeit, dem Angeklagten Münzberger auf die Dauer von zehn Jahren, dem Angeklagten Stadie auf die Dauer von sieben Jahren, dem Angeklagten Suchomel auf die Dauer von sechs Jahren, dem Angeklagten Lambert auf die Dauer von vier Jahren und dem Angeklagten Ru. auf die Dauer von drei Jahren.

V. Soweit die Angeklagten freigesprochen worden sind, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens. Im übrigen fallen sie den Angeklagten zur Last.

GRÜNDE

Erster Teil:

Das Vernichtungslager Treblinka

A. Die Judenpolitik und Judenverfolgung in der nationalsozialistischen Zeit

I. Die Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben in den Jahren 1933 bis 1935

Um die Vorgänge in dem Vernichtungslager Treblinka, in dem alle zehn Angeklagte in den Jahren 1942 und 1943 Dienst taten, verstehen und beurteilen zu können, muss man sich die gesamte nationalsozialistische Judenpolitik und Judenverfolgung vor Augen führen. Bereits im Parteiprogramm der NSDAP vom 24.2.1920 wurde den Juden der Kampf angesagt. Nach seinem Punkt 4 konnte ein Jude nicht Volksgenosse und damit nicht Staatsbürger sein; nach Punkt 5 sollte unter Fremdengesetzgebung gestellt werden, wer nicht Staatsbürger ist; nach Punkt 6 sollte jedes öffentliche Amt nur einem Staatsbürger offenstehen und nach Punkt 8 sollten alle Nichtdeutschen, die seit dem 2.8.1914 in Deutschland eingewandert waren, zum Verlassen des Reichs gezwungen werden. Seit der nationalsozialistischen Machtergreifung versuchte die NSDAP, diese Programmpunkte konsequent in die Tat umzusetzen. Als erste offizielle antijüdische Massnahme des Regimes kann man den eintägigen Boykott jüdischer Geschäfte vom 1.4.1933 ansehen, der als Antwort auf die "Boykott- und Greuelhetze der Juden im In- und Ausland" dargestellt wurde.

Die erste Phase der nun einsetzenden planmässigen Judenverfolgung bestand darin, dass man in den Jahren 1933 bis 1935 die Juden aus den öffentlichen Ämtern entfernte. Aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1939 wurden jüdische Beamte mit wenigen Ausnahmen in den Ruhestand versetzt. Jüdischen Rechtsanwälten konnte aufgrund des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933 ihre Zulassung bei Gericht entzogen werden. Mit den Verordnungen vom 22.4.1933 und vom 2.6.1933 wurde sodann jüdischen Ärzten, Zahnärzten und Zahntechnikern ihre Zulassung zu den Krankenkassen genommen.

Durch Änderungen in den Prüfungsordnungen wurde erreicht, dass Juden nicht mehr zu den juristischen Prüfungen, zu ärztlichen Staatsprüfungen, zu zahnärztlichen Staatsprüfungen, zu Apothekerprüfungen und zur Habilitation zugelassen wurden. Es folgte eine grössere Anzahl von Gesetzen und Verordnungen, die alle den Zweck hatten, Juden die Tätigkeit in einem akademischen Beruf zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Den Abschluss dieser Entwicklung bildeten die Gesetze die auf dem Parteitag in Nürnberg am 15.9.1935 erlassen wurden und die man als "Nürnberger Gesetze" bezeichnet. Es handelt sich dabei um das Reichsflaggengesetz, das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Die beiden letztgenannten Gesetze sind für die Judenverfolgung von besonderer Bedeutung. Das Reichsbürgergesetz sowie die 1. und 2. Verordnung zu diesem Gesetz vom 14.11.1935 und vom 21.12.1935 bestimmten, dass Juden keine Reichsbürger mehr sein konnten, kein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten hatten und keine öffentlichen Ämter bekleiden durften. Nach §4 Absatz 2 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.November 1935 traten alle jüdischen Beamten mit Ablauf des 31.Dezember 1935 automatisch in den Ruhestand. Nach §6 Absatz 2 der 2. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 31.12.1935 mussten jüdische leitende Ärzte an öffentlichen sowie freien gemeinnützigen Anstalten aus ihrer Stellung mit Wirkung vom 31.3.1936 ausscheiden. Ihre Verträge erloschen automatisch mit dem 31.März 1936. Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre verbot bei schwerer Strafe die Eheschliessung zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes, ferner auch den ausserehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Personen der genannten Bevölkerungsgruppen.

II. Die Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft in den Jahren 1936 bis 1938

In den relativ ruhigen Jahren 1936 und 1937 überlegte man in den zuständigen Ministerien ständig, wie man die Juden aus ihren wirtschaftlichen Stellungen verdrängen sollte und wie man ihres Vermögens habhaft werden könnte, ohne dass die deutsche Volkswirtschaft zu sehr in Mitleidenschaft gezogen würde. Aber erst im Jahre 1938 kam es zu einschneidenden gesetzlichen Massnahmen.

Am 22.April 1938 erging eine Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe. Die Verordnung vom 26.April 1938 und eine Anordnung hierzu vom gleichen Tage zwang die in Deutschland lebenden Juden dazu, ihr Vermögen anzumelden. Der §7 dieser Verordnung gab dem Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Göring, das Recht, alle Massnahmen zu treffen, die notwendig waren, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens in Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen. Am 6.Juli 1938 kam dann das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung, durch das den Juden die Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Berufe verboten wurde. Nach Artikel II Absatz 1 dieses Gesetzes durften die Juden nur noch bis zum 31.12.1938 ihre bereits bestehenden Geschäfte, die den Handel mit Grundstücken, die gewerbsmässige Vermittlung von Immobiliarverträgen und Darlehen und die Haus- und Grundstücksverwaltung betrafen, weiterführen. Nach Artikel III wurde eine Entschädigung für die persönlichen wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Durchführung des Gesetzes entstanden, ausdrücklich ausgeschlossen.

Im Sommer 1938 kam nun Schlag auf Schlag eine Verschärfung der bisher bestehenden
Bestimmungen. Die 4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.Juli 1938 bestimmte, dass die Approbationen jüdischer Ärzte am 30.September 1938 erloschen, und aufgrund der 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27.September 1938 mussten jüdische Rechtsanwälte ihre Tätigkeit am 30.November 1938 endgültig einstellen. Weiter erging am 17.August 1938 die 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes vom 5.Januar 1938 über die Änderung der Familien- und Vornamen, die bestimmte, dass jüdische Menschen ihrem Familiennamen die Vornamen Israel oder Sara zusetzen mussten, sofern sie nicht bereits jüdische Vornamen, die in einer Liste aufgeführt waren, führten. Nach der 3. Verordnung über den Kennkartenzwang vom 23.Juli 1938 mussten alle in Deutschland wohnenden Juden die Ausstellung einer Kennkarte unter Hinweis auf ihre Eigenschaft als Jude beantragen.

Noch härtere Massnahmen gegen die Juden erfolgten im November 1938, nachdem der 17 Jahre alte Jude Herszel Grynspan in der deutschen Botschaft in Paris am 7.11.1938 den Legationssekretär vom Rath erschossen hatte. Es kam daraufhin in der Nacht vom 9.11. zum 10.11.1938 als Reaktion auf das Attentat zur sogenannten "Reichskristallnacht", einem von den Nationalsozialisten planmässig organisierten, nach aussen als spontane Volksreaktion hingestellten Pogrom gegen jüdische Bürger und ihr Eigentum, in deren Verlauf Geschäfte und Wohnungen von Juden beschädigt oder sogar völlig zerstört wurden, zahlreiche Synagogen in Brand gesteckt wurden und eine zahlenmässig nicht mehr feststellbare Anzahl von Juden ermordet wurde. Etwa 20000 Juden wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht.

Die schärfste Massnahme gegen die Juden in diesem Zusammenhang aber war ihre nunmehr völlige Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben aufgrund der Verordnung vom 12.November 1938, durch die ihnen der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie die selbständige Ausübung jeglichen Handwerks untersagt wurde. Mit der folgenden Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3.Dezember 1938 wurden die Juden schliesslich hinsichtlich ihrer gewerblichen, landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebe, ihres Grundeigentums und ihres sonstigen Vermögens völlig entrechtet. Diese Verordnung vom 3.Dezember 1938 sah insbesondere vor, dass man den Juden die Auflage erteilen konnte, ihre Betriebe, sonstiges Eigentum oder bestimmte Vermögensteile innerhalb einer bestimmten Frist zu veräussern.

Dieser zweite Abschnitt der Judenverfolgung endete praktisch mit dem Jahre 1938. Die Juden waren jetzt nicht mehr in der Lage, in der Öffentlichkeit mitzuarbeiten. Sie waren nicht mehr imstande in der Wirtschaft tätig zu sein, sie durften keine eigenen Betriebe mehr haben, sie durften nicht einmal Geschäftsführer eines Betriebes sein und durften auch sonst keine leitenden Stellungen mehr bekleiden. Es blieb ihnen also nur übrig, einfache Arbeit zu verrichten. Diese zu bekommen war für Juden schwer, ja fast unmöglich. Ab Ende 1938 begann daher für die noch in Deutschland lebenden Juden eine furchtbare Notzeit.

III. Die Zeit der Auswanderung der Juden in den Jahren 1939 bis 1941

Das Ziel aller bis Ende 1938 gegen die Juden gerichteten Massnahmen war, ihre Auswanderung aus Deutschland zu beschleunigen. Dieser Zweck war jedoch nicht in dem wünschenswerten Ausmass erreicht worden. Im Gegenteil war in den politisch ruhigeren Jahren 1936 und 1937 eine grössere Zahl von Juden, die vorher emigriert waren, nach Deutschland zurückgekommen. Dies führte dazu, dass Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan mit einem Schreiben vom 24.Januar 1939 den Reichsminister des Inneren mit der Errichtung einer Reichszentrale für die jüdische Auswanderung beauftragte. Diese Reichszentrale wurde dem Chef der Sicherheitspolizei Heydrich unterstellt.

Die Reichszentrale für die jüdische Auswanderung arbeitete mit der durch die 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4.Juli 1939 zwangsweise gebildeten, dem Amt IV des Reichssicherheitsamtes unterstellten Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zusammen. Diese Vereinigung wurde zwar formell Trägerin des jüdischen Schulwesens und der freien jüdischen Wohlfahrtspflege, hatte aber vor allen Dingen den Zweck, die Zwangsauswanderung der Juden und damit ihre Vertreibung aus dem Reichsgebiet gemäss Punkt 8 des Parteiprogramms der NSDAP zu fördern. Tatsächlich wanderten viele Juden aus, und zwar auch noch nach dem Ausbruch des 2.Weltkrieges.

Während und nach dem Frankreichfeldzug griff das Auswärtige Amt den Gedanken auf, die Juden Europas in ein Reservat zu überführen. Das Auswärtige Amt arbeitete zu dieser Frage verschiedene Denkschriften aus. Daneben entwarf das Reichssicherheitshauptamt von sich aus einen detaillierten Plan für die Verschickung der Juden in ein Reservat. Alle diese Pläne liefen zuletzt darauf hinaus, sich die Insel Madagaskar von den Franzosen im Friedensvertrag abtreten zu lassen, die Insel als Protektorat der Verwaltung des Reichssicherheitsamtes zu unterstellen, die Juden ganz Europas nach Madagaskar zu deportieren und sie dort in einem Reservat leben zu lassen, das sich selbst verwalten, aber einem Polizeigouverneur Himmlers unterstehen sollte. Der Madagaskarplan war in den Augen Hitlers bereits insoweit eine Realität, als er im Herbst 1940 Juden aus dem Saargebiet, aus der Pfalz und Baden nach Frankreich bringen liess, und zwar in Verbindung mit dem Plan, sie später nach Madagaskar verschiffen zu lassen. Letzten Endes liess sich der gesamte Madagaskarplan jedoch wegen unvorhergesehener Veränderungen der politischen und militärischen Lage nicht durchführen. So lief die Auswanderung der Juden weiter, wenn auch in geringerem Umfange als bisher. Eine grundsätzliche Änderung der Judenpolitik war in den nächsten Monaten noch nicht erkennbar. Allerdings erfolgte eine besonders scharfe Diskriminierung der Juden durch die Polizeiverordnung vom 1.September 1941, nach der alle Juden, die das 6. Lebensjahr vollendet hatten, in der Öffentlichkeit den Judenstern, einen handtellergrossen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift "Jude", auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht tragen mussten.

IV. Die Endlösung der Judenfrage

Da sich der Madagaskarplan nicht durchführen liess, beschlossen Hitler, Göring, Himmler und Heydrich die physische Vernichtung aller Juden im deutschen Einflussbereich, weil sie entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie in den Juden ihre Gegner sahen. Etwa zu Beginn des Jahres 1941 erteilte Hitler dem Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler den Befehl, die Endlösung der Judenfrage durch die physische Vernichtung aller Juden im deutschen Einflussbereich vorzubereiten. Dieser Befehl wurde wahrscheinlich nur mündlich erteilt. Dass er aber tatsächlich von Hitler stammt, ergibt sich aus verschiedenen Umständen, unter anderem daraus, dass Himmler im Juni 1941 in Berlin dem damaligen Kommandanten des Konzentrationslagers von Auschwitz Höss erklärte, Hitler persönlich habe den Befehl zur physischen Vernichtung der Juden erteilt.

Die erste praktische Massnahme, die auf diesem Führerbefehl beruhte, war ein an den Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich gerichteter Erlass Görings vom 31.7.1941, in dem er Heydrich beauftragte, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussbereich in Europa zu treffen. Am 29.11.1941 verschickte Heydrich Einladungen zu einer Besprechung über die Endlösung der Judenfrage an die Ministerien und berief sich dabei auf den ihm von Göring erteilten Auftrag, von dem er eine Abschrift beifügte. Die Besprechung fand am 20.1.1942 im Büro der Internationalen Kriminalpolizeikommission, Am Grossen Wannsee 56/58, statt. Auf dieser Konferenz wurde zunächst ein Überblick über die Auswanderung der Juden seit 1933 gegeben. Dann erläuterte Heydrich die Pläne zur Endlösung der europäischen Judenfrage. Im Zuge dieser Endlösung sollten 11 Millionen Juden physisch vernichtet werden. Sie sollten in Durchgangsghettos gebracht und von dort nach dem Osten transportiert werden. Hier sollten sie beim Strassenbau eingesetzt werden. Soweit die besonders Widerstandsfähigen unter den Juden diese Zwangsarbeiten lebend überstehen würden, sollten sie "entsprechend behandelt", das heisst getötet werden.

Entsprechend diesen Richtlinien, die in Abschnitt III. des sogenannten Wannsee-Protokolls niedergelegt wurden, setzten Himmler, Heydrich und ihre Gefolgsleute den von Hitler Anfang 1941 gegebenen Befehl zur körperlichen Vernichtung der Juden im deutschen Machtbereich folgerichtig in die Tat um. In den einzelnen Gebieten wurde die Judenvernichtung lediglich in technischer und organisatorischer Hinsicht verschieden durchgeführt.

B. Die Rolle der SS und Polizei bei der Endlösung der Judenfrage

Die Schutzstaffeln (=SS) der NSDAP, denen anfänglich der Schutz höherer Parteiführer und die Verhütung und Niederschlagung von Parteirevolten oblag, zählte im Jahre 1933 bereits 50000 Mitglieder. Nach der Machtübernahme entstanden neben dieser Allgemeinen SS eine neue Stabswache, die spätere Leibstandarte Adolf Hitler, und politische Bereitschaften, die sog. SS-Verfügungstruppen, aus denen später die Waffen-SS hervorging. Dieser Aufbau der SS ist eng mit Heinrich Himmler verknüpft. Nach seiner Ernennung zum Reichsführer der SS ging er unverzüglich dazu über, die SS zu einer politisch und weltanschaulich besonders gefestigten Kampfeseinheit der NSDAP auszubauen.

Daneben war Himmler bestrebt, einen beherrschenden Einfluss auf die Polizei auszuüben. Bereits am 9.3.1933 ernannte ihn der Ritter von Epp zum stellvertretenden Polizeipräsidenten von München. Schon Mitte März 1933 wurde er zum politischen Referenten beim Staatsministerium des Innern ernannt und ihm in dieser Eigenschaft die gesamte politische Polizei Bayerns unterstellt. Von Bayern ausgehend, gelang es Himmler, im Winter 1933/1934 in allen deutschen Ländern - zunächst mit Ausnahme von Preussen und Schaumburg-Lippe - Chef der jeweiligen politischen Polizei zu werden. In Preussen erreichte er es, am 20.4.1934 stellvertretender Chef und Inspekteur der Preussischen Geheimen Staatspolizei zu werden. Zwar war hier Göring nach wie vor Chef dieser Polizei, praktisch aber hatte Himmler die volle Befehlsbefugnis. Schliesslich erhielt Himmler durch ein Schreiben der Landesregierung von Schaumburg-Lippe vom 2.6.1934 auch das Kommando der dortigen politischen Polizei.

Den Anfang zur Verschmelzung von SS und Polizei machte Hitler mit seinem Erlass vom 17.6.1936, durch den er Himmler zum "Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern" ernannte. Es war dies der wichtigste Schritt auf dem Wege der Umwandlung der deutschen Polizei in ein Instrument der Führergewalt.

In seiner Eigenschaft als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei nahm Himmler durch zwei Erlasse vom 26.6.1936 eine grundlegende Neuorganisation der deutschen Polizei vor. Er setzte den General der Polizei Kurt Daluege als Chef der Ordnungspolizei und den SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei ein. Dem Chef der Ordnungspolizei (Orpo) wurden Schutzleute, Gendarmerie und Gemeindepolizei unterstellt, dem Chef der Sicherheitspolizei (Sipo) die Politische Polizei und die Kriminalpolizei.

Eine besondere Organisation der SS war der 1931 gegründete Sicherheitsdienst (SD), den Heydrich anstelle der bisherigen Polizei zur neuen Polizei machen wollte. Das scheiterte jedoch an der fachlichen Unzulänglichkeit des zur Verfügung stehenden Personals. Immerhin erhielt der SD eine eigene Organisation im gesamten Reichsgebiet. Parallel zu den Oberabschnitten und Abschnitten der Allgemeinen SS wurden Oberabschnitte und Abschnitte des SD eingerichtet. Die Allgemeine SS, der SD und die ebenfalls 1933 entstandenen "Politischen Bereitschaften" waren drei voneinander unabhängige Organisationen, die zusammen die Gesamt-SS bildeten. Im Gegensatz zu den "Politischen Bereitschaften", aus denen die Verfügungstruppen bzw. die Waffen-SS hervorging, blieb der SD etatmässig immer im Zuständigkeitsbereich des Reichsschatzmeisters der NSDAP. Nachdem es Himmler und Heydrich in kurzer Zeit gelungen war, die Verfügungsgewalt über die politische Polizei in allen deutschen Ländern zu erringen, waren für den SD keine Exekutivaufgaben mehr vorhanden. Er bekam deshalb nachrichtendienstliche Aufgaben allgemeiner Art zugewiesen. Es handelte sich um die Beschaffung von Informationen über einzelne, besonders interessierende Personen oder um zusammenfassende Darstellungen über die Verhältnisse in einzelnen Gebieten des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Kirche. Das nachrichtendienstliche Monopol des SD im Bereich der nationalsozialistischen Bewegung wurde durch eine Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 9.6.1934 begründet und schliesslich durch einen Erlass des Reichsministers des Innern vom 11.11.1938 staatlich sanktioniert. Daneben hatte der SD als selbständige Formation der Gesamt-SS noch eine bestimmte organisatorische Funktion. Himmler war im Zuge der Verschmelzung von SS und Polizei darauf bedacht, die Angehörigen der Polizei unter mehr oder minder starkem Druck zu veranlassen, der SS beizutreten. Angehörige der Ordnungspolizei traten der Allgemeinen SS bei, Angehörige der Sicherheitspolizei dagegen wurden der Formation SD zugewiesen. Sie trugen dann die sogenannte SD-Raute am linken Ärmel. Da der Einsatz der Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten in der Regel in SS-Uniform erfolgte, stand er für aussenstehende Beobachter des Auslands unter dem Zeichen des SD, so wie er im Altreich unter dem Zeichen der Gestapo stand.

Durch Erlass vom 27.9.1939 fasste Himmler die Sicherheitspolizei und den Sicherheitsdienst mit Wirkung vom 1.10.1939 im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter Heydrich als Chef zusammen. Es bestand zunächst aus 6, später aus 7 Ämtern, die jeweils einem eigenen Amtschef unterstellt waren.

Die Organisation der Heydrich als dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD (CSSD) nachgeordneten regionalen und lokalen Dienststellen in den besetzten Gebieten war klar und einfach. Beim Einmarsch in diese Gebiete wurden die sicherheitspolizeilichen und nachrichtendienstlichen Belange von sogenannten Einsatzgruppen wahrgenommen. Sie trugen die Bezeichnung "Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei" und waren in Einsatzkommandos untergeteilt, von denen je eines einem Korps zugeteilt war. Aufgabe der Einsatzgruppen war die Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe.

Die Gliederung der Einsatzgruppen, beziehungsweise Einsatzkommandos, entsprach im Prinzip der Gliederung des Reichssicherheitshauptamtes. Es handelte sich also um verkleinerte Ausgaben der Zentrale mit den entsprechenden Sparten von Staatspolizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst. Die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos wurden jedoch, sobald sich die Besatzungsverwaltung konsolidiert hatte, in eine territorial fest stationierte Organisation der Sicherheitspolizei und des SD umgewandelt. In den besetzten Gebieten wurden nun Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) eingesetzt, und jedem Befehlshaber waren mehrere Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) unterstellt, z.B. im Generalgouvernement 5 Kommandeure. Ähnlich war die Ordnungspolizei in den besetzten Gebieten gegliedert, also in das Hauptamt Ordnungspolizei (HA Orpo) in Berlin, in die Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO), denen wiederum die Kommandeure der Ordnungspolizei (KdO) unterstanden. Der Befehlsweg war damit klar vorgezeichnet: Er ging vom Reichssicherheitshauptamt (beziehungsweise vom Hauptamt Ordnungspolizei) in Berlin zu den Befehlshabern der Sicherheitspolizei (beziehungsweise der Ordnungspolizei).

Der hier insbesondere interessierende Befehlsweg der Sicherheitspolizei wurde - sieht man von einer nur selten vorgekommenen Unterstellung der Organe der Sicherheitspolizei unter eine örtliche Zivilverwaltung ab - in der Regel nur dann unterbrochen, wenn ein Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF), dem wiederum SS- und Polizeiführer unterstanden, vom Reichsführer SS mit einer Sonderaufgabe betraut wurde. Die Einrichtung der Höheren SS- und Polizeiführer beruhte auf einem Erlass des Reichsinnenministers vom 13.11.1937. Sie war zunächst nur auf den Einsatz von SS und Polizei im Krieg zugeschnitten. Im Altreich war diese Institution von geringerer, in den besetzten Gebieten jedoch von grösster Bedeutung. Ein Höherer SS- und Polizeiführer in den besetzten Gebieten konnte unter Einschaltung der ihm unterstellten SS- und Polizeiführer seine Weisungen - unter Umgehung des Reichssicherheitshauptamtes - direkt an die Befehlshaber und Kommandeure der Sicherheitspolizei erteilen und sich überdies zur Erfüllung seiner Sonderaufgabe sämtlicher Teilorganisationen der SS und Polizei bedienen. Diesen kürzeren Befehlsweg wählte Himmler zur Durchführung der Judenvernichtung, insbesondere auch in Polen.

C. Die nationalsozialistische Judenvernichtung im Generalgouvernement

I. Die Zeit von Ende 1939 bis Anfang 1941

Am 1.9.1939 begann Hitler den Angriff auf Polen. Am 17.9.1939 fiel Brest-Litowsk, am 27.9.1939 kapitulierte das eingeschlossene Warschau, und am 1.10.1939 ergaben sich die polnischen Truppen auf der Halbinsel Hela. Bereits am 18.9.1939 waren gemäss einem geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Wirtschafts- und Nichtangriffspakt vom 23.8.1939 russische Truppen in Ostpolen eingerückt. Von dem durch deutsche Streitkräfte besetzten polnischen Gebiete gliederte Hitler die neugeschaffenen Reichsgaue Westpreussen mit Danzig als Hauptstadt und Warthegau mit Posen als Hauptstadt dem Deutschen Reich ein. Ausserdem vergrösserte er die Provinz Ostpreussen durch den Regierungsbezirk Ziechenau (Ciechanów) und den sogenannten "Suwalki-Zipfel" sowie die Provinz Schlesien, die später in die Provinz Niederschlesien (Hauptstadt Breslau) und Oberschlesien (Hauptstadt Kattowitz) aufgeteilt wurde, durch Ostoberschlesien und eine Reihe kongresspolnischer und galizischer Kreise. Aus dem dann noch verbliebenen Restgebiet bildete Hitler durch einen Erlass vom 12.10.1939 das sogenannte Generalgouvernement mit Krakau als Hauptstadt und den Distrikten Warschau, Radom, Krakau, Galizien und Lublin. Zum Generalgouverneur bestellte Hitler den Reichsminister Dr. Frank, der ihm unmittelbar verantwortlich war. Zugleich ordnete er jedoch an, dass neben dem Generalgouverneur auch der Ministerrat für die Reichsverteidigung und der Beauftragte für den Vierjahresplan Recht setzen könne. Darüber hinaus ermächtigte er den Vorsitzenden des Ministerrats für die Reichsverteidigung, den Beauftragten für den Vierjahresplan und die Obersten Reichsbehörden, alle Anordnungen auch für das Generalgouvernement zu treffen, die für die Planung des deutschen Lebens- und Wirtschaftsraumes erforderlich waren.

Vorsitzender des Ministerrates für die Reichsverteidigung und Beauftragter für den Vierjahresplan war Hermann Göring. Er konnte demgemäss auch für das Gebiet des Generalgouvernements mit seinem die Wannsee-Konferenz auslösenden Schreiben vom 31.7.1941 den Chef der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich anweisen, die Endlösung der Judenfrage im gesamten deutschen Einflussgebiet, also auch in Polen, vorzubereiten. Als Chef einer Obersten Reichsbehörde, nämlich als Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, und ausserdem als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums war Himmler neben Göring ebenfalls befugt, Anordnungen für das Generalgouvernement zu erlassen. Himmler bediente sich zur Durchführung seiner Anordnungen des in Krakau residierenden Höheren SS- und Polizeiführers im Generalgouvernement, des SS-Obergruppenführers Friedrich Krüger. Dieser war durch Führererlass vom 7.5.1942 gleichzeitig zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen in der Zivilregierung des Generalgouvernements ernannt worden. Himmler konnte ihm damit um so besser auf dem Gebiete des Sicherheitswesens und der Festigung deutschen Volkstums unmittelbar Weisungen erteilen. Dieser Höhere SS- und Polizeiführer Ost hatte ebenso wie der an der Spitze der Zivilverwaltung des Generalgouvernements stehende Generalgouverneur, der sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der sogenannten Regierung des Generalgouvernements bediente, seinen Sitz in Krakau. Ihm unterstanden die SS- und Polizeiführer in den im Generalgouvernement geschaffenen Distrikten Warschau, Radom, Krakau, Galizien und Lublin. Dem Generalgouverneur Frank waren in den genannten Distrikten auf dem Gebiete der Zivilverwaltung die Distriktsgouverneure unterstellt. Obwohl der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger gleichzeitig Staatssekretär für das Sicherheitswesen in der Zivilregierung des Generalgouverneurs Frank war, gelang es Frank nicht, den SS- und Polizeiapparat seiner Zivilverwaltung zu unterstellen. Der SS- und Polizeiapparat konnte somit ganz selbständig schalten und walten.

Wenn auch die Einsatzgruppen ihre Tätigkeit im grösseren Stil erst mit Beginn des Russlandfeldzuges auszuüben begannen, so hat es sie doch schon im Polenfeldzug gegeben. Aus Akten des Reichssicherheitshauptamtes, die sich im Archiv des polnischen Innenministeriums in Warschau befinden, ergibt sich, dass die in Polen einrückenden SS- und Polizeiformationen bereits mit klaren Befehlen zu einer gesonderten Behandlung des jüdischen Bevölkerungsteils in Polen einmarschierten. Sie hatten insbesondere folgende Aufgaben:

1. Die Festnahme von einzelnen Juden aufgrund des Sonderfahndungsbuches 1939;
2. die Festnahme von Juden, die "verdächtig" erschienen, worunter man keine Kriegs- oder Aufstandshandlungen, sondern den Verdacht der Preissteigerung, Warenhortung und auch das blosse Herumstehen auf der Strasse verstand;
3. die bereits am 6.9.1939 begonnene Einsetzung von jüdischen Kommissaren zur Vorbereitung der Ghettobildung;
4. die Aufstellung von Verzeichnissen der jüdischen Bewohner;
5. die Aufstellung von Vermögensbestandsaufnahmen der Juden;
6. die Vorbereitung und zum Teil auch schon die Durchführung von sogenannten "Auswanderungen" und "Abschiebungen" von Juden in den Osten.

Nach 3 Wochen Polenfeldzug wurden am 21.9.1939 alle Einsatzgruppenführer in das Reichssicherheitshauptamt gerufen, wo ihnen Richtlinien für die Endlösung erteilt wurden. Das Ergebnis dieser Besprechungen ist in einem Schnellbrief vom 21.9.1939 enthalten, den Heydrich den Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei unter Hinweis auf die Besprechung vom 21.9.1939 im Hinblick auf die Judenmassnahmen im besetzten Gebiet übersandte. In diesem Schnellbrief unterschied Heydrich zwischen dem längere Fristen beanspruchenden Endziel und den kurzfristig durchzuführenden Abschnitten der Vorbereitung des Endzieles. Als erste Voraussetzung für das Endziel galt nach dem Schnellbrief die Konzentrierung der Juden vom Lande in die grösseren Städte. Hierbei sollten zunächst die Gaue Danzig-Westpreussen, Wartheland und Oberschlesien judenfrei gemacht werden, zumindest aber sollten die Juden in nur wenigen Konzentrierungsstädten zusammengefasst werden. Anschliessend sollten die übrigen besetzten Gebiete Polens folgen. Zudem sollten die noch im Reich verbliebenen Juden und die restlichen 30000 Zigeuner von Deutschland mit Güterzügen nach Polen geschafft werden.

Ähnlich den Verhältnissen nach 1933 im Altreich gingen auch der physischen Vernichtung der Juden in Polen Massnahmen zu ihrer persönlichen Entrechtung und Diffamierung voraus. Als Massnahmen dieser Art sei aus der Vielzahl der Anordnungen nur die VO vom 23.11.1939 hervorgehoben, wonach alle jüdischen Einwohner Polens, sofern sie das zehnte Lebensjahr überschritten hatten, vom 1.Dezember 1939 ab am rechten Ärmel der Kleidung einen mindestens 10 cm breiten Streifen mit dem Zionstern zu tragen hatten.

Im Zuge der Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung mussten viele, insbesondere kleinere Orte von Juden vollständig geräumt werden. Der Umzug der Juden in die Judenwohnbezirke und Ghettos erfolgte anfangs noch nicht unter der später üblichen scharfen polizeilichen Kontrolle. Ebenso waren bei diesen Wohnsitzveränderungen der Juden Tötungen grösseren Ausmasses noch nicht zu beobachten. Im allgemeinen wurden die Juden Polens bis zum Frühjahr 1941 aus ihren Wohnbezirken und Ghettos heraus zu einem grossen Teil für Wehrmachtsarbeiten sowie für Arbeiten in der Wehrwirtschaft und sonst kriegswichtigen Arbeiten in Anspruch genommen. Dieser verhältnismässig friedliche Zustand änderte sich sehr schnell mit dem Anfang 1941 erfolgten Erlass des Endlösungsbefehls Hitlers.

II. Die Endlösung im Generalgouvernement

Der Endlösungsbefehl Hitlers machte sich im Generalgouvernement zunächst in personellen Umbesetzungen bemerkbar. Als erstes wurden die bislang nur schwach besetzten Dienststellen der SS- und Polizeiführer in den Distrikten durch weiteres Verwaltungspersonal vergrössert. Ferner fand eine nicht unerhebliche Umbesetzung der SS- und Polizeiführer in den einzelnen Distrikten statt, und zwar in erster Linie mit dem Ziele, zu weiche und damit für die neuen Aufgaben nicht befähigte Personen zu entfernen. Im Distrikt Krakau wurde der SS- und Polizeiführer SS-Oberführer Schwedler durch den robusten und rigorosen SS-Oberführer Scherner ersetzt und im Distrikt Warschau der SS-Oberführer Wiegand durch den SS-Brigadeführer Dr. von Sammern-Frankenegg. Den von besonders vielen Juden bevölkerten Distrikt Galizien übernahm anstelle des SS-Oberführers Oberg der als rücksichtslos bekannte SS-Brigadeführer Katzmann, der bisher den Distrikt Radom geführt hatte. In Radom trat an seine Stelle der SS-Oberführer Böttcher. Die abgelösten SS-Oberführer Oberg, Schwedler und Wiegand verliessen das Generalgouvernement. Lediglich der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, der SS-Gruppenführer Odilo Globocnik, verblieb auf seinem Posten. Er wurde zur Zentralfigur bei der Endlösung der Judenfrage im Generalgouvernement. Globocnik, der bis 1939 Gauleiter von Wien gewesen war, machte sich nach seiner Ernennung zum SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin sogleich energisch ans Werk und richtete als alter Kämpfer sein Augenmerk auf die Juden. Er fand ein reiches Betätigungsfeld vor. Die Aussiedlung von Juden in das Generalgouvernement stand eine gewisse Zeit in engem Zusammenhang mit dem damals erwogenen Plan, östlich der Weichsel ein sogenanntes Judenreservat zu bilden, in dem die nationalsozialistischen Machthaber einen grossen Teil der Juden zu konzentrieren und zu isolieren beabsichtigten. So hatte Himmler bereits am 30.10.1939 aufgrund eines Geheimen Erlasses Hitlers vom 7.10.1939 in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums zwecks Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten, angeordnet, dass die Juden hierbei in das Gebiet östlich der Weichsel, zwischen Weichsel und Bug, einzuweisen seien. Auf diesen Plan spielte auch der ehemalige Generalgouverneur Hans Frank anlässlich einer am 25.11.1939 vor den Kreishauptleuten und Stadtkommissaren des Distriktes Radom gehaltenen Rede an, in der er darauf hinwies, dass die deutsche Regierung 1/2 bis 3/4 aller Juden östlich der Weichsel haben wolle.

Wenn auch der Plan der Bildung eines grossen Judenreservats bereits im Frühjahr aufgegeben wurde, so wurden doch in der Zwischenzeit bereits grössere Transporte von Juden aus dem Reich und anderen Teilen des besetzten Europas in den Raum Lublin gebracht und entweder in der Stadt Lublin selbst oder in den kleineren und fast ganz jüdischen Städten des Distrikts in der Nähe der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie angesiedelt, die man dann im März 1943 zu Durchgangsstationen für das Vernichtungslager Belzec machte.

Dieser Juden nahm sich Globocnik besonders an, indem er sie zu den in seinem Distrikt durchzuführenden Grenzsicherungsarbeiten und zum Bau strategisch wichtiger Strassen einsetzte. Die Unterbringung, Verpflegung und Behandlung dieser Juden durch Globocnik und seine Leute liess viel zu wünschen übrig. Globocnik verfuhr mit ihnen in einer Art und Weise, dass viele von ihnen an Erschöpfung starben.

Da Globocnik mit den ihm zur Verfügung stehenden jüdischen Arbeitskräften in besonders rigoroser Weise verfuhr, musste er den nationalsozialistischen Machthabern als der geeignete Mann für die Durchführung der Endlösung der Judenfrage im Generalgouvernement erscheinen.

Sie wurde in diesem Bereich - wahrscheinlich in Anlehnung an den Vornamen des damaligen Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich - unter der Tarnbezeichnung "Aktion Reinhard" oder auch "Einsatz Reinhard" durchgeführt.

Dass Globocnik den Auftrag zur Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements erhielt, dass Himmler und mit ihm auch Hitler tatkräftig daran Anteil nahmen, ergibt sich auch aus folgendem Schreiben des Oberdienstleiters Viktor Brack in Hitlers Parteikanzlei an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei vom 23.6.1942:

Geheime Reichssache

Sehr geehrter Reichsführer!
Ich habe dem Brigadeführer Globocnik auf Anweisung von Reichsleiter Bouhler für die Durchführung seiner Sonderaufgabe schon vor längerer Zeit einen Teil meiner Männer zur Verfügung gestellt. Aufgrund einer erneuten Bitte von ihm habe ich nunmehr weiteres Personal abgestellt. Bei dieser Gelegenheit vertrat Brigadeführer Globocnik die Auffassung, die ganze Judenaktion so schnell wie nur irgend möglich durchzuführen, damit man nicht eines Tages mitten drin stecken bliebe, wenn irgendwelche Schwierigkeiten ein Abstoppen der Aktion notwendig machen. Sie selbst, Reichsführer, haben mir gegenüber seinerzeit schon die Meinung geäussert, dass man schon aus Gründen der Tarnung so schnell wie möglich arbeiten müsse. Beide Auffassungen, die ja im Prinzip das gleiche Ergebnis zeitigen, sind nach meinen Erfahrungen mehr als berechtigt ....

Dass Globocnik diesen Auftrag auch durchführte, ergibt sich eindeutig aus den von ihm in den Jahren 1943 und 1944 mit Himmler geführten Schriftverkehr. So schrieb Globocnik am 4.11.1943 von Triest aus an Himmler wie folgt:

Reichsführer!
Ich habe mit 19.10.1943 die Aktion Reinhard, die ich im Generalgouvernement geführt habe, abgeschlossen und alle Lager aufgelöst. Als Abschlussdarstellung erlaube ich mir, beiliegende Mappe, Ihnen, Reichsführer, zu überreichen. Meine Feststellungen in Lublin haben ergeben, dass es sich im Generalgouvernement um einen besonderen Ausstrahlungsherd gehandelt hat und versuchte ich daher diese Gefahrenmomente bildlich festzuhalten. Es wird vielleicht für die Zukunft sich zweckmässig erweisen, auf die Ausschaltung dieser Gefahr hinweisen zu können. Andererseits aber habe ich versucht, eine Darstellung über den Arbeitseinsatz zu geben, aus dem nicht nur die Arbeitsmenge zu ersehen ist, sondern auch mit wie wenig Deutschen dieser Grosseinsatz ermöglicht wurde. Er ist jedenfalls so angewachsen, dass sich namhafte Industrien hierfür interessieren.
Ich habe mittlerweile diese Arbeitslager an SS-Obergruppenführer Pohl übergeben.
Ich bitte, Reichsführer, diese Mappe durchzusehen. Bei einem Besuch haben mir Reichsführer in Aussicht gestellt, dass für die besonderen Leistungen dieser harten Aufgabe einige EKs nach Abschluss der Arbeiten verliehen werden könnten. Ich bitte, Reichsführer, um Mitteilung, ob ich hierfür Vorschläge unterbreiten darf.
Ich darf mir erlauben darauf hinzuweisen, dass für den Warschauer-Einsatz, der einen verhältnismässig kleinen Teil der Gesamtarbeit ausgemacht hat, an die Kräfte des dortigen SS- und Polizeiführers ebenfalls eine solche Verleihung bewilligt wurde.
Ich wäre Ihnen, Reichsführer, für eine positive Entscheidung diesbezüglich sehr dankbar, als ich gerne die harte Arbeit meiner Männer belohnt sehen möchte.

In einer Meldung über den wirtschaftlichen Teil der Aktion Reinhard, die Globocnik einem an Himmler gerichteten Schreiben vom 5.1.1944 beifügte, führte Globocnik unter anderem folgendes aus:

Die gesamte Aktion Reinhard zerfällt in 4 Gebiete:
A) die Aussiedlung selbst
B) die Verwertung der Arbeitskraft
C) die Sachverwertung
D) die Einbringung verborgener Werte und Immobilien
A. Die Aussiedlung
Sie ist erledigt und abgeschlossen. Die Voraussetzung hierbei war, durch eine methodisch richtige Behandlung, mit den schwachen zur Verfügung stehenden Kräften, die Menschen zu erfassen und möglichst wenig wirtschaftlichen Schaden an der Kriegsproduktion anzurichten.
Im Grossen und Ganzen ist dies
gelungen. Ein grösserer Schaden ist nur in Warschau entstanden, wo aus Verkennung der Sachlage der Abschluss methodisch falsch durchgeführt wurde. Die Abwicklung Litzmannstadt konnte von mir aus wegen der Versetzung nicht mehr durchgeführt werden.
Die für diese Aktion aus anfallenden Mitteln, die jedoch als Reichsmittel aufzufassen sind, erstellten Einrichtungen sind zur Gänze weggeräumt. Aus Überwachungsgründen ist in den Lagern je ein kleiner Bauernhof entstanden, der von einem Fachmann besetzt ist. An ihn muss laufend eine Rente gezahlt werden, um den Bauernhof erhalten zu können.

Nach Erhalt des Auftrages zur Durchführung der Aktion Reinhard hatte Globocnik seiner Dienststelle eine neue entsprechend benannte Hauptabteilung angegliedert, welcher der durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Sturmbannführer Hans Höfle vorstand. Der SS-Obersturmführer und ehemalige aus Württemberg stammende Kriminalobersekretär Christian Wirth wurde erster Kommandant des Vernichtungslagers Belzec, später Inspekteur der drei Vernichtungsläger Belzec, Sobibor und Treblinka. Ihm stand als Adjutant der aus Bayern stammende spätere SS-Untersturmführer Josef Oberhauser zur Seite. Darüber hinaus forderte Globocnik nach und nach eine grössere Anzahl von Kräften zum Einsatz in den geplanten Vernichtungs- und Arbeitslagern an. Er erhielt solche Kräfte, die fast ausschliesslich an der sogenannten Euthanasieaktion mitgewirkt hatten und von denen zu erwarten war, dass sie sich ohne Skrupel an der "Aktion Reinhard" beteiligen würden. Diese Euthanasieaktion stand unter der Leitung der Kanzlei des Führers (KdF), einer Parteidienststelle, die im Hause Tiergartenstrasse 4 in Berlin untergebracht war. Die Euthanasieaktion erhielt deshalb nach der Anschrift der Kanzlei des Führers den Decknamen T4 (=Tiergartenstrasse 4). An ihrer Spitze stand der Reichsleiter Philipp Bouhler. Ihre Hauptabteilung II, der die Euthanasieangelegenheiten unterstanden, wurde vom Oberdienstleiter Viktor Brack geleitet. Eine weitere bedeutsame Rolle spielte der Amtschef in der Kanzlei des Führers SA-Standartenführer Blankenburg. Die Kanzlei des Führers bediente sich ihrerseits wieder dreier sachlich und persönlich zusammenhängender Tarnorganisationen, und zwar der "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten", der "Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege" und der "Gemeinnützigen Krankentransport GmbH".

Ein grosser Teil des Personals dieser Stellen wurde nach und nach an die Dienststelle des SS- und Polizeiführers für den Distrikt Lublin abgeordnet. Die Männer wurden - jedenfalls vor Beginn der Massentötungen - zunächst in dem ebenfalls zur Aktion Reinhard gehörenden Lager Trawniki zusammengefasst und dort einer militärischen Grundausbildung unterworfen. Danach wurden sie gemeinsam mit anderen "bewährten SS-Leuten" auf die einzelnen von Globocnik geschaffenen Lager aufgeteilt. Zuvor wurden sie jedoch - soweit sie nicht schon als Beteiligte an der Euthanasieaktion zur Verschwiegenheit ausdrücklich verpflichtet worden waren - zur absoluten Geheimhaltung ihrer Aufgaben verpflichtet. Diese schriftliche Verpflichtung hatte folgenden Wortlaut:

Verhandlung

über die Verpflichtungen des ................ als besonders beauftragte Person bei der Durchführung von Arbeiten bei der Judenumsiedlung im Rahmen des "Einsatzes Reinhard" beim SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin. Der ............ erklärt:
Durch SS-Hauptsturmführer Höfle als Leiter der Hauptabteilung "Einsatz Reinhard" beim SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin bin ich eingehend unterrichtet und belehrt worden:
1. darüber, dass ich unter keinen Umständen an Personen, die ausserhalb des Kreises Mitarbeiter im "Einsatz Reinhard" stehen, irgendwelche Mitteilungen über den Verlauf, die Abwicklung oder die Vorkommnisse bei der Judenumsiedlung mündlich oder schriftlich zukommen lassen darf;
2. darüber, dass die Vorgänge bei der Judenumsiedlung Gegenstand einer "Geheimen Reichssache" im Sinne der Verschl. V sind;
3. über die entsprechenden Sonderbestimmungen der Geschäftsordnung des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass diese Vorschriften "Befehle in Dienstsachen" bzw. "Gebote und Verbote" im Sinne des §92b des RStGB sind;
4. über ein ausdrückliches Photografierverbot in den Lagern des "Einsatzes Reinhard";
5. über §§88 bis 93 RStGB in der Fassung vom 24.April 1934 und über die Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen vom 3.Mai 1917, 12.Februar 1920;
6. über die §§ des RStGB 139 (Anzeigepflicht) und 353c (Verletzung des Amtsgeheimnisses).
Ich kenne die angeführten Bestimmungen und Gesetze und bin mir der Pflichten bewusst, die mir aus der übertragenen Aufgabe erwachsen. Ich verspreche, sie nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen.
Mir ist bekannt, dass die Pflicht zur Geheimhaltung auch nach meinem Ausscheiden aus dem Dienst weiterbesteht.
........................................................... ...

Nach der erfolgten Abordnung und nach Erfüllung der Formalitäten begann ein erstes, aus etwa 30 Chemikern, Ärzten und Pflegern bestehendes Kommando im Herbst 1941 mit dem Ausbau des Lagers Belzec, das in der Nähe der Stadt Tomaszow an der südlichen Grenze des Distrikts Lublin gelegen war. Es folgten das in der Nähe der Stadt Wlodawa an der östlichen Grenze des Distrikts Lublin gelegene Tötungslager Sobibor und schliesslich das Vernichtungslager Treblinka, das jedoch im Gegensatz zu den Lagern Belzec und Sobibor nicht mehr im Distrikt Lublin, sondern bereits im Distrikt Warschau lag, ungeachtet dessen aber Globocnik und nicht dem SS- und Polizeiführer in Warschau unterstand.

Als erstes dieser Lager nahm Belzec im März 1942 seine Tätigkeit mit der Vernichtung von etwa 35000 Juden aus dem Ghetto der Stadt Lublin auf. Im Mai 1942 war dann das Lager Sobibor voll in Betrieb, und im Juli 1942 folgte schliesslich das Lager Treblinka. Die Vernichtung der Juden in allen drei Lagern erfolgte in der Weise, dass sie in Gaskammern getrieben und dort durch Motorenabgase getötet wurden.

Aufgabe der vier übrigen SS- und Polizeiführer in den Distrikten Krakau, Warschau, Radom und Galizien war, die Juden in ihrem Bereich zu erfassen und den unter der Leitung von Globocnik stehenden Vernichtungslagern zur Tötung zuzuführen.

Die Abschiebung der Juden aus dem Generalgouvernement in die drei Vernichtungslager erfolgte unter der Tarnbezeichnung "Aussiedlung". Ihr Abtransport erfolgte mit Sonderzügen, und zwar meist in geschlossenen Güterwagen. Die Fahrpläne für diese Züge wurden von der zum Dezernat 33 (Reisezüge) der Generaldirektion der Ostbahn (Gedob) in Krakau gehörenden (allgemeinen und nicht auf Judensonderzüge beschränkten) Sonderzuggruppe aufgestellt. Diese Sonderzugfahrpläne erstreckten sich teilweise über einen längeren Zeitraum, insbesondere dann, wenn zum Abtransport der Juden aus einem Ort mehr als ein Güterzug erforderlich war. Diese Fahrpläne wurden - wenigstens in gewissem Umfange - erst nach Verhandlungen oder Besprechungen mit der Reichsbahn in Berlin (Reichsverkehrsministerium) und der Dienststelle des Höheren SS- und Polizeiführers Ost in Krakau erstellt. Eine andere Gruppe der Sonderzugfahrpläne galt nur für eine einzelne Zugfahrt. Ihrer Aufstellung lag zumeist die Anforderung eines SS- und Polizeiführers im Distrikt auf Gestellung eines Zuges zugrunde.

Die Bereitstellung der Sonderzüge durch die Ostbahn stiess jedoch aufgrund der durch die Kriegsereignisse bedingten Transportknappheit - Polen war Durchgangsgebiet zur Ostfront - zeitweilig auf erhebliche Schwierigkeiten. Diese nahmen im Sommer 1942 einen derartigen Umfang an, dass sich Himmler selbst zum Eingreifen genötigt sah. In seinem Auftrage wandte sich schon früher der damalige Leiter seines Stabes, der SS-Obergruppenführer Wolff, am 16.7.1942 an den Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium Dr.Ing. Gan. und bat dringend um die besondere Unterstützung der Reichsbahn bei dem Abtransport der Juden in die Vernichtungslager. Der Staatssekretär Gan. antwortete unter dem 28.7.1942 wie folgt:

Geheim

Sehr geehrter Pg. Wolff!
Unter Bezugnahme auf unser Ferngespräch vom 16.7.1942 teile ich Ihnen folgende Meldung meiner Generaldirektion der Ostbahnen (Gedob) in Krakau zu Ihrer gefälligen Unterrichtung mit:
"Seit dem 22.7. fährt täglich ein Zug mit je 5000 Juden von Warschau über Malkinia nach Treblinka, ausserdem zweimal wöchentlich ein Zug mit 5000 Juden von Przemysl nach Belzec. Gedob steht in ständiger Fühlung mit dem Sicherheitsdienst in Krakau. Dieser ist damit einverstanden, dass die Transporte von Warschau über Lublin nach Sobibor (bei Lublin) so lange ruhen, wie die Umbauarbeiten auf dieser Strecke diese Transporte unmöglich machen (ungefähr Oktober 1942)." Die Züge wurden mit dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei im Generalgouvernement vereinbart. SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin, SS-Brigadeführer Globocnik, ist verständigt.

Heil Hitler!
Ihr ergebener
gez. Gan.

Dieses Schreiben wurde am 18.August 1942 vom Persönlichen Stab des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei abschriftlich dem Höheren SS- und Polizeiführer Ost in Krakau Krüger und dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin Globocnik übermittelt.

Diese sich allein schon aus dem vorstehend auszugsweise zitierten Schriftverkehr ergebenden Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Transportraumes und die damit notwendig verbundene erhöhte Umlaufgeschwindigkeit der Waggons und Lokomotiven führten zu kaum zu beschreibenden Grausamkeiten gegenüber den "Aussiedlern", die durch das Verhalten des Wachpersonals noch gesteigert wurden.

Zunächst führten die Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Transportraumes dazu, dass das Fassungsvermögen der einzelnen Waggons, bei denen es sich fast ausschliesslich um geschlossene Güterwagen (G-Wagen) handelte, bis auf den letzten Quadratzentimeter ausgenutzt wurde. In aller Regel wurden daher rund 100 Personen, sehr oft aber auch mehr, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht in die Waggons gepfercht, die anschliessend mit Plomben verschlossen wurden. Da alle diese Personen auch noch über zum Teil recht umfangreiches Gepäck verfügten, blieb der Raum für die einzelne Person auf wenige Quadratzentimeter beschränkt.

Darüber hinaus führte die hohe Umlaufgeschwindigkeit der einzelnen Züge dazu, dass auf dem Wege vom früheren Wohnsitz der "Aussiedler" bis zum Vernichtungslager gar kein oder nur ein vereinzelter "Halt" eingelegt wurde. Selbst bei einem Anhalten war es den Juden verboten, die verplombten Waggons zu verlassen. Die Plomben an den Güterwagen wurden erst bei der Ankunft in Treblinka gelöst.

Alle diese Umstände führten in ihrem Zusammenwirken dazu, dass die Juden erhebliche körperliche Leiden erdulden mussten. Ihre Notdurft mussten sie in den geschlossenen Waggons verrichten, was alsbald zu einer immer unerträglicher werdenden Verpestung der Luft führte. Wasser oder Getränke erhielten die Juden nicht. Bemühten sie sich auf den vereinzelten Halten durch die kleinen Lüftungsklappen um Wasser, so liefen sie Gefahr, vom Begleitpersonal erschossen oder misshandelt zu werden. Diese körperlichen Qualen erreichten ihren Höhepunkt bei den in der wärmeren Jahreszeit durchgeführten Transporten, wo durch starke Sonneneinwirkung und durch die Vielzahl der in den einzelnen Waggons befindlichen Menschen sehr bald eine unerträgliche Hitze entstand. In einer sehr grossen Zahl von Fällen überstanden Kranke, Gebrechliche, alte Leute und Kinder die Transporte nicht mehr lebend. Ihre Leichen blieben aber bis zur Ankunft im Vernichtungslager im Waggon.

Soweit die jüdische Bevölkerung noch nicht in den grossen Städten des Landes in den jüdischen Wohnbezirken und Ghettos konzentriert war und sie nicht allzuweit von den für sie zuständigen Vernichtungslagern ansässig war, erfolgte der Abtransport entweder zu Fuss oder mit Lastkraftwagen oder Pferdefuhrwerken. Die Strapazen und Misshandlungen, denen die Juden bei solchen Transporten ausgesetzt waren, waren jedoch um nichts geringer als bei den Bahntransporten. Misshandlungen und Erschiessungen waren auch hier an der Tagesordnung. Wenn die Zahl der auszusiedelnden Juden so klein war, dass sich ein besonderer Transport nicht lohnte, wurden die Ortschaften dadurch judenrein gemacht, dass man die Juden eben an Ort und Stelle liquidierte, d.h. erschoss.

Durch die Aktion Reinhard, die mit dem 19.10.1943 ihren offiziellen Abschluss fand, haben schätzungsweise 1500000 Juden allein in den drei Vernichtungslagern Treblinka, Belzec und Sobibor den Tod gefunden.

Die bei der Aktion Reinhard angefallenen und in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka sichergestellten Sachwerte, die dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt in Berlin zur Verfügung gestellt wurden, machen nach einem von Globocnik unterzeichneten, für dieses Amt in Berlin bestimmten Bericht über die verwaltungsmässige Abwicklung der Aktion Reinhard den Betrag von RM 178.745.960,59 aus, der sich wie folgt aufgliedert:

Abgelieferte Geldmittel Zl- und RM-Noten   RM 73.852.080,74
Edelmetalle RM 8.973.651,60
Devisen in Noten RM 4.521.224,13
Devisen in gemünztem Gold RM 1.736.554,12
Juwelen und sonstige Werte RM 43.662.450,00
Spinnstoffe RM 46.000.000,00
  RM 178.745.960,59

Die abgelieferten Geldmittel betrugen eigentlich sogar RM 85.741.903,28. Von diesem Betrag sind die Ausgaben für die Aktion Reinhard in Höhe von RM 11.889.822,54 bereits abgezogen worden, so dass die als erster Posten in der Aufstellung aufgeführte "Reineinnahme" von RM 73.852.080,74 verblieb.

Nach dem Abschluss der Aktion Reinhard wurden die einzelnen Lager abgeräumt und die Bauten und sonstigen Einrichtungen sorgfältig beseitigt. Auf dem jeweiligen Lagergelände wurde je eine landwirtschaftliche Siedlerstelle mit einem Bauernhaus geschaffen, die mit je einem ehemaligen Mitglied des ukrainischen Wachpersonals besetzt wurde.

Globocnik und Wirth wurden bereits im August 1943 nach Italien versetzt, wobei Globocnik zum Höheren SS- und Polizeiführer für das adriatische Küstenland mit dem Sitz in Triest ernannt wurde. Die übrigen Angehörigen der Aktion Reinhard verlegte man gegen Ende 1943 ebenfalls nach Oberitalien, Istrien und Dalmatien. Hier wurden sie in den sogenannten Einheiten R 1, R 2 und R 3 (R = Reinhard) zusammengefasst, um auch hier Massnahmen zur Judenvernichtung vorzubereiten und durchzuführen. Infolge der zunehmenden Partisanentätigkeit wurden sie jedoch bis zum Kriegsende überwiegend zur Partisanenbekämpfung eingesetzt, in deren Verlauf eine ganze Reihe von ihnen verwundet oder getötet wurde.

III. Die Zahl der Opfer im Vernichtungslager Treblinka

Im Vernichtungslager Treblinka wurden mindestens 700000 Personen, überwiegend Juden, aber auch in geringerem Umfange Zigeuner, getötet.

Diese Feststellungen beruhen auf dem Gutachten, das Dr. Kraus., der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, vor dem Schwurgericht erstattet hat. Der Sachverständige hat bei seinem Gutachten alle für ihn in deutschen und ausländischen Archiven erreichbaren und in der historischen Wissenschaft üblichen Hilfsmittel benutzt, darunter den sogenannten Stroop-Bericht (einen aus drei Teilen, und zwar Einleitung, Sammlung von Tagesmeldungen und Fotosammlung bestehenden Bericht des SS-Brigadeführers Dieter Stroop über die Vernichtung des Warschauer Ghettos), die Protokolle des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg und die nach dem Kriege unvollständig vorgefundenen amtlichen Eisenbahnunterlagen (Fahrpläne, Telegramme und Wagenzettel) über die Transporte nach Treblinka, die Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sind und die das Schwurgericht dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt hat.

Der Sachverständige Dr. Kraus. hat unter anderem folgendes ausgeführt:

Nach dem Stroop-Bericht seien in der Zeit vom 22.7.1942 bis zum 3.10.1942 rund 310000 und in der Zeit von Januar bis Mitte Mai 1943 rund 19000 Juden aus dem Warschauer Ghetto in Güterzügen nach Treblinka gebracht worden. Weitere Transporte mit Juden seien gleichfalls in Güterzügen aus verschiedenen anderen polnischen Städten, darunter aus Kielce, Miedzyrzec, Lukow, Wlosczowa, Sedziszow, Czenstochau, Szydlowiec, Lochow, Kozienice, Bialystok, Tomaschow, Grodno und Radom in der Zeit vom 21.8.1942 bis 23.8.1943 im Vernichtungslager Treblinka angekommen. Ausserdem seien Juden, die in der Nähe von Treblinka wohnten und auch Zigeuner, unter diesen auch solche aus nichtpolnischen Ländern, mit Pferdewagen und Lastkraftwagen in Treblinka eingetroffen. Schliesslich seien Juden aus Deutschland und aus anderen europäischen Ländern, darunter aus Österreich, aus der Tschechoslowakei, aus Bulgarien, aus Jugoslawien und aus Griechenland, diese überwiegend in Personenzügen, nach Treblinka transportiert worden.

Eine genaue Anzahl der auf diese Art und Weise nach Treblinka geschafften Personen lasse sich freilich nicht bestimmen, da insbesondere hinsichtlich der Bahntransporte nur noch ein Teil der Bahnunterlagen greifbar sei. Trotzdem könne man die Zahl der mit Güter- und Personenzügen nach Treblinka gebrachten Personen - unter Ausserachtlassung der rund 329000 Warschauer Juden - auf rund 271000 schätzen, wenn man pro Zug von einer durchschnittlichen Waggonzahl von 60 und von einer durchschnittlichen Belegung eines Güterwaggons mit 100 und eines Personenwagens mit 50 Menschen ausgehe, so dass ein Güterzug etwa 6000 und ein Personenzug etwa 3000 Juden nach Treblinka befördert habe. Da diese Zahlen aber in Wirklichkeit häufig viel höher gelegen hätten und da ausserdem Tausende von Juden und auch Zigeunern mit Pferdefuhrwerken und Lastkraftwagen nach Treblinka gekommen seien, habe die Gesamtzahl der aus Warschau, aus dem übrigen Polen, aus Deutschland und anderen europäischen Ländern nach Treblinka gebrachten Juden einschliesslich von mindestens 1000 Zigeunern beträchtlich über 700000 gelegen, selbst wenn man berücksichtige, dass einige Tausend Menschen von Treblinka wieder nach anderen Lagern gekommen seien und dass einigen hundert Häftlingen die Flucht aus dem Lager, insbesondere beim Aufstand am 2.August 1943, gelungen sei. Aus allen diesen Gründen sei es wissenschaftlich zu vertreten, die Zahl der in Treblinka getöteten Personen auf mindestens 700000 Personen zu schätzen.

Das Schwurgericht hat keine Bedenken, dem wegen seiner Forschungen zur nationalsozialistischen Judenverfolgung wissenschaftlich bekannten Sachverständigen zu folgen, da sein Gutachten ausführlich, gründlich und damit überzeugend ist. Das gilt um so mehr, als mehrere Angeklagte, darunter der mit einem besonders guten Gedächtnis begabte Angeklagte Suchomel, die Zahl der Opfer selbst mit weit über 500000 beziffern. In welchen Grössenordnungen in Treblinka gearbeitet wurde, ergibt zudem eine bezeichnende Schilderung des Angeklagten Suchomel über die Öffnung einer Leichengrube. Wie er glaubhaft angibt, befand er sich Anfang 1943 einmal im oberen Lager, als dort gerade eine der riesigen Leichengruben geöffnet wurde, weil die Leichen nunmehr verbrannt werden sollten. Bei dieser Gelegenheit, so führt Suchomel aus, habe ihm sein Kamerad Pötzinger, der stellvertretende Chef des Totenlagers, erklärt, dass diese eine Leichengrube allein etwa 80000 Tote enthalte. Da es mehrere Leichengruben gab und da die Vernichtungsaktion Anfang 1943 noch keineswegs beendet war, kann man in dieser Schilderung Suchomels nur eine Bestätigung des Gutachtens sehen, das eine Mindestzahl von 700000 getöteten Personen annimmt.

Wenn der Sachverständige die durchschnittliche Belegungszahl der mit Güterzügen eingetroffenen Juden mit 100 annimmt, so ist diese Zahl eher viel zu niedrig als zu hoch gewählt; denn zahlreiche jüdische Zeugen haben dem Schwurgericht glaubhaft erklärt, dass die Waggons, in denen sie nach Treblinka gebracht wurden, mit weit mehr als 100 Personen gefüllt gewesen sind. Bei einigen Güterzügen, bei denen die im Verhältnis zu deutschen und polnischen Waggons grösseren französischen Güterwaggons eingesetzt wurden, betrug die Belegungszahl pro Waggon nach den Bekundungen mehrerer glaubwürdiger jüdischer Zeugen sogar rund 200 Personen. Das hat schliesslich auch der als Zeuge vernommene Amtsrat der polnischen Eisenbahn Zab. glaubhaft bestätigt, der von 1941 bis 1945 Fahrdienstleiter im Bahnhof Treblinka gewesen ist. Er erinnert sich deutlich daran, dass die meisten Transportzüge 60 Güterwaggons umfassten, dass darunter auch französische Waggons waren, dass auf den Waggons mit Kreide die jeweilige Zahl der Insassen aufgeschrieben war und dass diese Zahlen zwischen 120 bis 200 schwankten. Nach alledem bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des vom Sachverständigen Dr. Kraus. über die Zahl der Opfer in Treblinka erstatteten Gutachtens.

D. Beschreibung des Vernichtungslagers Treblinka

Das Vernichtungslager Treblinka, das in der Hauptsache zur Vernichtung der im Ghetto von Warschau lebenden jüdischen Bevölkerung zuständig sein sollte, in dem aber auch Juden aus anderen Teilen Polens und sogar aus ganz Europa in grosser Zahl den Tod gefunden haben, wurde im Sommer 1942 eingerichtet und war am 11.Juli 1942 betriebsbereit, wie sich aus einem Schreiben des ersten Lagerkommandanten Dr. Eberl vom 7.7.1942 an den Kommissar für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau ergibt.

Es lag auf einer länglichen, mit Wald bewachsenen Anhöhe, die so ausgewählt war, dass dank der natürlichen Geländebeschaffenheit weder von der zur nördlichen Lagergrenze parallel verlaufenden Landstrasse Kossow - Malkinia noch von der zur westlichen Lagergrenze parallel verlaufenden Eisenbahnlinie Siedlce - Malkinia eine Einsichtsmöglichkeit in das Lager bestand. Das gesamte, etwa 600 m lange und ca. 400 m breite Lager war mit einem etwa 3 bis 4 m hohen Stacheldrahtzaun umgeben, in dem aus Tarnungsgründen Reisig eingeflochten worden war. Dahinter lag ein etwa 3 m breiter Graben, auf den ein etwa 40 bis 50 m breiter völlig freier Geländestreifen folgte, der wiederum mit Stacheldraht und spanischen Reitern nach Art einer Panzersperre von der Umgebung abgegrenzt war. An allen vier Ecken des Lagers standen ca. 8 m hohe zum Teil mit Scheinwerfern ausgerüstete Wachttürme, die Tag und Nacht mit ukrainischen Wachtposten besetzt waren. Ein weiterer Wachtturm, der sich ursprünglich an der Südseite in der Mitte zwischen den beiden Ecktürmen befand, wurde später in die Mitte des sogenannten Totenlagers verlegt.

Der gesamte Lagerkomplex, dessen räumliche Gliederung und Bebauung sich im Laufe der Monate mehrfach änderte, kann in drei etwa gleich grosse Teile aufgeteilt werden, und zwar
a. in das sogenannte Wohnlager,
b. in das sogenannte Auffanglager und
c. in das sogenannte obere oder Totenlager.

Wohn- und Auffanglager zusammen wurden auch als unteres Lager bezeichnet.

In dem hier als Wohnlager bezeichneten Teil befanden sich die Baracken für das deutsche Lagerpersonal einschliesslich der erforderlichen Verwaltungsräume wie Schreibstube, Krankenrevier, Magazine, Werkstätten und Wirtschaftsgebäude, ferner die Unterkünfte für die ukrainischen Wachmannschaften nebst den dazugehörigen Nebengebäuden und schliesslich - durch einen Stacheldrahtzaun nochmals besonders abgetrennt und gesichert - das sogenannte Ghetto mit den Wohnbaracken und Arbeitsräumen sowie dem Appellplatz für die im Lager befindlichen Arbeits- und Hofjuden.

Von der westlich vom Lager vorbeiführenden Eisenbahnstrecke führte etwa nach 300 m ein Nebengleis durch ein besonderes Tor in das Auffanglager und endete hier an einer langen Rampe, die später zu einem richtigen Bahnsteig ausgebaut wurde. Vor der Rampe, rechts seitlich versetzt, stand die riesige Sortierbaracke, in der die den ankommenden Juden abgenommenen Sachwerte, insbesondere aber deren Kleider und Schuhe bis zum Abtransport an das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt lagerten. Ein Teil der Sortierbaracke wurde etwa ab Weihnachten 1942 so hergerichtet, dass er den Eindruck eines Bahnhofsgebäudes vermittelte. Neben einer Bahnhofsuhr, Fahrkartenschaltern und ausgehängten Fahrplänen waren Fahrtrichtungshinweise in die nächsten grösseren Städte und dergleichen angebracht, so dass nach der ganzen Art der Aufmachung die ankommenden Juden das Gefühl haben konnten und haben sollten, sie seien in ein Durchgangslager gekommen, von dem aus sie weitertransportiert werden würden.

Vor dem durch die Sortierbaracke und den Bahnhof nicht in Anspruch genommenen Teil der Rampe befand sich ein grosser freier Platz. Über ihn gelangten die Juden nach dem Ausladen durch ein Tor in einen weiteren eingefriedigten Raum, den sogenannten Umschlagplatz, an dessen linken Seite sich die sogenannte Frauenauskleidebaracke befand, während rechts eine ähnlich grosse Baracke stand, die zeitweilig als Auskleide- und Unterkunftsraum für die männlichen Juden gedient hat, später aber ausschliesslich als Kleiderlager und Sortierbaracke benutzt wurde. Zwischen diesem Komplex und der südlichen Lagergrenze dehnte sich der sogenannte Sortierungsplatz aus, auf den die von den angekommenen Juden abgelegte Kleidung einschliesslich des mitgeführten Gepäcks gebracht und anschliessend dort nach Art und Qualität sortiert wurde. In der Südwestecke des Lagers hinter der bereits erwähnten grossen Sortierbaracke lag anfänglich noch eine grosse Grube, in der die auf dem Transport verstorbenen Juden sowie die bei dem Transport anfallenden Abfälle verbrannt wurden. Östlich davon lag das sogenannte Lazarett.

Das Lazarett war ringsum von einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben, in dem Reisig eingeflochten war, um die Einsicht in das Innere zu verwehren. Im Inneren des Raums, den man durch einen Eingang auf der der Eisenbahnrampe zugewandten Seite betreten konnte, befand sich eine grosse Grube zur Aufnahme von Leichen. Der Erdaushub dieser Grube war zu einem etwa 1 m hohen Wall unmittelbar an der rechten Längsseite der Grube aufgeschüttet. In dieser Grube brannte fast ständig ein Feuer. Des weiteren befand sich im Lazarett eine kleine Bretterbude zum Schutz gegen schlechtes Wetter und eine Sitzbank. Um den Namen Lazarett für diese Einrichtung, die in Wirklichkeit nichts anderes als eine Genickschussanlage war, zu rechtfertigen, trugen die hier Dienst tuenden drei jüdischen Häftlinge Armbinden mit dem Zeichen des Roten Kreuzes. Der jüdische Kapo Kurland trug ausserdem, um einen Arzt vorzutäuschen, einen weissen Kittel. Schliesslich war auch an der bereits erwähnten Bretterbude das Zeichen des Roten Kreuzes sichtbar angebracht.

Von der Frauenauskleidebaracke auf dem Auffangplatz führte ein Weg, der vielfach als "Schlauch", "Weg ohne Rückkehr" oder als "Himmelfahrtsstrasse" beziehungsweise "Himmelfahrtsallee" bezeichnet wurde, in den oberen Teil des Lagers. Dieser Weg, der etwa 80 bis 90 m lang und ca. 4.5 bis 5 m breit war, lief zunächst etwa 30 m senkrecht auf die östliche Lagerseite zu, machte dann einen fast rechtwinkligen Knick und endete genau vor dem Mittelgang des neuen Gaskammergebäudes des oberen Lagers. Er war mit einem mehr als mannshohen Stacheldrahtzaun eingefasst, in dem wiederum so dicht Reisig eingeflochten war, dass eine Einsichtsmöglichkeit von aussen nicht bestand.

Das obere oder Totenlager als der dritte grosse Lagerkomplex nahm den südöstlichen Teil des Lagergeländes ein. Es war der Teil, in dem die eigentliche Vernichtung der jüdischen Menschen stattfand. Er war von dem übrigen Lagergelände durch hohe reisigdurchflochtene Stacheldrahtzäune völlig abgetrennt. Soweit Durchlässe zum Betreten des oberen Lagers vorhanden waren, war durch besondere Sichtblenden auch hier jede Einsichtsmöglichkeit verwehrt. An der westlichen Abgrenzung zum Sortierungsplatz hin verhinderte zusätzlich ein aufgeworfener hoher, mit Gras abgedeckter Erdwall für jeden Unberufenen die Einsicht.

Den Mittelpunkt des Totenlagers bildeten die Gaskammern, in denen die Juden durch die Auspuffgase eines Dieselmotors getötet wurden. Zu Beginn der Massentötungen gab es nur das sogenannte "alte Gashaus". Das aus Ziegelsteinen auf einem Betonfundament errichtete massive Gebäude enthielt 3 Gaskammern, die etwa 4 x 4 m gross und ca. 2.6 m hoch waren, sowie einen Maschinenraum für den Dieselmotor und die Lichtanlage des Lagers. Sämtliche Räume lagen an einem dem Steingebäude vorgebauten Holzkorridor, zu dem man über mehrere Treppenstufen gelangte. Von diesem Korridor aus führten etwa 1.80 m hohe und ca. 90 cm breite Türen in die Gaskammern, die nach Art von Luftschutztüren so gearbeitet waren, dass sie die Kammern nahezu luftdicht abschlossen. Ihnen gegenüber befanden sich in jeder Gaskammer an der Aussenwand aus dicken Holzbohlen gefertigte Klapptüren. Diese waren etwa 2.50 m breit und etwa 1.80 m hoch und konnten nach Art der modernen Garagentüren bei der Öffnung hochgeklappt werden. Sie mündeten auf eine das ganze Gebäude umziehende, etwa 0.70 m über dem Erdboden gelegene breite Betonrampe. Der Boden der Gaskammern war gekachelt und war zur Rampe hin abgeschrägt. Auch die Wände waren zumindest bis zu einer gewissen Höhe ebenfalls gekachelt. An den Decken der einzelnen Kammern befanden sich einige Rohrleitungen und Brauseköpfe. Dadurch sollten die Gaskammern den Eindruck von Duschräumen hervorrufen. Tatsächlich dienten die Rohrleitungen aber zum Einführen der von dem Dieselmotor im Maschinenraum erzeugten Abgase. Eine besondere Beleuchtungsanlage gab es in den Kammern nicht. Schon bald nach der Betriebsaufnahme stellte sich heraus, dass die Kapazität des alten Gashauses nicht ausreichte, um die täglich anfallenden Judentransporte reibungslos zu liquidieren. Man begann daher Ende August / Anfang September 1942 mit dem Bau eines neuen grossen Gashauses, das mehr und grössere Gaskammern enthielt und nach etwa einmonatiger Bauzeit in Betrieb genommen werden konnte.

Auch dieses Gebäude, das zwischen der Einmündung des Schlauchs und dem alten Gashaus errichtet wurde, war aus Ziegelsteinen auf einem Betonfundament massiv gebaut. Fünf breite, an den Seiten mit Blumenschalen dekorierte Steinstufen führten zum Eingang an der Stirnseite des Gebäudes und mündeten in einen breiten Korridor, an dessen beiden Seiten die neuen Gaskammern lagen. Ihre genauen Masse lassen sich nicht feststellen, da weder der Angeklagte Lambert noch seine Mitangeklagten und auch nicht die jüdischen Zeugen hierzu präzise Angaben machen können. Alle sind sich lediglich darin einig, dass die neuen Gaskammern ein etwa doppelt so grosses Fassungsvermögen hatten wie die Kammern des alten Gashauses. Wahrscheinlich waren die neuen Gaskammern also etwa 8 m lang, 4 m breit und 2 m hoch. Darüber welche Masse wirklich zutreffen, hat die Beweisaufnahme ebensowenig eine eindeutige Klärung ergeben wie über die wirkliche Anzahl der neuen Kammern, die von den Angeklagten übereinstimmend und von Anfang an mit 6, von den jüdischen Zeugen jedoch durchweg mit 10 angegeben werden. Darüber, was richtig ist, hat das Schwurgericht sichere Feststellungen nicht treffen können. Während einerseits die Tatsache, dass zur Erzielung einer zügigen Vernichtung grössere und mehr Gaskammern erforderlich waren, den Angaben der jüdischen Zeugen die grössere Wahrscheinlichkeit verleiht, ist auf der anderen Seite aber auch kein Grund dafür ersichtlich, warum die Angeklagten in diesem, für ihre eigene Strafbarkeit unerheblichem Punkte die Unwahrheit gesagt haben sollten, zumal sie sich auch sonst bei der Schilderung der objektiven Lagerverhältnisse nach dem Eindruck des Gerichts durchweg bemüht haben, bei der Wahrheit zu bleiben. Im übrigen entsprach die Einrichtung und Installation der neuen Gaskammern einschliesslich der Türen und Aussenklappen weitgehend derjenigen in den Kammern des alten Hauses. Am Ende des das ganze Gebäude durchziehenden Korridors befand sich der Maschinenraum mit dem Dieselmotor für die Gaserzeugung. Der Giebel an der Stirnwand war mit einem grossen Davidstern verziert. Der Eingang selbst wurde abgeschlossen durch einen schweren, dunklen Vorhang, der offensichtlich aus einer Synagoge stammte und in hebräischer Schrift und Sprache die Inschrift trug: "Dies ist das Tor, durch das die Gerechten eingehen."

Zur Aufnahme der aus den Gaskammern kommenden Leichen der getöteten Juden dienten riesige Gruben, in denen die Leichname reihenweise abgelegt und jeweils mit einer dünnen Sand- oder Chlorkalkschicht abgedeckt wurden. Die in der Hauptverhandlung ermittelten Angaben über Anzahl und Grösse der Leichengruben sind ebenfalls untereinander sehr unterschiedlich. Von der Ausdehnung der Gruben kann man sich jedoch dann eine Vorstellung machen, wenn man hört, dass nach den
Angaben des Angeklagten Suchomel zumindest eine der Gruben nicht weniger als etwa 80000 Leichen enthalten hat.

Der Transport der Leichen zu den Gruben erfolgte zunächst mit Hilfe einer Feldbahn. Da aber die Häftlinge die einzelnen Wagen dieser Bahn stets im Laufschritt fortbewegen mussten und es dabei häufiger dadurch zu Betriebsstockungen kam, dass die Loren aus den Schienen sprangen, kam man von dieser Art der Leichenbeförderung bald wieder ab. Nachdem die Häftlinge die Leichen zunächst eine Zeitlang mit der Hand zu den Gruben hatten schleppen müssen, erfolgte der Transport dann später in der Weise, dass jeweils immer zwei Häftlinge ein oder zwei Leichen auf eine Holzbahre laden und dann im Laufschritt zu den Gruben bringen mussten. Dort wurden die Leichen abgekippt und von einem anderen Kommando sachgemäss abgelegt.

Im Frühjahr 1943 änderte sich die Bestattungsart grundlegend, da man nunmehr dazu überging, sämtliche anfallenden Leichen zu verbrennen. Nachdem man zu diesem Zwecke die verschiedensten Verbrennungsversuche angestellt hatte, wurde schliesslich eine grosse Verbrennungsanlage errichtet. Sie bestand aus etwa 70 cm hohen Betonsockeln, auf denen in geringen Abständen 5 bis 6 Eisenbahnschienen von etwa 25 bis 30 m Länge lagen. Unter den Schienen brannte das Feuer, während die Leichen der in den Gaskammern getöteten Juden in einer Anzahl von 2000 bis 3000 auf den Rost gepackt und dann verbrannt wurden. Als man sah, dass sich dieses System bewährte, wurden auch die in den vorhergegangenen Monaten in die Leichengruben gebrachten Leichname mit Hilfe grosser Greifbagger wieder herausgeholt und dann ebenfalls in der geschilderten Weise verbrannt. Die bei der Verbrennung anfallende Asche, die zuvor nach Knochenresten durchsucht werden musste, wurde mit Erde vermischt und vergraben bzw. zur Auffüllung der ausgeräumten Gruben verwandt. Fanden sich in der Asche noch grössere Knochenreste, so wurden sie kleingestampft oder erneut ins Feuer geworfen. Das freigewordene Grubengelände wurde eingeebnet und mit Lupinen besät, um auf diese Weise die Spuren der Massentötungen zu verwischen. Die genaue Anzahl der Verbrennungsroste hat sich in der Hauptverhandlung ebenfalls nicht genau klären lassen. Fest steht jedoch, dass es mehrere derartiger Anlagen im oberen Lager gegeben haben muss.

Um die für die verschiedenen Arbeiten im oberen Lager eingesetzten Juden unterbringen zu können, gab es auch hier eine besondere durch Stacheldraht eingezäunte und gesicherte Unterkunft mit den entsprechenden Nebenräumen wie Küche, Wäscherei und dergleichen. Neben den männlichen Arbeitsjuden gab es ebenso wie im unteren Lager auch noch ein besonderes Frauenkommando, das insbesondere für die Wäsche der Häftlinge zu sorgen hatte. Die Stärke dieses Frauenkommandos betrug etwa 15 bis 20 Köpfe.

Das Lagerpersonal in Treblinka, das für die reibungslose Durchführung der Massenvernichtungen zuständig war, bestand aus etwa 35 bis 40 Deutschen, die sämtlich die feldgraue Uniform der Waffen-SS trugen und alle zumindest den Rang eines SS-Unterscharführers hatten. Sie entstammten entweder der Waffen- oder der allgemeinen SS, kamen aber auch zum Teil von der Polizei oder waren, soweit es sich um Krankenpfleger und Handwerker handelte, im Wege der Notdienstverpflichtung einberufen worden. Diese Deutschen hatten, jedenfalls soweit es sich um die Angeklagten des vorliegenden Verfahrens handelt, sämtlich als Angehörige der "Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege" auch schon im Rahmen der Euthanasieaktion Verwendung gefunden und sich in den verschiedenen Euthanasieanstalten bewährt. Als Waffen trugen die Angehörigen des deutschen Lagerpersonals in der Regel Pistolen, bei besonderen Anlässen auch Maschinenpistolen. Ausserdem hatten sie sämtlich eine lange Lederpeitsche.

Neben dieser Gruppe des deutschen Lagerpersonals gab es etwa 90 bis 120 ukrainische Hilfsfreiwillige, die in der Hauptsache den Wachdienst wahrzunehmen hatten, daneben aber auch in gewissem Umfange bei den Tötungsaktionen eingesetzt wurden. Im Gegensatz zu den Deutschen trugen sie eine schwarze Uniform, waren mit Karabinern oder Gewehren ausgerüstet und trugen in der überwiegenden Anzahl ebenfalls lange Lederpeitschen, teilweise auch Seitengewehre. Als weitere Waffen standen den Wachmannschaften Maschinengewehre und Handgranaten zur Verfügung, die in einer besonderen Waffenkammer aufbewahrt wurden. Ausserdem gab es in Treblinka auch noch einen Panzerspähwagen.

Vorgesetzter des gesamten Lagerpersonals und verantwortlich für den gesamten Lagerkomplex war der Lagerkommandant, den ein Unterführer als Adjutant oder Stellvertreter in seiner Tätigkeit unterstützte. Die Verwaltungsarbeiten wurden auf der Schreibmaschine durch einen Verwaltungsführer erledigt. Ein Stabsscharführer, etwa dem Hauptfeldwebel oder Spiess bei der regulären Truppe vergleichbar, nahm die Diensteinteilung vor und überwachte die Ausführung. Daneben gab es noch den Chef des unteren Lagers und den Chef des oberen Lagers, die jeweils in ihrem Bereich für das reibungslose Funktionieren der Lagermaschinerie verantwortlich waren.

Die übrigen Angehörigen des deutschen Lagerpersonals wurden so eingesetzt, wie es der Lagerbetrieb gerade erforderte, ohne dass sie jedoch körperliche Arbeit zu verrichten hatten. Sie waren praktisch immer als Kommandoführer tätig. Unter ihrer Leitung hatten sowohl die ukrainischen Hilfswilligen als auch die Angehörigen der ständigen jüdischen Arbeitskommandos, die sogenannten Arbeitsjuden, ihre Arbeiten zu verrichten. Die ukrainischen Mannschaften waren in Züge eingeteilt, denen Volksdeutsche als Zugführer vorstanden. Sie versahen vornehmlich den Wachdienst und zwar nicht nur an den Lagergrenzen und auf den Wachttürmen, sondern unter Aufsicht der deutschen Kommandoführer auch bei den einzelnen Arbeitskommandos innerhalb und ausserhalb des Lagers. Ferner wurden sie bei der Ankunft von Transporten und bei deren Abwicklung mit eingesetzt.

Der erste Lagerkommandant des Vernichtungslagers Treblinka war der im Jahre 1948 durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene SS-Obersturmführer Dr.med. Irmfried Eberl. Er wurde jedoch wenige Wochen nach dem Beginn der Vernichtungen, wahrscheinlich Ende August / Anfang September 1942 wieder abgelöst, weil er seiner Aufgabe nicht gewachsen war und in seinem Lager unbeschreibliche Zustände herrschten, da er immer wieder Juden der Tötung zuführte, bevor die Leichen der bei der vorangegangenen Aktion getöteten Opfer beseitigt bzw. bestattet waren. Die aus den Transportzügen aussteigenden Juden wurden daher schon gleich nach dem Verlassen der Waggons mit Bergen unzähliger, teilweise bereits weitgehend in Verwesung übergegangener Leichen konfrontiert und waren sich deshalb alsbald über ihr bevorstehendes Schicksal im klaren, so dass sie nur unter den grössten Schwierigkeiten der weiteren Abwicklung zugeführt werden konnten.

Nachfolger von Dr. Eberl wurde der SS-Obersturmführer und spätere SS-Hauptsturmführer Franz Stangl, der bis dahin Lagerkommandant in Sobibor gewesen war. Er wurde Ende September / Anfang Oktober 1942 für einige Wochen von einem älteren Polizeioffizier, dem aus Dresden stammenden Hauptmann Schemmel, vertreten, blieb dann aber ununterbrochen bis zum August 1943 in Treblinka.

Am frühen Nachmittag des 2.August 1943 gelang es etwa 400 jüdischen Häftlingen aus dem unteren und dem oberen Lager, darunter auch einigen Frauen, mit Hilfe von Karabinern, Pistolen, Eierhandgranaten und anderen Waffen die ukrainischen und deutschen Wachmänner zu überrumpeln und aus dem Lager zu flüchten. Viele von ihnen wurden jedoch bei der anschliessend einsetzenden Durchsuchung des Gebietes rund um das Lager getötet. Dieser von einem mehrköpfigen Komitee, dem unter anderem die Zeugen Raj. und Wie. sowie der Kapo Kurland angehörten, seit Monaten sorgfältig vorbereitete Aufstand wurde unter anderem deshalb am 2.August 1943 durchgeführt, weil sich ein grosser Teil der Ukrainer wegen der an diesem Tage herrschenden grossen Hitze zum Baden im Bug ausserhalb des Lagers befand. Die Waffen hatten sich die jüdischen Häftlinge durch die Bestechung von Ukrainern mit Geld und Wertsachen besorgt, während sie sich die Munition mit Hilfe eines Nachschlüssels aus dem Munitionsbunker des Lagers verschafft hatten. Es blieben nur noch rund 100 Juden im Lager zurück. Beim Aufstand wurden zahlreiche Lagergebäude von den flüchtenden Juden mit Benzin in Brand gesteckt und dadurch vernichtet. Die alten und die neuen Gaskammern blieben jedoch unbeschädigt. Als nach dem 2.August 1943 noch einige Transporte in Treblinka eintrafen, konnten die Opfer deshalb nach wie vor in dem grossen Gashaus vernichtet werden.

Nach dem Aufstand vom 2.August 1943 blieb Stangl noch einige Tage im Lager. Er wurde aber noch in der ersten Hälfte des Monats August 1943 nach Oberitalien versetzt. Sein Nachfolger wurde der am 21.6.1943 zum SS-Untersturmführer beförderte Angeklagte Franz, der dann das Lager bis zu dessen völliger Auflösung Ende November 1943 leitete.

Der Verwaltungsleiter und der sogenannte "Spiess" der Lagermannschaft und der Ukrainer war der Angeklagte Stadie. Chef des unteren Lagers war der von der Polizei herkommende SS-Hauptscharführer Küttner, der angeblich gegen Kriegsende gefallen sein soll. Chef des oberen Lagers war der Angeklagte Matthes.

Die Angeklagten Mentz, Miete, Suchomel, Münzberger, H. und Ru. waren als Unterführer tätig, während der Angeklagte Lambert beim Bau der neuen Gaskammern und der Errichtung einiger anderer Gebäude eingesetzt war.

Während das deutsche und das ukrainische Lagerpersonal bis auf wenige Ausnahmen lediglich Aufsichts- und Wachfunktionen versah, wurden die körperlichen Arbeiten nur von Juden verrichtet. Für diesen Zweck behielt man im Lager ständig eine grössere Anzahl jüdischer Arbeiter zurück, die man aus den ankommenden Transporten auswählte und nach Bedarf ergänzte. Diese Arbeitsjuden wurden entsprechend der Art ihrer Beschäftigung in verschiedene Gruppen aufgeteilt. So gab es im unteren Lager zunächst die Gruppe der Hofjuden. In ihr waren die Handwerker wie Schneider, Schlosser, Schmiede, Zimmerleute, Schuster aber auch die Friseure und Musiker zusammengefasst, die in den verschiedenen Werkstätten zu arbeiten hatten oder als Musiker zur Lagerkapelle gehörten. Die Goldjuden wurden mit dem Einsammeln, Sortieren und Verpacken von Geld, Devisen und Schmuck oder sonstigen Wertsachen beschäftigt. Sie trugen zur Kennzeichnung gelbe Stoffabzeichen an ihrer Kleidung. Die Angehörigen der blauen Gruppe, die entsprechende Stoffabzeichen trugen, hatten die Aufgabe, den ankommenden Juden beim Aussteigen aus den an der Rampe stehenden Eisenbahnwaggons behilflich zu sein, in den Wagen zurückgebliebene Gepäckstücke zu entfernen und die Waggons nach dem Entladen gründlich zu säubern.

Das mit roten Abzeichen versehene Sortierkommando war die zahlenmässig stärkste Gruppe von Arbeitsjuden überhaupt. Dieses Kommando hatte die Aufgabe, die auf dem Ankunftsplatz zurückgelassene Habe der Angekommenen einschliesslich der auf dem Umschlagplatz abgelegten Kleidungsstücke nach dem nebenangelegenen Sortierungsplatz zu bringen, sie dort zu sortieren, zu verpacken und entweder im Freien auf grossen Bergen oder in der grossen Sortierbaracke sachgemäss zur demnächstigen Verladung zu stapeln. Daneben gab es noch weitere Arbeitskommandos in wechselnder Stärke, die sich mit den verschiedensten Aufgaben zu befassen hatten, wie zum Beispiel dem Strassenbau, der im Lager betriebenen Landwirtschaft, der Anlage und Unterhaltung von Lagergebäuden, der Tarnung der verschiedenen Einfriedigungen, der Wartung der verschiedenen im Lager befindlichen Tiere und so fort. Im oberen Lager gab es zunächst das aus mehreren hundert Personen bestehende Leichenkommando. Dessen Aufgabe war es, die Leichen der getöteten Juden aus den Gaskammern herauszuholen und sie anfänglich zu den Massengräbern, später dann in der bereits geschilderten Weise zu den Verbrennungsanlagen zu transportieren. Daneben gab es besondere Kommandos zum Reinigen der Gaskammern, zur Ablage der Leichen in den Gruben und später zu deren Exhumierung. Ferner waren Kommandos vorhanden zur Durchführung der Verbrennung auf den Rosten, zum Durchsieben der Asche und zum Zerstampfen übriggebliebener Knochenteile.

Eine besonders wichtige Gruppe im oberen Lager waren die sogenannten Dentisten. Ihre Aufgabe war es, die aus den Gaskammern herausgeholten Leichen während des Transports zur Grube bzw. zur Feuerstelle darauf zu untersuchen, ob sie noch Wertgegenstände bei sich hatten und insbesondere Gebisse mit Goldzähnen trugen. Stellten sie dieses fest, so mussten die Leichenjuden mit ihrer Fracht zur Seite treten, damit die Dentisten mit Hilfe grösserer Zangen den Toten die Goldzähne ausbrechen konnten. Die Ausbeute aus dieser Tätigkeit wurde dann später von den Dentisten gesäubert und in gewissen Zeitabständen der Sammelstelle für die Werterfassung zugeführt. Häufiger geschah es auch, dass die Leichen nicht nur auf Zahngold untersucht wurden, sondern dass man auch namentlich bei den Frauen die unteren Körperöffnungen daraufhin inspizierte, ob dort etwa weitere Wertsachen verborgen waren.

Schliesslich gab es auch wie im unteren Lager einige Handwerker zur Erledigung der anfallenden Arbeiten und auch eine Gruppe weiblicher Häftlinge für die Wäscherei.

Jeder jüdischen Arbeitsgruppe stand ein jüdischer Kapo vor, der unmittelbar dem die Aufsicht führenden SS-Mann verantwortlich war. Als Stellvertreter stand ihm ein Vorarbeiter zur Seite. Daneben gab es in jedem Lager noch je einen Oberkapo und schliesslich als Spitze der jüdischen Lagerverwaltung den sogenannten Lagerältesten. Oberkapo im unteren Lager war der Häftling Blau und im oberen Lager der Häftling Singer. Lagerältester war zunächst der aus Warschau stammende Ingenieur Galewski, dann war es der Czenstochauer Rakowski. Nach dessen Tod im Mai 1943 wurde Galewski erneut Lagerältester. Diese mit bestimmten Funktionen beauftragten Häftlinge waren der deutschen Lagerleitung dafür verantwortlich, dass alle Befehle genauestens befolgt wurden und die ganze Organisation reibungslos lief. Dafür brauchten sie selbst an der täglichen körperlichen Arbeit nicht teilzunehmen und hatten auch eine gewisse Disziplinargewalt über ihre Mithäftlinge.

Die Unterbringung der Arbeitsjuden, deren Zahl ständig wechselte, im Durchschnitt aber zwischen 500 und 1000 gelegen haben dürfte, war sehr primitiv. Sie waren im unteren wie im oberen Lager in besonderen Baracken untergebracht, die ausser den als Schlafstätte dienenden Holzpritschen keinerlei Einrichtung aufwiesen. Zur Verrichtung der Notdurft standen den Häftlingen, die während der Nacht in den Baracken eingeschlossen waren, lediglich einige aufgestellte Kübel zur Verfügung. Diese reichten aber kaum aus und erfüllten die Baracken nach und nach mit einem unerträglichen Gestank. Weitere sanitäre Installationen gab es nicht. Eine ärztliche Betreuung und ein Krankenrevier wurden erst ziemlich spät und auch dann noch in völlig unzureichendem Masse eingerichtet. Das einzige Heilmittel, das die Lagerführung ernstlich erkrankten Arbeitshäftlingen zu bieten hatte, war der Tod durch Genickschuss im Lazarett.

Der Tageslauf der Häftlinge begann mit dem Wecken kurz nach Sonnenaufgang. Nach der üblichen Barackenreinigung und einem kärglichen Morgenkaffee folgte das erste Antreten auf dem Appellplatz, der sogenannte Morgenappell. Hierzu mussten die Häftlinge blockweise in Reih und Glied antreten. Nach einer umständlichen Zählprozedur erstattete der jüdische Lagerälteste dem Unterführer vom Dienst Meldung über Kopfstärke, Krankenstand und dergleichen. Der Unterführer vom Dienst gab die Meldung weiter an den jeweiligen Chef des Lagers, der seinerseits an den Lagerkommandanten oder dessen Stellvertreter Meldung erstattete. Im Anschluss an die Meldung erfolgte die Befehlsausgabe und das Abrücken der einzelnen Kommandos zur Arbeit.

Die Arbeitszeit dauerte vom frühen Morgen bis zum Abend. Sie wurde nur durch eine etwa einstündige Mittagspause unterbrochen. Am Abend fand vor dem Einrücken in die Unterkünfte der von allen Häftlingen gefürchtete Abendappell statt. Dieser zog sich häufig mehrere Stunden lang hin, weil bei ihm nicht nur der umständliche Zählappell vom Morgen wiederholt wurde, sondern auch die Kranken und Schwachen sowie die "Gestempelten", das heisst diejenigen Häftlinge, die tagsüber infolge von Schlägen mit der Peitsche oder auf andere Weise durch Striemen und Verletzungen gekennzeichnet worden waren, aussortiert und zur Liquidierung ins Lazarett geschickt wurden. Darüberhinaus wurden regelmässig beim Abendappell auch die Prügelstrafen vollzogen, die wegen irgendwelcher, zum Teil ausgesprochen nichtiger Gründe über einzelne Häftlinge verhängt wurden, sei es, dass sie angeblich nicht genügend gearbeitet hatten, sei es, dass sie irgendeinen Unterführer nicht ordentlich gegrüsst hatten oder sei es, dass sie das sogenannte Treblinkalied nicht singen konnten.

Dieses von dem Angeklagten Franz verfasste und auf seine Anordnung von dem Kapellmeister Gold, dem jüdischen Dirigenten der Kapelle des unteren Lagers, komponierte Lied hatte folgenden Wortlaut:

Frei in die Welt geschaut
Marschieren Kolonnen zur Arbeit.
Für uns gibt es heute nur Treblinka,
Das unser Schicksal ist.

 Wir hören auf den Ton des Kommandanten
Und folgen dann auf seinen Wink.
Wir gehen Schritt und Tritt zusammen für das,
Was die Pflicht von uns verlangt.

 Die Arbeit soll hier alles bedeuten
Und auch Gehorsamkeit und Pflicht,
Bis das kleine Glück
Auch uns einmal winkt.

Die Prügelstrafe, für die es feststehende Normen nicht gab, wurde im unteren Lager auf einem besonderen Prügelbock vollzogen, auf den der betreffende Häftling geschnallt wurde. Geschlagen wurde von den Angehörigen des deutschen Lagerpersonals oder zuweilen auch von den ukrainischen Wachleuten mit den zur Ausrüstung gehörenden Lederpeitschen auf das Gesäss des Häftlings, das in vielen Fällen noch entblösst werden musste. Die Zahl der Schläge betrug je nach der Schwere des angeblichen Delikts und der Laune des die Strafe verhängenden SS-Mannes in der Regel zwischen 25 und 50, ging aber in Einzelfällen über diese Zahl hinaus. Der betroffene Häftling hatte die auf ihn niederprasselnden Schläge laut mitzuzählen. Verzählte er sich oder konnte er vor Schmerzen nicht mehr weiter zählen, begann die Prozedur von neuem, bis es klappte. Diejenigen Häftlinge, die eine derartige Bestrafung nicht ohne Beeinträchtigung ihrer Arbeitskraft durchstehen konnten, kamen anschliessend oder am nächsten Morgen, wenn sie nicht zur Arbeit antreten konnten, ins Lazarett und wurden dort liquidiert.

Auch während der Arbeit waren die Arbeitsjuden ihres Lebens nicht sicher. Sie schwebten ständig in der Gefahr, aus den fadenscheinigsten Gründen von ihren Aufsehern geprügelt oder sonstwie misshandelt, ja sogar erschlagen oder erschossen zu werden. Die Angehörigen des Aufsichtspersonals konnten dabei völlig willkürlich vorgehen. Sie waren niemandem Rechenschaft schuldig, wenn sie einen Häftling, der ihnen aus einem nur irgendwie erdenklichen Grunde aufgefallen war, an Ort und Stelle erledigten oder zum Erschiessen ins Lazarett schickten. Dass unter diesen Umständen alle Arbeitshäftlinge sich ständig grösste Mühe gaben, nicht aufzufallen und vor allem auch nicht krank zu erscheinen und dass dieses Bemühen bei den durch die schwere körperliche Arbeit und durch die mangelhafte Ernährung völlig ausgemergelten und entkräfteten Menschen die allergrösste Konzentration erforderte, um auch nur eine gewisse Zeitlang durchzuhalten, liegt auf der Hand. Neben diesen "Ablösungen" oder "Aussortierungen", wie man in der Lagersprache die Liquidierung der einzelnen Häftlinge nannte, gab es mehrfach auch Selektionen grösseren Ausmasses. Der Anlass konnte verschiedener Art sein. So kam es beispielsweise zu Selektionen, weil durch den zeitweisen Rückgang der abzufertigenden Transporte und der damit verbundenen Verringerung des Arbeitsanfalls ein Teil der Arbeitsjuden überflüssig wurde. Oder aber die Selektionen wurden vorgenommen als Vergeltungsmassnahmen für Angriffe auf Angehörige des Wachpersonals oder wenn eine Verschwörung aufgedeckt worden war oder weil Häftlinge Fluchtversuche unternommen hatten oder was dergleichen Anlässe mehr waren.

Die Behandlung der Arbeitsjuden im unteren wie im oberen Lager war im wesentlichen die gleiche. Auch im oberen Lager fanden die üblichen Appelle statt und waren Misshandlungen, Aussortierungen und Tötungen an der Tagesordnung. Lediglich eine besondere Prügelbank zur Vollziehung der Prügelstrafe gab es dort nicht. Ein ganz anderes Gesicht zeigte das Lager bei der "Freizeitgestaltung". Die deutsche Lagerleitung war mit Zustimmung des Inspekteurs Christian Wirth darauf bedacht, ihren Leuten nach dem Dienst eine ihren Arbeitseifer fördernde Abwechslung zu verschaffen. Während es im oberen Lager nur eine kleine, aus drei bis vier Mann bestehende Musikgruppe gab, bestand im unteren Lager ein Orchester, das von dem seinerzeit in Polen bekannten Kapellmeister Arthur Gold geleitet wurde und das sich aus etwa zehn Berufsmusikern zusammensetzte. Für dieses Orchester gab es bestimmte Übungsstunden. Die Musiker waren während dieser Übungsstunden von jeder Arbeit befreit. Für sie wurde später sogar eine neue, frackähnliche Einheitsbekleidung aus weisser und blauer Seide hergestellt.

In den ersten Wochen der Inbetriebnahme des Lagers spielte das Orchester in der Nähe des Schlauchs flotte Operettenmelodien, um die Schreie der in den Gaskammern befindlichen Opfer zu übertönen. Später wurde das abgeschafft. Das Orchester spielte dann meist beim Abendappell Märsche und polnische und jiddische Volkslieder. Ausserdem trat das Orchester im Jahre 1943 bei grösseren Veranstaltungen (Boxkämpfen, Aufführung von kleinen Schauspielstücken, Tänzen und ähnlichem) in Erscheinung. Das waren makabre Szenen; denn während dieser Veranstaltungen loderten die Flammen der Leichenverbrennungsroste hoch über das Lager zum Himmel. Derartige Belustigungen für die deutsche Lagermannschaft wurden meist von dem Angeklagten Franz organisiert. In der Zeit des Jahres 1943, in der die Transporte nachliessen, wurden sogar mehrere rituelle Hochzeiten zwischen männlichen und weiblichen Häftlingen arrangiert und von der deutschen Lagerbesatzung, die sich einen Spass daraus machte, hierbei zuzusehen, durch Sonderzuteilungen von Esswaren und Getränken gefördert.

Für die deutsche Lagermannschaft gab es Marketenderwaren, insbesondere reichlich Alkohol. Viele der deutschen SS-Leute waren deshalb häufig betrunken. Auch ihre Verpflegung war ausgezeichnet, da die deportierten Juden frische und konservierte Lebens- und Genussmittel mitführten, die sie vor der Vergasung abliefern mussten. Allerdings war auch die Ernährung der Häftlinge, insbesondere im unteren Lager so lange nicht schlecht, als ständig Transporte eintrafen, weil es den Arbeitshäftlingen dann möglich war, sich beim Sortieren der Bekleidung mit abgelieferten Lebensmitteln zu versorgen. Im Lager hatten die deutschen SS-Leute zahlreiche Vergünstigungen. Ihre Zimmer wurden von weiblichen Häftlingen saubergemacht. Ihre Schuhe bekamen sie geputzt. Ihre Uniformen wurden gebürstet und gebügelt. Ihre Wäsche wurde in der Wäscherei gewaschen. Jegliche Sonderwünsche konnten dank der im Lager vorhandenen Werkstätten, in denen Schneider, Schuster, Kürschner, Hemdenmacher, Schlosser und so fort tätig waren, erfüllt werden. So hatte z.B. jeder deutsche SS-Mann Anspruch auf die kostenlose Lieferung eines handgefertigten Zivilanzugs und eines massgefertigten Zivilmantels. Gute Stoffe, die man den Opfern abgenommen hatte, standen hierfür reichlich zur Verfügung.

Ausserdem erhielten die im Lager tätigen deutschen SS-Männer einen der Höhe nach nicht mehr bestimmbaren Sonderzuschlag zum normalen Sold.

Es gab 2 Reitpferde und ein Panjepferd. Von der Möglichkeit zu reiten, machte allerdings nur der Angeklagte Franz Gebrauch. Die Pferde wurden von Häftlingen ebenso sorgfältig gepflegt wie der Hund Barry. Auch die Tiere im Lagerzoo (insbesondere Füchse, Rehe und andere in Polen heimische Tiere) wurden sorgsam betreut. Der Zoo wurde zu einem kleinen Schmuckstück des Lagers ausgestaltet, an dem sich die deutschen SS-Leute erfreuen konnten.

Ausgang und Urlaub für das deutsche Personal waren grosszügig geregelt. Nach dem Ende des Dienstes konnten die deutschen SS-Leute, sofern sie nicht zum Nachtdienst eingeteilt waren, das Lager ohne besondere Formalität verlassen. Der Ausgang bot Gelegenheit, Kontakt zu männlichen und weiblichen Angehörigen des in der Nähe von Treblinka befindlichen deutschen Reservelazaretts in Ostrow aufzunehmen. So unterhielt der Angeklagte Franz freundschaftliche Beziehungen zum Chef dieses Reservelazaretts Dr. Stru., den er duzte. Ausserdem hatte er ein Liebesverhältnis mit der im Ostrower Lazarett tätigen DRK-Hilfsschwester T., der jetzigen Zeugin Neu., mit der er unter anderem eine Wochenendfahrt in das südliche Ostpreussen unternehmen konnte.

Jeder deutsche Mann bekam alle drei Monate je zwei bis drei Wochen Urlaub. Zudem hatten diejenigen Deutschen, die über T4 nach Treblinka gekommen waren, die Möglichkeit, ihren Urlaub gemeinsam mit ihrer Frau in dem Erholungsheim der T4 am Attersee in Österreich zuzubringen. Von dieser Möglichkeit machte zum Beispiel der Angeklagte Matthes Gebrauch.

E. Der Ablauf der Massentötungen

Die Einzelheiten der Massentötungen (sog. Transportabfertigung) waren von Globocnik und seinen Mitarbeitern, insbesondere von Wirth, dem Inspekteur der Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor, genauestens festgelegt. Durch mehrfache Inspektionen überzeugten sich Globocnik und vor allen Dingen Wirth, dass gemäss den von ihnen ausgearbeiteten Richtlinien bei der Massentötung verfahren wurde.

Die Durchführung der Massentötungen wickelte sich nach diesen Richtlinien in Treblinka wie folgt ab:

Die zur Ermordung bestimmten Juden wurden aus den Ghettos der polnischen Städte, insbesondere aus Warschau, Czenstochau, Bialystok, Kielce, aber auch aus Deutschland und anderen Teilen Europas meistens mit der Eisenbahn nach Treblinka transportiert, wobei für die Transporte aus Polen ausnahmslos Güterzüge verwendet wurden. Diese durchweg aus 50 bis 60 Waggons bestehenden Züge wurden, da der Bahnsteig des Lagers nur zur Aufnahme von 20 Waggons ausreichte, dergestalt geteilt, dass jeweils 20 Waggons durch eine Rangierlokomotive rückwärts über das Nebengleis an die Rampe des Lagers gedrückt wurden, während der restliche Teil des Zuges zunächst auf dem Bahnhof Treblinka stehenblieb. Dort verblieben auch das Zugpersonal sowie die Zugbegleitmannschaften, denen aus Gründen der Geheimhaltung jeder Zutritt zum Lager strengstens untersagt war. Sobald die Lokomotive mit dem abgekoppelten Zugteil durch einen Pfiff ihre Ankunft im Lager gemeldet hatte, bezogen im Lager selbst die Wachmannschaften und die jüdischen Arbeitskommandos ihre Plätze. Insbesondere begaben sich die Lagerleitung und möglichst alle SS-Leute zur Bahnhofsrampe, wo auch ein Teil der Ukrainer Aufstellung genommen hatte.

Nach dem Einlaufen der Waggons wurden die Wagentüren geöffnet und die Insassen lautstark aufgefordert, so schnell wie möglich mit ihrem Gepäck auszusteigen. Um bei den Angekommenen den Eindruck zu bestärken, dass es sich bei Treblinka lediglich um einen Umsteigebahnhof für den Weitertransport zur Arbeit im Osten handele, waren auf dem Bahnsteig oder in dessen unmittelbarer Nähe grosse Schilder in deutscher und polnischer Sprache aufgestellt, auf denen es sinngemäss hiess:

Achtung Warschauer Juden!

Ihr befindet Euch hier in einem Durchgangslager, von dem aus der Weitertransport in Arbeitslager erfolgen wird. Zur Verhütung von Seuchen sind sowohl Kleider als auch Gepäckstücke zum Desinfizieren abzugeben.
Gold, Geld, Devisen und Schmuck sind gegen Quittung der Kasse zu übergeben. Sie werden später gegen Vorlage der Quittungen wieder ausgehändigt.
Zur Körperreinigung haben sich alle Ankommenden vor dem Weitertransport zu baden.

Ausserdem hielt - zumindest in der ersten Zeit der Massentötungen - oftmals ein Angehöriger des deutschen Lagerpersonals eine Ansprache an die auf dem Bahnhofsvorplatz versammelten Menschen, in der er sinngemäss das gleiche ausführte, was auf den Schildern stand. Darüberhinaus forderte er alte, kranke, gebrechliche oder aus sonstigen Gründen nicht mehr gehfähige Personen auf, sich notfalls mit Hilfe von Angehörigen des jüdischen Arbeitskommandos zum Lazarett zu begeben, wo ihnen ärztliche Hilfe zuteil werden würde. Im Vertrauen auf diese Erklärung meldeten sich nach der Ankunft jeden Transportes zahlreiche Personen für eine Behandlung im Lazarett. Sobald diese Menschen jedoch dort angekommen waren, mussten sie sich nackt ausziehen. Sie wurden entweder nebeneinander auf den sich an der Längsseite der Grube entlang ziehenden Erdwall gesetzt oder aber an den Rand der Grube gelegt und dann durch die im Lazarett diensttuenden Wachmannschaften erschossen. Die Tötung erfolgte zunächst durch Erschiessen mit dem Karabiner oder dem Gewehr. Später gab es jedoch ausnahmslos nur den Genickschuss mit der Pistole. Das hatte Wirth selbst angeordnet. Er machte es dem Angeklagten Mentz persönlich vor, indem er einige Juden durch Genickschuss im Lazarett tötete. Die auf dem Erdwall nebeneinander sitzenden Opfer hatten ihr Gesicht der Grube zugewandt und mussten so noch vor ihrer Tötung mitansehen, wie die Leichen der vorangegangenen Opfer in der Grube brannten und schwelten. Die Erschiessungen im Lazarett wurden durchweg von den deutschen Unterführern vorgenommen. Doch kam es bei grösserem Betrieb auch vor, dass Ukrainer zur Unterstützung herangezogen wurden.

Mit diesem barbarischen Tötungsverfahren wurde zweierlei bezweckt. Einmal sollten die Opfer durch die Vortäuschung der ärztlichen Behandlung weiter in ihrem Irrtum bestärkt werden, es handele sich in der Tat um eine Umsiedlungsaktion. Zum anderen sollte durch die Aussonderung der Kranken und Gebrechlichen der reibungslose Ablauf der Massenvernichtung im übrigen sichergestellt sein.

Diejenigen Opfer, die nicht für eine Sonderbehandlung im Lazarett in Betracht kamen, wurden nach dem Verlassen der Waggons in den Umschlagplatz genannten Raum zwischen der Frauenauskleidebaracke und der kleineren Sortierbaracke gebracht. Durch entsprechende Befehle der in diesem Bereich diensttuenden Wachmannschaften, die ihre Anweisungen durch Schreien, Schlagen und häufig auch durch Abgabe von Schüssen den notwendigen Nachdruck verliehen, wurden die Frauen und kleinen Kinder von den Männern und Jugendlichen getrennt. Die ersten wurden in die Auskleidebaracke getrieben, während die letzteren zunächst auf dem Umschlagplatz verblieben. Anschliessend mussten sich alle Ankömmlinge entkleiden, ihre Kleidungsstücke zu kleinen Bündeln zusammenlegen, die Strümpfe in die Schuhe stecken und die Schuhe mit einem ihnen durch einen Arbeitshäftling ausgehändigten Bindfaden zusammenbinden. Gleichzeitig begann die Werterfassung, bei der alle Barmittel, Gold und Schmucksachen sowie alle Dinge von besonderem Wert, wie Füllhalter, Brillen, Uhren und dergleichen an die sogenannten Goldjuden abgeliefert werden mussten, die für die restlose Erfassung aller dieser Sachwerte zuständig waren. Nach dem Entkleiden und der Ablieferung der Wertsachen mussten die Frauen am Kopfende der Baracke die sogenannte Friseurstube passieren, wo ihnen durch die Angehörigen des Friseurkommandos die Köpfe geschoren wurden. Die Haare wurden gesammelt und nach entsprechender Behandlung ebenso wie alle übrigen im Lager anfallenden Sachwerte dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS zur weiteren Verwertung zur Verfügung gestellt.

Nach dem Passieren der Friseurstube gelangten die Frauen, die man häufig mit dem Hinweis, das Wasser werde schon kalt, zur grössten Eile antrieb, in den schon früher beschriebenen Schlauch und traten damit den Weg zur endgültigen Vernichtung an.

In der Zwischenzeit erfolgte bei den auf dem Umschlagplatz verbliebenen Männern eine weitere Selektion. Die kräftigsten und stärksten Männer wurden ausgesucht und den verschiedenen Arbeitskommandos in den einzelnen Lagerteilen, sei es als Ersatz für andere Häftlinge, sei es als zusätzliche Arbeitskräfte, zugewiesen. In der ersten Zeit verschafften diese Selektionen den ausgesuchten Menschen nur eine ganz geringe Überlebenschance, da sie nach Erledigung der ihnen aufgetragenen Arbeiten häufig alsbald doch der Vernichtung zugeführt wurden. Erst in der späteren Zeit, als die Lagerleitung erkannte, dass gut eingearbeitete Kommandos für den reibungslosen Ablauf der Vernichtungsmaschinerie von Vorteil waren und den Bewachungsmannschaften ihre Aufgaben erleichterten, stieg auch die Aussicht der Arbeitsjuden, doch wenigstens noch eine gewisse längere Zeit am Leben zu bleiben. Die nach den Selektionen für die Vernichtung übrig gebliebenen Männer und Jugendlichen wurden alsdann ebenfalls in den Schlauch geschickt, den sie durch einen besonderen Zugang am Kopfende der Frauenauskleidebaracke betreten mussten.

Von nun an war die Behandlung der Opfer immer die gleiche, ohne Rücksicht darauf ob es sich um Frauen oder um Männer handelte. Um den Menschen keine Zeit zur Überlegung und zu einem eventuellen Widerstand zu lassen, wurden sie jetzt von den im Schlauch postierten Bewachungsmannschaften mit Stock- und Peitschenschlägen, mit Kolbenhieben und Faustschlägen durch den Schlauch gejagt, den sie in Vierer- und Fünferreihen völlig nackt und mit erhobenen Händen durchlaufen mussten, um anschliessend in die Gaskammern getrieben zu werden. Das Fassungsvermögen der einzelnen Gaskammern wurde dabei bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt. Unter ständigen Schlägen und Misshandlungen wurden so viele Menschen hineingepresst, dass für sie überhaupt keine Bewegungsfreiheit mehr blieb. Säuglinge und kleine Kinder wurden dabei häufig über die Köpfe der in den Kammern stehenden Erwachsenen hinweg einfach in die Räume hineingeworfen. Wenn schliesslich überhaupt niemand mehr hineinging, wurden die Türen der Kammern geschlossen und der deutsche Kommandoführer gab, zum Beispiel mit dem Zuruf "Iwan, Wasser!", dem Ukrainer im Motorenraum den Befehl, den Motor anzuwerfen, dessen Abgase dann in die Kammern geleitet wurden. Der Vernichtungsvorgang selbst dauerte etwa 30 bis 40 Minuten. Dann wurde der Motor abgestellt und durch Abhorchen an den Türen festgestellt, ob sich im Innern der Kammern noch Leben regte. War dies nicht der Fall, wurde der Befehl zum Öffnen der an den Aussenwänden angebrachten Klapptüren gegeben und mit dem Transport der Leichen begonnen. Zeigte sich, was hin und wieder vorkam, noch nach Beendigung der Vergasung gleichwohl bei dem einen oder anderen Opfer Leben, so wurde es entweder noch auf der Rampe oder auf dem weiteren Wege zur Grube bzw. später zum Verbrennungsrost von dem deutschen Kommandoführer oder einem Angehörigen der ukrainischen Wachmannschaften erschossen. Ferner wurden auch solche Ankömmlinge direkt an den Leichengruben erschossen, die wegen Überfüllung der Gaskammern übriggeblieben waren und für die, weil es sich nur noch um eine geringe Anzahl von Opfern handelte, eine neue Vergasung zu aufwendig gewesen wäre.

Während der Ausräumung der Gaskammern und deren Reinigung durch die Angehörigen des sogenannten Säuberungskommandos mussten die nachfolgenden Opfer in einer Entfernung von etwa 50 bis 60 Metern vor den Gaskammern darauf warten, dass auch sie an die Reihe kamen. Die Einsicht in das Gebäude selbst war ihnen im alten Gashaus durch eine Tür, bei den neuen Gaskammern durch den schon beschriebenen dunklen Vorhang verwehrt, der während des Vergasungsvorgangs vor den Eingang gezogen wurde. Dieses Warten auf die nächste Füllung der Kammern war besonders qualvoll, da die nachfolgenden die Schreckensschreie und das Jammern der in den Kammern befindlichen Personen hörten und über ihr eigenes ihnen unmittelbar bevorstehendes Schicksal nun auch nicht mehr den geringsten Zweifel haben konnten. Diese Qual erreichte ihren Höhepunkt, wenn, wie es zumindest im Anfang häufiger vorkam, der Motor versagte und es geraume Zeit bis zur Wiederinbetriebnahme dauerte.

Wieviele Personen jeweils durch eine Vergasungsaktion erfasst wurden, hat sich in der Hauptverhandlung nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Die Angaben sowohl der einzelnen Angeklagten als auch der gehörten jüdischen Zeugen darüber, wieviele Menschen jeweils in eine Kammer gepresst wurden, gehen ebenso auseinander wie darüber, wieviele Kammern jeweils auf einmal in Betrieb genommen wurden. Wägt man die einzelnen Angaben gegeneinander ab, so dürfte nur soviel eindeutig feststehen, dass einmal nicht alle 6 bzw. 10 Kammern des neuen Gashauses auf einmal in Betrieb waren, und dass zum anderen das Fassungsvermögen der einzelnen benutzten Kammern bis zum alleräussersten ausgenutzt wurde. Ein angenommenes Fassungsvermögen von etwa 200 bis 350 Menschen je Gaskammer im alten Haus und etwa 400 bis 700 Menschen je Gaskammer im neuen Haus durfte nach allem am wahrscheinlichsten sein.

Die Zeit zwischen der Ankunft eines Transportes auf der Bahnhofsrampe und der völligen Vernichtung der mit ihm ins Lager gekommenen Menschen betrug im Regelfalle nicht mehr als etwa 1 1/2 Stunden. Das ergibt sich auch aus den erhalten gebliebenen Fahrplänen der Generaldirektion der Ostbahn, wonach in vielen Fällen zwischen dem Zeitpunkt des Eintreffens und der Abfahrt des bereits wieder völlig ausgeladenen und gesäuberten Zuges nicht mehr als 2 1/2 bis 3 1/2 Stunden vorgesehen waren mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese Planzeiten unbedingt einzuhalten seien.

Dass diese Planzeiten nicht nur auf dem Papier standen, sondern auch tatsächlich eingehalten worden sind, wird klar, wenn man überlegt, dass jedenfalls in den Zeiten des Hochbetriebes täglich drei, ja mitunter auch vier und fünf Transportzüge mit ihrer schaurigen Fracht ankamen und abgefertigt werden mussten. Da die einzelnen Transporte durchschnittlich 6000 Personen heranbrachten, ist klar, dass die planmässige Abfertigung, mit anderen Worten also die reibungslose und pünktliche Durchführung der Massenvernichtung ein Hauptanliegen der Lagerleitung wie des gesamten deutschen Lagerpersonals sein musste und in der Tat auch war.

F. Die Grundlage der Feststellungen

Der im Ersten Teil festgestellte Sachverhalt beruht
1. auf den Angaben der Angeklagten, soweit ihnen gefolgt werden kann,
2. auf den Aussagen, soweit man ihnen Glauben schenken kann, der unvereidigt gebliebenen Zeugen Rechtsanwalt A., Angestellter O., Kaufmann Hä., Bilanzbuchhalter M., Kaufmann L., Prokurist R., Angestellter v. He., Handelsvertreter W., emeritierter Universitätsprofessor Dr. Pf., Einrichter N., Kontrolleur F., Krankenpfleger U., Schlosser D., Kellner Josef Oberhauser, Kraftfahrer Erich Bauer, Krankenpfleger G., Vizepräsident der Bundesbahndirektion Kassel Z., Bundesbahnoberrat Ri., Amtsrat St., Bundesbahndirektor Za., Zugführer S., Bundesbahnoberinspektor a.D. Pi., Bundesbahnobersekretär We., Zugführer Sc., Oberzugführer K., früherer Kriminalrat Hei., Angestellter Sch., Kraftfahrzeugmeister Fu., Hausmeister J., Nachtportier Bo., Maurer La., Amtsrat der polnischen Staatseisenbahn Zab., Angestellter Str., Angestellter Bi., Angestellte Ra., Schlosser Josef Hirtreiter, Rentner Gi., Kaufmann Le., Angestellter Ge., Schlosser Pa., Textiltechniker Rei., Stenotypistin Irmgard Franz, Dekorateur Wa., Schauspieler Th. und Ingenieur Pos.,
3. auf den beschworenen und glaubhaften Aussagen der Zeugen Brenner Ki., Kaufmann Gie., Kaufmann Ko., Studienrat Wes., Ingenieur Ley., Landgerichtsrat Schw., Kaufmann Ja., Sägewerksleiter Raj., Angestellter Au., Klempner Oscar Stra., Frisör Bom., Bügler Rap., Ingenieur Gl., Frisör Pla., Beamter Sz., Staatsangestellter Li., Hafenlagerist Ros., Schlosser Tai., Anstreicher Hell., Magazinverwalter Lak., Mechaniker Tu., Bautechniker Koh., Schlosser Ku., Büroangestellte Lew., Kaufmann Jan., Hoteldirektionsassistent Sed., Metzger Roj., Geschäftsführerstellvertreter Sp., Hausfrau Ka., Metzger Wei., Textilkaufmann Ma., Bibliothekar Pfo., Polsterer und Dekorateur Zi., Kaufmann Kols., Schneider Lach., Obsthändler Br., Hausfrau Su., Kaufmann Do., Braumeister Un., Geschäftsführer Zygmund Stra., Textilkaufmann Bu., Metzger Schnei. und Metzger Go.,
4. auf den sämtlich eidlich erstatteten Gutachten über "SS und Polizei im NS-Staat" durch den wissenschaftlichen Referenten am Institut für Zeitgeschichte in München Dr. Buch., über "Die Judenverfolgung durch das NS-Regime" durch den Bibliotheksrat und Lehrbeauftragten an der Universität Göttingen Dr. Ser., über "Die nationalsozialistische Judenverfolgung im Generalgouvernement" durch den Dozenten für Zeitgeschichte an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg von Krann., über "Die Zahl der Opfer im Vernichtungslager Treblinka" durch den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München Dr. Kraus. und über "Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens im Dritten Reich" durch den Marburger Universitätsprofessor Dr.Dr. E. sowie
5. auf den verlesenen, in den Terminprotokollen namentlich bezeichneten Urkunden, die dem Schwurgericht in Fotokopie oder Abschrift vorgelegen haben und deren Übereinstimmung mit den Originalen keinem Zweifel ausgesetzt ist.

Zweiter Teil: Die Persönlichkeit der Angeklagten und ihr Verhalten im Vernichtungslager Treblinka

A. Der Angeklagte Franz

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 17.Januar 1914 in Düsseldorf als Sohn eines Kaufmanns geborene Angeklagte Franz hat noch eine in Wuppertal lebende verheiratete Schwester. Er besuchte 8 Jahre lang in Düsseldorf die Volksschule. Er war zunächst als Laufbote tätig. Im Jahre 1929 begann er im Restaurant "Hirschquelle" in Düsseldorf eine Kochlehre und setzte sie im "Wittelsbacher Hof" fort, legte aber eine Gehilfenprüfung nicht ab.

Nach dem Tode seines Vaters hatte seine Mutter im Jahre 1928 zum zweiten Mal geheiratet. Sein inzwischen ebenfalls verstorbener Stiefvater war "deutschnational" mit einer besonderen Vorliebe für das Preussisch-Militärische eingestellt. Seine Mutter, eine strenggläubige Katholikin, lebt jetzt in einem Velberter Altersheim.

Franz war etwa ein halbes Jahr Mitglied der Kyffhäuser-Jugend, bevor er sich im Oktober 1932 zu einem vom Stahlhelm eingerichteten Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) in Ratingen meldete. Von hier aus kam er im Frühjahr 1934 zu einem Lager des Arbeitsdienstes in Bad Honnef. Im Oktober 1934 verliess er den Arbeitsdienst mit dem Rang eines Truppführers. Anschliessend war er bis Oktober 1935 als Volontär bei dem Metzgermeister Stollmann in Düsseldorf-Oberkassel tätig. Im Oktober 1935 wurde er zur Ableistung seines Wehrdienstes zum Artillerieregiment 6 in Minden eingezogen. Während seiner aktiven Dienstzeit arbeitete er zeitweise als Koch. Als er nach zwei Jahren aus dem Wehrdienst entlassen wurde, hatte er den Dienstgrad eines Oberkanoniers.

Bereits während seiner Dienstzeit bei der aktiven Truppe hatte der Angeklagte sich um die Aufnahme in die SS-Wachtruppe beworben. Er wurde angenommen und kam zur 3. SS-Totenkopfstandarte Thüringen. Er war zunächst in Frankenberg und später in Weimar und Buchenwald stationiert. Nach der üblichen Grundausbildung fand er Verwendung als Rekrutenausbilder und als Koch. Zeitweise war er auch zum Wachdienst im Konzentrationslager Buchenwald eingesetzt. Am 30.Januar 1938 wurde er zum SS-Sturmmann, am 9.November 1938 zum Rottenführer und am 30.Januar 1940 zum SS-Unterscharführer befördert. Gegen Ende 1939, etwa im Oktober oder November 1939, wurde er mit seinen SS-Kameraden Jirmann und Floss nach Berlin in Marsch gesetzt, wo er sich auf der Dienststelle des Reichsärzteführers in der Vossstrasse melden musste. Durch den damaligen SA-Standartenführer Blankenburg wurden der Angeklagte und seine Begleiter über die vom Führer angeordnete Euthanasieaktion unterrichtet und anschliessend der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege zugeteilt, zu deren Aufgabe die Realisierung des sogenannten Euthanasieprogramms gehörte. In der Folgezeit war der Angeklagte in den Heil- und Pflegeanstalten Grafeneck in Württemberg, Hartheim bei Linz an der Donau, Sonnenstein bei Pirna in Sachsen und Brandenburg an der Havel nach seiner unwiderlegten Einlassung als Koch tätig. Um die Jahreswende 1941/42 wurde er zur Kanzlei des Führers versetzt und arbeitete als Koch in einer Küche dieser Dienststelle auf der Wilhelmstrasse 40.

Im Frühjahr 1942 wurde der Angeklagte, der inzwischen SS-Scharführer und am 20.April 1942 schliesslich SS-Oberscharführer geworden war, im Rahmen der Aktion Reinhard von Berlin nach Lublin zur Dienststelle des SS- und Polizeiführers Globocnik abkommandiert und zunächst der Wachmannschaft des Vernichtungslagers Belzec zugeteilt. In Belzec blieb er bis zum Hochsommer, um dann zum Vernichtungslager Treblinka zu kommen. Nach der Auflösung des Lagers Treblinka kam der Angeklagte, der auf die ausdrückliche Anweisung Himmlers am 21.Juni 1943 wegen seiner besonderen Verdienste um die Aktion Reinhard zum SS-Untersturmführer befördert worden war, über Berlin als Ausbilder zur Landesschutzschule Triest in Oberitalien und etwa 2 bis 3 Monate später nach Görz, wo er eine neue Landesschutzschule einrichten sollte. Gegen Ende 1944 wurde der Angeklagte bei der Partisanenbekämpfung verwundet.

Nach der Genesung war er eine Zeitlang Sicherheitsoffizier für die Bahnlinie Görz - Triest. Bei Kriegsende setzte er sich zu Fuss nach Deutschland ab und begab sich zu seiner nach Arnstadt in Thüringen evakuierten Ehefrau. Schliesslich geriet er in Thüringen in amerikanische Gefangenschaft, aus der er jedoch bald wieder entfliehen konnte. Er kehrte in seine Heimatstadt Düsseldorf zurück und meldete sich hier bereits am 26.Juni 1945 unter seinem richtigen Namen beim Arbeitsamt. In den nächsten drei Jahren war er als Brückenbauarbeiter tätig. Seit 1949 bis zu seiner Verhaftung am 2.Dezember 1959 arbeitete er wieder als Koch.

Der Angeklagte Franz ist seit 1940 kinderlos verheiratet. Jedoch ist er Vater von vier unehelichen Töchtern, die aus Beziehungen zu vier verschiedenen Frauen hervorgegangen sind. Der Angeklagte Franz war Mitglied der SS (SS-Nummer 319 906), aber weder Mitglied der NSDAP noch einer ihrer sonstigen Gliederungen. Er behauptet, nicht aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten zu sein, bezeichnet sich jedoch in seinen SS-Personalunterlagen seit 1938 als gottgläubig. Ein Entnazifizierungsverfahren hat gegen ihn nicht stattgefunden.

II. Sein Aufgabengebiet im Vernichtungslager Treblinka

In Treblinka, wo infolge der Unfähigkeit des ersten Lagerkommandanten Dr. Eberl die gesamte Vernichtungsmaschinerie durcheinandergeraten war und alles drunter und drüber ging, übernahm der Angeklagte zunächst die Führung der ukrainischen Wachmannschaften und brachte diesem "wilden Haufen", wie er sich ausdrückte, erst einmal militärische Zucht und Ordnung bei. Dabei liess er es aber nicht bewenden, sondern kümmerte sich schon bald um den gesamten Lagerbetrieb, den er mit und unter der Leitung Wirths neu aufbaute und durchorganisierte. Er kümmerte sich dabei um alles, was im Lager vor sich ging, und stieg gar bald zum Stellvertreter des Lagerkommandanten auf. In dieser Eigenschaft hatte er alle Zügel in der Hand und auf den ganzen Ablauf des Lagergeschehens einen uneingeschränkten Einfluss, zumal der Nachfolger von Dr. Eberl, der spätere SS-Hauptsturmführer Stangl, sich um den äusseren Dienstbetrieb nur wenig oder fast gar nicht kümmerte und sich draussen kaum sehen liess. Franz nahm tatkräftig an allen im Lager anfallenden Arbeiten Anteil, inspizierte die Lagereinrichtungen im unteren wie im oberen Lager sowie die verschiedenen Arbeitskommandos.

Bei der Ankunft von Transporten traf der Angeklagte nicht nur die Massnahmen zu verstärkten Sicherheitsvorkehrungen, sondern griff auch persönlich bei dem Entladen der Züge, der Selektion der alten, kranken und gebrechlichen Personen mit ein, suchte unter den Ankömmlingen Arbeitsjuden aus und beaufsichtigte die Abfertigung der Transporte auf dem Umschlagplatz, das Entkleiden der Opfer und ihre Weiterleitung durch den Schlauch bis in die Gaskammern. Leisteten die Juden seinen Befehlen dabei nicht schnell genug Folge oder zeigten sich sonst Widerstände, so schlug er brutal mit der Peitsche oder der Faust auf die bedauernswerten Opfer ein, hetzte den Hund Barry auf die Menschen oder verschaffte mit der Pistole seinen Worten und seinem Willen den erforderlichen Nachdruck. Alles in allem nutzte der Angeklagte, der wegen seines hübschen Gesichts, seiner guten Figur und seines gepflegten Äusseren bei den jüdischen Häftlingen den polnischen Spitznamen Lalka hatte, was in deutsch Puppe bedeutet, die ihm zur Verfügung stehende Machtfülle in einer furchtbaren und hemmungslosen Weise aus, um das vom Führer gesetzte Endziel der restlosen Vernichtung der jüdischen Menschen in seinem Machtbereich mitverwirklichen zu helfen und den nach Treblinka verschleppten Juden die kurze Spanne ihres Lebens, die ihnen hier noch zur Verfügung stand, zur qualvollen Hölle zu machen. Er offenbarte dabei einen derartigen Sadismus und eine solche Missachtung allen jüdischen Lebens, dass die menschliche Phantasie kaum ausreicht, um sich die von ihm oder unter seiner Leitung und Mitwirkung verübten Untaten überhaupt vorstellen zu können. Er bezeichnete die im Lager befindlichen Juden als "Arschlöcher", als "Dreck", als "Scheisse" und als "Hunde", die so bald und so gründlich wie möglich beseitigt werden müssten. Irgendeine Achtung vor dem Leben und der Persönlichkeit seiner Opfer war ihm völlig fremd. Er misshandelte, boxte, prügelte und tötete, wenn es ihm Spass machte und wenn er gerade dazu aufgelegt war. Er fand nichts dabei, wenn sein Hund Barry sich auf seinen Zuruf auf die hilflosen Juden stürzte, sie zu Boden warf und sie in seiner Anwesenheit verletzte und zerfleischte. War ein Häftling infolge dieser Misshandlungen nicht mehr arbeitsfähig, so erschoss ihn Franz auf der Stelle oder liess ihn zur Liquidierung ins Lazarett bringen, wenn ihm aus irgendwelchem Grunde nicht danach zumute war, die Erschiessung selbst vorzunehmen.

Demgemäss war der Angeklagte Franz der Schrecken des ganzen Lagers. Sobald er sich zu Fuss, zu Pferde oder auf dem Fahrrad im Lager sehen liess, warnte einer den anderen vor seinem Kommen, weil man wusste, dass jetzt wieder irgendeine Misshandlung oder Tötung fällig sein würde. Jeder Häftling, mochte er noch so krank oder schwach sein, erhöhte seinen Arbeitseifer und bemühte sich, einen möglichst günstigen Eindruck zu machen, um nur ja nicht aufzufallen. Gleichwohl fand der Angeklagte immer wieder Gründe, um jüdische Häftlinge zu misshandeln und zu quälen und sie sogar entweder an Ort und Stelle zu töten oder zum Lazarett zur Erschiessung zu schicken. Besonders gefürchtet war seine Anwesenheit bei den täglichen Appellen, wo er sehr häufig in grossem Umfang Selektionen vornahm, um die Kranken und nicht mehr voll Arbeitsfähigen für die Liquidierung im Lazarett auszusuchen oder als Vergeltung für irgendwelche Fluchtversuche, Verstösse gegen die Lagerdisziplin oder sonstige Nichtigkeiten. In zahlreichen Fällen verhängte er auch die Prügelstrafe und vollzog sie eigenhändig auf dem dafür vorgesehenen Prügelbock. Dabei beschimpfte und bedrohte er sowohl die bedauernswerten Opfer als auch die angetriebenen Arbeitshäftlinge in der gemeinsten und unflätigsten Weise und machte aus allem eine grosse Schau, die Furcht und Schrecken verbreitete und in der der Angeklagte sich selbst bestätigen wollte.

Wieviele Menschen in Treblinka durch die Hand des Angeklagten Franz oder durch seine unmittelbare Veranlassung zu Tode gekommen sind, ist mit Sicherheit nicht mehr feststellbar. Fest steht nur, dass diese Zahl nicht gering ist und der Angeklagte durch sein Verhalten im Lager eine grosse Blutschuld auf sich geladen hat. Ein grosser Teil der Ströme von Blut und Tränen, die in Treblinka geflossen sind, geht allein auf sein Konto.

III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seinen Aufgaben in Treblinka

Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Franz beruhen auf seiner insoweit glaubhaften Einlassung in Verbindung mit den verlesenen Dokumenten, insbesondere den Unterlagen des Document Center in Berlin.

Die Feststellungen über die Dauer seines Aufenthalts und seine Tätigkeit in Treblinka dagegen folgen aus den Angaben seiner Mitangeklagten und aus den uneidlichen Bekundungen der Zeugen Hausmeister J., Angestellter Sch., Kellner Josef Oberhauser und Stenotypistin Irmgard Franz, der Ehefrau des Angeklagten, soweit man ihnen folgen kann, sowie schliesslich aus den eidlichen Aussagen der Zeugen Nervenarzt Dr. Stru., Ingenieur Gl., Angestellter Au., Kaufmann Ja., Hoteldirektionsassistent Sed., Kaufmann Kols., Schlosser Tai., Mechaniker Tu., Kaufmann Jan., Schlosser Ku., Frisör Bom. und Angestellte Lew., soweit das Gericht ihnen folgen kann.

Dazu lässt der Angeklagte Franz sich wie folgt ein:

Er sei erst am 1.November 1942 vom Lager Belzec zum Sonderkommando Treblinka gekommen, dem er bis zum 2.Oktober 1943, nicht aber bis Ende November 1943 angehört habe. Während seines Aufenthaltes in Treblinka sei er lediglich der Führer der ukrainischen Wachmannschaften gewesen und habe in dieser Eigenschaft mit Erfolg versucht, dieser Einheit Zucht und Disziplin beizubringen. Mit der Vernichtung der Juden habe er nur insoweit zu tun gehabt, als es sich um die Bewachung des Lagers durch die Ukrainer und die Aufstellung verstärkter Posten bei der Ankunft und Abfertigung von Transporten gehandelt habe. Vertreter oder Adjutant des Lagerkommandanten sei er nie gewesen und habe sich diese Stellung auch nicht angemasst. Infolgedessen habe er auch niemals den SS-Leuten des Lagerpersonals oder den jüdischen Kapos und Arbeitshäftlingen irgendwelche Befehle erteilt. Insbesondere habe er die Juden nicht geschlagen und gequält oder gar getötet. Sein Bestreben sei es vielmehr stets gewesen, sich von diesen Dingen, die er aus tiefster Seele verabscheut habe, soweit wie möglich zu distanzieren. Dieserhalb sei er auch mit Wirth aneinandergeraten, auf dessen Befehl er einmal auf der Schreibstube und ein zweites Mal beim Appell einen Juden habe schlagen müssen. Um den Juden ihr schweres Los zu erleichtern, habe er alles getan, was in seiner Macht gestanden habe. So habe er unter anderem am Tage seiner Ankunft in Treblinka entgegen dem Befehl Wirths ein Kommando von Arbeitsjuden nicht der Vernichtung zugeführt, sondern sie in die Baracken geschickt und so vor dem sicheren Tod bewahrt. Dass der Aufstand vom 2.August 1943 überhaupt geglückt sei, sei im wesentlichen sein Verdienst; denn er habe den ihm befreundeten jüdischen Zahnarzt Dr. Rebschütz darauf hingewiesen, dass an diesem Tage die Gelegenheit zur Flucht günstig sei, weil er selbst von Treblinka abwesend sein werde und die meisten der ukrainischen Wachmannschaften zum Baden an den Bug gehen würden. Wirth habe ihm nach dem Aufstand denn auch vorgeworfen, für die Flucht der Juden verantwortlich zu sein, und ihm mit Einsperren und Kriegsgericht gedroht. Nach der Versetzung Stangls seien lediglich noch Aufräumungsarbeiten, aber keinerlei Vernichtungsaktionen mehr durchgeführt worden. Er, Franz, könne daher auch nicht als Kommandant eines Vernichtungslagers, sondern allenfalls als Führer eines Nachkommandos bezeichnet werden. Die Erschiessung der letzten Arbeitsjuden habe er am 1. oder 2.Oktober 1943 auf ausdrücklichen Befehl Globocniks durchführen müssen, der ihm diese Massnahme telefonisch durchgegeben und sich mehrfach nach der Ausführung erkundigt habe, so dass ihm, Franz, letzten Endes nichts anderes übrig geblieben sei, als dem Befehl Folge zu leisten. Er selbst habe sich in keinem Falle an der Liquidierung beteiligt. Alle gegen ihn erhobenen Beschuldigungen seien üble Verleumdungen, die jeder realen Grundlage entbehrten. Aus irgendeinem Grunde wolle man ihn für die Dinge verantwortlich machen, mit denen er aber auch nicht das Geringste zu tun habe. Warum man gerade ihn beschuldige, hänge möglicherweise damit zusammen, dass er sich im Lager stets einer guten soldatischen Haltung befleissigt habe und dadurch, dass er ein Reitpferd benutzt und sich in Begleitung des Hundes Barry, der im übrigen ein völlig harmloses und gutmütiges Tier gewesen sei, im Lager bewegt und so vielleicht mehr als seine Kameraden im Blickpunkt der Juden gestanden habe.

Noch wahrscheinlicher aber habe man ihn mit dem früheren Lagerkommandanten Dr. Eberl oder mit dem Führer des unteren Lagers Küttner verwechselt, von denen einer in Wirklichkeit der sagenhafte Lalka gewesen sein müsse. Der Grund für seine Beförderung zum Untersturmführer liege einzig und allein darin, dass er die Ukrainer zu anständigen Soldaten herangebildet habe.

Diese Einlassung ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme in ihren entscheidenden Punkten widerlegt.

Was zunächst die Dauer des Aufenthaltes in Treblinka angeht, so kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Zweifel daran bestehen, dass der Angeklagte Franz bereits im Hochsommer 1942 in Treblinka gewesen und dass er dort bis zur völligen Auflösung des Lagers Ende November 1943 geblieben ist. Einmal hat der Angeklagte in der Voruntersuchung selbst angegeben, er sei bereits im Hochsommer 1942 ins Lager gekommen, als dort noch haufenweise aufgedunsene Leichen herumgelegen hätten, und zum anderen hat er bei seinen wiederholten Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter die Ablösung des Dr. Eberl durch Stangl so eingehend und spezifiziert geschildert, dass er an diesem Tage schon im Lager gewesen sein muss. Die Ablösung des Dr. Eberl aber war, wie aus den gefundenen Wehrmachtsfrachtbriefen hervorgeht, spätestens in der ersten Septemberhälfte 1942. Darüber hinaus hat der Angeklagte Miete glaubwürdig dargetan, dass Franz bei dem Überfall auf den SS-Scharführer Max Biala am 11.9.1942 bereits in Treblinka war. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass Miete sich in diesem Punkte irren könnte, sind ebensowenig ersichtlich wie dafür, dass er etwa bewusst zum Nachteil von Franz die Unwahrheit gesagt haben könnte. Zudem haben auch die Angeklagten Suchomel und H. bestätigt, dass Franz in jedem Falle schon Anfang Oktober 1942 im Lager war, und auch der Angeklagte Münzberger, der Ende September 1942 zum Sonderkommando Treblinka gestossen ist, kann zwar nicht sagen, ob Franz in diesem Zeitpunkt schon dort war, er bestätigt aber ebenso wie der Angeklagte Mentz die Aussagen der Mitangeklagten Miete, Suchomel und H., wonach zu dieser Zeit in Treblinka keine aufgedunsenen Leichen mehr herumgelegen haben und dass bereits Stangl Kommandant des Lagers war und nicht mehr Dr. Eberl.

Die vom Angeklagten für seine Darstellung, er sei erst am 1.11.1942 in Treblinka angekommen, benannten Zeugen haben nichts Entscheidendes zur Stützung seiner Einlassung bekundet. Der uneidlich gehörte Kraftfahrzeugmeister Fu., der im Herbst 1942 als SS-Mann im Konzentrationslager Belzec stationiert war, hat zwar gesagt, er habe Franz anlässlich seiner Versetzung von Belzec nach Treblinka mit dem Kraftwagen zum Bahnhof gebracht, er vermochte sich jedoch nicht mit Sicherheit daran zu erinnern, wann das gewesen ist. Schliesslich sagte er dann auf Vorhalt, das könnte wahrscheinlich im November 1942 gewesen sein. Dieser Aussage, die hinsichtlich der genannten Zeit unsicher und ungenau ist, stehen mehrere Bekundungen anderer ehemaliger SS-Männer gegenüber, aus denen man schliessen kann, dass Franz schon viel früher nach Treblinka versetzt wurde. So hat der ebenfalls uneidlich vernommene Hausmeister J., ein ehemaliges Mitglied der Bewachungsmannschaft von Belzec, mit Deutlichkeit erklärt, Franz sei im Oktober 1942 nicht mehr in Belzec gewesen. Der kaufmännische Angestellte Sch. hat, uneidlich gehört, dargelegt, dass er als SS-Mann im Oktober 1942 von Trawniki nach Treblinka gekommen sei und dass Franz sich bereits im Oktober in Treblinka befunden und dort die Funktionen eines stellvertretenden Kommandanten ausgefüllt habe. Der besonders gut informierte Schankkellner Josef Oberhauser, während der Aktion Reinhard Adjutant von Wirth, hat uneidlich ausgesagt, dass Franz entweder im August oder September 1942 von Belzec nach Treblinka versetzt worden sei, um dort die ukrainische Wachmannschaft zu übernehmen, keinesfalls aber erst im Oktober oder November 1942. Schliesslich hat auch die eigene Ehefrau des Angeklagten eindeutig bekundet, ihr Mann habe ihr bei einem Besuch im Oktober 1942 erklärt, er müsse nach dem Urlaubsende nach Treblinka fahren. Davon, dass Franz erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 31.10.1942 für ihn völlig unerwartet von Belzec nach Treblinka versetzt worden sei, wie er angibt, kann daher keine Rede sein. Das Schwurgericht ist jedenfalls aufgrund der von dem Angeklagten Miete gegebenen Darstellung, dass Franz beim Überfall auf Max Biala am 11.9.1942 bereits in Treblinka gewesen ist, davon überzeugt, dass Franz also schon Anfang September 1942 dort gewesen ist. Das gilt um so mehr, als die Angaben von Miete, der übrigens im Gegensatz zu Franz in verschiedenen Punkten seine Tätigkeit in Treblinka wahrheitsgemäss geschildert und einzelne Taten eingestanden hat, durch mehrere jüdische Zeugen bestätigt worden sind. So haben unter anderem die eidlich gehörten, aufgrund ihres persönlichen Eindrucks glaubwürdigen Zeugen Ros., Au. und Raj. bekundet, dass Franz beim Tode Max Bialas am 11.9.1942 bereits im Lager gewesen ist.

Ebenso steht fest, dass der Angeklagte Franz bis Ende November 1943 in Treblinka gewesen ist und nach dem Weggang von Stangl Anfang August 1943 nicht nur das Lager verantwortlich geführt hat, sondern dass auch während dieser Zeit, wenn auch in beschränkterem Umfange, noch Massentötungen durchgeführt worden sind. Das folgt einmal aus den eindeutigen und eingehenden Angaben der Mitangeklagten Miete, Münzberger, H., Ru. und Suchomel, dem Angeklagten in diesem Verfahren mit dem besten Gedächtnis. Sie alle haben übereinstimmend angegeben, dass auch nach dem Aufstand noch Transporte in Treblinka angekommen und vergast worden sind. Das wird zum anderen bestätigt durch die Bekundungen der Angeklagten Mentz und Ru., wonach der Angeklagte Franz noch gegen Ende November 1943 in Treblinka war und erst nach der Liquidierung des Restkommandos und nach der Ablieferung des Hundes Barry im Reservelazarett Ostrow zusammen mit Ru. und Mentz mit einem Lastkraftwagen zum Konzentrationslager Sobibor gefahren ist. Der Angeklagte Mentz erinnert sich deutlich daran, dass er erst den Barry zum Zeugen Dr. Stru., dem damaligen Chef des Reservelazaretts Ostrow bringen musste, bevor die Fahrt mit dem Lastkraftwagen losging. Der Angeklagte hat hierzu vorgebracht, er habe Barry bereits einige Tage vor dem Aufstand am 2.August 1943 zu Dr. Stru. bringen lassen. Der Zeuge Dr. Stru., mit dem sich Franz duzt und mit dem er bis zu seiner Verhaftung freundschaftlichen und brieflichen Umgang pflog, hat das unter seinem Eid energisch und glaubwürdig in Abrede gestellt. Er hat erklärt, dass er das Lager Treblinka erstmals nach dem Aufstand vom 2.August 1943 betreten habe und dass zu dieser Zeit Barry mit Sicherheit noch im Lager gewesen sei. Das unterstützt die Angaben des Angeklagten Mentz, er habe Barry erst unmittelbar vor der Abfahrt zum Lager Sobibor auf Anweisung von Franz zu Dr. Stru. in Ostrow gebracht. Diese Darstellung von Franz ist also hier - wie auch in vielen anderen Punkten von grösserer und von geringerer Bedeutung - unrichtig. Der Angeklagte Ru., der trotz seines hohen Alters noch über eine gute Auffassungsgabe und ein ausserordentlich gutes Gedächtnis verfügt, irrt sich hinsichtlich der Abfahrt auch nicht; denn er wusste noch ganz genau, dass der Lastkraftwagen von dem SS-Unterscharführer Schmidt gesteuert wurde und dass Franz während der Fahrt neben Schmidt sass. Weiter werden die Angaben von Mentz und Ru. noch durch die Darstellung des Mitangeklagten Suchomel bestätigt, der erst nach dem am 14.Oktober 1943 in Sobibor stattgefundenen Aufstand der dortigen jüdischen Häftlinge von Treblinka nach Sobibor versetzt wurde und der seinen Marschbefehl in Treblinka von Franz persönlich ausgehändigt erhielt. Ausserdem hat er, wie er glaubhaft dargetan hat, Franz auch noch später im Lager Sobibor gesehen.

Schliesslich hat Franz aus Treblinka am 2.Oktober 1943 an den Reichsführer SS - Rasse- und Siedlungshauptamt - den Antrag auf Genehmigung seiner beabsichtigten Heirat mit der DRK-Hilfsschwester T., der jetzigen Zeugin Neu., gestellt. In diesem Antrag hat er sich selbst als Lagerkommandant von Treblinka bezeichnet. In einem mit Treblinka als Ort und mit dem 6.November 1943 als Datum versehenen Schreiben an das Rasse- und Siedlungshauptamt in Berlin hat er dann noch einmal an die baldige Erledigung seines Heiratsantrages erinnert. Seiner Darstellung, er habe diesen Brief bereits von Deutschland oder gar von Italien aus geschrieben und nur aus alter Gewohnheit Treblinka als Absendeort angegeben, vermag das Schwurgericht keinen Glauben zu schenken.

Bei einer sorgfältigen Abwägung aller dieser Umstände ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass der Angeklagte von Anfang September 1942 bis Ende November 1943 im Vernichtungslager Treblinka gewesen ist und dass seine Darstellung, er sei erst am 1.11.1942 dort eingetroffen und er habe Treblinka schon am
2.Oktober 1943 verlassen, nur eine leere Ausrede ist, mit der er sich der Verantwortung für einen Teil des grausigen Geschehens in Treblinka zu entziehen sucht.

Das gleiche gilt für die Behauptung des Angeklagten, er habe in Treblinka lediglich die ukrainischen Wachmannschaften geführt und allenfalls nur vereinzelt den Kommandanten Stangl auf dessen Bitte für die Dauer einer jeweils kurzen Abwesenheit vertreten. Denn in diesem Punkt bekunden sämtliche neun Mitangeklagten übereinstimmend das Gegenteil. Alle erklären, dass Franz stellvertretender Lagerkommandant gewesen sei. So hat z.B. der Angeklagte Stadie, der als SS-Stabsscharführer bis zur Ernennung von Franz zum SS-Untersturmführer einen höheren Rang als Franz hatte, ausdrücklich gesagt, dass Franz seiner Dienststellung nach ihm aufgrund einer Weisung von Stangl von Anfang an übergeordnet gewesen sei und dass Franz ihm habe Befehle erteilen können und auch erteilt habe. Die im unteren Lager tätig gewesenen Angeklagten Miete, Mentz und Suchomel haben dargelegt, dass es sich genauso zwischen dem zunächst ranghöheren SS-Hauptscharführer Küttner und Franz verhalten habe; denn es sei häufig vorgekommen, dass Franz dem SS-Hauptscharführer Küttner Befehle erteilt und ihn bei seiner Tätigkeit als Chef des unteren Lagers kontrolliert habe.

Für das Schwurgericht steht deshalb schon aufgrund der insoweit völlig übereinstimmenden Angaben der übrigen neun Angeklagten fest, dass Franz die Funktionen eines stellvertretenden Lagerkommandanten ausgeübt hat. Einer Heranziehung der überaus zahlreichen Aussagen jüdischer Zeugen zu diesem Punkt bedarf es gar nicht mehr.

Aus der Fülle der Zeugenaussagen seien lediglich die besonders umfassenden und präzisen Bekundungen der eidlich gehörten Zeugen Gl. und Sed. hervorgehoben, die - ganz unabhängig voneinander - bestätigt haben, dass Franz stellvertretender Lagerkommandant gewesen ist und dass er sich darüber hinaus - wegen der Passivität des Kommandanten Stangl und wegen dessen häufiger Abwesenheit aus dem Lager - praktisch als unumschränkter Alleinherrscher des Lagers aufgeführt hat.

Die Behauptung des Angeklagten Franz, nicht er, sondern entweder Dr. Eberl oder Küttner müssten "Lalka" gewesen sein, hält einer Nachprüfung ebenfalls nicht stand. So hat der Angeklagte Suchomel erklärt, dass nur Franz wegen seines hübschen Gesichts und seines gepflegten Äusseren von den Juden den Spitznamen Lalka = Puppe gehabt habe. Der jüdische Lagerälteste Ingenieur Galewski und auch andere Juden hätten ihm das mehrfach gesagt. Alle vor Gericht vernommenen Häftlinge, mögen sie vereidigt oder nicht vereidigt worden sein, haben übereinstimmend bezeugt, dass Franz diesen Spitznamen gehabt hat und dass eine Verwechslung mit Küttner, den man Kiwe genannt habe, auszuschliessen sei. Von den zahlreichen Bekundungen seien in diesem Zusammenhang die der vereidigten Zeugen Gl., Un., Au., Raj. und Oscar Stra. als für die Überzeugungsbildung des Schwurgerichts bereits ausreichend erwähnt. Die Mitangeklagten Suchomel, Mentz und Miete haben zu dieser Frage dargelegt, dass Franz und Küttner zwar gleich gross gewesen seien, dass man sie aber sonst durchaus gut habe unterscheiden können, da sie sich im Gesicht keineswegs ähnlich gesehen hätten. Der Angeklagte Münzberger hat darauf hingewiesen, dass Küttner eine Hakennase gehabt habe, durch die man ihn von weitem von Franz habe unterscheiden können. Noch abwegiger ist es, einer Verwechslungsmöglichkeit zwischen Franz und Dr. Eberl das Wort zu reden. Dr. Eberl hatte einen kleinen Schnurrbart. Er sprach österreichischen Dialekt. Er befand sich nur bis Anfang September 1942 im Lager und betrat nach seiner Ablösung durch Stangl das Vernichtungslager Treblinka in der Zeit von Anfang September 1942 bis zu seiner Auflösung nicht mehr, so dass er als Täter für die dem Angeklagten Franz zur Last gelegten Untaten während dieser Zeit ausscheidet. Zudem bestand zwischen Dr. Eberl und Franz, wie der Angeklagte Suchomel hervorhebt, im Aussehen keinerlei Ähnlichkeit. Suchomel kann das beurteilen, weil er schon zur Zeit Dr. Eberls im Lager war.

Was das von dem Angeklagten Franz im Lager ausgeübte Schreckensregiment angeht, so sind die Angaben der Mitangeklagten zu diesem Punkt erheblich zurückhaltender. Das mag auf eine falsch verstandene Kameradschaft gegenüber Franz und auch darauf zurückzuführen sein, dass Franz selbst jetzt noch mit zornigen Blicken seine früheren Untergebenen einzuschüchtern weiss. Immerhin liessen insbesondere die drei Angeklagten Suchomel, Miete und H. durchblicken, wie Franz zu den jüdischen Häftlingen war. Suchomel sagte, er habe die Häftlinge immer gewarnt, wenn Franz in der Nähe war. Auf die Frage, ob und weshalb diese Warnungen nötig waren, hat Suchomel erklärt, er möchte sich hierzu nicht äussern. Miete hat erklärt, es könne keine Rede davon sein, dass er der Brutalste im Lager gewesen sei, dass sei vielmehr ein anderer gewesen. Auf die Frage, wer dieser andere gewesen sei und ob er sich unter den Angeklagten befinde, hat Miete nach längerer Bedenkzeit gesagt, er möchte hierzu keine Erklärung abgeben. Der Angeklagte H. hat erklärt, unter den Juden des oberen Lagers hätten sich immer Furcht und Schrecken verbreitet, wenn Franz das Totenlager inspiziert habe, weil dann meist etwas Aussergewöhnliches passiert sei. Nähere Einzelheiten wollte er dann aber auch nicht mehr schildern. Da sämtliche Angeklagten keine Hemmungen kannten, wenn es darum ging, bereits tote oder verschollene Kameraden mit Untaten zu belasten, kann man die Erklärungen von Suchomel, Miete und H. bei verständiger Würdigung nur auf die von Franz im Lager ausgeübte Schreckensherrschaft beziehen. Dieser Schluss ist um so leichter, als das vom Angeklagten in Treblinka an den Tag gelegte grausame Verhalten von zahlreichen jüdischen Zeugen bestätigt worden ist.

So hat der eidlich vernommene, durch seine ruhige und sachliche Art besonders glaubwürdige Ingenieur Gl. bekundet, dass Franz in zahlreichen Fällen die Prügelstrafe verhängte, dass er sie häufig selbst bei Abendappellen auf dem Prügelbock vollzog und dass er die Opfer hierbei noch mit unflätigen Ausdrücken wie "Scheisse", "Dreck", "Hund" und "Arschloch" beschimpfte. Wenn er ihre Liquidierung im Lazarett anordnete, dann brachte er zum Ausdruck, dass diese "Scheisse" oder dieser "Dreck" bald ins Jenseits befördert werden müsse. Gl. bezeichnete Franz als den grössten Sadisten, den es im Lager gegeben habe. Das gleiche sagt der eidlich vernommene Braumeister Un., der noch hinzufügte, Franz sei wie ein Tiger gewesen; wenn er Blut gesehen habe, sei er noch wilder geworden. In der Aussage des eidlich vernommenen Angestellten Au., der auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, heisst es unter anderem, dass Lalka häufig beim Appell an den Reihen angetretener Juden vorbeigegangen sei und dass er sich mit einem Fingerzeig 5 bis 15 Leute zur Erschiessung im Lazarett herausgesucht habe. Weiter hat dieser Zeuge geschildert, wie Franz einmal auf die im Schlauch stehenden nackten Frauen eingeschlagen und herumgeschossen hat, weil es ihn ärgerte, dass der Vergasungsmotor vorübergehend defekt war und dass deshalb die weitere Abfertigung ins Stocken geraten war.

Der ebenfalls eidlich gehörte Kaufmann Ja. hat erklärt, dass Franz sich öfter ein paar Leute heraussuchte, dass er sie zum Lazarett brachte und sie dort entweder selbst erschoss oder durch Dritte erschiessen liess. Von ihm habe es im Lager geheissen, er esse kein Frühstück, kein Mittagessen und kein Abendbrot, bevor er nicht ein paar Juden umgebracht habe. Der eidlich vernommene Hoteldirektionsassistent Sed. hat bekundet, dass er einmal von Franz zu Boden geboxt worden sei, weil er nicht "Achtung" gebrüllt und nicht seine Mütze abgenommen hatte, als Franz in den Desinfektionsraum kam, wo Sed. mit drei anderen Häftlingen mit der Desinfektion der Frauenhaare beschäftigt war. Durch den Boxhieb sei er, so betont der Zeuge, bewusstlos geworden.

Der eidlich gehörte Kaufmann Kols. hat glaubwürdig bekundet, dass Franz ihn ebenfalls einmal zu Boden geboxt und ihm hierbei mehrere Zähne ausgeschlagen habe. Zahlreiche andere vereidigte Zeugen, darunter die Zeugen Tai., Tu., Jan., Ku., Bom. und Lew. haben überzeugend dargelegt, dass Franz andere Häftlinge mehrfach auf dem Prügelbock ausgepeitscht und dass er seinen Hund Barry auf Häftlinge gehetzt hat, wenn er dazu Lust und Laune verspürte.

Unter diesen Umständen muss die weitere Einlassung des Angeklagten, ihm habe das Schicksal der Juden am Herzen gelegen, er habe versucht, ihr Schicksal zu erleichtern, und er habe deshalb den Häftling Dr. Rebschütz aufgefordert, die Juden sollten am 2.August 1943 einen Aufstand machen, weil dann der grösste Teil der Ukrainer auf seine Anordnung zum Baden am Bug sei, als heuchlerisch und unwahr erscheinen.

Wenn der Angeklagte schliesslich angibt, er sei nur aus "soldatischen" Gründen, und zwar wegen der guten Ausbildung und Führung der Ukrainer zum SS-Untersturmführer befördert worden, so ist auch das unrichtig. Im Osteinsatz konnte man zwar auch dann ohne den Besuch einer Kriegsschule Offizier werden, wenn man sich an der Front besonders ausgezeichnet hatte, aber nicht allein dadurch, dass man weit hinter der Front als Ausbilder einer Einheit Ukrainer Erfolg hatte. Die Tätigkeit in einem Konzentrationslager kann man auch keineswegs mit einem soldatischen Fronteinsatz vergleichen, wie es der Angeklagte Franz tut. Seine Beförderung zum SS-Untersturmführer, also zum Offizier, ist vielmehr nur wegen seines besonderen Eifers bei der Vernichtung jüdischer Menschen erfolgt. Aus dem von Globocnik mit dem Personal-Hauptamt der SS in Berlin wegen der Beförderung von Angehörigen der Aktion Reinhard geführten Schriftwechsel ergibt sich eindeutig, dass Franz deshalb befördert worden ist, weil er zu den Führern und Unterführern gehörte, "die sich anlässlich der Aktion Reinhard besonders ausgezeichnet haben".

Das Franz sich bei der Massentötung von Juden im Vernichtungslager Treblinka im Sinne der damaligen nationalsozialistischen Weltanschauung "besonders ausgezeichnet", dass er darüber hinaus auf die verschiedenste Art und Weise, nämlich durch Erschlagen, Erhängen, Erschiessen und mit Hilfe seines Hundes Barry, zahlreiche Exzesstaten an Arbeitshäftlingen begangen hat, wird durch die Feststellungen des Schwurgerichts in den folgenden Abschnitten deutlich. Da der Hund Barry bei den Häftlingen zu einem Symbol der von Franz im Lager ausgeübten Schreckensherrschaft geworden ist, hat das Schwurgericht sich eingehend auch mit dem Verhalten dieses Hundes in Treblinka befasst und hierzu Zeugen und Sachverständige gehört.

IV. Der Hund Barry und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka

Entweder Ende 1942 oder Anfang 1943 wurde der Hund Barry ins Vernichtungslager Treblinka gebracht. Es handelte sich um einen kalbsgrossen, schwarz-weiss gefleckten Mischlingshund mit den überwiegenden Rassemerkmalen eines Bernhardiners. In Treblinka schloss er sich dem Angeklagten Franz an und sah in ihm seinen Herrn. Auf seinen Kontrollgängen durch das untere und obere Lager pflegte Franz den Barry meistens bei sich zu haben. Je nach Lust und Laune hetzte er den Hund mit den Worten "Mensch, fass den Hund!" auf Häftlinge, die ihm irgendwie aufgefallen waren. Mit dem Worte "Mensch" meinte er hierbei den Barry und mit dem Worte "Hund" den betreffenden Häftling, auf den sich Barry stürzen sollte. Barry ging aber auch schon dann auf einen Häftling los, wenn Franz diesen nur anbrüllte. Um Barrys Aktivität zu entfalten, bedurfte es also nicht in jedem Falle des Zurufs "Mensch, fass den Hund!" Barry biss stets wahllos auf den betreffenden Menschen ein. Da er kalbsgross war und mit seiner Schulterhöhe - im Gegensatz zu kleineren Hunden - an das Gesäss und den Unterleib eines durchschnittlich grossen Menschen heranreichte, biss er häufig ins Gesäss, in den Unterleib und mehrfach auch in das Geschlechtsteil der männlichen Häftlinge, das er in manchen Fällen sogar teilweise abbiss. Bei weniger kräftigen Häftlingen gelang es ihm auch manchmal den angegriffenen Mann zu Boden zu werfen und ihn auf dem Boden nahezu bis zur Unkenntlichkeit zu zerfleischen.

Stand Barry bei einer Abwesenheit des Angeklagten Franz nicht unter dessen Einfluss, so war er nicht wiederzuerkennen. Man konnte ihn streicheln und sich sogar mit ihm necken, ohne dass er jemandem etwas tat.

Franz hatte mit der Pflege seines Hundes Barry den tschechoslowakischen Häftling Masarek beauftragt. Dieser musste ihn warten und für seine Verpflegung sorgen, welche viel besser war als die der Arbeitshäftlinge.

Bei der Schliessung des Lagers Ende November 1943 brachte der Angeklagte Mentz den Barry zu Dr. Stru. nach Ostrow, der damals Chefarzt des dortigen Kriegslazaretts war. Nach einiger Zeit ging Barry auch mit Dr. Stru. eine neue Hund-Herren-Bindung ein. Er lag gewöhnlich unter oder neben dem Schreibtisch im Arbeitszimmer seines neuen Herrn und wurde im Lazarett Ostrow, dem mit mehreren tausend Betten grössten deutschen Kriegslazarett im Osten, als "das grosse Kalb" bezeichnet. Er tat niemandem mehr etwas zuleide.

Im Jahre 1944 brachte Dr. Stru. den Barry zu seiner in Schleswig-Holstein lebenden Frau. Später übernahm ihn der Bruder des Zeugen. Im Jahre 1947 wurde Barry aus Altersschwäche getötet.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben der Mitangeklagten Miete und Mentz, auf den glaubhaften eidlichen Bekundungen des Nervenarztes und Obermedizinalrates a.D. Dr. Stru. aus Schleswig, des Ingenieurs Gl., des Braumeisters Un., des Klempners Oscar Stra., des Kaufmanns Do., des Kaufmanns Jan., des Schlossers Tai., des Anstreichers Hel., des Mechanikers Tu., des Bautechnikers Koh., des Schlossers Ku., des Hoteldirektionsassistenten Sed., des Metzgers Roj., des stellvertretenden Geschäftsführers in einem Damenkonfektionsgeschäft Sp., des Kaufmanns Kols. und des Schneiders Lac. sowie auf dem eingehenden und überzeugenden Gutachten über "Das Verhalten des Hundes Barry" durch Prof. Dr. Konrad Lorenz, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen/Oberbayern.

Der Angeklagte Franz machte zu seinem Hund Barry folgende Angaben:

Es sei eine infame Lüge, wenn behauptet werde, er habe Barry mehrfach auf Juden gehetzt, Barry habe diese Juden gebissen, darunter auch in die Genitalien, und die so Gebissenen seien anschliessend im Lazarett erschossen worden. Barry habe im Gegenteil keinem Juden etwas zuleide getan. Er sei gutmütig und spielerisch veranlagt gewesen.

Diese Einlassung des Angeklagten ist durch die erhobenen Beweise in vollem Umfange widerlegt worden. Die Zeugen Gl., Un., Jan., Hel., Tu., Koh., Sed., Kols. und Lac. haben selbst beobachtet, dass Franz seinen Barry öfter auf Häftlinge gehetzt hat, dass Barry diese Häftlinge schwer verletzt hat, darunter auch einige an den Genitalien, und dass die Schwerverletzten auf Geheiss von Franz dann im Lazarett erschossen worden sind. Freilich hat das Schwurgericht unter der Vielzahl der von den Zeugen in diesem Zusammenhang geschilderten, einander ähnlichen Fälle nur drei konkretisieren können. Einmal hat der Zeuge Gl. bei der Nachtbeladung eines Güterzuges mit Textilien im Jahre 1942 erlebt, wie Franz seinen Barry auf einen arbeitenden Häftling hetzte, wie Barry diesem Mann in das Geschlechtsteil biss und wie der Verletzte dann im Lazarett erschossen wurde. Der Zeuge Jan. schildert, wie Franz seinen Barry einmal vor dem Eingang zum Schlauch auf einen nackten Häftling hetzte und wie hierbei Barry einem Häftling das Geschlechtsteil abbiss und wie Barry bei einer anderen Gelegenheit auf Geheiss von Franz einem Häftling in der Nähe der ukrainischen Küche ein Stück Fleisch durch einen Biss herausriss. Dass diese Schilderungen richtig sind, hat der Mitangeklagte Miete bestätigt. Er hat nämlich - nach langem Schweigen zu diesem Punkt - zugegeben, auch solche ihm von Franz übergebene Häftlinge im Lazarett erschossen zu haben, die von Barry ins Geschlechtsteil und in andere Körperteile gebissen worden waren.

Andererseits haben die Zeugen Gl., Oscar Stra., Jan., Tai., Tu., Koh., Cz., Sed., Roj., Kols. und Lac. auch erklärt, dass Barry nicht wiederzuerkennen gewesen sei, wenn er nicht unter dem Einfluss von Franz gestanden habe, da er dann gutmütig und faul gewesen sei. Weiter hat auch der Zeuge Dr. Stru. berichtet, dass er Barry öfter mit sich führte, wenn er in Ostrow hunderte von nackten Soldaten, die in einer Reihe angetreten waren, auf ihre Fronttauglichkeit zu untersuchenpflegte. Dr. Stru. betont, dass Barry keinem dieser Soldaten etwas zuleide getan habe.

Zu der Frage, ob Barry einmal eine reissende Bestie, zum anderen jedoch auch ein gutmütiger Haus- und Spielhund gewesen ist, hat das Schwurgericht den Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen/Oberbayern, den international bekannten Forscher Professor Dr. Konrad Lorenz eidlich als Sachverständigen gehört. In seinem überzeugenden Gutachten hat Professor Dr. Lorenz unter anderem folgendes ausgeführt:

Aus den ihm vom Schwurgericht vorgelegten Fotos von Barry ersehe er, dass dieser kein reinrassiger Bernhardiner, sondern ein Mischlingshund gewesen sei, der freilich die überwiegenden Rassemerkmale eines Bernhardiners aufgewiesen habe. Mischlingshunde seien viel feinfühliger als reinrassige Tiere. Wenn sie sich einem Herrn anschlössen und eine sogenannte Hund-Herren-Bindung eingingen, würden sie förmlich erahnen, welche Absichten ihr Herr habe; denn ein Hund sei "das Spiegelbild des Unterbewusstseins seines Herrn", und das gelte in besonderem Masse für Mischlingshunde. Es sei in der Verhaltensphysiologie anerkannt, dass derselbe Hund zeitweilig brav und harmlos, zeitweilig auch gefährlich und bissig sein könne. Letzteres sei dann der Fall, wenn er von seinem Herrn auf eine Person gehetzt werde. Manchmal genüge es bereits, wenn der Herr des Hundes eine Person anschreie, damit sich der Hund auf die angebrüllte Person stürze. Derselbe Hund könne kurze Zeit später harmlos mit Kindern spielen, ohne dass irgendetwas zu befürchten sei. Das gleiche Verhalten zeige er gegenüber Erwachsenen, mit denen sein Herr freundlich spreche. Auch zu diesen Personen sei er dann lieb. Er passe sich eben ganz den Stimmungen und Launen seines Herrn an.

Wenn ein Hund eine neue Hund-Herren-Bindung eingehe könne sich sein Charakter sogar völlig wandeln. Wenn Barry deshalb unter seinem neuen Herrn, dem Zeugen Dr. Stru., keinerlei Neigungen mehr zum Beissen gezeigt habe, so sei das nichts Aussergewöhnliches. Experimente mit Hunden hätten diese Erfahrung nachdrücklich erhärtet.

Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Professors Dr. Lorenz besteht also kein logischer Widerspruch zwischen den Feststellungen, dass Barry einerseits gefährlich war, wenn er von Franz auf Juden gehetzt wurde, und dass er andererseits im Lagergelände in Abwesenheit von Franz und später bei Dr. Stru. in Ostrow faul, gutmütig und harmlos gewesen ist.

Das Schwurgericht hat weiterhin den bekannten Ordinarius für Chirurgie an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf, den Professor Dr. De., eidlich als Sachverständigen über die Folgen, die durch Hundebisse an männlichen Geschlechtsteilen entstehen, vernommen. Er hat unter anderem folgendes gesagt:

Verletzungen am männlichen Geschlechtsteil seien besonders schmerzhaft. Die Schmerzen bei Verletzungen des Hodensacks seien hierbei noch intensiver als Verletzungen des männlichen Gliedes. Wenn ein männliches Geschlechtsteil vollständig herausgerissen werde, so sei der betreffende Verletzte in der Regel nicht mehr gehfähig. Männer mit Teilverletzungen an ihrem Geschlechtsteil seien dagegen trotz starker Schmerzen imstande zu gehen. Weder eine Teilverletzung am Geschlechtsteil noch ein vollständiger Verlust dieses Teiles führten jedoch zum Tode. Es sei auch keineswegs mit einem besonders schnellen Verbluten zu rechnen. Im Gegenteil, selbst bei einem vollständigen Abbeissen des Geschlechtsteiles verblute der Verletzte nicht, da die Adern in den männlichen Genitalien einen viel kleineren Durchmesser hätten als die Adern in anderen Körperteilen. Die kleineren Adern in den Genitalien schlössen sich deshalb verhältnismässig rasch wieder von selbst.

Durch diese präzise und überzeugende wissenschaftliche Darlegung des Sachverständigen Professor Dr. De. ist bewiesen, dass Häftlinge, die von Barry ins Geschlechtsteil gebissen wurden, an dieser Verletzung allein nicht unbedingt sterben mussten, so dass es erforderlich werden konnte, sie an Ort und Stelle oder im Lazarett zu liquidieren, wie es nach dem Geständnis des Mitangeklagten Miete auf Anordnung von Franz auch tatsächlich geschehen ist.

Der von verschiedenen jüdischen Zeugen geäusserte Verdacht, Franz habe seinen Hund Barry darauf abgerichtet, den Häftlingen in die Genitalien zu beissen, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Der aus der Tschechoslowakei stammende Zeuge Ingenieur Gl. war mit dem ebenfalls aus der Tschechoslowakei nach Treblinka gekommenen Häftling Masarek befreundet, der von Franz mit der Pflege des Hundes Barry beauftragt war. Masarek hat dem Zeugen Gl. zwar davon berichtet, dass Franz mit seinem Barry allgemeine Gehorsamsübungen durchführte, dagegen hat er ihm niemals davon erzählt, dass Franz den Barry speziell darauf abgerichtet hätte, männliche Genitalien abzubeissen oder zu verletzen. Die anderen Zeugen haben auch nichts über eine auf das Abbeissen von Genitalien hinzielende Spezialdressur des Barry berichten können, so dass sich hier keine bestimmten Feststellungen treffen lassen. Barry hat übrigens nicht nur in Geschlechtsteile, sondern auch in andere Körperteile (Gesäss, Oberschenkel und anderes mehr) hineingebissen, wie die Zeugen Gl., Cz., Sed. und Roj. berichten. Wenn er verhältnismässig häufig die Genitalien seiner Opfer erfasste, so ist das auf seine einem Kalb entsprechende Grösse zurückzuführen. Während kleinere Hunde vorwiegend in die unteren Beinpartien hineinbeissen, konnte Barry aufgrund seiner Grösse mit seiner Schnauze direkt an die Genitalien seiner Opfer herankommen und sie deshalb auch verletzen. Hierzu bedurfte es keiner speziellen Abrichtung durch den Angeklagten Franz. Das schliesst nicht aus, dass gerade dieses Zupacken des Barry an den Genitalien der Häftlinge von Franz nicht ungern gesehen wurde; denn nach den Bekundungen zahlreicher jüdischer Zeugen, darunter des Ingenieurs Gl., des Mechanikers Tu. und des Hoteldirektionsassistenten Sed. war Franz ein "raffinierter Sadist" dem "Spezialitäten" bei der Misshandlung und Tötung von Juden ein besonderes Vergnügen bereiteten. Eine solche Spezialität war sicherlich das Verletzen und Herausreissen der Genitalien eines Häftlings durch Barry.

V. Einzeltaten des Angeklagten Franz im Rahmen der Massentötungen, der sogenannten Transportabfertigungen

1. Erschlagen eines Kindes

Bei der Abfertigung eines Transportes aus Warschau im Jahre 1943 legte eine Frau ihr Kind, das sie bis dahin auf dem Arm getragen hatte, in der Nähe der Frauenauskleidebaracke auf die Erde, während sie in die Gaskammer getrieben wurde. Franz sah, dass das zur Vergasung vorgesehene Kind nicht wie sonst üblich von seiner Mutter in die Gaskammer mitgenommen wurde. Er beschloss deshalb, das Kind an Ort und Stelle zu töten, damit der reibungslose Ablauf der Abfertigung wegen des Kindes nicht gefährdet wurde. Er fasste das Kind an den Beinen und schlug es so lange mit dem Kopf gegen einen Balken der Frauenauskleidebaracke, bis es tot war.

Der Angeklagte bestreitet diese Tat. Sie ist aber durch die eidliche Aussage des 48 Jahre alten, in Herzlya/Israel lebenden Frisörs Pla. erwiesen.

Der Zeuge, der sich von Ende Juli / Anfang August 1942 bis zum 2.August 1943 im Vernichtungslager Treblinka befunden hat, hat den Angeklagten Franz im Gerichtssaal spontan wiedererkannt und auch erklärt, dass es sich bei Franz um Lalka handele. Er hat seine Angaben mit grosser Vorsicht gemacht und dabei genau unterschieden zwischen dem, was er selbst gesehen und beobachtet hat, und dem, was ihm nur vom Hörensagen bekannt ist. Er hat eine genaue Vorstellung von den Persönlichkeiten der einzelnen SS-Leute im Lager, insbesondere hat er die Möglichkeit, dass der SS-Unterscharführer Hirtreiter diese Kindestötung begangen hat, mit dem Bemerken ausgeschlossen, dass er Franz unter keinen Umständen mit dem SS-Unterscharführer Hirtreiter verwechselt habe, da Hirtreiter klein und schwarzhaarig, Franz dagegen gross und blond gewesen sei. Er hat darüber hinaus eine Fülle von Einzelheiten berichtet, die dem Gericht bis dahin nicht bekannt waren, aber im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme bestätigt worden sind. Dafür, dass seine Aussage von Hass- und Rachegefühlen diktiert oder gar wider besseres Wissen gemacht worden wäre, hat sich kein Anhaltspunkt ergeben. Für die Objektivität seiner Aussage spricht insbesondere der Umstand, dass er ausdrücklich erklärte, von einigen Mitgliedern der SS-Wachmannschaft, so insbesondere von dem Angeklagten Suchomel, keinerlei Exzesstaten gesehen zu haben. Einer pauschalen Belastung sämtlicher Angeklagter hat er sich ausdrücklich enthalten. Das Schwurgericht trägt deshalb keinerlei Bedenken, diesem Zeugen, der während seiner Inhaftierung in Treblinka 25 Jahre alt war, zu glauben.

2. Erschiessung eines Kindes und seiner Eltern

Bei der Abfertigung eines anderen Transportes, der aus dem Warschauer Ghetto kam, wollte sich ein grösseres Kind von seiner Mutter vor dem Weg in die Gaskammer verabschieden. Um diese Abschiedsszene, die den zügigen Ablauf der Abfertigung beeinträchtigt hätte, zu unterbinden, erschoss der Angeklagte dieses Kind mit seiner Pistole. Als die Mutter zu ihrem getöteten Kind zurückging, erschoss Franz sie ebenfalls mit seiner Pistole. Als der Vater des Kindes sich schliesslich anschickte, zu seiner getöteten Frau und seinem getöteten Kind zu gehen, erschoss der Angeklagte Franz auch ihn.

Der Angeklagte Franz stellt diese Tat in Abrede. Er wird jedoch durch die präzise und eidliche Bekundung des glaubwürdigen Zeugen Pla., der diesen Vorfall genauso wie den vorhergehenden Fall aus nächster Nähe mit eigenen Augen beobachtet hat, überführt.

3. Tötung eines Säuglings

Bei einem anderen Transport hielt eine Mutter, die bereits völlig ausgezogen auf den Gang zur Gaskammer warten musste, ihren Säugling auf dem Arm. Der Angeklagte Franz nahm ihr das Kind weg und warf es hoch in die Luft. Der Säugling fiel auf das Dach der Frauenauskleidebaracke und starb infolge der Wucht des Aufpralls, so wie es der Angeklagte Franz von Anfang beabsichtigt hatte.

Der Angeklagte stellt diese Tat in Abrede. Das Gericht sieht sie jedoch durch die eidliche Bekundung des 58 Jahre alten Bautechnikers Koh. aus Ramat Gan / Israel als erwiesen an. Koh. hat den Angeklagten Franz als Lalka bei seiner Vernehmung ohne Zögern wiedererkannt. Darüber hinaus vermochte er ihn auch auf den ihm vorgelegten drei Bildern zu identifizieren. Für seine Wahrheitsliebe spricht der Umstand, dass er sofort einräumte, das Bild von Franz in seiner Uniform als SS-Untersturmführer im Jahre 1959 in einer israelischen Zeitung gesehen zu haben. Dafür, dass er Franz nicht etwa nur wegen dieses Bildes in der israelischen Zeitung erkannt hat, spricht die Tatsache, dass er ausser Franz sofort die Mitangeklagten Stadie, Miete und Suchomel identifizieren konnte, von denen er keine Bilder in Zeitungen gesehen hat. Er hat zahlreiche Einzelheiten über das Lagerleben angegeben, die auch von den Angeklagten eingeräumt werden mussten. Schliesslich hat er, wie er glaubhaft angegeben und mit seinem Eid bekräftigt hat, während der Arbeit beim Sortierkommando aus allernächster Nähe gesehen, wie Franz den Säugling auf das Barackendach geworfen und hierdurch getötet hat. Bei seiner besonnenen, überlegenen Art bestehen keine Bedenken, seiner Aussage in vollem Umfang zu folgen.

4. Tötung eines Säuglings in der Frauenauskleidebaracke

An einem Tage Anfang 1943 kamen insgesamt 3 grosse Transporte mit Juden an. Der beim Sortierkommando eingesetzte, jetzt 48 Jahre alte Kaufmann Kols. half an diesem Tage den Frauen beim Auskleiden in der Frauenauskleidebaracke. Wegen des starken Arbeitsanfalls musste es an diesem Tage besonders schnell gehen. Der SS-Unterscharführer Sepp Hirtreiter, von den Häftlingen Zepp genannt, schlug in der Frauenauskleidebaracke links und rechts mit seiner Peitsche wild auf die Frauen ein, um sie zu einem noch schnelleren Ausziehen anzutreiben. Als sämtliche Frauen die Baracke entkleidet verliessen, blieben 3 Säuglinge zurück. Auch der mit dem Sortieren der Frauenkleidung beschäftigte Zeuge Kols. verblieb noch in der Baracke.

Da nahm Hirtreiter einen Säugling bei den Füssen und schlug ihn mehrfach mit dem Kopf gegen die Barackenwand, bis er tot war. Während das geschah, betrat Franz die Frauenauskleidebaracke. Er sagte zu Hirtreiter, er wolle das besser machen. Er nahm den zweiten Säugling an den Füssen hoch, holte dann weit aus und schlug ihn voller Wucht mit dem Kopf so heftig gegen die Barackenwand, dass er bereits durch den einen Schlag getötet wurde. Nachdem dies geschehen war, entfernte sich der Zeuge mit einem Packen von Frauenkleidern aus der Baracke. Er konnte nicht mehr beobachten, was mit dem dritten Säugling geschah.

Der Angeklagte Franz bestreitet diesen Vorfall entschieden. Er wird jedoch durch die Bekundung des in New York lebenden Kaufmanns Kols. überführt. Dieser Zeuge hat mit den beiden in Israel lebenden Zeugen Pla. und Koh. keinerlei Verbindung. Er hat Franz als Lalka sofort identifiziert, obwohl Franz bei der Vernehmung dieses Zeugen seinen Platz nicht als erster, sondern als fünfter in der Mitte der Angeklagten hatte. Ausserdem hat er ihn auf allen drei Lichtbildern wiedererkannt, die Franz in Uniform zeigen, wobei der Zeuge ausdrücklich versicherte, bisher kein Lichtbild von Franz gesehen zu haben. Der jetzt 48 Jahre alte Zeuge hat seine Bekundungen sehr abgewogen und vorsichtig gemacht. Obwohl er in Treblinka seine um 2 Jahre jüngere Schwester verloren hat, hat er sich nicht ersichtlich von Gefühlen der Rache und des Hasses dazu hinreissen lassen, zu übertreiben oder nur Gehörtes als selbst Gesehenes hinzustellen. Das geht insbesondere daraus hervor, dass er ausdrücklich erklärt hat, er habe sich nicht mehr darum gekümmert, was mit dem dritten Säugling geschehen sei, weil er die Baracke habe verlassen müssen. Das Schwurgericht hat keinerlei Bedenken, diesem Zeugen zu glauben, zumal er seine Aussage auch mit dem Eide bekräftigt hat.

5. Tötung eines weiteren Kleinkindes in der Frauenauskleidebaracke

An einem zeitlich nicht mehr näher zu bestimmenden Tage Ende 1942 oder Anfang 1943 befanden sich in der von den Frauen bereits verlassenen Frauenauskleidebaracke zwei Kleinkinder im Alter von ca. 1/2 Jahr und ca. 1 Jahr. Beide lagen unter Kleidern versteckt. Als der beim Sortierkommando tätige Häftling Lak. die Kleider, unter denen die beiden Kleinkinder versteckt waren, zu einem im Freien befindlichen Kleiderberg tragen wollte, bemerkte Franz die beiden Kinder. Er schlug ein Kind gegen die Barackenwand, so dass es tot war. Das zweite Kind wurde von einem anderen SS-Mann auf die gleiche Art und Weise totgeschlagen.

Der Angeklagte Franz streitet auch diesen Vorgang energisch ab. Er wird jedoch durch die eidliche Bekundung des 62 Jahre alten, in Eiron/Israel lebenden Magazinverwalters Lak. überführt, der den Vorfall von Anfang an gesehen hat. Eine Verwechslung mit dem unter 4. von dem Zeugen Kols. geschilderten Fall scheidet aus, da es sich dort um drei Säuglinge handelte, die nicht unter Kleidern versteckt waren, während es sich hier um zwei unter Kleidern versteckte Kinder handelt. Der Zeuge Lak., der einen sehr besonnenen und vorsichtig abwägenden Eindruck auf das Gericht gemacht hat, hat ausdrücklich die Zahl von drei Kindern ausgeschlossen. Da der Zeuge den Angeklagten Franz als Lalka ohne Zögern identifiziert und ihn auch auf allen drei Fotos wiedererkannt hat, ist das Gericht davon überzeugt, dass er die Wahrheit gesagt hat, zumal er über eine gute Intelligenz verfügt und sehr präzise und detaillierte Angaben zu machen wusste.

6. Erschiessung einer etwa 18 Jahre alten Jüdin im Lazarett

An einem Tage in der Zeit vom 12.September 1942 bis Mitte Oktober 1942 führte Franz ein bereits ausgezogenes etwa 18 Jahre altes Mädchen, dass mit einem Transport angekommen und zur Vernichtung bestimmt war, über den Männerauskleideplatz zum Lazarett, in dem sich zu dieser Zeit niemand befand. Dort erschoss er sie mit seiner Pistole.

Der Angeklagte bestreitet diesen Vorfall. Er wird aber durch die Aussage des 56 Jahre alten, in Jerusalem lebenden
israelischen Staatsbeamten Sz. überführt, der den Vorfall von Anfang bis zum Ende genau beobachtete, weil er nahe beim Lazarett auf dem Sortierplatz arbeitete. Der Zeuge, der polnischer Volljurist ist, traf am 12.9.1942 in Treblinka ein und flüchtete Mitte Oktober 1942 in einem mit Kleidern gefüllten Waggon, aus dem er während der Fahrt absprang. Er hat zwar den Angeklagten nicht mehr identifizieren können, erkannte ihn aber auf den Fotos wieder. Da er seine Aussage sehr vorsichtig, abwägend und ruhig gemacht hat und da er sie mit seinem Eide bekräftigt hat, hat das Schwurgericht keine Bedenken, seiner Aussage zu folgen.

Dass der Zeuge die Erschiessung selbst nicht mit eigenen Augen gesehen hat, weil er nicht in das getarnte Lazarett hineinsehen konnte, wertet seine Bekundung nicht ab; denn er hat während seiner mehrere Stunden andauernden Arbeit beim Sortieren beobachtet, dass sich zu dieser Zeit, als Franz das Mädchen ins Lazarett führte, dort niemand anderer befunden hat, so dass der Schuss nur von Franz selbst abgegeben worden sein kann.

7. Tötung eines Juden mit einem Gewehrkolben

Bei der Einfahrt eines Transportzuges im Jahre 1942 oder im Jahre 1943 sprang ein Jude aus dem Waggon heraus und blieb schwer verletzt liegen. Er wurde ins Lager gebracht und bat um Wasser. Der Angeklagte Franz liess einen Eimer voll Wasser zu diesem Mann bringen. Als er versuchte, aus diesem Eimer zu trinken, liess Franz das nicht zu, sondern schlug ihm den mit Wasser gefüllten Eimer um den Kopf. Dann schlug er mit dem Kolben eines Gewehrs so lange auf den Mann ein, bis er tot war. Dieser Vorfall, den der Angeklagte abstreitet, wird durch die eidliche Aussage des 42 Jahre alten Schlossers Tai., der in Tel Aviv lebt, bestätigt. Der Zeuge, der sich vom 3.September 1942 bis zum 2.August 1943 im Vernichtungslager Treblinka befand, hat sehr sorgfältig zwischen dem unterschieden, was er selbst gesehen und dem, was er nur gehört hat. Er hat den Angeklagten mit Sicherheit wiedererkannt. Obwohl er in Treblinka seine Mutter und mehrere andere Verwandte verloren hat, liess seine Aussage keinen Hass gegen die Angeklagten erkennen. Er hat vielmehr sachlich und ruhig berichtet, welche Angeklagten sich zu besonderen Taten haben hinreissen lassen und welche sich lediglich auf die Ausübung der ihnen übertragenen Funktion beschränkt haben. Da er einen sehr gereiften Eindruck auf das Schwurgericht gemacht und überdies seine Aussage beschworen hat, ist das Gericht von der Wahrheit und Richtigkeit seiner Bekundung überzeugt.

8. Der Tod der Warschauer Jüdin Inka Salzwasser

Der Zeuge Sed., der damals beim sogenannten Desinfektionskommando beschäftigt war, das die Desinfizierung und Verpackung des abgeschnittenen Frauenhaares zu besorgen hatte, bemerkte bei der Abfertigung eines Transportes seine frühere Freundin Inka Salzwasser aus Warschau. Er wollte sie retten. Der über 1.90 m grosse Zeuge, der von den Deutschen "Langer" genannt wurde, genoss bei den deutschen SS-Leuten wegen seiner Grösse und wegen seiner sportlichen Erscheinung einige Sympathien. Er hoffte deshalb, seine frühere Freundin durch Fürsprache bei den deutschen SS-Leuten vor der Vergasung retten zu können. Er wandte sich zunächst an die in der Frauenauskleidebaracke tätigen jüdischen Frisöre mit der Bitte, seiner Freundin Inka Salzwasser nicht die Haare zu schneiden, da er sich für sie einsetzen wolle. Dann ging er zum SS-Hauptscharführer Küttner und bat ihn, Inka Salzwasser zur Arbeit im unteren Lager auszusuchen. Küttner tobte zunächst, war aber nach längerer Fürbitte durch Sed. mit der Rettung von Inka Salzwasser einverstanden. Unter mehreren hundert Frauen suchte Sed. nach ihr, konnte sie jedoch nicht finden. Wie er hörte, befand sie sich bereits auf dem Wege zum Totenlager. Auf seine Bitte lief ein SS-Mann, dem die Häftlinge den Spitznamen Maus gegeben hatten, in Richtung zum Totenlager und brachte von dort die bereits nackte Inka Salzwasser zurück, die sich sogleich wieder anziehen konnte. Voller Freude über die gelungene Rettung ging Sed. mit der Salzwasser zu Küttner, um sie ihm vorzustellen. Da kam Franz hinzu und erkundigte sich danach, was hier los sei. Sed. sagte ihm, dass Küttner die Inka Salzwasser gerettet habe. Da wurde Franz sehr böse und sagte im Hinblick auf Inka Salzwasser: "Weg mit der Scheisse!" Auf seine Anordnung wurde Inka Salzwasser von einem dem Zeugen Sed. namentlich nicht mehr bekannten SS-Mann in den Schlauch gebracht und dort von ihm erschossen.

Der Angeklagte Franz bestreitet diese Tat und gibt an, den Zeugen aus Treblinka überhaupt nicht zu kennen, während die Angeklagten Suchomel und Miete einräumen, den Zeugen aus Treblinka zu kennen, wo er wegen seiner Körpergrösse aufgefallen sei. Der jetzt 51 Jahre alte Zeuge Sed. ist assistent director in einem grossen Hotel in New York. Er hatte von dem bereits begonnenen Prozess gegen Franz und andere zum ersten Mal in der New York Times gelesen. Zunächst war er nicht bereit, sich als Zeuge zu melden, da er das grausige Geschehen in Treblinka, wo er seine Ehefrau, seine Eltern und seine Schwester verloren hat, vergessen wollte. Als er sich bei einem New Yorker Anwalt deswegen Rat holte, ermahnte ihn dieser, sich um der Gerechtigkeit und der Geschichte willen doch als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Erst nach langen inneren Kämpfen hat er sich bereit gefunden, nach Deutschland zu kommen, um in Düsseldorf auszusagen. Er hat auf das Schwurgericht wegen seiner ruhigen, präzisen und ausgewogenen Schilderung der Verhältnisse in Treblinka einen guten Eindruck gemacht. Er hat sich nicht darauf beschränkt, nur belastende Dinge über die Angeklagten zu bekunden, sondern er ist bestrebt gewesen, für die Angeklagten Suchomel und Stadie auch günstige Umstände bekanntzugeben. Die Angeklagten Franz, Stadie, Suchomel und Mentz hat er prompt wiedererkannt, Franz auch auf den ihm vorgelegten drei Fotos. Trotz des Verlustes seiner Angehörigen in Treblinka hat er sich in keinem Punkte dazu hinreissen lassen, in seinen Schilderungen zu übertreiben oder nur Gehörtes als selbst Erlebtes auszugeben. Er zählt mit zu den zuverlässigsten Zeugen dieses Verfahrens. Das Schwurgericht hatte daher keinerlei Bedenken, ihm in vollem Umfange Glauben zu schenken.

9. Tötung eines alten Juden

In der Zeit vom 22.September 1942 bis zum 6.Oktober 1942 war mit einem Transport ein Mann im Alter von 70 bis 75 Jahren angekommen, der nur langsam gehen konnte. Franz sprach ihn sinngemäss wie folgt an: "Warum läufst Du nicht schneller? Mache Dir nichts daraus. Ich bringe Dich zum Lazarett." Der alte Mann dachte, er käme in ein richtiges Krankenhaus und bedankte sich bei Franz mit den Worten: "Ich danke Ihnen, mein Herr." Daraufhin führte ihn Franz ins Lazarett, von wo der Mann nicht mehr zurückkehrte, da er dort entweder von Franz selbst oder auf Anordnung von Franz von einem im Lazarett diensttuenden SS-Mann erschossen wurde.

Der Angeklagte Franz leugnet diesen Vorfall. Er wird aber durch die präzise Bekundung des jetzt 39 Jahre alten Polsterers und Dekorateurs Zi., der in New York lebt, überführt. Zi. hielt sich vom 22.September 1942 an zwei Wochen lang im Lager auf. Dann konnte er zusammen mit 10 anderen Kameraden fliehen. Der Zeuge hat den Vorfall mit dem alten Mann aus nächster Nähe beobachtet. Obwohl er damals erst 16 Jahre alt und nur zwei Wochen im Lager war, hat er zahlreiche Einzelheiten über das Lagerleben geschildert, die von Zeugen aus anderen Teilen der Welt, mit denen Zi. keine Verbindung hat, bestätigt wurden. Insbesondere hat er Franz persönlich spontan wiedererkannt, daneben auch auf den ihm vorgelegten drei Fotos. Der Zeuge hat darauf hingewiesen, dass er die Erschiessung im Lazarett selbst nicht gesehen hat. Das Schwurgericht ist jedoch davon überzeugt, dass der alte Mann im Lazarett entweder von Franz selbst oder auf seine Anordnung von einem anderen SS-Mann dort erschossen wurde, weil das Lazarett nach den übereinstimmenden Angaben aller Angeklagten und aller in Treblinka inhaftiert gewesenen Zeugen dazu bestimmt war, alte und kranke Menschen, welche die zügige Abwicklung eines Transportes störten, durch Genickschuss zu liquidieren. Es spricht nichts dagegen, dass es diesem alten Mann hier anders ergangen ist.

Da der Zeuge Zi. seine Aussage ruhig und sachlich gemacht und sie überdies beschworen hat, hat das Gericht keine Bedenken, von ihrer Richtigkeit auszugehen.

10. Tötung eines weiteren alten Juden

Bei einem anderen Transport in der Zeit vom 22.September 1942 bis zum 6.Oktober 1942 fiel Franz erneut ein alter Mann auf, der nicht schnell genug laufen konnte. Er ging auf ihn zu und würgte ihn am Hals. Dann liess er wieder los. Als der alte Mann dennoch nicht schneller ging, würgte ihn Franz zum zweiten Mal am Hals. Als auch das nicht half, führte er ihn ins Lazarett. Von dort kehrte der alte Mann nicht mehr zurück. Er wurde dort entweder von Franz selbst oder auf Anordnung von Franz von einem SS-Mann beziehungsweise einem Ukrainer erschossen, die dort Dienst taten. Franz bestreitet auch diesen Vorfall. Die vom Gericht getroffenen Feststellungen beruhen hier, wie im Falle 9., auf den glaubhaften eidlichen Bekundungen des Zeugen Zi.

Soweit in der Hauptverhandlung noch weitere Untaten des Angeklagten Franz bei Transportabfertigungen erörtert worden sind, reicht das Ergebnis der Beweisaufnahme zu einer eindeutigen Überführung des Angeklagten nicht aus. Die Aussagen der verschiedenen Zeugen hierzu sind entweder zu unbestimmt und unsicher, oder sie stehen in einem unvereinbaren Widerspruch zu den Bekundungen anderer Personen von gleicher Glaubwürdigkeit, oder aber die Zeugen haben die geschilderten Vorgänge nicht persönlich erlebt, sondern kennen sie lediglich aus den Erzählungen und Berichten Dritter. In diesen Fällen - es handelt sich dabei um die unter den Nummern I.A. 1, 4, 9, 11 und 14 der rechtlichen Hinweise in der Hauptverhandlung vom 23.Juli 1965 aufgeführten Tatbestände - musste deshalb im Zweifel zugunsten des Angeklagten Franz entschieden werden.

VI. Erwiesene Einzeltaten (sogenannte Exzesstaten) des Angeklagten Franz ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala

Am Spätnachmittag eines Tages Anfang September 1942 - wahrscheinlich am 11.September 1942 - führte der zur Wachmannschaft gehörende SS-Unterscharführer Max Biala eine Selektion durch, um aus den angetretenen Männern eines eben aus Warschau angekommenen Transportes neue Arbeitsjuden auszuwählen. Beim Abschreiten der Front stürzte sich aus den Reihen der Angetretenen ein junger Mann auf Biala und verletzte ihn mit mehreren Messerstichen in der Schultergegend. Max Biala brach zusammen. Er wurde von dem Angeklagten Stadie verbunden und sofort in das Kriegslazarett in Ostrow gebracht. Auf dem Wege dahin verstarb er jedoch bereits.

Der Angreifer, der wahrscheinlich Lubliner hiess, wurde von anwesenden und hinzueilenden SS-Männern und Ukrainern auf der Stelle mit Spaten und Gewehrkolben niedergeschlagen und hierdurch getötet.

Zur Vergeltung für diesen Überfall veranstalteten die Wachmannschaften unter den angetretenen Juden ein fürchterliches Massaker, indem sie längere Zeit mit Schusswaffen wahllos auf die Juden einschossen und hierdurch eine grössere Anzahl von ihnen töteten. Unter den Juden entstand eine Panik. Sie zerstreuten sich in alle Richtungen. Einigen von ihnen gelang es sogar, durch das Lagertor ausserhalb des Lagers zu gelangen. Sie alle wurden jedoch wieder von den Ukrainern und den SS-Leuten zusammengetrieben und mussten erneut antreten.

Inzwischen hatte der sich im Totenlager bei den Gaskammern aufhaltende SS-Obersturmführer Christian Wirth von den Vorfällen erfahren. Er eilte ins untere Lager hinunter. Er tobte und gab dem inzwischen ebenfalls am Tatort eingetroffenen Angeklagten Franz Weisung, jeden Zehnten der angetretenen Juden zu erschiessen. Dann entfernte Wirth sich und überliess Franz die Durchführung dieser Anordnung. Franz konnte nach eigenem Gutdünken die Opfer aussuchen. Er verfuhr hierbei so, dass er keineswegs jeden Zehnten heraussuchte, sondern willkürlich auf einzelne Personen zeigte, die heraustreten mussten. Die Männer mussten sich mit dem Gesicht in Richtung zu den noch angetretenen Juden in einer Reihe hinknien. Franz erschoss sie dann durch Genickschuss. Dabei benutzte er zunächst seine eigene Pistole und dann die Pistole des Angeklagten Mentz, die ihm dieser reichte, nachdem Franz seine eigene Pistole leergeschossen hatte. Die Zahl der bei dieser Aktion getöteten Männer steht nicht mit Sicherheit fest, es waren aber mindestens zehn Personen, die hierbei durch die Hand des Angeklagten Franz den Tod fanden.

Der Angeklagte bestreitet diese Tat unter Hinweis darauf, dass er sich erst ab 1.November 1942 im Vernichtungslager Treblinka befunden habe.

Dass Franz sich jedenfalls bereits am Tage des Todes von Max Biala im Vernichtungslager befunden hat, ergibt einmal die Einlassung des Angeklagten Miete zu diesem Punkt. Miete hat in der Voruntersuchung und in der Hauptverhandlung mit aller Bestimmtheit erklärt, dass Franz sich schon am Tage des Todes von Max Biala im Lager befunden hat. Er hat sogar mit eigener Hand eine Skizze angefertigt, in der die Einzelheiten der Hinrichtung und die Stelle, an der Franz die Erschiessung vorgenommen hat, eingezeichnet sind. Alle anderen Angeklagten, insbesondere die im unteren Lager tätig gewesenen Angeklagten Stadie und Suchomel haben dazu gesagt, Miete und Franz hätten niemals Streit miteinander gehabt und sie könnten sich nicht vorstellen, dass Miete in diesem Punkt die Unwahrheit sage. Auch das Schwurgericht hat keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass Miete seinen Mitangeklagten Franz, sei es vorsätzlich oder sei es irrtümlich, zu Unrecht belastet hat. Es hat deshalb keine Bedenken, der Einlassung Mietes zu folgen, Franz habe am Tage des Todes von Max Biala zehn Häftlinge erschossen. Das gilt um so mehr, als drei eidlich gehörte Zeugen diesen Tathergang im wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, und zwar der 68 Jahre alte Angestellte Au. aus Stockholm, der 42 Jahre alte Schlosser Tai. aus Tel Aviv und vor allem der 40 Jahre alte Hafenlagerist Ros. aus Bat Jam in Israel. Lediglich bei der Zahl der von Franz bei dieser Gelegenheit durch Genickschuss getöteten Juden bestehen Unterschiede in den Zeugenaussagen. Während Au. die Zahl der von Franz erschossenen Personen mit 30 bis 40 beziffert, gibt Tai. eine Zahl von 30 an. Demgegenüber hat der Zeuge Ros., der diesen Vorgang wie auch andere Vorfälle im Lager besonders präzise geschildert hat, angegeben, die Zahl der Opfer sei geringer gewesen, es seien aber mindestens insgesamt 10 Männer von Franz ausgesucht und durch Genickschuss erschossen worden. Insoweit stimmt seine Bekundung weitgehend mit der von dem Mitangeklagten Miete gegebenen Darstellung überein. Das Schwurgericht geht deshalb zugunsten des Angeklagten Franz davon aus, dass er bei dieser Gelegenheit 10 Männer durch Genickschuss getötet hat.

Das Schwurgericht hält die drei eidlich vernommenen Zeugen Au., Tai. und Ros. sämtlich für glaubwürdig. Der jetzt 68 Jahre alte Zeuge Au., der Oberleutnant der Reserve beim österreichischen Heer gewesen ist und am ersten Weltkrieg teilgenommen hat, befand sich von August 1942 bis zum 23.Dezember 1942 in Treblinka. An diesem Tage gelang es ihm, sich in einem mit Bettwäsche beladenen Güterwaggon zu verstecken und ca. 3 km vor Siedlce aus dem Zug herauszuspringen. Er hat Franz auf Anhieb wiedererkannt. Seine Schilderungen zur Lagerorganisation und zum Lagerleben stimmen mit denen von zahlreichen anderen Zeugen und zum Teil auch mit den Einlassungen der Angeklagten überein. Er hat seine Aussage besonnen, ruhig und ohne Hass- und Rachegefühle gemacht. Das Gericht trägt deshalb keine Bedenken, seiner Aussage über den allgemeinen Geschehnisablauf bei der Erschiessung der Männer anlässlich des Todes von Max Biala zu folgen.

Das gilt auch für die entsprechenden Angaben des Zeugen Tai. Dass dieser Zeuge glaubwürdig ist, ist bereits unter A. V. 7. des Zweiten Teiles der Gründe näher dargelegt worden. Der Hafenlagerist Ros. ist einer der zuverlässigsten Zeugen dieses Strafverfahrens, da er immer nur das geschildert hat, was er persönlich erlebt hat, da er sich insbesondere vor jeglicher Übertreibung, auch in weniger bedeutsamen Punkten dieses Strafverfahrens, gehütet hat und da er insgesamt auf das Schwurgericht einen reifen und ausgewogenen Eindruck gemacht hat. Er hat Franz spontan wiedererkannt. Die Aussagen dieses Zeugen, der vereidigt worden ist, sieht das Schwurgericht in vollem Umfange als zutreffend an.

2. Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Todestag von Max Biala und ihre Überstellung zur Erschiessung im Lazarett

Im Anschluss an die unter 1. geschilderte Erschiessung von mindestens 10 Arbeitsjuden durch Franz wurden die Leichen sämtlicher an diesem Tage getöteter Männer ins Lazarett gebracht. Dann wurden die Überlebenden unter den Juden in ihre Unterkunft geführt. Dort blieben sie bis gegen 11 Uhr des nächsten Tages. Dann mussten sie zum Appell heraustreten. Es handelte sich um 130 bis 150 Mann. Franz, der diesen Appell abnahm, erklärte dem Angeklagten Miete, alle diese Juden sollten auf Anordnung von Wirth "abgelöst", d.h. im Lazarett liquidiert werden. Miete bat ihn darauf, die etwa 50 Männer, die zu dem von Miete geführten Sortierkommando gehörten, von der Liquidierung auszunehmen. Franz erlaubte das. Nachdem Miete die etwa 50 Mann des Sortierkommandos herausgesucht hatte, musste der Rest in Stärke von mindestens 80, höchstens jedoch 100 Mann unter Bewachung von ukrainischen Wachleuten den Gang ins Lazarett antreten. Auf Anordnung von Franz wurden sie dort durch Genickschuss erschossen.

Der Angeklagte Franz bestreitet seine Beteiligung auch in diesem Fall. Er ist jedoch durch die eingehenden Angaben des Mitangeklagten Miete in Verbindung mit den eidlichen Aussagen der Zeugen Ros., Au. und Tai., die das Schwurgericht für uneingeschränkt glaubwürdig ansieht, überführt. Dafür, dass der Angeklagte Franz bei der Erschiessung persönlich mitgewirkt hat, hat sich kein sicherer Anhaltspunkt ergeben. Es ist hier ebenfalls wie im ersten Fall nicht auszuschliessen, dass die ursprünglich beabsichtigte Liquidierung des gesamten Häftlingsbestandes auf einer allgemeinen Anordnung von Christian Wirth beruhte, deren Durchführung im einzelnen ins Ermessen des Angeklagten Franz gestellt war.

3. Erschiessung des Itzek Choncinsky auf der Latrine

Bei einem Rundgang durch das untere Lager wandte der Angeklagte Franz seine besondere Aufmerksamkeit der auf dem Sortierplatz im Auffanglager befindlichen Latrine zu. Auf dieser Latrine hockten mehrere Juden, die ihr Bedürfnis verrichteten. Sie sahen den Angeklagten, der in ihrem Rücken stand, nicht. Franz machte sich ein Vergnügen daraus, auf die Juden in der Latrine zu schiessen und sie zu töten. Er schoss bei einer dieser Gelegenheiten auf den aus Czenstochau stammenden Juden Itzek Choncinsky mit seiner Pistole und traf ihn tödlich. Der tote Choncinsky wurde später ins Lazarett gebracht und dort verbrannt.

Der Angeklagte bestreitet diesen Vorfall. Er wird aber durch die glaubhafte, eidliche Bekundung des jetzt 48 Jahre alten Schneiders Lac. in Washington im Staate New York überführt. Der Zeuge war etwa 20 bis 30 m von der Latrine entfernt, als Franz auf Choncinsky schoss. Da der Zeuge ebenso wie Choncinsky aus Czenstochau stammt und da er Choncinsky von dort her gut kannte, interessierte er sich für dessen Schicksal. Obwohl der Zeuge in Treblinka seine Eltern verloren hat, bestehen keine Bedenken, seiner Bekundung, die auf einer präzisen Einzelbeobachtung beruht, zu folgen; denn der Zeuge hat bei seiner gesamten Aussage Hass- und Rachegefühle nicht erkennen lassen, sondern nur bestimmte, von ihm selbst erlebte Vorkommnisse geschildert. Wo er nichts Genaues mehr wusste, hat er das sogleich eingeräumt.

So hat der Zeuge Lac., der Franz sofort wiedererkannte, weiterhin geschildert, dass Franz mehrfach und bei verschiedenen anderen Gelegenheiten auf der Latrine hockende Juden erschossen habe. Er hat jedoch hierbei gesagt, dass er die Namen der Opfer und nähere Einzelheiten über ihren Tod nicht mehr angeben könne. Auch der eidlich gehörte Kaufmann Kols. und der eidlich vernommene Obsthändler Br. haben derartige Bekundungen gemacht. Das Schwurgericht hat keinerlei Bedenken, auch diesen Zeugen, die einen ordentlichen Eindruck bei ihrer Vernehmung gemacht haben, zu folgen. Demnach ist es höchstwahrscheinlich, dass Franz öfter auf Juden in der Latrine geschossen und hierbei jeweils mindestens einen oder sogar mehrere Juden getötet hat. Eine jeden Zweifel ausschliessende Feststellung lässt sich jedoch nur im Falle des Häftlings Choncinsky treffen, da nähere Einzelheiten über den Tod anderer Juden von den Zeugen nicht angegeben werden konnten.

4. Der Tod des jüdischen Arztes Dr. Roland Choranzicky

An einem Morgen in der zweiten Aprilhälfte des Jahres 1943 entdeckte der Angeklagte Franz bei dem im deutschen Krankenrevier tätigen, aus Warschau stammenden jüdischen Arzt Dr. Roland Choranzicky einen grösseren Geldbetrag. Es kam zwischen dem Arzt und dem Angeklagten zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Schliesslich sprang Dr. Choranzicky aus dem Fenster. Draussen brach er, vermutlich weil er Gift genommen hatte, zusammen. Der Angeklagte und weitere deutsche SS-Männer stürzten sich nun auf den am Boden liegenden Arzt und schlugen ihn zu einer fast unkenntlichen Masse zusammen. Dann liess Franz sämtliche Arbeitsjuden des unteren Lagers zu einem Sonderappell zusammentreten. Als alles auf dem Appellplatz angetreten war, wurde der wie ein blutiges Bündel aussehende Arzt, der noch röchelnd atmete, herangeschleift und vor den Augen der angetretenen männlichen und weiblichen Häftlinge erneut misshandelt, indem man ihn auspeitschte. Daran beteiligte sich mit besonderem Eifer auch der Angeklagte Franz, nachdem er mit grossem Bedacht aus den Peitschen der anwesenden SS-Männer diejenige Peitsche ausgewählt hatte, die ihm am besten in der Hand lag. Nach dieser Auspeitschung gab Dr. Choranzicky kaum noch Lebenszeichen von sich. Der Angeklagte, der unter allen Umständen von Dr. Choranzicky erfahren wollte, von welchem Goldjuden er das Geld hatte, versuchte, ihn wieder zum Bewusstsein zu bringen, jedoch nicht, um ihn endgültig zu retten, sondern um ihn nach einer Vernehmung über die Herkunft des Geldes anschliessend zu töten.

Er liess den Arzt mit kaltem Wasser überschütten, ihm nach Öffnen des Mundes die Zunge herausziehen und ihm Wasser in den Mund giessen. Dann trat er mit beiden Füssen auf dem Bauch des Arztes herum, um ihn hierdurch zum Übergeben zu veranlassen. Schliesslich liess er ihm durch eine jüdische Ärztin den Magen mit Hilfe eines Schlauchs auspumpen. Als jedoch alle diese Versuche ergebnislos blieben, wurde der Arzt auf den Prügelbock gelegt und erneut auf das Schwerste misshandelt und geschlagen. Nachdem er noch eine Zeitlang zu Abschreckungszwecken auf dem Prügelbock gelegen hatte, liess Franz ihn schliesslich ins Lazarett schaffen. Hier erhielt der Arzt, dessen Körper einem blutenden Fleischbündel glich, noch einen Gnadenschuss, bevor er in die Lazarettgrube zum Verbrennen geworfen wurde.

Der Angeklagte Franz, der über den Vorfall und insbesondere darüber, dass er von Dr. Choranzicky nichts mehr über die Herkunft des vorgefundenen Geldes erfahren konnte, in grosse Wut geraten war, liess anschliessend sämtliche Goldjuden, etwa 10 an der Zahl, bei denen er die Quelle der bei Dr. Choranzicky vorgefundenen Geldmittel vermutete, zum Lazarett kommen. Dort mussten sie sich nackt ausziehen. Sie wurden dann unter Todesdrohungen darüber verhört, ob einer von ihnen Dr. Choranzicky das Geld gegeben hatte. Da das Verhör ergebnislos verlief und der Angeklagte Suchomel sich bereits zuvor an Franz gewandt und ihn gebeten hatte, die eingearbeiteten Goldjuden zu schonen, entliess Franz schliesslich die Goldjuden wieder zu ihrer Arbeit.

Der Angeklagte lässt sich wie folgt ein:

Er sei am deutschen Revier, dessen Tür geöffnet gewesen sei, vorbeigegangen und habe zufällig gesehen, wie Dr. Choranzicky einen Bündel von Zloty-Geldscheinen in seiner Hosentasche gehabt habe, da er seinen Arztkittel aufgeknöpft hatte. Da der Besitz von Geld verboten gewesen sei, habe er ihn zur Rede gestellt. Dr. Choranzicky habe geantwortet, er brauche das Geld zur Flucht. Er habe sich mit einem Seziermesser auf ihn gestürzt. Er, Franz, habe einen Stuhl ergriffen und ihn als Schutz benutzt. Dr. Choranzicky habe das Seziermesser nach ihm geworfen, ihn aber nicht getroffen, da er ausgewichen sei. Hierbei habe er, Franz, jedoch sein Gleichgewicht verloren und sei auf sein Gesäss gefallen. Dr. Choranzicky habe Gift genommen und sei aus dem Fenster gesprungen. Da er draussen liegengeblieben sei, habe er ihn auf eine Trage legen lassen. Er habe ihm durch eine Ärztin aus dem jüdischen Krankenrevier den Magen auspumpen lassen, um ihn zu retten. Er sei dem Arzt nämlich zu grossem Dank verpflichtet gewesen, da er von ihm mehrfach ärztlich gut versorgt worden sei. Das Auspumpen des Magens habe zu seinem grössten Bedauern keinen Erfolg gehabt. Er habe Dr. Choranzicky nicht geschlagen und ihn auch nicht schlagen lassen. Derartiges habe ihm ferngelegen. In keinem Falle sei ihm daran gelegen gewesen, den Tod des Arztes herbeizuführen. Wegen des Besitzes des Geldes hätte er ihm allenfalls eine Verwarnung erteilt oder die Angelegenheit dem Kommandanten Stangl gemeldet.

Es sei auch nichts Wahres daran, dass er anschliessend die Goldjuden im Lazarett verhört und nur auf die Bitte von Suchomel wieder freigegeben habe.

Soweit der Angeklagte den Vorgang im deutschen Krankenrevier schildert, ist von seiner insoweit unwiderlegten Einlassung auszugehen. Im übrigen vermag das Schwurgericht jedoch seiner Darstellung nicht zu folgen. Aus den eidlichen und glaubhaften Bekundungen des 44 Jahre alten Ingenieurs Gl. aus Prag, des 43 Jahre alten Braumeisters Un. aus Vancouver im Staate Washington der USA, des 62 Jahre alten Sägewerksleiters Raj. aus Montreal in Kanada, des 51 Jahre alten Mechanikers Tu. aus Bat Jam / Israel, des 55 Jahre alten Bautechnikers Koh. aus Ramat Gan / Israel, des 56 Jahre alten Geschäftsführers Zygmund Stra. aus Montreal, des 48 Jahre alten Schneiders Lac. aus Washington im Staate New York der USA, des 51 Jahre alten Hoteldirektionsassistenten Sed. aus New York und des 46 Jahre alten Schlossers Ku. aus Giwataim/Israel ergibt sich vielmehr für das Gericht mit voller Gewissheit, dass der Angeklagte Franz keineswegs darauf bedacht war, Dr. Choranzicky zu retten, sondern dass er alles tat, um ihn auf bestialische Art und Weise zu töten, nachdem es ihm nicht mehr gelungen war, von ihm Auskünfte über die Herkunft des Geldes zu erhalten. Diese Aussagen der in den verschiedensten Städten und Ländern wohnhaften Zeugen stimmen in allen wichtigen Punkten überein. Sie schildern unter anderem übereinstimmend das Schlagen und Auspeitschen des Dr. Choranzicky durch Franz und den Umstand, dass Franz versuchte, den Arzt mit Hilfe von eingeflösstem Wasser wieder zum Bewusstsein zu bringen. Sie bekunden schliesslich übereinstimmend, dass Franz auf dem Bauch des Arztes herumtrat, als dieser sich trotz des eingeflössten Wassers nicht mehr rührte.

Allerdings lassen alle diese Zeugenaussagen nicht zwingend den Schluss zu, dass Dr. Choranzicky aufgrund der von Franz erlittenen Misshandlungen gestorben ist. Die Möglichkeit, dass er durch das vorher eingenommene Gift den Tod gefunden hat, lässt sich nicht ausschliessen. Sie muss deshalb zugunsten des Angeklagten Franz angenommen werden.

Dass Franz sich nach dem Vorfall im Dr. Choranzicky der Goldjuden annahm und sie nackt im Lazarett verhörte, um etwas darüber zu erfahren, woher Dr. Choranzicky sein Geld hatte, wird nicht nur durch den Zeugen Gl., dessen besondere Glaubwürdigkeit bei der Schilderung des Falles A.VI. 6. ausführlich begründet wird, sondern auch durch den Mitangeklagten Suchomel bestätigt, der damals nach seinen Angaben Franz gebeten hat, er möge den Goldjuden nichts tun, da sie eingearbeitete Leute seien. Die Frage, ob seine Bitte Franz gegenüber wegen des Lebens der Goldjuden nötig gewesen sei, hat Suchomel - nach längerer Bedenkzeit, während der ihn Franz zornig anblickte - nicht beantworten wollen. Da Suchomel die Frage sicherlich beantwortet hätte, wenn seine Antwort für Franz günstig gewesen wäre, zieht das Gericht aus seinem Schweigen in diesem Punkt den Schluss, dass er seinerzeit befürchtete, Franz würde die Goldjuden töten.

5. Verletzung eines Häftlings durch einen Schuss mit dem Jagdgewehr und seine Liquidierung im Lazarett

An einem nicht mehr feststellbaren Tage bemerkte der Angeklagte Franz im Lagergelände einen Arbeitshäftling, der ihm aus irgendeinem Grunde auffiel. Er nahm ein Jagdgewehr, dass er bei sich führte, von der Schulter, schoss auf diesen Arbeitshäftling aus Vergnügen und verletzte ihn. Da der Mann aber nicht tödlich getroffen war, sondern sich noch allein auf seinen Beinen halten konnte, gab der Angeklagte Franz dem Mitangeklagten Miete den Befehl, den angeschossenen Arbeitshäftling ins Lazarett zu nehmen und ihn dort erschiessen zu lassen. Der Mann ging, von Miete begleitet, ins Lazarett und wurde hier erschossen. Der Angeklagte bestreitet diesen Vorfall unter Hinweis darauf, in Treblinka habe es gar keine Jagdgewehre gegeben. Zu diesem Punkt haben die Mitangeklagten Stadie und Matthes erklärt, dass es in Treblinka wohl einige Jagdgewehre gegeben habe, die allerdings in der Hauptsache dem Kommandanten Stangl zur Verfügung gestanden hätten, aber auch von anderen Angehörigen der SS-Wachmannschaft benutzt werden konnten. Der Vorfall selbst ist erwiesen durch die eidliche, glaubhafte Bekundung des 60 Jahre alten Kaufmanns Do. aus Bat Jam / Israel, der diesen Vorfall aus einer Entfernung von 70 bis 80 m beobachtete und der den ihm bekannten Häftling, der verletzt ins Lazarett ging, nicht mehr wieder sah.

Der Darstellung dieses Zeugen schenkt das Schwurgericht insbesondere auch deshalb Glauben, weil mehrere andere Zeugen, so der Ingenieur Gl. und der Klempner Oscar Stra., bekundet haben, dass Franz öfter mit einem Jagdgewehr auf Häftlinge zu schiessen pflegte.

6. Der Tod des Hans Burg

Als im Frühjahr 1943 die Häufigkeit der Transporte nachzulassen begann, mussten die Arbeitsjuden des unteren Lagers auf dem Sortierungsplatz Erdarbeiten ausführen und zu diesem Zweck eine Kipplorenbahn anlegen. Der sechzehnjährige Häftling Hans Burg, der kurz zuvor vom Fleckfieber genesen war, stellte sich hierbei ungeschickt an, und zog sich dadurch den Zorn des Angeklagten Franz zu. Der Angeklagte brüllte den Jungen heftig an und gab ihm mit einem Spaten einen so schweren Schlag auf den Kopf, dass Burg blutend zusammenbrach und wahrscheinlich bereits durch diesen Schlag getötet wurde. Franz gab anschliessend dem Mitangeklagten Miete den Befehl, den Burg, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab, ins Lazarett zu bringen und dort zu liquidieren. Im Lazarett erhielt Burg einen Gnadenschuss.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des in Prag lebenden, jetzt 44 Jahre alten Ingenieurs Gl., der den gesamten Vorgang, den Franz freilich in Abrede stellt, aus allernächster Nähe beobachtet und anschliessend seinem Freund, dem Zeugen Un., hiervon berichtet hat, was dieser wiederum bei seiner eidlichen Vernehmung durch den deutschen Konsul in Seattle bekundet hat. Bei dem Ingenieur Gl. handelt es sich um einen besonders zuverlässigen, sehr intelligenten und überaus glaubwürdigen Zeugen. Seine Aussage, die er leidenschaftslos und sachlich gemacht hat, ist deshalb so wertvoll, weil er nicht nur einzelne der Angeklagten in konkreten Punkten belastete, sondern weil er andererseits wiederum von manchen deutschen SS-Leuten, so z.B. vom Angeklagten Suchomel, überwiegend Positives berichtete. Er hat überdies erklärt, dass es ihm, da er fliessend Deutsch sprach und sehr auf ein adrettes Äusseres trotz widriger Umstände hielt, zum Teil besser ergangen ist als anderen Häftlingen. Er hat z.B. darauf hingewiesen, dass er von keinem der Angeklagten jemals geschlagen oder gepeitscht worden ist. Er hat über das untere Lager, über das allgemeine Lagergeschehen und über das deutsche Lagerpersonal eine solche Fülle von Einzelheiten berichtet, dass die Angeklagten ihm hinsichtlich dieser Darstellung allgemeiner Dinge vollauf beipflichten mussten. Das gilt insbesondere von dem Angeklagten Suchomel, der sich an Gl. wegen seiner Körpergrösse und wegen
seines Dialekts genau erinnerte. Der Zeuge Gl. hat übrigens den Angeklagten Franz ohne jedes Zögern wiedererkannt. Für das Schwurgericht gibt es keinen Zweifel daran, dass Gl. nicht nur bei der Schilderung allgemeiner Dinge, sondern - wie im vorliegenden Falle - bei der Bekundung von Einzeltaten die Wahrheit gesagt hat. Er ist der Zeuge mit den umfassendsten Kenntnissen über die Vorgänge des unteren Lagers und damit eine besondere Stütze des Schwurgerichts bei der Wahrheitsfindung.

7. Erschiessung von 7 Häftlingen

Ende November / Anfang Dezember 1942 war es einer Gruppe von 7 Häftlingen zunächst geglückt, aus dem Lager zu entkommen. Sie wurden jedoch bei der anschliessenden Verfolgung wieder eingefangen. Beim Morgenappell wurden die sieben Häftlinge, die trotz der herrschenden Kälte völlig nackt waren, den angetretenen Juden vorgeführt.

Der Angeklagte Franz hielt eine Ansprache und gab unter ständigen Drohungen und Verwünschungen bekannt, dass die sieben Männer erschossen werden sollten. Anschliessend liess er die sieben Häftlinge ins Lazarett bringen und tötete sie dort an der Grube durch Genickschuss mit seiner Pistole in Anwesenheit aller Kapos, die aus Gründen der Abschreckung auf Befehl des Angeklagten der Exekution beiwohnen mussten. Der Angeklagte Franz bestreitet die Tat. Er wird jedoch durch die glaubhaften eidlichen Aussagen der Zeugen Gl. und Un. überführt, die an dem Appell teilnahmen, auf dem Franz die bevorstehende Erschiessung der sieben Häftlinge bekanntgab. Der tschechische Kapo Bloch, der die Erschiessung der sieben Männer im Lazarett selbst mit ansah, berichtete hiervon den beiden Zeugen Gl. und Un. in allen Einzelheiten. Der Zeuge Gl. sah zudem selbst die Leichen der sieben Erschossenen in der Lazarettgrube liegen.

8. Erschiessung eines Häftlings, der den Davidstern nicht abgetrennt hatte

Im Winter Anfang 1943 stellte der Angeklagte Franz bei einer Kontrolle der bereits sortierten, zu Paketen verpackten und zum Abtransport vorbereiteten Bekleidung fest, dass an einem Kleidungsstück der Judenstern nicht abgetrennt worden war. Er holte sich den dafür verantwortlichen Häftling heraus und liess das gesamte Sortierkommando auf dem Sortierplatz antreten. Dann befahl er einem Angehörigen der ukrainischen Wachmannschaft, den Häftling vor dem versammelten Kommando zu erschiessen. Der Schuss des Ukrainers tötete den Häftling nicht sofort. Der lediglich im Unterleib verletzte Häftling fiel in den Schnee. Er krümmte sich vor Schmerzen. Franz zog seine Pistole und tötete ihn durch einen Kopfschuss.

Der Angeklagte bestreitet den Vorfall. Er wird jedoch durch die glaubwürdige und mit dem Eide bekräftigte Aussage des Bautechnikers Koh. überführt. Dass der Zeuge Koh. persönlich glaubwürdig ist, ist bereits in A.V. 3. dargelegt worden. Da er den hier geschilderten Vorfall aus allernächster Nähe gesehen hat, bestehen an der Richtigkeit seiner Bekundung keine Zweifel.

9. Erschiessung eines jungen Häftlings im oberen Lager

Im Sommer 1943 befahl der Angeklagte Franz bei einer Inspektion des oberen Lagers einem jungen Häftling, sich nackt auszuziehen und sich auf Händen und Füssen niederzulassen. Nachdem der Häftling dies getan hatte, schoss der Angeklagte ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf und tötete ihn hierdurch.

Der Grund für diese Tötung konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden.

Der Angeklagte bestreitet diesen Vorfall. Er wird jedoch durch die eidliche Aussage der jetzt 42 Jahre alten, in Bat Jam / Israel lebenden Büroangestellten Lew. überführt, die den Vorfall persönlich gesehen hat.

Die Zeugin Lew., die als eine der wenigen Frauen aus dem Vernichtungslager Treblinka entkommen konnte, hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie befand sich vom 15.Dezember 1942 bis 2.August 1943 in Treblinka, und zwar zunächst im unteren Lager und ab 5.März 1943 im oberen Lager. Sie verfügt über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Mit einer geradezu verblüffenden Genauigkeit konnte sie eine zutreffende Beschreibung des im Lager tätigen deutschen Personals geben. Spontan hat sie von den Angeklagten, die am Tage der Vernehmung der Zeugin - wie an zahlreichen anderen Verhandlungstagen - ihre Plätze nach einem stets wechselnden Plan vertauschen mussten, acht wiedererkannt. Nur Ru. und Lambert vermochte sie nicht zu identifizieren. Sie schilderte darüber hinaus die allgemeinen Lagerverhältnisse und die allgemeinen Ereignisse im Lager so präzise, dass einige der Angeklagten, so der Angeklagte Suchomel für das untere Lager und der Angeklagte H. für das obere Lager, ihre Angaben insoweit für 100%ig richtig bezeichneten. Zudem hat Frau Lew. auch einige Umstände bekundet, welche für die Angeklagten Stadie und H. nicht ungünstig sind, indem sie gesagt hat, Stadie habe sie dadurch vor der Vergasung gerettet, dass er sie für die Wäscherei ausgesucht habe, und H. habe sich mit den Frauen des oberen Lagers des öfteren freundlich unterhalten und an einige der Frauen Bonbons verteilt, wobei sie selbst allerdings nicht bedacht worden sei. Das hat der Angeklagte H. bestätigt. Sind die Schilderungen der Zeugin aber in allen diesen Punkten zutreffend, so ist nicht einzusehen, weshalb sie gerade in bezug auf einzelne Taten des Angeklagten Franz die Unwahrheit gesagt haben soll, zumal sie selbst durch ihn kein einziges Mal misshandelt worden ist. Unter diesen Umständen bestehen keine Bedenken, aufgrund der Aussage der Zeugin Lew. die Erschiessung eines jungen Häftlings im oberen Lager durch Franz als erwiesen anzusehen.

10. Erschiessung der Häftlinge Chaim Edelmann, Jakob Edelmann und Salk Wolfowicz

Am Vormittag gegen 11 Uhr eines Tages Ende Dezember 1942 machte der Angeklagte Franz einen seiner gefürchteten Rundgänge durch das Lager. Im oberen Lager bemerkte er die aus Warschau stammenden Gebrüder Chaim und Jakob Edelmann sowie den ebenfalls aus Warschau stammenden Salk Wolfowicz, die alle drei mit dem Transport von Leichen beschäftigt waren. Um sich eine Abwechslung zu bereiten, beschloss er, diese drei Häftlinge zu erschiessen. Sie mussten sich zwischen der zweiten und dritten Kammer des grossen Gashauses aufstellen. Franz erschoss sie dann nacheinander eigenhändig mit seiner Pistole.

Obwohl der Angeklagte diese Erschiessung leugnet, sieht das Gericht diesen Fall aufgrund der zuverlässigen eidlichen Aussage des Staatsangestellten Li., der jetzt 46 Jahre alt ist und in Givataim/Israel lebt, als erwiesen an. Dieser Zeuge, der in Warschau geboren ist und dort bis zu seinem Abtransport nach Treblinka gelebt hat, kannte die drei Opfer bereits von Warschau her persönlich. Da ihr Schicksal ihn deshalb besonders interessierte, beobachtete er den Vorfall aus nächster Nähe. Das konnte er deshalb so gründlich tun, weil er in der Nähe des grossen Gashauses als "Dentist" mit dem Herausbrechen von Goldzähnen aus Leichen beschäftigt war. Die genauen Namensangaben der drei Opfer wie auch die präzise Schilderung von Zeitpunkt und Örtlichkeit der Tat lassen keinen Zweifel daran, dass Franz diese drei Warschauer Juden erschoss.

11. Erschiessung von zwei Häftlingen im Lazarett im Anschluss an den sogenannten Sport

Während einer gewissen Zeit im Jahre 1943 verschafften sich einige der Angehörigen des deutschen Lagerpersonals im Vernichtungslager Treblinka dadurch einen Zeitvertreib, dass sie im Anschluss an den Abendappell mit einer Gruppe von Häftlingen den sogenannten Sport veranstalteten. Häftlinge, die infolge ihrer geschwächten Gesundheit zu langsam gearbeitet hatten oder aus sonstigen Gründen aufgefallen waren und deshalb meist bereits mit einem Peitschenhieb im Gesicht "gezeichnet" waren oder deren Häftlingsnummern man sich notiert hatte, mussten nach der Beendigung des Abendappells heraustreten. Sie wurden dann unter ständigen Beschimpfungen und Peitschenhieben auf dem Appellplatz unter häufigem Niederlegen und Aufstehen so lange im Kreise umhergetrieben, bis einige das nicht mehr mitmachen konnten, zusammenbrachen und liegenblieben. Diese wurden zur Seite geschleift, und der "Sport" wurde fortgesetzt, bis man auf diese Weise genügend Schwache aussortiert hatte. Alle, die beim "Sport" liegengeblieben waren, wurden dann ins Lazarett gebracht und dort erschossen. Diejenigen Häftlinge, die den "Sport" durchhielten, sah man als noch genügend arbeitsfähig an. Sie wurden wieder in die Unterkunftsbaracke geführt. Da den zum "Sport" ausgesuchten Häftlingen bekannt war, dass sie nur überlebten, wenn sie beim Laufen nicht schlappmachten und hinfielen, gaben sie ihre letzten körperlichen Kräfte her, um den "Sport" überstehen und am Leben bleiben zu können. Der "Sport" wurde entweder von dem Angeklagten Franz oder dem SS-Hauptscharführer Küttner oder auch von beiden gemeinsam veranstaltet. Zu ihrer Unterstützung wirkten der eine oder andere SS-Unterscharführer, so insbesondere der SS-Unterscharführer Hirtreiter, der Angeklagte Miete und auch der Ukrainer Rogossa mit. Franz hatte bei manchen dieser "Sportveranstaltungen" seinen Hund Barry bei sich, den er auf die Laufenden hetzte.

Bei dem Abendappell an einem Tage im Jahre 1943 wurde neben anderen Häftlingen auch der aus Lodz stammende, aber bis zu seinem Abtransport nach Treblinka in Czenstochau lebende Häftling Starsze Lipchitz ausgesucht. Er litt an Typhus, hatte sich 2 Tage lang im Krankenrevier befunden, war dann aber vorzeitig zum Appell gegangen. Beim Appell war er als kranker Mann dem SS-Hauptscharführer Küttner aufgefallen, der ihn zusammen mit anderen Häftlingen für den "Sport" aussuchte. Am darauffolgenden "Sport" selbst beteiligten sich der Angeklagte Franz, Küttner, Miete und der Ukrainer Rogossa. Diese vier Männer jagten unter Leitung von Franz die kranken Häftlinge im Kreis über den Appellplatz. Der Häftling Starsze Lipchitz und ein weiterer namentlich nicht bekannter Häftling waren den Anstrengungen des "Sports" nicht gewachsen. Sie fielen vor Erschöpfung hin, wurden zur Seite geschleift und dann auf Anordnung des Angeklagten Franz ins Lazarett gebracht und von Miete erschossen. Der Angeklagte Franz bestreitet, an einer solchen "Sportveranstaltung" teilgenommen zu haben. Darüber hinaus will er vom sogenannten "Sport" nicht einmal etwas gehört haben. Das alles ist mit Sicherheit unrichtig. Die Mitangeklagten Miete, Ru. und Suchomel haben erklärt, dass derartige Sportveranstaltungen im Lager öfter stattgefunden haben, dass sie aber insbesondere vom SS-Hauptscharführer Küttner und vom SS-Unterscharführer Hirtreiter veranstaltet worden seien. Der Angeklagte Miete hat bestritten, am "Sport" selbst persönlich teilgenommen zu haben. Er hat jedoch eingeräumt, beim Sport Selektierte im Lazarett erschossen zu haben. Auf die Frage, wer ihm solche Selektierte zur Erschiessung übergeben habe, hat er geantwortet, dass sei in einigen Fällen von Franz, in anderen Fällen von Küttner geschehen. Miete hält es für möglich, auch Lipchitz und dessen Kameraden liquidiert zu haben. Die Namen der Opfer, so sagt er, vermöge er jedoch nicht anzugeben.

Dass der Angeklagte Franz mehrfach an derartigen Sportveranstaltungen teilgenommen hat, haben der Ingenieur Gl., der Geschäftsführer Zygmund Stra., der Klempner Oscar Stra., der Magazinverwalter Lak., der Kaufmann Kols. und der Mechaniker Tu. bekundet. Sie haben ihre Aussage mit ihrem Eide bekräftigt. Dass Franz, der nach den Bekundungen des Zeugen Gl. dazu neigte, aus allem, was im Lager passierte, eine "Schau" zu machen, sich nicht die Gelegenheit wird haben entgehen lassen, mit den Häftlingen den "Sport" zu betreiben, davon ist das Gericht überzeugt. Gab doch gerade diese Art einer "Sportveranstaltung" dem Angeklagten die beste Gelegenheit wieder einmal eine "Schau" zu veranstalten und sich mehrere Stunden lang auf satanische Art und Weise zu vergnügen.

Allerdings lässt sich nicht eindeutig klären, wie oft ein derartiger "Sport" veranstaltet worden ist, wie oft Franz hieran beteiligt war und wie viele Juden insgesamt hierbei ihr Leben gelassen haben, da die Zeugen - mit Ausnahme des Zeugen Tu. - konkrete Einzelfälle mit bestimmten Opfern nicht beschreiben konnten. Mit hinreichender Sicherheit lässt sich nur ein einziger Fall des "Sports" feststellen, bei dem der Häftling Starsze Lipchitz und ein anderer Häftling auf Anweisung von Franz ausgesondert und anschliessend im Lazarett erschossen wurden. Diesen Fall schilderte der 51 Jahre alte Mechaniker Tu. aus Bat Jam / Israel ausführlich. Er hat durch ein Fenster der jüdischen Unterkunftsbaracke diese "Sportveranstaltung", an der Franz, Küttner, Miete und der Ukrainer Rogossa teilnahmen, auf das Genaueste beobachtet, weil sich unter den "Sport" treibenden Häftlingen der Czenstochauer Starsze Lipchitz befand, den er von Czenstochau her gut kannte. An seinem Schicksal war er besonders interessiert. Er sah, wie Starsze Lipchitz und ein anderer Häftling beim Sport hinfielen. Er hörte die laute Anweisung von Franz an Miete, diese beiden Personen ins Lazarett zu bringen und dort zu erschiessen. Wenn er auch die Erschiessung der beiden durch Miete im Lazarett nicht miterlebt hat, so spricht doch der Umstand, dass er Starsze Lipchitz und den anderen Häftling seit dieser Zeit nicht mehr im Lager gesehen hat, eindeutig dafür, dass diese beiden Männer von Miete im Lazarett liquidiert worden sind. Dass es üblich war, die Opfer des "Sports" im Lazarett zu erschiessen, hat im übrigen der Mitangeklagte Miete - insoweit durchaus glaubhaft - eingeräumt. Schliesslich war es ja der Zweck des "Sports", schwache und kranke Häftlinge auf ihre Arbeitsfähigkeit und Widerstandskraft zu prüfen und die schwächsten von ihnen zu töten.

Der eidlich vernommene Zeuge Tu. hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat Franz persönlich sofort wiedererkannt. Auch auf den Bildern, die Franz in Uniform zeigen, hat er ihn sofort identifiziert. Besonders beeindruckt hat das Schwurgericht der Umstand, dass er hierbei ohne besonderen Vorhalt sogleich sagte, ein Bild von Franz, das ihn als SS-Offizier zeigt, habe er allerdings vor einigen Jahren in einer israelischen Zeitung gesehen. Das spricht für eine besondere Objektivität des Zeugen. Das gilt auch davon, dass er bezüglich des Angeklagten Stadie anerkennend bemerkte, er verdanke ihm das Leben, weil er ihn zur Arbeit herausgesucht und hierdurch vor der Vergasung bewahrt habe. Er hat also keineswegs nur pauschal über Untaten der Angeklagten berichtet, sondern sich bemüht, auch gewisse positive Dinge zugunsten einzelner Angeklagter zu bekunden. Zudem hat er mit besonderer Sorgfalt zwischen dem unterschieden, was er persönlich erlebt, und dem, was er nur gehört hat. Das Schwurgericht hat keine Bedenken, seiner Bekundung zu folgen.

12. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, den er zuvor durch einen Peitschenhieb am Auge verletzt hatte

Bei einem Kontrollgang durch das Lager im Jahre 1942 versetzte der Angeklagte einem arbeitenden Häftling einen Peitschenhieb ins Gesicht und verletzte hierdurch ein Auge dieses Häftlings. Der auf diese Weise "gestempelte" Häftling bat den Angeklagten Franz, er möge ihn am Leben lassen, er wolle in Zukunft besonders gut arbeiten. Diese Bitte sprach er deshalb aus, weil er befürchtete, als Verletzter sofort zur Liquidierung ins Lazarett zu kommen. Tatsächlich liess sich Franz dazu erweichen, das Leben dieses Verletzten zu schonen. Nach einigen Tagen fiel dieser Verletzte dem Angeklagten Franz bei einem Abendappell durch sein immer noch blaues Auge auf. Er fragte ihn, ob es ihm jetzt besser gehe. Als der Häftling das bejahte, nahm ihn Franz mit ins Lazarett. Dort wurde dieser Häftling erschossen, entweder durch Franz selbst oder durch den dort diensttuenden SS-Unterführer auf Befehl von Franz. Der Angeklagte Franz, der diese Tat leugnet, wird durch die eidliche Aussage des Magazinverwalters Lak. überführt. Lak. hat nicht nur gesehen, wie Franz den Häftling mit einem Peitschenhieb am Auge verletzte, sondern auch erlebt, wie er diesen Häftling zum Lazarett abführte. Der Umstand, dass der Zeuge Lak. die eigentliche Erschiessung im Lazarett nicht mitangesehen hat, lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass der betreffende Häftling tatsächlich erschossen worden ist; denn der Zeuge Lak. hat nämlich weiter ausgesagt, dass er von der Erschiessung dieses Häftlings von den im Lazarett tätigen Kameraden gehört und dass er darüber hinaus diesen Häftling nie mehr gesehen habe. Das lässt durchaus den Schluss zu, dass der Häftling im Lazarett, das ja eigentlich eine perfekte Genickschussanlage war, erschossen worden ist.

Den Kern der von dem Zeugen Lak. gemachten Aussage hat der ebenfalls eidlich gehörte Angestellte Au., 68 Jahre alt und in Stockholm wohnhaft, bestätigt. Der Zeuge Au. hat zwar nicht gesehen, wie Franz den Häftling mit einer Peitsche ins Gesicht schlug und hierbei ein Auge des Häftlings verletzte. Wohl aber ist er bei dem Abendappell anwesend gewesen, bei dem Franz den Häftling mit dem blauen Auge herausholte und ihn ins Lazarett abführte. Auch er hat diesen Mann später nie wieder gesehen und darüber hinaus von Kameraden in Erfahrung gebracht, dass der Mann mit dem blauen Auge im Lazarett erschossen worden ist.

Beide Zeugen haben auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Der jetzt 62 Jahre alte, in Eiron/Israel wohnhafte Zeuge Lak. hat seine Aussage ruhig und besonnen gemacht. Er hat genau zwischen dem unterschieden, was er selbst erlebt und dem, wovon er nur gehört hat. Obwohl er im Vernichtungslager Treblinka seine Eltern, seine Ehefrau, drei Kinder und andere Verwandte verloren hat, hat er bei seiner Aussage keine Hass- und Rachegefühle erkennen lassen. Er hat den Angeklagten Franz sofort wiedererkannt, obwohl Franz vor der Vernehmung des Zeugen eine von der üblichen Sitzordnung abweichenden Platz einnehmen musste. Seine Darstellung von verschiedenen Lagervorgängen war so klar und wohlabgewogen, dass das Schwurgericht keine Bedenken trägt, den Zeugen für glaubwürdig zu halten.

Ähnlich verhält es sich bei dem 68 Jahre alten und in Stockholm wohnhaften Zeugen Au., der mit dem Zeugen Lak. keinerlei Verbindung hat. Dieser Zeuge besass vor der Verfolgung in Lodz eine Tuchfabrik. Nach seinem Studium in Wien diente er in der österreichischen Armee und brachte es zum Oberleutnant der Reserve. Er floh am 23.Dezember 1942 aus dem Lager. Was er von seiner Einlieferung ins Lager im August 1942 bis zu seiner Flucht am 23.Dezember 1942 erlebte, hat er wohl abgewogen und objektiv geschildert. Auch er erkannte Franz sofort wieder. Seiner glaubhaften Aussage folgt das Schwurgericht.

13. Erschiessung des Häftlings Eliasz Adlerstein im oberen Lager

Im Winter 1942/1943 arbeiteten der Zeuge Ros. und sein Kamerad Eliasz Adlerstein beim Leichentransport im oberen Lager. Weil sie Hunger hatten, wollten sie von den Gaskammern zur Küche gehen, um dort etwas Warmes zu essen. Wegen der herrschenden Kälte hielten sie ihre Hände in den Rocktaschen. Da kam ihnen der Angeklagte Franz, der einen Kontrollgang im oberen Lager unternahm, entgegen. Ros. und Adlerstein schrien "Achtung". Sie blieben stehen und nahmen stramme Haltung an, weil ihnen bekannt war, dass Franz das so wünschte. Nachdem sie stramme Haltung angenommen hatten und Franz zunächst nichts gesagt hatte, gingen sie in Richtung der Küche weiter. Da rief Franz den Häftling Adlerstein zurück. Er zog seine Pistole und schoss ihm ins Gesicht, und zwar in die Stirn zwischen die Augen. Adlerstein war sofort tot. Anschliessend rief Franz auch Ros. zu sich. Er schlug mit der Hand so stark auf Ros. ein, dass dieser zu Boden fiel. Ros. erwartete, ebenfalls erschossen zu werden. Wider Erwarten sah Franz hiervon ab. Weil es kalt war und weil seine Handschuhe nicht mehr richtig sassen, beschäftigte er sich einige Zeit damit, seine Handschuhe so überzuziehen, dass sie wieder seine Hände richtig bedeckten. Er verlor auf einmal das Interesse daran, auch Ros. zu erschiessen. Dadurch blieb Ros. am Leben.

14. Erschiessung des Häftlings Mendel Nuessenbaum im oberen Lager vom Pferd aus

Im Jahre 1943, zu einer Zeit, als nur wenig Transporte ankamen, waren der Zeuge Ros. und sein Kamerad Mendel Nuessenbaum damit beschäftigt, Sand über die in einer Leichengrube gestapelten Leichen zu streuen. Da kam der Angeklagte Franz in langsamer Gangart auf einem Pferd ins obere Lager geritten, um es zu inspizieren. Als er sich der Leichengrube genähert hatte, zog er plötzlich seine Pistole und schoss auf Mendel Nuessenbaum, den er im Körper traf. Nuessenbaum fiel zu Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Franz kam mit seinem Pferd näher heran und sagte: "Ich habe nicht gut gezielt." Dann schoss er dem neben der Grube liegenden Mendel Nuessenbaum mit seiner Pistole in den Kopf. Mendel wurde durch diesen zweiten Schuss getötet.

Der Angeklagte Franz bestreitet, die Häftlinge Adlerstein und Nuessenbaum erschossen zu haben. In beiden Fällen wird er jedoch durch die eidliche Aussage des Zeugen Ros. überführt, dessen besondere Glaubwürdigkeit bereits in A.VI. 1. dargelegt worden ist. Ros. ist einer der zuverlässigsten Zeugen dieses Verfahrens. Er hat immer nur das geschildert, was er persönlich erlebt hat. Er hat sich jeglicher Übertreibung, auch in weniger bedeutsamen, das Lager Treblinka betreffenden Fragen, enthalten. Er hat Franz spontan wiedererkannt. Da er insgesamt auf das Schwurgericht einen reifen, ausgewogenen Eindruck gemacht hat, sieht das Schwurgericht seine Bekundungen in vollem Umfang als zutreffend an.

15. Tötung des Goldjuden Stern

Im Frühjahr 1943 stellte der Angeklagte Franz eines Tages bei einer Kontrolle der Goldjuden fest, dass der Goldjude Stern verbotenerweise Geld oder Gold in seinem Besitz hatte. Er nahm ihn mit nach draussen, liess ihn mit den Armen über den Kopf in die Kniebeuge gehen und peitschte abwechselnd mit dem SS-Hauptscharführer Küttner so lange auf den Unglücklichen ein, bis dessen Gesicht nur noch eine blutige, kaum noch zu identifizierende Masse war. Beim nachfolgenden Sonderappell wurde Stern auf Weisung von Franz an den Beinen auf den Appellplatz geschleift, mit kaltem Wasser übergossen und erneut schwer ausgepeitscht. Zuletzt liess Franz den Stern, der kaum noch ein Lebenszeichen von sich gab, zur Erschiessung ins Lazarett schaffen. Dort wurde Stern erschossen.

Der Angeklagte Franz stellt entschieden in Abrede, mit dem Tode des Goldjuden Ster auch nur das Geringste zu tun zu haben. Er wird jedoch auch in diesem Falle durch das Ergebnis der Beweisaufnahme eindeutig überführt. So konnte der Mitangeklagte Suchomel - nach monatelangem Schweigen zu diesem Punkt - nicht umhin, die Misshandlung des Stern durch Franz und Küttner zu bestätigen. Er hat zwar nicht selbst gesehen, wie Franz und Küttner auf Stern eingeschlagen haben. Bevor Stern auf den Appellplatz geschleift wurde, konnte Suchomel, dem der Goldjude Stern arbeitsmässig unterstand, mit Stern sprechen und ihn fragen, wer ihn misshandelt habe. Stern hat hierauf angegeben, er sei von Franz und Küttner geschlagen worden. Wie Suchomel weiter angibt, habe er sich anschliessend bei Franz und Küttner um eine Rettung des Stern bemüht, jedoch ohne Erfolg.

Die Misshandlung und Tötung des Goldjuden Stern ist weiter durch die glaubhaften Aussagen von mehreren Zeugen erwiesen, die den Vorfall persönlich beobachtet haben. Es handelt sich hierbei um die Zeugen Oscar Stra., Gl., Tai., Ku., Koh., Sed. und Lew. Alle diese Zeugen haben den Vorfall eingehend geschildert und haben ihre Aussage beschworen. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern und Städten. Wenn sie den Fall des Goldjuden Stern im wesentlichen übereinstimmend bekunden, dann lässt das nur den Schluss zu, dass ihnen dieser sehr grausame Vorfall in besonders guter Erinnerung geblieben ist. Das Schwurgericht ist deshalb davon überzeugt, dass Stern von Franz und Küttner schwer misshandelt worden ist und dass er auf Anordnung von Franz ins Lazarett gebracht und dort erschossen worden ist.

16. Tötung eines Häftlings im Lazarett, der zuvor durch einen Schuss in die Hüfte verletzt worden war

Im Herbst 1942 kam Franz morgens auf den Sortierplatz. Zu seinem Vergnügen schoss er mit seiner Pistole in der Gegend umher. Hierbei wurde ein junger polnischer Häftling durch einen Schuss in der Hüfte verletzt. Der Häftling liess sich nichts anmerken, sondern arbeitete weiter, um nicht ins Lazarett gebracht zu werden. Abends in der Baracke versuchte der Zeuge Un., mit seinem Taschenmesser die Kugel zu entfernen, was jedoch nicht gelang. Die Hüftverletzung verschlimmerte sich sogar. Der Häftling blieb in der Baracke, weil er Fieber hatte und nicht mehr arbeitsfähig war. Einen Tag oder einige Tage später kontrollierte Franz während der Arbeitszeit die jüdische Unterkunftsbaracke, in der sich unter anderem der an der Hüfte verletzte Häftling und der fieberhaft erkrankte Zeuge Gl. befanden. Franz fragte jeden Häftling nach dem Grund für sein Fernbleiben von der Arbeit. Als der an der Hüfte verletzte Häftling an der Reihe war, sagte dieser zu Franz: "Ich habe einen Schuss in der Hüfte von Ihnen, Herr Chef." Franz gab zur Antwort: "Das will ich jetzt besser machen." Er nahm den Mann mit ins Lazarett, wo er erschossen wurde.

Dieser Vorfall steht trotz des energischen Bestreitens des Angeklagten Franz fest aufgrund der präzisen und glaubhaften eidlichen Aussage des Ingenieurs Gl., der den gesamten Vorgang in der Baracke persönlich miterlebt hat. Dass Gl. bei der Erschiessung im Lazarett selbst nicht dabei war, begründet keine Zweifel daran, dass der Mann tatsächlich erschossen wurde; denn Gl. erfuhr am gleichen Tage von den im Lazarett tätigen jüdischen Häftlingen, dass der Mann mit dem Hüftschuss erschossen wurde. Zudem sah er diesen Mann seit diesem Tage nicht mehr im Lager.

Die Aussage des Zeugen Gl. hat er eidlich vernommene Braumeister Un. bestätigt. Un. hat allerdings darauf hingewiesen, dass er nur den ersten Teil des Tatherganges, nämlich die Hüftverletzung des betreffenden Häftlings, selbst miterlebt hat. Beim Aussuchen des Häftlings zur Erschiessung im Lazarett war er nach seinen Angaben nicht anwesend, da er sich zu dieser Zeit bei der Arbeit und nicht in der Unterkunftsbaracke befand. Von den Vorgängen in der Baracke hat der Zeuge Gl. damals aber sogleich seinem Freund Un. berichtet, da Un. an dem Schicksal dieses Häftlings, dem er durch das - leider nicht geglückte - Herausholen der Pistolenkugel hatte helfen wollen, persönlich besonders interessiert war. Beide Zeugenaussagen haben das Schwurgericht zu der Überzeugung gebracht, dass Franz diesen Häftling an der Hüfte verletzte, dass er ihn zur Erschiessung ins Lazarett mitnahm und dort entweder selbst erschoss oder durch den diensttuenden deutschen Unterführer erschiessen liess.

17. Erschiessung eines von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett

Im Jahre 1942 mussten die Häftlinge einmal nachts einen Güterzug mit Textilien beladen, wobei sie die ganze Arbeit im Laufschritt verrichten mussten. Franz beaufsichtigte das Beladen. Er hatte seinen Hund Barry bei sich. Auf Geheiss von Franz stürzte sich Barry auf einen der dort arbeitenden Häftlinge und biss ihn in die Genitalien. Mit den Worten: "Mein Barry lässt die Kerle bald reif fürs Lazarett werden" liess Franz den Mann ins Lazarett bringen, wo er alsbald erschossen wurde.

Dieser Vorfall ist erwiesen durch die eidliche Bekundung des glaubwürdigen Zeugen Gl., der wie bereits mehrfach dargelegt worden ist, auf das Schwurgericht einen zuverlässigen, sachlichen und überaus guten Eindruck gemacht hat. Dem Bestreiten dieses Vorfalles durch Franz vermag das Schwurgericht keine Bedeutung beizumessen. Das gilt um so mehr, als der Mitangeklagte Miete nach anfänglichem hartnäckigem Sträuben schliesslich zugestanden hat, dass unter den ihm von Franz zur Erschiessung im Lazarett übergebenen Häftlingen sich auch solche befunden haben, die durch Barry angefallen und in der Genitalgegend gebissen worden waren.

18. Erhängung eines Häftlings im oberen Lager

An einem Tage Ende 1942 begleitete der Angeklagte Franz den Mitangeklagten Matthes, der Chef des Todeslagers war, nach dem Mittagessen vom unteren in das obere Lager. Im oberen Lager wollte er die Erhängung eines Häftlings veranlassen. Er liess in aller Eile einen Galgen errichten und verlangte dann nach einem Strick. Da im oberen Lager ein solcher nicht zu finden war, schickte er Matthes persönlich ins untere Lager, wo Matthes einen Strick besorgen sollte. Als Matthes, der sich absichtlich länger als notwendig unten aufgehalten haben will, wieder nach oben kam, war der Häftling schon erhängt und tot. Der Grund für diese Erhängung konnte nicht geklärt werden, wahrscheinlich handelte es sich um die Sühne für einen misslungenen Fluchtversuch.

Der Angeklagte bestreitet auch in diesem Falle jede Täterschaft. Er wird jedoch durch die konkreten Angaben des Mitangeklagten Matthes überführt. Dass im oberen Lager Ende 1942 ein Häftling gehängt worden ist, hat daneben auch der Mitangeklagte Münzberger bestätigt. Er hat hierzu gesagt, dass er bei der Erhängung nicht anwesend gewesen sei, da er wegen Nachtdienstes an diesem Nachmittag dienstfrei gehabt habe, dass er aber abends den Gehängten noch habe am Galgen hängen sehen. Dafür, dass Matthes und Münzberger den Angeklagten Franz etwa wider besseres Wissen dieser Tat beschuldigten, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Sämtliche übrigen Angeklagten haben nämlich angegeben, dass es zwischen Matthes und Münzberger einerseits und Franz andererseits niemals zu besonderen Spannungen oder Auseinandersetzungen gekommen sei. Selbst der Angeklagte Franz hat irgendeine Erklärung dafür, wie Matthes und Münzberger zu ihrer ihn belastenden Aussage kommen, nicht geben können, sondern sich lediglich darauf beschränkt, die Tat schlicht zu bestreiten. Dass er sie begangen hat, davon ist das Schwurgericht durch die Angaben von Matthes und Münzberger überzeugt.

19. Liquidierung des aus mindestens 25 Personen bestehenden Restkommandos Ende November 1943

Nach dem Abbruch des Lagers befanden sich gegen Ende November 1943 ausser einigen Angehörigen der deutschen und der ukrainischen Wachmannschaft wenigstens 25, höchstens 30 jüdische Häftlinge im Lagergelände, darunter 2 jüdische Frauen, die in der im Siedlungshaus untergebrachten Küche arbeiteten. Die restlichen Häftlinge waren in zwei Güterwaggons untergebracht, die entweder bewacht oder abgeschlossen wurden. Als der Angeklagte den Befehl erhielt, das Lager endgültig zu schliessen und mit dem Rest der Mannschaften in das Vernichtungslager Sobibor zu kommen, ordnete er die Liquidierung der letzten jüdischen Häftlinge an.

Zu diesem Zweck wurden sämtliche männlichen jüdischen Häftlinge in die zwei Güterwaggons gesperrt und dort von dem Mitangeklagten Ru. bewacht. Einer der jüdischen Häftlinge erhängte sich im Waggon, die anderen warteten auf ihre Erschiessung. Mit Hilfe eines von einem deutschen SS-Unterführer befehligten Zuges Ukrainer, der aus dem etwa 2 km entfernten Arbeitslager Treblinka zur Verfügung gestellt wurde, wurde in dem Raum zwischen den Güterwaggons und dem Siedlungshaus eine Postenkette gebildet, um jede Fluchtmöglichkeit auszuschliessen. Alsdann holte der SS-Unterscharführer Bredow zunächst die beiden in der Küche des Siedlungshauses tätigen jüdischen Frauen heraus. Gleichzeitig wurden die ersten fünf männlichen Häftlinge aus einem der beiden Waggons hergebracht. Diese sieben Personen, die angekleidet blieben, mussten sich in einer kleinen Mulde links vom Siedlungshaus hinknien und den Kopf herunternehmen. Dann wurden sie im Beisein des Angeklagten Franz von dem Mitangeklagten Mentz, dem SS-Unterscharführer Bredow und dem SS-Unterführer aus dem Arbeitslager Treblinka mit finnischen Maschinenpistolen, die auf Einzelschuss eingestellt waren, durch Genickschuss getötet. Die drei beteiligten SS-Unterführer, welche schossen, teilten sich in der Weise die Arbeit, dass einer links, der andere rechts und der Dritte in der Mitte mit dem Erschiessen der Opfer begann. Als das geschehen war, wurden jeweils 5 Männer aus den Waggons hergebracht. Sie mussten zunächst die Leichen der bereits Getöteten auf einen provisorisch hergerichteten Verbrennungsrost tragen, auf dem die Leichen verbrannt wurden. Dann wurden auch diese 5 Männer auf die eben beschriebene Art und Weise erschossen. Das wiederholte sich so lange, bis sämtliche Häftlinge getötet waren. Die letzten erschossenen Häftlinge wurden von Ukrainern zum Rost getragen und dort verbrannt.

Nachdem auf diese Weise die letzten jüdischen Häftlinge des Vernichtungslagers Treblinka beseitigt waren, fuhr der Angeklagte Franz mit den Angehörigen des Wachkommandos, darunter den Mitangeklagten Mentz und Ru., mit einem LKW zum Vernichtungslager Sobibor. Zuvor hatte der Angeklagte Mentz den Hund Barry auf Anordnung des Angeklagten Franz bei dem Chefarzt des Reservelazaretts Ostrow, dem Zeugen Dr.med. Stru., abliefern müssen.

Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass Franz sich an der Erschiessung persönlich beteiligt hat. Irgendein daran, dass er die Exekution des jüdischen Restkommandos angeordnet und ihre genaue Durchführung überwacht hat, besteht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht.

Dieser Sachverhalt, für den naturgemäss keine jüdischen Zeugen vorhanden sind, ist zur Überzeugung des Schwurgerichts durch die Angaben der Angeklagten Mentz und Ru. erwiesen. Der Angeklagte Franz bestreitet nicht, die Liquidierung des Restkommandos angeordnet zu haben. Er behauptet aber entsprechend seiner sonstigen Einlassung, dass diese Liquidierung bereits am 2.Oktober 1943 erfolgt sei, und zwar auf ausdrücklichen Befehl Globocniks. Dieser sei Mitte September 1943 mit einem Fieseler Storch nach Treblinka gekommen und habe ihm die ausdrückliche Anweisung erteilt, beim Verlassen des Lagers die dann noch vorhandenen Juden zu erschiessen. Bei einem zweiten Besuch, der diesmal mit einem Personenkraftwagen erfolgt sein soll, habe Globocnik seine Anweisung nochmals wiederholt. Schliesslich habe Globocnik ihm am Vormittag des 2.Oktober 1943 telefonisch erneut und unwiderruflich den Befehl zur Liquidation gegeben. Er, Franz, habe sich diesem Befehl nicht entziehen können, obwohl er grosses Mitleid mit den restlichen Häftlingen gehabt habe. Ihre Leichen seien auch nicht verbrannt, sondern durch den Ukrainer, der das Siedlungshaus übernommen und bewohnt habe, ordnungsgemäss bestattet worden.

Diese Einlassung ist durch die klaren und eindeutigen Angaben der Mitangeklagten Mentz und Ru. in Verbindung mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme widerlegt. Dass der Angeklagte Franz Treblinka nicht bereits am 2.Oktober 1943, sondern erst Ende November 1943 verlassen hat, wurde schon in A. III. des Zweiten Teiles der Gründe ausführlich dargetan. Die von ihm behaupteten Anweisungen Globocniks kann er zudem in dieser Form schon deshalb nicht erhalten haben, weil Globocnik bereits seit dem Sommer 1943 das Generalgouvernement verlassen hatte, um seinen neuen Aufgaben in Oberitalien und Istrien nachzugehen. Das ergibt sich eindeutig aus der glaubhaften eidlichen Aussage des ehemaligen SS-Obergruppenführers und Generals der Waffen-SS von dem Ba., der erklärt hat, er habe Globocnik, mit dem er 5 bis 6 mal zusammengetroffen sei, zum letzten Mal am 9.August 1943 in Lublin gesehen, und bereits Anfang September 1943 sei Globocniks Nachfolger SS-Gruppenführer Jakob Sporrenberg in Lublin gewesen. Danach muss Globocnik spätestens Ende August 1943 Lublin verlassen haben, um seine neue Stellung in Istrien und Oberitalien anzutreten. Er kann also unter keinen Umständen Franz Ende November 1943 den Befehl zur Erschiessung des jüdischen Restkommandos gegeben haben. Alles, was Franz in diesem Zusammenhang vorträgt, ist also unwahr und soll nur dazu dienen, seine Verantwortung für die letzten Vorkommnisse in Treblinka zu mindern. Damit kann der Angeklagte aber angesichts des eindeutigen gegenteiligen Beweisergebnisses keinen Erfolg haben. Der Angeklagte trägt für die Vernichtung der letzten jüdischen Häftlinge in Treblinka in der festgestellten Weise die volle Verantwortung, selbst dann, wenn - was nicht auszuschliessen ist - der letzte Anstoss zur Liquidierung des Restkommandos eine aus Lublin an ihn ergangene Weisung gewesen sein sollte, die aber keineswegs von Globocnik persönlich an ihn ergangen ist.

Die beiden Mitangeklagten Mentz und Ru. haben die Erschiessung des Restkommandos übereinstimmend so genau geschildert, dass das Schwurgericht von der Richtigkeit der von ihnen gegebenen Schilderung überzeugt ist. Beide bestätigen auch, dass die Leichen - entgegen der von Franz gegebenen Darstellung - nicht bestattet, sondern sofort an Ort und Stelle verbrannt worden sind. Wenn man sich überlegt, dass bisher die Leichen sämtlicher Opfer verbrannt worden sind, um alle Spuren der "Aktion Reinhard" zu vernichten, so kann man sich nicht vorstellen, dass es ausgerechnet bei der Erschiessung der letzten Häftlinge anders gehandhabt worden sein soll. Es ist bezeichnend für den Angeklagten Franz, dass er trotz mehrfacher Vorhalte dabei blieb, die Angeklagten Mentz und Ru. müssten sich geirrt haben, die Leichen seien nicht verbrannt, sondern auf seine ausdrückliche Anweisung von dem im Siedlungshaus wohnenden Ukrainer ordnungsgemäss in Gräbern bestattet worden.

VII. Tötungen von Häftlingen ausserhalb der Transportabfertigung, die im Eröffnungsbeschluss nicht enthalten sind

Abgesehen von diesen bereits geschilderten Taten hat die Beweisaufnahme noch weitere Fälle der Tötung von Häftlingen durch den Angeklagten Franz ausserhalb der Transportabfertigung ergeben, die zwar nicht Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses sind, weil sie erst in der Hauptverhandlung erstmals bekannt geworden sind, die aber bei der Urteilsfindung nicht ausser Betracht bleiben dürfen, weil sie für die Erkenntnis der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Einstellung zu den Geschehnissen in Treblinka von erheblicher Bedeutung sind.

Von den 43 Tatbeständen, die in den am 23.7.1965 gegebenen weiteren rechtlichen Hinweisen enthalten sind, hat das Schwurgericht 31 Fälle mangels ausreichenden Beweises als nicht erwiesen, die folgenden 12 Fälle jedoch als nachgewiesen angesehen:

1. Der Tod des jungen Kutschers

In der neben dem Lazarett befindlichen grossen Abfallgrube wurden der im Lager anfallende Müll, die Papiere und Dokumente der Opfer und auch die bei der Entladung der Eisenbahnwaggons "anfallenden Transporttoten" verbrannt. Die Abfälle des Lagers wurden unter anderem in einem zweirädrigen Pferdewagen zur Müllgrube gefahren. Kutscher dieses mit einem Pferd bespannten Wagens war ein junger Häftling.

An einem Tage im Herbst 1942 lenkte dieser junge Kutscher den mit Müll beladenen Pferdekarren zur Abfallgrube, in der ein kräftiges Feuer brannte. Am Rande der Grube scheute das Pferd. Sein Kutscher konnte nicht verhindern, dass es in die Grube fiel. Sofort wurden alle in der Nähe der Grube arbeitenden Häftlinge mobilisiert. Über die Köpfe der Häftlinge hinwegschiessend, trieben deutsche SS-Männer, darunter die Angeklagten Franz und Miete, sowie ukrainische Wachmänner die sich zunächst sträubenden Häftlinge in die brennende Müllgrube, damit sie das Pferd lebend herausholen sollten. Als das nicht gelang, wurde es erschossen und dann mit Hilfe eines Krans aus der Grube herausgeholt. Später wurde es enthäutet. Sein Fleisch wurde zur Ernährung der Häftlinge verwandt. Über den Verlust des Pferdes war Franz sehr wütend. Er winkte den jungen Kutscher zu sich und gab bekannt, dass dieser für den Verlust des Pferdes verantwortlich und dass er deshalb zu erschiessen sei. Franz und Miete führten den jungen Kutscher vor den Augen der an der Abfallgrube versammelten Häftlinge ins Lazarett. Hier wurde er erschossen, und zwar entweder durch Franz persönlich oder auf Anordnung von Franz durch Miete oder einen anderen deutschen SS-Unterführer.

Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des 40 Jahre alten, in Berlin lebenden Kaufmanns Ja., des 62 Jahre alten, in Montreal/Kanada lebenden Sägewerksleiters Raj. und des 46 Jahre alten, in Norfolk in Virginia/USA lebenden Kaufmanns Bu.

Der Zeuge Ja., der sich vom 3.Oktober 1942 an etwa 3 Wochen lang im Vernichtungslager Treblinka befand, hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Da er sich nur etwa 3 Wochen in Treblinka befunden hat, hat er nicht so viel erlebt wie andere Zeugen. Seine Bekundung beschränkte sich deshalb - abgesehen von einer präzisen Schilderung der damaligen Lagerverhältnisse - auf die Darstellung weniger Exzesstaten durch Franz und Miete. Die bis zu seiner Vernehmung nicht bekannte Erschiessung des jungen Kutschers hat er aus eigenem Erleben ausführlich und überzeugend bekundet. Die Angeklagten Franz und Miete hat er spontan identifiziert. Der Zeuge Raj., der dem Aufstandskomitee angehörte und damit das besondere Vertrauen seiner Kameraden besass, hat auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat die meisten der Angeklagten, insbesondere die Angeklagten Franz und Miete, sofort wiedererkannt. Er hat das alltägliche Geschehen und die besonderen Ereignisse im Lager ruhig und objektiv geschildert. Wenn er - völlig unabhängig von dem in Berlin lebenden Zeugen Ja. - den Vorfall mit dem Pferd und die Erschiessung des Kutschers genauso - wenn auch nicht so ausführlich - schildert wie Ja., so hat das Schwurgericht keine Bedenken, seiner Bekundung zu folgen.

Schliesslich hat der Zeuge Bu., der mit den Zeugen Ja. und Raj. keinerlei Verbindung hat, den Tod des jungen Kutschers bei seiner Vernehmung vor dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York ausführlich geschildert. Bu. bestätigt in vollem Umfang die von den Zeugen Ja. und Raj. vor dem Schwurgericht gemachten Aussagen. Obwohl diese Tat des Angeklagten Franz bereits durch die eidlichen Bekundungen der drei Zeugen Ja., Raj. und Bu. bewiesen ist, zieht das Gericht die eidliche Aussage des vor dem Generalkonsulat in New York vernommenen 53 Jahre alten und in New York wohnhaften Metzgers Schnei. unterstützend mit heran. Schnei. hat zwar den Vorfall mit dem Pferd und die Erschiessung des Kutschers nicht selbst miterlebt, sondern hiervon nur durch andere Häftlinge erfahren. Er weiss aber aus eigenem Erleben, dass er am Tattage damit beauftragt wurde, das erschossene Pferd zusammen mit einem anderen Kameraden abzuhäuten. Das spricht ebenfalls dafür, dass sich dieser Vorfall mit dem Pferd - entgegen dem Bestreiten der Angeklagten Franz und Miete - tatsächlich zugetragen hat. Während sich der Tatbeitrag des Angeklagten Franz - abgesehen von der Frage, ob er den Kutscher persönlich erschossen oder dessen Erschiessung durch einen anderen lediglich befohlen hat - durch die Beweisaufnahme hat eindeutig klären lassen, hat nicht festgestellt werden können, ob der Mitangeklagte Miete an der Erschiessung des Häftlings persönlich mitgewirkt hat; denn die Möglichkeit, dass Franz persönlich den Kutscher erschossen oder dass ihn ein anderer, namentlich nicht bekannter SS-Unterführer auf Befehl von Franz getötet hat, kann nicht ausgeschaltet werden.

2. Erschiessung eines zuvor auf dem Prügelbock misshandelten Häftlings im Lazarett

Bei einem Abendappell rief der SS-Hauptscharführer Küttner die Nummer eines Häftlings auf, der im Laufe des Tages aus irgendeinem Grunde aufgefallen war. Der Häftling wurde auf dem Prügelbock festgespannt und von Küttner und dem Angeklagten Franz auf das entblösste Gesäss geschlagen. Anschliessend gaben Franz und Küttner bekannt, dass dieser Häftling im Lazarett erschossen werden sollte. Auf ihre Anordnung hin wurde der Geprügelte auch sogleich ins Lazarett gebracht und dort erschossen. Dieser Vorfall, der von dem eidlich vernommenen Klempner Oscar Stra. geschildert worden ist, steht zur Überzeugung des Schwurgerichts fest. Der Zeuge Oscar Stra. hat auf das Gericht einen sachlichen, wahrheitsliebenden Eindruck gemacht. Er hat den Angeklagten Franz sofort wiedererkannt. Da er über einige der deutschen Wachleute, so über den Angeklagten Suchomel, auch Günstiges mitgeteilt hat, besteht kein Grund zu der Annahme, dass er subjektiv oder objektiv Falsches gesagt haben könnte. Obwohl der Zeuge die Erschiessung selbst im Lazarett nicht miterlebt hat, steht auch diese zur Überzeugung des Gerichts fest. Dass der Geprügelte tatsächlich im Lazarett liquidiert worden ist, dafür spricht der Umstand, dass Franz und Küttner seine bevorstehende Erschiessung beim Abendappell bekanntgegeben haben. Ausserdem hat ihn der Zeuge seit diesem Abendappell nicht mehr im Lager gesehen. Da das Lazarett eine Genickschussanlage war, lässt das nur den Schluss zu, dass der Geprügelte dort erschossen worden ist.

3. Erschiessung eines Häftlings auf dem Sortierplatz

Im Oktober 1942 gelang es einer Gruppe von elf Häftlingen des Sortierkommandos aus dem Lager zu entfliehen. Aus Wut und Empörung darüber und zur Abschreckung für die zurückgebliebenen Häftlinge suchte sich der Angeklagte Franz einen auf dem Sortierplatz arbeitenden Mann, der ihm gerade zufällig ins Auge fiel, heraus und erschoss ihn an Ort und Stelle mit der Pistole.

Diese Feststellungen beruhen auf der glaubhaften eidlichen Aussage des 51 Jahre alten, in New York lebenden Friseurs Bom., der bei der Abfertigung von Transporten zum Scheren der in die Gaskammern kommenden Frauen, sonst jedoch auf dem Sortierplatz eingesetzt war. Der Zeuge Bom. hat den Angeklagten Franz auf Anhieb und mit Sicherheit wiedererkannt. Er hat sich vom 23.September 1942 bis zu seiner Flucht Ende November / Anfang Dezember 1942 im Lager befunden. Seine Bekundungen hat er sachlich und wohlabgewogen gemacht. Sein Erinnerungsvermögen und seine Intelligenz sind gut. Das Schwurgericht hat um so weniger Bedenken seiner Aussage zu folgen, als der ebenfalls eidlich gehörte Polsterer und Dekorateur Zi. glaubwürdig bestätigt hat, in der ersten Hälfte des Monats Oktober 1942 zusammen mit 10 anderen Häftlingen aus dem Lager geflohen zu sein.

4. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Stückes Brot

Als sich der Angeklagte Franz eines Tages mit seinem Hund Barry auf dem Sortierplatz aufhielt, bemerkte er, dass einer der dort arbeitenden Häftlinge ein Stück Brot unter seinen Kleidern versteckt hielt. Franz hetzte seinen Hund Barry auf diesen Häftling, der von Barry übel zugerichtet wurde. Schliesslich erschoss Franz den Verletzten an Ort und Stelle mit seiner Pistole.

Diese Feststellungen beruhen auf der glaubhaften eidlichen Bekundung des 55 Jahre alten, in Ramat Gan in Israel wohnhaften Bautechnikers Koh. Er hat den Angeklagten Franz ohne Zögern identifizieren können. Ausserdem hat er ihn auch auf den Bildern, die Franz in Uniform zeigen, wiedererkannt. Wegen seiner ruhigen, korrekten Art und Weise, in der er seine Aussage gemacht hat, hat das Schwurgericht keine Bedenken, ihn als glaubwürdig anzusehen. Das gilt um so mehr, als er ausdrücklich erklärt hat, dass der Häftling Brot versteckt hielt, habe er selbst nicht gesehen, sondern dies nur von anderen Kameraden erfahren, während er alles übrige selbst bis in die letzte Einzelheit beobachtet habe. Der Umstand, dass er nur Gehörtes vom persönlich Erlebten streng unterscheidet, spricht für die Objektivität seiner Bekundung.

5. Erschiessung eines Häftlings in der Nähe des Mohrrübenbeetes

An einem Tag im Herbst 1942 beobachtete der damalige Häftling Do., wie der Angeklagte Franz auf dem Platz hinter den jüdischen Wohnbaracken, dort, wo in der Nähe des Lagerzauns ein Beet mit Mohrrüben angepflanzt war, aus einem nicht mehr feststellbaren Grunde seinen Hund Barry mit den Worten "Mensch, nimm den Hund!" auf einen dort arbeitenden jüdischen Häftling hetzte. Der Hund griff den Häftling an, warf ihn zu Boden und zerfleischte ihm den Unterleib. Zum Schluss erschoss der Angeklagte Franz den Mann an Ort und Stelle mit seiner Pistole.

6. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Selbstmordversuchs

Einem anderen Arbeitshäftling, der versucht hatte, durch Aufschneiden der Pulsadern Selbstmord zu begehen, machte der Angeklagte Franz bei einem Appell wegen dieses Selbstmordversuches und der daraus zu ersehenden Dummheit Vorwürfe. Dann übergab er ihn dem Angeklagten Miete zur Erschiessung ins Lazarett. Da Miete keinen Revolver bei sich hatte, gab ihm Franz seinen eigenen Revolver. Der Mann wurde weggeführt und von Miete im Lazarett erschossen. Er wurde seit diesem Appell nicht mehr gesehen.

Diese Feststellungen der Fälle 5 und 6 beruhen auf der eidlichen, glaubhaften Bekundung des durch das Kreisgericht in Tel Aviv / Israel ausführlich vernommenen Kaufmanns Do., der sich vom 21.September 1942 bis zum 2.August 1943 im Lager befunden hat. Da der Zeuge das deutsche Lagerpersonal gut beschrieben, da er Franz auf den ihm vorgelegten Bildern dreimal wiedererkannt und da er darüber hinaus zutreffende Angaben zum allgemeinen Lagergeschehen gemacht hat, hat das Schwurgericht keine Bedenken, seiner Aussage zu folgen.

7. Tötung eines jungen Arbeitsjuden bei der Ausführung von Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz

Als während der transportarmen Zeit des Jahres 1943 ein grösserer Teil der Häftlinge mit Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz beschäftigt war, sollte ein junger Mann gemeinsam mit einem anderen eine Sandkiste tragen. Er war aber so schwach, dass er die Kiste nicht hochheben konnte. Daraufhin schlugen drei bis vier SS-Leute unter ihnen die Angeklagten Franz und Miete, mit ihren Lederpeitschen so lange auf den Jungen ein, bis er zusammenbrach. Zum Schluss wurde er auf Anweisung des Angeklagten Franz ins Lazarett gebracht und dort erschossen.

Obwohl die Angeklagten Franz und Miete diesen Vorfall in Abrede stellen, sieht das Schwurgericht ihn aufgrund der glaubhaften eidlichen Bekundung des 42 Jahre alten, in Warschau lebenden Metzgers Roj., der das Tatgeschehen aus nächster Nähe beobachtet hat, als erwiesen an. Der Zeuge hat die Angeklagten Franz und Miete ohne Zögern wiedererkannt. Er hat seine Aussage vorsichtig, bedächtig, aber bestimmt gemacht. Seine Schilderung von Einzelheiten des Lagerlebens stimmt in den allermeisten Punkten mit den Aussagen anderer Zeugen überein, die ausserhalb von Polen leben und mit denen der Zeuge keine Verbindung hat. Das Schwurgericht hat keine Bedenken, dem Zeugen Glauben zu schenken.

8. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, der dem misshandelten Goldjuden Stern Wasser reichen wollte

Als bei der bereits unter A.VI. 15. geschilderten Misshandlung und späteren Tötung des Goldjuden Stern ein Mithäftling eine während der Misshandlungen eingetretene Pause dazu benutzen wollte, dem bedauernswerten Stern einen Trunk Wasser zu reichen, wurde er von dem Angeklagten Franz hieran gehindert. In seiner Wut liess Franz diesen Mithäftling sofort ins Lazarett bringen und dort erschiessen, und zwar nur deshalb, weil er es gewagt hatte, dem blutig geschlagenen Kameraden Stern Trinkwasser zu bringen.

Dieser Vorfall steht aufgrund der eidlichen Aussage des Zeugen Gl. fest, der gerade zu dem Fall Stern sehr eingehende Angaben gemacht hat, die auch von dem Mitangeklagten Suchomel bestätigt worden sind. Dass der Zeuge Gl., der die ausführlichsten, objektivsten und zuverlässigsten Bekundungen über die Vorgänge im unteren Lager gemacht hat, glaubwürdig ist, ist bereits mehrfach hervorgehoben worden.

9. Tötung eines jungen Häftlings in der Nähe des Kartoffellagers

Eines Tages wurde ein 15 bis 16 Jahre alter Junge, der in der deutschen Wohnbaracke Dienst tat und sich dort wahrscheinlich ohne Erlaubnis etwas zum Essen genommen hatte, in der Nähe des Kartoffellagers, das sich innerhalb des Lagers am Lagerzaun gegenüber der jüdischen Wohnbaracke befand, von dem Hund Barry angefallen und gebissen, nachdem der Angeklagte Franz den Barry auf den Jungen gehetzt hatte. Auf Anordnung und mit Billigung des Angeklagten schlugen daraufhin mehrere Ukrainer mit Kartoffelgabeln so lange auf den bereits durch Barry verletzten Jungen ein, bis er tot war. Franz stand dabei und genoss diese barbarische Tötung des Jungen. Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des 56 Jahre alten, in Montreal lebenden Geschäftsführers Zygmund Stra., der den Vorfall durch ein Fenster der Schlosserwerkstatt heraus von Anfang an beobachtet hat. Der deutsche Konsul in Montreal, der den Zeugen vernommen hat, hat in einem ausführlichen Vermerk dargetan, dass er den Zeugen für glaubwürdig hält, da er seine Aussage in zurückhaltender Form gemacht hat, sich irgendeiner Animosität gegenüber einem der Angeklagten ferngehalten hat und da er über ein gutes Gedächtnis verfügt und imstande war, einzelne Vorgänge im Detail zu beschreiben. Das Schwurgericht hat um so weniger Bedenken, die Beurteilung des Konsuls seiner Überzeugungsbildung zugrundezulegen, als die von den Angeklagten vorgebrachten Einwände gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sich als völlig unbegründet herausgestellt haben. Von einer Absprache dieses Zeugen über eine bestimmte, einzelne Angeklagte belastende Aussage mit den vor dem Schwurgericht vernommenen Zeugen Oscar Stra. und Raj. kann einmal schon deshalb keine Rede sein, weil alle drei Zeugen voneinander abweichende Bekundungen gemacht haben, die sich dadurch erklären, dass sie häufig an verschiedenen Örtlichkeiten im Lager arbeiteten und deshalb jeweils andere Vorfälle beobachteten. Im übrigen haben der Zeuge Zygmund Stra. bei seiner zweiten eidlichen Vernehmung vor dem Konsul in Montreal, seine Ehefrau Maria Stra., der Zeuge Raj. und der Zeuge Oscar Stra. ausdrücklich unter ihrem Eide glaubhaft bekundet, dass sie sich bezüglich ihrer Aussagen keineswegs abgesprochen und dass sie insbesondere keineswegs beschlossen haben, Unwahres auszusagen. Der Zeuge Zygmund Stra. hat bekundet, dass das von ihm bei der ersten Vernehmung in Gegenwart des Konsuls im Vernehmungsraum geführte Gespräch mit dem Zeugen Raj. sich lediglich auf die Vereinbarung eines Treffpunktes nach der Vernehmung bezog, da Raj. mit dem an der Vernehmung anwesenden Staatsanwalt Gn. zusammentreffen wollte. In seiner in der Sitzung vom 10.Juni 1965 verlesenen dienstlichen Äusserung vom 1.Juni 1965 hat der Konsul Dr. Ber. den Hergang dieses Telefongesprächs ähnlich geschildert. Nach alledem hat das Schwurgericht keine Bedenken, den Zeugen Zygmund Stra. für glaubwürdig zu halten.

10. Erhängung des Häftlings Sklarczyk

An einem Tage im Herbst 1942 liess der Angeklagte Franz den beim Geschirrkommando tätigen Häftling Sklarczyk aufhängen. Sklarczyk, bei dem man wahrscheinlich Geld gefunden hatte und deshalb einen Fluchtversuch vermutete, musste sich entkleiden und wurde dann auf Anordnung von Franz mit dem Kopf nach unten an den Füssen an einem auf dem Sortierplatz errichteten Galgen aufgehängt. Nachdem der am Galgen Hängende gepeitscht und misshandelt worden war, tötete ihn Franz durch einen Pistolenschuss in den Kopf.

Der Angeklagte bestreitet diese Tat. Er wird aber durch die glaubhaften eidlichen Aussagen des 48 Jahre alten, in Herzlya/Israel lebenden Frisörs Pla. und des 62 Jahre alten, in Eiron/Israel lebenden Magazinverwalters Lak. überführt. Dass der Zeuge Lak. glaubwürdig ist, ist in A.V.5 des Zweiten Teils der Urteilsgründe dargetan worden. Auch der Zeuge Pla. hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat Franz wiedererkannt und seine Stellung als stellvertretender Lagerkommandant richtig beschrieben. Er hat darüber hinaus eine Fülle von Einzelheiten über das Lager berichtet, die von anderen Zeugen, die ausserhalb Israels leben, bestätigt worden sind. Besonders beeindruckt war das Gericht von seiner ruhigen, leidenschaftslosen Art, in der er seine Aussagen gemacht hat. Für eine Objektivität spricht der Umstand, dass er keineswegs alle im Lager tätigen Deutschen pauschal belastet hat. Im Gegenteil, er hat sich sogar über den Mitangeklagten Suchomel dahin geäussert, dass er von ihm nichts Schlechtes gehört und auch nichts Schlechtes gesehen habe. An seiner Rechtschaffenheit und Glaubwürdigkeit bestehen keinerlei Zweifel.

Im übrigen haben auch der eidlich vernommene Kaufmann Ja. aus Berlin und der ebenfalls auf seine Aussage vereidigte Polsterer und Dekorateur Zi. aus New York die Erhängung eines Häftlings im Herbst 1942 geschildert. Die von ihnen angegebenen Einzelheiten (Aufhängung an den Beinen an einem auf dem Sortierplatz stehenden Galgen, Leitung der Erhängung durch Franz, Fluchtverdacht hinsichtlich des Aufgehängten) stimmen mit den Bekundungen der Zeugen Pla. und Lak. überein. Nur haben die Zeugen Ja. und Zi. den Namen des Erhängten nicht mehr im Gedächtnis behalten. Das Schwurgericht zieht jedoch ihre Bekundungen unterstützend zu den noch genaueren Bekundungen der Zeugen Pla. und Lak. heran. Dass die Zeugen Ja. und Zi. glaubwürdig sind, wurde bereits im Zweiten Teil der Gründe unter A.VII.1 und A.V.9. dargetan.

11. Auspeitschung und Tötung eines Häftlings im unteren Lager

An einem Tage im Jahre 1942 wurde unter Leitung des Angeklagten Franz eine Anzahl von Arbeitsjuden zur Verwendung im oberen Lager ausgesucht. Dabei weigerte sich einer der ausgesuchten Häftlinge, in das als "Totenlager" bekannte obere Lager mitzugehen. Franz wurde über diese Weigerung sehr zornig. Mit seiner Lederpeitsche holte er zum Schlag auf den widerspenstigen Häftling aus. In seiner Wut traf er jedoch nicht diesen, sondern versehentlich einen danebenstehenden anderen Häftling. Nachdem er ihn mit dem ersten Schlag schwer getroffen hatte, schlug er nun weiter auf ihn so lange ein, bis der Ausgepeitschte zusammenbrach. Dann gab er vor den übrigen Häftlingen den Befehl, diesen zusammengebrochenen Mann ins Lazarett zu bringen und dort zu erschiessen. Sein Befehl wurde ausgeführt. Der Mann kam ins Lazarett und wurde dort erschossen.

Der Angeklagte bestreitet die Tat. Er wird jedoch durch die eidliche Aussage des glaubwürdigen Zeugen Au. überführt, der das Geschehen aus allernächster Nähe beobachtet hat. Weshalb das Schwurgericht diesen Zeugen für glaubwürdig gehalten hat, wurde bereits in A.VI.1 des Zweiten Teiles der Gründe erläutert.

12. Erhängung von drei Häftlingen

Im Winter des Jahres 1943 wurden auf dem Appellplatz des unteren Lagers an einem Galgen drei Häftlinge, die wahrscheinlich in einem beladenen Waggon flüchten wollten, nackt und an den Füssen mit dem Kopf nach unten aufgehängt, nachdem sämtliche Arbeitsjuden des unteren Lagers zu einem ausserordentlichen Appell zusammengerufen worden waren. Die Angetretenen mussten eine Zeitlang vor dem Galgen stehen, dann konnten sie wieder zur Arbeit abrücken. Die Aufgehängten blieben noch längere Zeit lebendig auf dem Galgen. Dann wurden sie abgeschnitten, ins Lazarett gebracht und dort erschossen. Die Erhängung der drei Juden leitete der Angeklagte Franz. Er gab die Kommandos, überwachte die Erhängung und befahl schliesslich auch die Erschiessung der abgeschnittenen, noch lebenden drei Opfer im Lazarett.

Der Angeklagte Franz bestreitet den Sachverhalt. Er wird jedoch überführt durch die eindeutige eidliche Aussage des Zeugen Gl., dessen besondere Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit wiederholt hervorgehoben worden sind, in Verbindung mit der eidlichen Bekundung des Zeugen Zygmund Stra., der bei seiner Vernehmung in Montreal ebenfalls die Erhängung der drei Häftlinge geschildert hat und der in seinen Angaben weitgehend mit der vom Zeugen Gl. gegebenen Darstellung übereinstimmt.

Dafür, dass dieser Vorfall mit dem unter I.B.10. des erläuterten Eröffnungsbeschlusses aufgeführten Fall identisch ist, haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte ergeben. Eine endgültige Klärung dieser Frage war nicht möglich, da der für den Fall I.B.10. des Eröffnungsbeschlusses benannte Zeuge Fl. nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist. Zugunsten des Angeklagten Franz muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die von den Zeugen Gl. und Stra. bekundete Erhängung von drei Häftlingen möglicherweise einen anderen Fall darstellt als der allein durch den Eröffnungsbeschluss erfasste Fall, den der Zeuge Fl. schildern sollte.

VIII. Nicht erwiesene Einzeltaten ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Der Tod eines Mannes, der nicht in das obere Lager gehen wollte

Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss zur Last gelegt, einen Häftling, der sich weigerte, zur Arbeit ins Totenlager zu gehen, zu Tode gepeitscht zu haben. Der Zeuge Au. hat erklärt (vergleiche A.VII. 11. des Zweiten Teiles der Gründe), dass Franz nicht diesen Mann, der seinen Befehl, zum oberen Lager zu gehen, nicht ausführte, zu Tode gepeitscht habe, sondern einen anderen Mann, der neben dem Befehlsverweigerer gestanden habe. Ob der Mann, der den Befehl verweigerte, infolge dieses Zufalls, der die Peitsche des Angeklagten Franz auf einen anderen, unbeteiligten Häftling hinuntersausen liess, am Leben geblieben oder dann von Franz bei einer anderen Gelegenheit getötet worden ist, daran vermochte sich der Zeuge Au. nicht mehr genau zu erinnern. In diesem Fall der Anklage ist Franz mithin nicht zu überführen.

2. Tötung eines Arbeitsjuden vom Sortierkommando durch mehrere Unterleibsschüsse und einen Kopfschuss

Dem Angeklagten Franz wird weiter vorgeworfen, er habe im Winter 1942/1943 einen Jungen, der auf dem Sortierplatz arbeitete, durch mehrere Schüsse in den Unterleib und einen Schuss in den Kopf getötet, weil er in dem von dem Jungen sortierten Kleiderbündel einen nicht abgetrennten Judenstern gefunden habe. Der 38 Jahre alte Angestellte Cz. aus Tel Aviv / Israel hat diesen Vorfall in der Hauptverhandlung geschildert und seine Aussage mit dem Eide bekräftigt. Obwohl das Schwurgericht dem Zeugen Cz. glaubt, bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der von Cz. geschilderte Fall mit der von dem Zeugen Koh. besonders genau beschriebenen Erschiessung eines Häftlings, der das Abtrennen eines Judensterns vergass, durch den Angeklagten Franz identisch ist (vergleiche A.VI.8. des Zweiten Teiles der Gründe). Diese Zweifel vermochte das Schwurgericht nicht zu überwinden, da eine vernünftige Bewertung beider Aussagen es nicht erlaubt, mit überzeugender Sicherheit zwei verschiedene Erschiessungen von Häftlingen durch Franz festzustellen, die dadurch ausgelöst worden sind, dass von ihm jeweils ein nicht abgetrennter Judenstern vorgefunden wurde.

Beide Zeugen geben an, dass diese Taten im Winter begangen worden sind. Beide schildern auch, dass das Opfer zunächst Schüsse in den Unterleib bekam, um dann durch einen Kopfschuss von Franz getötet zu werden. Man kann unter diesen Umständen nur die Erschiessung eines Häftlings annehmen. Das Schwurgericht hat diese Erschiessung eines Häftlings, der das Abtrennen des Judensterns vergass, bereits in die erwiesenen Fälle eingereiht (vergleiche A.VI.8.). Ein zweiter Fall ist nicht mit Sicherheit bewiesen.

3. Erhängung von zwei Häftlingen, von denen einer Langner hiess

 Dem Angeklagten wird weiter zur Last gelegt, im Herbst 1942 die Erhängung von zwei Häftlingen, von denen einer Langner hiess, angeordnet und die Durchführung der Erhängung überwacht zu haben.

Aufgrund der eidlichen Bekundungen der Zeugen Au., Bom., Rap., Koh., Ku., Bu., Sp., Sed., Wei. und Tai. steht zwar zur Überzeugung des Gerichts fest, dass im Herbst 1942 zwei junge Häftlinge wegen eines fehlgeschlagenen Fluchtversuchs an einem Galgen aufgehängt worden sind und zwar mindestens einer, wahrscheinlich beide mit den Füssen nach oben, dass beide während der etwa 1 1/2 bis 2 Stunden dauernden Aufhängung bestialisch ins Gesicht und insbesondere auf die Genitalien geschlagen worden sind, dass einer der beiden Aufgehängten, der aus Czenstochau stammende Langner, den vor dem Galgen angetretenen Juden in Jiddisch oder Polnisch zugerufen hat, sie sollten einen Aufstand machen und flüchten, da es ihnen sonst genauso ergehen würde wie ihm und seinem Kameraden, und dass beide schliesslich einen Kopfschuss bekamen. Nicht zu klären ist dagegen die Frage, ob Franz an dieser Erhängung beteiligt war. Während die Zeugen Au., Bom., Rap., Koh., Sp. und Bu. der Meinung sind, Franz sei bei der Erhängung anwesend gewesen, vermag sich der Zeuge Sed. nicht mehr daran zu erinnern, ob Franz dabei war. Darüber hinaus haben die Zeugen Tai. und Ku. sogar erklärt, Franz sei bei der Erhängung nicht dabeigewesen.

Hinzu kommt, dass die Franz belastenden Zeugen Au., Bom., Rap., Koh., Sp. und Bu. wiederum zum Teil voneinander stark abweichende Angaben darüber machen, wer sonst noch vom deutschen Lagerpersonal bei der Erhängung anwesend war. Während Au., Bom., Rap. und Koh. nur Franz mit einigen Ukrainern gesehen haben wollen, gibt Sp. an, neben Franz hätten noch Küttner und Miete vor dem Galgen gestanden, und Bu. bekundet sogar, neben Franz, Küttner und Miete sei auch der Hauptmann mit dem Barte - gemeint ist wohl Hauptmann Schemmel, der einen Bart trug - dabeigewesen. Darüber hinaus ist keine Klarheit darüber zu gewinnen, wer letzten Endes den beiden Aufgehängten den Gnadenschuss gegeben hat. Die Zeugen Au., Bom., Rap. und Koh. meinen, Franz habe das getan, Sp. sagt, Miete oder Franz hätten geschossen, Ku. hält Miete für den Schützen und Bu. gibt an, die beiden Gnadenschüsse seien von Ukrainern auf Befehl des Hauptmanns mit dem Barte abgegeben worden.

Dass er gerade bei diesem Fall zu einander so widersprechenden Angaben an sich glaubwürdiger Zeugen gekommen ist, mag darauf zurückzuführen sein, dass die von ihnen beobachtete Erhängung die vielleicht barbarischste Untat gewesen ist, die sich im Lager ereignet hat. Wie die Zeugen selbst einräumen, haben sie, angeekelt durch die schaurigen Vorgänge, dem
gesamten Verlauf der längere Zeit dauernden Exekution nicht ununterbrochen zusehen können. Sie haben einfach zu Boden schauen oder in eine andere Richtung blicken müssen. Dadurch ist es durchaus denkbar, dass sie nicht genügend darauf geachtet haben, welche deutschen SS-Männer sich in der Nähe des Galgens befunden haben. In der Tat ist diese besonders grausame Erhängung für die Häftlinge mit ein Anlass dafür gewesen, ihre Vorbereitungen für den geplanten Aufstand zu verstärken.

4. Die Erschiessung des Boxers aus Krakau

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, Ende 1942 einen aus Krakau stammenden, etwa 25 Jahre alten Häftling, der Boxer war, zu einem Boxkampf herausgefordert und ihn hierbei mit einer im Boxhandschuh versteckten Pistole durch den Handschuh hindurch erschossen zu haben.

Der zu diesem Fall uneidlich vernommene 60 Jahre alte Metzger Ei. aus Jazur/Israel hat folgendes bekundet: An einem Sonntag Ende November 1942 habe Franz, da kein Transport angekommen sei, ein Vergnügen veranstalten wollen. Er habe sich unter anderem einen etwa 25 Jahre alten Boxer aus Krakau herausgesucht, um mit ihm zu boxen. Der Boxer habe sich zwei Boxhandschuhe angezogen, Franz dagegen nur den rechten Boxhandschuh, in dem sich ein Revolver oder eine kleine Pistole befunden habe. Als die beiden zu boxen anfingen, habe Franz den Boxer mit dem Revolver durch den Boxhandschuh hindurch totgeschossen. Wie die Schusswaffe in den Boxhandschuh hineingekommen sei, habe man nicht sehen können. An der objektiven Richtigkeit dieser Bekundung hat das Schwurgericht erhebliche Zweifel. Einmal haben zahlreiche glaubwürdige Zeugen, so Gl., Sed. und Jan., der Schlagzeuger der Lagerkapelle Gold, bekundet, dass Vergnügen wie Boxen, Schauspielaufführungen, Tänze und ähnliches erst im Jahre 1943, als die Häufigkeit der Transporte nachliess, stattgefunden hätten. Zum anderen erscheint dem Schwurgericht die Art und Weise der Tötung unwahrscheinlich. Es mag zwar technisch nicht unmöglich sein, einen Revolver oder eine kleine Pistole in einem Boxhandschuh unterzubringen und durch den Handschuh hindurchzuschiessen, aber das Gericht kann nicht glauben, dass der stets auf sein Wohlergehen bedachte Angeklagte Franz sich dadurch einer Verletzungsgefahr aussetzen wollte, dass er diese Form der Tötung wählte, zumal ihm genügend andere, für ihn völlig ungefährliche Möglichkeiten offenstanden, einen Häftling zu töten. Hinzu kommt, dass der Zeuge Ei. gesagt hat, er habe nicht gesehen und wisse auch sonst nicht, wie die Schusswaffe in den Boxhandschuh hineingekommen sei. Der Zeuge, der sich ansonsten redlich bemühte, zur Wahrheitsfindung beizutragen, hat also diesen wichtigen Punkt nach seiner eigenen Darstellung nicht ausreichend beobachtet. Unter diesen Umständen vermag das Schwurgericht aufgrund seiner Bekundung allein keine sicheren Feststellungen über den Tathergang zu treffen.

5. Erschiessung von 5 Häftlingen des Sortierkommandos

Die Anklage macht Franz weiter zum Vorwurf, er habe Ende Oktober 1942 fünf Männer des Sortierkommandos, nämlich den Häftling Szlama Czapnik, den Häftling Swiderski, den Häftling Goldstein, den Häftling Feiner und einen fünften Häftling, dessen Namen nicht feststeht, auf dem Sortierplatz grundlos als "Spione" bezeichnet, sie ins Lazarett mitgenommen und dort persönlich erschossen. Der hierzu uneidlich gehörte Zeuge Ei. hat diesen Vorfall bestätigt und hinzugefügt, dass es sich bei einem der fünf Männer um seinen Hauswirt aus Czenstochau gehandelt habe. Wie jedoch bereits im vorhergehenden Fall, der die Erschiessung eines jungen Boxers betrifft, dargelegt worden ist, bestehen an der objektiven Zuverlässigkeit der Aussage des Zeugen Ei. erhebliche Zweifel. Diese Zweifel vermochte das Schwurgericht auch bei der Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht zu überwinden. Hinzu kommt, dass der Zeuge Ei. während seiner Vernehmung sehr erregt war. Es ist nicht auszuschliessen, dass starke gefühlsmässige Antipathievorstellungen des Zeugen gegen sämtliche Angeklagten, die angesichts der von ihm mitgemachten Zeit des Schreckens und Grauens menschlich verständlich sind, seine Aussage selbst dann in eine falsche Richtung gelenkt haben, wenn er persönlich redlich darum bemüht war, seinen Beitrag zur Aufdeckung der wahren Geschehnisse zu leisten. Seine uneidliche Aussage reicht deshalb nicht aus, um Franz wegen einer Erschiessung von 5 Männern des Sortierkommandos zu verurteilen.

6. Die Erhängung von drei Häftlingen wegen Geheimbündelei

Dem Angeklagten wird ausserdem zur Last gelegt, einige Zeit nach dem Tode des Dr. Choranzicky angeordnet zu haben, drei Häftlinge wegen angeblicher Geheimbündelei und wegen der Vorbereitung einer Flucht mit dem Kopf nach unten aufzuhängen und sie dort so lange hängengelassen zu haben, bis sie eines qualvollen Todes starben. Da der für diesen Vorfall benannte Zeuge Fl. in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden konnte - er ist von Köln verzogen, und sein neuer Aufenthalt ist nicht zu ermitteln -, lässt sich diese Erhängung nicht feststellen. Zwar haben die Zeugen Gl. und Zygmund Stra. ebenfalls eine Erhängung von drei Häftlingen geschildert (vergleiche A.VII.12. des Zweiten Teiles der Gründe), aber man kann ohne die gerichtliche Vernehmung des Zeugen Fl. nicht klären, ob es sich hierbei um den Fall der Anklage oder um einen anderen Fall handelt, der in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss nicht enthalten ist. Im Zweifelsfalle muss von der für den Angeklagten günstigeren zweiten Möglichkeit ausgegangen werden.

7. Die Erhängung von zwei Häftlingen, die in einem beladenen Güterwaggon fliehen wollten

Nach der Anklageschrift soll Franz Ende 1942 zwei Häftlinge, die in einem mit Textilien beladenen Waggon hatten fliehen wollen, in der Nähe des Bahnsteiges auf einem Galgen mit den Füssen nach oben aufgehängt und hierdurch getötet haben. Diese Erhängung ist ebenso wie die vorher geschilderte dreier Männer nicht bewiesen, da der für diesen Fall in erster Linie benannte Zeuge Fl. in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden konnte. Der durch den deutschen Konsul in Seattle eidlich gehörte Braumeister Un. hat die Erhängung der zwei Personen ebenfalls geschildert, er vermochte sich jedoch nicht mehr klar daran zu erinnern, ob Franz bei dieser Erhängung der zwei Häftlinge anwesend war oder nicht. Selbst der Zeuge Gl. hat mit seiner Aussage nicht zu einer eindeutigen Aufklärung dieser Erhängung beigetragen. Er erinnert sich zwar daran, dass Franz zwei Juden, die von dem SS-Unterscharführer Beelitz in einem bereits mit Textilien beladenen Waggon gefunden worden waren, an den Füssen aufhängen liess. Er gibt freilich an, dass die Erhängung nicht am Bahnsteig, sondern in der Nähe der jüdischen Unterkunftsbaracken vollzogen worden sei. Unter diesen Umständen ist es nicht ausgeschlossen, dass Gl. hier den Fall der Erhängung von zwei jungen Juden, von denen einer der Czenstochauer Langner war, meinte oder dass er sogar eine dritte Erhängung von zwei Häftlingen im Auge hatte, die in einem Waggon flüchten wollten; denn die Flucht in einem beladenen Güterwaggon wurde öfter unternommen, einige Male mit Erfolg, einige Male auch ohne Erfolg. Eine Klärung hätte nur die Vernehmung des Zeugen Fl. erbracht. Da diese nicht möglich war, müssen alle bei dieser Erhängung von zwei Häftlingen aufgetretenen Zweifel dem Angeklagten Franz zugute kommen.

8. Tötung eines jungen Goldjuden

Dem Angeklagten Franz wird zur Last gelegt, nicht nur den Goldjuden Stern (vergleiche A.VI.15. des Zweiten Teiles der Gründe), sondern ausserdem noch einen zweiten Goldjuden, wegen des verbotenen Besitzes von Geld ausgepeitscht und seine Erschiessung im Lazarett angeordnet zu haben. Der hierzu gehörte Zeuge Gl. hat in einer eingehenden Aussage erklärt, dass seine früheren Angaben über die Tötung eines Goldjuden sich auf den Fall des Goldjuden Stern bezögen. Ob ein zweiter Goldjude durch Franz getötet worden sei, so hat Gl. weiter dargelegt, vermöge er mit Sicherheit nicht zu sagen; er erinnere sich lediglich daran, dass der Besitz von Gold oder Geld häufig der Anlass zu Ausschreitungen des Angeklagten Franz gegen einzelne Häftlinge gewesen sei.

Unter diesen Umständen ist Franz der Tötung eines zweiten Goldjuden nicht zu überführen.

9. Erschiessung eines Baumfällers im Totenlager

Gegen den Angeklagten wird der Vorwurf erhoben, er habe bei einer Kontrolle des Totenlagers einem Häftling, der Bäume fällte, den Befehl gegeben, auf den Gipfel eines Baumes zu klettern, und er habe ihn dann mit einem gezielten Pistolenschuss getötet. Der zu diesem Vorkommnis uneidlich gehörte Eisenbahner Gol. hat erklärt, dass er sich an eine solche Erschiessung nicht mehr erinnere.

10. Tödliches Zerfleischen eines Häftlings durch den Hund Barry in der Nähe der sogenannten "Kasse"

Dem Angeklagten Franz wird der Vorwurf gemacht, er habe in der Nähe der sogenannten "Kasse", einem nur am Anfang der Lagerzeit benutzten Wertsachenschalter an der linken Seite der Frauenauskleidebaracke vor dem Eingang zum Schlauch, einen nackten Mann durch seinen Hund Barry zu Tode beissen lassen. Der hierzu eidlich vernommene glaubwürdige Kaufmann Jan., der in Treblinka Mitglied des Lagerorchesters war, hat erklärt, er habe durch ein Fenster der jüdischen Unterkunftsbaracke gesehen, wie Franz den Barry auf einen nackten Mann hetzte und wie Barry diesem in die Geschlechtsteile biss, er könne aber nicht sagen, was anschliessend mit dem Mann geschehen sei, weil der Häftling Klepfisch, der Kapo der Goldjuden, das Fenster geschlossen habe und er damit den weiteren Vorgang nicht mehr habe verfolgen können.

Damit steht lediglich fest, dass Barry dem Häftling in die Geschlechtsteile gebissen, nicht aber, dass er ihn zu Tode zerfleischt hat. Das etwaige Abbeissen des Geschlechtsteiles allein, so schmerzhaft es auch sein mag, führt, wie der Sachverständige Professor Dr. De. eingehend und überzeugend dargelegt hat, aber in der Regel nicht zum Tode. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass der Häftling bei diesem Vorfall sein Leben verloren hat, ist es völlig offen, auf welche Weise das geschehen ist. Es kann sein, dass Barry ihn totgebissen hat, es kann sein, dass Franz ihn erschossen hat oder dass er ihn hat erschiessen lassen. Es kann aber auch sein, dass Franz aus irgendeiner Laune heraus von diesem Mann abgelassen hat und dass der Verletzte durch das willkürliche Handeln eines anderen SS-Mannes oder eines Ukrainers ums Leben gekommen ist. Diese Vielzahl der Möglichkeiten muss dem Angeklagten Franz zugute kommen.

11. Tödliches Zerfleischen eines Häftlings aus der Küche der Ukrainer durch Barry

Die Anklage legt dem Angeklagten Franz in einem weiteren Falle das Zerfleischen eines Häftlings durch seinen Hund Barry zur Last. Zu diesem Anklagepunkt ist gleichfalls der Zeuge Jan. eidlich vernommen worden. Er hat bekundet, dass Franz bei einer anderen Gelegenheit seinen Barry auf einen in der ukrainischen Küche beschäftigten Häftling gehetzt habe, weil man bei diesem Häftling zwanzig Dollars gefunden habe. Barry habe, so hat der Zeuge weiter dargelegt, diesem Häftling, der bekleidet gewesen sei, ein Stück Fleisch herausgebissen, aber ob dieser Häftling getötet worden oder ob er letzten Endes doch noch am Leben geblieben sei, das wisse er nicht. Auch hier ist Franz somit einer Tötung nicht zu überführen.

12. Der Tod des Latrinenkapos

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, nach einem von ihm arrangierten Boxkampf der beiden sogenannten Latrinenkapos einen der beiden Kapos dadurch getötet zu haben, dass er seine Erschiessung im Lazarett anordnete. Aufgrund der eidlichen Aussagen der Zeugen Oscar und Zygmund Stra., Gl., Tu., Koh., Jan., Sed., Roj., Kols., Lac. und Do. steht zur Überzeugung des Schwurgerichts folgendes fest:

Im unteren Lager waren zwei sogenannte Latrinenkapos eingesetzt. Sie trugen Rabbinerkleidung, hatten einen Wecker um den Hals und waren mit einer Peitsche ausgerüstet. Sie mussten sich vor den beiden Häftlingslatrinen des Lagers aufstellen und dafür sorgen, dass die Häftlinge für die Verrichtung ihrer Notdurft nur wenige Minuten verwandten, andernfalls mussten sie mit ihren Peitschen die Häftlinge von der jeweiligen Latrine vertreiben. Im Rahmen der Boxveranstaltungen, die im Jahre 1943 stattfanden, liess der Angeklagte Franz auch die beiden Latrinenkapos gegeneinander boxen. Als sie nicht kräftig genug schlugen, peitschte er sie und feuerte sie zu grösserem Kampfeseifer an. Einer der beiden Latrinenkapos wurde von ihm schliesslich zum Sieger erklärt. Was nun anschliessend mit den beiden Latrinenkapos geschah, bleibt jedoch dunkel. Während die Zeugen Oscar und Zygmund Stra., Gl. und Tu. meinen, beide Latrinenkapos seien zur Erschiessung ins Lazarett abgeführt worden, meint der Zeuge Sed., nur der beim Boxkampf unterlegene Latrinenkapo sei im Lazarett erschossen worden, und der Zeuge Koh. gibt an, dass einer der beiden Boxer mit Sicherheit getötet worden sei, möglicherweise seien aber auch alle beiden Latrinenwächter im Lazarett erschossen worden. Die Zeugen Jan., Kols. und Lac. vermögen sich nicht mehr daran zu erinnern, was mit den beiden Latrinenaufsehern geschehen ist, während der Zeuge Do. sogar meint, beide auch später noch im Lager gesehen zu haben, und zwar einen davon wiederum in seiner Funktion als Latrinenkapo. Bei diesen einander widersprechenden Angaben über das Schicksal der beiden Latrinenkapos lassen sich eindeutige Feststellungen darüber, ob Franz den einen oder gar beide Latrinenwächter hat im Lazarett erschiessen lassen, nicht treffen.

13. Tötung mehrerer Häftlinge beim Flaschenschiessen

Gegen Franz wird der Vorwurf erhoben, er habe eines Tages im unteren Lager einer grösseren Anzahl von Häftlingen befohlen, sich in einiger Entfernung von ihm aufzustellen und hierbei eine Flasche in der seitlich ausgestreckten Hand zu halten, weil er seine Treffsicherheit erproben wolle, und er habe, anstatt auf die Flaschen zu zielen, die einzelnen Häftlinge nacheinander mit Pistolenschüssen getötet. Diesen Sachverhalt hat der eidlich vernommene Zeuge Lak. bestätigt, jedoch hinzugefügt, dass er den Vorfall nicht persönlich beobachtet, sondern von ihm nur durch andere Kameraden Kenntnis erhalten habe. Der Umstand, dass der Zeuge die gesamte Begebenheit nur vom Hörensagen weiss, reicht nicht aus, um sichere Feststellungen zu treffen.

14. Das Erschlagen eines zum Appell zu spät gekommenen Häftlings auf dem Appellplatz

Die Anklage legt Franz zur Last, einen Häftling, der zum Appell zu spät kam, direkt auf dem Appellplatz erschlagen zu haben. Der hierzu eidlich vernommene Zeuge Lak. hat erklärt, er erinnere sich nur daran, dass Franz einem zum Appell zu spät gekommenen Häftling eine Ohrfeige versetzt und dass er angeordnet habe, den Häftling wegzuführen. Weiter hat der Zeuge bekundet, er wisse nicht, was mit dem Häftling später geschehen sei. Dass Franz ihn aber auf dem Appellplatz erschlagen habe, dessen könne er sich nicht mehr entsinnen. Bei diesem Beweisergebnis bleibt die Täterschaft des Angeklagten Franz offen.

15. Das Erschlagen von 12 Häftlingen des Holzhackerkommandos

Dem Angeklagten wird der Vorwurf gemacht, 12 Häftlinge, die für Herde und Öfen der Küche und der Unterkünfte Brennholz hackten, zusammen mit anderen SS-Männern durch Kolben- und Peitschenhiebe totgeschlagen zu haben.

Der auf seine Aussage vereidigte Zeuge Lak. hat hierzu bekundet, er erinnere sich in groben Umrissen eines derartigen Vorfalles, wisse aber nicht mehr, was der eigentliche Anlass zu diesem Massaker gewesen sei, wie es sich im einzelnen abgespielt habe, welche Rolle Franz hierbei gespielt habe und wer ausser Franz noch an dem Massaker beteiligt gewesen sei. Das Schwurgericht hält es keineswegs für ausgeschlossen, dass 12 Häftlinge auf einmal zu Tode gepeitscht und geschlagen worden sind; denn "in Treblinka war nichts unmöglich", wie der Mitangeklagte Suchomel einmal zutreffend formuliert hat. Allerdings müssen bei dem - ohne Zuhilfenahme von Schusswaffen - erfolgten Erschlagen von 12 Männern des Holzhackerkommandos eine grössere Anzahl von deutschen oder ukrainischen Wachleuten mitgewirkt haben, ein Umstand, den auch der Zeuge Lak. einräumt. Da der Zeuge aber nicht mehr sagen kann, welche Personen neben Franz bei dem Massaker mitgewirkt haben und in welcher Weise sie im einzelnen tätig geworden sind, bleibt auch die Tatbeteiligung des Angeklagten Franz im dunkeln. Da das Schwurgericht den Vorfall nicht mehr vollständig rekonstruieren konnte, lässt sich infolgedessen auch der Tatbeitrag des Angeklagten Franz nicht genau abgrenzen.

16. Die Erschiessung des Czenstochauers Stajer

Der Angeklagte soll ferner den bei der Beladung von Waggons beschäftigten, aus Czenstochau stammenden Häftling Stajer mit einem Jagdgewehr ins Gesäss geschossen, sich dessen Verletzung angeschaut und hierbei zu seinem Bedauern festgestellt haben, dass er nicht den Hodensack des Stajer getroffen habe. Er soll dann voller Wut seinen Hund Barry auf den verletzten Häftling gehetzt und anschliessend seine Erschiessung im Lazarett angeordnet haben.

Durch die eidlichen Aussagen der glaubwürdigen Zeugen Oscar Stra. und Lak. steht fest, dass der Angeklagte Franz den bei der Beladung eines Waggons mit Textilien beschäftigten, aus Czenstochau stammenden Häftling Stajer durch einen Schuss aus dem Jagdgewehr an einem Oberschenkel verletzte, dass Stajer seine Hose herunterziehen musste und dass Franz bei der Kontrolle der Verletzung voller Enttäuschung ausrief: "Donnerwetter, der Beutel (=Hodensack) ist noch ganz!" Das weitere Schicksal des Stajer ist jedoch nicht eindeutig zu klären. Dass Barry den Häftling Stajer gebissen hat und dass Stajer sofort zur Erschiessung ins Lazarett gebracht worden ist, haben die beiden Zeugen nicht gesehen. Der Zeuge Oscar Stra. hat allerdings davon gehört, dass Miete auf Anordnung von Franz den verletzten Stajer im Lazarett erschossen haben soll, während der Zeuge Lak. meint, dass Stajer noch einige Tage am Leben geblieben sei, da er ihn noch einige Tage im Lager gesehen habe, später jedoch nicht mehr.

Hält man sich vor Augen, dass der launische Angeklagte Franz einmal verletzte Häftlinge sofort erschoss oder erschiessen liess, andererseits aber manchmal aus irgendeinem Stimmungsumschwung heraus auch davon absah, jemanden sofort oder einige Tage später zu töten, so bleiben zuviele Möglichkeiten über das weitere Schicksal des Häftlings Stajer offen. Wenn die beiden Zeugen Oscar Stra. und Lak. den verletzten Stajer später nicht mehr im unteren Lager gesehen haben, so kann das auch daran liegen, dass Stajer zur Arbeit im oberen Lager abkommandiert wurde oder dass ihm gar die Flucht in einem beladenen Güterwaggon gelungen war. Das ist deshalb nicht völlig auszuschliessen, weil Stajer dem Arbeitskommando angehörte, das die Güterwaggons mit Textilien belud, und weil er hierdurch über die dadurch gegebenen Fluchtmöglichkeiten, die einige Häftlinge mit Erfolg nutzten, informiert war. Da beide Zeugen aus eigener Anschauung keine präzisen Angaben über das weitere Schicksal des Häftlings Stajer machen konnten, ist Franz in diesem Punkt der Anklage nicht zu überführen.

17. Erschiessung von etwa 350 Häftlingen durch Salven aus Maschinenpistolen

Die Anklage legt dem Angeklagten Franz weiter folgendes zur Last: Er habe im Hochsommer 1942 bei der Ankunft eines aus Miedzyrzec kommenden Transportes von rund 5000 Personen, von denen etwa die Hälfte bei der Ankunft bereits tot gewesen sei, das blaue Kommando auf etwa 500 Mann dadurch aufgefüllt, dass er von den noch lebenden Männern des eben eingetroffenen Zuges etwa 350 herausgesucht habe. Diese 500 Mann habe er dann mit dem Abtransport der etwa 2500 Leichen aus den Waggons und mit der Reinigung der stark verschmutzten Waggons beauftragt. Dann habe er aus den 500 Mann des blauen Kommandos die 150 stärksten Häftlinge ausgesucht. Die restlichen etwa 350 Mann habe er durch Salven aus Maschinenpistolen töten lassen. Dass eine solche Massenexekution stattgefunden haben kann, liegt im Bereich des in Treblinka Möglichen, da man anlässlich des Todes des SS-Unterscharführers Max Biala auch nicht davor zurückschreckte, wahllos auf die Juden zu schiessen und viele von ihnen hierdurch zu töten. Für die Erschiessung der etwa 350 Mann fehlt jedoch ein sicherer Nachweis. Der hierzu uneidlich gehörte, 75 Jahre alte pensionierte Verwalter Wie. aus Rischon Le Zion / Israel hat zwar entsprechende Bekundungen gemacht, doch reichen seine Angaben allein zur Überführung des Angeklagten Franz nicht aus. Obwohl der Zeuge Wie. auf das Schwurgericht den Eindruck gemacht hat, er bemühe sich redlich, die Wahrheit zu sagen, konnte auf der anderen Seite nicht ausser Betracht bleiben, dass dieser bereits 75 Jahre alte Zeuge, der im Vernichtungslager Treblinka viel mitgemacht hat, bei seiner Vernehmung beträchtliche Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen aufwies. Das ging so weit, dass er, bedingt durch seine stark geschwächte Gesundheit, einige Zeit nach dem Beginn der Vernehmung keine zusammenhängende und verständliche Schilderung von Lagerereignissen mehr geben konnte. Bezeichnend ist auch, dass er keinen der Angeklagten mehr wiederzuerkennen vermochte. Bei den Angeklagten Franz und Stadie vermutete er die richtige Identität, war sich aber auch hier nicht sicher. Nach einer längeren Erholungspause, die dem Zeugen eingeräumt wurde, war es gleichfalls nicht möglich, ihn sachgemäss zu befragen, so dass seine Vernehmung vorzeitig beendet werden musste. Angesichts seiner altersbedingten Konzentrations- und Gedächtnisschwäche reichte seine Bekundung nicht aus, um das Schwurgericht davon zu überzeugen, dass Franz die Erschiessung von 350 oder gar 400 Männern des blauen Kommandos angeordnet hat.

18. Erschiessung eines polnischen Bauern

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe einen polnischen Bauern, der bei der Lieferung von Kartoffeln verbotenerweise mit Häftlingen gesprochen habe, misshandelt und erschossen. Der zu diesem Punkt uneidlich gehörte Zeuge Wie. vermochte sich zwar an die Erschiessung eines polnischen Landwirts zu erinnern, aber nicht mehr daran, wer ihn von den deutschen SS-Leuten getötet hat.

Die Mitangeklagten Münzberger und Suchomel haben angegeben, ihnen sei lediglich die von dem SS-Unterscharführer Beelitz durchgeführte Erschiessung eines polnischen Bauern bekannt, der versucht habe, am Lagerzaun mit Ukrainern Tauschgeschäfte zu machen und der trotz lauter Aufforderungen zum Stehenbleiben mit seinem Panjewagen davongefahren sei. Ob dieser von Suchomel und Münzberger geschilderte Fall mit dem von dem Zeugen Wie. bekundeten Fall identisch ist, liess sich wegen der bei dem Zeugen vorhandenen, altersbedingten Gedächtnislücken nicht klären.

19. Das Wettschiessen im Arbeitslager Treblinka

Schliesslich legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Franz zur Last, er habe eines Tages bei einem Besuch im Arbeitslager Treblinka mit dem Zeugen Pr. gemeinsam ein Wettschiessen veranstaltet und hierbei mindestens sechs Häftlinge des Arbeitslagers erschossen. Der Angeklagte Franz stellt diese Tat ebenso in Abrede wie der uneidlich vernommene Zeuge Pr., gegen den das Verfahren abgetrennt worden ist. Der uneidlich vernommene, 62 Jahre alte Handelsvertreter Sza. aus Paris hat zwar geschildert, dass Franz und Pr. eines Tages im Arbeitslager Treblinka ein Wettschiessen auf ca. 15 Juden aus einer Entfernung von ca. 10 m veranstaltet und hierbei mehrere Männer mit der Pistole getötet hätten. Dieser Zeuge ist jedoch nicht glaubwürdig. Er hat nämlich zunächst mit Bestimmtheit erklärt, er sei vor seiner Vernehmung niemals im Schwurgerichtssaal gewesen. Als die eidlich vernommene 57 Jahre alte Hausfrau Kab. aus Düsseldorf jedoch aussagte, Sza. habe einen Tag vor seiner Vernehmung mehrere Stunden lang der Beweisaufnahme im Schwurgerichtssaal beigewohnt und direkt neben ihr im Zuhörerraum gesessen, hat der Zeuge eingeräumt, er habe in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt. Unter diesen Umständen ist freilich die Richtigkeit seiner gesamten Bekundung zweifelhaft geworden, so dass sich bezüglich des Wettschiessens keine sicheren Feststellungen zur Überführung des Angeklagten Franz treffen lassen.

IX. Die innere Einstellung des Angeklagten Franz zu seinem Einsatz in Treblinka

Der Angeklagte Franz erkannte, dass die Juden und Zigeuner unrechtmässig getötet wurden. Er machte sich den unter anderem von Hitler, Himmler, Globocnik und Wirth ausgearbeiteten Plan zur Vernichtung der nach Treblinka gebrachten Opfer derart zu eigen, dass er nicht nur gemäss den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien die Massentötungen eifrigst durchführte und durchführen liess, sondern dass er darüber hinaus viele Arbeitshäftlinge wegen irgendeines geringen Verstosses gegen die Lagerdisziplin oder aus einer persönlichen Laune heraus auf zum Teil barbarische Art und Weise selbst tötete oder durch andere töten liess, obwohl das nicht von seinen Vorgesetzten befohlen war. Seine überaus eifrige Mitwirkung bei den Transportabfertigungen wie auch die Einzeltötungen befriedigten ihn aus verschiedenen Gründen. Er war von einem unbändigen Hass gegen alles Jüdische erfüllt. Juden waren in seinen Augen weniger wert als Tiere. Sie mussten wie "Dreck" und "Scheisse" schleunigst beseitigt werden. Ausserdem weidete er sich in sadistischer Weise an den Qualen seiner Opfer, mögen sie bei den Massentötungen qualvoll in den Gaskammern erstickt oder mögen sie von ihm einzeln auf eine zum Teil raffinierte Art und Weise getötet worden sein. Wenn er alten und kranken Juden der Wahrheit zuwider versprach, sie würden in einem richtigen "Lazarett" gesund gepflegt werden, oder wenn er in seinen gelegentlichen Ansprachen den Ankömmlingen erklärte, sie würden nur gebadet und dann zur Arbeit eingeteilt werden, so freute er sich hämisch darüber, wenn es ihm gelang, die angesprochenen Juden über ihr wahres Schicksal zu täuschen. Soweit er Juden beim Appell oder bei einem Sonderappell tötete oder töten liess, konnte er ausserdem seine Herrschaft im Lager demonstrieren. Da er im Zivil- und Militärleben überwiegend nur als Koch, also in einer untergeordneten Stellung, gearbeitet hatte, verschafften ihm derartige Demonstrationen eine tiefe persönliche Genugtuung. Sein früheres einfaches Leben suchte er dadurch möglichst rasch zu vergessen, dass er sich schon vor seiner Beförderung zum SS-Untersturmführer wie ein Offizier gebärdete, indem er eine massgeschneiderte SS-Uniform sowie Offiziersstiefel trug, als einziger Unterführer ein Reitpferd benutzte und innerhalb und ausserhalb des Lagers in Begleitung seines Hundes Barry grossspurig und als Herrenmensch auftrat, wie seine Mitangeklagten und zahlreiche Zeugen plastisch und glaubhaft geschildert haben. Ob der Angeklagte, wie er selbst angibt, im Vernichtungslager Belzec sich mit Erfolg geweigert hat, Arbeit an den Gaskammern zu tun, kann dahingestellt bleiben. In Treblinka jedenfalls hat er etwaige frühere Hemmungen bei der Tötung von Juden sogleich nach seiner Ankunft überwunden und sich als erbarmungsloser und grimmiger Judenhasser gezeigt. Dazu trug der Umstand, dass Stangl den Angeklagten Franz zu seinem Stellvertreter machte und ihm praktisch die Herrschaft im Lager überliess, entscheidend bei. Da es ihm aufgrund dessen im Lager gut gefiel, unternahm er keinen ernsthaften Versuch, abgelöst zu werden. Da die Judenvernichtung seiner inneren Einstellung entsprach, kam für ihn auch eine Befehlsverweigerung oder Befehlsumgehung nicht in Betracht. Im Gegenteil, er tat weit mehr, als ihm aufgetragen war.

Diese Feststellungen zur inneren Tatseite ergeben sich zwingend aus dem Verhalten des Angeklagten in Treblinka, wie es durch die Schilderung der Mitangeklagten und die Bekundungen der zahlreichen jüdischen Zeugen zur Überzeugung festgestellt worden ist.

Der Angeklagte Franz lässt sich wie folgt ein:

Er sei sich darüber im klaren gewesen, dass die Tötung unschuldiger Juden und Zigeuner unrechtmässig gewesen sei. Die Juden hätten ihm von Herzen leid getan. Er sei kein Antisemit, sondern ein wohlwollender Freund aller Juden gewesen. Aus diesem Grunde habe er sich darauf beschränkt, die Ukrainer zu "anständigen Soldaten" heranzubilden und sie dann, was ihre Aufgabe gewesen sei, zur Bewachung des Lagers und zur Sicherung bei der Abfertigung von Transporten einzusetzen. Er habe die eingesetzten Ukrainer zwar im unteren und oberen Lager kontrolliert, sich aber im übrigen um die eigentliche Vernichtung der Juden nicht gekümmert, da ihn das angewidert habe. Er habe nur zweimal, und zwar jeweils auf Anweisung und unter Aufsicht von Wirth, Juden geschlagen und sich sonst grösster Korrektheit gegenüber den Häftlingen befleissigt. Er habe keinen Juden mit eigener Hand getötet. Nur im Falle des Dr. Choranzicky und bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos sei er überhaupt in Erscheinung getreten. Dr. Choranzicky habe er nicht geschlagen, vielmehr habe er ihn retten wollen. Dem Befehl Globocniks zur Erschiessung des Restkommandos habe er sich nicht entziehen können. Dass der Aufstand vom 2.8.1943 gelungen sei, hätten die Juden ihm zu verdanken. Den Aufstandsbemühungen der Häftlinge habe er sehr wohlwollend gegenübergestanden und dem jüdischen Zahnarzt Dr. Rebschütz vorgeschlagen, die Revolte am 2.8.1943 durchzuführen, weil dann die meisten Ukrainer zum Baden am Bug seien. Sein Hund Barry habe niemandem etwas zuleide getan. Im Gegenteil, einzelne Häftlinge hätten mit Barry harmlose Spielchen veranstalten und sich so bei ihrem traurigen Dasein eine Entspannung verschaffen können.

Es sei richtig, dass er öfter geritten sei. Das sei nur aus sportlichem Interesse geschehen. Allerdings sei er durch das Reiten möglicherweise im Lager mehr bekannt geworden als manche anderen deutschen SS-Leute.

Mit Wirth habe er schon im Lager Belzec Streit gehabt. So habe er sich geweigert, anstelle des SS-Mannes Niemann die Leitung des oberen Lagers zu übernehmen. Wirth habe ihn ins Gesicht geschlagen, sonst aber weiter nichts unternommen. Als sein Freund Fritz Jirmann durch den Zeugen G. in Belzec erschossen worden sei, habe er seinen Unmut darüber geäussert und die Leiche des Erschossenen sehen wollen. Dadurch sei er Wirth lästig gefallen und dieser habe ihn daraufhin "zur Strafe" vier Wochen lang in Urlaub geschickt, ohne dass er ein Urlaubsgesuch eingereicht hätte. Am Tage der Ankunft in Treblinka habe ihm Wirth befohlen, 20 Juden auszusuchen, mit ihnen die abgelegten Kleider der vergasten Opfer wegzuräumen, und sie dann auch der Vergasung zuzuführen. Er aber habe 80 Häftlinge ausgesucht und diese nach getaner Arbeit in die Unterkunft der Arbeitsjuden geführt. Dadurch habe er diese Menschen vor der Vernichtung bewahrt. Auch in der Folgezeit habe er sich für diese "seine Juden" besonders interessiert und sich für ihre gute Behandlung und Verpflegung eingesetzt. Da Wirth sich nicht mehr um die Angelegenheit gekümmert habe, sei er deswegen nicht bestraft worden.

Er hätte viel lieber an der Front gekämpft, anstatt in Treblinka Ukrainer auszubilden. Wenn er entsprechende Wünsche vorgetragen habe, seien sie von Wirth jedesmal sofort mit barschen Worten abgelehnt worden.

Soweit der Angeklagte Franz seinen Aufgabenbereich im Lager einzuengen versucht, soweit er seine Täterschaft an zahlreichen Exzesstaten abstreitet und soweit er von einer wohlwollenden Haltung gegenüber den jüdischen Häftlingen spricht, ist seine Einlassung durch die Feststellungen von A.II. bis VI. des Zweiten Teiles der Gründe widerlegt. Auf die dort gemachten Ausführungen wird verwiesen. Dass Franz seine Taten aus Sadismus, Geltungsbedürfnis und Judenhass begangen hat, wird unter anderem durch die eidlichen Bekundungen der Zeugen Gl., Un., Sed. und Ros. bestätigt; denn diese Zeugen sagen, dass Franz blutgierig wie ein Tiger und der grösste Sadist im Lager gewesen sei, dass er stets dazu geneigt gewesen sei, aus einer Tötung eine Schau zu machen und dass er die Juden als "Dreck" und "Scheisse" bezeichnet habe. Soweit Franz angibt, dem Häftling Dr. Rebschütz den 2.August 1943 als Aufstandstermin vorgeschlagen zu haben, wird er durch die eidliche Aussage des glaubwürdigen Zeugen Raj. widerlegt, der dem Aufstandskomitee angehört hat und der einer der Hauptinitiatoren des Aufstands gewesen ist. Raj. sagte, dass Dr. Rebschütz nicht zum Komitee gehört habe und dass er auch niemals das Komitee über eine Unterredung mit Franz, betreffend den Aufstand, unterrichtet habe. Das hätte Dr. Rebschütz sicherlich getan, wenn Franz ihm einen Vorschlag über den Aufstandstermin gemacht hätte. Im übrigen hat weder einer der Mitangeklagten noch ein einziger der zahlreichen jüdischen Zeugen etwas bekundet, was auch nur im entferntesten den Schluss zuliesse, Franz habe irgendeinem jüdischen Häftling Gutes erwiesen.

Dass der Angeklagte Franz im Lager wie ein "Herrenmensch" aufgetreten ist und dass er sich keine Gelegenheit entgehen liess, um seine Macht und praktische Alleinherrschaft im Lager zu demonstrieren, haben alle Mitangeklagten und unter anderem auch die Zeugen Gl., Sed., Raj. und Ros. dargetan.

Ob Franz den Inspekteur Wirth wirklich um eine Versetzung zur Front gebeten hat, kann dahingestellt bleiben, obwohl allen anderen Mitangeklagten von derartigen Versetzungswünschen des Angeklagten Franz nichts bekannt ist und sich in seinen DC-Unterlagen nicht ein einziges diesbezügliches Schriftstück befindet. Wenn der Angeklagte sich überhaupt jemals von Treblinka weggemeldet haben sollte, dann mag er das aus allen möglichen persönlichen Gründen getan haben, keinesfalls aber, weil er die Vernichtung der Juden in Treblinka missbilligte und sich davon distanzieren wollte.

Was schliesslich die Einlassung des Angeklagten über sein angeblich schlechtes Verhältnis zu Wirth und die von diesem im Zusammenhang mit dem Tode des SS-Mannes Jirmann verhängte "Bestrafung" mit unerbetenem Urlaub angeht, so ist auch diese Einlassung eindeutig widerlegt. Abgesehen davon, dass eine solche Art der "Bestrafung" an sich schon äusserst unwahrscheinlich und mit der von den Angeklagten geschilderten Persönlichkeit Wirths nicht in Einklang zu bringen ist, hat auch der Zeuge Gi. glaubhaft bekundet, dass Franz zur Zeit des Todes von Jirmann längst nicht mehr in Belzec gewesen ist.

B. Der Angeklagte Stadie

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 10.März 1897 in Berlin als Sohn eines Lageristen geborene Angeklagte Stadie besuchte die Volksschule in Berlin, ohne sitzenzubleiben. Nach der Schulentlassung arbeitete er zunächst als Bote, später bei dem jüdischen Arzt Prof.Dr. Bernstein, der in Berlin eine Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten hatte. Hierdurch erwarb er sich Kenntnisse in der Krankenpflege.

Nach dem Ausbruch des 1.Weltkrieges wurde er im August 1914 Soldat. Er kam auf eine Sanitätsschule. Später wurde er zum Sanitätsunteroffizier und schliesslich zum Sanitätssergeanten befördert. Nach dem Ende des Krieges ging der Angeklagte nach Breslau und heiratete hier. Nachdem er viele Jahre arbeitslos gewesen war, fand er 1927 bei einer Städtischen Heilanstalt in Berlin eine Anstellung als Krankenpfleger.

Im Jahre 1933 trat er in die NSDAP und in die SA ein. In der SA erreichte er den Rang eines Rottenführers. Kurz vor Ausbruch des 2.Weltkrieges wurde er zur Wehrmacht einberufen. Er machte den Polen- und den Frankreichfeldzug mit und wurde anschliessend als Sanitätsfeldwebel entlassen. Nach seiner Entlassung wurde er 1940 mittels eines Einschreibens zur Kanzlei des Führers in Berlin bestellt. Hier meldete er sich bei dem Oberdienstleiter Viktor Brack, in dessen Hauptabteilung II auch Gnadentod-Angelegenheiten bearbeitet wurden. Er wurde mit seiner neuen Aufgabe vertraut gemacht und musste eine schriftliche Verpflichtungserklärung für die Euthanasie unterschreiben. Als Angehöriger der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege kam er zur Heilanstalt Bernburg. Seine Aufgabe war es, Transporte von Geisteskranken aus Halle/Saale, Neuruppin und Eberswalde nach Bernburg zu bringen, wo sie getötet wurden. In Bernburg lernte Stadie den dort tätigen Arzt Dr. Eberl kennen, der später der erste Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka wurde.

Nach der Beendigung dieser Aufgabe kam Stadie im Rahmen einer von der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege gesteuerten Aktion zur Organisation Todt (OT). Er wurde als Sanitäter einer OT-Einheit im Winter 1941/1942 in Russland eingesetzt. Nach diesem Einsatz wurde er zu T4 nach Berlin zurückbeordert und Mitte 1942 von hier nach Lublin in Marsch gesetzt. In Lublin blieb er drei Wochen lang. Dann wurde er dem Vernichtungslager Treblinka zugeteilt, dessen Kommandant damals Dr. Eberl war. Unter Dr. Eberl verbrachte Stadie etwa 2 Monate in Treblinka. Er blieb hier schliesslich bis Juli 1943 und wurde dann in das mit Juden belegte Arbeitslager Lublin versetzt.

Im August 1943 kam er zusammen mit Christian Wirth nach Italien. Hier wurde er bei der Erfassung der nach Deutschland zu transportierenden Juden und bei der Sicherung und Bewachung strategisch wichtiger Strassen eingesetzt.

Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Noch im Jahre 1945 wurde er aus dem Gefangenenlager Weilheim nach Düsseldorf entlassen. Von Düsseldorf verzog er nach Duisburg und von dort schliesslich im Jahre 1946 nach Nordenau im Sauerland. In Nordenau arbeitete er als Privatpfleger und als Verkäufer in einem Andenkengeschäft. Seit 1962 ist er Rentner.

Stadie trat in der Zeit des Nationalsozialismus aus der evangelischen Kirche aus. Von seiner Ehefrau lebt er seit dem Kriegsende getrennt. Aus seiner Ehe sind Kinder nicht hervorgegangen.

II. Sein Aufgabengebiet im Vernichtungslager Treblinka

In Treblinka war der Angeklagte Stadie, der wegen seiner geringen Grösse und seines damals grossen Leibesumfanges bei den Häftlingen die Spitznamen "Fässele", "Dickwanst" und "Bulldog" hatte, als Stabsscharführer und sogenannter "Spiess" der Verwaltungsleiter des Lagers für das deutsche und das ukrainische Wachpersonal. Er musste mit Hilfe eines Schreibers alle auf der Schreibstube anfallenden schriftlichen Arbeiten erledigen. Ausserdem hatte er für Ruhe, Ordnung und Sauberkeit im Lagerbereich zu sorgen und vor allen Dingen den gesamten Lagerbetrieb zu überwachen. Ihm oblag die Einteilung der deutschen Unterführer und der Ukrainer für den Wachdienst und die im Lager anfallenden Arbeiten.

Besonders wichtige Aufgaben hatte Stadie bei der Ankunft eines Transportes. Sobald er oder der Schreiber auf der Schreibstube die telefonische Vorausmeldung über das bevorstehende Eintreffen eines Zuges mit deportierten Juden entgegengenommen hatten, hatte er die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um das sofortige Entladen der Güterwagen und die planmässige Durchführung der Vernichtung zu gewährleisten. Er alarmierte mit seiner Trillerpfeife das deutsche und ukrainische Lagerpersonal. Alle verfügbaren Männer des unteren Lagers eilten daraufhin zusammen mit dem Angeklagten Stadie zum Bahnsteig. Mit einer Pistole oder mit einer Maschinenpistole bewaffnet nahm er in vielen Fällen selbst die Transporte ab, d.h. er übernahm die volle Verantwortung für die Übergabe des jeweiligen Sonderzuges durch das Zugpersonal an die Lagerverwaltung in Treblinka, und ihm oblag dann weiter die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass mit den Ankömmlingen im Sinne der Lubliner Richtlinien für die Aktion Reinhard verfahren wurde. Er überwachte das Entladen und suchte aus den Angekommenen Arbeitsjuden heraus, falls Bedarf an Arbeitskräften vorhanden war. Er hielt zu Beginn der Massentötungen mehrfach an die auf dem Bahnhofsvorplatz versammelten Menschen eine Ansprache, in der er den Zuhörern bewusst der Wahrheit zuwider erklärte, Treblinka sei nur eine Zwischenstation auf ihrem Wege zu den neuen Arbeitsplätzen. Hier würden sie gebadet, neue Kleider erhalten und dann unverzüglich weitergeleitet werden. Diese Ansprache hielt er deshalb, damit die angekommenen Opfer ruhig bleiben und den fortlaufenden Gang der Dinge nicht stören sollten; denn so liess sich die Abfertigung am besten und schnellsten erledigen. Die alten und kranken Juden liess er zur Erschiessung ins Lazarett bringen und spiegelte ihnen der Wahrheit zuwider vor, dass sie dort ärztliche Hilfe erhalten würden.

Dabei liess es der Angeklagte Stadie aber nicht bewenden. Wenn der reibungslose Verlauf einer Abfertigungsaktion gestört zu werden drohte oder wenn er es sonst für nötig hielt, machte er auch von seiner Peitsche Gebrauch und schlug mit ihr auf Frauen, Kinder und Männer ein. In vereinzelten Fällen, in denen es beim Entladen eines Zuges Widerstand und Unruhe gab, machte er auch von seiner Schusswaffe Gebrauch. Wenn Schüsse über die Köpfe der Ankömmlinge wirkungslos blieben, schoss er auch in die Menschenmenge. Ob er hierbei auch Menschen getötet hat, lässt sich indessen nicht feststellen.

Während sich Stadie bei den Transportabfertigungen mehrfach zu Gewalttätigkeiten verleiten liess, wenn das zur Erreichung eines schnellen Ablaufs der Entladung erforderlich erschien, führte er sich im täglichen Lagerbetrieb gegenüber den Häftlingen verhältnismässig milde auf. Insbesondere ist kein Fall bekannt geworden, demzufolge er während eines Appells einen Häftling auf dem Prügelbock auspeitschte. Dagegen kam es gelegentlich vor, dass er Häftlinge während der Arbeit schlug, weil sie seiner Ansicht nach nicht fleissig genug arbeiteten.

In den Jahren 1942 und 1943 lag bei Stadie, der jetzt an einer Zerebralsklerose leidet, keine Verminderung seiner Zurechnungsfähigkeit vor. Es gab bei ihm keine krankhafte Reduzierung des Kritik- und Urteilsvermögens und auch keine geistige Erkrankung. Es sind auch keine Anzeichen dafür vorhanden, dass Stadie in den Jahren 1942 und 1943 an einer akuten Alkoholvergiftung litt oder aus irgendwelchen Gründen in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit in rechtlich erheblicher Weise beeinträchtigt war.

III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Stadie und zu seinen Aufgaben in Treblinka

Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen, insoweit vollauf glaubhaften Angaben, diejenigen zu seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf dem eingehenden und überzeugenden Gutachten des Regierungsobermedizinalrates Dr. Hin., der den Angeklagten während seiner langen Haftzeit eingehend behandelt und beobachtet hat.

Hinsichtlich seiner Verwendung in Treblinka lässt der Angeklagte Stadie sich wie folgt ein:

Es ist richtig, dass er im Vernichtungslager Treblinka als Stabsscharführer und "Spiess" eingesetzt gewesen sei. Es treffe auch zu, dass er oder sein Schreiber die telefonischen Meldungen über die Ankunft von Transporten entgegengenommen hätten und dass er dann jeweils das deutsche und das ukrainische Lagerpersonal zur Bahnhofsrampe beordert habe. Es sei ebenfalls richtig, dass er sich einige Male an die Rampe begeben habe, um Transporte abzunehmen und um eine kurze Ansprache an die Angekommenen in deutsch zu halten, die von einem Häftling in die polnische Sprache übersetzt worden sei. Hierbei habe er den Juden sinngemäss das gesagt, was später auf einer Tafel zu lesen gewesen sei, nämlich dass sie hier nur gebadet werden würden, um alsbald zu ihren neuen Arbeitsplätzen weiterzureisen. Diese Rede habe er notgedrungen halten müssen, da es ausgeschlossen gewesen sei, den Juden die Wahrheit über ihr Schicksal zu sagen; denn sie hätten sonst gemeutert, und die Abfertigung hätte viel länger gedauert. Ausser ihm hätten auch noch mehrere andere eine solche Ansprache gehalten.

An der Rampe habe er sich jedoch nur einige wenige Male befunden. Es sei unzutreffend, dass er kranken und alten Juden den Weg zur "ärztlichen Behandlung" im Lazarett gewiesen habe. Das Wegführen der Alten und Kranken zur Erschiessung im Lazarett sei ganz "automatisch" geschehen. Die Arbeitsjuden des Kommandos Blau hätten das von ganz allein besorgt, ohne dass ein Deutscher hierzu besondere Anweisungen habe geben müssen. Er habe niemals auf Juden, wohl aber ab und zu auf Ukrainer mit seiner Peitsche eingeschlagen, wenn diese zu viel Alkohol getrunken hatten. Er habe aber weder mit seiner Dienstpistole noch mit seiner Maschinenpistole jemals auf Juden geschossen.

Im übrigen habe er sich kaum um den Lagerbetrieb gekümmert. Zwar habe er immer darauf geachtet, dass bei ankommenden Transporten alle verfügbaren Leute an die Rampe gekommen seien, er selbst sei aber in der Regel in der Schreibstube zurückgeblieben.

Soweit der Angeklagte Stadie seine Tätigkeit bei der Abfertigung von Transporten einzuschränken versucht, ist seine Einlassung durch die Beweisaufnahme widerlegt. Einmal haben die Mitangeklagten Miete und Suchomel glaubhaft erklärt, Stadie habe jedenfalls dann, wenn der Lagerkommandant oder der Angeklagte Franz verhindert waren, in zahlreichen Fällen die Transporte abgenommen. Zum anderen haben dies auch eine ganze Anzahl glaubwürdiger jüdischer Zeugen, so Raj., Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. bestätigt. Diese eidlich gehörten Zeugen haben insbesondere auch bekundet, dass Stadie auf Ankömmlinge mit seiner Peitsche einschlug und dass er auch in einigen Fällen mit einer Maschinenpistole in die Menschenmenge schoss. Besonders deutlich erinnert sich der Zeuge Tai. daran, dass Stadie und andere SS-Männer bei einem aus Grodno kommenden Transport auf die Juden schossen.

Allerdings lässt sich nicht exakt feststellen, ob Stadie, wenn er auf Ankömmlinge schoss, hierbei jemanden tötete oder töten wollte. Der Zeuge Tai. weiss zwar, dass bei der Abfertigung des Grodnoer Transportes einige Juden erschossen wurden, er vermag aber nicht zu sagen, ob die tödlichen Schüsse von Stadie oder von anderen SS-Leuten oder von Ukrainern stammten. Auch der eidlich vernommene Zeuge Zygmund Stra., der angibt, er habe aus einer Entfernung von 200 yards gesehen, wie Stadie bei der Ankunft eines Transportes mit einer Maschinenpistole auf einen älteren Juden geschossen habe, vermag nicht mit Sicherheit zu sagen, ob dieser ältere Jude von Stadie verletzt und getötet wurde.

Die Zeugen Raj., Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. haben weiter überzeugend bekundet, dass Stadie, wenn er an der Rampe war, auch selbst dafür sorgte, dass alte und kranke Menschen zur Erschiessung ins Lazarett kamen, nachdem er sie in seiner Ansprache dazu aufgefordert hatte, sich zu einer ärztlichen Behandlung zu melden. Richtig ist allerdings, dass er sie, da er die Leitung des gesamten Geschehens hatte, nicht selbst ins Lazarett brachte, sondern dass dies durch andere deutsche SS-Leute, durch Ukrainer und auch durch Angehörige des Kommandos Blau auf seine Anweisung hin geschah und dass sich im Laufe der Zeit eine feste Übung darin entwickelte, wie man die Alten und Kranken zu erfassen und ins Lazarett zu bringen hatte. Es kann freilich keine Rede davon sein, dass er insoweit nichts veranlasst hätte und dass das Wegbringen alter und kranker Opfer "automatisch" geschehen sei.

Dass der Angeklagte während des normalen Lagerbetriebs zu den Arbeitshäftlingen milder war als andere deutsche SS-Leute, wird von zahlreichen Zeugen, darunter den bereits erwähnten Zeugen Raj., Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. bestätigt. Andererseits sind aber zwei Fälle erwiesen, bei denen Stadie persönlich Häftlinge schlug. So vermag sich der eidlich vernommene Zeuge Zygmund Stra. daran zu erinnern, dass Stadie ihn, als er auf einem Barackendach Reparaturen ausführte, mehrfach heftig mit der Hand geschlagen hat, weil er der Meinung war, der Zeuge schlafe. Weiter schildert der vereidigte Zeuge Lak. glaubhaft einen Vorfall, bei dem Stadie einem Häftling befahl, seinen Kopf durch die Sprossen einer Leiter zu stecken, um ihn dann mit seiner Peitsche zu schlagen.

IV. Der Tod des Lagerältesten Rakowski

Ausserhalb der Massentötungen trat Stadie nur bei der Erschiessung des Lagerältesten Rakowski nachweisbar in Erscheinung. Folgendes ist hier erwiesen:

Der Besitz von Geld, Gold und Schmucksachen war den Häftlingen strengstens untersagt. Zu einer Zeit, als Dr. Choranzicky bereits tot war, und zwar entweder Ende April 1943 oder Anfang Mai 1943, hatte man anlässlich einer Kontrolle bei dem damaligen Lagerältesten Rakowski Gold und Geld gefunden. Stadie hielt in Abwesenheit von Franz und Küttner, die beide wahrscheinlich in Urlaub waren, einen Sonderappell ab. Er gab bekannt, dass Rakowski wegen des verbotenen Besitzes von Gold und Geld zu erschiessen sei. Mit der Durchführung der Exekution beauftragte er den Mitangeklagten Miete. Dieser führte Rakowski unter der Bewachung von zwei Ukrainern ins Lazarett und liess ihn hier durch einen der beiden Ukrainer erschiessen.

Der Angeklagte Stadie bestreitet, in irgendeiner Form mit dem Tode des Lagerältesten Rakowski befasst gewesen zu sein. Er wird jedoch durch die glaubhaften Angaben des Mitangeklagten Miete und durch die eidliche Aussage des Zeugen Gl., dessen besondere Glaubwürdigkeit bereits mehrfach, so unter anderem in A.VI.6 des Zweiten Teiles der Gründe, hervorgehoben worden ist, überführt. Miete und Gl. schildern übereinstimmend die Einberufung des Sonderappells durch Stadie und den Inhalt seiner Ansprache, in der er die Erschiessung des Lagerältesten Rakowski wegen des verbotenen Besitzes von Gold und Geld bekanntgab. Miete gibt darüber hinaus zu, Rakowski auf Befehl von Stadie zusammen mit zwei Ukrainern zum Lazarett geführt und dort seine Erschiessung durch einen der beiden Ukrainer veranlasst zu haben. Irgendein Grund dafür, dass Miete seinen früheren Vorgesetzten Stadie und sich selbst wider besseres Wissen belasten wollte, ist nicht ersichtlich, zumal der Angeklagte Miete bereits die unter A.VI.1 und 2. des Zweiten Teiles der Gründe aufgeführten Taten in Übereinstimmung mit jüdischen Zeugen wahrheitsgemäss geschildert hat. Hinsichtlich dieser Franz belastenden Angaben des Angeklagten Miete hat Stadie erklärt, er könne sich nicht vorstellen, dass Miete Unwahres sage. Wenn Miete aber bei der Schilderung von Taten, die Franz beging, die Wahrheit gesagt hat, dann ist nicht einzusehen, weshalb er beim Angeklagten Stadie, mit dem er keinerlei Differenzen hatte, nicht die Wahrheit gesagt haben soll. Das gilt um so mehr, als sich seine Darstellung mit der glaubhaften Bekundung des Zeugen Gl. deckt.

Damit ist geklärt, welche Erklärungen Stadie über das Schicksal des Rakowski beim Sonderappell abgab. Offen bleibt es jedoch, ob er die Erschiessung eigenmächtig anordnete oder ob er nur einen ihm zuvor vom Lagerkommandanten Stangl übermittelten Befehl zur Erschiessung Rakowskis auf dem Appell bekanntgab. Der Zeuge Gl. hat nämlich bekundet, Stangl habe nach dem Tode des Dr. Coranzicky angeordnet, eingearbeitete Leute dürften nur noch mit seiner Genehmigung "umgelegt" werden, so dass von diesem Zeitpunkt an die ständigen willkürlichen Erschiessungen unter den Arbeitsjuden immer mehr aufgehört hätten. Auch der Angeklagte Miete hält es für möglich, dass Stadie einen Befehl von Stangl zur Erschiessung Rakowskis gehabt und dass er diesen Befehl auf dem Appell lediglich verkündet habe. Unter diesen Umständen kann man nicht mit Sicherheit feststellen, dass Stadie den Tod Rakowskis eigenmächtig beschlossen hat. Vielmehr muss zu seinen Gunsten die Möglichkeit zugrunde gelegt werden, dass er nur einen Befehl Stangls bekanntgegeben und dessen Ausführung veranlasst hat.

V. Exzesstaten ausserhalb der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses

Die Beweisaufnahme hat keine sicheren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Stadie in anderen Fällen Arbeitsjuden getötet hat oder an ihrer Tötung beteiligt gewesen ist.

1. Der Fall des Küchenjungen

Der eidlich vernommene Zeuge Pla. hat zwar geschildert, dass Stadie einen jüdischen Küchenjungen, der wegen des Mangels an Brennholz unerlaubterweise eine Holztrage in der Küche verfeuert hatte, deswegen in Richtung zum Lazarett weggeführt haben soll. Er konnte jedoch nicht sagen, was mit diesem Jungen tatsächlich geschehen ist. Dieser Fall ist damit nicht aufzuklären.

2. Der Fall des Kapo Monjek

Ausserdem hat der vor dem deutschen Konsul in New York eidlich vernommene, 56 Jahre alte Metzger Go. angegeben, Stadie habe den Häftling Monjek, den Kapo der Hofjuden, erschossen. Der Aussage dieses Zeugen muss man jedoch deshalb mit Vorsicht begegnen, weil er etwa 1 Jahr vor seiner Vernehmung in New York einen schweren Autounfall erlitten hat, aufgrund dessen er 2 Tage lang bewusstlos war. Er hat selbst eingeräumt, dass sein Gedächtnis durch den Unfall stark gelitten habe. Hinzu kommt, dass der besonders glaubwürdige Zeuge Ros., dessen Vetter der Kapo Monjek war, bei seiner ausführlichen Vernehmung nichts davon gesagt hat, dass sein Vetter durch Stadie getötet worden sei. Der Angeklagte Suchomel erklärte zudem mit aller Bestimmtheit, der Kapo Monjek sei keineswegs getötet worden, sondern sei bis zum Aufstand im Lager gewesen. Das gleiche bestätigt schliesslich der Zeuge Raj. Unter diesen Umständen kann man der Aussage des Zeugen Go. keine ausschlaggebende Bedeutung beimessen.

VI. Die innere Einstellung des Angeklagten Stadie zu seinem Einsatz in Treblinka

Dem Angeklagten Stadie war bekannt, dass die Opfer in den Gaskammern eng zusammengepfercht qualvoll sterben mussten und dass sie vor und während ihrer Erschiessung im Lazarett in die Grube mit brennenden Leichen blicken mussten. Schliesslich war er sich auch dessen bewusst, dass die Ankömmlinge durch Ansprachen und später durch die am Bahnhof aufgestellten Hinweisschilder über ihr wahres Schicksal getäuscht wurden, damit sie bei ihrer Vernichtung dem deutschen und dem ukrainischen Lagerpersonal keine Schwierigkeiten bereiteten. Er wusste auch, dass er durch seine Tätigkeit in Treblinka einen guten Teil dazu beitrug, die von oben angeordnete Judenvernichtung zu verwirklichen.

Stadie empfand nach seiner glaubhaften Einlassung die Tötung der Juden als ein grosses Unrecht, das gegen die Gebote der Menschlichkeit und der Strafgesetze verstiess. Er ging aber davon aus, dass Hitler dieses Unrecht angeordnet hatte, und war deshalb der Meinung, dass der "Führerbefehl" vollzogen werden müsse. Im Laufe seiner seit 1933 währenden Mitgliedschaft bei der NSDAP und der SA und seiner langjährigen Dienstzeit beim Militär, bei T4 und bei der Organisation Todt hatte er sich daran gewöhnt, stets allen Anordnungen nachzukommen und seinen Dienst an jedem Platz zu verrichten, an den er gestellt wurde, selbst wenn er etwas tun musste, was ihm nicht zusagte. Er glaubte daher, auch in Treblinka alle Befehle ausführen zu müssen, zeigte sich mit seinem Einsatz schnell einverstanden und brachte sein Gewissen zum Schweigen. Willig und eifrig wirkte er an der Erfüllung des dem Sonderkommando Treblinka gestellten Auftrages mit. Seine unbedingte Befehlsergebenheit liess ihn eine Befehlsverweigerung nicht ernsthaft in Betracht ziehen. Obwohl er in Berlin zu Hause war, benutzte er seinen häufigen Heimaturlaub nicht dazu, um bei der Dienststelle T4 in Berlin wegen einer anderen Verwendung vorzusprechen.

Zwar ist nach seiner unwiderlegten Einlassung davon auszugehen, dass er im Jahre 1942 einmal den ersten Lagerkommandanten Dr. Eberl und ein zweites Mal im Jahre 1943 Wirth um seine Versetzung zu einer anderen Einheit gebeten hat. Als seinem Wunsche in beiden Fällen unter Hinweis darauf, man müsse dort bleiben, wo einen der Führer hingestellt habe, nicht entsprochen wurde, gab er sich damit zufrieden. Er unternahm im Jahre 1942 und in der ersten Hälfte des Jahres 1943 keine weiteren Versuche, eine Ablösung zu erreichen. Erst im Juli 1943, als die Aktion Reinhard nahezu beendet war, wurde er ein zweites Mal bei Wirth wegen einer Versetzung vorstellig. Diesmal hatte er Erfolg. Wirth versetzte ihn zum Arbeitslager Lublin. Er erlitt keinerlei Nachteile. Wohl wurde er nicht mehr als "Spiess" des Arbeitslagers eingesetzt, da diese Stelle bereits besetzt war. Er übernahm unter Beibehaltung seines Dienstgrades als Stabsscharführer andere Aufgaben.

Der Angeklagte Stadie lässt sich wie folgt ein:

Er sei gegen die Tötung der Juden gewesen. Nachdem Dr. Eberl und Wirth seinem Wunsch, versetzt zu werden, nicht entsprochen hätten, habe er bis Juli 1943 nichts mehr unternommen, um von Treblinka wegzukommen, weil das aussichtslos gewesen sei. Im übrigen habe er Angst vor Christian Wirth gehabt, der ein wilder, zu allem fähiger Mann gewesen sei und der sicherlich nicht davor zurückgeschreckt hätte, einen widerspenstigen SS-Mann zu töten oder ihn in ein Konzentrationslager zu bringen. Nur durch den häufigen Genuss alkoholischer Getränke habe er seine Tätigkeit im Lager ertragen können. Diese auf einen ständigen inneren Konflikt hinweisende Einlassung des Angeklagten Stadie ist nach seinem Gesamtverhalten im Lager als widerlegt anzusehen. Zunächst ist hervorzuheben, dass Stadie seine Aufgaben bei der Abnahme und der Abfertigung von Transporten überaus eifrig wahrnahm. Wie der eidlich vernommene Textilkaufmann Ma. aus München glaubhaft bekundet hat, nahm Stadie bei der Ankunft eines Transportes aus Warschau, mit dem auch Ma. nach Treblinka kam, die notwendigen Selektionen von Arbeitsjuden "mit der Präzision eines Maschinengewehrs" vor, was in einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner fülligen, gemütlichen äusseren Erscheinung stand. Er war darauf bedacht, die Transporte zügig und exakt abzuwickeln, um vor seinen Vorgesetzten als tüchtiger Mann dazustehen. Jedenfalls hat er nicht etwa, um seinen Unwillen über die Tötung der Juden Ausdruck zu verleihen, langsam gearbeitet, sondern er hat sich, wie unter anderem die eidlich vernommenen Zeugen Gl., Sed. Raj., Tu. und Kols. bekunden, stets einer auffallenden Aktivität befleissigt, wenn es galt, die Transporte in möglichst kurzer Frist abzufertigen. In mindestens zwei Fällen hat er auch Arbeitshäftlinge geschlagen, wie bereits in B.III. dargelegt worden ist. Auch das beweist, dass er sich damals nicht genügend von der Vernichtungsaktion distanziert hat; denn das Misshandeln war nicht befohlen, und Stadie hätte deshalb in den beiden erwiesenen Fällen nicht zu schlagen brauchen.

C. Der Angeklagte Matthes

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 11.Januar 1902 in Wermsdorf (Bezirk Leipzig) als Sohn eines Oberpflegers geborene Angeklagte Matthes erlernte nach dem Besuch der Volksschule das Schneiderhandwerk. Er arbeitete zunächst einige Jahre als Schneidergehilfe. Im Jahre 1924 trat er in die Pflegeanstalt Sonnenstein bei Pirna ein. Er absolvierte dort einen Lehrgang und bestand das Examen als Pfleger und Erzieher. Er ging dann als Pfleger an die Heilanstalt Arnsdorf bei Dresden und von dort als Erzieher an die Fürsorgeanstalt Bräunsdorf bei Freiburg/Sachsen, um schliesslich wieder als Pfleger zur Heilanstalt Arnsdorf zurückzukehren.

Bei Kriegsbeginn wurde er zur Wehrmacht einberufen. Er machte den Polen- und Frankreichfeldzug mit und wurde im September 1941 als Obergefreiter entlassen. Er wurde über seinen Ersatztruppenteil nach Berlin in Marsch gesetzt und musste sich hier bei der Kanzlei des Führers melden. Er wurde dienstverpflichtet und als Fotokopist bei der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege beschäftigt. Im Winter 1941/1942 wurde er als Sanitäter einer Einheit der Organisation Todt zugeteilt und in Russland im Raume Minsk als Sanitäter eingesetzt. Im Februar oder März 1942 kehrte er von Russland nach Berlin zurück und arbeitete erneut in der Fotokopierabteilung der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege.

Im Sommer 1942, etwa Ende August 1942, wurde der Angeklagte mit mehreren anderen Angehörigen seiner Dienststelle, darunter dem Angeklagten Suchomel, zur Dienststelle des SS- und Polizeiführers in Lublin abkommandiert. Er wurde eingekleidet, erhielt den Rang eines SS-Scharführers und fuhr am nächsten Tage mit seinen Kameraden von Lublin nach Warschau. Von dort gelangte er mit einem Umsiedlertransport nach Treblinka. Während eines Ende Dezember 1942 angetretenen Heimaturlaubs erkrankte er an Fleckfieber. Vom 16.Januar 1943 bis zum 26.März 1943 befand er sich deswegen zur Behandlung im Reservelazarett in Radebeul. Nach seiner Genesung kehrte er für kurze Zeit nach Treblinka zurück, und verbrachte dann mit seiner Frau einen Erholungsaufenthalt in dem Heim der T4 am Attersee in Österreich. Gegen Pfingsten 1943 nahm er seinen Dienst in Treblinka wieder auf. Im September 1943 wurde er vom Vernichtungslager Treblinka zum Vernichtungslager Sobibor versetzt. Anfang Dezember 1943 wurde er nach Hause "auf Abruf" beurlaubt Gegen Weihnachten 1943 wurde er, nunmehr als Angehöriger der Polizei eingekleidet, nach Triest abkommandiert. Er wurde hier zur Partisanenbekämpfung, zum Wachdienst und beim Stellungsbau eingesetzt.

Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er jedoch noch im Jahre 1945 nach Nürnberg entlassen wurde. Hier arbeitete er beim Räumen von Trümmern und als Werkssanitäter. Dann fand er wieder eine Anstellung als Pfleger. Er war in den Heil- und Pflegeanstalten in Ansbach, in Andernach und zuletzt bis zu seiner Verhaftung als Abteilungsoberpfleger in Bayreuth tätig. Der Angeklagte heiratete im Jahre 1929. Seine Frau verstarb im Jahre 1965. Aus seiner Ehe ist eine 26 Jahre alte Tochter hervorgegangen, die verheiratet ist.

Matthes trat im Jahre 1934 der SA bei. Er hatte den Rang eines Sturmmannes. Im Jahre 1937 stellte er den Antrag, in die NSDAP aufgenommen zu werden. Ob er aufgrund seines Antrages tatsächlich in die Partei aufgenommen wurde, steht jedoch nicht fest. Aus der evangelischen Kirche ist Matthes angeblich nicht ausgetreten.

II. Seine Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka

Während seines Aufenthaltes im Vernichtungslager Treblinka war der Angeklagte Matthes der verantwortliche Lagerführer des oberen Lagers. Er hatte in dieser Eigenschaft die Verantwortung für den gesamten sich in diesem Lagerteil abspielenden Dienstbetrieb und die Oberaufsicht über alle hier arbeitenden jüdischen Häftlinge. Er war derjenige, der das allgemeine Arbeitstempo und die Lebensbedingungen der Häftlinge bestimmte, der sie morgens aus der Unterkunftsbaracke herausliess, sie nach dem Morgenappell, den er in der Regel selbst abnahm, zur Arbeit schickte und sie nach dem Abendappell wieder einschloss. Er sorgte dafür, dass jeder an dem ihm zugeteilten Arbeitsplatz stand und dass es auf keinen Fall zu irgendeinem Leerlauf in der Vernichtungsmaschinerie kam.

Bei der Erfüllung seiner Aufgaben war Matthes nicht zimperlich. Er schlug, wo es ihm nötig schien, mit der Lederpeitsche auf die Häftlinge ein oder liess sie durch die Kapos schlagen. Er war Herr über Leben und Tod der ihm unterstehenden Juden des Totenlagers, und er konnte, wenn es ihm beliebte, die bedauernswerten Menschen nicht nur schlagen oder schlagen lassen, sondern sie auch töten oder töten lassen, wenn sie beispielsweise nicht mehr arbeitsfähig waren oder aus einem sonstigen Grund Anlass zu einer solchen Massnahme bestand.

Über seine allgemeinen organisatorischen Aufgaben hinaus, die er mit grossem Eifer ausführte, beteiligte sich Matthes in erheblichem Umfange an den Massentötungen. Er überwachte das Hineintreiben der Opfer in die Gaskammern, gab das Kommando zum Schliessen der Gaskammertüren und nach Durchführung der Vergasung auch den Befehl zum Öffnen der Aussenklappen und zum Abtransport der Leichen. Er achtete streng darauf, dass dieser Transport mit der grösstmöglichen Schnelligkeit erfolgte, und er widmete seine besondere Aufmerksamkeit der schnellen und gründlichen Säuberung der Gaskammern, um sie so schnell wie möglich für die Aufnahme neuer Opfer bereitzustellen.

III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Matthes und zu seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka

Die Feststellungen zu dem unter I. abgehandelten Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen Angaben, die insoweit glaubhaft sind. Bezüglich seiner Verwendung im Vernichtungslager Treblinka lässt er sich wie folgt ein:

Nur im Jahre 1942 sei er Chef des oberen Lagers gewesen. Im Jahre 1943 habe der ranghöhere SS-Oberscharführer Floss das Totenlager geführt.

Im oberen Lager habe er nicht mehr getan, als ihm aufgetragen worden sei. Er habe lediglich darauf geachtet, dass der Betrieb im Totenlager ruhig und reibungslos abgelaufen sei. Am eigentlichen Vergasungsvorgang, insbesondere am Hineintreiben der Juden in die Gaskammern, sei er nicht beteiligt gewesen. Als Familienvater und Krankenpfleger hätte er es auch nicht übers Herz gebracht, die bedauernswerten Juden, mit denen er grosses Mitleid gehabt habe, in die Gaskammern zu treiben. Sobald Transporte zur Vergasung eingetroffen seien, habe er sich zurückgezogen, um mit dem schaurigen Geschäft der Vergasung nicht befasst zu werden. Häufig habe er sich dann in der Küche des oberen Lagers aufgehalten, um dort eine Suppe zu essen. Er habe nur dann einen Häftling geschlagen, wenn es sich aus Gründen der Ordnung und Disziplin nicht habe vermeiden lassen. Das sei aber nur selten gewesen. Im übrigen habe er dafür gesorgt, dass niemand im oberen Lager gepeitscht und misshandelt worden sei.

Durch das Ergebnis der Beweisaufnahme ist jedoch die Einlassung des Angeklagten im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt. In der Voruntersuchung hat der Angeklagte Matthes dargelegt, dass er immer, und zwar 1942 und auch 1943, Chef des oberen Lagers gewesen und dass er im Falle seiner Verhinderung von seinem Kameraden Pötzinger vertreten worden sei. Der Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Schw. hat hierzu bekundet, Matthes habe diese Angaben während der Voruntersuchung von sich aus, ohne jede äussere Beeinflussung, gemacht. Wenn
Matthes nunmehr angibt, ab 1943 sei der ranghöhere SS-Oberscharführer Floss Chef des Totenlagers gewesen, so handelt es sich um eine Schutzbehauptung, mit der Matthes einen Teil seiner Verantwortung für die Vorgänge im oberen Lager auf den nicht mehr am Leben befindlichen Floss abwälzen will. Richtig ist dagegen, dass Floss trotz seines höheren Dienstgrades niemals Chef des oberen Lagers gewesen ist, weil er von der Lubliner Zentrale den klar abgegrenzten Sonderauftrag hatte, leistungsfähige Verbrennungsanlagen im Totenlager einzurichten. Nachdem Versuche der Stammbesatzung des Totenlagers von Treblinka, die Leichen in den Gruben zu verbrennen, gescheitert waren, traf Floss als Spezialist für die im Jahre 1943 angeordnete Verbrennung der Leichen in Treblinka ein. Er errichtete die aus Eisenbahnschienen bestehenden Verbrennungsroste, mit denen er das Problem der Leichenverbrennung wirksam und zweckmässig löste. Dagegen oblag ihm in keinem Falle die Leitung des oberen Lagers, die bei dem Angeklagten Matthes verblieb, wie die Mitangeklagten Münzberger, H. und Ru., die sämtlich im oberen Lager waren, übereinstimmend angeben. Der über das untere und das obere Lager besonders gut informierte Angeklagte Suchomel, der öfter zum Abholen von Wertsachen ins obere Lager kam, hat ebenfalls erklärt, dass Matthes sowohl 1942 als auch 1943 Chef des oberen Lagers gewesen sei; seine Stellung sei mit der Küttners zu vergleichen, der das untere Lager geführt habe. Die eidlich vernommenen Zeugen Lew., Ros. und Li. haben zudem übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass Matthes auch 1943 der oberste Chef und der Boss des Totenlagers gewesen sei und dass er nur im Falle seiner Abwesenheit von dem SS-Unterscharführer Karl Pötzinger vertreten worden sei, während Floss sich lediglich um die Einrichtung und den Betrieb der Verbrennungsroste gekümmert habe.

Dass der Angeklagte seine Aufgaben als Chef des oberen Lagers sehr ernst nahm und dass er alle auftretenden Schwierigkeiten mit grosser Strenge und Brutalität zu überwinden wusste, indem er auf die Häftlinge einprügelte oder sie durch Kapos schlagen liess, haben neben zahlreichen anderen Zeugen die Zeugen Ros. und Li., die beide von Matthes persönlich, zum Teil wegen kleinster Verstösse gegen die Lagerordnung, mehrfach Prügel bekommen haben, glaubhaft unter ihrem Eide bestätigt. An der Richtigkeit ihrer Aussagen besteht um so weniger ein Zweifel, als auch der Angeklagte H. in der Hauptverhandlung angegeben hat: "Matthes war sehr streng und liess die Leute durch die Kapos schlagen. Wenn er angetrunken war, war er geradezu brutal." H., der Matthes schon von einer gemeinsamen Pflegertätigkeit in Arnsdorf kannte, wird hierbei sicherlich nicht übertrieben haben. Dass zwischen Matthes und H. irgendwelche Spannungen bestanden haben oder bestehen, ist in der Hauptverhandlung nicht erkennbar geworden und hat zudem keiner der Angeklagten, auch nicht der Angeklagte Matthes, behauptet. Hinzu kommt, dass das Schwurgericht bei H. den Eindruck hatte, dass er, soweit er sich nicht aus falsch verstandener Kameradschaft gegenüber den Mitangeklagten zum Schweigen verpflichtet glaubte, durchaus bemüht war, der Wahrheit die Ehre zu geben.

Dass Matthes das Schliessen und Öffnen der Gaskammern angeordnet und den Vergasungsvorgang persönlich überwacht hat, wird nicht nur von den Mitangeklagten Münzberger, H. und Ru., sondern auch von den eidlich vernommenen Zeugen Ros. und Li. bestätigt. Annehmen zu wollen, Matthes als Chef des oberen Lagers habe sich ausgerechnet bei der wichtigsten Tätigkeit im oberen Lager, nämlich dem Vergasen von Tausenden von Juden, in die Küche zum Essen einer Suppe zurückgezogen, ist auch mehr als abwegig; denn gerade Matthes hatte den Ehrgeiz, durch seine persönliche Überwachung eine beschleunigte Abfertigung der angekommenen Opfer zu erreichen. Allerdings hat die Beweisaufnahme nicht mit letzter Sicherheit ergeben, dass Matthes bei der Vergasung von Juden einzelne Personen erschossen hat, weil sie den Vergasungsvorgang aufhielten. Zwar haben die uneidlich vernommenen Zeugen Eisenbahner Gol. und Verwalter Wie. bekundet, Matthes habe sich an der Tötung zahlreicher Juden beteiligt, die nicht vergast, sondern direkt an den Leichengruben erschossen worden seien. Jedoch bestehen erhebliche Bedenken, die Bekundung dieser beiden Zeugen zu verwerten. Wie bereits in A.VIII.17. des Zweiten Teiles der Gründe ausgeführt worden ist, kann man die Aussage des Zeugen Wie. wegen seiner altersbedingten Konzentrations- und Gedächtnisschwäche nicht verwerten. Hinzu kommt, dass der Zeuge Wie. den Angeklagten Matthes nicht wiedererkannt hat. Gegen die objektive Richtigkeit der von dem Zeugen Gol. gemachten Aussage bestehen deshalb Bedenken, weil er bei seiner Vernehmung sehr erregt war und weil er sich insbesondere in der Hauptverhandlung in einen starken Widerspruch zu seinen Angaben in der Voruntersuchung setzte, ohne dass er für diesen Widerspruch eine befriedigende Erklärung geben konnte.

IV. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Matthes ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

Wie bereits unter III. dargelegt worden ist, sind dem Angeklagten Matthes keine Einzeltötungen von jüdischen Umsiedlern während der Massentötungen nachzuweisen. Anders verhält es sich jedoch, soweit einzelne Tötungen von Arbeitsjuden durch den Angeklagten Matthes ausserhalb der Transportabfertigungen in Betracht kommen.

Hier sind folgende Fälle erwiesen:

1. Die Selektion von mindestens 5 fleckfieberkranken Häftlingen in der Baracke zur Erschiessung im Lazarett

Im Winter 1942/1943 war infolge der fehlenden hygienischen Einrichtungen unter den Häftlingen des Totenlagers Fleckfieber ausgebrochen. Die Fleckfieberkranken wurden zwar gemeinsam in einem Teil der Unterkunftsbaracke und von den anderen Häftlingen getrennt untergebracht, aber sonst geschah nichts zur Behandlung ihrer Krankheit. Zwar gab es auch im oberen Lager einen jüdischen Arzt, der jedoch nicht viel für seine erkrankten Kameraden tun konnte, weil es an Medikamenten fehlte. Der Angeklagte Matthes meldete dem Kommandanten Stangl das Auftreten des Fleckfiebers im oberen Lager, das von Stangl deshalb bald aufgesucht wurde. Gemeinsam mit Matthes betrat Stangl den Teil der Baracke, in dem sich die Fleckfieberkranken befanden, und liess sich von dem jüdischen Arzt über den Zustand der Kranken informieren. Er suchte daraufhin mindestens 5, höchstens 8 Schwerkranke heraus und gab dem Angeklagten Matthes die Weisung, diese Ausgesuchten zur Erschiessung ins Lazarett bringen zu lassen. Matthes war mit dieser Massnahme vollauf einverstanden, da mit der Tötung dieser Fleckfieberkranken die Ansteckungsgefahr für andere Häftlinge verringert wurde, die er angesichts des zur damaligen Zeit herrschenden Hochbetriebes bei der Abfertigung als Arbeitskräfte dringend benötigte. Nachdem Stangl das obere Lager verlassen hatte, holte Matthes die 5 bis 8 Ausgesuchten aus der Baracke heraus und liess sie sofort zum Lazarett ins untere Lager bringen, wo sie erschossen wurden.

Diese Feststellungen beruhen auf dem von Matthes in der Hauptverhandlung gemachten glaubhaften Geständnis. Auch der Angeklagte Münzberger hat diesen Vorfall bestätigt, wobei er darauf hinwies, dass er selbst am Abtransport der von Stangl ausgesuchten Häftlinge zum Lazarett nicht beteiligt gewesen sei.

Weitere Selektionen von Fleckfieberkranken durch Matthes hat die Hauptverhandlung nicht mit Sicherheit ergeben.

Der eidlich vernommene israelische Staatsangestellte Li. hat allerdings von zwei verschiedenartigen Selektionen durch Matthes berichtet, und zwar von der Aussonderung Kranker in der Baracke, die Matthes gemeinsam mit einem jüdischen Arzt vorgenommen haben soll, und von der Aussonderung nicht mehr voll Arbeitsfähiger, die Matthes während des Appells allein durchgeführt haben soll. Der Zeuge Li. bekundet weiter, dass man einen Teil dieser Aussortierten im Lazarett des unteren Lagers und einen anderen Teil direkt an den Leichengruben des oberen Lagers erschossen habe. Li. erinnert sich jedoch nicht mehr an nähere Einzelheiten, die eine Konkretisierung seiner allgemein gehaltenen Belastungen ermöglichen würden. Zur Feststellung bestimmter, genau abgrenzbarer Selektionen von Arbeitsjuden des oberen Lagers reicht seine Bekundung deshalb nicht aus.

Das gleiche gilt auch von der Aussage des uneidlich vernommenen Mechanikers Ep. aus Petach Tikwa in Israel. Er schildert zwei Aussortierungen von Typhuskranken, die Matthes jeweils beim Abendappell vorgenommen haben soll und die einmal zum Tod von 40 Häftlingen und ein andermal zum Tod von weniger als 40 Häftlingen geführt haben sollen, wobei jeweils ein Teil dieser Leute im oberen Lager und der andere Teil im Lazarett des unteren Lagers erschossen worden sein soll. Auch Ep., der während seiner Vernehmung stark erregt war, konnte hinsichtlich beider Aussortierungen keine näheren Einzelheiten angeben, so dass sich beide Tatkomplexe nicht voneinander abgrenzen und darüber hinaus auch nicht präzisieren lassen. Obwohl es durchaus wahrscheinlich ist, dass Matthes über die von ihm zugegebene Beteiligung an einer von Stangl vorgenommenen Selektion hinaus weitere Aussortierungen von kranken und nicht mehr voll arbeitsfähigen Häftlingen vorgenommen hat, kann man das nicht mit Sicherheit feststellen, da die Zeugen Li. und Ep. sich an nähere Einzelheiten der Selektionen nicht mehr erinnern. Grundlage einer Verurteilung kann deshalb nur das von Matthes abgelegte Geständnis über seine Beteiligung an einer von Stangl durchgeführten Selektion von 5 bis 8 Männern sein. Etwaige weitere Selektionen durch Matthes sind angesichts des unklaren Beweisergebnisses mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Genauigkeit nicht zu erfassen.

2. Erschiessung des Warschauers Alek Weintraub

An einem Tage gegen Ende des Jahres 1942 stellte der aus Warschau stammende Häftling Alek Weintraub, der im Totenlager zum Transport von Leichen eingesetzt war, seine Leichentrage neben dem Brunnen im oberen Lager ab, um Wasser zu trinken. Der Angeklagte Matthes sah das. Er ging hinzu und tötete Weintraub durch einen Pistolenschuss in den Hinterkopf. Der Angeklagte bestreitet die Tat. Er wird jedoch durch die eidliche Aussage des Hafenlageristen Ros. überführt, der den Vorfall aus der Nähe genau beobachtet hat. Den Zeugen interessierte das Schicksal des Alek Weintraub deshalb, weil er mit Weintraub gut bekannt war. Er wohnte mit ihm in Warschau im selben Hause. Dass Ros., der Matthes sofort wiedererkannt hat, besonders zuverlässig und glaubwürdig ist, hat das Schwurgericht bereits mehrfach, so in A.VI.1. des Zweiten Teiles der Gründe, zum Ausdruck gebracht.

3. Erschiessung des Josel Rosenbaum und eines Häftlings mit dem Vornamen David

Im oberen Lager bestand die Anordnung, dass nach getaner Arbeit alle Geräte und insbesondere die zum Leichentransport benutzten Tragbahren ordentlich gesäubert werden mussten. Der Leichenträger Josel Rosenbaum und ein weiterer Häftling mit dem Vornamen David hatten an einem Tage im Spätherbst oder bei Winteranfang 1942 ihre Leichentrage nicht genügend gereinigt. Dadurch fielen sie dem Angeklagten Matthes auf. Er rief die beiden zu sich und tötete sie auf der Stelle durch Pistolenschüsse in den Hinterkopf. Das geschah in der Nähe des Appellplatzes im oberen Lager. Der Angeklagte bestreitet, sich in der geschilderten Weise schuldig gemacht zu haben. Dass er jedoch die beiden Arbeitsjuden erschossen hat, ist durch die überzeugende, glaubhafte Aussage des vereidigten Zeugen Ros. bewiesen, der diesen Vorfall aus nächster Nähe beobachtet hat.

V. Die erwiesene Erhängung von drei auf der Flucht gefassten Häftlingen (Exzesstat ausserhalb der Massentötungen, die nicht im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt ist)

In der Hauptverhandlung ist eine Reihe von Exzesstaten des Angeklagten Matthes erörtert worden, die nicht im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift enthalten sind. Von den in den rechtlichen Hinweisen des Schwurgerichts vom 23.Juli 1965 aufgeführten 8 Einzelfällen sieht das Schwurgericht 7 als nicht hinreichend nachgewiesen und nur die nachfolgende Tat als bewiesen an: Im Laufe des Dezember 1942 gruben mehrere Häftlinge des oberen Lagers nach und nach vom Inneren ihrer Unterkunftsbaracke aus einen Tunnel unter dem Lagerzaun hindurch ins Freie. In einer Nacht Ende Dezember 1942 flohen 5 Häftlinge durch diesen Tunnel. Ihre Flucht wurde jedoch bald entdeckt, und alle Häftlinge des oberen Lagers wurden nachts zu einem Sonderappell herausgepfiffen. Beim Abzählen stellte man fest, dass insgesamt 5 Mann, nämlich die 5 Flüchtlinge, fehlten. Während die zum Appell herausgeholten Juden wieder in ihre Baracke zurückgetrieben wurden, nahm man sogleich die Verfolgung der 5 Entflohenen auf. Da gerade in dieser Nacht der erste Schnee gefallen war, konnte man die Flüchtlinge aufgrund der von ihnen im Schnee hinterlassenen Spuren leicht verfolgen. Am nächsten Tage brachte man vier der fünf Männer auf einem Pferdewagen zurück. Einer von ihnen war tot, die anderen drei waren an ihren Händen gefesselt. Die drei Lebenden sperrte man tagsüber in eine leere Gaskammer. Beim Abendappell hielt Matthes eine Ansprache an die versammelten Häftlinge, in der er sie vor einer Flucht warnte. Dann befahl er die Erhängung der drei gefassten Häftlinge, die noch lebten. Inzwischen war bereits vor dem alten Gaskammergebäude ein Galgen errichtet worden. In Anwesenheit von Matthes, der die Exekution leitete, wurden die drei mit dem Kopf nach oben am Hals erhängt. Zur Abschreckung blieben sie bis zum nächsten Morgen hängen. Dann kamen sie in eine Leichengrube. Der eine der Aufgehängten hiess Mechele mit Vornamen, der andere Shlomo, der dritte war ein kleiner Mann, der aus Petrikau stammte.

Der Angeklagte Matthes bestreitet, die Erhängung dieser drei Häftlinge angeordnet zu haben. Er wird jedoch dieser Tat durch die eidliche Bekundung des Zeugen Ros. überführt, auf dessen besondere Glaubwürdigkeit schon mehrfach hingewiesen worden ist. Ros. hat nicht nur die Vorgänge bei der Erhängung selbst, sondern auch die Vorbereitungen der Flucht aus eigener Anschauung erlebt. So hat er unter anderem eingehend geschildert, wie eines Abends Anfang Dezember 1942 die Tunnelbauer zu ihm gekommen seien und ihn gebeten hätten, seinen Schlafplatz zu räumen, weil von dieser Stelle der Baracke aus der Tunnelbau am zweckmässigsten begonnen werden könne. Er hat dann weiter beobachtet, wie der Bau des Tunnels nach und nach vorangetrieben wurde, bis sich die 5 Tunnelbauer zur Flucht entschlossen. Die Flucht von mehreren Häftlingen in der Nacht des ersten Schneefalls im Jahre 1942, das Ergreifen der Flüchtlinge und ihre von Matthes angeordnete Erhängung schildert daneben auch der eidlich vernommene Zeuge Li. Er meint allerdings, es seien 6 bis 7 Mann entflohen, 6 Männer habe man zurückgebracht, davon 2 tot und 4 lebendig, und diese 4 Lebenden seien dann beim Abendappell auf Befehl von Matthes am Halse erhängt worden. Li. bestätigt damit im wesentlichen die von Ros. gemachten Angaben. Hinsichtlich der Zahl der Aufgehängten folgt das Schwurgericht jedoch in vollem Umfange der Bekundung des Zeugen Ros., der über diesen Vorgang umfassender informiert ist als Li., da er nicht nur die Flucht selbst, sondern auch bereits ihre Vorbereitung mit Anteilnahme verfolgt und da er darüber hinaus auch nähere Einzelheiten über die Persönlichkeit der drei Aufgehängten (bei zweien die Vornamen und bei einem die Heimatstadt) im Gedächtnis behalten hat.

VI. Nicht erwiesene Einzeltaten ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Selektion von Häftlingen beim Appell zur Erschiessung im Lazarett des unteren Lagers oder an den Leichengruben des oberen Lagers

In C.IV.1. ist festgestellt worden, dass Matthes an der vom Kommandanten Stangl durchgeführten Selektion von 5 bis 8 Fleckfieberkranken, die in der jüdischen Unterkunftsbaracke lagen, beteiligt war. Durch die Anklage wird ihm weiter zur Last gelegt, auch bei den im Freien abgehaltenen Appellen weitere Selektionen von Kranken, Verletzten und nicht mehr voll Arbeitsfähigen vorgenommen und deren Erschiessung entweder im Lazarett des unteren Lagers oder an den Leichengruben des oberen Lagers angeordnet zu haben. Matthes bestreitet, in dieser Art und Weise tätig geworden zu sein. Unter C.IV.1. hat das Schwurgericht bereits ausgeführt, dass aufgrund der Aussagen des vereidigten Zeugen Li. und des unvereidigten Zeugen Ep. ein erheblicher Verdacht dafür besteht, dass Matthes nicht nur Schwerkranke in der Baracke, sondern auch andere kranke und nicht voll arbeitsfähige Häftlinge bei den Appellen selektiert und ihre Tötung entweder im Lazarett oder an einer Leichengrube angeordnet hat. Da die beiden Zeugen sich jedoch an keine Einzelheiten mehr erinnern können, lassen ihre Aussagen keine genauen, für eine Verurteilung erforderlichen Feststellungen zu.

2. Erschiessung eines Häftlings, der Matthes mit einem Messer verletzt hatte, und weiterer mindestens 80 Personen aus Anlass dieses Attentats

Dem Angeklagten Matthes wird zur Last gelegt, einen Häftling, der ihn bei einem Appell mit einem Messer verletzt hatte, an Ort und Stelle erschossen und anschliessend als Vergeltung 80 andere Häftlinge ausgesucht und ihre Erschiessung an den Leichengruben angeordnet zu haben. Matthes gibt hierzu folgendes an: Ende September / Anfang Oktober 1942 sei er beim Durchzählen der beim Appell versammelten Juden des Totenlagers von mehreren Häftlingen grundlos geschlagen und von einem der Häftlinge sogar grundlos mit einem Messer verletzt worden. Er habe sich daraufhin zwei Tage lang in seiner Unterkunft im unteren Lager aufhalten müssen und sei erst am dritten Tag wieder zum Dienst im oberen Lager erschienen. Er habe keine Vergeltungsmassnahmen angeordnet. Selbst dem Messerstecher sei nichts geschehen, da er, Matthes, mit allen Juden Mitleid gehabt habe. Es sei ihm auch nichts davon bekannt, dass sein Vertreter Pötzinger oder andere SS-Männer des oberen Lagers an den Juden dieserhalb Rache genommen hätten.

Dieser Einlassung vermag das Schwurgericht nur insoweit zu folgen, als Matthes angibt, er sei von mehreren Häftlingen geschlagen und von einem anderen Häftling mit einem Messer verletzt worden. Das dies "grundlos" geschehen sein soll, kann man sich allerdings nicht vorstellen; denn die Häftlinge werden sich nur dann zu Tätlichkeiten gegenüber dem Chef des oberen Lagers, dem Herrn über Leben und Tod in diesem Lagerteil, haben hinreissen lassen, wenn sie durch besondere Schikanen aufs Äusserste gereizt waren. Nur dann riskiert man sein Leben durch den Angriff auf einen Mann, der einem im nächsten Augenblick den Tod bereiten kann. Es ist auch durchaus wahrscheinlich, dass Matthes den Attentäter, der ihn mit dem Messer verletzt hatte, an Ort und Stelle schwer bestrafte oder sogar tötete. Matthes war ja nur leicht verletzt und konnte derartige Vergeltungsmassnahmen noch selbst anordnen. Wenn Matthes solche Massnahmen nicht mehr selbst durchgeführt haben sollte, dann spricht vieles dafür, dass sein Vertreter Pötzinger und andere SS-Männer Rache an dem Attentäter und möglicherweise auch zur Abschreckung an unbeteiligten Häftlingen übten. Indessen lässt sich das nur vermuten, sichere Feststellungen vermag das Schwurgericht in diesem Punkt nicht zu treffen.

Der zu diesem Fragenkomplex uneidlich vernommene, 55 Jahre alte Eisenbahner Gol. aus Petach Tikwa in Israel hat zwar angegeben, Matthes und Münzberger hätten nach dem Attentat 70 Männer herausgesucht, sie zu einer Leichengrube geführt und dort erschossen. An der Zuverlässigkeit dieser Zeugenaussage bestehen freilich erhebliche Zweifel. Zwar ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass der Zeuge Gol. in Treblinka Furchtbares mitgemacht hat und dass seine Angaben zum allgemeinen Lagergeschehen objektiv richtig sind. Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass der Zeuge den Angeklagten Matthes sogleich wiedererkannt hat. Andererseits kann nicht ausser acht gelassen werden, dass der Zeuge bei seiner Vernehmung, die ihn mit seinen früheren Peinigern konfrontierte, sehr erregt und unbeherrscht war, wodurch die objektive Richtigkeit seiner Aussage gelitten haben könnte. Das gilt um so mehr, als der Zeuge offensichtlich zu Übertreibungen neigt. So hat er angegeben, dass Münzberger und ein als "Böser" bezeichneter deutscher SS-Mann mehrfach toten schwangeren Frauen die Kinder aus dem Leib herausgeschnitten hätten, um sich davon zu überzeugen, dass auch die Ungeborenen tot seien. Das ist ein Vorfall, den kein anderer Zeuge auch nur andeutungsweise bekundet hat. Im Ermittlungsverfahren hat Gol. angegeben, der Angeklagte Lambert habe zwei jüdische Ingenieure durch Vierteilung getötet. In der Hauptverhandlung hat er gesagt, dass er seine früheren Angaben dahin berichtige, dass die beiden Ingenieure nicht gevierteilt, sondern auf Anordnung von Lambert durch Ukrainer erschossen worden seien. Bereits diese beiden Punkte lassen Zweifel an seinem Erinnerungsvermögen und damit an der objektiven Richtigkeit seiner Aussage, soweit sie Einzeltaten betrifft, aufkommen. Seine Bekundung reicht deshalb nicht aus, um Matthes der Tötung von 70 oder 80 beziehungsweise 81 Häftlingen anlässlich eines auf Matthes verübten Attentats zu überführen, obwohl insoweit nach wie vor ein erheblicher Tatverdacht auf dem Angeklagten Matthes lastet.

3. Erschiessung von 24 fluchtverdächtigen Häftlingen

Dem Angeklagten Matthes wird schliesslich vorgeworfen, er habe 24 Häftlinge des oberen Lagers, die verdächtigt wurden, eine Flucht zu planen, unter Schlägen zu einem Massengrab robben (=kriechen) lassen, um sie dann am Massengrab gemeinsam mit anderen SS-Männern zu erschiessen. Matthes bestreitet diese Tat. Der zu diesem Fall eidlich vernommene Zeuge Li. hat hierzu zunächst folgendes gesagt:

Ein Kamerad sei durch einen fehlgeleiteten Schuss verletzt worden und sollte deshalb getötet werden. In seiner Todesangst habe er Matthes erklärt, er wolle ihm von dem geplanten Aufstand berichten, wenn er ihn dafür verschone. Durch seine Verletzung habe er bereits viel wirres Zeug gesprochen und schliesslich wahllos auf 24 bis 30 Leute gezeigt, von denen er behauptete, sie wollten einen Aufstand machen. Matthes habe diese 24 bis 30 Mann und den Denunzianten auf dem Bauch zum Lazarett im unteren Lager kriechen lassen. Hier seien alle nacheinander erschossen worden, als erster der Denunziant. Am Erschiessen hätten sich unter anderem Matthes und auch der Angeklagte Münzberger beteiligt. Er, Li., und andere Häftlinge hätten die Erschiessung von einem Hügel des oberen Lagers aus beobachtet.

Am Ende seiner Vernehmung hat der Zeuge Li. den Vorfall erneut geschildert, und zwar diesmal wie folgt:

Die von dem Denunzianten bezeichneten Personen hätten vom Platz vor der jüdischen Unterkunftsbaracke an der Küche vorbei zu einer Leichengrube des oberen Lagers robben müssen, und zwar in einer Reihe hintereinander. Sie seien dann nacheinander einzeln an der Grube erschossen worden. Matthes habe sich am Erschiessen beteiligt, aber auch alle anderen SS-Männer. Ob allerdings Münzberger dabei gewesen sei, wisse er nicht mehr genau. Er könnte ihn mit Karl Pötzinger, der Münzbergers Statur gehabt habe, verwechselt haben, da er entweder Münzberger oder Pötzinger nur von hinten gesehen habe. Eine Verwechslungsmöglichkeit zwischen diesen beiden habe auch deshalb bestanden, weil beide ihre Hände auf dem Rücken verschränkt zu halten pflegten.

Das Schwurgericht hält den Zeugen Li., der bei seiner Vernehmung einen sachlichen, ruhigen Eindruck gemacht hat, an sich für glaubwürdig. Dafür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass der Zeuge sich nicht gescheut hat, eine zunächst von ihm gegebene Schilderung der Erschiessung von 24 bis 30 Männern aufgrund intensiven Nachdenkens nachträglich in entscheidenden Punkten zu korrigieren. Dieses Verhalten lässt ein hohes Verantwortungsgefühl des Zeugen und sein ständiges Ringen um die Wahrheit erkennen. Andererseits vermag das Schwurgericht angesichts der starken Unterschiede in den beiden Schilderungen des Zeugen über die Erschiessung der 24 bis 30 Leute letzte Zweifel daran, wie sich der Vorfall wirklich abgespielt hat, nicht zu überwinden. Zwar dürfte die zuletzt gegebene Darstellung, wonach die Erschiessung an einer Leichengrube stattgefunden haben soll, eine grössere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen als die Verlegung der Erschiessung ins Lazarett; denn eine Erschiessung in dem gut getarnten Lazarett hätte von dem Zeugen nur von einem Barackendach aus beobachtet werden können, nicht aber von einer leichten Erhebung im Lagergelände aus. Hinzu kommt, dass der Zeuge selbst Zweifel daran äussert, ob Münzberger an der Erschiessung beteiligt war oder nicht. Unter diesen Umständen lässt sich bei diesen Unklarheiten auch die Rolle des Angeklagten Matthes nicht genau abgrenzen. Das gilt um so mehr, als Matthes ab Weihnachten 1942 und Anfang Januar 1943 gar nicht im Vernichtungslager Treblinka war. Die Tat müsste Matthes dann also bis Weihnachten 1942 begangen haben. Etwas Genaueres über den Zeitpunkt dieser Erschiessung von 24 bis 30 Mann vermochte der Zeuge Li. aber gleichfalls nicht zu sagen. Die hiermit aufgezeigten Unklarheiten müssen dem Angeklagten Matthes zugutekommen.

VII. Die innere Einstellung des Angeklagten Matthes zu seinem Einsatz in Treblinka

Der Angeklagte Matthes wusste, dass man den angekommenen Juden vorspiegelte, sie würden vor ihrer Weiterfahrt nur gebadet werden, während sie in Wirklichkeit in den Gaskammern eines qualvollen Todes sterben mussten. Obwohl er die Tötung der Juden als grosses Unrecht betrachtete, machte er sich den unter anderem von Hitler, Himmler, Globocnik und Wirth ausgearbeiteten Plan zur Vernichtung der nach Treblinka gebrachten Opfer aus Hass gegen die Juden derart zu eigen, dass er nicht nur gemäss den in der Lubliner Zentrale erarbeiteten Richtlinien die Massentötungen als Chef des Totenlagers und der Gaskammern eifrigst durchführte, sondern dass er darüber hinaus mehrere Arbeitshäftlinge wegen geringer Verstösse gegen die Lagerdisziplin tötete oder durch andere töten liess, obwohl das nicht von seinen Vorgesetzten befohlen war. Der wichtigen Rolle, die er als Chef des Totenlagers bei den Massentötungen und bei den Einzeltötungen von Arbeitsjuden spielte, war Matthes sich wohl bewusst. Während er früher als Krankenpfleger und Erzieher Weisungen von seinen Vorgesetzten sogar bezüglich untergeordneter Dinge entgegennehmen und befolgen musste, hatte er als Führer des oberen Lagers eine kaum vorstellbare Machtstellung inne, die ihm ein erhöhtes Selbstbewusstsein verschaffte. Konnte er doch Hunderten von Häftlingen Befehle erteilen, sie schlagen und sogar töten, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Für ihn war das die beste Gelegenheit, unterdrückte Minderwertigkeitskomplexe auf eine äusserst wirkungsvolle Art und Weise abzureagieren. Auf der anderen Seite konnte er ungestraft seinen sadistischen Neigungen frönen. Da er sich aufgrund dessen im Lager Treblinka wohlfühlte, unternahm er keinen ernsthaften Versuch, aus Treblinka versetzt zu werden. Weil die Judenvernichtung seiner inneren Einstellung entsprach und da er für ihre rasche Durchführung Sorge tragen wollte, kam für ihn auch weder eine Befehlsumgehung noch eine Befehlsverweigerung in Frage. Er tat sogar viel mehr, als ihm befohlen war.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Matthes, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben des Mitangeklagten H. sowie auf den eidlichen Bekundungen des Hafenlageristen Ros., des Malers und Anstreichers Hell., des Staatsangestellten Li. und der Büroangestellten Lew.

Matthes lässt sich wie folgt ein: Darüber, dass die Tötung der Juden, wie sie in Treblinka praktiziert wurde, Unrecht und auch durch die damaligen Gesetze nicht gedeckt gewesen sei, sei er sich stets im klaren gewesen. Als Krankenpfleger sei er dazu erzogen worden, Leben zu erhalten, aber nicht dazu, Leben zu vernichten. Unter dem Zwang der Verhältnisse habe er seine Aufgaben im oberen Lager notgedrungen wahrgenommen, jedoch seine ihm erteilten Weisungen niemals überschritten. Er habe keinen Juden geschlagen oder gar getötet. Derartiges sei mit seiner gesamten menschenfreundlichen Einstellung unvereinbar. Seine Tätigkeit in Treblinka sei ihm zuwider gewesen, und er habe stets von dort fortgestrebt. Einmal habe er anlässlich einer Auseinandersetzung mit Wirth diesen um seine Versetzung gebeten, jedoch lediglich zur Antwort erhalten, dass er dienstverpflichtet sei und dass eine Versetzung deshalb nicht in Frage komme. Weiter habe er einmal bei seinem zuständigen Wehrbezirkskommando in Dresden versucht, zu einer regulären Einheit versetzt zu werden. Das sei jedoch nicht gelungen. Schliesslich habe er seine Ehefrau zu T4 nach Berlin geschickt, damit er abgelöst werde. Auch seine Frau habe jedoch keinerlei Erfolg gehabt.

Soweit der Angeklagte Matthes den Umfang seiner Tätigkeit im Totenlager abzuschwächen bemüht ist, soweit er seine Täterschaft an mehreren Exzesstaten abstreitet und soweit er von einem den jüdischen Häftlingen wohlwollenden Verhalten spricht, ist seine Einlassung durch die Feststellungen von C.II. bis V. des Zweiten Teiles der Urteilsgründe widerlegt. Auf die dort vom Schwurgericht gemachten Ausführungen wird Bezug genommen. Dass er zu den Juden streng und brutal war, hat der Mitangeklagte H. glaubhaft angegeben. Dass Matthes die Häftlinge im oberen Lager schlug oder schlagen liess, haben die eidlich gehörten Zeugen Ros., Hell. und Li. bestätigt. Dass Matthes sich Schikanen ausdachte, die ihm Vergnügen bereiteten, geht unter anderem aus der Bekundung des Zeugen Li. hervor. So hatte er ein besonderes Vergnügen daran, beim Appell die Männer ihre Mützen nach einem bestimmten Kommando längere Zeit hindurch abnehmen und wieder aufsetzen zu lassen. Wie Li. angibt, liess Matthes solche Häftlinge, die das nicht richtig und nicht schnell genug machten, auspeitschen. Sie erhielten bis zu 50 Peitschenhiebe. Das alles lässt nicht nur den Schluss zu, dass Matthes seine Allmacht im oberen Lager auf sadistische Art und Weise demonstrieren wollte, sondern dass er auch von einer grenzenlosen Missachtung des jüdischen Menschen erfüllt war. Von einem Wohlwollen gegenüber den ihm unterstellten jüdischen Häftlingen kann jedenfalls bei ihm nicht die Rede sein.

Das Schwurgericht ist weiter nicht davon überzeugt, dass Matthes deshalb aus Treblinka wegwollte, weil ihm die Tötung der Juden aus tiefstem Herzen zuwider war. Sein möglicherweise im Jahre 1942 an Wirth herangetragener Wunsch, versetzt zu werden, ist nach seiner eigenen Darstellung nicht durch einen Gewissenskonflikt, sondern nur dadurch ausgelöst worden, dass er mit Wirth, der in der Tat grob und rauhbeinig war, eine Auseinandersetzung hatte. Soweit er sich beim Wehrbezirkskommando in Dresden um eine Versetzung zu einer regulären Einheit bemüht haben will, ist dieses Bemühen nicht nachhaltig gewesen; denn er hat sich, wie er selbst einräumt, mit einem ablehnenden mündlichen Bescheid begnügt und kein schriftliches Versetzungsgesuch gestellt. Da er sich längere Zeit wegen seiner Fleckfiebererkrankung im Altreich befunden hat, hätte er auch ohne weiteres Verbindung mit seinem früheren Truppenteil oder seinem Ersatztruppenteil wegen einer Versetzung aufnehmen können, was er jedoch unterlassen hat.

Dass Matthes übrigens allen seinen Bemühungen, von Treblinka wegzukommen, nachträglich ein viel stärkeres Gewicht beimisst als in den Jahren 1942 und 1943 beweist schliesslich seine Angabe, er habe sich im Jahre 1943 seiner Frau anvertraut und sie zu T4 nach Berlin geschickt, damit sie dort seine Versetzung erwirke. Seine uneidlich vernommene, inzwischen verstorbene Ehefrau, die Zeugin Ilse Matthes, hat nämlich folgendes erklärt: Ihr Mann habe ihr nie etwas von seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka erzählt. Hiervon habe sie erst anlässlich seiner Verhaftung im März 1962 erfahren. Als er nach einem Heimaturlaub im August 1943 wieder nach Polen fahren sollte, sei er niedergeschlagen gewesen und habe gesagt: "Wenn ich bloss von dem Verein loskommen könnte!" Er habe sich nämlich zu Haus wohlgefühlt, und es sei ihm sehr schwer geworden, Frau und Kind wieder zu verlassen. Sie sei dann nach Berlin zu T4 gefahren und habe dort den Zeugen O. darum gebeten, ihren Mann zu einer Heimatdienststelle zu versetzen. Als das unter dem Hinweis auf die Notdienstverpflichtung ihres Mannes von O. abgelehnt worden sei, habe sie sich damit zufrieden gegeben. Selbst wenn die Bekundung der verstorbenen Frau Matthes richtig sein sollte - der uneidlich vernommene Zeuge O. bestreitet energisch, jemals mit Frau Matthes über eine Versetzung ihres Mannes gesprochen zu haben -, so würde das alles keineswegs auf einen inneren Konflikt des Angeklagten Matthes, sondern nur darauf hindeuten, dass er lieber in der Nähe seiner Familie sein wollte als im fernen Polen. Das ist ein Wunsch, der allgemeinen menschlichen Regungen entspricht und der nicht unbedingt in einen Zusammenhang mit einer etwaigen Abscheu des Angeklagten Matthes vor der Judenvernichtung zu bringen ist. Dass Matthes eine solche Abscheu nicht gehabt hat, sondern dass er bei der Judenvernichtung in seinem ureigenen Element gewesen ist, dafür spricht sein im Totenlager von Treblinka ausgeübtes Regiment des Schreckens und Grauens.

D. Der Angeklagte Mentz

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 30.April 1904 in Schönhagen (Kreis Bromberg) als Sohn eines Sägewerksplatzmeisters geborene Angeklagte Mentz verbrachte seine Kinder- und Schuljahre im Elternhaus. Er besuchte 8 Jahre lang die Volksschule, die er aus der vorletzten Klasse verliess. Er war zunächst als Hilfsarbeiter in einem Sägewerk tätig. Im Jahre 1922 verzog er nach Lichterfelde bei Finsterwalde in der Niederlausitz und arbeitete hier etwa 1 1/2 Jahre in einem Braunkohlenbergwerk. Ende 1923 ging er nach Mecklenburg. Er machte eine Melkerlehre durch, bestand im Jahre 1925 die Melkergehilfenprüfung und arbeitete bis 1926 als Melker. Im Jahre 1926 verzog er ins Lippische. Er fand Arbeit in seinem Beruf und bereitete sich auf die Melkermeisterprüfung vor, die er im Jahre 1929 bestand. Nachdem er zunächst in Evenhausen bei Leopoldshöhe und in Pächterdissen bei Leopoldshöhe gewohnt hatte, wurde er seit 1934 in Niedermeien sesshaft. Bis zum Jahre 1940 arbeitete er hier als Melkermeister. Anfang 1940 meldete sich Mentz zur Polizei. Diese Bewerbung hatte keinen Erfolg, jedoch wurde er aufgrund seiner Meldung zur Landwirtschaftskammer in Münster bestellt. Hier wurde ihm eröffnet, dass man für ihn etwas Besseres habe als eine Stelle bei der Polizei. Man schlug ihm vor, als Melkermeister zur Heil- und Pflegeanstalt nach Grafeneck bei Münsingen zu gehen. Mentz war hiermit einverstanden. Als er seinen Dienst in Grafeneck antrat, wurde er darüber belehrt, dass hier Geisteskranke in Gaskammern getötet und dann verbrannt wurden. Mit seiner Unterschrift unter ein vorgedrucktes Formular musste er sich zu strengstem Stillschweigen verpflichten. Mentz war etwa 1 1/2 Jahre in Grafeneck. Er betreute hier die Kühe und Schweine. Dann wurde er zur Heil- und Pflegeanstalt in Hadamar bei Limburg an der Lahn versetzt, wo gleichfalls Geisteskranke getötet wurden. Er arbeitete dort bis zum Frühsommer 1942 in der Gärtnerei und bediente die Zentralheizung der Anstalt.

Nach einem zweiwöchigen Urlaub musste er sich bei der Dienststelle der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege in Berlin melden. Er wurde zusammen mit etwa 20 Kameraden, darunter dem Mitangeklagten Miete, nach Lublin in Marsch gesetzt. In Lublin wurde er als SS-Unterscharführer eingekleidet. Am nächsten Tage fuhr er nach Warschau und gelangte mit einem Güterzug jüdischer Umsiedler, an den für die deutschen SS-Leute ein Personenwagen angehängt war, zum Vernichtungslager Treblinka. Das war Ende Juni / Anfang Juli 1942, als Dr. Eberl noch der Kommandant und Stadie bereits der Spiess des Lagers waren. Dem SS-Sonderkommando Treblinka gehörte er bis zur Schliessung des Lagers Ende November 1943 an. Dann befand er sich Anfang Dezember 1943 zehn bis vierzehn Tage im Vernichtungslager Sobibor. Man bewilligte ihm einen bis zum 15.Januar 1944 befristeten Heimaturlaub, aus dem er jedoch bereits am 22. oder 23.Dezember 1943 vorzeitig zurückgerufen und zu T4 nach Berlin beordert wurde. Er wurde in Zivil nach Udine in Oberitalien in Marsch gesetzt. In Udine bekam er die Uniform eines Polizeioberwachtmeisters. Er wurde im Geländedienst ausgebildet und beim Partisaneneinsatz und zur Strassensicherung eingesetzt. In Udine wurde er in Frühjahr 1945 bei einem Luftangriff verwundet. Einige Wochen lag er in einem Udiner Lazarett. Er geriet schliesslich in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Sommer 1945 entlassen wurde.

Seit 1946 konnte er wieder in seinem Beruf als Melkermeister arbeiten. Im Jahre 1952 musste er seine Arbeit wegen einer Tuberkuloseerkrankung aufgeben. Von 1952 bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1960 lebte er von einer Invalidenrente. Mentz ist seit 1929 verheiratet. Er hat drei Töchter, die sämtlich bereits verheiratet sind. Aus der evangelischen Kirche ist er nicht ausgetreten. Im Herbst 1932 trat Mentz der NSDAP bei. Einer Gliederung der NSDAP gehörte er nicht an. Nach dem Kriegsende wurde er nicht entnazifiziert.

II. Seine Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka

Als der Angeklagte Mentz im Sommer 1942 nach Treblinka kam, war Dr. Eberl Lagerkommandant. Unter seinem Kommando war die Massenvernichtung noch nicht so gut durchorganisiert wie in der späteren Zeit, insbesondere gab es noch nicht die strenge Trennung zwischen dem oberen und unteren Lager. Mentz wurde zunächst im oberen Lager zu Beaufsichtigung der Leichenkommandos eingesetzt. Später kam er in das untere Lager. Hier unterstand ihm das etwa 20 bis 30 Mann starke Landwirtschaftskommando. Sein Haupttätigkeitsfeld war aber im sogenannten Lazarett, in dem er abwechselnd mit dem Angeklagten Miete und dem SS-Unterscharführer Möller regelmässigen Dienst versah, in dem aber je nach Bedarf auch noch andere SS-Leute Dienst taten. Von allen für das Lazarett eingeteilten deutschen SS-Leuten war Mentz jedoch am meisten im Lazarett tätig. Von einem für das Lazarett aufgestellten Dienstplan von 4 Wochen entfielen auf Mentz allein mindestens 2 Wochen. In die restlichen 2 Wochen teilten sich der Mitangeklagte Miete, der SS-Unterscharführer Möller und auch andere SS-Männer. Die ausschliessliche Aufgabe des Angeklagten Mentz im Lazarett war es, die in diese Erschiessungsanlage gebrachten Juden zu töten und die ihm zu Hilfeleistungen zugeteilten 2 Arbeitsjuden bei ihrer Arbeit, die im Entkleiden der Opfer, in der Sicherstellung ihrer Sachen und dem Verbrennen der Leichen bestand, zu überwachen.

Ins Lazarett kamen einmal alle diejenigen Juden aus den ankommenden Transporten, die krank, gebrechlich oder nicht mehr gehfähig waren und daher die reibungslose Weiterleitung der Transporte in die Gaskammern stören konnten, sowie zum anderen diejenigen Arbeitsjuden, die wegen Krankheit, mangelnder Arbeitsleistung oder aus anderen Gründen aussortiert und zur Tötung bestimmt wurden. Diese Tötung geschah zur Zeit des Kommandanten Dr. Eberl in der Weise, dass man die Opfer einfach in die Grube warf und dann so lange mit Karabinern auf sie schoss, bis sich kein Leben in der Grube mehr regte. Als Dr. Eberl durch den neuen Kommandanten Stangl abgelöst und als die Lagereinrichtungen bei dieser Gelegenheit durch den Inspekteur Christian Wirth verbessert und erweitert wurden, wurde auch das Erschiessungsverfahren geändert. Wirth erschien persönlich bei dem Angeklagten Mentz und erklärte ihm, es sei viel zweckmässiger, die Juden durch Genickschuss zu töten. Wie das zu machen sei, demonstrierte er dem Angeklagten Mentz an einer "Mustererschiessung". Er liess eine Reihe von Juden zum Lazarett bringen. Hier mussten sie sich entkleiden und auf einen Erdwall setzen, der sich an der Längsseite der Lazarettgrube entlangzog. Mit seiner Pistole erschoss Wirth diese Opfer durch Genickschuss, und zwar so, dass sie nach der Erschiessung sogleich in die Lazarettgrube, in der ein Feuer brannte, fielen. Der Angeklagte Mentz verfuhr zukünftig in der gleichen Art und Weise. Darüber ob die von ihm mit seiner Pistole abgegebenen Genickschüsse die Opfer auch wirklich sofort töteten, verschaffte er sich keine weitere Gewissheit. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass ein Teil der Opfer beim Hineinfallen in die Grube noch nicht tot war, sondern dort bei lebendigem Leibe verbrennen musste. War die Zahl der zu erschiessenden Opfer zu gross, so bediente sich Mentz der Mithilfe ukrainischer Wachmänner, um seiner Aufgabe gerecht zu werden und jede Stockung im Lazarett zu vermeiden.

Wenn ihm Juden, die aus eben eingetroffenen Transporten stammten, ins Lazarett gebracht wurden. So erschoss er sie, ohne die Vorgänge, die zur Aussortierung dieser Leute geführt hatte, zu überprüfen. Genauso verhielt er sich, wenn ihm ausserhalb der Transportabfertigungen zur Tötung bestimmte Arbeitsjuden ins Lazarett gebracht wurden. Er bedurfte für diese Erschiessungen keines konkreten Befehls und auch keiner besonderen Anweisung. Er konnte jeden Juden, der ihm von irgendeinem Führer oder Unterführer des Lagerpersonals zugeschickt wurde, ohne weiteres erschiessen, und er tat dies auch, ohne sich im Einzelfall um den Grund für diese Massnahme zu kümmern. Er brauchte, wie er in der Hauptverhandlung selbst gesagt hat, niemanden zu fragen, wenn er einen Juden erschoss; denn zum Erschiessen der Juden war er ja ins Lazarett abgeordnet. Dass es bei einer derartigen barbarischen Tötungsweise, wie sie von dem Angeklagten Mentz praktiziert wurde, häufig zu entsetzlichen und schaurigen Szenen unter den Opfern kam, kümmerte ihn nicht. Unbeeindruckt durch die Vorgänge um ihn herum entledigte er sich seiner Aufgabe und erschoss kranke und gebrechliche Männer und Frauen, Kinder und alte Leute, wie es gerade kam. In Anlehnung an eine unheimliche Mördergestalt in den Filmen der dreissiger Jahre, gaben ihm daher die jüdischen Häftlinge den Namen "Frankenstein". Da Mentz von allen deutschen SS-Männern die meiste Zeit im Lazarett verbrachte und weil das Erschiessen seine typische Beschäftigung war, nannten ihn die Juden auch einfach den "Schiesser". Andere Häftlinge bedachten ihn mit dem hebräischen Namen "Malchamowes", was auf deutsch Todesengel heisst, eine Bezeichnung, die allerdings von vielen Häftlingen auch auf den Angeklagten Miete angewandt wurde.

Wie viele Menschen Mentz im Lazarett auf die beschriebene Art und Weise getötet hat, konnte nicht eindeutig festgestellt werden und wird sich auch nie genau ermitteln lassen. Fest steht lediglich, dass die Zahl der von ihm eigenhändig getöteten Transportjuden in die Tausende geht und dass er darüber hinaus einige Hundert Arbeitsjuden liquidiert hat.

III. Die Grundlagen der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seiner Tätigkeit in Treblinka

Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Mentz beruhen auf seinen eigenen, insoweit in vollem Umfang glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu seiner Tätigkeit in Treblinka beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Mentz und auf den Angaben seiner Mitangeklagten, soweit man ihnen folgen kann, sowie auf den Bekundungen zahlreicher jüdischer Zeugen, darunter des Ingenieurs Gl., des Braumeisters Un., des Hoteldirektionsassistenten Sed., des Angestellten Au., des Klempners Oscar Stra., des Frisörs Bom., des Büglers Rap., des Frisörs Pla., des Schlossers Tai., des Magazinverwalters Lak., des Mechanikers Tu., des Bautechnikers Koh., des Schlossers Ku., des Angestellten Cz., des Kaufmanns Jan., des Metzgers Roj., des Sägewerksleiters Raj., des Polsterers und Dekorateurs Zi., des Kaufmanns Kols. und des Schneiders Lac.

Der Angeklagte Mentz beschönigt die Art und Weise seiner Tätigkeit im Lazarett nicht. Zurückhaltender ist er, soweit es sich um die Zahl der von ihm getöteten Personen handelt. Er gibt an, dass er mindestens 200, höchstens 300 Transportjuden erschossen habe, während von ihm nur 50 Arbeitsjuden getötet worden seien. Diese Zahlen bleiben jedoch nach der Überzeugung des Schwurgerichts um ein Vielfaches hinter der Wirklichkeit zurück. Hält man sich vor Augen, dass die Zahl der kranken und gebrechlichen Menschen bei jedem ausgeladenen Transport nach den eigenen Angaben des Angeklagten Mentz im Durchschnitt 5 bis 10, manchmal auch 15 bis 20 Personen beiderlei Geschlechts betrug, die von ihm im Lazarett zu liquidieren waren, so muss bei einer Zahl von rund 700000 nach Treblinka gebrachten Juden die allein auf Mentz entfallende Tötungsquote die Zahl von 200 um ein Mehrfaches übersteigen, auch wenn man bedenkt, dass ausser ihm noch andere SS-Männer im Lazarett Dienst taten. Berücksichtigen muss man hierbei weiter, dass nach den Aussagen der Zeugen Gl., Raj. und Sed. auch Transporte ankamen, die nur aus alten Juden bestanden. Diese alten Juden hatten sich zuvor meist in jüdischen Altersheimen befunden, die man dann geschlossen nach Treblinka umsiedelte. In diesen Sonderfällen müssen sogar Hunderte oder gar Tausende von Juden auf einmal im Lazarett erschossen worden sein.

Soweit der Angeklagte Mentz angibt, er habe 50 Arbeitsjuden im Lazarett erschossen, so ist auch diese Zahl viel zu niedrig gesetzt. Ihre Zahl wird sicherlich ein Mehrfaches von 50 betragen haben. Allerdings lassen sich sichere Zahlenangaben sowohl hinsichtlich der vom Angeklagten Mentz erschossenen Transportjuden, wie auch bezüglich der von ihm liquidierten Arbeitsjuden nicht treffen, da zuverlässige Unterlagen und Zeugenaussagen über die Zahl der im Lazarett liquidierten Personen nicht vorhanden sind.

Dass der Angeklagte in der Hauptsache die Spitznamen "Frankenstein" und "Schiesser" hatte und dass er daneben von einer kleineren Gruppe von Juden auch "Malchamowes" genannt wurde, das geht aus den eidlichen Bekundungen der bereits aufgeführten Zeugen Gl., Un., Sed., Au., Oscar Stra., Bom., Rap., Pla., Tai., Lak., Tu., Koh., Ku., Cz., Jan., Roj., Raj., Zi., Kols. und Lac. hervor. Es ist bemerkenswert, dass die Zeugen sich daran erinnern, wie Mentz schwere Munitionskisten zum Lazarett schleppte, weil er für sein Tötungswerk in dieser Genickschussanlage viel Munition benötigte und wie die Häftlinge dann zueinander zu sagen pflegten, der Schiesser gehe nun wieder an die Arbeit.

IV. Einzelfälle von Erschiessungen im Lazarett durch den Angeklagten Mentz bei den Transportabfertigungen

Wie bereits erwähnt worden ist, lassen sich genaue Feststellungen Über die Zahl der von Mentz im Lazarett durchgeführten Erschiessungen von Transportjuden nicht treffen. Der im Lazarett tätig gewesene Kapo Kurland und seine zwei Gehilfen, die hierüber detaillierte Auskunft geben könnten, leben nicht mehr. So konnten in der Hauptverhandlung lediglich die nachfolgenden Einzelfälle konkretisiert werden.

1. Erschiessung einer grossen Anzahl älterer Juden, die mit einem Personenzug aus Deutschland gekommen waren.

In den letzten Monaten des Jahres 1942 kam ein aus einem Personenzug bestehender Transport mit alten Juden aus Deutschland in Treblinka an. Die alten Leute mussten sich sämtlich in mehreren Reihen nebeneinander vor dem Lazarett aufstellen. Gruppenweise wurden sie dann in das Lazarett geführt und von den Angeklagten Mentz und Miete, die an diesem Tage wegen des grossen Arbeitsanfalles dort gemeinsam Dienst machten, erschossen.

Der genaue Zeitpunkt dieses Vorganges und die Zahl der getöteten Juden lassen sich nicht mehr feststellen. Allerdings steht fest, dass es sich hier um eine sehr grosse Zahl von im Lazarett erschossenen Menschen handelt, die über die sonst bei Transporten übliche Zahl von im Lazarett getöteten Personen weit hinausgeht.

Der Angeklagte Miete bestreitet seine Teilnahme an einer solchen Massenerschiessung alter Juden im Lazarett. Der Angeklagte Mentz lässt sich dagegen wie folgt ein:

Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob einmal ein gesamter Transport von alten Menschen im Lazarett erschossen worden sei. Es sei freilich vorgekommen, dass an manchen Tagen entschieden viel mehr alte und kranke Leute erschossen worden seien als an anderen Tagen. Das sei nach der Eigenart des Transportes ganz verschieden gewesen. Wenn ein Transport angekommen sei, habe er sich sogleich zum Lazarett begeben, ohne darauf zu achten, welche Besonderheiten der betreffende Transport aufweise. Wenn im Lazarett viel zu tun gewesen sei, dann hätten ihm zwei Ukrainer beim Erschiessen geholfen. In der Regel sei es nicht üblich gewesen, dass zwei deutsche Unterführer zu gleicher Zeit im Lazarett Dienst getan hätten. Er könne deshalb nicht sagen, ob Miete einmal mit ihm zusammen Leute im Lazarett erschossen habe.

Dass Mentz und Miete tatsächlich in der festgestellten Art und Weise tätig geworden sind, wird durch die eidliche Aussage des 56 Jahre alten Rap. aus Fair Lawn in New Jersey / USA bewiesen.

Der Zeuge befand sich von Ende September 1942 bis zu seiner Flucht kurz nach Neujahr 1943 in Treblinka, wo er seine Frau und sein Kind verloren hat. Er hat die Erschiessung dieser alten Juden aus nächster Nähe vom Sortierplatz aus beobachtet, wo er damals arbeitete. Er hat, da er sich nur wenige Monate in Treblinka befunden hat, nur wenige Vorgänge, diese aber deutlich und präzise geschildert. Obwohl er bei der Gegenüberstellung mit seinen früheren Peinigern einen Ohnmachtsanfall erlitt, hat er sich trotz des Verlustes von Frau und Kind in Treblinka keineswegs zu gefühlsbetonten Übertreibungen hinreissen lassen. In seiner drei Tage später zu Ende geführten Vernehmung ist er weiterhin sachlich geblieben. Das Schwurgericht hält ihn für vollauf glaubwürdig.

Das gilt um so mehr, als auch der Angeklagte Suchomel zumindest einen Teil der Aussage dieses Zeugen bestätigt. Er hat nämlich angegeben, dass auch einige Personenzüge in Treblinka angekommen seien, vorwiegend aus dem Reichsgebiet, darunter wiederum Züge mit alten Menschen. Auch der Sachverständige Dr. Kraus. hat in seinem eidlich erstatteten, überzeugenden Gutachten über "Die Zahl der Opfer im Vernichtungslager Treblinka" darauf hingewiesen, dass neben Güterzügen auch Personenzüge, insbesondere aus Deutschland und der Tschechoslowakei, mit jüdischen Umsiedlern nach Treblinka gekommen seien, unter denen sich auch viele alte Menschen befunden hätten. Er hat auch erklärt, dass man die gesamten Insassen jüdischer Altersheime nach Treblinka verschickt habe. Das alles spricht für die von dem Zeugen Rap. gegebene Darstellung über die im Lazarett erfolgte Erschiessung alter Menschen, die mit einem Personenzug angekommen waren. Im übrigen entsprach diese Massenerschiessung durchaus den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien für die Transportabfertigungen; denn diese sahen vor, dass alte und kranke Menschen, weil das zu lange dauern würde, nicht vergast, sondern sogleich nach ihrem Eintreffen im Lazarett erschossen werden sollten.

2. Erschiessung einer Greisin

Im Jahre 1943 kam einmal ein Transport mit vielen alten Leuten aus der Tschechoslowakei nach Treblinka. Der Zeuge Ku. musste ein altes Mütterchen, das mit diesem Transport angekommen und beim Aussteigen bereits von dem SS-Unterscharführer Hirtreiter mit der Peitsche misshandelt worden war, ins Lazarett bringen und ihr dort beim Entkleiden helfen. Der Angeklagte Mentz, der dort Dienst tat, forderte den Zeugen mit den Worten "Schnell, schnell, spiele nicht!" zu grösserer Eile bei der Entkleidung der Greisin auf. Ku. beeilte sich und brachte die nackte alte Frau schliesslich auf Anweisung des Angeklagten Mentz zum Rand der Lazarettgrube, wo sie sich, mit dem Gesicht zu den brennenden Leichen in der Grube, auf den dort angeschütteten niedrigen Erdwall setzen musste. Mentz erschoss die alte Frau durch Genickschuss. Sie fiel in das brennende Feuer. Mentz gibt an, sich an diesen speziellen Fall nicht mehr erinnern zu können. Er stellt ihn andererseits aber auch nicht in Abrede. Das Schwurgericht sieht ihn durch die eidliche Aussage des 46 Jahre alten Schlossers Ku. aus Giwataim/Israel als erwiesen an. Dieser Zeuge befand sich von Anfang Oktober 1942 bis zum Aufstand am 2.August 1943 im Vernichtungslager Treblinka. Er hat Mentz sofort wiedererkannt. Seine Aussage hat er ruhig und besonnen gemacht. Er hat auch von sich aus stets hinzugefügt, ob er etwas aus eigener Anschauung oder nur vom Hörensagen weiss. Er hat allgemeine Dinge des Lagers und auch besondere Vorfälle so plastisch und präzise, andererseits ohne jegliche Übertreibung geschildert, dass keine Bedenken bestehen, seiner Aussage in vollem Umfange Glauben zu schenken.

3. Erschiessung von zwei kranken Frauen, die mit einem Transport aus Wengrow gekommen waren

An einem Tage im Herbst 1942 kam ein Transport aus Wengrow im Lager an. Zwei kranke Frauen aus diesem Transport wurden ins Lazarett geführt und hier von dem Angeklagten Mentz erschossen.

Der Angeklagte hält es für möglich, dass er diese zwei kranken Frauen im Lazarett erschossen hat, eine genaue Erinnerung hieran hat er jedoch nicht. Um so besser erinnert sich jedoch der eidlich gehörte Sägewerksleiter Raj. aus Montreal an diesen Vorfall, weil er selbst aus Wengrow stammt und weil ihn der aus Wengrow gekommene Transport besonders interessierte. Dieser Zeuge hat Mentz sogleich zu identifizieren vermocht. Er hat seine Aussage klar, ruhig und überlegt gemacht. Als Mitglied des Aufstandskomitees hat er sich eine Fülle von Einzelheiten über das deutsche Lagerpersonal und über das allgemeine Lagergeschehen gemerkt, die später von anderen Zeugen bestätigt wurden. Er ist ein zuverlässiger Zeuge, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen.

4. Erschiessung zweier Schwestern im Alter von acht bis zehn Jahren

Einmal kamen mit einem Transport zwei Schwestern im Alter von 8 bis 10 Jahren. Sie wurden ins Lazarett gebracht, mussten sich dort nackt ausziehen und sich dann mit den Augen zur brennenden Lazarettgrube auf den Erdwall am Rande der Grube setzen. Als Mentz das eine Mädchen erschossen hatte, wandte sich die überlebende Schwester um, klammerte sich an die Füsse des Angeklagten Mentz und bat ihn, sie zu verschonen. Sie sagte: "Wieso hasst Du meine Schwester erschossen? Lasse mich wenigstens am Leben!" Ungerührt erschoss der Angeklagte jedoch auch das zweite Mädchen. Diese Erschiessung zweier Schwestern hat der eidlich gehörte Zeuge Raj. mit eigenen Augen mit angesehen, da er sich gerade im Lazarett befand, um befehlsgemäss Papiere und Dokumente in das dort brennende Feuer hineinzuwerfen. Mentz gesteht zu, einmal zwei Schwestern im Alter von 8 bis 10 Jahren im Lazarett erschossen zu haben, und er räumt ein, dass es sich dabei um den von dem Zeugen Raj. geschilderten Fall handeln könne.

5. Die Tötung einer Grossmutter, einer Mutter und eines neugeborenen Kindes

Als der Zeuge Raj. sich bei einer anderen Gelegenheit im Lazarett befand, um weisungsgemäss Briefe und andere Dokumente in das dort brennende Feuer zu werfen, erlebte er, dass eine hochschwangere Jüdin, die zusammen mit ihrer alten Mutter ins Lazarett gebracht worden war, dort niederkam und ein Kind gebar. Der Angeklagte Mentz fragte die Grossmutter, wen er denn nun zuerst erschiessen solle. Der Zeuge Raj. verliess in diesem Zeitpunkt das Lazarett. Dann erschoss Mentz Grossmutter, Mutter und Kind. Der hierbei anwesende Kapo Kurland berichtete am gleichen Abend dem Zeugen Raj. von dieser Exekution. Der Angeklagte will sich an diesen Vorfall nicht erinnern können. Das Schwurgericht hat jedoch auch in diesem Falle keinen Zweifel daran, dass Mentz in der festgestellten Art und Weise tätig geworden ist. Wenn auch der Zeuge Raj., dessen Zuverlässigkeit wiederholt betont worden ist, das Erschiessen der drei Personen selbst nicht beobachtet, sondern hiervon nur von dem im Lazarett diensttuenden Kapo Kurland am Abend des gleichen Tages erfahren hat, so hat er doch die der Tötung vorhergehenden Geschehnisse mit eigenen Augen gesehen und die von Mentz an die Grossmutter gerichtete Frage mit angehört. Da das Lazarett der bestimmungsgemässe Ort für die Liquidierung von kranken und gebrechlichen Personen war, unterliegt es keinem Zweifel, dass die späteren Angaben des Kapo Kurland gegenüber dem Zeugen Raj. voll und ganz der Wahrheit entsprechen. Das kann man um so mehr annehmen, als Raj. und Kurland dem Aufstandskomitee angehörten und deshalb einen engen persönlichen Kontakt miteinander hatten.

6. Die Erschiessung einer alten Frau in der brennenden Lazarettgrube

Bei einer anderen Gelegenheit sah der Zeuge Raj., als er wiederum Papier zum Verbrennen ins Lazarett bringen musste, wie sich unter den brennenden und schwelenden Leichen in der Lazarettgrube eine ältere Frau erhob, die nur verwundet worden war. Der Angeklagte Mentz, der an diesem Tage im Lazarett Dienst tat, schoss von oben auf die alte Frau in der Grube und tötete sie hierdurch. Ihr Körper sank wieder ins Feuer zurück.

Hierzu lässt sich der Angeklagte Mentz wie folgt ein: Er halte es für ausgeschlossen, dass seit der Einführung des Genickschusses durch Wirth die im Lazarett hingerichteten Juden nicht sogleich tot gewesen, sondern nur verwundet in die Grube gefallen seien; denn bei aller Schnelligkeit, mit der er manchmal habe arbeiten müssen, habe er immer sehr sorgfältig auf das Genick gezielt. Anders könnte es sich nur in der Zeit des Lagerkommandanten Dr. Eberl verhalten haben, als man die Opfer - häufig zu mehreren - lebendig in die Grube gestossen und sie dann vom Rand der Grube aus mit Karabinerschüssen belegt habe. Da damals ab und zu nicht genügend an der Waffe ausgebildete Ukrainer im Lazarett Dienst getan hätten, sei es denkbar, dass dann die Opfer gelegentlich nicht tödlich getroffen worden seien. Indessen vermöge er sich eines solchen Vorgangs nicht zu entsinnen. Es sei allerdings richtig, dass man niemals nachgesehen habe, ob die in die brennende Grube gefallenen Opfer tatsächlich tot gewesen seien. Das Schwurgericht vermag dieser Einlassung des Angeklagten nicht in vollem Umfang zu folgen. Es wird zwar schon richtig sein, dass die meisten im Lazarett Erschossenen bereits tot in die brennende Grube fielen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass vereinzelt Juden in die Grube fielen, die nur schwer verwundet, aber nicht tot waren; denn Mentz hat sich in keinem Fall davon überzeugt, ob der Tod auch wirklich eingetreten ist. Bei der Schnelligkeit, mit der manchmal am laufenden Band im Lazarett erschossen wurde, ist es zudem möglich, dass in vereinzelten Fällen nicht sorgfältig genug auf das Genick gezielt wurde. So ist das Schwurgericht jedenfalls aufgrund der eidlichen Aussagen des glaubwürdigen Zeugen Raj. davon überzeugt, dass zumindest eine alte Frau in die Grube fiel, obwohl sie nur verwundet, aber noch nicht tödlich getroffen war, so dass Mentz ihr schliesslich einen Gnadenschuss geben musste.

7. Erschiessung von zwei Kleinkindern

Der Frisör Bom. traf am 23.September 1942 mit einem Transport aus Czenstochau in Treblinka ein. In den ersten 3 bis 4 Tage seines Aufenthalts sammelte und sortierte er Kleider auf dem Sortierplatz, anschliessend wurde er als Frisör dazu eingesetzt, den Frauen vor ihrer Vergasung die Haare abzuschneiden. Als er noch auf dem Sortierplatz arbeitete, also Ende 1942, erhielt er von einem deutschen SS-Mann den Befehl, zwei weniger als ein Jahr alte Kinder, die man lebend in zwei Kleiderbündeln gefunden hatte, zum Lazarett zu tragen. Er führte diesen Befehl aus und legte die beiden Kinder im Lazarett nieder. Mentz erschoss die beiden Kinder und warf sie in die Leichengrube.

Der Angeklagte Mentz bestreitet, diese zwei Kleinkinder erschossen zu haben. Er gibt wohl zu, auch Kinder im Lazarett getötet zu haben, diese aber nur gemeinsam mit ihren Müttern. Ihm sei, so behauptet er weiter, kein Fall in Erinnerung, bei dem man ihm Kleinkinder ohne ihre Mütter zur Liquidierung übergeben habe.

Dass Mentz die beiden Kleinkinder in der festgestellten Art und Weise getötet hat, ist indessen durch die eidliche Aussage des 51 Jahre alten Frisörs Bom. aus New York erwiesen. Bom. hat Mentz ohne Zögern im Gerichtssaal wiedererkannt. Er hat sich vom 22.September 1942 bis zu seiner Flucht aus dem Lager Ende November 1942 / Anfang Dezember 1942 in Treblinka aufgehalten. Seine Aussage war, da er sich nur etwa drei Monate in Treblinka befunden hat, nicht so ausführlich wie die anderer Zeugen.

Andererseits hat er diejenigen Dinge, die er in der Zeit seines Lageraufenthalts erlebt hat, sowohl hinsichtlich ihrer zeitlichen Bestimmung wie auch bezüglich ihrer Einzelheiten so genau im Gedächtnis behalten, dass man ihm vollauf glauben muss. Bemerkenswert ist, dass die Angeklagten Matthes und Suchomel die präzise Schilderung des Zeugen über seinen Einsatz als Frisör beim Scheren der kurz vor ihrer Vergasung stehenden Frauen, und zwar zunächst einige Tage im alten Gashaus und später in der Frauenauskleidebaracke, für in allen Einzelheiten zutreffend halten. Wenn Bom. aber bei der Darstellung allgemeiner Vorgänge so exakte und objektiv richtige Angaben gemacht hat, dann ist nicht einzusehen, weshalb seine Schilderung von Einzeltaten der Angeklagten anders beurteilt werden soll. Das gilt um so mehr, als die von ihm bekundete Erschiessung zweier Kleinkinder sich im Rahmen der Dienstaufgaben hielt, die Mentz ständig im Lazarett zu erfüllen hatte.

V. Die im Eröffnungsbeschluss als Einzeltat aufgeführte Mitwirkung des Angeklagten Mentz bei der Erschiessung des Restkommandos von mindestens 25 Personen

Bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos (vergleiche die ausführliche Schilderung dieses Falles unter A.VI.19 des Zweiten Teiles der Gründe) teilte der Angeklagte Mentz sich mit dem SS-Unterscharführer Bredow und dem SS-Unterführer aus dem Arbeitslager Treblinka die "Arbeit" in der Weise, dass einer links, der andere rechts und der Dritte in der Mitte mit der Erschiessung der Opfer begann, weil die Tötung so schnell und gefahrloser vor sich ging, als wenn nur ein SS-Mann allein geschossen hätte.

Obwohl der Angeklagte Mentz persönlich nur etwa 1/3 der mindestens 25 Häftlinge erschoss, fühlte er sich als Mitglied eines dreiköpfigen Exekutionskommandos zur Erschiessung aller noch im Lager vorhandenen Häftlinge. Sein Bestreben war, gemeinsam mit seinen beiden Kameraden für eine schnelle und reibungslose Erschiessung der mindestens 25 Häftlinge insgesamt zu sorgen. Das gelang auch, da es wegen der aus Ukrainern gebildeten Postenkette und wegen der Bildung eines Erschiessungskommandos von insgesamt 3 SS-Männern seitens der Häftlinge zu keinerlei Schwierigkeiten kam. Ein Widerstand oder ein Fluchtversuch der Häftlinge war angesichts der getroffenen Sicherheitsmassregeln aussichtslos.

Dieser Sachverhalt ist durch das glaubhafte Geständnis des Angeklagten Mentz erwiesen, dessen Angaben auch von dem Mitangeklagten Ru., der während der Exekution die beiden Güterwaggons bewachte, glaubhaft bestätigt worden sind. Hinzu kommt, dass selbst der Angeklagte Franz das eigentliche Kerngeschehen, nämlich die Erschiessung der Häftlinge, im wesentlichen genauso geschildert hat.

VI. Einzelfälle der Tötung von Arbeitsjuden, bei denen Mentz mitgewirkt hat und die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift bei Mentz nicht aufgeführt sind

Von den Tötungen an Arbeitsjuden, die dem Angeklagten Mentz durch den Eröffnungsbeschluss zum Vorwurf gemacht werden, ist lediglich seine in D.V. dargestellte Mitwirkung bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos erwiesen. Ebenso wie bei dem Angeklagten Franz hat die Beweisaufnahme noch mehrere Einzeltaten des Angeklagten Mentz ergeben, die zeigen, dass Mentz in der Tat der furchterregende, gefühllose Frankenstein und der rastlos tätige Schiesser war, als den ihn zahlreiche jüdische Zeugen immer wieder geschildert und gekennzeichnet haben. Von den hier in Betracht kommenden acht Einzeltaten, die in den am 23.Juli 1965 bekanntgegebenen rechtlichen Hinweisen aufgeführt sind, sieht das Schwurgericht vier als nicht ausreichend aufgeklärt, die nachfolgenden vier jedoch als bewiesen an:

1. Beihilfe zur Erschiessung von mindestens 3 Häftlingen anlässlich des Todes von Max Biala

Als am Abend des Überfalles auf den SS-Unterscharführer Max Biala der Angeklagte Franz mindestens 10 von ihm ausgesuchte Arbeitsjuden erschoss (vergleiche A.VI.1.), reichte ihm Mentz seine geladene Pistole, nachdem Franz das Magazin seiner eigenen Pistole leer geschossen hatte. Franz konnte so sein Tötungswerk ohne Unterbrechung fortsetzen. Mit der Pistole des Mentz tötete er mindestens noch drei Häftlinge.

Der Angeklagte Mentz bestreitet, bei der Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen anlässlich des Überfalles auf Max Biala in irgendeiner Form mitgewirkt zu haben. Er wird jedoch durch die eidliche Aussage des 68 Jahre alten Angestellten Au. aus Stockholm überführt. Der Zeuge erinnert sich ganz genau daran, wie Mentz seine eigene geladene Pistole dem Mitangeklagten Franz reichte, nachdem dessen Pistole leer geschossen war. Da der Zeuge Au. Mentz sofort als Schiesser wiedererkannt hat, da er seine Bekundung ruhig und sachlich gemacht hat und da er eine Verwechslung des Angeklagten Mentz mit einem anderen SS-Mann ausschliesst, ist seine Bekundung glaubhaft. Im übrigen schildert der Zeuge nichts Ungewöhnliches; denn die
Erschiessung der ausgesuchten Leute musste schnell geschehen, und das wäre nicht möglich gewesen, wenn Franz seine leer geschossene Pistole erst mit einem anderen, gefüllten Magazin hätte versehen müssen. Es ging viel rascher, wenn er sich nach dem Leerschiessen seiner Pistole die bereits schussfertige Pistole des Angeklagten Mentz geben liess.

2. Erschiessung des kranken Häftlings Hans Berg

Am 3.Mai 1943, seinem Geburtstage, erhielt der Zeuge Sed. zusammen mit drei weiteren Häftlingen den Befehl, den im Krankenrevier des unteren Lagers liegenden Kameraden Hans Berg, der an hohem Fieber litt, ins Lazarett zu bringen. Im Revier bekam Hans Berg von dem dort tätigen Arzt eine Beruhigungsspritze. Er fragte den Zeugen Sed., ob er nunmehr ins Lazarett komme. Sed. verneinte das, um Berg nicht zu ängstigen. Nachdem Berg durch die Spritze bewusstlos geworden war, wurde er auf eine Trage gelegt und von Sed. und seinen drei Kameraden ins Lazarett getragen. Hier wurde er im Beisein der vier Träger von Mentz erschossen und in die brennende Leichengrube geworfen.

Der Angeklagte Mentz erinnert sich an die Tötung des Hans Berg nicht mehr, da er sich niemals nach dem Namen eines Opfers und nach dem Grund seiner Erschiessung zu erkundigen pflegte. Er hält es aber für möglich, dass Hans Berg einer von den 50 Arbeitsjuden war, die er nach dem von ihm abgelegten Geständnis im Lazarett erschoss. Dass es sich in der Tat so verhalten hat, ergibt die genaue eidliche Bekundung des Zeugen Sed., dessen besondere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit schon mehrfach betont worden ist (vergleiche A.V.8. des Zweiten Teiles der Gründe). Allerdings lässt sich nicht mehr feststellen, welcher deutsche SS-Mann den kranken Hans Berg zur Erschiessung bestimmt und dann dem Zeugen Sed. und dessen drei Kameraden den Befehl erteilt hat, Berg ins Lazarett zu schaffen. Der Zeuge Sed. meint, wenn er sich nicht täusche, sei Miete dieser Mann gewesen, jedoch könne er sich hieran nicht mehr mit Bestimmtheit erinnern. Da Miete bestreitet, in irgendeiner Form an der Erschiessung des Hans Berg beteiligt gewesen zu sein, lassen sich zu diesem Punkt sichere Feststellungen nicht treffen.

3. Die Erschiessung von drei Arbeitsjuden des Desinfektionskommandos im Lazarett

An einem Morgen kamen Küttner, Miete und Hirtreiter zu einer Kontrolle in den Desinfektionsraum des unteren Lagers, in dem der Zeuge Sed. und drei weitere Häftlinge damit beschäftigt waren, die den Frauen abgeschnittenen Haare zu desinfizieren und zum Abtransport in Säcke zu verpacken. Küttner fand bei den vier Häftlingen Lebensmittel und verlangte innerhalb von fünf Minuten eine Erklärung über die Herkunft der Esswaren. Als einer der vier Häftlinge sagte, ein ukrainischer Wachmann habe ihnen die Lebensmittel besorgt, wollte Küttner das nicht glauben. Er vermutete, die Häftlinge hätten die Esswaren aus dem Gepäck vergaster Juden an sich genommen, was verboten war. Küttner war entschlossen, alle vier wegen dieses in seinen Augen todeswürdigen Verstosses im Lazarett erschiessen zu lassen. Er brachte daraufhin in Begleitung von Miete und Hirtreiter die vier Männer ins Lazarett und trieb sie in die brennende Lazarettgrube. Die drei Kameraden des Zeugen Sed. wurden auf Befehl von Küttner durch den Angeklagten Mentz, der an diesem Tage im Lazarett Dienst hatte, erschossen. Die Exekution des Zeugen Sed. hatte sich Küttner selbst vorbehalten. Er hatte schon die geladene Maschinenpistole in der Hand, als er es sich plötzlich anders überlegte.

Er fragte den schon in der Grube liegenden Sed. noch einmal: "Bist Du schuldig?" Als Sed. erwiderte, dass er unschuldig sei, liess Küttner ihn aus der Grube herauskommen. Er war gerettet.

Der Angeklagte Mentz lässt sich wie folgt ein: Er gebe zu, mehrere Häftlinge auf Anordnung von Küttner erschossen zu haben. Nach der Reorganisation des Lagers durch Wirth sei jedoch niemand mehr lebendig in die Grube getrieben und dann vom Grubenrand aus erschossen worden, sondern alle Exekutionen hätten sich so abgespielt, dass die Opfer sich an den Rand der Grube hätten setzen müssen, um dann von hinten durch einen Genickschuss getötet zu werden. Da der Zeuge erst Mitte September 1942, also nach der Ablösung des Lagerkommandanten Dr. Eberl nach Treblinka gekommen sei, könne es nicht richtig sein, dass zu dieser Zeit noch Häftlinge lebendig in die Grube geworfen worden seien, um dann erschossen zu werden. Deshalb müsse er in Abrede stellen, etwas mit der Erschiessung der drei Männer vom Desinfektionskommando zu tun zu haben.

Diese Einlassung wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Der Mitangeklagte Miete hat allerdings zur Klärung des Vorfalles nichts beigetragen, da er sich zwar an den wegen seiner Körpergrösse allgemein im Lager bekannten Zeugen Sed., nicht aber an die Erschiessung seiner drei Kameraden durch Mentz erinnern will. Dass diese drei tatsächlich in der festgestellten Art und Weise von Mentz erschossen worden sind, ergibt die ausführliche, plastische Bekundung des vereidigten Zeugen Sed., dessen Zuverlässigkeit bereits mehrfach hervorgehoben worden ist. Dieser Zeuge ist sehr objektiv; denn er hat sich nicht darauf beschränkt, einzelne Angeklagte zu belasten, sondern er war sehr darum bemüht, andere Angeklagte zu entlasten. So hat er darauf hingewiesen, dass er seine Rettung wahrscheinlich seiner früheren Freundin Lena Laufer und dem Angeklagten Stadie zu verdanken habe. Der Zeuge hat hierzu folgendes angegeben: Nach seiner Rettung habe man ihm erzählt, dass seine frühere Freundin, Lena Laufer, im Lager wegen ihrer pechschwarzen Haare "schwarze Hexe" oder "Teufel" genannt, von seinem Verbringen ins Lazarett Kenntnis erhalten und sich sogleich an Stadie, dessen Zimmer sie stets morgens zu säubern hatte, gewandt und ihn um Errettung ihres früheren Bekannten Sed. angefleht habe, einer Bitte, der Stadie sich wahrscheinlich nicht verschlossen habe. Stadie müsse dann Küttner angewiesen haben, ihn, Sed., nicht zu töten. Obwohl er das nicht genau wisse, halte er sich für verpflichtet, dies zugunsten von Stadie mitzuteilen. Die Angeklagten Stadie und Suchomel bestätigen übereinstimmend, dass die "schwarze Helene" zum Putzen der Schreibstube und von Stadies Zimmer eingesetzt gewesen sei. Allerdings vermag sich Stadie nicht daran zu erinnern, durch Vermittlung dieser Frau die Rettung des Zeugen Sed. veranlasst zu haben. Er hält das allerdings nicht für ausgeschlossen, da sich mehrfach Arbeitshäftlinge mit der Bitte an ihn gewandt hätten, er möge ihre Verwandten und Bekannten retten.

Diese Angaben über die möglichen Gründe seiner Rettung, die über die Schilderung der Vorgänge im Lazarett hinausgehen, verstärken die Glaubwürdigkeit des Zeugen Sed., aufgrund dessen Bekundung die Erschiessung von drei Häftlingen im Lazarett durch den Angeklagten Mentz sicher erwiesen ist.

4. Der Tod des Arbeitsjuden Herschel aus Tomaschow-Mazowiecki

Anfang 1943 befand sich der aus Tomaschow-Mazowiecki stammende Häftling Herschel wegen einer Typhuserkrankung im Krankenrevier des unteren Lagers. Da Kranke, die zu lange der Arbeit fernblieben, aussortiert und im Lazarett erschossen wurden, verschaffte ihm der im Krankenrevier tätige jüdische Arzt, der ebenfalls aus Tomaschow-Mazowiecki stammte, eine im Sitzen zu verrichtende, leichte Arbeit bei der Sortierung und Verpackung von Pelzen, obwohl Herschel noch nicht völlig genesen war. Etwa 10 Tage nach seiner Entlassung aus dem Revier traf Herschel mittags in der Nähe der Küche mit dem Zeugen Zygmund Stra. zusammen, der mit ihm über seine in Treblinka ums Leben gekommene erste Frau verwandt war. Da Herschel noch Rekonvaleszent war, wollte der Zeuge ihm gerade zur Hand gehen, als der Angeklagte Mentz erschien und zu Herschel sagte, er solle mitkommen. Der Zeuge konnte verfolgen, wie Mentz mit Herschel über den zur Mittagszeit menschenleeren Sortierplatz zum Lazarett ging. Der Zeuge sah seinen entfernten Verwandten Herschel nicht wieder, da Mentz ihn im Lazarett erschoss.

Der Angeklagte Mentz gibt folgendes an:

Er könne sich nicht daran erinnern, einen Häftling namens Herschel in der Nähe der jüdischen Küche zu sich gerufen, ihn ins Lazarett geführt und dort erschossen zu haben. An und für sich seien ihm die Opfer von anderen Lagerangehörigen zur Erschiessung ins Lazarett gebracht worden. Er habe sie nicht selbst heranzuschaffen brauchen. Unter keinen Umständen jedoch habe er eigenmächtig einen Häftling ausgesucht und dann erschossen. Er habe immer nur auf Befehl gehandelt.

Dass Mentz den Häftling Herschel ins Lazarett geführt und dort erschossen hat, ergibt die ausführliche eidliche Bekundung des durch den deutschen Konsul in Montreal vernommenen Geschäftsführers Zygmund Stra. Weshalb dieser Zeuge als glaubwürdig anzusehen ist, das ist bereits in A.VII.9. des Zweiten Teiles der Gründe dargelegt worden. Zwar hat der Zeuge dem eigentlichen Erschiessungsvorgang im Lazarett nicht beigewohnt, aber er hat deutlich gesehen, wie Mentz den Herschel über den zur Mittagszeit menschenleeren Sortierplatz direkt ins Lazarett brachte. Da das Lazarett eine Genickschussanlage war, kann man ohne Bedenken annehmen, dass Herschel dort auch von Mentz erschossen worden ist. Das gilt um so mehr, als Zygmund Stra. ihn später nie mehr im Lager gesehen hat.

Andererseits kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass Mentz die Erschiessung des Häftlings Herschel aus eigenem Antrieb vorgenommen hat. Wenn auch der Zeuge Zygmund Stra. den Eindruck hatte, Mentz habe hier eigenmächtig gehandelt, so schliesst das nicht aus, dass Mentz, bevor er Herschel abholte, von einem ihm übergeordneten Angehörigen der deutschen Lagerbesatzung den Befehl zur Erschiessung Herschels bekam. Jedenfalls lässt sich die Einlassung des Angeklagten Mentz, er habe immer nur auf Befehl gehandelt, auch im Falle des Häftlings Herschel nicht widerlegen. Die gesamte Beweisaufnahme hat bisher keinen Fall zutage gefördert, bei dem Mentz einen eigenen Entschluss zur Tötung eines Häftlings gefasst und ausgeführt hätte. So hat der besonders zuverlässige und glaubwürdige Zeuge Gl., der von allen Zeugen die umfassendsten Kenntnisse über die deutsche Lagerbesatzung und über die Ereignisse des unteren Lagers besitzt, erklärt, auch bei längerem Nachdenken entsinne er sich keiner einzigen Begebenheit, bei der Mentz von sich aus einen Häftling selektiert und dann getötet habe. Unter diesen Umständen muss man zugunsten von Mentz davon ausgehen, dass er auch bei der Tötung des Pelzsortierers Herschel nur auf Befehl eines Vorgesetzten gehandelt hat.

VII. Nicht erwiesene Fälle ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

Von den im Eröffnungsbeschluss konkret aufgeführten Fällen, bei denen der Angeklagte Mentz an der Tötung von Arbeitsjuden ausserhalb der Transportabfertigungen mitgewirkt haben soll, ist nur seine in V. dargestellte Mitwirkung bei der Erschiessung des Restkommandos erwiesen. Die nachstehenden Fälle sind nicht bewiesen:

1. Die Beteiligung an der Erschiessung von mindestens 100 Häftlingen am Tage nach dem Tode von Max Biala

Im Abschnitt A.VI.2. des Zweiten Teiles der Urteilsgründe ist bereits ausgeführt worden, dass der Angeklagte Franz einen Tag nach dem Tode des SS-Unterscharführers Max Biala mindestens 80, höchstens 100 Arbeitsjuden ins Lazarett bringen und dort erschiessen liess. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er sei an der Erschiessung dieser 80 bis 100 Häftlinge beteiligt gewesen. Er bestreitet das und erklärt, von der Erschiessung dieser Leute an der Lazarettgrube habe er zwar nachträglich im Lager gehört, sie müsse aber von Ukrainern oder anderen deutschen SS-Männern ausgeführt worden sein.

Eine Mitwirkung an dieser Massenerschiessung ist ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachzuweisen. Der Mitangeklagte Franz will zur Zeit dieses Vorganges noch gar nicht im Lager gewesen sein. Der Angeklagte Miete hat zwar gesehen, wie Franz und eine grössere Anzahl Ukrainer mit den 80 bis 100 Häftlingen in Richtung zum Lazarett marschierten, bei der eigentlichen Erschiessung war er aber, wie er hervorhebt, nicht dabei. Er kann auch nicht sagen, wer damals im Lazarett gerade Dienst hatte. Auch die drei Zeugen Au., Tai. und Ros. wissen nicht, ob Mentz bei der Erschiessung der 80 bis 100 Mann beteiligt war.

2. Die Erschiessung von mindestens 40 fleckfieberkranken Arbeitsjuden des oberen Lagers im Winter 1942/1943

Dem Angeklagten Mentz wird durch die Anklage zur Last gelegt, mindestens 40 fleckfieberkranke Arbeitshäftlinge des oberen Lagers, die ihm der Angeklagte Matthes im Winter 1942/1943 ins Lager geschickt haben soll, dort entweder allein oder gemeinsam mit anderen SS-Männern erschossen zu haben. Wie beim Angeklagten Matthes (vergleiche C.IV.1. des Zweiten Teiles der Gründe) ausgeführt worden ist, kann man nur eine Selektion im oberen Lager von mindestens 5, höchstens 8 fleckfieberkranken Arbeitsjuden und ihre Erschiessung im Lazarett sicher feststellen, während das Ergebnis der Beweisaufnahme eine Konkretisierung weiterer Selektionen nicht zulässt. Es lassen sich auch keine genauen Feststellungen darüber treffen, ob diese 5 bis 8 Fleckfieberkranken von dem Angeklagten Mentz oder von einem anderen SS-Mann im Lazarett erschossen worden sind.

Mentz bestreitet, Arbeitsjuden aus dem oberen Lager im Lazarett erschossen zu haben. Der Angeklagte Matthes weiss zwar, dass die 5 bis 8 fleckfieberkranken Häftlinge des Totenlagers im Lazarett getötet worden sind, aber wer die Exekution vorgenommen hat, das vermag auch er nicht zu sagen. Die Zeugen Li. und Ep., die zu diesem Tatkomplex vernommen worden sind, wissen gleichfalls nichts darüber, wer die Erschiessung der 5 bis 8 Fleckfieberkranken im Lazarett ausgeführt hat.

Zwar war der Angeklagte Mentz hauptsächlich und mehr als andere SS-Männer im Lazarett tätig. Das schliesst aber nicht aus, dass gerade diese 5 bis 8 Fleckfieberkranken von einem anderen SS-Mann im Lazarett erschossen wurden, und zwar zu einer Zeit, als Mentz nicht zum Erschiessen im Lazarett eingeteilt oder in Urlaub war. Sichere Feststellungen zum Nachteil des Angeklagten Mentz lassen sich hier deshalb nicht treffen.

3. Mitwirkung an der Erschiessung einer zahlenmässig nicht näher bestimmbaren Gruppe jüdischer Häftlinge im Totenlager

Die Anklage macht Mentz weiter folgendes zum Vorwurf: Er habe sich an der Erschiessung einer zahlenmässig nicht mehr feststellbaren Gruppe jüdischer Häftlinge im oberen Lager beteiligt, unter denen sich auch ein gewisser Izchak Akter aus Gora Kalwarja befunden habe. Möglicherweise sei diese Häftlingsgruppe identisch mit den 24 Häftlingen des Totenlagers, die auf Anordnung von Matthes wegen Fluchtverdachts erschossen worden seien.

Der zu diesem Komplex benannte Zeuge Li. hat bei seiner eidlichen Vernehmung klargestellt, dass es sich, wie bereits in der Anklageschrift vermutet wird, um ein und denselben Vorfall handelt, nämlich um den Tod von 24 bis 30 Häftlingen des Totenlagers, die in den Verdacht gerieten, flüchten zu wollen und deshalb getötet worden sein sollen. Wie jedoch bereits beim Angeklagten Matthes (vergleiche C.VI.3. des Zweiten Teiles der Gründe) ausgeführt worden ist, vermochte das Schwurgericht letzte Zweifel daran, wie sich die Erschiessung der 24 bis 30 Männer abgespielt hat und welche deutschen SS-Männer hieran teilgenommen haben, nicht zu überwinden; denn der Zeuge Li. hat zunächst davon gesprochen, die Erschiessung der Häftlingsgruppe sei im Lazarett des unteren Lagers erfolgt, während er bei einer erneuten Befragung schliesslich angegeben hat, die Erschiessung sei an einer Leichengrube des oberen Lagers vorgenommen worden. Zudem hat er Präzises über eine Beteiligung des Angeklagten Mentz an dieser Tötung von 24 bis 30 Juden nicht gesagt. Da andere Zeugen zur Aufhellung dieses Vorfalles nichts beigetragen haben, ist Mentz, der seine Beteiligung an einer Erschiessung von Häftlingen des Totenlagers in Abrede stellt, diese Tat nicht nachzuweisen.

VIII. Die innere Einstellung des Angeklagten Mentz zu seinem Einsatz in Treblinka

Der Angeklagte Mentz wusste genau, dass die Juden in den Gaskammern, in die man sie nackt unter Peitschenhieben hineintrieb, eines qualvollen Todes sterben mussten. Ihm war auch bekannt, dass man die alten und kranken Juden unter dem Vorwand ins Lazarett lockte, sie würden dort ärztlich behandelt werden, während sie in Wirklichkeit, die brennenden Leichen vor ihren Augen, erschossen wurden. Er erinnert sich deutlich der irreführenden Schilder in deutscher und polnischer Sprache, die den Ankömmlingen ein Bad und anschliessend den Weitertransport zu neuen Arbeitsplätzen versprachen, während sie tatsächlich in kürzester Frist durch Gas getötet wurden.

Er hielt die Tötung der Juden für ein grosses Unrecht, das gegen die Gesetze, gegen die Religion und gegen den menschlichen Anstand verstiess. Sein Gewissen setzte ihm anfangs öfter zu. Er fragte sich, wie man alle diese Menschen, darunter Frauen und Kinder, töten konnte, da sie doch nichts getan hätten. Er beruhigte sich aber immer mit dem Gedanken: "Der Führer hat es befohlen, und er wird es verantworten müssen." Ein Führerbefehl aber, so meinte er, müsse unter allen Umständen vollzogen werden. Begünstigt wurde diese Einstellung durch eine langjährige Mitgliedschaft des Angeklagten bei der NSDAP, wo er es bei Parteiversammlungen ständig zu hören bekam, dass man als Untergebener gehorchen müsse, und schliesslich auch durch die berufliche Tätigkeit des Angeklagten, der als Melker und Melkermeister stets Anweisungen von Gutsbesitzern und Gutsverwaltern entgegennehmen und befolgen musste. Er meinte daher, auch in Treblinka alle Befehle ausführen zu müssen, zeigte sich mit seinem Einsatz bald einverstanden und brachte sein Gewissen zum Schweigen. Eifrig und willig wirkte er an der Erfüllung des dem Sonderkommando Treblinka gestellten Auftrages mit. Seine unbedingte Befehlsergebenheit liess ihn eine Befehlsverweigerung überhaupt nicht in Betracht ziehen. Trotz der scheusslichen und grauenvollen Aufgabe, der er sich bei seinem Einsatz im Lazarett unterziehen musste, hat er nicht ein einziges Mal einen ernsthaften Versuch unternommen, um von Treblinka wegzukommen oder einem anderen Kommando im Lager zugeteilt zu werden.

Zwar will er einmal Anfang September 1942 den Inspekteur Christian Wirth um seine Ablösung aus Treblinka gebeten haben. Wirth soll das aber abgelehnt und den Angeklagten auf die von ihm unterschriebene Verpflichtungserklärung hingewiesen haben mit dem Bemerken, man müsse da bleiben, wo einen der Führer hingestellt habe. Mit dieser Erklärung gab Mentz sich zufrieden, obwohl Wirth ihn wegen seiner Anfrage weder beschimpft noch bedroht hatte. Er unternahm in der Zukunft weder in Treblinka noch während seines häufigen Heimaturlaubs irgendwelche Versuche, um eine Versetzung zu einer anderen Einheit zu erreichen. Er verrichtete vielmehr stumpfsinnig seine Arbeit und tröstete sich mit den vielen Vorteilen, insbesondere dem häufigen Heimaturlaub, die ihm der Einsatz in Treblinka einbrachte, so dass er schliesslich nicht einmal mehr den Wunsch nach einer Versetzung hatte. Da er seine dienstlichen Obliegenheiten weisungsgemäss erfüllte, ohne je irgendwelche Schwierigkeiten zu machen, hatte er mit seinen Vorgesetzten auch keinerlei Zusammenstösse. Er kam selbst mit Christian Wirth gut aus und hatte demgemäss auch keinerlei Angst vor ihm.

Der Angeklagte Mentz, der alle diese Feststellungen selber einräumt, weist noch auf folgendes hin:

Die Juden hätten ihm alle von Herzen leid getan. Er habe aber keine grossen Möglichkeiten gehabt, sein Mitleid mit ihnen zu zeigen, da er zum Töten befohlen worden sei. Manche Lazarettopfer hätten dem Tod gefasst ins Auge gesehen, andere hätten geweint und geschrien. Einige weinende und schreiende Opfer hätten ihn darum gebeten, sie zuerst zu erschiessen. Diesen Wünschen habe er dann aus Mitleid entsprochen. Schliesslich habe er sogar manchmal selber aus Mitleid gefragt, wer als erster drankommen wolle. Die geäusserten Wünsche habe er stets berücksichtigt. Er habe niemals auf Häftlinge eingeschlagen und sie auch niemals gequält. Soweit der Angeklagte hiermit seine besondere Anteilnahme am Schicksal der Lazarettopfer dartun will, so vermag ihm das Schwurgericht nicht zu folgen. Dass er Wünsche über die Reihenfolge der Erschiessung im Lazarett erfüllt hat, mag richtig sein. So hat der Zeuge Raj. einen Fall geschildert, bei dem Mentz eine Grossmutter fragte, ob er zuerst sie, ihre Tochter oder das eben im Lazarett geborene Enkelkind erschiessen solle (vergleiche D.IV.5. des Zweiten Teiles der Gründe). Man kann jedoch nicht davon ausgehen, dass er hierbei aus echtem Mitleid gehandelt hat. Wenn schreiende und weinende Menschen von ihm wunschgemäss als erste vor den übrigen Opfern getötet wurden, so hatte das wohl eher praktische Gründe, weil so die Unruhigen, die das Geschäft des Tötens erschwerten, zuerst beseitigt wurden.

E. Der Angeklagte Miete

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 1.November 1908 in Westerkappeln (Westfalen) als Sohn eines selbständigen Müllers und Landwirts geborene Angeklagte Miete erlernte nach dem Besuch der Volksschule das Müllerhandwerk. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1921 arbeitete er zusammen mit seinem Bruder auf dem väterlichen Hof und in der dazu gehörigen Mühle.

Im Frühjahr 1940 bewarb er sich bei der Landwirtschaftskammer in Münster um eine Siedlerstelle. Er wurde nach Münster bestellt. Der Sachbearbeiter der Landwirtschaftskammer sagte ihm, dass zwar keine landwirtschaftliche Siedlung, wohl aber eine gute Stelle bei der Heil- und Pflegeanstalt in Grafeneck zu vergeben sei. Mit diesem Vorschlag war Miete einverstanden. Er fuhr im Mai 1940 nach Grafeneck, wurde in der dortigen Heil- und Pflegeanstalt über die Euthanasieaktion unterrichtet und musste sich schriftlich zu strengstem Stillschweigen verpflichten. Von Mai 1940 bis Oktober 1941 arbeitete er in dem der Anstalt angegliederten landwirtschaftlichen Betrieb. Dann kam er zur Anstalt in Hadamar, bei der er bis Anfang Juni 1942 verschiedene handwerkliche Arbeiten verrichtete. Die letzten sechs Monate seines Aufenthaltes in Hadamar arbeitete er im Krematorium. Er verbrannte die Leichen der bereits zuvor in den Gaskammern getöteten Geisteskranken.

Nach einem kurzen Urlaub wurde er telegrafisch zur Dienststelle T4 in Berlin beordert. Mit etwa 20 Kameraden, darunter dem Angeklagten Mentz, wurde er von Berlin nach Lublin in Marsch gesetzt. Hier wurde er als SS-Unterscharführer in Feldgrau eingekleidet. Am nächsten Tage fuhr er mit seinen Kameraden nach Warschau und gelangte mit einem Güterzug jüdischer Umsiedler, an den für die deutschen SS-Männer ein Personenzug angehängt wurde, zum Vernichtungslager Treblinka. Das war Ende Juni / Anfang Juli 1942, als noch Dr. Eberl Lagerkommandant war. In Treblinka blieb er bis Mitte November 1943.

Von Lublin aus wurde er zu einer Polizeieinheit in Triest abkommandiert. Bereits zwei Wochen später wurde er von Triest nach Udine versetzt. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft, wurde jedoch nach 1945 aus einem Gefangenenlager in der Nähe von München nach Hause entlassen. Bis 1950 war er im väterlichen Betrieb tätig. Dann arbeitete er bis zu seiner Verhaftung im Mai 1960 als Geschäftsführer der Spar- und Darlehnsgenossenschaft in Lotte in Westfalen. Er ist seit Juni 1943 verheiratet und Vater von drei Kindern. Seit 1940 war er Mitglied der NSDAP. Aus der evangelischen Kirche ist er nicht ausgetreten.

II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka

In Treblinka war der Angeklagte Miete, dem die Häftlinge wegen seiner schiefen Kopfhaltung den jiddischen Spitznamen Krime Kepel (= Schiefkopf oder Krummkopf) gegeben hatten, ausschliesslich im unteren Lager eingesetzt. Bei Transportabfertigungen war er im Wechsel mit dem Angeklagten Mentz und anderen SS-Unterführern im Lazarett zum Erschiessen von alten und kranken Juden eingesetzt. Neben seiner Tätigkeit im Lazarett war Miete auch mit der Leitung von Aussenkommandos betraut, so unter anderem mit dem Holzfäller- und dem Tarnkommando. Vor allen Dingen aber führte Miete die Aufsicht auf dem Sortierungsplatz. Hier musste das zahlenmässig stärkste Kommando des Lagers, das Sortierkommando, auch Kommando Rot genannt, die Kleider zusammentragen, sortieren und bündeln. Vertretungsweise nahm er zuweilen auch die Appelle der Arbeitsjuden ab. Im übrigen gehörte er zu denjenigen deutschen SS-Unterführern, die sich um alles im Lager kümmerten und dabei durch besonderen Eifer auffielen. Bei der Ankunft von Transporten wirkte er, wenn er nicht gerade Dienst im Lazarett hatte, bei dem Entladen und der Weiterleitung der Juden entweder zum Lazarett oder zu den Gaskammern des oberen Lagers mit. Um die Ankömmlinge zur Eile anzutreiben und ihnen keine Zeit zur Besinnung zu lassen, schlug er häufig mit der Peitsche auf sie ein. In vielen Fällen machte er hierbei auch von seiner Schusswaffe Gebrauch. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag jedoch bei der Arbeit im Lazarett und auf dem Sortierplatz. Genauso wie der Angeklagte Mentz liquidierte er eine grosse Anzahl von eben angekommenen Juden, die wegen ihres hohen Alters oder wegen ihrer Krankheit aus dem Transport ausgesondert und dem Lazarett zur Sonderbehandlung zugeführt worden waren, durch Genickschuss, so dass die bereits entkleideten Opfer gleich in die Grube mit den brennenden Leichen fielen. Ebensowenig wie Mentz kümmerte er sich darum, ob die Opfer auch wirklich tot waren oder ob sie erst in den Flammen den Tod fanden. In keinem Falle gab er einem Opfer auch einen zusätzlichen Gnadenschuss.

Die genaue Anzahl der auf diese Art und Weise von Miete getöteten Transportjuden lässt sich nicht ermitteln. Nach dem gesamten Ergebnis der Beweisaufnahme besteht kein Zweifel daran, dass die Zahl der von Miete eigenhändig getöteten Personen in die Hunderte, wenn nicht gar in die Tausende geht.

Der Angeklagte Miete tötete aber nicht nur alte und kranke jüdische Umsiedler, die man ihm aus den Transporten zum Lazarett brachte, sondern darüber hinaus auch zahlreiche Arbeitsjuden, die ihm entweder von den anderen Führern und Unterführern des Sonderkommandos Treblinka aus den verschiedensten und willkürlichsten Gründen zu diesem Zweck übergeben oder von ihm eigenmächtig ausgesucht wurden. Er brachte die Opfer, sofern er sie nicht gleich an Ort und Stelle erschoss, zum Lazarett und tötete sie dort eigenhändig oder liess sie, was selten vorkam, durch den dort gerade diensttuenden SS-Unterführer erschiessen. Die Gründe, die den Angeklagten Miete zu solchen Taten bestimmten, waren mannigfachster Art und niemals schwerwiegender Natur. Wie ein böser Geist bewegte er sich, vor allem in der transportfreien Zeit, durch das Lager und jeder, der ihm irgendwie auffiel, musste damit rechnen, von ihm an Ort und Stelle oder im Lazarett erschossen zu werden. Ohne jede äussere Erregung winkte der Angeklagte den Betroffenen mit dem Finger zu sich, erklärte ihm beispielsweise, dass er zu schlecht oder dass er zu gut aussehe, dass er zu viel nachdenke oder dass er zu faul sei und nahm ihn mit ins Lazarett, wo der Bedauernswerte dann den Genickschuss erhielt. Die ruhige und unheimliche Art, mit der Miete vorging, war der Grund dafür, dass er von den polnischen Juden, ebenso wie der Angeklagte Mentz, auch Malchamowes (=Todesengel) genannt wurde, während ihn die des Deutschen mächtigen tschechischen Juden unter sich als den frommen Schützen bezeichneten.

Wieviele Arbeitsjuden Miete erschossen hat, lässt sich nicht mehr genau ermitteln. Nach seinen eigenen Angaben sind es aber mindestens 50 Arbeitsjuden gewesen, die durch ihn den Tod gefunden haben.

III. Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zu seinen Aufgaben in Treblinka

Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen, insoweit vollauf glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka ergeben sich aus seinen Angaben und denen seiner Mitangeklagten, soweit man ihnen folgen kann, und aus den Bekundungen zahlreicher jüdischer Zeugen, darunter der eidlich vernommenen Zeugen Ingenieur Gl., Braumeister Un., Kaufmann Bu., Hoteldirektionsassistent Sed., Angestellter Au., Klempner Oscar Stra., Geschäftsführer Zygmund Stra., Frisör Bom., Bügler Rap., Frisör Pla., Schlosser Tai., Magazinverwalter Lak., Mechaniker Tu., Bautechniker Koh., Schlosser Ku., Angestellter Cz., Kaufmann Jan., Kaufmann Ja., Sägewerksleiter Raj., Büroangestellte Lew., Metzger Wei., Textilkaufmann Ma., Polsterer und Dekorateur Zi., Kaufmann Kols., Schneider Lac., Obsthändler Br., Hausfrau Su. und Kaufmann Do. Miete stellt nicht in Abrede, sich in der festgestellten Art und Weise in Treblinka betätigt zu haben. Wohl macht er Einschränkungen bezüglich der Zahl der von ihm getöteten Juden, die er auf 150 bis 200 Transportjuden und auf nur 50 Arbeitsjuden beziffert, während er es in seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter vom 1.Juni 1960 noch für möglich gehalten hat, Hunderte erschossen zu haben. In Wirklichkeit wird bereits die Zahl der von ihm getöteten Transportjuden in die Tausende gehen, wenn man berücksichtigt, dass er was die Häufigkeit und Dauer seines Einsatzes im Lazarett angeht, unter allen im Lazarett tätig gewesenen SS-Männern nach dem Angeklagten Mentz die zweite Stelle einnimmt. Von einer Zahl von mindestens 700000 in Treblinka getöteten Juden entfallen höchstwahrscheinlich mehrere tausend Tote auf den Angeklagten Miete, wenn man bedenkt, dass nahezu jeder Transport alte und kranke Menschen hatte, die sogleich im Lazarett erschossen wurden, und wenn man sich weiter vor Augen hält, dass sogar einige Transporte angekommen sind, die nur aus alten Juden bestanden, wie die Zeugen Gl., Raj., Sed. und Rap. bekundet haben.

Soweit Miete angibt, er habe rund 50 Arbeitsjuden getötet, so ist auch die Zahl viel zu gering angesetzt. Ihre Zahl wird sicherlich ein Mehrfaches von 50 betragen haben. Allerdings lassen sich sichere Zahlenangaben sowohl hinsichtlich der von Miete erschossenen Transportjuden wie auch bezüglich der von ihm getöteten Arbeitshäftlinge nicht machen, da zuverlässige Unterlagen und Zeugenaussagen über die Gesamtzahl aller von Miete begangenen Tötungen nicht vorhanden sind.

Dass Miete im Lager die Spitznamen "Krime Kepel", "Krummkopf", "Schiefkopf", "Malchamowes" und "frommer Schütze" hatte, das geht aus den eidlichen Bekundungen der bereits aufgeführten Zeugen hervor.

IV. Erwiesene Einzeltaten des Angeklagten Miete im Rahmen der Transportabfertigungen

Aus der Vielzahl der Tötungen, die der Angeklagte Miete bei der Abfertigung von Transporten im Lazarett und auch ausserhalb des Lazaretts begangen hat, lassen sich folgende Einzelfälle konkretisieren und nachweisen:

1. Erschiessung einer hochschwangeren Frau im Lazarett

An einem zeitlich nicht mehr näher feststellbaren Tage kam mit einem Transport eine hochschwangere Frau in Treblinka an, deren Geburtswehen bereits eingesetzt hatten. Sie wurde sogleich ins Lazarett gebracht, hier völlig entkleidet und dann von dem Angeklagten Miete durch Genickschuss getötet. Miete will sich an diesen Vorgang nicht mehr erinnern können. Er stellt ihm aber andererseits auch nicht in Abrede. Dass er die hochschwangere Frau erschossen hat, ist durch die eidliche Bekundung des Ingenieurs Gl., der die Tötung der Frau im Lazarett mit angesehen hat, eindeutig nachgewiesen. Gl. hat den Angeklagten Miete sofort wiedererkannt und auch seine persönlichen Eigenheiten genau und zutreffend geschildert. Er hat darauf hingewiesen, dass er Miete von Anfang an deshalb besonders genau beobachtet habe, weil er von ihm zur Arbeit im Sortierkommando herausgesucht und dadurch vor der Vergasung bewahrt worden sei. Dass Gl. zuverlässig und glaubwürdig ist, hat das Schwurgericht schon mehrere Male hervorgehoben.

2. Der Tod einer etwa 20 Jahre alten Jüdin in der Gaskammer

Während einer Transportabfertigung im Jahre 1942 stürzte sich eine etwa 20 Jahre alte Jüdin, die bereits nackt in der Himmelfahrtsallee stand, mit einem Rasiermesser auf einen jüdischen Kapo, den sie vermutlich für einen SS-Mann hielt, und verwundete ihn leicht. Miete trieb das nackte Mädchen unter Peitschenhieben zur Himmelfahrtsallee zurück. Von dort kam sie in die Gaskammer.

Der Angeklagte Miete bestreitet, die junge Jüdin mit seiner Peitsche zum Schlauch zurückgetrieben zu haben. Er wird jedoch dieser Tat durch die Bekundung des heute achtundsechzigjährigen Angestellten Au. überführt. Au. ist in Bochnia/Galizien geboren und in Lemberg aufgewachsen. Er war Offizier des österreichischen Heeres und brachte es während des 1.Weltkrieges, in dem er
verwundet wurde, zum Oberleutnant der Reserve. Beim Ausbruch des 2.Weltkrieges lebte er als Inhaber einer mechanischen Weberei in Lodz. Er hat den Angeklagten Miete als Krummkopf und Krime Kepel sofort wiedererkannt. Da er fliessend Deutsch spricht, hat er sich sogar gelegentlich mit Miete unterhalten. Es ist somit ausgeschlossen, dass er Miete mit einem anderen SS-Mann verwechselt haben kann. Seine sachliche Aussage hat der Zeuge mit dem Eid bekräftigt. Das Schwurgericht hält ihn für glaubhaft. Durch seine Aussage ist der festgestellte Vorfall bewiesen.

3. Massenerschiessung alter Juden im Lazarett

In den letzten Monaten des Jahres 1942 kam ein aus einem Personenzug bestehender Transport mit alten Juden aus Deutschland in Treblinka an. Die alten Leute mussten sich sämtlich in mehreren Reihen nebeneinander vor dem Lazarett aufstellen. Gruppenweise wurden sie dann in das Lazarett geführt und von den Angeklagten Miete und Mentz, die an diesem Tage wegen des grossen Arbeitsanfalles dort gemeinsam Dienst hatten, erschossen.

Der genaue Zeitpunkt dieser Massenerschiessung alter Juden und die Zahl der Opfer lassen sich nicht mehr feststellen. Wohl steht fest, dass es sich um eine sehr grosse Zahl von im Lazarett getöteten alten Menschen, nämlich um einen gesamten Transport handelt, während sonst im Lazarett nur jeweils ein Teil der mit einem Transport eingetroffenen Juden liquidiert wurde.

Während sich der Angeklagte Mentz an diesen Vorgang nicht mehr erinnern will (vergleiche D.IV.1.), bestreitet Miete seine Beteiligung an der Massenexekution entschieden. Dass er aber zusammen mit Mentz in der festgestellten Art und Weise tätig geworden ist, wird durch die eidliche Bekundung des 56 Jahre alten Büglers Rap. bewiesen, der jetzt in den USA lebt. Der Zeuge befand sich von Ende September 1942 bis zu seiner Flucht Anfang Januar 1943 in Treblinka. Er hat die Erschiessung dieser alten Juden aus nächster Nähe vom Sortierplatz aus beobachtet, wo er damals arbeitete. Trotz des Verlustes von Frau und Kind in Treblinka hat er sich nicht zu gefühlsbetonten Übertreibungen hinreissen lassen, vielmehr ist er immer sachlich geblieben. Das ist um so höher zu bewerten, als er durch den Lageraufenthalt gesundheitlich stark gelitten hat. Bei der Identifizierung der Angeklagten ist er zusammengebrochen, weil ihm alle Schrecken des Lagers wieder vor Augen traten. Auch bei seiner drei Tage später fortgesetzten und zu Ende geführten Vernehmung ist er ruhig und objektiv geblieben. Er hat Miete als Krummkopf wiedererkannt. Das Schwurgericht hält ihn für uneingeschränkt glaubwürdig.

Dass tatsächlich Personenzüge mit alten Menschen, insbesondere aus dem Reichsgebiet und der Tschechoslowakei in Treblinka ankamen und entsprechend den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien nicht im oberen Lager vergast, sondern im Lazarett des unteren Lagers liquidiert wurden, ist bereits im Abschnitt D.IV.1. des Zweiten Teiles der Gründe dargelegt worden.

4. Erschiessung eines alten Juden aus Petrikau

Ende Oktober 1942 kam mit einem Transport aus Petrikau ein frommer alter Jude in Treblinka an. Als er aus dem Waggon geholt wurde, spürte er den Geruch der im Lazarett brennenden Leichen. Ihn überkam eine Todesangst, und er sagte laut: "Ich habe den russisch-japanischen Krieg und den polnisch-russischen Krieg überlebt. Gott, mein Gott, mein Gott, und nun soll ich hier verbrannt werden!" Er wollte das jüdische Totengebet sprechen, konnte das aber nicht mehr. Er bat einen anderen darum, dieses Gebet zu sprechen. Noch auf dem Wege zum Lazarett erschoss ihn Miete.

Der Angeklagte stellt diese Tat zwar in Abrede, er wird aber durch die eidliche Bekundung des glaubwürdigen Zeugen Rap., der den Vorfall aus der Nähe beobachtet und sich ihn gut gemerkt hat, überführt.

V. Die nicht erwiesene Erschiessung eines Kleinkindes während einer Transportabfertigung

Dem Angeklagten Miete wird in der Anklageschrift weiter zur Last gelegt, ein kleines Kind, dessen Eltern vermutlich während des Transportes verstorben seien und das ihm Angehörige des Kommandos Blau im Lazarett abgeliefert hätten, an den Rand der Lazarettgrube gesetzt und durch Genickschuss getötet zu haben.

Der Angeklagte bestreitet das. Der zu dieser Tat benannte Zeuge Le. aus München, der sich vom 2.Oktober 1942 bis zu seiner Flucht am 3.November 1943 im Vernichtungslager Treblinka befand, hat sich bei seiner uneidlichen Vernehmung vor dem Schwurgericht nicht mehr an diesen Vorfall zu erinnern vermocht. Hinzu kommt, dass er zunächst den Angeklagten Ru. als Krummkopf bezeichnet und dass er erst am Ende seiner Bekundung auf Miete gezeigt und erklärt hat, dieser sei möglicherweise der Mann, den man im Lager Krummkopf genannt habe.

Unter diesen Umständen lassen sich keine genauen Feststellungen über die in das Wissen des Zeugen Le. gestellte Erschiessung eines Kleinkindes im Lazarett in der Zeit vom 2.Oktober 1942 bis zum 3.November 1943 durch Miete treffen.

Soweit in der Hauptverhandlung noch weitere, in der Anklageschrift nicht aufgeführte Untaten des Angeklagten Miete bei Transportabfertigungen erörtert worden sind - es handelt sich dabei in der Hauptsache um die unter den Nummern A.V.3. und 4. der rechtlichen Hinweise vom 23.Juli 1965 aufgeführten Erschiessungen des Jakob Aronowicz aus Czenstochau und der jungen Inka Salzwasser aus Warschau - konnten keine sicheren Feststellungen getroffen werden, weil die zu diesen Fällen vernommenen Zeugen Ge. und Kols. sich nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit an den genauen Hergang der Tötungen erinnerten.

VI. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Der Tod des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten Sport

Dass der Angeklagte Miete sich auch an den "Sportveranstaltungen" beteiligt hat, ist bereits im Abschnitt A.VI.11. des Zweiten Teiles der Gründe festgestellt worden. Miete bestreitet allerdings auch nur ein einziges Mal beim "Sport" beteiligt gewesen zu sein. Er räumt dagegen ein, in mehreren Fällen Häftlinge, die beim "Sport" zusammengebrochen seien, auf Befehl von Franz und von Küttner im Lazarett erschossen zu haben und hält es für möglich, dass sich unter den von ihm erschossenen Opfern des "Sports" auch Starsze Lipchitz und dessen Leidensgefährte befunden haben.

Dass Miete indessen mehrfach auch am eigentlichen "Sport" selbst teilgenommen und dass er hierbei sehr eifrig auf die im Kreis Laufenden mit seiner Peitsche eingeschlagen hat, wird von den Zeugen Gl., Zygmund und Oscar Stra., Lak., Kols. und Tu., die sämtlich vereidigt worden sind, bestätigt. Allerdings lässt sich nicht eindeutig klären, wie oft ein derartiger "Sport" veranstaltet wurde, wie oft Miete hieran beteiligt war und wie viele Häftlinge hierbei ihr Leben liessen, da die Zeugen - mit Ausnahme des Zeugen Tu. - konkrete Einzelfälle mit bestimmten Opfern nicht beschreiben konnten. So lässt sich nur ein einziger Fall des "Sports" konkretisieren, bei dem der Häftling Starsze Lipchitz und ein anderer Häftling auf Anweisung des Angeklagten Franz von Miete im Lazarett erschossen wurden. Diesen Fall hat der aus Czenstochau stammende 51 Jahre alte Mechaniker Tu., der jetzt in Bat Jam / Israel lebt, ausführlich geschildert. Er hat durch ein Fenster der jüdischen Unterkunftsbaracke diese "Sportveranstaltung", an der Franz, Küttner, Miete und der Ukrainer Rogossa teilnahmen, auf das Genaueste beobachtet, weil sich unter den "Sport" treibenden Häftlingen der Czenstochauer Starsze Lipchitz befand. An seinem Schicksal war er besonders interessiert, da er Lipchitz von Czenstochau her gut kannte. Er sah wie, neben Franz, Küttner und Rogossa auch Miete eifrig auf die Laufenden mit seiner Peitsche einhieb. Es entging ihm nicht, dass Starsze Lipchitz und ein anderer Häftling beim Sport hinfielen.

Er hörte schliesslich die in lautem Ton gegebene Anweisung von Franz an Miete, die beiden hingefallenen Opfer zum Lazarett zu bringen und dort zu erschiessen, und er sah zuletzt noch, wie man Lipchitz und seinen Kameraden in Richtung zum Lazarett schleifte. Wenn er auch die Erschiessung der beiden im Lazarett durch Miete nicht miterlebt hat, so spricht doch der Umstand, dass er Starsze Lipchitz und den anderen Häftling seit dieser Zeit nicht mehr im Lager gesehen hat, eindeutig dafür, dass diese beiden Männer im Lazarett getötet worden sind.

Dass Miete die Exekution vorgenommen hat, davon ist das Schwurgericht ebenfalls überzeugt; denn Franz gab Miete den Befehl zur Erschiessung der beiden, und Miete räumt ein, mehrere Male auf Befehl von Franz und Küttner Opfer des "Sports" erschossen zu haben. Miete vermag sich zwar nicht mehr an die Namen der Getöteten zu erinnern, er hält es aber für möglich, dass zu diesen Opfern auch Lipchitz und dessen Kamerad gehörten. Berücksichtigt man weiter, dass der normale Dienstbetrieb im Lazarett nur bis zum Abendappell ging, dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass etwa ein anderer SS-Unterführer als Miete im Lazarett den Häftling Lipchitz und seinen unglückseligen Kameraden erschoss. Nach den gesamten Umständen ist das Schwurgericht vielmehr davon überzeugt, dass Miete diese beiden Häftlinge im Lazarett tötete.

Der eidlich vernommene Zeuge Tu. hat Miete sofort als Krime Kepel und Schiefkopf wiedererkannt. Obwohl er in Treblinka seine Frau und einen 4 Jahre alten Sohn verloren hat, war seine Aussage nicht von Hass- und Rachegefühlen beeinflusst. Er hat seine Bekundung ruhig und sachlich gemacht.

Insbesondere hat er auch mit besonderer Sorgfalt zwischen dem unterschieden, was er persönlich erlebt, und dem, was er nur gehört hat.

Das Schwurgericht hält ihn für vollauf glaubwürdig und damit die von ihm bekundete Erschiessung des Häftlings Starsze Lipchitz und dessen Kameraden durch Miete für bewiesen. Der Angeklagte Miete hat zwar gestanden, noch mehrere andere Häftlinge, die ihm im Anschluss an "Sportveranstaltungen" von Franz und Küttner übergeben worden sind, im Lazarett liquidiert zu haben. Aber diese Fälle lassen sich aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht konkretisieren, so dass hier präzise Feststellungen nicht möglich sind.

2. Die Erschiessung eines jungen Häftlings auf dem Sortierplatz wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns

An einem Tage im Oktober 1942 beaufsichtigte der Angeklagte Miete das Sortierkommando. Bei der Kontrolle der bereits sortierten und gepackten Kleiderbündel bemerkte er, dass ein junger Häftling im Alter von 14 bis 17 Jahren es entgegen den Vorschriften vergessen hatte, von einem Kleidungsstück den Judenstern abzutrennen. Er stellte den jungen Mann wegen dieses Versäumnisses zur Rede und sagte ihm, ohne irgendeine Erregung zu zeigen, dass er sterben müsse, weil er nicht gut gearbeitet habe. Um den anderen Kleidersortierern die Folgen einer nachlässigen Arbeit zu demonstrieren, tötete er den Häftling vor den Augen seiner Kameraden auf dem Sortierplatz durch einen Genickschuss aus seiner Pistole. Diese Tat führte er eigenmächtig aus; denn ein Vorgesetzter, der ihm hierzu hätte einen Befehl erteilen können, war während dieses Vorfalles auf dem Sortierplatz nicht anwesend. Die Leiche des jungen Häftlings liess Miete dann in die Lazarettgrube schaffen.

Der Angeklagte Miete gibt diese Tat glaubhaft zu. Er macht jedoch folgendes geltend: Bei der Reorganisation des Lagers habe Christian Wirth eine allgemeine Anordnung des Inhalts erlassen, dass jeder Häftling des Sonderkommandos zu erschiessen sei, der es verabsäume, von einem Kleidungsstück den Judenstern abzutrennen. Den ins Reich versandten Kleidern sollte man nämlich unter keinen Umständen anmerken, dass sie von Juden stammten. Man hätte ihm Vorwürfe gemacht, wenn mit dem Judenstern versehene Bekleidung aus Treblinka abtransportiert worden wäre. Er habe es deshalb für notwendig gehalten, die Anordnung Wirths zu befolgen und den jungen Häftling an Ort und Stelle zu erschiessen. Es sei zwar möglich gewesen, den Häftling nur zu verwarnen oder auf eine andere Art und Weise, z.B. durch Prügel, zu bestrafen. Das hätte aber die anderen Juden vom roten Kommando nicht genügend beeindruckt und nicht zu einer genaueren Einhaltung der Vorschrift über das Abtrennen des Judensterns von den Kleidern geführt.

Diese Angaben des Angeklagten Miete sind nicht geeignet, seine Verantwortung zu mindern; denn es steht fest, dass er den Häftling eigenmächtig erschossen hat, ohne vorher einen Vorgesetzten zu fragen und ohne einen bestimmten Befehl zur Erschiessung zu bekommen. Miete räumt selbst ein, dass es ihm trotz der Anordnung von Wirth möglich gewesen wäre, den jungen Häftling milder zu bestrafen oder ihn gar nur zu verwarnen. Das hätte um so näher gelegen, als der Häftling den Stern wahrscheinlich nur aus Nachlässigkeit, keineswegs jedoch absichtlich an dem Kleidungsstück belassen hat. Dass Miete sofort entschlossen war, die Vergesslichkeit des jungen Mannes mit dem Tod zu ahnden, lässt den Schluss zu, dass er diese Gelegenheit zur Demonstration seiner Macht nicht ungenutzt vorübergehen lassen wollte.

Die Erschiessung des jungen Häftlings auf dem Sortierplatz, der einen Davidstern nicht abgetrennt hatte, ist nicht nur durch das Geständnis des Angeklagten, sondern auch durch die eidliche Bekundung des Zeugen Ja. bewiesen. Der Zeuge hat den Vorfall aus nächster Nähe mitangesehen. Da er sich vom 3.Oktober 1942 an nur etwa drei Wochen lang in Treblinka befunden hat, ist auch die zeitliche Einordnung der Erschiessung des jungen Mannes möglich. Seine Tötung fällt demnach in den Oktober 1942. Der Zeuge Ja. hat Miete sofort wiedererkannt. Er hat nicht nur die allgemeinen Lagerverhältnisse, sondern auch einzelne Taten der Angeklagten Franz und Miete so sachlich und präzise geschildert, dass an seiner Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen.

3. Erschiessung eines Häftlings, der beim Leichentransport in die Lazarettgrube gerutscht war

Es gehörte zu den Aufgaben des blauen Kommandos, die Leichen der während der Bahnfahrt verstorbenen Menschen von den Waggons zum Lazarett zu tragen und in die Leichengrube des Lazaretts zu werfen. Bei dieser Arbeit rutschte einmal ein Häftling am Rande der Lazarettgrube so unglücklich aus, dass er selbst in die Grube stürzte. Der Angeklagte Miete, der gerade Dienst im Lazarett hatte, nahm das zum Anlass, diesen Arbeitsjuden in der Grube zu erschiessen, ohne von einem Vorgesetzten hierzu einen Befehl bekommen zu haben.

Der Angeklagte Miete stellt diese Tat in Abrede. Er wird jedoch durch die eidliche Bekundung des Zeugen Gl. überführt, der diesen Vorfall im Lazarett beobachtet hat. Dass Gl., der Miete sofort identifiziert hat, glaubwürdig ist, hat das Schwurgericht bereits wiederholt hervorgehoben.

4. Die Erschiessung von fünf Fleckfieberkranken im Lazarett

Im Winter 1942/1943 lag eine grössere Anzahl von Häftlingen, die an Fleckfieber erkrankt waren, im Krankenrevier des unteren Lagers. Eines Tages forderte der SS-Hauptscharführer Küttner den Angeklagten Miete auf, die Krankenstube zu kontrollieren, die Schwerkranken herauszusuchen und sie dann im Lazarett zu erschiessen. Küttner stellte es in das Ermessen von Miete, welche und wieviele Kranke er zur Erschiessung selektieren sollte. Miete betrat allein das Krankenrevier und liess sich von einem der beiden dort tätigen jüdischen Ärzte die Schwerkranken zeigen. Er nahm fünf Schwerkranke mit ins Lazarett und erschoss sie selbst durch Genickschuss. Küttner kümmerte sich später nicht mehr um diese Angelegenheit. Miete brauchte ihm über die Durchführung der Aktion auch keine Meldung zu erstatten und ihm keine Rechenschaft zu geben. Miete gibt diese Erschiessung von fünf kranken Häftlingen glaubhaft zu. Er meint jedoch, die Verantwortung hierfür treffe nicht ihn, sondern allein den SS-Hauptscharführer Küttner, der ihm den "Befehl" zur Selektion und zur Tötung der fünf Kranken gegeben habe. Dieser Ansicht vermag sich das Schwurgericht nicht anzuschliessen; denn Miete räumt ein, dass es in seinem Ermessen gestanden habe, wen er im einzelnen zur Tötung heraussuchte. Küttner hat also keineswegs selbst die fünf Kranken zur Erschiessung ausgewählt und dann erst dem Angeklagten Miete befohlen, diese fünf ausgewählten Häftlinge zu erschiessen. Miete hat vielmehr die Aufforderung Küttners, das Krankenrevier zu inspizieren, lediglich als eine Anregung zum Tätigwerden aufgefasst und mit grosser Bereitwilligkeit ausgeführt. Bemerkenswert ist, dass Miete einmal in der Hauptverhandlung erklärt hat, er brauchte niemanden zu fragen, wenn er einen Häftling erschoss. Dieser Einstellung entsprechend hat er auch bei der Tötung der fünf Schwerkranken gehandelt, zu der er allerdings durch Küttner ermuntert worden sein mag.

Aufgrund der eidlichen Aussagen des Schneiders Lac., des Bautechnikers Koh. und des Schlossers Ku. sowie aufgrund der uneidlichen Bekundung des Frisörs Bor. steht zur Überzeugung des Schwurgerichts fest, dass Miete keineswegs nur ein einziges Mal, sondern mehrfach Aussortierungen von Kranken in der Krankenstube vorgenommen und die Selektierten im Lazarett erschossen hat. Freilich lassen sich diese anderen Fälle nicht konkretisieren und auch nicht von dem Fall abgrenzen, den der Angeklagte Miete eingestanden hat. Bestimmte Feststellungen hinsichtlich weiterer Selektionen von Häftlingen im Krankenrevier können deshalb nicht getroffen werden.

VII. Einzelfälle der Tötung von Arbeitshäftlingen ausserhalb der Transportabfertigungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift nicht aufgeführt sind

Die Beweisaufnahme hat über die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss konkret aufgeführten Taten hinaus eine ganze Anzahl weiterer Tatbestände ergeben, bei denen der Angeklagte Miete entweder jüdische Arbeitshäftlinge selbst getötet oder bei denen er an ihrer Tötung in anderer Form mitgewirkt hat. Von den in den rechtlichen Hinweisen vom 23.Juli 1965 aufgeführten 37 Einzelfällen sieht das Schwurgericht 14 als nicht hinreichend nachgewiesen, die folgenden 23 jedoch als bewiesen an:

1. Die Erschiessung des Lagerältesten Rakowski

Ende April oder Anfang Mai 1943 fand man bei dem damaligen Lagerältesten Gold und Geld, deren Besitz einem Häftling verboten war. Stadie hielt in Abwesenheit von Franz und Küttner, die beide in Urlaub waren, einen Sonderappell ab. Er gab bekannt, dass Rakowski wegen des verbotenen Besitzes von Gold und Geld zu erschiessen sei. Mit der Durchführung der Exekution beauftragte er den Angeklagten Miete. Dieser führte Rakowski unter der Bewachung durch zwei ukrainische Wachmänner ins Lazarett und liess ihn hier durch einen der beiden Ukrainer erschiessen.

Diese Feststellungen beruhen auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten Miete und auf der eidlichen Bekundung des Zeugen Gl., dessen Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit unter anderem im Abschnitt A.VI.6. des Zweiten Teiles der Gründe dargetan worden ist. Den Tod des Lagerältesten Rakowski hat das Schwurgericht bereits bei dem Angeklagten Stadie im Abschnitt V.IV. des Zweiten Teiles der Gründe behandelt. Hierauf wird Bezug genommen. Insbesondere gilt auch hier, dass nicht eindeutig geklärt werden kann, ob Stadie die Erschiessung des Rakowski eigenmächtig beschlossen oder ob er nur einen entsprechenden Befehl des Lagerkommandanten Stangl bekanntgegeben hat, so dass zugunsten der Angeklagten Stadie und Miete von der zuletzt genannten Alternative auszugehen ist.

2. Erschiessung eines von Barry angefallenen Häftlings

Mindestens einmal erschoss Miete einen Häftling des unteren Lagers im Lazarett, der zuvor von Barry angefallen und hierdurch übel zugerichtet war und den ihm der Mitangeklagte Franz zur Liquidierung im Lazarett übergeben hatte.

Diese Feststellungen beruhen auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten Miete, der erklärt hat, er habe auch solche Häftlinge im Lazarett erschossen, die von Barry schwer verletzt worden waren und die Franz anschliessend zur Erschiessung im Lazarett bestimmt hatte. Da Miete hierzu aber keine genauen Zahlen angeben kann, geht das Schwurgericht davon aus, dass dies wenigstens einmal geschehen ist.

3. Erschiessung eines Häftlings wegen eines Selbstmordversuchs auf Anordnung des Angeklagten Franz

Der Angeklagte Franz machte einem Häftling, der versucht hatte, durch das Aufschneiden von Pulsadern Selbstmord zu begehen, wegen dieses Selbstmordversuches und der daraus zu ersehenden Dummheit Vorwürfe. Dann übergab er ihn dem Angeklagten Miete zur Erschiessung. Da Miete keine Schusswaffe bei sich hatte, gab ihm Franz seine eigene Waffe. Miete führte den Mann ins Lazarett und erschoss ihn dort.

Der Angeklagte Miete stellt in Abrede, diesen Häftling im Lazarett getötet zu haben. Er wird aber durch die eidliche Aussage des durch das Amtsgericht in Tel Aviv / Israel ausführlich vernommenen Kaufmanns Do., der sich vom 21.September 1942 bis zum Aufstand am 2.August 1943 im Lager befunden hat, überführt. Da der Zeuge das deutsche Lagerpersonal zutreffend beschrieben und da er auch zutreffende Angaben zum allgemeinen Lagergeschehen gemacht hat, trägt das Schwurgericht keine Bedenken ihm auch insoweit zu folgen, als er bestimmte Einzeltaten schildert. Wenn auch der Zeuge der eigentlichen Tötung im Lazarett nicht beigewohnt hat, so kann man auch diese sicher feststellen; denn das Lazarett war eine perfekte Genickschussanlage, aus der niemand mehr lebendig herauskam, den Miete zum Erschiessen dorthin gebracht hatte. Darauf hat der Zeuge Do. bei der Darstellung des allgemeinen Verhaltens von Miete ausdrücklich hingewiesen.

4. Erschiessung eines Häftlings, den Franz zuvor durch einen Schuss aus einem Luftgewehr verletzt hatte

Einmal schoss der Angeklagte Franz mit einer Luftbüchse auf einen Häftling des unteren Lagers und verletzte ihn. Dann wandte er sich an Miete und sagte ihm, er solle den Verletzten ins Lazarett bringen. Der verletzte Häftling konnte noch zu Fuss ins Lazarett gehen, wo Miete ihn erschoss.

Der Angeklagte Miete, der die Tat bestreitet, wird durch die eidliche Aussage des glaubwürdigen Zeugen Do. überführt, der den von Franz verletzten und von Miete liquidierten Häftling, den er persönlich kannte, seit diesem Tage nie mehr im Lager sah.

5. Tötung eines jungen Arbeitsjuden bei der Ausführung von Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz

Als während der transportarmen Zeit des Jahres 1943 ein grösserer Teil der Häftlinge mit Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz beschäftigt war, sollte ein junger Mann gemeinsam mit einem anderen eine Sandkiste tragen. Er war aber so schwach, dass er die Kiste nicht hochheben konnte. Daraufhin schlugen drei bis vier SS-Leute, unter ihnen die Angeklagten Franz und Miete, mit ihren Peitschen so lange auf den Jungen ein, bis er zusammenbrach. Den am Boden Liegenden traten die beteiligten SS-Männer mit Füssen, bis er auf Anweisung von Franz ins Lazarett gebracht und dort erschossen wurde. Obwohl die Angeklagten Franz und Miete diesen Vorfall in Abrede stellen, ist er durch die glaubhafte eidliche Bekundung des 42 Jahre alten, in Warschau lebenden Metzgers Roj., der das Geschehen aus der Nähe beobachtet hat, erwiesen. Der Zeuge hat Franz und Miete sofort wiedererkannt. Er hat seine Aussage ruhig und bestimmt gemacht. Seine Schilderung von Einzelheiten des Lagerlebens stimmt in zahlreichen Punkten mit den Aussagen anderer Zeugen überein, die ausserhalb Polens leben und mit denen Roj. keinerlei Verbindung unterhält. Das Schwurgericht hat keine Bedenken, ihm zu glauben.

Durch seine Aussage ist zwar bewiesen, dass Miete mit Peitschenhieben und Fusstritten bei der Misshandlung des jungen Mannes mitgewirkt hat. Dagegen ist es nicht geklärt, ob er den Verletzten auch im Lazarett erschossen hat, da sich der Zeuge nicht mehr dessen sicher ist, ob Franz die Anordnung zum Erschiessen des jungen Mannes an Miete oder an einen anderen SS-Mann gegeben hat. Andererseits ist das Gericht aber davon überzeugt, dass Miete sich an der Misshandlung in dem Bewusstsein beteiligt hat, der so erheblich zusammengeschlagene junge Mann werde letzten Endes einen Gnadenschuss im Lazarett erhalten; denn Franz pflegte Häftlinge, die durch eine Misshandlung ihre Arbeitsfähigkeit eingebüsst hatten, nicht am Leben zu lassen, wie zahlreiche Zeugen, darunter der Ingenieur Gl., der Kaufmann Do. und der Klempner Oscar Stra., bekundet haben. Diese Einstellung des Franz war Miete genau bekannt, da er in mehreren anderen Fällen von Franz mit der Liquidierung verletzter Häftlinge beauftragt worden war.

6. Erschiessung des Jakob Galitzarski im Lazarett

Eines Tages ging der Angeklagte Miete an dem Arbeitsjuden Jakob Galitzarski vorbei und sagte zu ihm, dass er so schlecht aussehe. Dann nahm er ihn mit zum Lazarett und erschoss ihn dort.

Obwohl Miete diese Tat bestreitet, ist sie durch die eidliche Aussage des 58 Jahre alten Klempners Oscar Stra. aus Montreal erwiesen, der selbst miterlebt hat, wie Miete Galitzarski ansprach, ihn heraussuchte und ins Lazarett mitnahm. Nicht gesehen hat er dagegen die eigentliche Erschiessung im Lazarett. Er hat aber darauf hingewiesen, dass er den ihm persönlich bekannten Jakob Galitzarski seither niemals mehr im Lager gesehen hat. Das lässt den Schluss zu, dass Miete diesen Häftling auch tatsächlich getötet hat. Jedenfalls ist in der umfangreichen Beweisaufnahme kein Fall bekannt geworden, bei dem ein Häftling, den Miete zur Erschiessung ins Lazarett mitnahm, am Leben blieb.

Der Zeuge Oscar Stra. hat das deutsche Lagerpersonal, insbesondere auch den Angeklagten Miete und die Einrichtungen des Lagers richtig beschrieben. Er hat streng zwischen dem unterschieden, was er selbst beobachtet hat, und dem, was ihm von anderen Häftlingen erzählt worden ist. Da er seine ruhige und sachliche Bekundung mit dem Eide bekräftigt hat, bestehen keine Bedenken daran, ihm Glauben zu schenken.

7. Erschiessung eines jungen Arbeitsjuden, der seinen Onkel vor der Vergasung retten wollte

An einem Tage im Herbst des Jahres 1942 kam wieder einmal ein Transport im Vernichtungslager Treblinka an. Ein beim Sortierkommando beschäftigter junger Häftling bemerkte unter den Ankömmlingen seinen Onkel. Um ihn vor dem Gastod zu retten, forderte er ihn auf, zum Sortierkommando zu kommen und dort zu arbeiten. Als Miete das bemerkte, zog er seine Pistole und erschoss den Jungen direkt auf dem Sortierplatz.

Miete stellt diese Tat in Abrede. Dass er den Jungen erschossen hat, ist jedoch durch die eidliche Bekundung des 51 Jahre alten Frisörs Bom. aus New York erwiesen. Er hat diese Tötung aus nächster Nähe beobachtet. Den Angeklagten Miete hat er ohne Zögern als Krummkopf identifiziert. Da er in sachlicher Form ausgesagt, sich hierbei jeder Übertreibung enthalten und seine Bekundung mit dem Eide bekräftigt hat, bestehen keine Bedenken gegen seine Glaubwürdigkeit.

8. Die Erschiessung eines Häftlings wegen einer Handverletzung

Bei der Arbeit hatte sich eines Tages ein Häftling an der Hand verletzt. Als Miete das bemerkte, befahl er ihm, zum Lazarett mitzukommen. Als der Jude sich sträubte mitzukommen, prügelte Miete ihn so lange, bis er seinen Widerstand aufgab. Im Lazarett wurde er von Miete durch Genickschuss getötet. Obwohl Miete diese Tötung bestreitet, wird er durch die eidliche Bekundung des Zeugen Gl. überführt, der den Vorfall von Anfang an verfolgt und sogar die Erschiessung im Lazarett, in das er Papiere zum Verbrennen hinzubringen hatte, gesehen hat. Dass Gl. zuverlässig und glaubwürdig ist, wurde schon mehrfach dargelegt.

9. Erschiessung eines Häftlings, der in der Nähe der Lazarettgrube urinierte

An einem Tage musste ein Arbeitsjude Abfälle zum Verbrennen in die Lazarettgrube bringen. In der Nähe der Grube urinierte er im Stehen. Während er noch sein Bedürfnis verrichtete, trat Miete an ihn heran, zog seine Pistole und erschoss ihn. Wenn auch der Angeklagte Miete diese Tat in Abrede stellt, so ist sie durch die eidliche Bekundung des Büglers Rap. bewiesen, der die Tötung aus der Nähe beobachtet hat. Da er den Angeklagte Miete als Krummkopf wiedererkannt hat und auch bemüht gewesen ist, sachlich und objektiv zu berichten, kann man ihm vollauf Glauben schenken.

10. Erschiessung eines aus Czenstochau stammenden Häftlings mit dem Vornamen Abraham, weil er eine rohe Kartoffel ass

An einem Tage Ende 1942 oder Anfang 1943 arbeitete das Kartoffelkommando, dem damals auch der Zeuge Pla. angehörte, in dem aus 2 Mieten bestehenden Kartoffellager, das sich östlich der von den Ukrainern belegten Wohnbaracken in der Nähe des nördlichen Lagerzauns befand. Als Miete, der das Kommando in Vertretung des SS-Unterscharführers Möller befehligte, sah, dass ein aus Czenstochau stammender Häftling mit dem Vornamen Abraham eine rohe Kartoffel ass, winkte er ihn zu sich und erschoss ihn an Ort und Stelle, etwa 10 m von den Kartoffelmieten entfernt.

Trotz des Bestreitens von Miete sieht das Schwurgericht diese Tötung durch die eidliche Aussage des 48 Jahre alten Frisörs Pla. aus Herzlya in Israel als nachgewiesen an. Pla., der von Anfang Dezember 1942 bis Anfang April 1943 ebenfalls dem Kartoffelkommando zugeteilt war, hat die Erschiessung seines Kameraden Abraham aus nächster Nähe beobachtet. Er hat Miete sofort identifizieren können. Seine bedächtige und objektive Schilderung der Lagerereignisse lässt keinen Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit aufkommen.

11. Tötung eines aus Lodz stammenden Häftlings mit dem Vornamen Josek

Etwa einen Monat nach dem Tode des Czenstochauers mit dem Vornamen Abraham hatte Miete erneut vertretungsweise die Aufsicht über das Kartoffelkommando, dessen Angehörige mit dem Ausheben einer grossen Kartoffelmiete beschäftigt waren. Miete, der immer auf eine strenge Arbeitsdisziplin hielt, sagte zu einem aus Lodz stammenden Häftling mit dem Vornamen Josek, dass er schlecht arbeite. Er nahm ihn heraus und erschoss ihn in der Nähe des Kartoffellagers.

Miete stellt zwar auch diese Erschiessung in Abrede. Sie ist jedoch durch die glaubhafte eidliche Bekundung des Zeugen Pla. erwiesen, der die Tötung des Häftlings Josek ebenso aus der Nähe miterlebt hat, wie die Erschiessung eines ebenfalls zum Kartoffelkommando gehörenden Häftlings Abraham.

12. Der Tod des Kuba Steinowicz

Im Frühjahr 1943 arbeitete der Häftling Kuba Steinowicz, ein Vetter des Zeugen Tai., in der grossen Sortierbaracke. Da er durch Fieber geschwächt war, konnte er nicht so zügig arbeiten wie seine Kameraden. Dem Angeklagten Miete fiel das auf. Er sagte zu Steinowicz einfach: "Komm, komm!" Er nahm ihn mit ins Lazarett und erschoss ihn dort.

Obwohl Miete die eigenmächtige Erschiessung dieses Häftlings bestreitet, wird er durch die eidliche Bekundung des 42 Jahre alten Schlossers Tai. aus Tel Aviv überführt. Dieser Zeuge hat selbst erlebt, wie sein Vetter Kuba Steinowicz von Miete aus der Sortierbaracke zum Lazarett geführt wurde. Er hat schliesslich gehört, wie im Lazarett ein Schuss fiel und gesehen, wie Miete allein zurückkehrte. Da Tai. die Eigenheiten des Angeklagten Miete genau beschrieben, da er ihn prompt wiedererkannt und da er seine Aussage überlegt und sachlich gemacht hat, bestehen an seiner Glaubwürdigkeit keine Zweifel.

13. Die Erschiessung eines Häftlings, dem Miete zuvor die Häftlingsnummer heruntergerissen hatte

Der Angeklagte riss einem Arbeitsjuden, der ihm aus irgendeinem Grunde aufgefallen war, die Häftlingsnummer herunter und führte ihn dann, ohne sich zu erregen, ins Lazarett. Hier erschoss er ihn.

14. Der Tod des jungen Häftlings Geggler aus Kielce

Der 18 Jahre alte Arbeitsjude Geggler aus Kielce ging eines Tages zur Latrine im Auffanglager. Auf dem Wege dorthin fand er ein kleines Stück Brot, das er an sich nahm. Als Miete das sah, ging er ihm nach und schlug ihn mit der Peitsche ins Gesicht. Dann führte er ihn ins Lazarett und tötete ihn durch Genickschuss.

15. Die Tötung des Joel Weiss

Eines Tages nahm Miete den Häftling Joel Weiss zur Erschiessung ins Lazarett, ohne dass ein Grund für diese willkürliche Massnahme erkennbar war. Dort gab er ihm einen tödlichen Genickschuss.

Der Angeklagte Miete will mit den Erschiessungen des Häftlings, dem zuvor die Nummer heruntergerissen worden war, des Kielcer Geggler und des Joel Weiss nichts zu tun gehabt haben. Er wird jedoch dieser drei Taten durch die eidliche Bekundung des 62 Jahre alten Magazinverwalters Lak. aus Eiron/Israel überführt. Lak. hat in allen drei Fällen erlebt, wie Miete die von ihm eigenmächtig ausgesuchten Opfer ins Lazarett führte. Wenn er auch der Exekution selbst nicht beigewohnt hat, so besteht dennoch kein Zweifel daran, dass Miete die drei Männer auch getötet hat. Der Zeuge Lak. hat sie seither nie mehr gesehen. Zudem ist kein Fall bekannt geworden, bei dem Miete jemanden ins Lazarett
mitnahm, um dann - entgegen seiner ursprünglichen Absicht - von einer Erschiessung abzusehen. Lak. hat das Aussehen des Angeklagten Miete, seine Tätigkeit im Lager und seine charakteristischen Wesenszüge genau geschildert. Er hat Miete in der Hauptverhandlung sofort sicher identifiziert und ihn auch auf einem Lichtbild, das Miete in jüngeren Lebensjahren zeigt, wiedererkannt. Das Schwurgericht ist durch seine Aussage davon überzeugt, dass Miete den Mann, dem er die Häftlingsnummer abnahm, sowie die Häftlinge Geggler und Joel Weiss tötete.

16. Die Erschiessung eines Czenstochauers im Lazarett wegen der Nichtabtrennung eines Davidsterns

Die Mitglieder des roten Kommandos mussten die liegengebliebenen Kleidungsstücke der vergasten Opfer zusammentragen, nach Art und Güte ordnen und schliesslich in Bündel verpacken. Diese wurden, bevor man sie in die Güterwaggons einlud, kontrolliert. Man wollte insbesondere feststellen, ob die Judensterne abgetrennt waren. Da jeder Häftling die von ihm gepackten Bündel mit seiner Häftlingsnummer kennzeichnen musste, konnte der kontrollierende SS-Mann den für das betreffende Bündel verantwortlichen Häftling gleich ausfindig machen und zur Rechenschaft ziehen.

Als Miete an einem Tage im Oktober 1942 ein solches gepacktes Bündel kontrollierte, bemerkte er, dass an einem Kleidungsstück der Stern noch nicht entfernt war. Er winkte den hierfür verantwortlichen Häftling, der aus Czenstochau stammte, zu sich heran, führte ihn sogleich ins Lazarett und erschoss ihn dort.

17. Die Tötung eines weiteren aus Czenstochau stammenden Häftlings im Lazarett wegen der Nichtentfernung eines Judensterns

Einige Zeit nach dem in 16. geschilderten Fall, und zwar entweder im Oktober 1942 oder Anfang November 1942, stellte Miete erneut bei der Kontrolle fest, dass ein Häftling an einem Kleidungsstück den Stern belassen hatte. Es handelte sich auch hier um einen Czenstochauer. Miete führte ihn alsbald ins Lazarett und erschoss ihn mit seiner Pistole. Der Angeklagte Miete hat zwar zugegeben, einen Häftling, der das Abtrennen des Sterns vergass, auf dem Sortierplatz vor den Augen seiner Kameraden erschossen zu haben (vergleiche Abschnitt E.VI.2 des Zweiten Teiles der Gründe). Er bestreitet dagegen, zwei andere Häftlinge wegen des gleichen Versäumnisses im Lazarett getötet zu haben. Indessen ist durch die eidliche Aussage des 51 Jahre alten Mechanikers Tu. aus Bat Jam / Israel bewiesen, dass Miete noch in zwei weiteren Fällen Häftlinge wegen der Nichtabtrennung des Judensterns im Lazarett erschoss. Der Zeuge, der vom 5.Oktober 1942 an etwa 5 Wochen lang dem Sortierkommando angehörte, bevor er als Schlosser zu den Hofjuden kam, hat beide Selektionen aus der Nähe miterlebt und mit angesehen, wie die beiden Männer aus Czenstochau von Miete ins Lazarett gebracht wurden und von dort nicht mehr zurückkehrten, was nach dem Ergebnis der gesamten Beweisaufnahme den Schluss zulässt, dass Miete sie dort auch erschoss. Der Zeuge hat Miete ohne jedes Zögern als Krime Kepel und Schiefkopf identifiziert und ihn darüber hinaus auf einem ihm vorgelegten Lichtbild erkannt. Durch die sachliche, jede Übertreibung vermeidende Art und Weise seiner Bekundung zählt er mit zu den zuverlässigsten Zeugen dieses Verfahrens.

Das Schwurgericht hat keine Bedenken, aufgrund seiner Angaben die Erschiessung der zwei Czenstochauer Juden im Lazarett durch Miete als bewiesen anzunehmen. Das gilt um so mehr, als die Nichtabtrennung des Sterns, die der Zeuge in beiden Fällen als Grund für den Tod der zwei Häftlinge angegeben hat, damals in den Augen des Angeklagten Miete ein todeswürdiges Verbrechen darstellte (vergleiche die im Abschnitt E.VI.2. wiedergegebene Einlassung Mietes zu dieser Frage).

18. Die Selektion von mindestens zwei Typhuskranken und ihre Erschiessung im Lazarett

Wenn Franz und Küttner abwesend waren, nahm Miete gelegentlich die Appelle ab. Während eines Appells im Winter 1942/1943 suchte er allein mindestens zwei Typhuskranke heraus, die ihm durch ihre schwachen Arbeitsleistungen aufgefallen waren. Unter der Bewachung von Ukrainern liess er sie ins Lazarett bringen. Hier erschoss er sie entweder selbst oder liess sie durch einen Ukrainer erschiessen.

Der Angeklagte Miete bestreitet entschieden, bei einem Appell Kranke zur Erschiessung ausgewählt zu haben. Dass er jedoch nicht nur Kranke aus dem Krankenrevier (vergleiche E.VI.4.), sondern auch Kranke während eines Appells zur Tötung bestimmt hat, geht aus der eidlichen Aussage des 55 Jahre alten Bautechnikers Koh. aus Ramat Gan in Israel hervor. Der Zeuge war selbst dabei, als Miete die Selektion der Typhuskranken vornahm. Er weiss auch genau, dass es sich um mehrere Häftlinge gehandelt hat, die so zur Erschiessung bestimmt wurden. Da er sich jedoch an die genaue Anzahl der Selektierten nicht mehr zu erinnern vermag, geht das Schwurgericht zugunsten von Miete davon aus, dass es nur zwei Typhuskranke waren, die Miete eigenmächtig zur Erschiessung im Lazarett ausgesucht hat.

Der Zeuge Koh. hat Miete identifiziert und ihn auch auf einem Foto wiedererkannt. Seine sachliche Art, in der er seine an Einzelheiten reiche Aussage gemacht hat, und der Umstand, dass er jede übertreibende Ausschmückung vermieden hat, lassen auf seine Zuverlässigkeit schliessen. Das Schwurgericht hält ihn für vollauf glaubwürdig, und die von ihm geschilderte Selektion Typhuskranker beim Appell durch Miete für bewiesen.

19. Der Tod eines nachtblinden Silbersachensortierers

In der Zeit von Ende 1942 bis zum Frühjahr 1943 hatte der Zeuge Ku. die Aufgabe, in der Sortierbaracke Füllfederhalter zu ordnen und zu verpacken. Ihm gegenüber sass ein alter Häftling, der Silbersachen sortieren musste. Dieser Mann war nachtblind. Bei der im Winter früh einbrechenden Dunkelheit konnte er bei seiner Tätigkeit in der Sortierbaracke, die kein elektrisches Licht hatte, die einzelnen Silbergegenstände nicht genau erkennen.

Am Spätnachmittag eines Tages erschien Miete in der Sortierbaracke. Er wandte sich an den alten Mann und wollte von ihm etwas Bestimmtes aus der Kiste mit den Silbersachen haben. Da der alte Mann wegen der bereits herrschenden Dämmerung nicht mehr gut sehen konnte, gab er Miete etwas anderes, als dieser verlangt hatte. Daraufhin sagte Miete zu ihm: "Wenn Du blind bist, dann komm!" Er nahm den alten Mann mit ins Lazarett und erschoss ihn.

Miete bestreitet die Tat. Er wird aber durch die eidliche Aussage des 46 Jahre alten Schlossers Ku. aus Givataim in Israel überführt, der den Vorfall aus nächster Nähe miterlebt hat. Wenn er auch der eigentlichen Erschiessung nicht beigewohnt hat, so besteht dennoch kein Zweifel daran, dass Miete den Silbersachensortierer im Lazarett erschoss; denn es kam nie vor, dass ein Häftling lebend aus dem Lazarett zurückkehrte, den Miete dorthin gebracht hatte. Der Zeuge Ku. hat Miete sofort identifiziert und ihn auch auf einem Foto, das ihm vorgelegt worden ist, als Krummkopf wiedererkannt. Angesichts seiner präzisen und in ruhigem Ton vorgetragenen Bekundungen hat das Schwurgericht keine Bedenken, ihn für zuverlässig und glaubwürdig zu halten.

20. Die Selektion und Erschiessung eines kranken Pelzsortierers

Zum Sortieren von Pelzen in der Sortierbaracke wurden die kranken Häftlinge des roten Kommandos eingesetzt, da diese Arbeit zum grössten Teil im Sitzen verrichtet werden konnte. Auch deren Arbeitsleistung pflegte Miete ständig zu kontrollieren. Wenn ihm ein Pelzsortierer aufgrund seines Aussehens und seiner schwachen Arbeitsleistung zu krank erschien, so nahm er ihn mit zur Tötung im Lazarett. Mit Sicherheit ist das zumindest in einem Falle geschehen.

Der Angeklagte bestreitet auch hier, jemanden aus der Sortierbaracke zum Erschiessen ins Lazarett gebracht zu haben. Er wird aber durch die eidliche Bekundung des glaubwürdigen Zeugen Ku. überführt. Dieser Zeuge hat bei seiner Vernehmung lange über die Anzahl der von Miete zur Erschiessung bestimmten Pelzsortierer nachgedacht, aber schliesslich erklärt, es seien zwar mehrere Männer gewesen, eine genaue Zahl vermöge er jedoch nicht anzugeben. Zugunsten von Miete geht das Schwurgericht davon aus, dass er nur einen Pelzsortierer ausgewählt und im Lazarett erschossen hat.

21. Erschiessung von zwei in der Küche tätigen Arbeitsjuden im Lazarett

An einem Tage zwischen Mitte Dezember 1942 und Anfang März 1943 führte Miete zwei Häftlinge, die in der jüdischen Küche gearbeitet hatten und die beide älter als 20 Jahre waren, durch das Gelände des unteren Lagers zum Lazarett. Einer der beiden Männer weinte bitterlich. Im Lazarett wurden die beiden von Miete erschossen. Mag Miete auch diesen Vorfall bestreiten, so ist er doch durch die eidliche Bekundung der 42 Jahre alten Büroangestellten Lew. erwiesen. Die Zeugin hat selbst gesehen, wie Miete die beiden Häftlinge zum Lazarett führte und wie einer von ihnen weinte. Sie hat dann durch Rückfragen bei den anderen weiblichen Häftlingen erfahren, dass diese beiden Männer in der jüdischen Küche gearbeitet hatten.

Die Zeugin, die über ein verblüffend gutes Gedächtnis verfügt, hat Miete persönlich und auf einem Foto spontan wiedererkannt. Was sie an Einzelheiten über das untere Lager und das Totenlager angab - sie befand sich zunächst im unteren Lager und ab 5.März 1943 im Totenlager -, hat sogar die uneingeschränkte Zustimmung der meisten Angeklagten, darunter des Angeklagten Suchomel für das untere Lager, und des Angeklagten H. für das obere Lager, gefunden. Aufgrund ihrer Aussage bestehen keine Bedenken, die Erschiessung von zwei in der Küche tätigen Juden im Lazarett durch Miete als bewiesen anzusehen.

22. Die Erschiessung eines zum Holzfällerkommando gehörenden Arbeitsjuden im Lazarett

Einmal sägte die aus 6 bis 8 Mann bestehende Holzfällergruppe Holz. Miete kam hinzu, winkte einen der Männer zu sich, führte ihn ins Lazarett und erschoss ihn dort. Trotz seines Bestreitens ist diese Tat des Angeklagten Miete durch die eidliche Aussage des 61 Jahre alten Kaufmanns Do. erwiesen, der damals, als Miete den Mann zum Lazarett abführte, auch beim Holzsägen tätig war und der deshalb diese Selektion aus der Nähe beobachten konnte. Der Zeuge Do. wohnte zwar der Erschiessung im Lazarett nicht bei, sah aber den abgeführten Mann nie mehr. Er hat seiner Bekundung hinzugefügt: "Ich kenne keinen Menschen, der von Miete ins Lazarett mitgenommen wurde und noch mal zurückkehrte." Diesen Erfahrungssatz kann man auch auf das Schicksal des von Miete zum Lazarett gebrachten Mitglieds des Holzsägekommandos anwenden. Es steht somit fest, dass Miete ihn im Lazarett erschoss.

Der Zeuge Do. hat das deutsche Lagerpersonal, die Einrichtungen des Lagers und zahlreiche Einzelfälle so präzise und unter Vermeidung jeder Übertreibung geschildert, dass man seiner umfangreichen Aussage, deren Richtigkeit er überdies beschworen hat, Glauben schenken kann.

23. Erschiessung eines jungen Häftlings, der eine Dose Ölsardinen gefunden und geöffnet hatte, und seines Vaters

An einem Tage Ende 1942 oder Anfang 1943 arbeiteten ein junger Häftling und dessen Vater in der Sortierbaracke. Der junge Mann fand in der Baracke eine Dose Ölsardinen, die er sogleich öffnete. Als Miete das entdeckte, schlug er auf den Jungen mit der Peitsche ein und nahm ihn mit ins Lazarett. Das sah der Vater des Jungen. Er lief zu Miete und flehte ihn um das Leben seines Sohnes an. Das missfiel Miete. Er befahl dem Vater, mit seinem Sohn zum Lazarett mitzukommen. Hier wurden beide von Miete erschossen.

Miete bestreitet diesen Vorgang, er wird aber durch die eidliche Aussage des 48 Jahre alten Schneiders Lac. aus Washington im Staate New York / USA überführt. Lac. hat alles bis auf die eigentliche Erschiessung im Lazarett mitterlebt. Wenn Miete aber Häftlinge zum Erschiessen ins Lazarett brachte, dann steht auch fest, dass er sie dort liquidiert hat. So muss es auch hier gewesen sein, da der Zeuge den Sohn, der die Ölsardinen fand und öffnete, und seinen Vater seit diesem Tage niemals mehr im Lager gesehen hat.

Der Zeuge Lac. hat Miete sofort als Krummkopf identifiziert und ihn auch auf einem Foto wiedererkannt. Seine richtige Schilderung der Lagerorganisation, seine richtige Charakterisierung des deutschen Personals und seine exakte Schilderung von Einzelfällen haben das Schwurgericht von der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen überzeugt.

VIII. Nicht erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Das Erschlagen eines Häftlings, der den SS-Unterscharführer Max Biala mit einem Messer getötet hatte

Dem Angeklagten Miete wird zur Last gelegt, den jüdischen Häftling, der Anfang September 1942 dem SS-Unterscharführer Max Biala tödliche Stichverletzungen mit einem Messer beigebracht hatte, gemeinsam mit einem Ukrainer durch Spatenschläge getötet zu haben. Er bestreitet das und gibt an, der Attentäter sei nicht von ihm, sondern von dem deutschen SS-Mann Erwin Stengel und einem Ukrainer mit einem Gewehrkolben und einem Spaten totgeschlagen worden. Seine Einlassung ist nicht zu widerlegen; denn die drei eidlich gehörten Zeugen Au., Tai. und Ros., die das Geschehen um den Tod von Max Biala zuverlässig geschildert haben, erinnern sich wohl daran, dass der Attentäter sogleich mit einem Spaten erschlagen worden ist, sie wissen aber nicht mehr genau, welcher Deutscher oder Ukrainer das getan hat. Auch andere Zeugen haben hier keine Klärung gebracht.

2. Die Erschiessung des Goldjuden Stern im Lazarett

Die Anklage macht Miete den Vorwurf, er habe einen jungen jüdischen Häftling aus Warschau, in dessen Besitz Geld gefunden worden sei und der sich Franz gegenüber geweigert habe, eventuelle Komplizen zu nennen, auf Anordnung von Franz im Lazarett erschossen.

Die Beweisaufnahme (vergleiche A.VI.15. und A.VII.8. des Zweiten Teiles der Gründe) hat ergeben, dass mit dem jungen jüdischen Häftling der Goldjude Stern gemeint ist. Die eidlich vernommenen Zeugen Gl., Tai., Ku., Koh., Sed. und Lew. haben zwar erklärt, dass der bis zur völligen Unkenntlichkeit misshandelte Stern schliesslich auf Anordnung von Franz ins Lazarett gebracht worden sei und dort einen Gnadenschuss erhalten habe. Allerdings vermochten sie alle nicht mit Sicherheit zu sagen, ob Miete oder ob ein anderer SS-Mann diesen Befehl von Franz ausführte. Es bleibt somit offen, ob Miete im Falle des Goldjuden Stern überhaupt beteiligt war. Ausserdem ist es nicht ausgeschlossen, dass Stern bereits durch die barbarischen Misshandlungen, die ihm Franz und Küttner zugefügt hatten, den Tod erlitt. Jedenfalls ist Miete aufgrund dieser beiden Umstände einer Beteiligung an der Tötung des Goldjuden Stern nicht zu überführen.

3. Der Tod des Hans Burg, der auf dem Sortierplatz Erdarbeiten verrichtete

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, einen mit Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz beschäftigten jungen Häftling auf Anordnung des Mitangeklagten Franz im Lazarett durch Genickschuss getötet zu haben. Wie bereits in A.VI.6 ausgeführt worden ist, handelt es sich bei dem jungen Häftling um den sechzehn Jahre alten Hans Burg, der sich nach einem eben überstandenen Fleckfieber bei Planierungsarbeiten auf dem Sortierplatz ungeschickt anstellte und deshalb von dem Angeklagten Franz mit einem Spaten so schwer auf den Kopf geschlagen wurde, dass er blutend zusammenbrach. Der vereidigte Zeuge Gl., der diesen Vorfall aus der Nähe beobachten konnte, hat bei seiner Vernehmung erklärt, dass Miete den jungen Hans Burg anschliessend auf Anordnung von Franz ins Lazarett geschafft und ihm hier den Gnadenschuss gegeben habe. Gl. hat jedoch hinzugefügt, dass seiner Meinung nach Hans Burg bereits durch den mit voller Wucht geführten Schlag mit dem Spaten tot gewesen sei, obwohl er das nicht mit Sicherheit sagen könne. Bleibt es aber offen, ob Burg noch lebte oder ob er bereits tot war, als Miete ihn ins Lazarett brachte, dann ist dem Angeklagten diese Tat nicht nachzuweisen.

4. Erschiessung eines bei der Beladung von Güterwaggons von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett

Nach der Anklage soll Miete einen Häftling im Lazarett erschossen haben, der eines Abends bei der Beladung eines Güterzuges mit Textilien von dem Hund Barry des Angeklagten Franz gebissen worden war. Der Angeklagte Miete hat zwar - nach langem Zögern - glaubhaft eingestanden, auf Anordnung seines Vorgesetzten Franz auch solche Häftlinge im Lazarett getötet zu haben, die von Barry angefallen worden waren. Er hat jedoch weiter gesagt, er sei nicht imstande, einzelne solcher Fälle zu präzisieren, insbesondere könne er sich auch nicht daran erinnern, ob möglicherweise ein Häftling darunter gewesen sei, den Barry während der Beladung eines Güterzuges mit Textilien gebissen habe. Der hierzu vernommene Zeuge Gl. bestätigt zwar, dass Franz während der in der Dunkelheit erfolgten Beladung eines Güterzuges im Jahre 1942 seinen Hund Barry auf einen hierbei arbeitenden Häftling hetzte, dass Barry diesen Häftling ins Geschlechtsteil biss und dass dieser Verletzte dann auf Geheiss des Angeklagten Franz ins Lazarett gebracht und dort erschossen wurde. Gl. vermag sich aber nicht mit Sicherheit daran zu erinnern, ob Miete oder ein anderer SS-Mann den Verletzten ins Lazarett brachte und dort erschoss. Wenn auch Miete zugibt, von Barry gebissene Häftlinge im Lazarett liquidiert zu haben, so bleibt trotzdem die Möglichkeit offen, dass in diesem von Gl. geschilderten besonderen Fall einer der anderen für das Lazarett eingeteilten SS-Männer die Exekution vorgenommen hat. Obwohl auf der Person des Angeklagten Miete nach wie vor ein erheblicher Tatverdacht lastet, ist er in diesem Falle nicht zu überführen.

5. Die Erschiessung zweier mit dem Kopf nach unten aufgehängter Häftlinge

Gegen den Angeklagten Miete wird weiter der Vorwurf erhoben, er habe zwei Häftlinge, die wegen eines Fluchtversuchs im unteren Lager an einem Galgen mit dem Kopf nach unten aufgehängt worden seien, durch Schüsse aus seiner Pistole getötet. Miete gibt an, dass einige Erhängungen auf normale Art, also am Halse und mit dem Kopf nach oben, auf dem Sortierplatz vorgekommen seien, dass er aber mit ihnen nichts zu tun gehabt habe. In der Hauptverhandlung sind eine ganze Reihe von Erhängungen im unteren Lager erörtert worden, bei denen entweder ein Häftling oder zwei Juden oder drei Personen aufgehängt worden sind. Da dem Angeklagten Miete nicht der Vorwurf gemacht wird, bei der Erhängung von einer Person oder von drei Personen beteiligt gewesen zu sein, können diese Fälle ausser Betracht bleiben.

Von den in der Hauptverhandlung erörterten Erhängungen von je zwei Personen lässt sich jedoch nur eine konkretisieren, nämlich die Erhängung des Czenstochauers Langner und seines namentlich nicht bekannten Kameraden. Dass diese beiden Männer längere Zeit am Galgen hingen und dass sie schliesslich durch Kopfschüsse getötet wurden, ist durch die eidlichen Aussagen der Zeugen Au., Bom., Rap., Koh., Ku., Bu., Sed., Wei., Tai. und Sp. bewiesen. Während diese Zeugen also das Kerngeschehen nahezu übereinstimmend schildern, so weichen ihre Aussagen doch da erheblich voneinander ab, wo es um die Anwesenheit und die Mitwirkung der einzelnen deutschen SS-Männer bei der Erhängung des Langner und seines Kameraden geht. Hier interessiert insbesondere die Frage, ob Miete den beiden Aufgehängten die Gnadenschüsse gegeben hat oder nicht. Während sich der Zeuge Sed. nicht mehr an die Person des Schützen erinnert, hält der Zeuge Tai. den SS-Unterscharführer Hirtreiter für den Vollstrecker. Die Zeugen Au., Bom., Rap., Wei. und Koh. glauben sich daran zu erinnern, dass Franz die zwei Schüsse abgegeben habe, während der Zeuge Bu. meint, Mitglieder der ukrainischen Wachmannschaften hätten die Schüsse abgefeuert. Der Zeuge Sp. wiederum hält es für möglich, dass entweder Franz oder Miete geschossen hat. Nur der Zeuge Ku. gibt an, Miete habe die beiden hängenden Männer durch Pistolenschüsse getötet. Unter diesen Umständen lassen sich bestimmte Feststellungen über die Person des Schützen nicht treffen. Auch über eine etwaige sonstige Mitwirkung des Angeklagten Miete bei der Erhängung des Häftlings Langner und seines Kameraden ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme keine Klarheit zu gewinnen.

IX. Die innere Einstellung des Angeklagten Miete zu seinem Einsatz in Treblinka

Dem Angeklagten Miete war bekannt, dass den mit den Transporten angekommenen Juden zunächst in kurzen Ansprachen, später durch Schilder in deutscher und polnischer Sprache vorgespiegelt wurde, sie würden gebadet und schliesslich zu neuen Arbeitsplätzen weitertransportiert werden, während sie in Wirklichkeit in den Gaskammern, zu Hunderten eng aneinandergepresst, eines qualvollen Todes sterben mussten. Er wusste auch, dass alte und kranke Ankömmlinge sich willig ins Lazarett führen liessen, weil man ihnen der Wahrheit zuwider erklärte, sie würden dort ärztlich behandelt werden, obwohl von Anfang an geplant war, sie in der Weise zu erschiessen, dass sie während der Tötung die in der Grube brennenden Leichen vor Augen hatten. Miete war sich dessen bewusst, dass die Tötung der Juden gegen das Recht, gegen die Religion und gegen die Sittlichkeit verstiess. Trotzdem machte er sich den unter anderem von Hitler, Göring, Himmler, Globocnik und Wirth ausgearbeiteten Plan zur Vernichtung der nach Treblinka gebrachten Juden und Zigeuner aus Hass gegen diese in seinen Augen rassisch minderwertigen Menschen und aus Freude am Töten derart zu eigen, dass er nicht nur die ihm von seinen Vorgesetzten übertragenen Aufgaben (Dienst im Lazarett, Aufsicht über das Sortierkommando und andere Arbeitskommandos) eifrig ausführte, sondern darüber hinaus auch viele Arbeitshäftlinge ohne jeden Anlass oder wegen geringer Verstösse gegen die Lagerordnung tötete oder durch andere töten liess, obwohl das nicht von seinen Vorgesetzten angeordnet worden war.

Vor seinem Einsatz in Treblinka hatte Miete keine Machtbefugnisse. Bis 1940 musste er den väterlichen Hof und die Mühle gemeinsam mit seinem Bruder bewirtschaften. Selbständige Entscheidungen blieben ihm hier versagt. Auch bei seiner Arbeit in den Heil- und Pflegeanstalten in Grafeneck und Hadamar blieb er Weisungen unterworfen. In Treblinka dagegen hatte er wohl auch Vorgesetzte, die ihm Befehl erteilen konnten, jedoch verblieb ihm selbst ein grosser Spielraum zur eigenen Machtentfaltung. Konnte er doch eigenmächtig Arbeitsjuden töten, ohne jemanden um Erlaubnis hierzu fragen zu müssen. Es bot sich für ihn somit eine gute Gelegenheit, Minderwertigkeitskomplexen wirksam zu begegnen und seinen Arbeitshäftlingen zu demonstrieren, dass auch er trotz seines niederen Dienstgrades ein Mann von Macht und Einfluss war. Hinzu kommt, dass er seinen starken sadistischen Neigungen nachgehen konnte; denn er genoss jede Tötung eines Juden und zeigte sich nach jeder Exekution sehr befriedigt. Da er sich aufgrund dessen im Vernichtungslager Treblinka wohlfühlte, unternahm er keinen Versuch, aus Treblinka versetzt zu werden. Weil er die Vernichtungsaktion vollauf billigte und weil er für ihre rasche und gründliche Durchführung Sorge tragen wollte, kam für ihn auch weder eine Befehlsumgehung noch eine Befehlsverweigerung in Betracht. Im Gegenteil tat er sogar mehr, als ihm befohlen war.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Miete sowie auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Gl., Sed., Au., Raj., Oscar Stra., Zygmund Stra., Ja., Bom., Rap., Pla., Sz., Tai., Lak., Tu., Koh., Ku., Lew., Roj., Wei., Zi., Kols., Br., Do. und Bu.

Der Angeklagte lässt sich wie folgt ein:

Er habe niemanden zu fragen brauchen, um irgendeinen Häftling zu erschiessen. Allerdings habe er von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht, sondern immer nur auf Befehl gehandelt. Er habe geglaubt, diese Befehle seiner Vorgesetzten ausführen zu müssen, weil sie letzten Endes auf Hitler zurückgingen. Er habe sich aus Treblinka deshalb nicht weggemeldet, weil das zwecklos gewesen sei. Der für seine Grobheit bekannte Lagerinspekteur Christian Wirth hätte einem Versetzungsgesuch ja doch nicht stattgegeben.

An dieser Einlassung des Angeklagten ist richtig, dass er nichts unternommen hat, um von Treblinka versetzt zu werden, und dass er mehrfach Juden auf Befehl von Vorgesetzten getötet hat. Unrichtig ist jedoch, dass er niemals eigenmächtig Häftlinge erschossen haben will, wie aus den Feststellungen in den Abschnitten E.VI. und E.VII. hervorgeht. Dort sind zahlreiche Erschiessungen von Arbeitsjuden aufgeführt, die Miete aus eigenem Entschluss heraus begangen hat.

Aus den Bekundungen der eingangs erwähnten Zeugen ergibt sich, dass Miete seine Geschäfte in Treblinka mit einem besonderen Eifer durchführte. Er achtete mit einer kaum zu überbietenden Genauigkeit darauf, dass jeder Mann des Sortierkommandos schnell und genau arbeitete, wie unter anderem die Zeugen Gl. Au., Ja., Tai., Tu., Rap. und Ku. betont haben. Durch diese Zeugen ist auch erwiesen, dass Miete aus Sadismus heraus tötete. So hat der glaubwürdige Zeuge Au. beobachtet, dass Miete häufig vor Exekutionen der Speichel aus den Mundwinkeln heraustrat, und zwar so ähnlich wie bei einem Feinschmecker, der sich auf eine Schlemmermahlzeit freut. Die Zeugen Au., Gl., Tai., Tu., Rap., und Ku. haben glaubhaft dargetan, dass sich die undurchdringlichen Gesichtszüge des Angeklagten Miete aufhellten und einem Ausdruck grosser Zufriedenheit wichen, sobald er von einer Exekution im Lazarett wieder zum Sortierplatz zurückkehrte. Das alles lässt den Schluss zu, dass Miete aus sadistischen Neigungen tötete und dass ihm deshalb sein Handwerk in Treblinka gut gefiel.

F. Der Angeklagte Suchomel

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 3.Dezember 1907 in Krumau an der Moldau (Tschechoslowakei) als Sohn eines Schneidermeisters geborene Angeklagte Franz Suchomel besuchte in Krumau fünf Jahre lang die Volksschule und drei Jahre lang die Bürgerschule. Anschliessend erlernte er bei seinem Vater das Schneiderhandwerk.

Vom Herbst 1927 bis zum Frühjahr 1929 genügte er seiner Militärdienstpflicht beim tschechoslowakischen Militär. Er arbeitete nach seiner Entlassung als Gehilfe in der Schneiderwerkstatt seines Vaters und übernahm sie im Jahre 1936. Zwei Jahre später gliederte er ihr ein neu eröffnetes Ladenlokal an.

Im März 1940 wurde er zur Wehrmacht, und zwar zum 131. Infanterieregiment in Engerau bei Pressburg einberufen. Von dort kam er zu einer Landesschützeneinheit nach Hainburg an der Donau und später nach Bruck an der Leitha. Er wurde zum Gefreiten befördert, jedoch schon im November 1940 nach Haus entlassen, weil er in seinem Betrieb, der zu dieser Zeit insbesondere Uniformen herstellte, dringend benötigt wurde. Bis zum Frühjahr 1941 blieb er zu Haus. Anfang März 1941 wurde er telegrafisch zur Kanzlei des Führers auf der Tiergartenstrasse 4 in Berlin bestellt. Er meldete sich hier bei dem Personalsachbearbeiter O., der ihn über die von der Kanzlei des Führers gesteuerte Euthanasieaktion aufklärte. Schliesslich musste Suchomel ein aus mehreren Artikeln bestehendes Schriftstück unterzeichnen. Mit seiner Unterschrift verpflichtete er sich insbesondere zur Geheimhaltung. Suchomel arbeitete dann in der Fotoabteilung der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege. Er musste hier Fotos und andere Unterlagen über Geisteskranke in Akten einordnen. Von Ende März 1942 bis Anfang Juli 1942 wurde er zur Heil- und Pflegeanstalt in Hadamar bei Limburg abgeordnet, wo er ebenfalls mit der Sortierung und Einordnung von Unterlagen und Fotos über Geisteskranke beschäftigt war. Im Juli 1942 kehrte er für kurze Zeit zur Dienststelle T4 in Berlin zurück.

Im August 1942 wurde er mit mehreren Kameraden, darunter dem Mitangeklagten Matthes, zur Dienststelle des SS- und Polizeiführers in Lublin in Marsch gesetzt. In einer Lubliner SS-Kaserne wurde er als SS-Unterscharführer eingekleidet. Am nächsten Tage fuhr er mit seinen Kameraden über Warschau nach Treblinka. Das war Ende August 1942, als Dr. Eberl noch das Kommando über das Lager hatte. In Treblinka blieb Suchomel bis Ende Oktober 1942.

Ende Oktober 1942 wurde er von Treblinka zum Vernichtungslager Sobibor versetzt, in dem am 14.Oktober 1942 ein Häftlingsaufstand stattgefunden hatte. In Sobibor musste sich Suchomel unter anderem um den Nachlass von vier beim Aufstand getöteten SS-Männern kümmern. Ende November 1943 verliess er Sobibor und fuhr mit einem auf 30 Tage lautenden Heimaturlaubsschein nach Krumau.

Kurz vor Weihnachten 1943, noch bevor der dreissigtägige Urlaub verstrichen war, wurde er telegrafisch zur Dienststelle T4 nach Berlin bestellt. Hier wurde er in Zivilkleidung mit mehreren Kameraden unter Führung des SS-Hauptsturmführers Hering nach Triest in Marsch gesetzt. Er kam nach Udine zur Einheit R 3 (Einheit Reinhard 3). Er wurde als Polizist eingekleidet und bei der Erfassung, der Beschlagnahme und der Verwaltung jüdischen Grundbesitzes beschäftigt. Zeitweise kam er auch zum Partisaneneinsatz. Von Udine aus wurde er vorübergehend zu einer Einheit in Turin versetzt, um jedoch alsbald wieder zu seiner Dienststelle in Udine zurückzukehren.

Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er jedoch schon im Sommer 1945 wieder entlassen wurde. Er ging zunächst nach Weiden in der Oberpfalz, machte sich aber bald in Altötting in Oberbayern sesshaft. Hier lebte er bis zu seiner Verhaftung im Juli 1963 als selbständiger Schneidermeister.

Der Angeklagte ist seit dem 10.Februar 1939 verheiratet. Er ist Vater eines Sohnes und zweier Töchter, von denen sich eine bereits vermählt hat.

Suchomel, der einem christlichen Elternhaus entstammt, ist praktizierender Katholik. Er will immer, auch zur Zeit des Nationalsozialismus, ein treues Glied der römisch-katholischen Kirche gewesen sein. Als passionierter Amateurmusiker gehörte er bis zu seiner Verhaftung fünf Laienorchestern und dem Kirchenchor seiner Pfarrgemeinde an.

Im Jahre 1938 war er der Sudetendeutschen Partei beigetreten. Nach dem Anschluss des Sudetenlandes an das Reich wurde er Mitglied des NSKK, nicht aber der NSDAP. Im Entnazifizierungsverfahren wurde gegen ihn eine Busse von 10.- DM verhängt. Diese Feststellungen beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angeklagten Suchomel.

II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka

Das Verhalten des Angeklagten Suchomel in Treblinka bietet ein zwiespältiges Bild, je nachdem, ob man seine Tätigkeit bei den Transportabfertigungen oder sein Aufgabengebiet ausserhalb der Massentötungen ins Auge fasst.

1. Sein Verhalten bei der Abfertigung von Transporten

Suchomel traf im Lager Treblinka ein, als noch der ehrgeizige Dr. Irmfried Eberl dessen Kommandant war. Unter Dr. Eberl arbeitete er etwa zwei bis drei Wochen lang. Da zu dieser Zeit mehr Transporte mit Juden ankamen, als das Lager aufnehmen und fristgerecht abfertigen konnte, war der Arbeitsanfall besonders gross. Damals mussten alle deutschen SS-Leute des unteren Lagers, auch Suchomel, zur Bahnhofsrampe kommen, wenn Umsiedlerzüge eintrafen. In der Zeit des Kommandanten Stangl dagegen war Suchomel nur gelegentlich am Bahnsteig anzutreffen, wenn in Zeiten verstärkter Eingänge von Judentransporten alle Männer gebraucht wurden. Bei diesen Gelegenheiten benahm er sich unter den Augen seiner Vorgesetzten genauso wie seine Kameraden. Er schlug mit seiner Peitsche auf die eben eingetroffenen Juden ein und scheute sich auch nicht, mit seiner Maschinenpistole oder Pistole in die Menge zu schiessen, wenn das zur Aufrechterhaltung eines geordneten Ablaufs der Massentötungen erforderlich war. Mit besonderer Vorliebe nahm er sich der jüdischen Frauen an, die er nach ihrer Absonderung von den Männern mit den hämischen Worten: "Weiberchen, schnell, schnell, das Wasser wird kalt!" zur Eile antrieb. Das tat er sowohl auf dem Wege der Frauen zur Auskleidebaracke wie auch nach ihrer Entkleidung auf dem Wege von dieser Baracke zur Himmelfahrtsallee und in die Gaskammern.

In mindestens zwei Fällen führte er auch eben eingetroffene und zur Massenvernichtung bestimmte Frauen zur Erschiessung ins Lazarett.

In der Hauptsache war er jedoch, wenn Transporte eintrafen, mit der Erfassung von Geld, Gold, Schmuck und anderen Wertsachen beschäftigt. Das speziell für diese Arbeit zusammengestellte Kommando der Goldjuden, das aus 10 bis 12 Männern bestand, wurde zunächst von dem deutschen SS-Mann Lindenmüller geführt. Sein Stellvertreter war Suchomel. Nachdem Lindenmüller Anfang 1943 aus Treblinka versetzt worden war, rückte Suchomel zum Chef der Goldjuden auf. Er achtete streng darauf, dass alle Werte restlos erfasst und abgeliefert wurden und dass die von seinem Vorgänger Lindenmüller eingeführte Nachschau der unteren Geschlechtsteile der entkleideten Jüdinnen nach
verborgenen Wertsachen durchgeführt wurde. In einzelnen Fällen mussten sich die nackten Jüdinnen sogar hinsetzen, ihre Beine breitmachen und eine Untersuchung ihrer Scheide nach verstecktem Schmuck in Kauf nehmen. Allerdings beteiligte sich Suchomel an diesen häufig in seiner Gegenwart durchgeführten Massnahmen seiner Goldjuden nicht persönlich. Er unternahm aber nichts, um diese von Lindenmüller eingeführte Neuerung abzustellen, obwohl das ohne weiteres in seiner Macht stand. In der Frauenauskleidebaracke wandten sich manchmal bereits ausgezogene Jüdinnen in ihrer Verzweiflung an den Angeklagten Suchomel, um zu erfahren, was das alles zu bedeuten habe und was ihnen nun bevorstehe. Suchomel pflegte dann den Frauen zu sagen, sie sollten sich gar keine Sorgen machen, da sie nur baden würden, dass ihnen dann alles wiedergegeben werden würde, was man ihnen abgenommen habe, und dass sie dann zu einer Arbeit eingeteilt werden würden. Ab und zu gab er den nackten Frauen Handtücher mit dem Bemerken, nach dem Bad könnten sie diese Tücher gut zum Abtrocknen gebrauchen.

In zwei Fällen bemühte sich Suchomel um die Rettung von angekommenen Juden vor der Vergasung, und zwar einmal mit Erfolg und einmal ohne Erfolg.

Am 18.Januar 1943 kam die damals 20 Jahre alte Zeugin Zu., geborene Tep., mit einem Transport aus dem Warschauer Ghetto in Treblinka an. Ein beim blauen Kommando tätiger junger Häftling mit dem Vornamen Marek, der ebenfalls aus Warschau stammte und dort mit der Schwester der Zeugin befreundet gewesen war, bat Suchomel darum, die Zeugin zu retten. Suchomel verwandte sich beim Lagerkommandanten Stangl für die Zeugin. Er konnte sie mit seiner Zustimmung vor dem Tode bewahren und sie als Schneiderin in der Schneiderwerkstätte des unteren Lagers einsetzen. Mit einem Transport aus der Tschechoslowakei kamen der aus Krumau stammende jüdische Jurist Dr. Rubin, ein Schulfreund Suchomels, und seine Ehefrau in Treblinka an. Als Suchomel ihm bemerkte, ging er auf ihn zu und sagte ihm, er könne ihn für ein Arbeitskommando vorschlagen und dadurch vor dem Gastod retten. Als Dr. Rubin jedoch von Suchomel weiter erfahren musste, dass eine Rettung seiner Ehefrau nicht möglich sei, lehnte er Suchomels Vorschlag ab und ging mit seiner Frau den Weg zu den Gaskammern.

Diese Feststellungen ergeben sich aus der Einlassung des Angeklagten Suchomel, soweit man ihr folgen kann, und aus den eidlichen Behauptungen der Zeugen Gl., Tu., Kols., Oscar Stra., Do., Lak., Tai., Koh., Sed. und Su.

Der Angeklagte Suchomel räumt diese Feststellungen mit folgenden Einschränkungen ein.

In den wenigen Fällen, wo er an der Rampe zu finden gewesen sei, habe er weder auf die ankommenden Häftlinge mit seiner Peitsche eingeschlagen noch in die Menge geschossen. Er habe auch nicht die Jüdinnen mit dem Zuruf: "Weiberchen, schnell, schnell, das Wasser wird kalt!" zur Eile angetrieben. Vor allen Dingen habe er niemals Frauen zum Erschiessen ins Lazarett geführt.

Es könne auch keine Rede davon sein, dass er bei der Werterfassung einen besonderen Eifer entwickelt habe. Wohl habe er ordentlich und nicht schlampig gearbeitet, da er bei dem Einsammeln, dem Ordnen und Registrieren der Wertobjekte eine besonders hohe Verantwortung gehabt habe. Es habe ihn zwar sehr angewidert, dass seine Goldjuden in vereinzelten Fällen die Genitalien der nackten Jüdinnen nach verborgenem Schmuck abgesucht hätten. Nachdem diese Regelung aber nun einmal von seinem Vorgänger Lindenmüller getroffen worden sei, habe er keine Veranlassung gehabt, sie wieder abzuschaffen. Wenn sich 300 bis 400 Frauen gleichzeitig in der Frauenauskleidebaracke auszogen, habe er sich sofort in die Kasse begeben, die sich nur anfangs ausserhalb, später innerhalb der Baracke befunden habe. Zur Kasse hätten die Goldjuden die gesammelten Wertstücke hinbringen müssen. Es sei vorgekommen, dass er den Jüdinnen, die nackt zum Schlauch gehen mussten, manchmal ein Handtuch gegeben und ihnen gesagt habe, sie könnten es nach dem Bad gut gebrauchen. Das habe er nur aus Mitleid getan, um den bedauernswerten Frauen ihren letzten Gang zu erleichtern.

Diese Einlassung des Angeklagten, mit der er sein Verhalten bei den Transportabfertigungen in ein günstigeres Licht zu rücken versucht, wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme im wesentlichen widerlegt.

Zwar ist es richtig, dass Suchomel nach der Ablösung des Kommandanten Dr. Eberl nur noch selten an der Rampe war, da er sich als Chef beziehungsweise stellvertretender Chef der Goldjuden vorwiegend in der Frauenauskleidebaracke, in der sich die Kasse befand, aufhalten musste; wenn er aber am Bahnsteig war, dann schlug auch er mit seiner Peitsche auf die eingetroffenen Juden ein, wie die Zeugen Gl., Oscar Stra., Tai., Lak., Do., Tu., Koh. und Kols., die sämtlich vereidigt worden sind, glaubhaft bezeugen. Dass Suchomel in einigen Fällen hierbei auch auf die Masse der ankommenden Juden geschossen hat, geht aus den eidlichen Aussagen der glaubwürdigen Zeugen Tu. und Tai. hervor. Tu. hat Suchomel einmal bei einer Transportabfertigung schiessen sehen, während Tai. das sogar mit Bestimmtheit in zwei Fällen hat beobachten können. Durch die eidlichen Aussagen der glaubwürdigen Zeugen Tai. und Lak. ist weiter erwiesen, dass Suchomel die Frauen mit den Worten: "Weiberchen, schnell, schnell, das Wasser wird kalt!" zu besonderer Eile antrieb.

Wenn er nach seinen eigenen Angaben die nackten Frauen in der Baracke tröstete und ihnen gelegentlich Handtücher gab, ein Vorgang, den auch der uneidlich vernommene Frisör Bor. bestätigte, so mag das zum Teil auf Mitleid, zum Teil aber auch darauf zurückzuführen sein, dass Suchomel jede Unruhe unter den Hunderten von Frauen in der Baracke vermeiden wollte; denn Unruhe hätte den reibungslosen und schnellen Ablauf der Vernichtung erschwert und Suchomel einen Tadel seiner Vorgesetzten, um deren Gunst er sehr bemüht war, eingetragen. Dass Suchomel sich bei Transportabfertigungen besonders geschäftig und eifrig aufführte, wenn er von Vorgesetzten beobachtet wurde, bestätigen nämlich unter anderem die Zeugen Kols., Lak., Tai. und Lac., die ihre Aussagen sämtlich beschworen haben. Durch die eidlichen Bekundungen der Zeugen Koh. und Lak. ist weiter bewiesen, dass Suchomel im Rahmen der Massentötungen Frauen zur Erschiessung ins Lazarett brachte.

Dass Suchomel die Zeugin Su. vor der Vergasung bewahrte und dass er auch dem Krumauer Dr. Rubin anbot, ihn zu retten, ergeben die Einlassungen des Angeklagten und die mit ihr insoweit vollauf übereinstimmenden eidlichen Bekundungen der Zeugen Su. und Sed., der den Vorfall mit Dr. Rubin noch in bester Erinnerung hatte.

2. Sein Verhalten ausserhalb der Massentötungen

Nach der Abfertigung der Transporte war der Angeklagte Suchomel darauf bedacht, dass die ihm unterstellten Goldjuden das eingesammelte Geld zählten und, soweit es sich um Scheine handelte, bündelten und dass sie Gold in Kisten und Schmuck in besondere Kästen packten. Aus dem Totenlager brachte man ihm ausserdem die den Leichen ausgebrochenen und dort schon gereinigten Goldzähne. Manchmal holte er sie auch selbst im oberen Lager ab. Alle diese Werte wurden dann auf einer Liste registriert und später nach Lublin geschafft.

Dem Angeklagten Suchomel unterstanden nicht nur das aus 10 bis 12 Männern bestehende Kommando der Goldjuden, die zu den Arbeitsjuden zählten, sondern auch noch etwa 50 sogenannte Hofjuden, die meist in den Werkstätten und nur gelegentlich bei Spezialaufträgen im Lagergelände arbeiteten. Sie wurden in der Regel zur Transportabfertigung nicht herangezogen. Seinen Gold- und Hofjuden gegenüber benahm Suchomel sich, berücksichtigt man die in Treblinka sonst herrschenden rauhen Sitten, verhältnismässig anständig. Er beschimpfte und schlug sie nicht. Da er im Werkstattbereich von seinen Vorgesetzten wenig kontrolliert wurde, konnte er dort ein mildes Regiment führen. Er besorgte mehrfach durch Vermittlung der Ukrainer Lebensmittel und liess sie den Gold- und Hofjuden zukommen. Als der tschechische Häftling Gielo Block im Jahre 1943 vom unteren Lager ins Totenlager verlegt wurde, liess Suchomel ihm ohne Wissen seiner Vorgesetzten ein im unteren Lager gepacktes Lebensmittelpaket bringen. Mit den tschechischen Juden, die gut Deutsch konnten und denen Suchomel sich deshalb als Sudetendeutscher landsmannschaftlich verbunden fühlte, unterhielt er sich freundschaftlich, auch wenn sie nicht zu den Gold- und Hofjuden zählten. In vielen Fällen warnte er Juden vor Franz und Küttner. Diese so gewarnten Häftlinge arbeiteten dann um so fleissiger, wenn Franz und Küttner in Sicht waren. Sie vermieden dadurch, irgendwie aufzufallen und die Aufmerksamkeit dieser beiden zu allem fähigen Männer auf sich zu lenken. Die Gold- und Hofjuden waren froh darüber, dem milden und gemütlichen Angeklagten Suchomel anstatt einem der anderen zur Härte und Grausamkeit neigenden deutschen SS-Männer unterstellt zu sein. Er wurde deshalb von einigen Häftlingen "Der gute Deutsche" genannt.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, sowie auf den eidlichen Aussagen der glaubwürdigen Zeugen Gl., Un., Do., Raj., Oscar Stra., Pla., Sed., Ku., Wei., Au. und Lew. Der Angeklagte Suchomel räumt ein, einmal auf einen im Prügelbock eingespannten Häftling mit der Peitsche eingeschlagen zu haben. Er behauptet jedoch, er habe hier auf Geheiss von Küttner gehandelt, der ihm alsbald die Peitsche mit dem Vorwurf aus der Hand genommen habe, er schlage nicht kräftig genug. Denselben Vorfall schildert der vereidigte Zeuge Do., jedoch mit der Abweichung, dass nicht Küttner, sondern Franz dem Angeklagten Suchomel das Schlagen befohlen und ihm nach kurzer Zeit die Peitsche wegen der nicht hart genug ausgeteilten Schläge aus der Hand genommen habe. Die Darstellung des auch in seinen sonstigen Angaben zuverlässigen Zeugen Do. gibt das Schwurgericht den Vorzug vor der Einlassung des Angeklagten Suchomel, der im Verlauf der Hauptverhandlung schon mehrfach - in zum Teil auffallender Weise - den Angeklagten Franz zu schonen suchte.

Ob Suchomel auch noch in weiteren Fällen Häftlinge auf dem Prügelbock geschlagen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Zwar haben die eidlich vernommenen Zeugen Lak., Do. und Su. erklärt, Suchomel habe nicht nur einmal, sondern mehrfach auf dem Bock liegende Arbeitsjuden ausgepeitscht, aber diese drei Zeugen sind nicht imstande, bestimmte Fälle zu nennen, in denen das geschehen sein soll, so dass deren Konkretisierung nicht möglich ist. Zudem haben die vereidigten Zeugen Gl., Un., Raj., Au., Pla., Wei. und Sed. übereinstimmend erklärt, dass Suchomel in keinem einzigen Fall Arbeitsjuden geschlagen habe, und zwar weder auf dem Prügelbock noch auf sonstige Art und Weise. Diesen Zeugen ist also nicht einmal der von Suchomel selbst eingestandene Fall in Erinnerung, bei dem er einmal einen Häftling auf der Prügelbank einige wenige Peitschenhiebe versetzte, bis man ihm die Peitsche aus der Hand nahm, weil er nicht hart genug zuschlug. Jedenfalls haben diese Zeugen den Angeklagten Suchomel - im Gegensatz zu mehreren anderen deutschen SS-Männern - keineswegs als Schläger in Erinnerung. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Der vom Schwurgericht als besonders zuverlässig angesehene Zeuge Sed. hat Suchomel dahin charakterisiert, dass er zwar in den Augen der Juden kein "Engel" gewesen sei, dass man ihn aber inmitten der teuflischen Welt des Lagers immerhin als einen Menschen habe ansehen können. Der Zeuge Gl. hat gesagt, dass Suchomel, setze man sein Verhalten in eine Relation zu den grauenhaften Ereignissen im Lager, anständig gewesen sei. Ähnlich haben sich die Zeugen Un., Pla., Au. und Wei. geäussert. Der Zeuge Raj. hat insbesondere hervorgehoben, dass Suchomel die Juden öfter vor Franz und Küttner gewarnt und hierdurch so manchen Häftling vor einem frühen Tod bewahrt habe. Der Klempner Oscar Stra. hat bei seiner eidlichen Vernehmung zutreffend dargelegt, dass Suchomel sich um eine bessere Versorgung der Gold- und Hofjuden bemüht und dass er sie im Rahmen seiner Möglichkeiten gut behandelt hat. Da Oscar Stra. selbst Hofjude war, kann er das richtig beurteilen. Dieser Zeuge hat schliesslich darauf hingewiesen, dass Suchomel von den Gold- und Hofjuden "Der gute Deutsche" genannt worden sei, eine Bezeichnung, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinem anderen deutschen SS-Mann von den Häftlingen zuteil geworden ist.

III. Erwiesene Einzeltaten des Angeklagten Suchomel im Rahmen der Massentötungen

Dass Suchomel sich bei den Transportabfertigungen, vor allen Dingen, wenn Vorgesetzte in der Nähe waren, aktiv betätigte und dass er sich hierbei von dem hektischen Treiben seiner Kameraden, bei denen er nicht als Weichling gelten wollte, anstecken liess, geht u.a. aus folgenden erwiesenen Einzelfällen hervor:

1. Das Abführen einer nackten Jüdin zur Erschiessung im Lazarett

Im Winter 1942/1943, als schon Schnee lag, hatte sich eine schon entkleidete Jüdin in einem der vielen auf dem Sortierplatz umherliegenden Kleiderhaufen in der Nähe der Frauenauskleidebaracke versteckt. Dadurch war sie nicht durch den Schlauch in die Gaskammern getrieben worden. Etwa 15 Minuten nach dem Ende der Abwicklung dieses Transportes bemerkte Suchomel die unbekleidete Frau. Er führte sie sogleich über den Sortierplatz ins Lazarett. Hier wurde die Frau erschossen. Ob Suchomel sie selbst getötet hat oder ob sie von dem dort diensttuenden SS-Unterführer erschossen worden ist, konnte nicht geklärt werden.

Der Angeklagte Suchomel stellt diesen Vorfall entschieden in Abrede, räumt aber ein, es sei schon einige Male vorgekommen, dass Juden sich zunächst der Vergasung entzogen hätten. Suchomel wird aber durch die eidliche Aussage des 55 Jahre alten Bautechnikers Koh. aus Ramat Gan in Israel der Tat überführt. Der Zeuge hat persönlich aus der Nähe gesehen, wie Suchomel die nackte Frau ins Lazarett führte. Er hörte im Lazarett einen Schuss und sah dann, wie Suchomel allein zurückkehrte. Er hat keineswegs aus alledem geschlossen, dass Suchomel persönlich die Frau getötet habe; denn er hat gleich gesagt, dass die Tötung möglicherweise auch von dem im Lazarett diensttuenden SS-Unterscharführer vorgenommen worden sein könne. Das Schwurgericht hält die letztere Möglichkeit auch für die wahrscheinlichere, da Suchomel zum Dienst im Lazarett gar nicht ausgebildet war. Er beherrschte jedenfalls nicht die sogenannte Genickschusstechnik, die im Lazarett seit der Ablösung Dr. Eberls als Lagerkommandanten dort immer angewandt wurde. Immerhin leistete Suchomel mit dem Hinschaffen der Frau zum Lazarett einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Erschiessung.

Der Zeuge Koh. hat Suchomel sofort als Chef der Goldjuden identifiziert. Er hat durch seine ruhige und sachliche Art, in der er seine Bekundung gemacht hat, das Schwurgericht von seiner Zuverlässigkeit überzeugt. Dass er Suchomel mit einem anderen SS-Mann verwechselt haben könnte, ist ausgeschlossen; denn Koh. hat auch alle anderen bei der Abfertigung tätigen SS-Männer ihrem Aussehen nach richtig beschrieben und gesagt, dass darunter keiner gewesen sei, der Suchomel ähnlich gesehen habe. Zudem ist das, was der Zeuge geschildert hat, ein Vorgang, der sich in ähnlicher Art und Weise öfter abgespielt haben wird; denn Suchomel räumt selbst ein, es sei gelegentlich vorgekommen, dass sich Juden zunächst der Vergasung entzogen und dass sie dann kurzerhand im Lazarett liquidiert wurden, da eine gesonderte Vergasung für wenige Personen zu aufwendig gewesen wäre. Jedenfalls bestehen aufgrund aller dieser Überlegungen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Koh. und an der Richtigkeit der Schilderung dieses Einzelfalles.

2. Die Liquidierung von fünf bis sechs Zigeunerinnen und eines Zigeunerkindes im Lazarett

Aus der Nähe von Treblinka wurden einmal fünf bis sechs Zigeunerinnen durch das Lagertor ins Vernichtungslager gebracht. Eine der Frauen trug ein kleines Kind auf dem Arm. Man rief laut nach dem Angeklagten Suchomel, der sich gerade in der Nähe des Lagereingangs aufhielt. Suchomel führte die fünf bis sechs Zigeunerinnen, davon eine mit einem Kind im Arm, über die Kurt-Seidel-Strasse, den Bahnhofsplatz und den Sortierplatz zum Lazarett, wo die Zigeunerinnen und das Kind erschossen wurden, wahrscheinlich durch den dort gerade diensttuenden deutschen SS-Unterführer. Dass Suchomel diese Frauen und das Kind getötet hat, lässt sich nicht feststellen. Der Angeklagte bestreitet, in der geschilderten Art und Weise tätig geworden zu sein. Er wird jedoch durch die eidliche Bekundung des 62 Jahre alten Magazinverwalters Lak. aus Eiron/Israel überführt. Der Zeuge war gerade an diesem Tage zusammen mit einem Kameraden, dem Installateur Zuckermann aus Czenstochau, damit beschäftigt, den sogenannten "Offiziersbrunnen" in der Nähe des Lagereingangs zu reinigen, dessen Wasser nur für das deutsche Personal gebraucht werden durfte. Zuckermann befand sich im Brunnen und reichte dem am Brunnenrand stehenden Zeugen Lak. Eimer mit Sand herauf. Lak. konnte deshalb alles sehen, was sich am Lagereingang abspielte.

Der Zeuge Lak. hat Suchomel sofort wiedererkannt. Er hat seine Eigentümlichkeiten und seine Aufgaben als Chef der Gold- und Hofjuden zutreffend geschildert. Es bestehen weder an seiner Glaubwürdigkeit im allgemeinen noch an der Zuverlässigkeit seiner Schilderung dieses speziellen Falles irgendwelche Zweifel. Auch der Umstand, dass Lak. der eigentlichen Erschiessung im Lazarett nicht beigewohnt hat, lässt keine Bedenken daran aufkommen, dass die Zigeunerinnen und das Zigeunerkind tatsächlich im Lazarett erschossen wurden. Lak. hat diese Menschen seither nicht mehr gesehen. Zigeuner und Zigeunerinnen sind nach dem Ergebnis der gesamten Beweisaufnahme auch niemals zu Arbeitszwecken ausgewählt und hierdurch vor dem Tod bewahrt worden. Das alles lässt den Schluss zu, dass diese Frauen und das Kind im Lazarett getötet wurden, wie so manche anderen Zigeuner und Juden, die aus der Nähe von Treblinka entweder zu Fuss, mit einem Pferdefuhrwerk oder mit einem Lastkraftwagen ins Lager gebracht wurden. Dass Suchomel mit dem Abführen der fünf bis sechs Frauen samt dem Kind zum Lazarett einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Tötung geleistet hat, steht zwar fest. Andererseits darf nicht ausser Betracht bleiben, dass er hier auf Weisung eines Vorgesetzten gehandelt haben kann, da der Zeuge Lak. gesagt hat, man habe laut nach dem Angeklagten Suchomel gerufen. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass er die Frauen und das Kind nicht selbst getötet hat, sondern dass sie von dem gerade im Lazarett diensttuenden SS-Mann erschossen worden sind. Jedenfalls müssen diese beiden Möglichkeiten (Handeln auf Befehl und Tötung durch den im Lazarett tätigen SS-Mann) dem Angeklagten Suchomel zugute gehalten werden, da das Ergebnis der Beweisaufnahme eine andere Deutung (eigenmächtiges Handeln und eigenhändige Tötung) nicht zulässt.

3. Der Tod der Frau Cudak aus Czenstochau

Im Oktober oder Anfang November 1942 traf mit einem Transport das aus Czenstochau stammende Ehepaar Cudak mit einem Kind in Treblinka ein. Beim Öffnen der Waggontüren hielt der Ehemann Cudak sein Kind auf dem Arm. Als Frau Cudak all das Schreckliche an der Rampe sah, erlitt sie einen Weinkrampf und warf sich vor dem Waggon auf den Boden. Suchomel war nur etwa 3 bis 4 m von der Frau entfernt. Um den reibungslosen Ablauf der Transportabfertigung nicht zu gefährden, schoss er mit seiner Pistole auf Frau Cudak und traf sie auch. Ob sie durch diesen Schuss sofort tot oder nur verletzt war, lässt sich nicht klären. Sie kam jedoch alsbald ins Lazarett. Hier wurde sie entweder als Tote sofort in die Grube geworfen, oder sie erhielt noch einen Gnadenschuss.

Suchomel bestreitet, auf Frau Cudak geschossen zu haben. Er meint, man müsse ihn mit dem aus Berlin stammenden SS-Mann Albert Florian, der ihm ähnlich gesehen habe, verwechselt haben. Er wird jedoch dieser Tat durch den eidlich vernommenen, 51 Jahre alten Mechaniker Tu. aus Bat Jam in Israel überführt. Tu. hat alles aus nächster Nähe beobachtet und sich diesen Fall besonders gut gemerkt, weil Cudak ein früherer Arbeitskollege von ihm war. Tu. hat Suchomel richtig beschrieben und ihn sofort identifizieren können. Darüber hinaus hat er darauf hingewiesen, dass er im Jahre 1929 etwa 6 Monate in Berlin gelebt und dass er seit dieser Zeit Kenntnisse des Deutschen habe. Suchomel habe, so hat er ausgeführt, keineswegs Berlinisch, sondern einen süddeutschen Dialekt gesprochen.

Der Zeuge Tu., dessen Glaubwürdigkeit schon mehrfach hervorgehoben worden ist, hat den von Suchomel auf Frau Cudak abgegebenen Pistolenschuss und die näheren Umstände dieses Vorfalles so präzise geschildert, dass keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Darstellung bestehen.

IV. Nicht erwiesene Einzelfälle im Rahmen der Massentötungen

1. Der Puppenfall

Die Anklage legt Suchomel folgendes zur Last:

Im Frühjahr 1943 habe er die Aufsicht beim Entladen eines aus Bulgarien kommenden Transportes gehabt. Dabei habe er in den Händen eines auf dem Arm seiner Mutter sitzenden Kindes eine Puppe bemerkt. Er habe versucht, sie dem Kind zu entreissen. Als ihm das misslungen sei, habe er seine Pistole gezogen und die Mutter erschossen. Danach habe er die von dem Kind fallengelassene Puppe ergriffen und die Juden, die Puppe in der Hand schwingend, mit Peitschenhieben zu den Gaskammern getrieben. Die durch das Amtsgericht in Tel Aviv eidlich vernommene 42 Jahre alte Hausfrau Su. hat hierzu unter anderem folgendes bekundet: "Wir waren einige Leute in der Baracke, in der verschiedene Sachen, Stoffe usw. sich befanden. Wir wollten alles sehen, da die Konspiration bereits begonnen hatte. Es waren Regale an der Wand. Wir standen dort, um beobachten zu können. In der Baracke befanden sich im oberen Teil der Wand schmale, längliche Fenster. Wir stiegen auf die Regale, um durch diese Fenster durchzusehen. Es waren ausser mir noch einige Männer, die in der Baracke arbeiteten. Eine deutsche Aufsicht war nicht da. Von diesen Fenstern konnte ich beobachten, wie die Menschen vom Bahnsteig in die Baracke getrieben wurden, wo ihnen das Haar geschnitten wurde. Auch den Weg habe ich sehen können. Die Leute wussten nicht, wohin sie gehen, so glaube ich wenigstens. Die Menschen des Transportes sahen uns gegenüber noch sehr gut aus, sie waren noch in guter Verfassung. Von meinem Standpunkt aus gegenüber stand eine Frauengruppe, deren Haar noch nicht geschnitten wurde, teilweise nackt, teilweise angezogen. Dort habe ich eine junge Frau gesehen, die ein Kind in ihren Armen hielt. Es war ein schönes Kind. Es hielt eine Puppe in der Hand. Suchomel erschien. Er wollte die Puppe haben. Das Kind wollte sie ihm nicht geben, worauf er anfing, das Kind zu schütteln. Die Frauen fingen an zu schreien. Ich hörte einen Schuss. Die Frau, die das Kind hielt, fiel um. Ausser Suchomel war niemand an der Stelle. Wer geschossen hat, weiss ich nicht. Suchomel hatte eine Pistole in der Hand. Ich kann nicht sagen, in welcher Hand er sie hielt. Das genügte mir. Ich habe nichts mehr gesehen." Daneben hat die Zeugin Su. vieles ausführlich geschildert, was das allgemeine Lagerleben und das Verhalten anderer SS-Männer betrifft und was auch mit den Angaben mehrerer Zeugen übereinstimmt. Insofern kann man ihrer eidlichen Aussage folgen. Das gilt jedoch nicht für ihre Angaben über Suchomel, insbesondere für die Darstellung des sogenannten Puppenfalles.

Es ist zwar richtig, dass zu der von der Zeugin genannten Zeit auch Transporte aus Bulgarien in Treblinka ankamen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zeugin die Abfertigung eines solchen Transportes von der Sortierbaracke aus gesehen hat. Allerdings haben alle Angeklagten übereinstimmend erklärt, dass weibliche Häftlinge die Sortierbaracke nicht betreten durften, und auch keiner der vernommenen jüdischen Zeugen des Sortierkommandos hat etwas davon erwähnt, dass weibliche Häftlinge ohne Bewachung in die Sortierbaracke gelangen konnten. In jedem Falle hat die Zeugin aber durch ein kleines Oberlicht der Sortierbaracke nicht alle Vorgänge bei der Abfertigung eines Transportes von etwa 2000 Menschen - denn so viele Personen waren es im Durchschnitt, wenn man von 20 Güterwaggons mit etwa 100 Insassen pro Waggon ausgeht - genau beobachten können. Sie will selbst auch nur Suchomel gesehen haben und schliesst hieraus, dass er die Leitung der Abfertigung gehabt haben müsse. Das ist sicherlich unrichtig, da die gesamte Beweisaufnahme nicht ergeben hat, dass Suchomel jemals einen Transport verantwortlich abgenommen und somit dessen Abfertigung geleitet hat. Zudem kann er niemals der einzige Deutsche gewesen sein, der dabei war; denn bei einlaufenden Transporten wurden alle verfügbaren deutschen SS-Männer des unteren Lagers zur Rampe befohlen.

Überdies ist auch nicht sicher, dass er den Schuss auf die bulgarische Jüdin abgegeben hat, da links und rechts von den Ankömmlingen immer eine dichte Postenkette von Ukrainern stand, die rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch machten, wenn sie es für erforderlich hielten. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass ein Ukrainer auf die Mutter schoss, als er sah, dass Suchomel ihrem Kind die Puppe nicht wegnehmen konnte. Ob die Zeugin genau beobachtet hat, erscheint auch deshalb zweifelhaft, weil sie im Freien vor der Frauenauskleidebaracke nackte Frauen gesehen haben will. Dass sich die Frauen bereits im Freien ausziehen mussten, hat aber kein anderer Zeuge bekundet.

Schliesslich ist es auffallend, dass Frau Su. ihrer damaligen Freundin, der Zeugin Lew., nichts von der Erschiessung der bulgarischen Jüdin unter derart dramatischen Umständen erzählt hat. Das hätte um so näher gelegen, als solche Taten bei Suchomel - im Gegensatz zu Franz, Miete und Küttner - nicht üblich waren. Ausserdem war Suchomel als Chef der Hofjuden auch der Vorgesetzte der beiden Frauen, die sicherlich keine Geheimnisse vor einander hatten, wenn es um Personen ihrer nächsten Umgebung ging.

Einem Irrtum ist die Zeugin Su. mit der Sicherheit zudem insoweit unterlegen, als sie angibt, Suchomel habe auf dem Appellplatz "sehr oft" Häftlinge geprügelt. Viele zuverlässige Zeugen, darunter Gl., Un., Pla., Oscar Stra., Raj. und Wei., haben gerade im Gegenteil erklärt, dass Suchomel ausserhalb der Transportabfertigungen niemals geschlagen habe. Durch das Geständnis von Suchomel und die Angaben des Zeugen Do. hat sich lediglich ein einziger Vorfall konkretisieren lassen, bei dem Suchomel einem auf dem Bock liegenden Häftling auf Befehl wenige Schläge mit der Peitsche verabreichte.

Obwohl das Schwurgericht keineswegs verkennt, dass die Zeugin Su. sich redlich um eine wahrheitsgemässe Aussage bemüht haben mag, so ist doch eine starke subjektive Färbung ihrer Aussage zum Nachteil des Angeklagten Suchomel nicht zu übersehen. Das Schwurgericht ist der Meinung, dass die Zeugin den Angeklagten Suchomel, der sie vor dem Gastod gerettet hat, zwar zunächst dankbar gegenüber stand und von ihm möglicherweise erwartete, er werde auch weiterhin seine schützende Hand über sie halten. Sie mag dann aber bitter enttäuscht gewesen sein, als sie nach 6 Monaten vom unteren Lager in das Totenlager verlegt wurde, was eine erhebliche Verschlechterung war. Während die Zeugin bisher im unteren Lager in der Schneiderei feinere Arbeiten verrichtete, musste sie im Totenlager, die brennenden Leichenroste ständig vor Augen, in der dortigen Wäscherei und Küche viel schwerer arbeiten.

Die Beweisaufnahme hat den Grund für diese Verlegung nicht klären können. Suchomel gibt an, der SS-Hauptscharführer Küttner habe die Zeugin ins Totenlager versetzt. Frau Su. bekundet lediglich, sie sei wegen irgendeinen Vergehens ins Lager 2, also das Totenlager, gekommen. Beide haben den Grund für diese Verlegung nicht angegeben. Fest steht jedoch, dass Suchomel bei Küttner nichts unternommen hat, um die Zeugin in seiner Schneiderwerkstatt behalten zu können, obwohl er hierzu die Möglichkeit gehabt hätte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Frau Su. seit diesem Zeitpunkt auf Suchomel nicht mehr gut zu sprechen ist und dass ihre Aussage insoweit von Empfindungen und Gefühlen nicht frei ist. Ihrer Bekundung über den Angeklagten Suchomel, die zudem von keinem anderen Zeugen, auch nicht von der Frau Lew., die mit Frau Su. im unteren Lager und später auch im Totenlager zusammen war, bestätigt worden ist, muss daher mit Vorsicht begegnet werden. Sie allein reicht zur sicheren Überführung des Angeklagten Suchomel, der die Wegnahme der Puppe und die Erschiessung der bulgarischen Jüdin energisch in Abrede stellt, nicht aus.

2. Liquidierung einer Gruppe von etwa 50 Zigeunern

Durch die Bekundung des 38 Jahre alten Angestellten Cz. aus Tel Aviv wird dem Angeklagten Suchomel zur Last gelegt, etwa 50 Zigeuner, die mit Pferd und Wagen ins Lager gekommen waren, jeweils in Gruppen von zwei bis drei Mann ins Lazarett gebracht und dort erschossen zu haben (vergleiche A.VI.3. der rechtlichen Hinweise vom 23.Juli 1965). Dass aus der Umgebung von Treblinka Juden und Zigeuner in Pferdewagen ins Lager gebracht wurden, das haben die Angeklagten eingeräumt und mehrere Zeugen, darunter der Zeuge Lak., bestätigt. Das Schwurgericht hält es deshalb für durchaus möglich, dass sich unter diesen Opfern auch eine Gruppe von etwa 50 Zigeunern befunden haben kann, wie der Zeuge Cz. bekundet. Ob freilich der Angeklagte Suchomel diese etwa 50 Zigeuner liquidiert hat, lässt sich aufgrund der Aussage des Zeugen Cz. nicht feststellen.

Cz., der während seiner Inhaftierung erst 16 Jahre alt gewesen ist, hat weder die spezielle Tätigkeit des Angeklagten Suchomel beschreiben noch seinen Namen angeben können, was alle Zeugen konnten, deren Aussagen das Gericht als zuverlässig angesehen hat. Zudem gibt der Zeuge an, die etwa 50 Zigeuner, und zwar Männer, Frauen und Kinder, hätten ohne Aufsicht in der Nähe der grossen Sortierbaracke gestanden und Suchomel habe jeweils zwei bis drei zur Erschiessung ins Lazarett abgeführt. Das würde den Schluss zulassen, Suchomel habe an diesem Tage im Lazarett Dienst getan, etwas, was bisher von keinem einzigen Zeugen gesagt worden ist. Der Zeuge Cz. hat dann schliesslich auch eingeräumt, es könnte sein, dass ein anderer SS-Mann im Lazarett die Erschiessung der Zigeuner vorgenommen habe, während Suchomel die Opfer lediglich zum Lazarett hingebracht habe.

Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Aussage dieses Zeugen bestehen auch insoweit, als er die beiden Angeklagten Mentz und Miete, die hauptsächlich im Lazarett tätig waren, weder identifizieren noch auf den Bildern erkennen konnte. Diese beiden im Lager weithin bekannten und von allen Zeugen, die das Gericht als glaubwürdig angesehen hat, genau geschilderten und wiedererkannten Angeklagten müsste auch Cz. wiedererkannt haben, wenn er den Ablauf der Tötungen im Lazarett genauer beobachtet hätte. Obwohl das Schwurgericht davon überzeugt ist, dass Cz. aufrichtig bemüht war, zur Wahrheitsfindung beizutragen, reicht seine Aussage allein nicht aus, um Suchomel der Liquidierung von etwa 50 Zigeuner zu überführen.

3. Erschiessung eines Kindes in der Himmelfahrtsstrasse

Der vom deutschen Konsul in Montreal eidlich vernommene Geschäftsführer Zygmund Stra. hat bekundet, der Angeklagte Suchomel habe Ende November / Anfang Dezember 1942 ein etwa drei Jahre altes Kind, das sich mit seiner Mutter und seiner etwa 12 Jahre alten Schwester bereits in der Himmelfahrtsstrasse befunden haben soll, erschossen. Obwohl dieser Zeuge den Vorfall eingehend geschildert hat, ist es zweifelhaft, ob er in diesem Falle nicht einem Irrtum unterlegen ist. Er hat nämlich eingeräumt, den Vorgang nicht aus der Nähe, sondern aus einer Entfernung von 300 bis 400 Yards aus gesehen zu haben und zwar von dem Dach einer Baracke, das er damals gerade reparierte. Diese Entfernung, die 274.20 m bis 365.60 m entspricht (1 Yard = 0.914 m), ist so gross, dass Stra. die sich im Schlauch abspielenden Szenen von zum Teil tumultartigem Charakter selbst dann nicht mit der erforderlichen Genauigkeit hat beobachten können, wenn man unterstellt, dass er über ein gutes Sehvermögen verfügt. Hinzu kommt, dass der Schlauch an beiden Seiten gut getarnt war, so dass ein Einblick nur von oben aus möglich war. Auch dieser Umstand kann das Beobachtungsfeld des Zeugen stark eingeschränkt haben. Jedenfalls vermag das Schwurgericht letzte Zweifel daran, dass der Zeuge sich hier geirrt haben kann, nicht zu überwinden. Diese Zweifel müssen dem Angeklagten Suchomel zugutekommen.

Soweit im Verlauf der Hauptverhandlung noch weitere Handlungen des Angeklagten Suchomel bei den Transportabfertigungen erörtert worden sind, sind die Zeugenaussagen so unbestimmt, dass sich einzelne Fälle nicht
konkretisieren lassen. Das gilt insbesondere auch von der Bekundung des Zeugen Tai., der gesagt hat, er habe Suchomel zweimal auf ankommende Juden schiessen sehen. Tai. hat nämlich hinzugefügt, er wisse nicht, ob Suchomel bei diesen zwei Gelegenheiten jemanden durch seine Schüsse getroffen habe.

V. Nicht erwiesene Exzesstaten ausserhalb der Massentötungen, die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss aufgeführt sind

1. Die Erschiessung von Häftlingen ohne Grund oder wegen zu langsamer Ausführung von Befehlen

Die Anklage macht Suchomel den Vorwurf, er habe in mehreren Fällen Häftlinge ohne jeden erkennbaren Grund oder deshalb erschossen, weil sie seine Befehle nicht schnell genug ausführten. In der Hauptverhandlung sind hierzu die folgenden drei Fälle erörtert worden:

a. Liquidierung mehrerer Männer im Lazarett

Der 51 Jahre alte Schuhmacher Gru. aus Jaffa in Israel hat bei seiner uneidlichen Vernehmung angegeben, Suchomel habe einmal mehrere Leute grundlos herausgesucht und sie zum Lazarett geführt. Von dort habe man, so hat der Zeuge weiter berichtet, mehrere Schüsse gehört, und Suchomel sei schliesslich allein zurückgekommen.

b. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett

Derselbe Zeuge Gru. hat einen weiteren Fall geschildert, bei dem Suchomel ohne erkennbaren Grund einen Häftling ins Lazarett geführt haben soll. Er soll hierbei einen Karabiner getragen haben und allein aus dem Lazarett zurückgekehrt sein. An der objektiven Richtigkeit der Aussage des Zeugen Gru. bestehen indes starke Zweifel. So hat er erklärt, im Lager habe das Sortierkommando, also das Kommando Rot, allgemein das "Kanada-Kommando" geheissen. Gru. ist der einzige Zeuge, der von einer solchen Bezeichnung des Sortierkommandos gesprochen hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, in deren Verlauf besonders viele Angehörige des Sortierkommandos gehört worden sind, steht aber zur Überzeugung des Schwurgerichts fest, dass die Bezeichnung "Kanada-Kommando" im Vernichtungslager Treblinka zu keiner Zeit gebraucht worden ist. Der Zeuge muss hier offenbar Berichte über andere Läger, die er gelesen hat, mit seinen eigenen Erlebnissen in Treblinka vermengt haben. Zudem war Gru., der in Treblinka seine Mutter, seine vier Schwestern und seinen Bruder verloren hat, bei seiner Aussage sehr erregt und unbeherrscht, was angesichts der von ihm durchgemachten Leiden menschlich verständlich ist. Allerdings mindert das den objektiven Wert seiner Bekundung beträchtlich. Seine uneidliche Aussage allein reicht deshalb nicht aus, um den Angeklagten Suchomel der Mitwirkung an der Tötung a. mehrerer Arbeitsjuden und b. eines einzelnen Häftlings zu überführen.

c. Erschiessung einer weiblichen oder männlichen Person im Lazarett

Der jetzt 38 Jahre alte Angestellte Cz. aus Tel Aviv, der vereidigt worden ist, hat bekundet, er habe einmal, während er auf dem Sortierplatz arbeitete, gesehen, wie Suchomel eine Person aus der Richtung des Wohnbezirks zum Lazarett gebracht habe, von wo diese Person nicht mehr zurückgekehrt sei. Das vermochte der Zeuge präzise anzugeben. Im übrigen aber hat er sich in Widersprüche verwickelt. Zunächst sagte er, es habe sich um einen weiblichen Häftling gehandelt. Nach einiger Überlegung meinte er, es sei wohl doch ein männlicher Häftling gewesen. Auf die Frage, ob die Person bekleidet oder nackt gewesen sei, sagte er, er sei sich dessen nicht sicher, ob die männliche oder weibliche Person bekleidet gewesen sei, allerdings neige er mehr zu der Annahme, sie sei nackt gewesen. Das alles lässt den Schluss zu, dass der Zeuge Cz. diesen Vorgang nicht mit der erforderlichen Genauigkeit beobachtet hat. Das Schwurgericht hat zwar von Cz. keineswegs einen ungünstigen Eindruck gewonnen. Andererseits ist der Zeuge, der während seiner Inhaftierung erst 16 Jahre alt gewesen ist, durch die vielen auf ihn einstürmenden grausamen Geschehnisse seelisch so überfordert worden, dass er bestimmte Einzelfälle möglicherweise nicht mehr vollständig erfassen und im Gedächtnis behalten konnte. Seine Bekundung allein reicht deshalb nicht aus, die dem Angeklagten Suchomel zur Last gelegte Tat einwandfrei nachzuweisen.

2. Die Mitwirkung an der Tötung von mehr als 100 Häftlingen am Tage nach dem Tode von Max Biala

Dem Angeklagten Suchomel wird von der Anklage weiter zur Last gelegt, an der Erschiessung von mehr als 100 Häftlingen am Tage nach dem Tode von Max Biala mitgewirkt zu haben.

Im Abschnitt A.VI.2. des Zweiten Teiles der Gründe ist bereits eingehend dargelegt worden, dass am Tage nach dem Tode von Max Biala am 11.September 1942 mindestens 80, höchstens jedoch 100 Häftlinge von Franz zur Erschiessung ausgesucht und dass sie auch tatsächlich im Lazarett durch Genickschuss getötet worden sind. Jedoch haben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Suchomel an dieser Massenexekution mitgewirkt hat. Der Angeklagte Suchomel bestreitet, in irgendeiner Form an diesem Geschehen beteiligt gewesen zu sein. Auch der Angeklagte Miete weiss von einer Mitwirkung seines Mitangeklagten Suchomel nichts. Die eidlich vernommenen Zeugen Au., Ros. und Tai. vermögen sich nicht daran zu erinnern, den Angeklagten Suchomel bei der Selektion der 80 bis 100 Mann gesehen zu haben, und sie wissen nichts davon, dass er im Lazarett bei der Erschiessung dieser 80 bis 100 Häftlinge mitgewirkt hat. Auch der uneidlich vernommene Zeuge Gru., den die Anklage für eine Beteiligung an Suchomel an diesem Vorfall benannt hat, kann sich nicht dessen entsinnen, ob Suchomel mit dieser Grossaktion irgendwie befasst gewesen ist.

3. Die Erschiessung einer nicht mehr genau zu ermittelnden Anzahl von Goldjuden

Gegen den Angeklagten Suchomel wird schliesslich der Vorwurf erhoben, er habe bei einer anderen Gelegenheit aus dem ihm unterstehenden Kommando der Goldjuden eine nicht mehr genau zu ermittelnde Anzahl von Häftlingen herausgeholt und sie vor den Augen der anderen Häftlinge erschossen. Die Anklage hat also hier offenbar einen einzigen Vorgang an ein und demselben Tage im Auge, bei dem mehrere Goldjuden von Suchomel getötet worden sein sollen.

Der von der Staatsanwaltschaft zum Beweis der Erschiessung mehrerer Goldjuden bei einer einzigen Gelegenheit als Zeuge benannte, jetzt 36 Jahre alte Sp., der stellvertretender Geschäftsführer eines Glasgower Damenkonfektionsgeschäftes ist, hat bei seiner Vernehmung vor dem deutschen Konsulat in Edinburgh hierzu folgendes gesagt: "Suchomel hat in meiner Gegenwart eine Reihe von sogenannten Goldjuden erschossen. Wie viele es gewesen sind und aus welchen Gründen sie erschossen wurden, kann ich nicht angeben. Die Goldjuden wurden von Suchomel im Lazarett erschossen, wohin ich mich regelmässig begeben musste, um gebündelte Kleidung oder Schuhe abzuliefern." Vor dem Schwurgericht hat der Zeuge Sp. unter Eid folgendes bekundet:

Einmal habe er das Lazarett aufgesucht, um Schuhe zum Verbrennen in die Lazarettgrube zu werfen. Im Lazarett habe er den Kapo Kurland, dessen zwei Helfer, Suchomel und einen Häftling angetroffen, der durch seinen gelben Streifen an seiner Hose als Goldjude zu erkennen gewesen sei. Dieser Jude habe ihm in Jiddisch gesagt: "Ich weiss zu viel." Daraufhin habe dieser Mann sich völlig entkleiden und auf den aufgeschütteten Wall am Grubenrand setzen müssen. Suchomel habe ihn sodann durch einen Pistolenschuss ins Genick getötet. Die Leiche sei gleich in die brennende Grube gefallen. Bei diesem Vorgang habe er nur wenige Meter hinter Suchomel gestanden und alles genau beobachtet.

Auf Vorhalt hat Sp. weiter erklärt:

Es sei richtig, dass er bei seiner im Jahre 1961 erfolgten Vernehmung in Edinburgh gesagt habe, Suchomel habe eine Reihe von Goldjuden erschossen. Er habe damit nicht eine einzige Erschiessung mehrerer Goldjuden bei ein und derselben Gelegenheit gemeint, sondern jeweils die Erschiessung eines Goldjuden im Lazarett in mehreren Fällen und an verschiedenen Tagen. Im Jahre 1961 sei sein Erinnerungsvermögen noch viel besser gewesen als jetzt. Heute dagegen habe er nur noch einen einzigen Fall im Gedächtnis, an den er sich jedoch genau und sicher erinnere.

Der Zeuge Sp. hat Suchomel richtig beschrieben und ihn im Schwurgerichtssaal sofort wiedererkannt. Er hat in ruhiger, sachlicher Form viele allgemeine Dinge über das Lagerleben geschildert, die auch von anderen Zeugen bestätigt worden sind. Er ist darum bemüht gewesen, zur Aufhellung der wahren Geschehnisse in Treblinka beizutragen. Für sein Verantwortungsgefühl spricht der Umstand, dass er keineswegs an seiner Aussage aus dem Jahre 1961 festgehalten, sondern von ihr in einem entscheidenden Punkt mit dem Bemerken abgerückt ist, hier an dieser Stelle und zu dieser Zeit könne er sich nur an die Erschiessung eines einzigen Goldjuden durch Suchomel erinnern. Ob seine Suchomel betreffende Bekundung aber auch objektiv richtig ist, begegnet indes erheblichen Zweifeln. Der am 30.März 1929 geborene Zeuge Sp. befand sich von Anfang Oktober 1942 bis zum 2.August 1943 in Treblinka. Während seiner Inhaftierung war er also bis zum 30.März 1943 erst 13, nach diesem Tag dann 14 Jahre alt. Das grausame Geschehen in Treblinka im allgemeinen und die zahlreichen Exzesstaten verschiedener SS-Männer im besonderen, die er als Angehöriger des Sortierkommandos oft genug hat mit ansehen müssen, haben, davon ist das Gericht überzeugt, seine Aufnahmefähigkeit und sein Erinnerungsvermögen überfordert. Man kann von ihm nicht erwarten, dass er im Lager die gleichen präzisen Beobachtungen gemacht hat wie ein Häftling im besten Mannesalter. Das gilt auch für die von ihm geschilderte Erschiessung eines Goldjuden durch Suchomel im Lazarett.

Suchomel bestreitet, einen oder gar mehrere Goldjuden getötet zu haben. Er weist darauf hin, dass während seines Aufenthaltes in Treblinka von dem kleinen Kommando der Goldjuden nur der Goldjude Stern getötet worden sei, wofür man ihn nicht verantwortlich machen könne (vergleiche dazu Abschnitt A.VI.15. des Zweiten Teiles der Gründe, wo der Tod des Goldjuden Stern ausführlich beschrieben wird).

Diese Einlassung des Angeklagten Suchomel wird von den Zeugen Oscar Stra., Gl., Tai., Koh., Sed. und Lew., die das Schwurgericht sämtlich als besonders zuverlässig angesehen hat, bestätigt. Allen diesen eidlich vernommenen Zeugen ist von der Tötung eines zweiten Goldjuden nichts bekannt. Da das Kommando der Goldjuden nur 10 bis 12 eingearbeitete Männer umfasste, hätte die Nachricht von der Tötung eines zweiten Goldjuden im Lager weit mehr Aufsehen erregt als die Erschiessung eines Juden von den zum Teil mehrere hundert Personen umfassenden grossen Arbeitskommandos, z.B. der Kommandos Blau und Rot. Hinzu kommt, dass die Tat dann auf besonderes Interesse unter den Häftlingen gestossen wäre, wenn sie der sonst als milde bekannte Chef der Gold- und Hofjuden begangen hätte. So würde z.B. der Lazarettkapo Kurland, der mit dem Zeugen Raj. im Aufstandskomitee eng zusammenarbeitete, diesem auch von der Erschiessung eines Goldjuden im Lazarett durch Suchomel sicherlich berichtet haben. Der zuverlässige und glaubwürdige Zeuge Raj. hat aber nichts Derartiges bekundet. Wenn man dies alles und insbesondere den Umstand, dass Sp. im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung derart voneinander abweichende Aussagen gemacht hat, berücksichtigt, dann bleiben Zweifel an einer möglichen Täterschaft des Angeklagten Suchomel zurück, die das Schwurgericht nicht zu überwinden vermag.

Mangels Beweises kann Suchomel also
a. wegen der Tötung mehrerer Goldjuden bei einer einzigen Gelegenheit,
b. wegen der Tötung je eines Goldjuden in mehreren Fällen bei verschiedenen Gelegenheiten und
c. wegen der Erschiessung eines einzigen Goldjuden im Lazarett
nicht zur Rechenschaft gezogen werden, obwohl insbesondere wegen des unter c. genannten Falles auf ihm nach wie vor ein gewisser Tatverdacht lastet.

VI. Die innere Einstellung des Angeklagten Suchomel zu seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka

Dem Angeklagten Suchomel war genau bekannt, auf welche grausame und hinterhältige Art und Weise Juden und Zigeuner in Treblinka vernichtet wurden. Er war sich ebenfalls darüber im klaren, dass seine Tätigkeit im Lager dazu diente, den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung zu fördern. Nach seiner eigenen, durchaus glaubhaften Einlassung hielt er die Tötung der Juden und Zigeuner für ein Unrecht und für einen Verstoss gegen die Gebote des Christentums, der Menschlichkeit und der Strafgesetze, der auch dadurch nicht rechtens geworden war, weil der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler diese Aktion angeordnet hatte. Er war aber der Meinung, dass er diesem "Führerbefehl" Folge leisten müsse. Durch seinen Dienst beim tschechoslowakischen Heer, beim deutschen Militär und bei T4 sowie durch seine Mitgliedschaft bei der Sudetendeutschen Partei und beim NSKK hatte er sich daran gewöhnt, stets allen Anordnungen nachzukommen und seinen Dienst an jedem Platz zu verrichten, an den er gestellt wurde, selbst wenn er etwas tun musste, was ihm nicht gefiel. Er glaubte deshalb auch im Vernichtungslager Treblinka alle Befehle ausführen zu müssen, zumal sie nach seiner Vorstellung von höchster Stelle kamen. Damit beruhigte er sein Gewissen und wirkte willig und eifrig an der Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben bei der Tötung von Juden und Zigeunern mit.

Der Angeklagte Suchomel lässt sich wie folgt ein:

Er habe nur aus Angst vor Christian Wirth bei der Vernichtung von Juden und Zigeunern mitgewirkt. Hätte er es abgelehnt, in Treblinka mitzumachen, so würde Wirth ihn entweder erschossen oder in eine Bewährungseinheit oder ein Konzentrationslager gebracht haben. Damit habe Wirth ständig und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedroht.

Wirth sei auch sonst immer grob und ausfallend gewesen. Einmal habe Wirth festgestellt, dass bei einer Abfertigung das Einsammeln eines Wertobjektes übersehen worden sei. Er habe ihn sofort zur Rede gestellt und ihm zur Strafe befohlen, den Kot, den die im Schlauch auf ihrer Vergasung wartenden Juden in ihrer Todesangst in grosser Menge ausgeschieden hätten, in einen grossen Kübel zu schaufeln und diesen wegzuschaffen. Diese Arbeit sei sonst immer nur von Arbeitsjuden ausgeführt worden. Wirth habe ihn damit besonders hart demütigen wollen, dass er ihn zur Ausführung dieser Arbeit gezwungen habe. Er habe sich wiederholt bemüht, von Treblinka wegzukommen. Schon bei Dr. Eberl habe er zweimal wegen einer Versetzung vorgesprochen, freilich ohne Erfolg. Ein anderes Mal habe er sich dieserhalb an Christian Wirth gewandt, der jedoch von ihm mit barschen Worten ein Ausharren auf seinem Posten verlangt und mit der Einweisung in ein Bewährungsbataillon oder in ein Konzentrationslager gedroht habe. Ein viertes Mal schliesslich habe er den gerade in Treblinka zu einer Inspektion weilenden SA-Standartenführer Blankenburg um seine Ablösung gebeten. Blankenburg habe ihm eine Versetzung mit den Worten: "Sie können höchstens zum Einsatz Dr. Brandt ins Reich kommen" angeboten. Diese ihm von Blankenburg gebotene Chance, ins Reich versetzt zu werden, habe er aufgrund seiner christlichen Gesinnung nicht wahrgenommen. Er habe vermutet, dass es sich bei dieser Aktion Dr. Brandt um die Weiterführung der Euthanasie, also eine andere "schiefe Angelegenheit" gehandelt habe. Von Blankenburg habe er darüber keine näheren Auskünfte mehr begehrt, da er sich gleich von diesem Angebot habe distanzieren wollen. Habe er doch befürchtet "vom Regen in die Traufe" zu kommen. Für ihn als Katholiken sei die Tötung Geisteskranker genauso schlimm gewesen wie die Tötung von Juden und Zigeunern. Er hätte sich also unter keinen Umständen verbessert, da beide Tätigkeiten gleich verwerflich gewesen seien. Unter diesen Umständen habe er sich entschlossen, in Treblinka auszuharren.

Ein schriftliches Gesuch um Versetzung zur Front würde keinerlei Erfolg gehabt haben. Aus diesem Grunde habe er auch während seines häufigen Urlaubs niemals bei der Dienststelle T4, bei seinem zuständigen Wehrbezirkskommando oder bei seinem früheren Wehrmachtstruppenteil vorgesprochen.

Im übrigen habe er sich nur an die ihm erteilten Befehle gehalten. Er habe auf ankommende Juden nicht eingeschlagen und nicht auf sie geschossen. Arbeitsjuden habe er gleichfalls nicht getötet, sondern sie alle gut behandelt.

Dass Suchomel seine Gold- und Hofjuden gut behandelt hat, ist durch die vereidigten Zeugen Gl., Un., Do., Raj., Oscar Stra., Pla., Sed., Ku., Wei., Au. und Lew. bewiesen und bereits im Abschnitt F.II.2. des Zweiten Teiles der Gründe ausführlich dargelegt worden. Andererseits ist im Abschnitt F.II.1. aufgrund der Bekundung der eidlich vernommenen Zeugen Gl., Tu., Kols., Oscar Stra., Do., Tai. und Koh. eingehend geschildert worden, dass Suchomel bei Transportabfertigungen auch brutal sein konnte, indem er auf angekommene und zur Vernichtung bestimmte Juden mit der Peitsche einschlug und in wenigen Fällen auch von seiner Schusswaffe Gebrauch machte, um in den Augen seiner Vorgesetzten und Kameraden nicht als Weichling und Versager zu gelten.

Dass Suchomel sich zweimal bei. Dr. Eberl und einmal bei Christian Wirth erfolglos um eine Versetzung bemüht hat, ist ihm nicht zu widerlegen. Ob aber diese Versetzungswünsche aus moralischen Gründen oder nur deshalb erfolgten, weil Suchomel, der anfangs häufig an die Rampe musste, der Umgang mit Leichen und mit Todeskandidaten anwiderte, bleibt ungeklärt, und zwar unter anderem deshalb, weil Suchomel das ihm von Blankenburg gemachte Angebot, zum Sondereinsatz Dr. Brandt ins Reich zu gehen, ohne nähere Prüfung ausschlug. Wie Suchomel selbst einräumte, ereigneten sich in Treblinka Dinge, die man sich kaum vorstellen kann. Alle Arten von Grausamkeiten waren in Treblinka denkbar. Es war, wie die vernommenen Zeugen, darunter der Ingenieur Gl., der Klempner Oscar Stra. und der Hoteldirektionsassistent Sed. erklärt haben, die Hölle auf Erden. Es hätte daher nichts näher gelegen, als das Angebot Blankenburgs näher zu prüfen und sich ins Reich zu melden. Schlimmer als in Treblinka konnte es unter keinen Umständen werden. Zudem war Suchomel früher bei T4 und in der Heil- und Pflegeanstalt in Hadamar nur als Fotokopist und keineswegs an den Gasöfen beschäftigt worden. Bei einer Versetzung ins Reich hätten sich ihm jedenfalls weit bessere Möglichkeiten dazu geboten, aus dem Kreis der Dienststelle T4 auszuscheren. Das gilt um so mehr, als gerade der SA-Standartenführer Blankenburg von der Zeugin Ra., die von September 1938 bis April 1945 Sekretärin in der Kanzlei des Führers war, als ein verhältnismässig umgänglicher und kameradschaftlicher Vorgesetzter geschildert wurde, mit dem man habe reden können. Dass Suchomel unter den beiden gebotenen Möglichkeiten, nämlich Aktion Dr. Brandt im Reich und Sonderkommando Treblinka, sich ohne nähere Prüfung sogleich für Treblinka entschied, lässt den Schluss zu, dass er angesichts der ihm gebotenen zahlreichen Vergünstigungen sein Leben im Vernichtungslager Treblinka erträglich fand.

Suchomel hat darauf hingewiesen, dass ein Versetzungsgesuch zu einer regulären Wehrmachtseinheit oder zur Front in jedem Falle aussichtslos gewesen sei. Das steht aber keinesfalls fest; denn der Mitangeklagte Ru. erinnert sich an einen im Vernichtungslager Treblinka tätig gewesenen jungen SS-Mann namens Alfred, dessen Gesuch um Versetzung zur Fronttruppe stattgegeben worden ist. Er wurde nach dem 2.August 1943 zu einer regulären Fronteinheit versetzt.

Dass man, wenn man nur hartnäckig genug war, selbst bei Wirth etwas erreichen konnte, beweist zudem die Versetzung des Angeklagten Stadie vom Vernichtungslager Treblinka zum Arbeitslager in Lublin, die Wirth anordnete, ohne dass Stadie besondere Nachteile erlitt.

G. Der Angeklagte Münzberger

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 17.August 1903 in Weisskirchlitz, Kreis Teplitz-Schönau (Tschechoslowakei) als Sohn eines Bau- und Möbeltischlers geborene Angeklagte Gustav Münzberger besuchte in seinem Geburtsort fünf Jahre lang die Volksschule und in Turn, Kreis Teplitz-Schönau, zwei Jahre lang die Bürgerschule. Nach der Entlassung aus der Schule erlernte er bei seinem Vater das Schreinerhandwerk und schloss die Lehre mit der Gesellenprüfung ab. Er arbeitete dann - abgesehen von einer kurzen Zeit, während der er in einer Papierfabrik tätig war - als Geselle im väterlichen Betrieb.

Vom 1.Oktober 1923 bis April 1925 genügte er seiner Militärdienstpflicht beim 1. Eisenbahner-Regiment des tschechoslowakischen Heeres in Pardubitz. Dann arbeitete er wieder im väterlichen Betrieb, den er schliesslich im Jahre 1931 übernahm. In seiner Freizeit betätigte er sich in der sudetendeutschen Turnerbewegung. Im Herbst des Jahres 1938 wurde er noch einmal für kurze Zeit Soldat beim tschechoslowakischen Heer. Nach der Eingliederung des Sudetenlandes ins Deutsche Reich trat er Ende 1938 der Allgemeinen SS bei. Er erhielt die SS-Nummer 321758. In der ersten Hälfte des Jahres 1939 absolvierte er bei der SS eine vormilitärische Übung. Er erreichte den Rang eines SS-Rottenführers. Im Jahre 1940 wurde er zusätzlich Mitglied der NSDAP.

Mitte 1940 wurde er zu einer SS-Dienststelle in Teplitz-Schönau bestellt. Hier wurde er zur Arbeit in der Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein bei Pirna dienstverpflichtet. Im August 1940 traf er in der Sonnensteiner Anstalt ein, wurde hier zur Geheimhaltung verpflichtet und bis zum August 1942 mit verschiedenen handwerklichen Arbeiten und als Hilfskoch beschäftigt.

Im August 1942 wurde er zur Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege in der Tiergartenstrasse 4 in Berlin befohlen. Von dort aus wurde er mit etwa 15 anderen Männern unter Leitung Polizeihauptmanns Schemmel nach Lublin in Marsch gesetzt. Von Lublin aus wurde er zunächst in das Lager Trawniki entsandt und hier kurz militärisch ausgebildet. Ende September 1942 kam er dann als SS-Unterscharführer zum Vernichtungslager Treblinka.

In Treblinka wurde er am 21.Juni 1943 wegen besonderer Auszeichnung beim Einsatz Reinhard vom SS-Rottenführer der Allgemeinen SS zum SS-Unterscharführer der Allgemeinen SS befördert.

Mitte November 1943 kam er von Treblinka über Lublin direkt nach Triest und von Triest nach Udine. Er wurde als Polizeihauptwachtmeister eingekleidet und im Stellungsbau sowie bei der Partisanenbekämpfung eingesetzt. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er jedoch bereits Ende Mai / Anfang Juni 1945 nach Bayern entlassen wurde. Er wurde in Unterammergau sesshaft. Im Jahre 1946 kamen seine Ehefrau, mit der er seit 1931 verheiratet ist, und sein Sohn aus dem Sudetenland zu ihm nach Unterammergau. Bis zu seiner Verhaftung im Juli 1963 verdiente Münzberger seinen Lebensunterhalt durch Arbeit als Tischler. Aus der römisch-katholischen Kirche ist er während der Zeit des Nationalsozialismus nicht ausgetreten. Er ist praktizierender Katholik.

Diese Feststellungen beruhen auf der insoweit glaubhaften Einlassung des Angeklagten Münzberger, auf den Angaben seiner Mitangeklagten Mentz und Ru. sowie auf den verlesenen Document-Center-Unterlagen. Dass Münzberger das Lager Treblinka schon Mitte November 1943 und nicht erst nach seiner Schliessung Ende November 1943 verlassen hat, bestätigen die Angeklagten Mentz und Ru. übereinstimmend und glaubhaft. Die Beförderung des Angeklagten Münzberger wegen seiner besonderen Auszeichnung beim Einsatz Reinhard zum SS-Unterscharführer der Allgemeinen SS ergibt sich aus den DC-Unterlagen des Angeklagten Franz. Dort befindet sich unter anderem eine Beförderungsliste der beim Einsatz Reinhard besonders hervorgetretenen Personen. Auf dieser Liste ist auch die Beförderung Münzbergers vom SS-Rottenführer zum SS-Unterscharführer der Allgemeinen SS verzeichnet.

II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka

Anfangs war Münzberger mehrere Wochen im unteren Lager an der Rampe bei der Abfertigung von Transporten und der Weiterleitung der angekommenen Juden zum Lazarett und zum Schlauch tätig. Etwa 2 Wochen lang führte er auch die Aufsicht beim Entkleiden der Jüdinnen in der Frauenauskleidebaracke. Bald wurde er jedoch ins obere Lager versetzt, wo er eine Spezialaufgabe erhielt, für die er sich wegen seiner Grösse und seines kräftigen Körperbaues besonders gut eignete. Er wurde, mit Peitsche und Pistole bewaffnet, als Wächter vor den Vorhang postiert, der den Eingang zum grossen Gashaus abschirmte. Er musste dafür sorgen, dass im grösster Eile möglichst viele zur Vergasung bestimmte Männer, Frauen und Kinder, die im Schlauch auf ihren Tod warteten, in die Gaskammern gepresst wurden, so dass die einzelnen Kammern bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt wurden. Hierbei wandte er, unterstützt von ukrainischen Wachmännern, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel an, um dieses Ziel zu erreichen. Er schrie die Juden an und schlug mit der Peitsche auf die sich sträubenden Opfer ein. Er liess es zu, dass die ihn unterstützenden Ukrainer, die mit Karabinern ausgerüstet waren, mit ihren Gewehrkolben brutal auf die Juden einschlugen, wenn sie nicht ruhig in die Kammern gehen wollten. Kinder, die im allgemeinen Gedränge von ihren Müttern getrennt wurden, liess er durch die Ukrainer über die Köpfe der Erwachsenen hinweg in die Kammern werfen, damit diese möglichst rationell ausgenutzt wurden und damit die Abfertigung so schnell wie möglich vor sich ging. Dann liess er die Türen der Gaszellen schliessen, so dass nunmehr die Abgase des Dieselmotors in die einzelnen Zellen geleitet werden konnten. Schliesslich zog er den schweren Vorhang vor dem Eingang des Gashauses zu. Mit Eifer wachte er darüber, dass die nächsten Opfer in einer Entfernung von etwa 50 m an der rechtwinkligen Biegung des Schlauches warteten, damit ihnen die Vorgänge vor und in den Gaskammern möglichst lange verborgen blieben. Dadurch sollte der Ausbruch einer Panik unter den Wartenden und eine hierdurch bedingte Verzögerung bei der Vergasung vermieden werden.

Ausserdem war er der Chef des Leichentransportkommandos. Um die Angehörigen dieses Kommandos, die "Leichenjuden" oder "Todesjuden" genannt wurden, kümmerte er sich dann, wenn er am Vorhang nicht mehr gebraucht wurde. Er gab sehr oft den Befehl zum Öffnen der äusseren Gaskammertüren, wenn die jeweilige Vergasung beendet war. Er überwachte dann den Transport der Leichen von den Gaskammern zu den Gruben und später zu den Verbrennungsrosten. Die Leichenträger spornte er durch Hiebe mit der Peitsche zu grösster Eile an, damit sie ihr Soll erfüllten.

Als Schreiner nahm er sich gelegentlich auch der Handwerkerkommandos des oberen Lagers an, ohne ausdrücklich zu deren Leitung bestellt zu sein.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Münzberger, soweit man ihr zu folgen vermag, auf den Angaben seiner Mitangeklagten H. und Ru. und auf den eidlichen Bekundungen des 57 Jahre alten Malers und Anstreichers Hell. aus Tel Aviv, des 40 Jahre alten Hafenlageristen Ros. aus Bat Jam und des 46 Jahre alten Staatsangestellten Li. aus Givataim in Israel. Münzberger räumt diese Feststellungen über seine Tätigkeit im unteren und oberen Lager in vollem Umfange ein. Er weist jedoch auf folgendes hin:

Er habe sich immer darum bemüht, die auf die Vergasung wartenden Opfer unter Wahrung von Ruhe und Ordnung zu den Gaskammern zu bringen. Das sei in der Regel immer gelungen, wenn der erste Schub der Opfer in die Gaskammern geführt worden sei, da diese Leute noch daran geglaubt hätten, sie würden nur ein Bad nehmen. Bei dieser ersten Füllung der Gaskammern sei deshalb meist nicht mit Schlägen nachgeholfen worden. Allerdings sei das bei den nächsten Füllungen manchmal anders gewesen, da die noch im Schlauch wartenden Juden bereits geahnt hätten, was ihnen bevorstand, obwohl er streng darauf geachtet habe, dass die Wartenden in der Höhe der rechtwinkligen Biegung des Schlauches, und zwar etwa 50 m vom Vorhang entfernt, von den Ukrainern zurückgehalten worden seien. Er habe damit erreichen wollen, dass die bedauernswerten Menschen nicht die Schreie der bereits in den Gaskammern befindlichen Juden hören sollten. Er habe allerdings niemals mehr zugeschlagen, als unbedingt nötig gewesen sei. Wenn er auf eine möglichst letzte Ausnutzung der Gaskammern bestanden habe, so sei das auch im Interesse der wartenden Juden geschehen; denn je schneller die Vergasung erfolgt sei, um so kürzer seien die Leiden und Ängste der noch nicht vergasten Juden gewesen. Diese hätten insbesondere während des strengen Frostes im Winter sein Mitleid erregt, da sie nackt und frierend bei mitunter 20 Grad Kälte im Schlauch auf ihre Abfertigung hätten warten müssen. Er habe sich dann besonders eifrig für eine schnelle und rationelle Füllung der Gaskammern eingesetzt, um den nackten Menschen den Aufenthalt in der schneidenden Kälte zu verkürzen.

Soweit seine ukrainischen Helfer gegenüber den Juden im Schlauch und vor dem Gashaus besonders brutal gewesen seien, könne man ihm das nicht anlasten, da die Ukrainer dem Angeklagten Franz und nicht ihm unterstanden hätten. Auf die Leichenträger habe er nur in wenigen Fällen eingeschlagen, da sie ihre Arbeit von sich aus sehr schnell verrichtet hätten.

Soweit der Angeklagte Münzberger darlegt, er habe versucht bei der Erfüllung seiner Aufgaben am Eingang zum grossen Gashaus in einem gewissen Umfange auch menschlich zu handeln, so vermag sich das Schwurgericht dem nicht anzuschliessen; denn die Zeugen Ros., Li. und Hell. haben übereinstimmend erklärt, dass Münzberger menschliche Regungen gegenüber den Opfern fremd waren und dass er ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Männer oder um Frauen und Kinder handelte, von seiner Peitsche rücksichtslos Gebrauch machte, um die Gaskammern bis auf den letzten Platz zu füllen. In ähnlich brutaler Weise, so berichten die Zeugen weiter, habe er sich gegenüber den Leichenträgern verhalten, da er nur darauf bedacht gewesen sei, dass die Leichen möglichst schnell weggebracht wurden, auch wenn die Träger vor ihrem körperlichen Zusammenbruch gestanden hätten. Auch der Mitangeklagte H. hat Münzberger als einen brutalen Schläger geschildert, dem seine sehr aktive Mitwirkung an einer Schaltstelle der Tötungsmaschinerie nichts ausgemacht habe und der nach dem Dienst im Kreise seiner Kameraden bei einem Umtrunk stets munter und guter Dinge gewesen sei und ihm sowie dem Kameraden Eisold sogar Vorwürfe wegen ihrer mangelnden Einsatzbereitschaft gemacht habe.

Unrichtig ist auch die Darlegung des Angeklagten Münzberger, er könne nichts dafür, wenn die Ukrainer bei dem Hereintreiben der Juden in die Gaskammern besonders grausam gewesen seien. Es ist zwar richtig, dass die Ukrainer in erster Linie dem Angeklagten Franz unterstanden, der ihnen jeweils die in Betracht kommenden Aufgaben bei der Ankunft und der Abfertigung von Transporten zuwies. Vor dem Vorhang war jedoch Münzberger der massgebende Mann. Er konnte zwar keinen der Juden mehr retten, die im Schlauch auf ihre Vergasung warteten; denn die Selektionen von Arbeitsjuden erfolgten bereits im unteren Lager. Wie die Zeugen Ros. und Hell. zutreffend bekunden, stand es aber in seiner Macht, das Temperament seiner ukrainischen Helfer zu zügeln und unnötige Grausamkeiten, wie das Hineinwerfen von Kindern in die Gaszellen über die Köpfe der Erwachsenen hinweg, zu verhindern. Wenn er das unterlassen hat, so lässt das nur den Schluss zu, dass er die Grausamkeiten der Ukrainer selbst billigte, weil es einer zügigen Erledigung der Vergasung zustatten kam.

III. Die im Rahmen der Massentötungen erfolgte Erschiessung einer Frau und zweier Kinder an einem Verbrennungsrost

Wie bereits im Abschnitt E. des Ersten Teiles der Gründe dargelegt worden ist, gehörte nach den Lubliner Richtlinien zur Abwicklung der Massentötungen auch die Erschiessung der Opfer, die noch lebendig aus den Gaskammern herauskamen, und solcher im Schlauch wartender Juden, die wegen Überfüllung der Gaskammern in diesen keinen Platz mehr gefunden hatten und für die wegen ihrer geringen Anzahl eine weitere Vergasung zu aufwendig gewesen wäre.

Bei der Massenvergasung eines Anfang 1943 eingetroffenen Transportes war eine Mutter mit mindestens zwei Kindern im Schlauch übriggeblieben. Sie alle hatten in den bis zum Bersten überfüllten Gaskammern keinen Platz mehr gefunden. Entsprechend den Lubliner Richtlinien durfte für sie keine gesonderte Vergasung mehr durchgeführt werden, was auch dem Angeklagten Münzberger bekannt war. Er führte deshalb die Mutter mit den mindestens zwei Kindern aus dem Schlauch zu einem Verbrennungsrost, der sich direkt gegenüber dem grossen Gashaus befand und erschoss sie dort mit seiner Pistole. Dann liess er die Leichen sofort auf den Rost legen, auf dem bereits andere Leichen verbrannt wurden.

Münzberger lässt sich hierzu wie folgt ein:

Ob es einmal vorgekommen sei, dass Juden noch
lebend die Gaskammern verlassen hätten und dann erschossen worden seien und ob man Nachzügler ausserhalb der Gaskammern im oberen Lager getötet habe, wisse er nicht. Wenn er jedoch persönlich Dienst am Vorhang gehabt habe, sei so etwas nicht passiert, denn er habe so gründlich gearbeitet, dass er beim Hereintreiben der Menschen in die Gaskammern keinen einzigen Juden im Schlauch übersehen habe. Auch seien die Aussenklappen der Gaskammern auf seine Anweisung oder auf Anordnung seiner Kameraden erst dann geöffnet worden, wenn in den Kammern der letzte Lebenshauch erloschen sei. Er habe besonders sorgfältig darauf geachtet, ob noch Stöhnen und Röcheln in den Kammern zu hören gewesen sei. Deshalb habe er es nicht nötig gehabt, Juden aus Transporten zu erschiessen, da sie alle ordnungsgemäss in den Gaskammern getötet worden seien. Er müsse sich deshalb ganz entschieden gegen die Anschuldigung verwahren, er habe eine Mutter mit mindestens 2 Kindern am Feuerrost gegenüber dem grossen Gashause erschossen.

Dass indessen - trotz aller Beteuerungen des Angeklagten Münzberger - bei den Vergasungen nicht immer so gründlich gearbeitet wurde, bestätigt der eidlich vernommene Zeuge Ros., der es als Leichenträger mehrfach erlebt hat, dass manche Opfer nur betäubt aus den Gaskammern herauskamen, dass sie sich dann auf der Trage aufrichteten und schliesslich von SS-Männern an den Gaskammern, während des Transportes oder an der Grube beziehungsweise später an den Feuerrosten erschossen wurden. Der Zeuge Ros. hat auch mit eigenen Augen aus nächster Nähe gesehen, wie Münzberger eine Frau und mindestens 2 Kinder - der Zeuge meint, es könnten auch 3 Kinder gewesen sein - für die man keine Vergasung mehr durchführen wollte, am Feuerrost gegenüber dem grossen Gashaus mit seiner Pistole erschoss und dass er deren Leichen sofort auf die brennenden Roste legen liess.

Der Zeuge Ros. hat Münzberger richtig beschrieben, ihn sofort identifiziert und ihn auf einem ihm vorgelegten Foto wiedererkannt. Seine Zuverlässigkeit und besondere Glaubwürdigkeit ist bereits mehrfach ausführlich dargelegt worden. Dass seine Schilderung der Erschiessung einer Mutter und zweier Kinder, die er als Leichenträger aus nächster Nähe am Feuerrost miterlebt hat, richtig ist, daran bestehen keine Zweifel. Allerdings meint der Zeuge, es könnten nicht nur zwei, sondern auch drei Kinder gewesen sein, die Münzberger erschossen habe. Zugunsten Münzbergers soll jedoch die geringere Anzahl von zwei getöteten Kindern zugrundegelegt werden.

Soweit in der Hauptverhandlung noch weitere Erschiessungen von Juden anlässlich der Massenvergasungen durch Münzberger erörtert worden sind (Beteiligung an der Erschiessung von 200 Schülern, die keinen Platz mehr in den Gaskammern gefunden hatten, und Erschiessung eines lebend aus der Gaskammer herausgekommenen jungen Mädchens) reicht das Ergebnis der Beweisaufnahme zu eindeutigen Feststellungen nicht aus. Der uneidlich vernommene Zeuge Gol., der Münzberger der Mitwirkung an der Erschiessung von 200 Schülern, die keinen Platz in den Gaskammern mehr gefunden haben sollen, bezichtigt, ist, wie bereits hervorgehoben, nicht zuverlässig. Der unvereidigt gebliebene Zeuge Ep., der die Tötung einer der Gaskammer lebendig entronnenen jungen Jüdin durch Münzberger bekundete, war bei seiner Aussage so sehr erregt, dass Zweifel an der objektiven Richtigkeit seiner Schilderung nicht zu überwinden waren.

IV. Nicht erwiesene Exzesstaten ausserhalb der Massentötungen

1. Die Tötung einzelner jüdischer Häftlinge in einer Vielzahl von Fällen wegen geringer Verstösse gegen die Lagerordnung

Die Anklage legt Münzberger zur Last, er habe einer unbestimmten Vielzahl von Fällen jüdische Arbeitshäftlinge des Totenlagers eigenmächtig erschossen, weil er sie geringer Verstösse gegen bestimmte Lageranordnungen für schuldig befunden habe. In der Hauptverhandlung sind zu diesem Vorwurf die nachfolgenden drei Vorgänge erörtert worden:

a. Erschiessung eines deutschen Juden
Der uneidlich vernommene, 55 Jahre alte Eisenbahner Gol. aus Petach Tikwa / Israel macht Münzberger den Vorwurf, er habe an einer Leichengrube einen deutschen Juden erschossen, der sich bei der Abfertigung eines Transportes aus Petrikau darüber beschwert habe, dass er Leichen tragen müsse, obwohl er früher deutscher Konsul in der Schweiz gewesen sei.

Gegen die Zuverlässigkeit dieses Zeugen bestehen mehrere Bedenken. Einmal neigt Gol. zu Übertreibungen. Zum anderen hat er den Angeklagten Münzberger nicht wiedererkannt, sondern Ru. für Gustav Münzberger gehalten. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass der Zeuge Gol. bei seiner Vernehmung sehr erregt war, was man ihm angesichts des Leides, dass er in Treblinka erfahren hat, nicht verdenken kann. Alles zusammen mindert jedoch den Wert seiner Aussage in objektiver Hinsicht beträchtlich. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass Münzberger einen deutschen Juden anlässlich der Abfertigung eines Petrikauer Transportes erschossen hat.

b. Erschiessung eines älteren Leichenträgers
Der uneidlich vernommene, 39 Jahre alte Mechaniker Ep. aus Petach Tikwa in Israel hat folgendes bekundet: Er habe bei der Abfertigung eines Transportes im Frühjahr 1943 mit einem älteren Häftling zusammen Leichen auf einer Trage weggetragen. Dem älteren Mann sei die Arbeit schwergefallen. Aus diesem Grunde hätten er und dieser Mann einmal nur eine einzige Kinderleiche auf die Trage gelegt obwohl zwei Kinderleichen die vorgeschriebene Norm gewesen sei. Das habe Münzberger bemerkt. Er sei auf seinen älteren Kameraden zugegangen und habe ihm gesagt: "Du bist ein Faulpelz." Dann habe er ihn vor seinen Augen erschossen. Ihm selbst sei nichts geschehen. Obwohl der Zeuge Ep. den Angeklagten Gustav Münzberger sofort wiedererkannt hat und obwohl seine Schilderung über die Erschiessung eines älteren Leichenträgers nichts Unwahrscheinliches enthält, da derartiges im Totenlager durchaus vorgekommen sein kann, bestehen Bedenken an der Richtigkeit dieser Bekundung, die in der Person des Zeugen begründet liegen. Er hat Furchtbares miterlebt. In Treblinka sind sein Vater, seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester ums Leben gekommen. Die Tötung seines jüngeren Bruders bei der Ausladung der Waggons habe er sogar persönlich mit ansehen müssen. Es ist menschlich verständlich, dass ihn seine Beherrschung verliess, als er sich seinen früheren Peinigern gegenüber sah. Das führte dann zur unrichtigen Darstellung verschiedener Dinge. Auffallend war insbesondere, dass der Zeuge den Angeklagten Otto H. der Erschiessung zweier Häftlinge (eines Jungen, der aus einer Tonne Wasser trinken wollte, und eines Erwachsenen, der einen Knochen nicht klein genug zerstampft hatte) bezichtigte und dass er am ersten Tag seiner Vernehmung aber zunächst mit aller Bestimmtheit auf Suchomel zeigte und meinte, das sei H., kein anderer Angeklagter könne H. sein. Erst am Ende seiner Vernehmung, vier Tage später, zeigte er auf H. und sagte, dass sei der "Otto" (=Otto H.). Diese Unsicherheit zieht die objektive Richtigkeit der Aussage des Zeugen erheblich in Zweifel; denn der dem oberen Lager zugeteilte Angeklagte H. hatte damals und hat auch heute mit dem im unteren Lager tätig gewesenen Angeklagten Suchomel keinerlei Ähnlichkeit, ein Umstand, auf den unter anderem die besonders zuverlässige Zeugin Lew., deren gute Beobachtungsgabe in diesem Urteil bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, ausdrücklich aufmerksam gemacht hat. Hinzu kommt, dass Ep. der einzige Zeuge ist, der H. so schwer belastet; denn im oberen Lager war H. der unauffälligste deutsche SS-Mann, der sich der ihm übertragenen Aufgabe an den Leichengruben und Feuerstellen recht und schlecht erledigte, ohne die Häftlinge zu misshandeln und ohne irgendwelche eigene Initiative zu entfalten. Darauf haben unter anderem die vereidigten Zeugen Ros., Hell. und Lew. hingewiesen. Ist aber die Bekundung des Zeugen Ep., soweit sie H. betrifft, mit Sicherheit objektiv unrichtig, so fällt hierdurch auch ein Schatten auf die übrigen Angaben des Zeugen. Jedenfalls vermochte sich das Schwurgericht aufgrund der vorgetragenen Bedenken nicht zu entschliessen, die Erschiessung eines älteren Leichenträgers durch Münzberger allein aufgrund der Aussage des Zeugen Ep. als erwiesen anzusehen.

c. Erschiessung eines weiteren Leichenträgers
Der Zeuge Ep. belastet den Angeklagten Münzberger weiter wie folgt: Im Totenlager habe man während der Arbeit nur dann austreten dürfen, wenn man vorher um eine Erlaubnis hierzu nachgesucht habe. Im Frühjahr 1943 habe er wieder einmal mit einem anderen Häftling Leichen auf einer Trage vom grossen Gashaus zu einem Verbrennungsrost getragen. Sein Kamerad habe sich während der Arbeit entfernt, um sein Bedürfnis zu verrichten. Münzberger habe das bemerkt, sei ihm nachgegangen und habe ihn mit seiner Pistole erschossen, weil der Häftling es verabsäumt hatte, die Einwilligung Münzbergers zum Austreten einzuholen.

Was bei der Bewertung der Aussage Ep's im vorhergehenden Falle gesagt worden ist, gilt auch hier. Der geschilderte Vorfall mag sich im Totenlager zugetragen haben. Mit letzter Sicherheit vermag das Schwurgericht das aber deshalb nicht festzustellen, weil der bei seiner Vernehmung sehr erregte Zeuge in anderen Dingen, insbesondere bezüglich des Verhaltens des Angeklagten H., nach der Überzeugung des Gerichts objektiv unrichtige Angaben gemacht hat. Seine Bekundung allein reicht deshalb nicht aus, den Angeklagten Münzberger der Erschiessung eines Leichenträgers, der sein Bedürfnis verrichten wollte, zu überführen.

2. Seine Mitwirkung bei der Massenerschiessung von Arbeitshäftlingen des Totenlagers

Dem Angeklagten Münzberger wird weiter vorgeworfen, er habe zusammen mit anderen deutschen SS-Männern an Massenexekutionen von Häftlingen des oberen Lagers, die aus den verschiedensten Gründen vorgekommen seien, teilgenommen.

Der uneidlich vernommene Zeuge Gol. hat die nachfolgenden drei Fälle geschildert:

a. Tötung von 70 Häftlingen
Bei einem Appell sei der Angeklagte Matthes von einem Juden mit einem Messer verletzt worden. Matthes und Münzberger hätten daraufhin 70 Häftlinge herausgesucht, diese 70 Leute zu einer Leichengrube geführt und dort gemeinsam erschossen.

b. Erschiessung von 50 Typhuskranken
An einem Freitag am Ende des Jahres 1942 hätten Matthes, Münzberger und ein SS-Mann, genannt "Der Böse" 50 Typhuskranke herausgesucht und ins Lazarett des unteren Lagers gebracht, wo Frankenstein sie erschossen habe.

c. Weitere Erschiessung von mehr als 50 Typhuskranken
An einem Tage am Anfang des Jahres 1943 hätten Matthes, Münzberger und "Der Böse" zum zweiten Male Typhuskranke, und zwar diesmal mehr als 50 Männer zur Erschiessung herausgesucht und sie zum Lazarett des unteren Lagers geführt, wo alle wiederum von Frankenstein erschossen worden seien.

Münzberger bestreitet, sich an diesen drei Massenexekutionen in irgendeiner Form beteiligt zu haben. Die uneidliche Bekundung des Zeugen Gol. reicht zu seiner Überführung nicht aus. Dass an der Zuverlässigkeit der von Gol. gemachten Angaben erhebliche Zweifel bestehen, ist bereits mehrfach (vergleiche A.VIII.9. und C.VI.2. sowie G.IV.1a des Zweiten Teiles der Gründe) dargelegt worden.

3. Die Erschiessung des Häftlings Mietek Szczypior

Nach der Anklage soll Münzberger in der ersten Hälfte des Jahres 1943 den Leichenträger Mietek Szczypior eigenmächtig erschossen haben, weil er sich einige Meter von seiner Arbeitsstelle entfernt haben soll, um seine Notdurft zu verrichten.

Der jetzt 46 Jahre alte Staatsangestellte Li. aus Givataim in Israel hat hierzu unter Eid folgendes bekundet: An einem Tage Ende November / Anfang Dezember 1942 habe er zusammen mit seinem Freund Mietek Szczypior auf einer Trage Leichen vom grossen Gashaus zu einer Leichengrube befördert. Szczypior habe hierbei einmal die Trage einen Moment auf den Boden gelegt, um auszutreten. Das habe der die Aufsicht führende Angeklagte Münzberger gesehen. Er habe ihn zu sich gerufen, ihm befohlen, sich zu entkleiden und ihn dann von hinten durch einen Schuss mit seiner Pistole in den Kopf getötet. Das habe er aus der Nähe genau beobachtet, zumal ihn das Schicksal seines Freundes Mietek besonders interessiert habe.

Aufgrund dieser detaillierten Schilderung des vereidigten Zeugen Li., der seine Aussage ruhig und überlegt gemacht hat, ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass sein Freund Mietek Szczypior getötet worden ist, weil er während des Dienstes ohne Erlaubnis austreten wollte. Trotzdem bleiben Bedenken über die Person des Täters zurück. Li. hat am ersten Tage seiner Vernehmung den Angeklagten Münzberger wohl auf einem Foto, nicht aber in Person wiedererkannt. Mit Sicherheit hat er bei seiner Gegenüberstellung mit den Angeklagten nur Franz und Matthes zu identifizieren vermocht. Den Angeklagten Suchomel hat er für den Angeklagten Miete gehalten. Das alles lässt den Schluss zu, dass seinem sonstigen ziemlich guten Erinnerungsvermögen nur ein mässig entwickeltes Personengedächtnis gegenübersteht. Bei der Schilderung der Erschiessung von 24 bis 30 Männern (vergleiche den Abschnitt C.VI.3. des Zweiten Teiles der Gründe) hat er auch selbst eingeräumt, er könnte bei dieser Massenexekution Münzberger mit Pötzinger verwechselt haben, da beide etwa die gleiche Statur gehabt hätten. Zwar hat er die Erschiessung der 24 bis 30 Männer nur aus einer grösseren Entfernung beobachtet, während er die Tötung seines Freundes Mietek Szczypior aus der Nähe miterlebt hat. Aber auch hier bleiben beim Schwurgericht letzte Zweifel daran zurück, ob Münzberger oder ob Pötzinger der Täter gewesen ist. Wenn man einmal einer Personenverwechslung unterlegen ist, dann kann das auch leicht ein zweites Mal geschehen. In diesem Zusammenhang ist schliesslich noch bedeutsam, dass Li. den Angeklagten Münzberger erst am Ende seiner zwei Tage später fortgesetzten Vernehmung zu identifizieren vermochte. Dieser sehr späten Wiedererkennung kann man daher keine allzu grosse Bedeutung beimessen.

Der Zeuge Li. hat zwar an sich einen glaubwürdigen Eindruck auf das Schwurgericht gemacht. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass er wegen seines mässig entwickelten Personengedächtnisses Münzberger mit Pötzinger in mehreren Fällen miteinander verwechselt hat. Aus diesem Grunde kann man nicht mit einer zu einer Verurteilung nötigen Gewissheit feststellen, dass Münzberger den Leichenträger Mietek Szczypior erschossen hat, da dieser diese Tat entschieden in Abrede stellt und da weitere Beweismittel zu seiner Überführung nicht zur Verfügung stehen.

4. Die Mitwirkung des Angeklagten Münzberger an der Erhängung von fünf Häftlingen des oberen Lagers

Die Anklage legt Münzberger weiter zur Last, er habe an der Erhängung von fünf Häftlingen des oberen Lagers, die einen Fluchtversuch unternommen hatten, aktiv mitgewirkt.

Dieser Fall ist bereits beim Angeklagten Matthes (vergleiche Abschnitt C.V. des Zweiten Teiles der Gründe) abgehandelt worden. Aufgrund einer genauen Abwägung der eidlichen Bekundungen der Zeugen Ros. und Li. ist das Schwurgericht in diesem Abschnitt zu dem Ergebnis gekommen, dass in der Nacht des ersten Schneefalles Ende Dezember 1942 insgesamt 5 Männer geflohen sind, dass man einen Flüchtling tot und drei Flüchtlinge lebendig zurückgebracht hat und dass diese drei schliesslich auf Anweisung des Angeklagten Matthes erhängt worden sind. Die beiden Zeugen Ros. und Li. erinnern sich jedoch nicht mehr daran, ob Münzberger mit der Erhängung dieser drei Männer in irgendeiner Form befasst gewesen ist. Genaue Feststellungen über eine aktive Mitwirkung von Münzberger bei diesem Vorgang sind damit nicht möglich.

5. Seine Beteiligung an einer Erschiessung von 24 Häftlingen

Dem Münzberger wird vorgeworfen, er habe an der Erschiessung von 24 Häftlingen des oberen Lagers mitgewirkt, die einen Fluchtversuch unternommen hätten und deren Tötung deshalb von dem Chef des oberen Lagers, dem Angeklagten Matthes, angeordnet worden sei.

Was der von der Staatsanwaltschaft hierzu benannte Zeuge Li. bekundet hat, ist bereits beim Angeklagten Matthes ausführlich dargestellt worden (vergleiche den Abschnitt C.VI.3. des Zweiten Teiles der Gründe). Der Zeuge hat ausdrücklich erklärt, ob Münzberger bei der Erschiessung der 24 bis 30 Häftlinge mitgewirkt habe, könne er nicht genau sagen, da er ihn möglicherweise mit dem SS-Mann Pötzinger, der seiner Statur nach Münzberger ähnlich gewesen sei, verwechselt habe. Eine Beteiligung Münzbergers an dieser Massenexekution kann somit nicht als erwiesen angesehen werden.

6. Seine Mitwirkung an der Erschiessung des jüdischen Restkommandos

Schliesslich wird dem Angeklagten Münzberger der Vorwurf gemacht, er habe bei der Liquidierung des jüdischen Restkommandos in der Weise mitgewirkt, dass er die in einem Eisenbahnwaggon untergebrachten mindestens 30 Häftlinge bewachte und sie von dort in Gruppen von 5 bis 6 Mann zur Erschiessung wegbringen liess.

Der Angeklagte Münzberger bestreitet, an dieser Aktion beteiligt gewesen zu sein. Er weist darauf hin, dass er schon Mitte November 1943, also etwa zwei bis drei Wochen vor der endgültigen Schliessung des Lagers, Treblinka verlassen habe und sogleich über Lublin zu seinem neuen Einsatz nach Oberitalien abgereist sei.

Die Mitangeklagten Mentz und Ru. haben übereinstimmend angegeben, dass Münzberger bei der Liquidierung des Restkommandos nicht mitgewirkt habe, da er zu dieser Zeit gar nicht mehr in Treblinka gewesen sei. Der Angeklagte Ru. gibt sogar zu, dass er selber, nicht Münzberger, die beiden Güterwaggons mit den restlichen Häftlingen vor und während ihrer gruppenweise vorgenommenen Erschiessung bewacht habe.

Unter diesen Umständen liegt gegen Münzberger in diesem Anklagepunkt ein begründeter Tatverdacht nicht mehr vor.

V. Die innere Einstellung des Angeklagten Münzberger zu seinem Einsatz in Treblinka

Dem Angeklagten Münzberger war durch seine Tätigkeit im unteren und im oberen Lager bekannt, dass den in Treblinka angekommenen Juden durch Ansprachen und später durch die am Bahnhof aufgestellten Hinweisschilder in deutscher und polnischer Sprache vorgespiegelt wurde, sie würden entweder zur Behandlung in ein Lazarett oder zum Baden geführt und später zu ihrem neuen Arbeitsplatz gebracht werden. Er wusste auch, dass die alten und kranken Juden im Lazarett nicht behandelt, sondern erschossen wurden, und dass die Masse der übrigen Ankömmlinge nicht zum Baden, sondern zur Vergasung in die Gaskammern geführt wurde.

Münzberger war sich dessen bewusst, dass die Vernichtung der Juden gegen die Vorschriften der Religion, der Menschlichkeit und der Strafgesetze verstiess. Er meinte aber, sich an der Vollziehung dieses Unrechts beteiligen zu müssen, weil der Führer es angeordnet hatte. Durch seine Mitgliedschaft bei der Allgemeinen SS, bei der er sogar eine kurze vormilitärische Ausbildung absolviert hatte, und bei der NSDAP sowie durch seine Tätigkeit bei T4 war er daran gewöhnt, Befehle auszuführen, selbst dann, wenn er etwas tun musste, was ihm innerlich nicht behagte. Dieser Einstellung entsprechend verhielt er sich auch im Vernichtungslager Treblinka. Er zeigte sich mit seinem Einsatz bald einverstanden, brachte sein Gewissen zum Schweigen und entfaltete bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben eine grossen Eifer. Den Angeklagten H. und dessen Freund Eisold, die beide keinen besonderen Eifer zeigten und im Kreise ihrer Kameraden Bedenken gegen die Judentötungen vorbrachten, machte er Vorhaltungen, weil sie bei der Ausführung des "Führerbefehls" nicht alle ihre Kräfte einsetzten, wie man es nach seiner Ansicht von wirklichen SS-Männern verlangen musste. Seine unbedingte Befehlsergebenheit liess bei ihm gar nicht den Gedanken an eine Befehlsverweigerung aufkommen. Im Gegenteil, er war einer der Stützen des oberen Lagers bei der Vergasung Hunderttausender von Juden. Deswegen wurde er auch nach der Beendigung der Aktion Reinhard zum SS-Unterscharführer der Allgemeinen SS befördert.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Münzberger, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben seiner Mitangeklagten H. und Suchomel sowie auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Ros., Hell., Li. und Lew.

Münzberger macht folgendes geltend:

Er habe die Judenvernichtung in Treblinka von Anfang an nicht für richtig gehalten. Die Opfer hätten ihm sehr leid getan. Seine ihm übertragenen Aufgaben habe er deshalb nur widerstrebend und aus Angst vor einer schweren Bestrafung verrichtet. Es sei ihm auch nicht möglich gewesen, aus dem Lager wegzukommen. Er habe in Treblinka zwei Gestellungsbefehle zur Waffen-SS erhalten, die er beide auf der Lagerschreibstube abgegeben habe. Von ihnen habe er jedoch nichts mehr gesehen und gehört. Später habe er einmal Christian Wirth um seine Abstellung zur Waffen-SS gebeten. Wirth habe das unter Hinweis darauf abgelehnt, zunächst seien die Befehle des Führers in Treblinka auszuführen. Mit dieser ablehnenden Antwort Wirths habe er sich zufrieden gegeben. Er habe es nicht gewagt, ihn dieserhalb ein zweites Mal anzusprechen, da Wirth grob und unberechenbar gewesen sei. Zwar habe er selbst mit ihm keine Auseinandersetzungen gehabt. Er habe aber gehört, wie Wirth einigen seiner Kameraden mit der Einweisung in ein Konzentrationslager oder der Versetzung in eine Bewährungseinheit für den Fall gedroht habe, dass sie in Treblinka nicht mitmachten oder sich bei anderen Stellen um eine Ablösung aus Treblinka bemühten. Er habe deshalb Angst vor Wirth gehabt und sei nur aus diesem Grunde in Treblinka geblieben.

Diese Einlassung des Angeklagten Münzberger ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Münzberger hat in Treblinka keine schweren inneren Kämpfe ausgefochten. Nach den glaubhaften Angaben des Mitangeklagten H. hat Münzberger öfter zum Ausdruck gebracht, dass es ihm überhaupt nichts ausmache, bei der Vernichtung der Juden mitzuwirken; ausserdem hat er ihn und Eisold wegen ihrer offen geäusserten Missbilligung der Judenvernichtung verspottet. Der über alle Lagervorfälle gut informierte Angeklagte Suchomel hat bestätigt, dass man sich allgemein im Lager über H. und seinen Freund Eisold lustig gemacht habe, weil sie gegenüber ihren Kameraden moralische Bedenken bezüglich der Massentötungen äusserten und darauf hinwiesen, sie könnten sich nicht vorstellen, dass die Tötung der Juden für die an ihr beteiligten Deutschen "gut ausgehen" würde. Auf die Frage, ob auch Münzberger sich deswegen über H. und Eisold lustig gemacht habe, hat Suchomel - nach längerer Überlegung - gesagt, hierzu möchte er sich nicht äussern. Da Suchomel, der es mit keinem verderben will, bemüht ist, seine Kameraden zu entlasten, soweit das ohne Schaden für ihn möglich ist, deutet sein Schweigen in diesem Punkt darauf hin, dass die Angaben H's über Münzberger richtig sind und dass auch Münzberger zu denen gehört hat, die sich über H. und Eisold wegen der von ihnen ausgesprochenen Missbilligung der Judenvernichtung amüsierten. Andernfalls würde Suchomel - wie das Schwurgericht aus der Kenntnis seines übrigen Verhaltens in der Hauptverhandlung weiss - sofort erklärt haben, dass Münzberger nicht zu den Spöttern gehört habe.

Auffallend ist weiter, dass Münzberger keineswegs nur dann übereifrig auf die in die Gaskammern hineingestossenen Opfer eingeschlagen und nach den Vergasungen die Leichenträger durch Peitschenhiebe zu besonderer Eile angetrieben hat, wenn er sich durch Wirth, Franz oder Matthes beobachtet fühlte, sondern dass er sich regelmässig auch dann so verhielt, wenn keine Vorgesetzten in der Nähe waren. Es ist zudem kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem er sich einem Häftling gegenüber menschlich und barmherzig gezeigt hätte. Er war stets hart und grausam zu den Juden. Das alles bestätigen der Angeklagte H. und die Zeugen Ros., Li. und Hell. Diese Feststellungen sprechen dagegen, dass er seine Arbeit im oberen Lager einzig und allein aus Angst vor Christian Wirth getan hat.

Nach seiner eigenen Einlassung unternahm Münzberger, abgesehen von einer einzigen Rücksprache mit Wirth, nichts, um aus Treblinka abgelöst zu werden. Er wurde weder bei der Dienststelle T4 in Berlin noch bei seinem zuständigen Wehrbezirkskommando noch bei seiner Heimatdienststelle der Allgemeinen SS wegen einer Versetzung vorstellig, obwohl er in seinem häufigen Heimaturlaub hierzu Gelegenheit gehabt hätte. Wenn ihm seine Tätigkeit in Treblinka wirklich so zuwider gewesen wäre, wie er jetzt vorgibt, dann hätte er vor allen Dingen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mit den beiden regulären Einheiten der Waffen-SS in Verbindung zu treten, zu denen er mit den beiden Gestellungsbefehlen einberufen war. Der Umstand, dass er dies alles unterliess, lässt den Schluss zu, dass er seine Aufgaben in Treblinka keineswegs widerwillig und aus Angst vor Wirth, sondern aufgrund seiner besonderen Befehlsergebenheit ausführte.

H. Der Angeklagte Lambert

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 7.Dezember 1909 in Schildow, Kreis Niederbarnim, als Sohn der Eheleute Hermann und Minna Lambert geborene Angeklagte Erwin Hermann Lambert hat noch eine in Schildow lebende verwitwete Schwester. Nach dem Tode seines Vaters, der 1915 als Soldat im Weltkrieg fiel, heiratete seine Mutter den Schildower Bauunternehmer Bee. Lambert wuchs in Schildow auf und besuchte dort die Volksschule. Zunächst war er ein Jahr in einer Schlosserlehre, dann machte er in drei Jahren eine vollständige Maurerlehre durch und schloss sie mit der Gesellenprüfung ab. Mitte der zwanziger Jahre besuchte er drei Semester lang die Baugewerkschule auf der Kurfürstenstrasse in Berlin. Die Maurermeisterprüfung bestand er entweder 1936 oder 1937 in Bernau bei Berlin. Inzwischen hatte Lambert bei verschiedenen Baufirmen in Schildow und Berlin gearbeitet. Zuletzt war er im Jahre 1939 als Maurerpolier bei der Baufirma Vollmann und Schmidt in Berlin tätig.

Anfang 1940 wurde er von der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege, deren Büros sich damals noch im Columbushaus am Potsdamer Platz befanden, dienstverpflichtet. Der Sachbearbeiter Schneider klärte ihn über die von dieser Stiftung vorzubereitende Euthanasieaktion auf, sagte ihm, dass es sich um eine "Geheime Reichssache" handele und liess sich von ihm ein Formular über die Verpflichtung zur Geheimhaltung dieses Vorhabens unterschreiben. Seine erste Tätigkeit bestand darin, die Villa auf der Tiergartenstrasse 4 in Berlin, die dem jüdischen Maler Max Liebermann gehört hatte, für Bürozwecke umzubauen. Er erfüllte diesen Auftrag, so dass die Stiftung bald in die umgebaute Liebermannvilla auf der Tiergartenstrasse 4 umziehen konnte. Man nannte die Stiftung fortan abgekürzt nur noch die Dienststelle T4 (=Tiergartenstrasse 4).

Von dieser Dienststelle aus wurde Lambert dann in die Heil- und Pflegeanstalten Hartheim bei Linz, Sonnenstein bei Pirna, Bernburg und Hadamar entsandt. In den Gebäuden aller dieser vier Anstalten baute er je eine Gaskammer zur Vergasung von Geisteskranken ein. Er war hierdurch bei der Dienststelle T4 zum Spezialisten für den Bau von Gaskammern geworden. Von der Anstalt in Hadamar aus, wo er zuletzt tätig war, bekam er Ende 1940 Weihnachtsurlaub. Nach dem Urlaub wurde er von T4 zum Erholungsheim dieser Dienststelle am Attersee in Österreich geschickt, das er baulich überholen musste.

Zusammen mit dem Koch Hengst, den er in der Bernburger Anstalt kennengelernt hatte, hatte er sich im Frühling 1942 erneut bei T4 zu melden. Ende Mai / Anfang Juni 1942 wurden er und Hengst von Berlin aus nach Lublin in Marsch gesetzt. Er wurde hier als SS-Unterscharführer in Feldgrau eingekleidet und noch am Ankunftstag zusammen mit Hengst von dem SS-Hauptsturmführer Thomalla mit einem Kraftwagen zum Vernichtungslager Treblinka gefahren. In Treblinka, wo das kleine Gashaus bereits fertiggestellt war, leitete er den Bau von Baracken, Zäunen und anderen Lagereinrichtungen durch Ukrainer, Juden und freie polnische Handwerker. Eines Tages erschien der zum ersten Kommandanten des Lagers ernannte Dr.med. Irmfried Eberl im Lager. Es kamen auch die ersten Transporte an, deren Vergasung Lambert miterlebte, ohne hierbei selbst mit Hand anzulegen, da er seinen baulichen Sonderauftrag zu erledigen hatte. Etwa zwei Wochen nach der Ankunft Dr. Eberls im Lager wurde Lambert krank. Wegen seiner Erkrankung konnte er mit Genehmigung von T4 mehrere Wochen lang zu Haus in Schildow bleiben. Hier besuchte ihn auch der stellvertretende Personalchef von T4, der Zeuge O.

Nach seiner Gesundung wurde Lambert zur Anstalt Hartheim bei Linz abkommandiert, wo er eine Filmkammer bauen musste, etwas, was ebenfalls mit der Euthanasie zusammenhing. Anschliessend führte er erneut Erneuerungsarbeiten am Erholungsheim der Dienststelle T4 am Attersee aus.

Im August 1942 fuhr er zum zweiten Mal zum Vernichtungslager Treblinka, wo bereits mit dem Bau der neuen Gaskammer begonnen worden war. Mit Unterstützung von Juden und Ukrainern gelang es Lambert, aufgrund seiner Spezialkenntnisse im Bau von Vergasungsanlagen das grosse Gashaus rasch fertigzustellen. Im September oder Oktober 1942 kam er zum Gaskammerbau in das Vernichtungslager in Sobibor. Anschliessend wirkte er am Aufbau der Arbeitslager Dorohucza bei Lublin und Poniatowo bei Opole mit. Die Befehle hierzu hatte er ebenfalls von der Zentralstelle der Aktion Reinhard in Lublin bekommen. Nach der Erledigung aller dieser Aufträge wurde er nach Berlin zurückbeordert und von hier aus erneut zur Durchführung von Bauarbeiten in der Heil- und Pflegeanstalt in Bernburg geschickt. Von Bernburg fuhr er im Frühjahr 1943 zum dritten Male zum Vernichtungslager Treblinka, um dort Umbauten und Reparaturen an Gebäuden auszuführen. Über Lublin gelangte er wieder nach Berlin. Man schickte ihn von hier aus zum Erholungsheim der T4 am Attersee, weil dort erneut Reparaturarbeiten zu erledigen waren. Anschliessend leitete er verschiedene Bauarbeiten in der Anstalt Hartheim bei Linz und war bei der Verlegung der Dienststelle T4 von Berlin nach Gut Steineck bei Schönfliess, Kreis Königsberg in der Neumark, tätig.

Im Dezember 1943 hatte Lambert einen mehrwöchigen Weihnachtsurlaub, den er zu Hause in Schildow verbrachte. Anfang Januar 1944 wurde er von Berlin aus nach Triest in Marsch gesetzt und dort als Polizeioberwachtmeister eingekleidet. Er wurde im Raume zwischen Triest und Fiume mit Maurerarbeiten beschäftigt und bei der Strassensicherung eingesetzt.

Am 15.Mai 1945 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Die Engländer übergaben ihn den Amerikanern, die ihn in ein Lager nach Aalen in Württemberg brachten. Er wurde nach Waiblingen entlassen, zog von dort zunächst nach Schwaikheim und wurde schliesslich in Stuttgart sesshaft. Im Jahre 1949 machte er sich hier selbständig, und zwar nicht als Bauunternehmer, sondern als Fliesenleger. In seinem gut florierenden Geschäft beschäftigt er mehrere Fliesenleger. Er ist seit dem 3.Juni 1944 mit Brand. verheiratet. Aus seiner Ehe sind zwei Töchter hervorgegangen.

Er trat am 1.März 1933 der NSDAP bei, jedoch nicht einer Gliederung dieser Partei. In den Jahren 1938 und 1939 war er Blockleiter der NSDAP in Schildow. Als er noch in Schwaikheim wohnte, wurde er dort entnazifiziert und als Mitläufer eingestuft.

Lambert gehört der evangelischen Kirche an.

Diese Feststellungen beruhen auf der insoweit glaubhaften Einlassung des Angeklagten Lambert.

II. Seine Aufgaben in Treblinka

Der Angeklagte Lambert gehörte nicht zur deutschen Stammbesatzung des Vernichtungslagers Treblinka. Als "fliegender Baumeister" der Dienststelle T4 wurde er überall dort eingesetzt, wo im Rahmen der Euthanasie und der Judenvernichtung Bauarbeiten zu verrichten waren, worunter insbesondere die Erstellung von Gaskammern fiel.

In Treblinka hatte der Angeklagte als Bauspezialist eine sehr freie Stellung. Er brauchte sich an dem übrigen Lagerbetrieb, insbesondere an der eigentlichen Abfertigung von Transporten, nicht zu beteiligen. Ein grosser Teil der Lagereinrichtungen wurde unter seiner Leitung nach schon vorliegenden Plänen gebaut oder umgebaut. Bei seinem ersten Aufenthalt im Lager errichtete er mit Hilfe von Ukrainern, jüdischen Häftlingen aus dem benachbarten Arbeitslager und freien polnischen Handwerkern unter anderem verschiedene Baracken, den Lagerzaun und andere Zäune innerhalb des Lagers sowie den Munitionsbunker. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Treblinka baute er insbesondere die grosse neue Gaskammer auf, deren Fundamente allerdings bei seiner Ankunft schon etwa 70 cm hoch gemauert waren. Dabei halfen ihm Ukrainer und jüdische Häftlinge des Vernichtungslagers. Bei seinem dritten Aufenthalt in Treblinka nahm er insbesondere Reparatur- und Umbauarbeiten an bereits vorhandenen Gebäuden vor.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten und auf den Angaben seiner neun Mitangeklagten.

Der Verdacht, dass Lambert an der baulichen Planung und dem Entwurf der grossen Gaskammer in Treblinka beteiligt gewesen ist, hat sich in der Hauptverhandlung nicht bestätigt, da es nicht auszuschliessen ist, dass die Lubliner Stellen in Verbindung mit der Zentralen Bauleitung der SS in Warschau die Bauplanung für die drei Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor allein übernommen hatten.

Ebensowenig haben sich hinreichende Verdachtsmomente dafür ergeben, dass Lambert Angehörige des Baukommandos, das ihm jeweils während seines dreimaligen Aufenthaltes in Treblinka unterstellt war, misshandelt oder getötet hat. Der uneidlich vernommene Zeuge Gol. hat zwar behauptet, dass Lambert mehrere jüdische Ingenieure, darunter den Bauingenieur Lubelczyk, getötet habe. Dieser Zeuge ist jedoch nicht zuverlässig und glaubwürdig (vergleiche dazu den Abschnitt G.IV.1. des Zweiten Teiles der Urteilsgründe).

III. Die innere Einstellung des Angeklagten Lambert zu seinem Einsatz in Treblinka

Der Angeklagte wusste schon bei seinem ersten Eintreffen in Treblinka, dass die von ihm errichteten Lagergebäude der Massentötung von Juden dienen sollten. Während aller seiner drei Einsätze in Treblinka erlebte er, wie Transporte ankamen und wie sie abgefertigt wurden. Er wusste, dass den kranken Juden vorgespiegelt wurde, sie würden zur Behandlung in ein richtiges Lazarett kommen, und dass man den gesunden Juden sagte, sie würden lediglich gebadet und dann zu ihren neuen Arbeitsplätzen weitergeleitet werden. Ihm waren alle Einrichtungen im oberen und unteren Lager genauestens bekannt, er kannte auch die in deutscher und in polnischer Sprache abgefassten Hinweisschilder für die ankommenden Juden am Bahnhof. Trotz Kenntnis aller dieser Umstände, führte er bei seinen drei Einsätzen in Treblinka alle ihm übertragenen Arbeiten, die einer Vergrösserung der Lagerkapazität und einer Verbesserung der Lagereinrichtungen dienten, eifrig und sorgfältig aus.

Er war sich dessen bewusst, dass die Vernichtung der Juden gegen die Gesetze, gegen die Sittlichkeit und gegen die Gebote des Christentums verstiess. Ihm war bekannt, dass die Judenvernichtung auf einem Führerbefehl beruhte, und er glaubte deshalb, an der Erfüllung dieses Führerbefehls mitwirken zu müssen. Durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP seit 1933 und durch seine zweijährige Tätigkeit als Blockwalter der NSDAP in Schildow hatte er sich daran gewöhnt, an Führerbefehlen keinerlei Kritik zu üben, auch wenn sie bei ihm sittliche Bedenken hervorriefen. Diese Bedenken hatte er schon während seines Einsatzes bei der Euthanasie abgestreift, und es machte ihm deshalb nichts aus, auch in Treblinka zur Tötung von Menschen beizutragen. Hinzu kam, dass ihm sein Posten bei der Dienststelle T4 viele Vorteile einbrachte. Er konnte viel häufiger in Urlaub fahren, als es sonst einem Angehörigen der Wehrmacht, der Waffen-SS oder einer der sonstigen militärähnlichen Organisationen während des 2.Weltkrieges möglich war. Ausserdem hatte er als Bauspezialist sehr viel Freiheit. Er brauchte sich weder zeitlich noch organisatorisch der Lagerordnung anpassen. So wurde er zum Beispiel nicht zum UvD (=Unteroffizier vom Dienst) eingeteilt, sondern konnte sich, wenn das Baukommando sein Tageswerk vollbracht hatte, auf sein Zimmer zurückziehen und tun und lassen, was ihm beliebte. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass ihm die drei Einsätze in Treblinka zusagten, und dass er nichts unternahm, um von ihnen freigestellt zu werden.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben des Angeklagten Stadie sowie auf den uneidlichen Bekundungen der kaufmännischen Angestellten Ra. und des Rechtsanwalts A.

Der Angeklagte Lambert lässt sich wie folgt ein:

Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Judenvernichtung Unrecht gewesen sei. Wenn er trotzdem dreimal in Treblinka Bauarbeiten verrichtete und hierdurch bei der Massentötung von Juden mitgeholfen habe, so sei das nur aus einer Zwangslage heraus geschehen. Es sei nämlich nicht möglich gewesen, von T4 wegzukommen, wenn man einmal in den Kreis der Geheimnisträger aufgenommen worden sei. Er habe insgesamt zwei Gestellungsbefehle zur Truppe bekommen, und zwar einen in Berlin und einen während seines Aufenthaltes im Raume Lublin. Den einen Gestellungsbefehl habe er bei der Dienststelle T4 und den anderen dem SS- und Polizeiführer in Lublin abgegeben. Seine Hoffnung, er würde aufgrund dieser Gestellungsbefehle zu einer regulären Truppe kommen, habe sich jedoch nicht erfüllt. Einmal habe er auch in Berlin beim Personalchef Haus von der Dienststelle T4 wegen einer Versetzung vorgesprochen. Dieser habe das aber abgelehnt. Sonstige Versuche habe er nicht unternommen, da alles aussichtslos gewesen sei. Irgendwelche Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten habe er nicht gehabt. Auch mit Wirth sei er gut ausgekommen.

Diese Einlassung des Angeklagten, die auf ein Handeln unter äusserem Zwang hindeutet, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Wenn der Angeklagte Lambert innerlich nicht bereit gewesen wäre, die ihm übertragenen Aufgaben in Treblinka auszuführen, dann hätte er sich intensiver um seine Ablösung bemüht. Hierzu hatte er nach der Überzeugung des Schwurgerichts weit mehr Gelegenheit, als die meisten anderen Angeklagten. Wie er selbst einräumt, war er mit dem SA-Standartenführer Blankenburg von der Dienststelle T4 seit 1933 gut befreundet. Sie duzten sich, weil sie eine Zeitlang in der Partei zusammengearbeitet hatten. Auch nach dem Kriege hat Lambert nach seinen eigenen Angaben die Freundschaft mit Blankenburg aufrecht erhalten. Er hat, wie er selbst sagt, Blankenburg, der sich damals Bielicke nannte, nach dem Kriege zufällig in Stuttgart wiedergetroffen und danach mit ihm bis zu dessen Tode im Jahre 1958 weiterhin in enger persönlicher Verbindung gestanden.

Von den Zeugen Ra. und A. wird Blankenburg als ein Mann geschildert, mit dem man habe reden können. So sagte der Zeuge A., der seinerzeit auch bei T4 tätig war, folgendes: "Blankenburg war ein weicher, umgänglicher Mann, der Versetzungswünschen sicherlich nicht ohne weiteres ablehnend gegenüber gestanden hätte." Es bleibt unverständlich, weshalb sich der Angeklagte Lambert nicht an seinen Duzfreund Blankenburg gewandt hat, um von seinen Aufgaben in Treblinka entbunden und zu einer regulären Einheit versetzt zu werden, zumal Lambert durch seine langjährige Mitgliedschaft der NSDAP und durch seine zweijährige Tätigkeit als Blockleiter politisch abgesichert war. Hierzu hatte er genügend Gelegenheit, da er sich in Abständen von mehreren Wochen immer wieder bei der Dienststelle T4 in Berlin einfinden musste. Dort hätte er bei allen diesen Gelegenheiten mit Blankenburg sprechen können.

Wenn er das nicht gemacht hat, so lässt sich das nach der Überzeugung des Gerichts nur dadurch erklären, dass er die Vorteile seiner Tätigkeit im Rahmen der Dienststelle T4 nicht aufgeben wollte. Diese Vorteile bestanden nicht nur in dem häufigen Urlaub, den er bekommen hat, sondern auch darin, dass er vom Fronteinsatz, bei dem er möglicherweise hätte verwundet werden können, verschont blieb. Zum anderen hat es auch daran gelegen, dass er in Treblinka der ohnehin nicht sehr straffen Lagerordnung für die deutschen SS-Männer nicht unterlag, sondern sich seine Arbeit und seine Freizeit einteilen konnte, wie er wollte. Letzteres hat der Angeklagte Stadie, der als Stabsscharführer Verwaltungsleiter der deutschen Lagermannschaft war, erklärt.

Wie Lambert selbst einräumt, hat er aufgrund seiner Sonderstellung auch niemals Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten gehabt, da diese nichts vom Baufach verstanden und ihm nicht in seine Arbeit hineinreden konnten. Dass der Angeklagte Lambert von der Dienststelle T4 besonders bevorzugt worden ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass ihm der stellvertretende Personalchef O. im Jahre 1942 in der elterlichen Wohnung in Schildow einen Krankenbesuch abgestattet hat. Eine solche Vergünstigung ist keinem anderen Angeklagten, noch nicht einmal dem schwer an Fleckfieber erkrankten Angeklagten Matthes, seitens eines leitenden Mannes der Dienststelle T4 zuteil geworden.

Es spricht somit alles dafür, dass Lambert nicht aus einer psychischen Zwangslage heraus Bauarbeiten in Treblinka ausgeführt hat, sondern dass er, ohne irgendwelchen Zwang befürchtet zu haben, seine ihm übertragenen Aufgaben bedenkenlos verrichtet hat.

I. Der Angeklagte Ru.

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der am 8.Juni 1890 als Sohn eines Bautischlers in Berlin geborene Angeklagte Ru. verbrachte seine Kinder- und Jugendzeit gemeinsam mit acht Geschwistern, von denen zwei starben, im Elternhaus. Nach dem achtjährigen Besuch der Volksschule wurde er Hotelpage und machte dann im Berliner Hotel "Kronprinz" eine dreijährige Kellnerlehre durch, die er im Jahre 1909 mit einer Prüfung abschloss. Anschliessend arbeitete er als Kellner in England und Frankreich, um im September 1913 nach Berlin zurückzukehren. Anfang 1915 wurde er zu den Hirschberger Jägern einberufen. Er machte den Weltkrieg als Soldat mit und wurde zu Weihnachten 1918 entlassen.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen arbeitete Ru. als Schlafwagenschaffner, als selbständiger Wirt, als Inhaber eines Wäschegeschäftes und vor allen Dingen in seinem erlernten Beruf als Kellner. Beim Ausbruch des 2. Weltkrieges war er Kellner in dem Berliner Nachtlokal "Die Insel".

Da der Umsatz in diesem Nachtlokal seit Kriegsbeginn zurückging, suchte Ru. nach einer anderen Beschäftigung, die ihm zusagte. Der bei der Kanzlei des Führers seit 1937 angestellte Zeuge von He., den Ru. durch die NSDAP und auch als Gast in der "Insel" kennengelernt hatte, verschaffte ihm Ende 1939 eine Stelle als Fotokopist bei der Dienststelle T4. Ru. musste sich bei dem SA-Standartenführer Blankenburg im Columbushaus am Potsdamer Platz melden. Blankenburg klärte ihn über die Euthanasieaktion auf und verpflichtete ihn zur Verschwiegenheit. Ru. wurde dann nach einem vierwöchigen Einführungskursus fortlaufend als Fotokopist in der Dienststelle T4 beschäftigt. Er musste Fotokopien von Bildern und Akten von Geisteskranken anfertigen. Mit der Zeit konnte er die beim Fotokopieren auftretenden chemischen Dämpfe gesundheitlich nicht mehr gut vertragen. Er sprach deshalb bei der Personalabteilung vor und bat um eine andere Arbeit, nach Möglichkeit um eine solche im Freien. Seinem Wunsche wurde entsprochen. Man sagte ihm, er könnte als Wachmann in ein Arbeitslager nach Polen kommen. Damit war er einverstanden.

Ende November 1942 / Anfang Dezember 1942 wurde er von Berlin nach Lublin in Marsch gesetzt, hier als SS-Unterscharführer eingekleidet und dann nicht einem Arbeitslager, sondern dem Vernichtungslager Treblinka zugeteilt. In Treblinka blieb er bis Ende November 1943. Dann wurde er zum Vernichtungslager Sobibor versetzt. Anfang Dezember 1943 erhielt er von Sobibor aus einen unbefristeten Urlaub, den er in Berlin verbrachte. Anfang Januar 1944 musste er sich bei T4 in Berlin melden und wurde sogleich nach Oberitalien in Marsch gesetzt, wo er als Polizeihauptwachtmeister bei Polizeieinheiten in Udine und Tarvis Dienst machte. Bei einem Autounfall wurde er verletzt und in ein Lazarett in Udine eingeliefert, um von dort zur endgültigen Ausheilung seiner Verletzung in ein Krankenhaus nach Timmendorfer Strand verlegt zu werden. Im Juni 1946 wurde er von dort nach Berlin entlassen. Bis 1955 arbeitete er noch als Kellner, seither lebt er als Rentner.

Der Angeklagte, der seit 1922 verheiratet war, verlor seine Frau im Jahre 1945.

Er ist katholisch getauft, aber evangelisch konfirmiert worden. Aus der Kirche ist er nicht ausgetreten. Im März 1933 trat Ru. der NSDAP bei. Seit dem Jahre 1937 war er als Blockwalter der Partei tätig.

Diese Feststellungen beruhen auf der insoweit glaubhaften Einlassung des Angeklagten Ru. und der uneidlichen Bekundung des Angestellten v. He., der die Darstellung des Angeklagten darüber, auf welche Art und Weise er zur Dienststelle T4 gestossen ist, bestätigt hat.

II. Seine Aufgaben im Vernichtungslager Treblinka

Ru. war zunächst mehrere Wochen im unteren Lager tätig. Bei der Ankunft von Transporten stand er am Bahnhof und sorgte dafür, dass sich die Frauen links und die Männer rechts einordneten und dass alles mit grösster Schnelligkeit vor sich ging. Er hieb hierbei auch mit seiner Peitsche auf die Juden ein, wenn das erforderlich war. Ausserdem machte er Dienst auf dem Sortierplatz. Zuweilen führte er auch die Aufsicht im Schlauch. Einige Male führte er das Tarnkommando aus dem Lager heraus, um Reisig zu holen, das dann zu Tarnungszwecken in den Lagerzaun eingeflochten wurde.

Nach einigen Wochen wurde er jedoch bereits ins obere Lager versetzt, wo er nunmehr ständig Dienst tat. Er war dem Leichentransportkommando zugeteilt, ohne allerdings dessen Chef zu sein. Er musste zusammen mit anderen SS-Männern darauf achten, dass die Leichen aus den Gaskammern anfangs noch zu den Leichengruben, später zu den Verbrennungsrosten transportiert wurden. Gelegentlich, wenn auch nicht so häufig wie andere SS-Männer, machte er hierbei auch von seiner Lederpeitsche Gebrauch, um die Leichenträger zu grösserer Eile anzutreiben.

Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten Ru., der zugibt, im unteren und oberen Lager auch seine Peitsche geschwungen und auf Häftlinge eingeschlagen zu haben, diese hierbei allerdings nur leicht "tangierend", wie er meint. Dass er indessen während seiner Tätigkeit im unteren Lager mit seiner Peitsche kräftig auf die mit den Transporten angekommenen Juden eingeschlagen hat, bestätigt der eidlich vernommene Sägewerksleiter Raj., dessen Zuverlässigkeit bereits mehrfach gewürdigt worden ist. Die gleiche Beobachtung hat auch der ebenfalls vereidigte Angestellte Cz. gemacht. Beide Zeugen betonten aber auch, sie hätten Ru. - im Gegensatz zu anderen SS-Männern - niemals auf ankommende Juden schiessen sehen. Dass Ru. im oberen Lager die Leichenträger mit Peitschenhieben zu schnellerer Arbeit antrieb, hat er selbst eingestanden. Ausser diesen "routinemässig" vom Angeklagten Ru. ausgeteilten Peitschenhieben auf die arbeitenden Leichenträger ist jedoch in der Beweisaufnahme kein Fall bekannt geworden, bei dem Ru. sonst einen Häftling des oberen Lagers schwer misshandelt oder gar getötet hat.

III. Die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss nicht erwähnte Mitwirkung des Angeklagten Ru. an der Erschiessung des jüdischen Restkommandos

An der Liquidierung des jüdischen Restkommandos von mindestens 25 Personen, darunter zwei Frauen, war Ru. insofern beteiligt, als er die in den zwei Waggons eingesperrten männlichen Juden bewachte und sie in Gruppen von je fünf Personen nach und nach zum Siedlungshaus schickte, in dessen Nähe sie erschossen wurden. Diese Feststellungen beruhen auf dem glaubhaften Geständnis der beiden Angeklagten Ru. und Mentz, deren Angaben zu dieser Liquidierung des jüdischen Restkommandos vollauf übereinstimmen. Hinzu kommt, dass auch der Angeklagte Franz das Kerngeschehen dieser Erschiessung der letzten Häftlinge und die Mitwirkung von Ru. hierbei bestätigt (vergleiche den Abschnitt A.VI.19. und den Abschnitt D.V. des Zweiten Teiles der Gründe).

IV. Die innere Einstellung des Angeklagten Ru. zu seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka

Da der Angeklagte Ru. im unteren und im oberen Lager tätig war, wusste er über die Einzelheiten der Abfertigungspraxis genau Bescheid. Ihm war bekannt, dass die angekommenen Männer, Frauen und Kinder zunächst durch Ansprachen und später durch am Bahnhof aufgestellte, in deutscher und polnischer Sprache abgefasste Hinweisschilder über ihr wirkliches Schicksal getäuscht wurden, damit sie nicht aufsässig wurden und den Deutschen und Ukrainern keine Schwierigkeiten bereiteten. Er wusste auch, dass alte und kranke Juden im Lazarett, die brennenden Leichen in der Grube vor Augen, erschossen wurden und dass die grosse Mehrzahl der Opfer unter Peitschen- und Kolbenhieben in die Gaskammern getrieben und dort, in den Zellen eng zusammengepfercht, durch die Abgase eines Dieselmotors getötet wurden.

Ru. hielt die Tötung der Juden für unmoralisch, unmenschlich und für ein gegen die Strafgesetze verstossendes Unrecht. Er ging davon aus, dass Adolf Hitler die Durchführung der Judenvernichtung angeordnet hatte, hielt aber im Gegensatz zu manchen seiner Kameraden diesen Führerbefehl keineswegs für sich verbindlich; denn auf einen so unsinnigen Führerbefehl wie den der Judenvernichtung hat er, wie er sagt, "nichts gegeben". Trotzdem beteiligte er sich an der Aktion Reinhard im Rahmen der ihm erteilten Befehle, weil er die schon früher aufgezeigten Vorteile, die sich hierdurch für ihn ergaben, wohl zu schätzen wusste. Er unternahm deshalb weder in Treblinka noch in Berlin, wo er mehrfach in Urlaub weilte, irgendeinen Versuch, um eine Versetzung zu einem Arbeitslager, zu einer Landesschützeneinheit oder zu einer sonstigen Stelle zu erreichen. Angesichts der schwierigen Verhältnisse, denen viele Menschen im 2.Weltkrieg ausgesetzt waren, hielt er sein Leben in Treblinka für zufriedenstellend, selbst wenn er den dort von anderen SS-Männern verübten Grausamkeiten und den Massentötungen innerlich ablehnend gegenüber gestanden hätte. Das gilt um so mehr, als er mit seinen Kameraden gut auskam und mit seinen Vorgesetzten - trotz Fehlens jeglichen Ehrgeizes und Eifers bei der Judenvernichtung - keinerlei Schwierigkeiten hatte.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Raj., Cz., Hell., Ros., Li. und Lew. sowie auf der uneidlichen Bekundung des Zeugen v. He.

Der Angeklagte lässt sich wie folgt ein:

Er sei im März 1933 keineswegs aus Überzeugung der NSDAP beigetreten, sondern nur, weil er gehofft habe, hierdurch beruflich besser voranzukommen. Bis 1937 sei er nur "zahlendes Mitglied" der Partei gewesen, ohne sich in irgendeiner Form zu betätigen. Im Jahre 1937 sei der Parteigenosse v. He. an ihn mit der Bitte herangetreten, er möge Blockwalter werden, weil man in seiner Wohngegend keinen in geldlichen Dingen zuverlässigen Mann zum Einkassieren der von den Parteimitgliedern zu entrichtenden Beiträge habe. Um Herrn v. He. aus der Verlegenheit zu helfen, habe er zugesagt. Seine Tätigkeit habe sich aber wirklich nur auf das Einkassieren und das Abliefern der Beiträge beschränkt. Schon wegen seines Berufes als Kellner habe er sich abends niemals an irgendwelchen Veranstaltungen der Partei beteiligen können. Da er in der Zeit vor dem 1.Weltkrieg mehrere Jahre in England und Frankreich als Kellner gearbeitet habe, sei er nicht so engstirnig gewesen wie jemand, der immer nur in Deutschland geblieben sei. In den letzten Jahren vor dem Ausbruch des 2.Weltkrieges habe er durch seine Tätigkeit als Kellner in Berliner Betrieben, darunter auch in dem feinen Nachtklub "Die Insel", viele Parteigrössen bedient und hierbei festgestellt, dass es sich auch nur um normale Sterbliche und nicht um Übermenschen gehandelt habe. Aus dieser Ernüchterung heraus habe er auch den Führer niemals als Halbgott angesehen und auf seine Befehle, wenn sie unmoralisch und unrealistisch gewesen seien, nicht viel oder sogar nichts gegeben. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen damals habe er sich nicht der allgemeinen Massenhysterie angeschlossen, sondern seinen kühlen Kopf behalten.

Weil er niemals antisemitisch eingestellt gewesen sei, habe er sich auch keineswegs an den Führerbefehl zur Vernichtung der Juden in Treblinka gebunden gefühlt, zumal die Entfernung von Treblinka zur Reichskanzlei in Berlin sehr gross gewesen sei. Wenn er dennoch die ihm in Treblinka übertragenen Aufgaben recht und schlecht ausgeführt habe, so nur deshalb, weil er sich ihnen nicht habe entziehen können. Er habe niemals um eine Versetzung nachgesucht, weil das für ihn aussichtslos gewesen sei. Zwar habe ein SS-Mann mit dem Vornamen Alfred, der sich schon vor dem Aufstand am 2.August 1943 zur Front gemeldet hatte, schliesslich Erfolg gehabt und sei kurz nach dem 2.August 1943 zu einer Fronttruppe versetzt worden. Das sei aber ein junger Mann gewesen, den man bei der kämpfenden Truppe habe gut gebrauchen können. Für ihn selbst habe das nicht gegolten, da er 1943 bereits im 53. Lebensjahr gestanden habe.

Die ihm übertragenen Aufgaben offen zu verweigern, dazu habe er nicht genügend Mut und zu viel Angst vor dem SS-Obersturmführer Wirth gehabt, da er miterlebt habe, wie Wirth Kameraden "fertiggemacht" und ihnen mit der Einweisung in ein Konzentrationslager gedroht habe, falls sie nicht mitmachten. Eine solche Auseinandersetzung mit Wirth habe er sich ersparen wollen und ihn deshalb wegen einer anderen Verwendung ausserhalb von Treblinka erst gar nicht angesprochen.

Die Erschiessung des jüdischen Restkommandos habe er innerlich missbilligt. Da Wirth zu dieser Zeit gar nicht mehr im Raume Lublin gewesen sei, hätte man die restlichen 25 bis 30 Häftlingen auch freilassen können. Da bereits beim Aufstand viele Juden geflohen seien, habe man zu dieser Zeit die restlose Geheimhaltung der Vorgänge in Treblinka ohnehin nicht mehr wahren können. Leider habe er hier nichts zu sagen gehabt. Nachdem der Angeklagte Franz die Erschiessung der restlichen Häftlinge angeordnet und ihn zur Bewachung der beiden Güterwaggons bestimmt hätte, habe er sich fügen müssen. Er sei schon froh gewesen, dass Franz ihn nicht dem eigentlichen Exekutionskommando zugeteilt habe. Obwohl ihm die in den beiden Waggons auf ihren Tod wartenden Juden sehr leid getan hätten, habe er wegen seiner unbedeutenden Stellung im Lager nichts zu ihrer Rettung beitragen können.

Dieser Einlassung vermag das Schwurgericht nur zum Teil zu folgen. Dass Ru. trotz seiner Zugehörigkeit zur NSDAP und seiner Tätigkeit als Blockwalter kein besonders aktiver Nationalsozialist gewesen ist, kann man annehmen; denn der uneidlich vernommene Angestellte v. He. hat glaubhaft erklärt, Ru. habe sich erst nach längerem Zureden dazu bereit erklärt, Blockwart zu werden und sich bei diesem Posten darauf beschränkt, die Mitgliedsbeiträge der in seinem Block wohnenden Parteigenossen einzusammeln und sie genauso sorgfältig abzurechnen, wie er es mit seiner als Kellner eingenommenen Tageskasse zu tun gewohnt war. Ebenso ist davon auszugehen, dass Ru. keineswegs aus Überzeugung an der Vorbereitung der Euthanasie teilgenommen hat. Aus der Aussage des Zeugen v. He. ergibt sich, dass Ru. lediglich an einer neuen leichten Arbeit interessiert war, als Ende 1939 das Nachtlokal "Die Insel" nicht mehr genügend Besucher hatte. Anstatt bei der Dienststelle T4 als Fotokopist zu arbeiten, hätte Ru. auch eine andere Bürotätigkeit bei einer Behörde oder Privatfirma angenommen, wenn man sie ihm angeboten hätte.

Schliesslich dürfte Ru. zwar kein besonderer Freund der Juden, aber auch kein Antisemit gewesen sein, da er sich andernfalls in Treblinka sicherlich weitaus aktiver betätigt haben würde. Darüber hinaus ist er auch frei von sadistischen Neigungen gewesen. Abgesehen davon, dass er nach den Bekundungen der Zeugen Raj. und Cz. im unteren Lager die angekommenen Juden und nach seinen eigenen Angaben im oberen Lager die Leichenträger während der Arbeit mit seiner Peitsche geschlagen hat, ist er willensstark genug gewesen, den vielen Gelegenheiten zu entsagen, sich durch schwere, raffinierte Misshandlungen von Juden ein besonderes Vergnügen zu verschaffen. Die im oberen Lager inhaftiert gewesenen Zeugen Ros., Li., Hell. und Lew. haben keinerlei eigenmächtige Handlungen des Angeklagten Ru. zum Nachteil von Arbeitshäftlingen in Erinnerung, so dass an Taten ausserhalb der Massentötungen lediglich seine vom Eröffnungsbeschluss nicht umfasste Mitwirkung an der Liquidierung des jüdischen Restkommandos verbleibt.

Allerdings vermag sich das Schwurgericht der Darlegung des Angeklagten Ru., er habe nur deshalb in Treblinka mitgewirkt, weil eventuelle Versetzungsgesuche für ihn von vornherein aussichtslos gewesen seien, nicht anzuschliessen. Seit dem Jahre 1937 kannte er den bei der Kanzlei des Führers tätig gewesenen Zeugen v. He. Er selbst war schon seit Ende 1939 bei dieser Stelle tätig gewesen. Bei seiner Versetzung nach dem Osten hatte man ihm zugesichert, er werde als Wachmann in ein "Arbeitslager" kommen. Da es zum Beispiel in der Nähe von Lublin und an vielen anderen Orten derartige Arbeitslager gab und da Ru. häufig in Berlin auf Urlaub weilte, hätte es nahegelegen, unter Einschaltung des Zeugen v. He. um seine Versetzung vom Vernichtungslager Treblinka zu einem Arbeitslager oder zu einem Kriegsgefangenenlager nachzusuchen, wo überall zumeist ältere Wachmänner eingesetzt wurden. Hierbei hätte er auf die ihm seinerzeit gegebene Zusicherung auf Abstellung zu einem Arbeitslager und auf sein Alter hinweisen können. Bei einem solchen Versuch hätte er keineswegs Leib oder Leben riskiert, da er durch seine Mitgliedschaft in der Partei seit 1933, durch seine Tätigkeit als Blockwalter seit 1937 und durch ein gutes Leumundszeugnis des Zeugen v. He. politisch abgesichert war. Zudem kannte er sich in der KdF beziehungsweise in der Dienststelle T4, der er schon seit Ende 1939 als Fotokopist angehört hatte, besonders gut aus und wusste die Vorgesetzten nach Veranlagung und Temperament richtig einzuschätzen. Der Umstand, dass er keinerlei Versuche um eine Ablösung unternommen hat, lässt zur Überzeugung des Schwurgerichts den Schluss zu, dass er sich mit seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka nicht zuletzt wegen der hierdurch gebotenen Vorteile (häufiger Urlaub, gutes Essen, Bedienung durch einen jüdischen Putzer und anderes mehr), abgefunden hatte und dass er sie ohne ständige Gewissenskonflikte ausübte.

J. Der Angeklagte H.

I. Seine persönlichen Verhältnisse

Der Angeklagte H. ist am 14.Dezember 1903 als Sohn der Arbeiterin Emma Ida H. in Obergrauschwitz (Kreis Leipzig) geboren worden. Er wuchs bei seinen Grosseltern mütterlicherseits auf. Die Volksschule besuchte er in Ablass (Kreis Leipzig). Er wurde aus der 8. Klasse entlassen. Anschliessend arbeitete er in der Landwirtschaft und als Fabrikarbeiter. Im Jahre 1926 meldete er sich in der Heilanstalt Arnsdorf zur Ausbildung als Krankenpfleger an. Er durchlief den vorgeschriebenen Ausbildungsgang in den Heilanstalten Arnsdorf und Sonnenstein bei Pirna und schloss ihn mit dem staatlichen Krankenpflegerexamen ab. Er war dann in der Heilanstalt in Leipzig-Dösen tätig, ging dann aber im Jahre 1931 wieder zu Anstalt in Arnsdorf zurück. Am 27.August 1939 wurde er von Arnsdorf aus zur einer Sanitätskompanie bei der in Dresden stationierten 56. Infanteriedivision eingezogen. Er nahm am Polen- und Frankreichfeldzug teil. Im September 1940 wurde er mit seiner Einheit von Paris zum Warthegau versetzt. Er nahm noch am Russlandfeldzug teil, wurde aber bald in die Heimat zurückbeordert und nach Arnsdorf entlassen. Als er sich in der dortigen Anstalt meldete, erhielt er die Nachricht, er sei als Pfleger für die Heilanstalt Sonnenstein vorgesehen. Diese Anstalt kannte er schon aus seiner Ausbildungszeit. In Sonnenstein war die Euthanasieaktion bereits zu Ende gegangen. H. musste hier Aufräumungsarbeiten verrichten und sich nach einiger Zeit bei der Dienststelle T4 in Berlin melden. Er wurde mit der Anfertigung von Fotokopien und mit der Sortierung und Einordnung von Krankenpapieren in Akten beschäftigt.

In Berlin erreichte ihn ein neuer Gestellungsbefehl zu einer Nachrichteneinheit in Reichenberg im Sudetenland. Nach einigen Wochen holte ihn die Dienststelle T4 nach Berlin zurück, weil er hier zur Fortführung der von ihm bereits vorher ausgeführten Büroarbeiten gebraucht wurde. Im Jahre 1942 wurde er als Sanitäter zur Organisation Todt (=OT) einberufen und in OT-Uniform nach Minsk in Marsch gesetzt, um hier in einem Lazarett Dienst zu tun. Ende März / Anfang April 1942 kehrte er nach Berlin zurück. Er war hier mehrere Monate im OT-Lager Eichkamp untergebracht.

In diesem OT-Lager in Berlin erreichte ihn im September 1942 eine Vorladung zur Dienststelle T4. Zusammen mit mehreren anderen Männern, die überwiegend Krankenpfleger waren, wurde er in das Lager Trawniki in Polen in Marsch gesetzt. Nach einer zweiwöchigen militärischen Ausbildung in Trawniki erhielt er den Rang eines SS-Unterscharführers. Ende September / Anfang Oktober 1942 wurde er in das Vernichtungslager Treblinka abkommandiert. In Treblinka blieb er bis Mitte September 1943.

Nach seiner unwiderlegten Einlassung hielt er sich dann drei bis vier Monate in seiner sächsischen Heimat auf, und zwar zunächst bei seiner Frau in Arnsdorf und später bei seiner Mutter in Obergrauschwitz. Dann meldete er sich bei der inzwischen von Berlin nach Königsberg in der Neumark verlagerten Dienststelle T4. Zu Weihnachten 1943 erhielt er von dieser Stelle einen Marschbefehl zu einer Polizeieinheit nach Triest, wo er Anfang Januar 1944 eintraf. Er musste hier Büroarbeiten verrichten, wurde aber auch zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Im September 1944 wurde er von Triest nach Berlin in Marsch gesetzt und hier nach Arnsdorf entlassen. Kurze Zeit darauf erhielt er eine Einberufung zu einer in Glauchau stationierten Landesschützeneinheit. Ende 1944 kämpfte er in dieser Einheit im Gebiet von Mährisch-Ostrau gegen die anrückenden russischen Truppen. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, wurde nach Sibirien transportiert und aus einem sibirischen Kriegsgefangenenlager Ende Dezember 1946 nach Arnsdorf entlassen. Anfang 1947 verzog er nach Berlin. Er arbeitete hier wieder als Krankenpfleger, zuletzt im Städtischen Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg. Wegen der gegen ihn erhobenen Anklage wurde sein Dienstverhältnis vom Berliner Senat gekündigt.

H. hat im Jahre 1931 geheiratet. Seine Ehe, die kinderlos blieb, ist im Jahre 1951 in Berlin geschieden worden. Er gehörte seit dem 1.Mai 1937 der NSDAP an. Ausserdem war er noch Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Während der Zeit des Nationalsozialismus trat H. aus der evangelischen Kirche, der er auch heute noch angehört, nicht aus. Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten.

II. Seine Aufgaben und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka

Bei seiner Ankunft in Treblinka wurde H. sogleich dem Totenlager zugeteilt. Er wurde zunächst zur Überwachung des Leichentransportes, bald jedoch beim sogenannten Grubenkommando eingesetzt. Dieses Kommando hatte bis Anfang 1943 die Aufgabe, die von den Leichenträgern herangebrachten Leichen unter grösstmöglicher Ausnutzung des vorhandenen Raumes in den Leichengruben zu stapeln. Ausserdem mussten die Häftlinge vom Grubenkommando jede Schicht der in den Gruben gestapelten Leichen leicht mit Sand und Chlorkalk bestreuen. Als Anfang 1943 die Verbrennung der Leichen auf riesigen Rosten angeordnet wurde, musste dieses Kommando die Leichen aus den Gruben herausholen und auf den Rosten verbrennen. Dazu kam die Verbrennung der Leichen aus den laufenden Transporten und die Kontrolle der Rückstände auf Knochenreste, die dann zu Pulver zerstampft werden mussten. Alle diese Arbeiten hatte der Angeklagte H. zusammen mit anderen SS-Männern zu beaufsichtigen.

Ein einziges Mal verrichtete H. mit einigen Häftlingen Tarnarbeiten am äusseren Zaun des Totenlagers. Ausserdem versah er einmal in der Woche im oberen Lager den Dienst eines UvD (=Unteroffizier vom Dienst).

In seiner Freizeit pflegte er gelegentlich die im Totenlager befindlichen weiblichen Häftlinge aufzusuchen und sich mit ihnen freundschaftlich zu unterhalten.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten H. und auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Ros., Li., Hell. und Lew. Die Zeugen Ros., Li. und Hell. schildern übereinstimmend, dass H. die ihm übertragenen Arbeiten (Aufsicht beim Leichentransport, beim Füllen der Leichengruben und bei der Verbrennung der Leichen) unauffällig verrichtete, dass er niemals einen Häftling schlug und dass er auch von seiner Schusswaffe keinerlei Gebrauch machte. Auch andere Zeugen haben nichts Gegenteiliges bekundet.

Dass H. des öfteren die Frauenunterkunft im Totenlager aufsuchte und sich mit den Frauen freundlich unterhielt, geht schliesslich aus der Aussage der Zeugin Lew. hervor. Das Schwurgericht hatte bei der Persönlichkeit dieser Zeugin keinen Anlass, an der Richtigkeit ihrer Aussage, auch in diesem Punkte, zu zweifeln.

III. Seine innere Einstellung zu den Vorgängen in Treblinka

Der Angeklagte hielt die Tötung der Juden und Zigeuner für ein gegen die Menschlichkeit, die Moral, die Religion und die Strafgesetze
verstossendes Unrecht. Der Umstand, dass dieses Unrecht vom Führer selber ausging, beeindruckte ihn nicht. Obwohl die Befehle, die er entweder direkt von Wirth oder von Franz, Matthes und Pötzinger erhielt, letztlich auf den Willen des Führers zurückgingen, hielt er diese nicht für verbindlich, weil sie der Vernichtung unschuldigen Lebens dienten. Mit dieser seiner Einstellung, die sein Freund Eisold mit ihm teilte, hielt er auch gegenüber seinen Kameraden nicht zurück, sondern brachte offen zum Ausdruck, dass alles eines Tages für die in Treblinka tätigen deutschen SS-Männer nicht gut ausgehen werde. Dafür erntete er bei ihnen nur Hohn und Spott. Er isolierte sich hierdurch immer mehr von ihnen und schloss sich noch stärker seinem Freund Eisold an.

Diese Feststellungen beruhen auf der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten und auf den Angaben des Mitangeklagten Suchomel, der dem Schwurgericht eingehend dargelegt hat, wie H. und Eisold als einzige im Lager offen ihr Missfallen an der Judenvernichtung zum Ausdruck brachten und deshalb von ihren Kameraden gehänselt wurden.

Dritter Teil:
Die rechtliche Würdigung des Verhaltens der Angeklagten im Vernichtungslager Treblinka

1. Fragen des Strafprozessrechts

A. Die Anwendung des deutschen Strafrechts auf die Angeklagten

Obwohl die verurteilten neun Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Straftaten in Polen begangen haben, sind sie nach dem deutschen Strafrecht abzuurteilen; denn §3 Absatz 1 des Strafgesetzbuches in der zur Tatzeit geltenden Fassung bestimmt ausdrücklich, dass deutsche Staatsangehörige auch dann dem deutschen Strafrecht unterliegen, wenn sie Straftaten im Ausland verübt haben.

B. Die Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses vom 6.Mai 1964

Für den von der II. Strafkammer des Landgerichts in Düsseldorf am 6.Mai 1964 erlassenen Eröffnungsbeschluss gilt §207 der Strafprozessordnung in der bis zum 31.März 1965 geltenden alten Fassung. Der Eröffnungsbeschluss bildet nach dieser Vorschrift die Grundlage des Hauptverfahrens und bestimmt den Umfang des Verfahrensstoffes (vergleiche Schwarz-Kleinknecht, Anmerkung 4 zu §207 und Vorbemerkung 1 vor §198 der 24.Auflage des Kurzkommentars zur Strafprozessordnung). Die auf Seite 170 unten der Anklageschrift geschilderte Erschiessung von drei Häftlingen in der Latrine, die dem Angeklagten Franz zur Last gelegt wird, ist infolge eines offenbaren Versehens nicht in den Eröffnungsbeschluss vom 6.Mai 1964 aufgenommen worden. In einem solchen Falle kann der Vorsitzende des erkennenden Gerichts den Eröffnungsbeschluss durch eine entsprechende Belehrung in der Hauptverhandlung ergänzen und dabei auch die Anklageschrift zur Erläuterung heranziehen (so Schwarz-Kleinknecht, Anmerkung 3 zu §207 StPO sowie RGSt. 59, 360 unten und 361 oben). Das ist hier durch die in der Hauptverhandlung vom 23.Juli 1965 erteilten weiteren rechtlichen Hinweise geschehen, bei denen in B.I.7. unter Bezugnahme auf Seite 170 der Anklage der Fall der Erschiessung von mehreren Juden in der Latrine erwähnt wird. Damit umfasst das vorliegende Strafverfahren auch diesen Vorgang, der lediglich infolge eines Versehens nicht in den Eröffnungsbeschluss mit eingereicht worden ist. Soweit dagegen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss nicht aufgeführte Exzesstaten von Angeklagten erstmalig durch die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bekannt geworden sind, können sie nicht Gegenstand einer Aburteilung sein, da sie wegen fehlender Eröffnung gar nicht rechtshängig geworden sind. Andererseits bestehen aber keine Bedenken, diese Exzesstaten, soweit sie erwiesen sind, für die Beurteilung des Allgemeinverhaltens der Angeklagten und ihrer inneren Einstellung zur Judenvernichtung in Treblinka heranzuziehen, (vergleiche dazu Schwarz-Kleinknecht, 24.Auflage, Anmerkung 5 zu §264 StPO).

C. Zur Verjährung der Strafverfolgung

Die Verfolgung der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist nicht verjährt. Mord, versuchter Mord und Beihilfe zum Mord verjähren nach §67 Absatz 1 StGB in 20 Jahren, da das Gesetz sie in den §§211, 44, 49 StGB mit lebenslangem Zuchthaus bedroht. Diese Strafandrohung und darüber hinaus sogar die Androhung der Todesstrafe bestanden auch schon zur Tatzeit, wie sich aus §4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.Dezember 1939 (RGBl. I, Seite 2378) ergibt. Somit galt bereits in den Jahren 1942 und 1943 für die den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten die 20jährige Verjährungsfrist.

Für die in der nationalsozialistischen Zeit aus politischen Gründen nicht verfolgten Delikte hat die Verjährung bis zum 8.Mai 1945 geruht (vergleiche §69 Absatz 1 StGB in Verbindung mit §3 der Verordnung des Zentraljustizamtes für die britische Zone vom 23.Mai 1947 - VOBl. BrZ 1947, Seite 65 - und die gleichlautenden Bestimmungen in den entsprechenden Gesetzen der Länder der amerikanischen und französischen Zone, wie sie bei Schwarz-Dreher, 27.Auflage, Anmerkung 2 zu §67 StGB aufgeführt sind). Nach §1 Absatz 1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.April 1965 (BGBl. I, Seite 315) bleibt darüber hinaus bei mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen die Zeit vom 8.Mai 1945 bis zum 31.Dezember 1949 ausser Ansatz, so dass die Verjährung dieser Verbrechen sogar bis zum 31.Dezember 1949 gehemmt war. Die Verfolgung der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist also unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen keinesfalls verjährt.

Abgesehen davon ist die Verjährung gegen alle Angeklagte durch richterliche Handlungen im Sinne des §68 Absatz 1 StGB unterbrochen worden. Der Untersuchungsrichter I bei dem Landgericht in Düsseldorf hat nämlich gegen alle Angeklagten die gerichtliche Voruntersuchung verfügt, und zwar 1. gegen den Angeklagten Franz am 14.Dezember 1959, 2. gegen die Angeklagten Münzberger, Suchomel, H., Lambert, Matthes, Mentz, Miete und Stadie am 4.Mai 1960 sowie 3. gegen den Angeklagten Ru. am 24.April 1962. Gegen alle Angeklagten - mit Ausnahme des Angeklagten Ru. - ist damit die Verjährung sogar innerhalb einer Frist von 15 Jahren seit dem 8.Mai 1945 unterbrochen worden. Die Kritik an der Rechtmässigkeit des §4 der Gewaltverbrecherverordnung, der anstelle der 15jährigen die 20jährige Verjährungsfrist für Beihilfe zum Mord und versuchten Mord brachte, hat damit nur bei dem Angeklagten Ru., gegen den die Voruntersuchung erst knapp 17 Jahre nach dem 8.Mai 1945 verfügt worden ist, praktische Bedeutung. Entgegen der Meinung der Verteidigung bestehen jedoch gegen die Anwendbarkeit des §4 der Gewaltverbrecherverordnung keine Bedenken.

Die Gewaltverbrecherverordnung wurde vom Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassen, der aufgrund des Führererlasses vom 30.August 1939 (RGBl. I, S.1539) gebildet worden war. Dieser Führererlass ermächtigte den Ministerrat "für die Zeit der gegenwärtigen aussenpolitischen Spannung zur einheitlichen Leitung der Verwaltung und Wirtschaft" Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen, falls der Führer nicht die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Reichsregierung oder den Reichstag anordnete. Diese Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis durch den Führer auf den Ministerrat ist unter Beachtung der damaligen Verfassungswirklichkeit, die allein über die Frage der Gültigkeit von gesetzgeberischen Massnahmen entscheidet, als rechtswirksam anzusehen; denn diejenigen Bestimmungen der Weimarer Verfassung, die den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung verankerten, waren durch Hitler im nationalsozialistischen Staat in Wirklichkeit weitgehend ausser Kraft gesetzt worden. Hitler hatte die alleinige Macht im Staate übernommen. Dieser tatsächlich bestehende Verfassungszustand, der sich gegenüber der früher geltenden Verfassung durchgesetzt hatte und deshalb allgemeine rechtliche Anerkennung fand, sah die Rechtsetzung durch den Führer als verfassungsmässig an und lässt daher, jedenfalls in der hier allein interessierenden Zeit von 1939 bis 1945, keinen Zweifel an der Gesetzmässigkeit seiner im Reichsgesetzblatt verkündeten gesetzlichen Massnahmen zu (vergleiche BGHSt. 4, 230 ff. und BGHZ 5, 76 ff.). Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass Adolf Hitler die Gesetzgebung nicht ausschliesslich allein ausübte, sondern einzelne Gesetze von der Reichsregierung verabschieden oder durch den Reichstag ausdrücklich bestätigen liess. Das mag er im Einzelfall für zweckmässig gehalten haben, um den Schein zu wahren oder eine propagandistisch auswertbare Zustimmung zu erhalten. Wenn ihm aber nach dem im Jahre 1939 herrschenden verfassungsrechtlichen Zustand die Befugnis zur Rechtsetzung zukam, konnte er diese auch wirksam auf den Ministerrat für die Reichsverteidigung übertragen.

Die vom Ministerrat für die Reichsverteidigung beschlossene und verkündete Gewaltverbrecherverordnung hält sich im Rahmen der ihm durch den Führererlass vom 30.August 1939 erteilten Ermächtigung. Allerdings erscheint sie nach der heutigen rechtsstaatlichen Betrachtungsweise nicht als eine Massnahme, die der "einheitlichen Leitung der Verwaltung und Wirtschaft" diente, da sie Aufgaben der Rechtspflege wahrnahm. Doch umfasste der im Führererlass verwendete Begriff der "Verwaltung" nach den damaligen Anschauungen auch das Justizressort. Neben der Reichsregierung und dem Reichsjustizminister, die ihre Zuständigkeit für den Erlass von Gesetzen und Rechtsverordnungen weiterhin behielten und ausübten, konnte mithin auch der Ministerrat für die Reichsverteidigung in wichtigen und dringenden Angelegenheiten auf dem Gebiete der Rechtspflege gesetzgeberisch tätig werden. Übrigens ging der Erlass der Gewaltverbrecherverordnung auf einen Vorschlag des Reichsjustizministers zurück (vgl. Kayser in Deutsches Recht 1940, 345). Diese Vorarbeit des Reichsjustizministeriums gab seinem damaligen Staatssekretär Freisler die Möglichkeit, die Gewaltverbrecherverordnung bereits eine Woche nach ihrer Verkündung ausführlich zu besprechen (siehe Freisler in Deutsche Justiz 1939, 1849). Bei der Verkündung der Gewaltverbrecherverordnung im Reichsgesetzblatt sind formelle Mängel, die ihre Gültigkeit in Frage stellen könnten, nicht vorhanden. Sie trägt die Unterschriften der massgebenden Mitglieder des Ministerrats für die Reichsverteidigung, nämlich des Vorsitzenden Göring, des für das Justizressort zuständigen Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung Dr. Frick und des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Dr. Lammers, dem die Führung der Geschäfte des Ministerrates oblag.

Während die §§1-3 der Gewaltverbrecherverordnung sich speziell auf Gewaltverbrechen und Gewaltvergehen beziehen und hierbei einen bestimmten Tätertyp im Auge haben, kommt dem §4 der VO eine allgemeine Bedeutung für das gesamte Strafrecht zu (vgl. Freisler in DJ 1939, 1849; Kayser in DR 1940, 345; Klee in DR 1940, 350; Rietzsch in DJ 1943, 309, RGSt. 75, 52 und 76, 251 sowie BGH in NJW 1962, 2209 mit einer zustimmenden Anmerkung von Dreher). Das ergibt sich aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung, dass für den Versuch und die Beihilfe allgemein die Strafe zulässig sein soll, welche für die vollendete Tat vorgesehen ist. Ausserdem folgt das auch aus der Stellung, welche diese Bestimmung in der Verordnung erhalten hat; denn sie schliesst sich als materiellrechtliche Norm an die formellrechtliche Vorschrift des §3 an, welche die ebenfalls materiellrechtlichen Normen der §§1 und 2 verfahrensmässig, nämlich durch die Einführung einer Sondergerichtsbarkeit, regelt. Der Gesetzgeber hätte mit Sicherheit die Verfahrensvorschrift des §3 der materiellen Bestimmung des §4 nachfolgen lassen, wenn letztere sich ebenfalls nur auf die in den §§1 und 2 angeführten Gewaltverbrechen und Gewaltvergehen hätte beziehen sollen. Zudem fehlt in §4 eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Bestimmungen der §§1 und 2, wie sie §3 enthält und wodurch klargestellt wird, dass eben der §3 nur bei den Sonderdelikten der §§1 und 2 anzuwenden ist. Dass §4 der Gewaltverbrecherverordnung für das gesamte Strafrecht Geltung haben sollte, hat insbesondere Freisler (in DJ 1939, 1849) betont, der als damaliger Staatssekretär im Reichsjustizministerium am besten imstande war, die mit dem Erlass dieser Verordnung verfolgten gesetzgeberischen Ziele zutreffend auszulegen, da die Verordnung in seinem Ministerium entworfen worden war.

Dieser Ansicht steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die in §4 der Gewaltverbrecherverordnung ausgesprochene allgemeine Strafschärfung für Versuch und Beihilfe nicht durch eine Änderung der §§49, 44 alter Fassung StGB herbeiführte, wie sie erst durch die Durchführungsverordnung des Reichsjustizministers vom 29.Mai 1943 (RGBl. I, S.341) erfolgte, sondern dass er für die Zeit vom 5.Dezember 1939 bis zum 29.Mai 1943 den §4 der Gewaltverbrecherverordnung einerseits und die §§49, 44 alter Fassung StGB andererseits nebeneinander bestehen liess. Dies erklärt sich nach dem Charakter der Gewaltverbrecherverordnung daraus, dass §4 wie die übrigen Vorschriften der Verordnung zunächst nur eine kriegsbedingte Übergangsregelung darstellten, also eine zeitlich begrenzte Geltung haben sollten. Daher war es naheliegend, diese als vorübergehend gedachte Regelung nicht in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Erst als sich beim Gesetzgeber in den folgenden Jahren die Ansicht durchsetzte, der materielle Gehalt des §4 verdiene eine dauernde, nicht auf die Kriegszeit beschränkte Geltung, hat er im Jahre 1943 den §4 der Gewaltverbrecherverordnung in das Strafgesetzbuch eingearbeitet und die §§49, 44 StGB entsprechend abgeändert.

Die Gewaltverbrecherverordnung ist auch mit rechtsstaatlichen Ansichten vereinbar. Sie enthält kein typisch nationalsozialistisches Gedankengut. Allerdings brachte sie durch die Verschärfung für die in den §§1 und 2 angeführten Sonderdelikte wie auch durch die Erweiterung des allgemeinen Strafrahmens für Versuch und Beihilfe erhebliche Härten mit sich. Man darf jedoch nicht ausser Betracht lassen, dass die Verordnung hiermit den Notwendigkeiten des Krieges Rechnung tragen wollte. Derartige kriegsbedingte Sondermassnahmen kennt und akzeptiert jede Rechtsordnung, da sie den Interessen der Allgemeinheit ebenso dienen wie dem einzelnen Bürger, der auch während des Krieges einen ausreichenden Schutz vor Verbrechern haben soll. Dass die durch §4 der Gewaltverbrecherverordnung und später durch die Neufassung der §§49, 44 a.F. StGB geschaffene Erweiterung des Strafrahmens für Versuch und Beihilfe keine typische nationalsozialistische Massnahme gewesen ist, beweist insbesondere der Umstand, dass der heutige Gesetzgeber diese Massnahme - abgesehen von der durch Artikel 102 des Bonner Grundgesetzes verfügten Abschaffung der Todesstrafe - bestehen liess. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er die Rechtssicherheit für nicht gefährdet hält, wenn ein Gericht bei der Bestrafung von Versuch und Beihilfe zu einem Verbrechen oder Vergehen gegebenenfalls auch die für die vollendete Tat vorgesehene Höchststrafe verhängen kann.

Die Gewaltverbrecherverordnung lässt sich ferner nicht um deswillen als nichtig ansehen, weil etwa einzelne Bestimmungen wegen ihres den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügenden Inhalts unwirksam sein könnten und die dann noch verbleibenden Bestimmungen aus sich heraus nicht mehr verständlich wären. Jede Nachprüfung in dieser Hinsicht muss von der Eigenschaft der Verordnung als einem kriegsbedingten Übergangsgesetz sowie von dem gesetzgeberischen Willen ausgehen, für die Zeit des Krieges die innere Sicherheit im Staate und den Schutz der Zivilbevölkerung vor Gewalttäter (§§1 und 2 der Verordnung) wie auch vor allgemeinen kriminellen Angriffen (§4 der Verordnung) unter allen Umständen zu gewährleisten. Danach kann weder dem §1 ein ungewöhnlich grausamer, in keinem Verhältnis zur Schuld des Täters stehender Inhalt entnommen werden, noch bietet die Einführung der Sondergerichtsbarkeit durch §3 unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Situation Ende 1939 Anlass zu Bedenken. Der strafrechtliche Tatbestand des §1 war zudem so bestimmt gefasst, dass er eine klare Auslegung erlaubte und dadurch den Geboten der Rechtssicherheit entsprach. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob nicht die in §5 angeordnete rückwirkende Kraft der Verordnung derart gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstösst, dass diese Bestimmung trotz der besonderen Kriegssituation und des damit verbundenen erhöhten Sicherheitsbedürfnisses der Zivilbevölkerung als unwirksam anzusehen ist. Einer Entscheidung dieser Frage, die für die von den Angeklagten in den Jahren 1942 und 1943 begangenen Taten ohne Bedeutung ist, bedarf es jedoch nicht, da eine Unwirksamkeit dieser Bestimmung des §5 keineswegs die Nichtigkeit der gesamten Gewaltverbrecherverordnung zur Folge haben würde.

Schliesslich steht auch Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Bonner Grundgesetzes einer Anwendung des §4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht entgegen; denn die Frage, ob eine auf Freiheitsentziehung gerichtete Strafbestimmung dem Grundsatz eines förmlichen Gesetzes genügt, stellt sich nicht schlechthin für jedes Recht, das vor dem Zusammentritt des ersten deutschen Bundestages erlassen worden ist, sondern lediglich dann, wenn dieses eine Fortgeltung nach Artikel 123 Absatz 1 GG beansprucht (vgl. OLG Köln in NJW 1962, 1214). Das ist bei §4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht der Fall, da diese Bestimmung nur vorübergehend in Kraft war und mit der Änderung der §§49, 44 a.F. StGB aufgrund der Durchführungsverordnung des Reichsjustizministers vom 29.Mai 1943 ihre Geltung verlor. Damit wird §4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht mehr von Artikel 123 Absatz 1 GG erfasst (vgl. von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Anmerkung 3 am Ende zu Artikel 123) und braucht deshalb auch nicht im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Artikels 104 Absatz 1 Satz 1 GG überprüft zu werden. Für die Anwendbarkeit des §4 der Gewaltverbrecherverordnung ist vielmehr nur von Bedeutung, ob diese Bestimmung in dem Zeitraum, in dem sie formell in Kraft war, rechtlich Wirksamkeit hatte. Diese Frage ist nach dem damaligen Verfassungszustand zu beurteilen und damit zu bejahen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gewaltverbrecherverordnung nach den verfassungsmässigen Anschauungen des Jahres 1939 von dem zuständigen Gesetzgeber erlassen wurde; denn der Ministerrat für die Reichsverteidigung hatte als Gesetzgebungsorgan auch die Befugnis, strafrechtliche Tatbestände den Kriegsbedürfnissen entsprechend gesetzlich neu zu regeln und für bestimmte Straftatbestände höhere Strafen als bisher vorzusehen.

2. Materiellrechtliche Fragen

A. Die Strafbarkeit der Haupttäter

Die Mitglieder der nationalsozialistischen Staatsführung, namentlich Hitler, Göring, Himmler und Heydrich sind als Urheber der im Vernichtungslager Treblinka durchgeführten Massentötungen und damit als Haupttäter der abzuurteilenden Straftaten anzusehen. Gemäss dem Befehl Hitlers zur Endlösung der Judenfrage entwickelten Göring, Himmler und Heydrich den Plan über die Tötung der Juden und Zigeuner bis in alle Einzelheiten, bereiteten seine Durchführung in organisatorischer und technischer Hinsicht vor und liessen ihn schliesslich mit Hilfe des Reichssicherheitshauptamtes, der Einsatzgruppen und der Angehörigen der Vernichtungslager ausführen. Diesen Taturhebern standen, soweit es sich um die Aktion Reinhard handelt, als weitere Haupttäter unter anderem der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin Odilo Globocnik und der erste Kommandant des Vernichtungslagers Belzec und spätere Inspekteur der drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, der SS-Obersturmführer und spätere Sturmbannführer Christian Wirth, zur Seite. Beide sorgten gemeinsam für die Errichtung der genannten drei Vernichtungslager und die Durchführung der Aktion Reinhard.

Die Verhaltensweise von Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Globocnik und Wirth erfüllt den Tatbestand des gemeinschaftlichen Mordes nach §211 StGB alter und neuer Fassung. Die Täter handelten im Sinne des §211 StGB alter Fassung mit Überlegung, wie die genaue Vorausplanung und die bis in die letzten Einzelheiten organisierte Durchführung der Aktion Reinhard aufzeigt. Sie handelten schliesslich auch aus den in §211 StGB neuer Fassung vorgesehenen Motiven, nämlich aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam. Die Haupttäter der Aktion Reinhard handelten einmal aus niedrigen Beweggründen, da ihr rassenideologischer Wahn, der sie zu ihrem Handeln bestimmte, in krasser Weise allem gesunden menschlichen Empfinden widersprach und in besonderem Masse verwerflich war (vergleiche dazu BGHSt. 2, 63, 3, 133 und 18, 37).

Die brutal und mit grosser Gefühlskälte durchgeführten Massentötungen in Treblinka waren darüber hinaus grausam. Die im Lazarett des Lagers getöteten alten und kranken Menschen erlitten vor und während ihrer Erschiessung eine unbeschreiblich grosse Todesangst, da sie sich nach ihrer völligen Entkleidung auf den etwa einen Meter hohen Erdwall am Rande der Lazarettgrube setzen und hierbei die bereits in der Grube brennenden Leichen sehen mussten, bevor sie selbst durch Genickschuss getötet wurden und ebenfalls in die Grube fielen, wobei sie in manchen Fällen noch nicht einmal tot waren. Die Masse der übrigen Opfer, die unter Peitschen- und Kolbenhieben zu den Gaskammern getrieben wurden, erlitten, wenn sie in den Kammern auf engstem Raum zusammengepresst waren und den nahen Tod vor Augen hatten, nicht nur unermessliche seelische Not, sondern mehrere Minuten lang - bei gelegentlichen Motorschäden sogar manchmal einige Stunden lang - heftige Erstickungsqualen, ehe sie bewusstlos waren und umkamen. Die im Schlauch Wartenden mussten sich sogar die Schreie der ihnen im Tod vorausgehenden Opfer anhören, bevor sie selbst an der Reihe waren. Im Winter mussten sie bei zum Teil eisiger Kälte nackt und frierend darauf warten, dass sie als nächste in die Kammern getrieben wurden.

Schliesslich erfolgten die Tötungen auch heimtückisch, weil den Opfern durch Ansprachen oder durch entsprechende Schilder am Bahnhof vorgespiegelt wurde, sie kämen entweder zur Behandlung in ein richtiges Krankenhaus oder nach einem Bad zu einer neuen Arbeitsstelle ausserhalb des Lagers Treblinka. Durch die hierdurch bewirkte Täuschung wurden die Opfer arglos und wehrlos gemacht, zumal man von ihnen sogleich die völlige Entkleidung verlangte. In den meisten Fällen verschaffte sich die deutsche Lagerbesatzung durch diese Täuschung eine erhebliche Erleichterung bei der Durchführung der Vernichtung, da die Ankömmlinge, ohne an eine Flucht oder an Widerstand zu denken, willenlos alles taten, was man zunächst von ihnen verlangte. Wenn sie später im Lazarett und vor den Gaskammern erkannten, was ihnen wirklich bevorstand, kam jede Auflehnung gegen das ihnen zugedachte Schicksal zu spät. Ausserdem wurde jeder Versuch eines Widerstandes durch Peitschenhiebe, Kolbenschläge und notfalls auch mit Hilfe von Schusswaffen im Keime erstickt.

Die Massenvernichtung der unschuldigen Menschen war rechtswidrig, da sie brutal gegen die einfachsten Grundsätze der Menschlichkeit und die unter Kulturvölkern feststehenden Auffassungen verstiess. Sie wurde auch nicht etwa dadurch rechtmässig, dass sie auf dem Willen Hitlers als des höchsten Gesetzgebers des nationalsozialistischen Staates beruhte. Einmal muss dem Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage, d.h. also zur völligen physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus, die Bedeutung einer gesetzgeberischen Massnahme schon deshalb abgesprochen werden, weil er nicht im Reichsgesetzblatt veröffentlicht und auch sonst nicht öffentlich bekanntgemacht worden ist. Schon dadurch entbehrt die in ihm zum Ausdruck gekommene Abweichung von dem in Deutschland allgemein geltenden Rechtszustand jeder ordnungsmässigen Grundlage. Der von Roesen (NJW 1964, 133) vertretenen Ansicht, der Führer habe als oberster Gesetzgeber die Macht gehabt, die Form der Veröffentlichung der von ihm beschlossenen Gesetze zu bestimmen oder sogar auf ihre Veröffentlichung ganz zu verzichten, vermag sich das Schwurgericht jedenfalls für den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuschliessen.

Zwar ist das in der Weimarer Verfassung vorgesehene Gesetzgebungsverfahren während der Zeit des Nationalsozialismus weitgehend geändert worden, so unter anderem durch das Ermächtigungsgesetz. Auf die Veröffentlichung der von Hitler und der Reichsregierung erlassenen Gesetze hat man jedoch nie verzichtet. Selbst Gesetze oder Rechtsverordnungen von untergeordneter Bedeutung wurden stets im Reichsgesetzblatt bekanntgemacht. Die Vorschrift der Weimarer Verfassung, welche die Veröffentlichung von Gesetzen im Reichsgesetzblatt vorschrieb, hatte auch nach der Verfassungswirklichkeit des Dritten Reiches ihre Bedeutung nicht verloren (vergleiche Baumann, Die strafrechtliche Problematik der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, Seite 295 f., Anmerkung 77a). Demnach kann Geheimbefehlen Hitlers niemals Gesetzeskraft beigemessen werden.

Aber auch wenn der Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden wäre, so hätte er dennoch wegen seines Inhalts kein Recht geschaffen. Die Freiheit eines Staates, für seinen Bereich darüber zu bestimmen, was Recht und was Unrecht sein soll, mag noch so weit bemessen werden, jedoch auch sie hat ihre Grenzen. Im Bewusstsein aller zivilisierten Völker besteht bei allen Unterschieden, welche die nationalen Rechtsordnungen aufweisen, ein im Naturrecht tief verankerter Kernbereich des Rechts, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner obrigkeitlichen Massnahme beschnitten werden kann. Er umfasst bestimmte als unantastbar angesehene Grundsätze des menschlichen Verhaltens, die sich bei allen Kulturvölkern auf dem Boden sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Zeit herausgebildet haben und die als rechtlich verbindlich gelten. Wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem Bereich, in dem eine nationale Rechtsordnung darüber bestimmen kann, was in ihrem Land Recht und Unrecht sein soll, und jenem international verbindlichen Kernbereich des Rechts, auf den jeder Staat mit seinen rechtsetzenden Anordnungen Rücksicht zu nehmen hat, ergab sich auch für die Zeit des Nationalsozialismus aus den Grundsätzen der Gerechtigkeit, Gleichheit und Humanität. Eine Anordnung wie der Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage, der die Gerechtigkeit nicht einmal erstrebte, den Gedanken der Gleichheit bewusst verleugnete und die Würde des Menschen brutal verachtete, schuf kein Recht, und ein nach ihm ausgerichtetes Verhalten blieb in jedem Falle Unrecht. Der Führerbefehl zur physischen Vernichtung der Juden und Zigeuner kann deshalb nicht als Rechtfertigungsgrund für die an seiner Durchführung beteiligten Personen angesehen werden.

Die Haupttäter waren sich auch dessen bewusst, dass die Planung und Durchführung der Massentötungen im Rahmen der Aktion Reinhard jeder Rechtsgrundlage entbehrten. Ihr Unrechtsbewusstsein kommt in der strengen Geheimhaltung aller Massnahmen, die mit der Erklärung zur "Geheimen Reichssache" den höchsten Grad der Geheimhaltung erfuhren, deutlich zum Ausdruck.

Hitler und seine Tatgenossen stellten, soweit sie nicht überhaupt die Technik der Massenvernichtung aus persönlicher Augenscheinseinnahme genauestens kannten, wie es zum Beispiel bei Globocnik und Wirth der Fall war, bewusst in Rechnung, dass die Durchführung der Vernichtungsaktion notwendig erhebliche seelische und körperliche Qualen für die Opfer mit sich bringen würden. Dennoch liessen sie bedenkenlos die geplanten Massnahmen ausführen, weil ihnen die Erreichung ihrer verwerflichen Ziele mehr bedeutete als das Leben unschuldiger Menschen. Damit offenbarten sie ihre gefühllose und unbarmherzige Gesinnung.

Die Haupttäter Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Globocnik und Wirth handelten als mittelbare Täter gemeinschaftlich. In bewusstem und gewolltem Zusammenwirken entwickelten sie den Plan zur Tötung der Juden, erteilten sie die erforderlichen Anweisungen zur Einrichtung und zum Betrieb der Vernichtungslager und bedienten sich zur Tatausführung der eigens hierfür geschaffenen Sonderkommandos, deren Angehörige in einem Gehorsamsverhältnis zu ihnen standen und befehlsgemäss in der gewünschten Richtung tätig wurden.

Die Massentötungen im Rahmen der Aktion Reinhard beruhen - zumindest für das Vernichtungslager Treblinka - auf einem einzigen Befehl der Haupttäter, der die grundsätzliche Anordnung zur Vernichtung einer grossen Zahl jüdischer Menschen enthielt und diese Vernichtung gemäss den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien bis in alle technischen Einzelheiten regelte. Mithin stellten die einzelnen auf diese eine Willensbetätigung zurückgehenden und von den Angehörigen des Sonderkommandos Treblinka vom Sommer 1942 bis zum Herbst 1943 durchgeführten Massentötungen von mindestens 700000 Personen rechtlich eine Handlung im Sinne einer gleichartigen Tateinheit gemäss §73 StGB dar. Dass Massentötungen in einem Vernichtungslager, die während eines bestimmten, nicht unterbrochenen Zeitraumes aufgrund eines alle Einzelheiten umfassenden einzigen Befehls durchgeführt worden sind, rechtlich eine einzige Handlung darstellen, hat bereits das Schwurgericht bei dem Landgericht in Bonn - 8 Ks 3/62 - unter C.II. seines Urteils vom 30.März 1963 gegen Laabs und andere, die im Vernichtungslager Chelmno tätig gewesen waren, ausführlich dargetan. Der Bundesgerichtshof - 2 StR 71/64 - hat unter B.II. seines Urteils vom 25.November 1964 in der Strafsache gegen Laabs und andere hinsichtlich dieser sachlichrechtlichen Würdigung durch das Schwurgericht in Bonn keine Bedenken erhoben.

B. Die rechtliche Beurteilung der von den Angeklagten Franz, Matthes und Miete begangenen Taten

I. Ihre Mitwirkung bei der Massentötung

Bei der Massenvernichtung der Juden und Zigeuner in Treblinka haben die Angeklagten Franz, Matthes und Miete als Mittäter gehandelt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vergleiche die Zusammenstellung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe durch Baumann in NJW 1962, 374 ff. sowie die Urteile des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 19.Oktober 1962, veröffentlicht in BGHSt. 18, 87, und des 5. Strafsenats vom 9.April 1963 - 5 StR 22/63) ist Täter im strafrechtlichen Sinne jeder, der in zurechenbarer Weise den Tatbestand eines Deliktes verwirklicht oder mitverwirklichen hilft und dabei den eingetretenen Erfolg als eigenen will und billigt.

Dass jemand möglicherweise erst aufgrund eines dienstlichen Befehls tätig wird, ist dabei rechtlich unerheblich; denn auch in diesem Falle kommt es entscheidend auf die innere Einstellung des die Tat Ausführenden an (vergleiche BGHSt. 8, 393 und BGHSt. 18, 87 und die dort angeführten weiteren Nachweise). Wer ein ihm befohlenes Verbrechen nicht nur ohne innere Hemmungen ausführt, sondern hierbei noch einen einverständlichen Eifer zeigt und dabei sogar über das ihm Anbefohlene hinausgeht, weil er Gefallen an dieser verbrecherischen Tätigkeit findet, stellt sich mit den Taturhebern auf eine Stufe. Er ist selbst Täter. Alles das trifft auf die Angeklagten Franz, Matthes und Miete zu.

1. Franz

Der Angeklagte Franz hat als Stellvertreter des Lagerkommandanten Stangl und später als dessen Nachfolger die ihm erteilten Befehle und Anweisungen zur Vernichtung von Juden und Zigeunern hemmungslos und mit grossem einverständlichen Eifer befolgt. Er hat dabei eine Energie und Ausdauer entwickelt, die derjenigen der Taturheber in nichts nachsteht. Die Art und Weise, wie Franz sich bei der Abfertigung der Transporte verhielt, seine Grausamkeit und Unnachgiebigkeit, mit der er die Opfer zum Lazarett und zu den Gaskammern schickte, sowie das strenge Schreckensregiment, das er auch ausserhalb der Transportabfertigungen im Lager führte, beweisen eindringlich, dass es sich bei ihm nicht um einen Mordgehilfen, sondern um einen Mörder handelt, der die Vernichtung jüdischen Lebens als sein ureigenstes Anliegen betrieben und verwirklicht hat.

Daneben ist nicht zu übersehen, dass Franz als Stellvertreter des Lagerkommandanten und später als dessen Nachfolger auch eine erhebliche Tatherrschaft bei der Abfertigung der Transporte insofern gehabt hat, als es in seiner Macht stand, je nach seinem Belieben eine grössere oder kleinere Anzahl von angekommenen Juden zur Arbeit auszusuchen und sie damit vor der Vergasung zu bewahren.

Da sich der Angeklagte Franz trotz Kenntnis aller Tatumstände an der Massenvernichtung beteiligte, handelte er vorsätzlich.

Die Zahl der von Franz hierbei begangenen Morde lässt sich zahlenmässig auch nicht annähernd genau feststellen. Sie beschränkt sich keineswegs auf die im Abschnitt A.V. des
Zweiten Teiles der Gründe nachgewiesenen Einzelfälle, in denen der Angeklagte bei der Transportabfertigung mit eigener Hand Menschen getötet oder zu ihrer Tötung persönlich beigetragen hat, sondern sie umfasst auch alle die Fälle, in denen während der Anwesenheit des Angeklagten in Treblinka und unter seiner Mitwirkung im weitesten Sinne Menschen vergast, erschossen oder auf sonstige Weise bei der Massenvernichtung zu Tode gekommen sind.

Es ist bereits dargelegt worden, dass die Tötung von mindestens 700000 Personen im Vernichtungslager Treblinka einen Mord in wenigstens 700000 tateinheitlich verbundenen Fällen darstellt. Der Angeklagte Franz hat nach der Überzeugung des Schwurgerichts zwar nicht an der Tötung aller 700000 Personen mitgewirkt, mindestens aber an der Tötung von 300000 Menschen. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka seit der ersten Hälfte des Monats September 1942 bis zur Auflösung des Lagers Ende November 1943, also über 14 Monate angehört, mithin auch in den letzten Monaten des Jahres 1942, als die Transporte mit Juden aus Warschau und aus anderen polnischen Städten besonders zahlreich gewesen sind. Selbst wenn man berücksichtigt, dass er während seines Einsatzes rund 14 Wochen beurlaubt gewesen ist, so ist er immer noch mehr als 11 Monate in Treblinka tätig gewesen, so dass es gerechtfertigt ist, eine Mindestzahl von 300000 Personen zugrundezulegen, an deren Tötung Franz beteiligt gewesen ist. In dieser Zahl sind die im Abschnitt A.V. des Zweiten Teiles der Gründe festgestellten Fälle von Einzeltötungen mit enthalten; denn sie wurden sämtlich bei der Abfertigung begangen und dienten dazu, den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung zu gewährleisten.

Der Angeklagte Franz erfüllt, soweit seine Mitwirkung bei der Massenvernichtung in Betracht kommt, aus allen diesen Gründen den Tatbestand des gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam begangenen Mordes in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen (§§211, 47, 73 StGB).

2. Matthes

Der Angeklagte Matthes hat als Chef des Totenlagers in Treblinka die ihm erteilten Befehle und Anweisungen zur Vernichtung von Juden hemmungslos und mit grossem einverständlichem Eifer befolgt. Er hat dabei die gleiche Energie und Ausdauer an den Tag gelegt wie die Taturheber selbst. Seine Unnachgiebigkeit, mit der er die Vergasung der angekommenen Juden und den Abtransport der Leichen überwacht hat, seine Grausamkeit gegenüber den Leichenträgern, auf die er häufig eingeschlagen hat, sowie das strenge Regiment, das er gegenüber den ihm unterworfenen Arbeitsjuden auch ausserhalb der Massenvergasungen geführt hat, lassen eine erhebliche Übereinstimmung mit den Zielen der nationalsozialistischen Machthaber erkennen und machen deutlich, dass es sich bei ihm nicht um einen Mordgehilfen, sondern um einen Mörder handelt, der die Vernichtung der Juden als eigenes Anliegen betrachtet und in die Tat umgesetzt hat. Matthes hat sich an der Massenvernichtung beteiligt, obwohl ihm alle Tatumstände genau bekannt gewesen sind. Er hat deshalb auch vorsätzlich gehandelt.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angeklagte Matthes an der Tötung von mindestens 100000 Menschen mitgewirkt. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka in der Zeit von Ende August 1942 bis September 1943, also über 1 Jahr lang, angehört. Allerdings ist er während dieses Zeitraumes mehrere Monate nicht im Lager gewesen. Seinem regulären Heimaturlaub von rund 12 Wochen sind nämlich eine stationäre Krankenhausbehandlung wegen Fleckfiebers von rund 10 Wochen und ein mehrwöchiger Erholungsaufenthalt im Heim der T4 am Attersee hinzuzurechnen, so dass Matthes insgesamt etwa 5 bis 6 Monate ausserhalb von Treblinka verbracht hat. Allerdings hat er gerade bei der Abfertigung der sehr zahlreichen Transporte aus Warschau und aus anderen polnischen Städten in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 mitgewirkt. Mann kann deshalb davon ausgehen, dass er an der Tötung von mindestens 100000 Personen beteiligt gewesen ist.

Aus allen diesen Gründen erfüllt der Angeklagte Matthes, soweit seine Beteiligung an der Massenvernichtung in Betracht kommt, den Tatbestand des gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam begangenen Mordes in mindestens 100000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen (§§211, 47, 73 StGB).

3. Miete

Obwohl der Angeklagte Miete als SS-Unterscharführer nur einen niedrigen Dienstgrad hatte, zeichnete er sich bei der Abfertigung von Transporten durch besondere Energie aus. Ohne jedes innere Widerstreben und mit grossem einverständlichen Eifer schlug er mit seiner Peitsche auf die angekommenen Juden an der Rampe ein und gebrauchte hierbei auch seine Schusswaffe, wenn er es zur schnellen, geordneten Erledigung der Massenvernichtung für erforderlich hielt. Wurde er zur Ablösung des Angeklagten Mentz ins Lazarett beordert, so machte er von der ihm gebotenen Möglichkeit, alte und kranke Ankömmlinge aus den Transporten eigenhändig erschiessen zu dürfen, einen regen Gebrauch, um so seine sadistischen Neigungen bequem und ohne Angst vor Strafe befriedigen zu können. Nach seinen eigenen Angaben hat er hierbei mindestens 150 bis 200 Menschen persönlich durch Genickschuss in der im Lazarett üblichen Weise getötet, ohne sich von ihrem eingetretenen Tod zu überzeugen.

Bezüglich der eigentlichen Transportabfertigungen hat er zwar keine massgebliche Tatherrschaft innegehabt, sich aber trotzdem innerlich mit den Haupttätern der Massenvernichtung identifiziert, weil er hierdurch Gelegenheit erhielt, seine Freude an grausamen Vorgängen in die Tat umzusetzen. Dass er ein blutrünstiger Sadist und ein unbarmherziger Henker gewesen ist, geht nicht zuletzt aus seinen zahlreichen, nur zum Teil von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss erfassten, eigenmächtigen Exzesstaten hervor, die in der Hauptverhandlung bewiesen worden sind.

Der Angeklagte Miete ist selbstbewusst und intelligent. Bei seinen geistigen Fähigkeiten war er nicht der Mann, der fremdes Wollen nur unterstützen wollte. Er nutzte vielmehr die sich ihm im Vernichtungslager Treblinka bietenden Gelegenheiten aus, um zu eigener Lust und Freude seinen sadistischen Trieben nachgehen zu können.

Er handelte einmal aus Mordlust, nämlich aus einer unnatürlichen Freude am Töten, und auch aus sonstigen niedrigen Beweggründen. Das Schwurgericht ist nämlich weiter davon überzeugt, dass Miete an der Vernichtungsaktion auch deshalb teilgenommen hat, weil er die Juden für rassisch minderwertig hielt. In jedem Falle hat er sich aber den Rassenhass der Haupttäter zunutze gemacht, um ungestraft töten zu können, eine Einstellung, die gleichfalls als niedriger Beweggrund im Sinne des §211 StGB anzusehen ist (vgl. den 2. Leitsatz der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in BGHSt. 18, 37).

Bei den Tötungen alter und kranker Juden im Lazarett, die aus den Transporten unter dem Vorwand einer ärztlichen Behandlung dorthin gebracht worden waren, hat er auch heimtückisch gehandelt, da er die bereits bestehende Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer zur bequemen Durchführung seiner Henkersaufgaben ausgenutzt hat. Dadurch, dass er niemals kontrolliert hat, ob die Opfer auch wirklich tot waren, wenn sie in die brennende Leichengrube fielen, hat er auch selbst grausam gehandelt, da er aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung in Kauf nahm und billigte, dass zumindest einige der Opfer lebendigen Leibes in den Flammen verbrannten. Das alles beweist deutlich, dass Miete kein Mordgehilfe, sondern ein Mörder gewesen ist. Da der Angeklagte Miete sich trotz seiner Kenntnis aller Tatumstände an der Massenvernichtung beteiligte, handelte er auch vorsätzlich.

Das Schwurgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Miete an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt hat. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Ende Juni / Anfang Juli 1942 bis Mitte November 1943, also mehr als 17 Monate angehört. Selbst wenn man einen Urlaub von insgesamt etwa 17 Wochen absetzt, so verbleiben mehr als 12 Monate, in denen Miete an den Transportabfertigungen teilgenommen hat. Das Schwurgericht schätzt deshalb die Zahl der Personen, an deren Vernichtung Miete im Rahmen der Massentötungen beteiligt gewesen ist, auf mindestens 300000. Hierin sind aus den bereits beim Angeklagten Franz dargelegten Gründen die von Miete mit eigener Hand oder unter seiner unmittelbaren Mitwirkung bei der Transportabfertigung, insbesondere im Lazarett durchgeführten Tötungen (vergleiche den Abschnitt E.IV. des Zweiten Teiles des Urteils) mit enthalten.

Der Angeklagte Miete erfüllt mithin, soweit seine Tätigkeit im Rahmen der organisierten Massenvernichtung in Betracht kommt, den Tatbestand des gemeinschaftlichen, aus Mordlust, aus sonstigen niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam begangenen Mordes in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen (§§211, 47, 73 StGB).

II. Erwiesene Einzeltaten (sogenannte Exzesstaten) des Angeklagten Franz ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Die Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala

Die eigenhändige Erschiessung dieser 10 Häftlinge durch Franz erfolgte aus niedrigen Beweggründen, nämlich deshalb, weil es sich um Juden handelte. Der Attentäter, der wahrscheinlich Lubliner hiess und der den SS-Mann Max Biala ohne die Unterstützung seiner Kameraden im Alleingang angegriffen hatte, war bereits erschlagen und darüber hinaus eine grössere Anzahl der angetretenen Juden bei dem anschliessenden Massaker zur Abschreckung und Vergeltung getötet worden. Wenn dennoch nach dem Abklingen der ersten Aufregung mindestens 10 Juden von Franz willkürlich herausgesucht und dann ohne jede Förmlichkeit, insbesondere ohne ein vorhergehendes Verfahren, erschossen wurden, so ist der Grund hierfür nur in der antisemitischen Einstellung des Angeklagten zu sehen, für den die Juden nur "Dreck" und "Scheisse" waren. Der Tatbestand des Mordes (§211 StGB) ist also auch hier erfüllt.

Den ihm von Wirth erteilten Befehl zur Tötung dieser Häftlinge machte sich Franz völlig zu eigen. Das kann man aus dem besonderen Eifer schliessen, mit dem Franz den Befehl Wirths bereitwillig ausführte. Franz ist hier deshalb Mittäter von Wirth, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob Wirth in diesem Falle als mittelbarer oder als unmittelbarer Täter beziehungsweise Mittäter anzusehen ist.

Bei der Erschiessung der mindestens 10 Häftlinge handelt es sich um 10 einzelne Taten, da Franz den Abzug seiner eigenen Pistole und zuletzt den Abzug der ihm von Mentz gereichten Pistole in allen 10 Fällen jeweils erneut betätigen und sich dabei stets von neuem darüber schlüssig werden musste, ob er töten sollte oder nicht. Er hat hier also den Tatbestand des gemeinschaftlichen Mordes in 10 Einzelfällen erfüllt (§§211, 47, 74 StGB).

2. Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Tode von Max Biala und ihre Überstellung zur Erschiessung im Lazarett

Diese von Franz durchgeführte Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden und ihre von ihm angeordnete und überwachte Erschiessung im Lazarett erfüllt aus den gleichen Gründen wie im vorher abgehandelten Fall den Tatbestand des Mordes, da Franz hier ebenfalls aus niedrigen Beweggründen, nämlich wegen Missachtung der jüdischen Rasse, gehandelt hat. Wirth, auf dessen Anordnung die Tötung der mindestens 80 Arbeitsjuden zurückging, ist hier als mittelbarer Täter, Franz als sein Mittäter anzusehen. Da die Überstellung der 80 Mann zur Erschiessung im Lazarett auf einem einzigen Willensentschluss des Angeklagten Franz beruhte, handelt es sich hier um einen einzigen gemeinschaftlichen Mord an allerdings mindestens 80 Personen (§§211, 47, 73 StGB).

3. Erschiessung des Itzek Choncinsky auf der Latrine

Die Erschiessung dieses Häftlings erfolgte aus niedrigen Beweggründen, und zwar wegen seiner jüdischen Abstammung, und auch heimtückisch, nämlich unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit; denn der ahnungslos auf der Latrine sitzende Choncinsky hatte Franz nicht herankommen sehen. Er konnte deshalb nichts unternehmen, um dem von Franz abgefeuerten Schuss auszuweichen. Franz handelte vorsätzlich, da er in Kenntnis aller Tatumstände den Häftling Choncinsky töten wollte. Er hat hier als Alleintäter den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

4. Der Tod des jüdischen Arztes Dr. Roland Choranzicky

Der Angeklagte Franz handelte gegenüber Dr. Choranzicky grausam. Als er sah, dass seine Versuche, den Arzt zum Sprechen zu bringen, ergebnislos blieben, liess er ihm aus einer gefühllosen Gesinnung heraus besonders heftige Schmerzen und Qualen zufügen, indem er ihn zu einer blutigen Masse zusammenschlagen liess, ihn eigenhändig auspeitschte und mit den Füssen auf seinem Bauch herumtrat. Franz war dazu entschlossen, Dr. Choranzicky zu töten. Ob der Tod des Arztes aber letzten Endes allein oder teilweise auf die von Franz begangenen Quälereien zurückzuführen ist, ist nicht sicher, da der Tod möglicherweise ausschliesslich durch das von Dr. Choranzicky eingenommene Gift eingetreten ist, so dass Franz hier nur wegen eines versuchten Mordes nach den §§211, 43 StGB zur Rechenschaft gezogen werden kann.

5. Verletzung eines Häftlings durch einen Schuss mit dem Jagdgewehr und seine Liquidierung im Lazarett

Die von Franz angeordnete Tötung dieses von ihm zuvor verletzten Mannes erfolgte aus Mordlust und auch aus sonstigen niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass. Franz hat hier entweder als Mittäter oder als mittelbarer Täter den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

6. Der Tod des Hans Burg

Die Tötung dieses jugendlichen Häftlings durch einen von Franz ausgeführten Schlag mit dem Spaten und seine anschliessende, von Franz angeordnete Liquidierung im Lazarett erfolgte aus niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass und auch aus Mordlust. Franz hat auch in diesem Falle den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

7. Erschiessung von sieben Häftlingen

Die Erschiessung dieser sieben Männer wegen einer missglückten Flucht geschah aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass) und aus Mordlust und schliesslich auch grausam, da die sieben Männer sich vor ihrer Erschiessung trotz der strengen Kälte entkleiden und dann in diesem Zustand längere Zeit auf ihren Tod warten mussten. Zudem hatten sie im Lazarett vor ihrer Erschiessung die brennenden Leichen in der Grube vor Augen, wodurch ihre seelischen Nöte noch gesteigert wurden. Es handelt sich um 7 Einzeltaten, da Franz nach jeder Erschiessung einen neuen Tötungsentschluss fasste. Das ist deshalb anzunehmen, weil er jedes Mal den Abzug seiner Pistole erneut betätigen und sich so jedes Mal von neuem entscheiden musste, ob er töten wollte oder nicht. Franz hat mithin den Tatbestand des Mordes in 7 Einzelfällen verwirklicht (§§211, 74 StGB).

8. Erschiessung eines Häftlings wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns

Die Tötung dieses Häftlings erfolgte gleichfalls aus niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass und daneben aus Mordlust. Ob Franz hier auch grausam gehandelt hat, lässt sich dagegen nicht sagen, da nicht sicher geklärt ist, ob der Ukrainer dem Häftling aufgrund einer Anweisung von Franz zunächst in den Unterleib schoss und ihm dadurch besondere Schmerzen bereitete oder ob es sich lediglich um einen fehlgeleiteten Schuss handelte, der eigentlich den Häftling ins Herz treffen und sogleich töten sollte.

Franz hat hier den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

9. Erschiessung eines jungen Häftlings im oberen Lager

Der Grund für diese Erschiessung des jungen Häftlings im oberen Lager konnte zwar nicht geklärt werden. Was immer er auch getan haben mag, der Umstand dass Franz ihm vor der Erschiessung befahl, sich zu entkleiden und sich wie ein Hund auf allen Vieren niederzulassen, ist nur auf den Hass des Angeklagten auf alles jüdische Leben zurückzuführen. Andernfalls hätte er wegen des Vorwurfs, den er dem jungen Manne machte, eine Untersuchung eingeleitet und deren Ergebnis abgewartet. Da Juden für ihn nur eine sobald wie möglich zu beseitigende "Scheisse" waren, hat er das nicht getan, sondern den jungen Juden wie ein Tier erschossen. Er hat ihn damit aus niedrigen Beweggründen getötet und den Tatbestand des Mordes (§211 StGB) erfüllt.

10. Erschiessung der Häftlinge Chaim Edelmann, Jakob Edelmann und Salk Wolfowicz

Franz tötete diese drei Häftlinge aus Rassenhass und aus Mordlust, weil er sich nach den unter A.VI.10. des Zweiten Teiles der Gründe getroffenen Feststellungen "eine Abwechslung bereiten wollte". Die Erschiessung der drei Männer beruht auf drei einzelnen Entschlüssen; denn Franz musste seine Pistole dreimal abdrücken, als er die drei Opfer nacheinander tötete. Er hat den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB dreimal verwirklicht.

11. Erschiessung von zwei Häftlingen im Lazarett im Anschluss an den sogenannten Sport

Die Anordnung der Erschiessung des beim "Sport" ausgesonderten Starsze Lipchitz und eines weiteren Häftlings erfolgte aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass) und aus Mordlust. Sie war darüber hinaus grausam, da es von gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zeugt, wenn Franz die zum "Sport" herausgeholten Häftlinge unter Schlägen bis zur totalen Erschöpfung um ihr Leben laufen liess. Da Franz nur einen Befehl zur Tötung der beiden Häftlinge gab, also nur einmal einen Tötungsentschluss fasste, handelt es sich hier nur um einen einzigen Mord, dem freilich zwei Häftlinge zum Opfer fielen (§§211, 73 StGB).

12. Erschiessung eines Häftlings im Lazarett, den er zuvor durch einen Peitschenhieb am Auge verletzt hatte

Die Erschiessung dieses Häftlings erfolgte aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass) und ausserdem aus Mordlust. Franz hat auch hier den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

13. Erschiessung des Häftlings Eliasz Adlerstein im oberen Lager

Die Tötung des Adlerstein erfolgte aus Mordlust und aus sonstigen niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass. Franz hat hier gleichfalls den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

14. Erschiessung des Häftlings Mendel Nuessenbaum im oberen Lager vom Pferd aus

Auch die Erschiessung dieses Häftlings geschah aus Mordlust und aus Rassenhass. Ob Franz dadurch, dass er Nuessenbaum erst in den Körper und schliesslich in den Kopf schoss, auch grausam gehandelt hat, kann man nicht sicher feststellen, da seine Äusserung "Ich habe nicht gut gezielt" auf seinen Entschluss hindeutet, Nuessenbaum möglicherweise nicht zusätzlich zu quälen, sondern ihn sofort durch einen gezielten Kopf- oder Herzschuss zu töten.

Franz hat den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

15. Tötung des Goldjuden Stern

Die der Erschiessung des Stern im Lazarett vorausgehenden barbarischen Misshandlungen, unter anderem durch Küttner und durch Franz selbst zeugen von der gefühllosen, unbarmherzigen Gesinnung des Angeklagten bei dieser Tötung, die deshalb als grausam anzusehen ist. Franz hat damit den Tatbestand des gemeinschaftlichen Mordes (§§211, 47 StGB) erfüllt.

16. Tötung eines Häftlings im Lazarett, der zuvor durch einen Schuss in die Hüfte verletzt worden war

Die Tötung dieses Häftlings erfolgte aus Mordlust und aus Rassenhass. Franz hat auch hier den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

17. Erschiessung eines von Barry gebissenen Häftlings im Lazarett

Zu den Tatbestandsmerkmalen der Mordlust und des Rassenhasses tritt bei der Tötung dieses Häftlings noch das der Grausamkeit hinzu. Es zeugt nämlich von einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung, wenn Franz seinen Barry auf den Häftling hetzte, wobei er in Kauf nahm und billigte, dass Barry diesen Mann auch am Unterleib, insbesondere am Geschlechtsteil, verletzte. Verletzungen des Geschlechtsteils sind, wie aus dem Gutachten des Professor Dr. De. hervorgeht, besonders schmerzhaft.

Franz hat hier gleichfalls den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

18. Erhängung eines Häftlings im oberen Lager

Diese Erhängung geschah aus Mordlust und aus Rassenhass. Da sie durch Aufhängen am Halse erfolgte und da nähere Einzelheiten über ihre Durchführung nicht festgestellt werden konnten, ist das Tatbestandsmerkmal der Grausamkeit der Tötung nicht nachweisbar. Franz hat aber auch hier den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

19. Liquidierung des aus mindestens 25 Personen bestehenden Restkommandos Ende November 1943

Die Erschiessung dieser mindestens 25 Personen erfolgte aus Rassenhass und damit aus niedrigen Beweggründen, aber auch insofern grausam, als nach der Erschiessung der ersten fünf Männer und der zwei Frauen die nachfolgenden Gruppen von je fünf Männern die Leichen ihrer Kameraden erst auf den brennenden Rost tragen mussten, ehe sie selbst durch Genickschuss getötet wurden. Ihre Todesangst wurde dadurch ins Unerträgliche gesteigert. Die Art und Weise, wie Franz diese Erschiessungsaktion durchführen liess, zeugt von seinem unbarmherzigen Bestreben, auch diesen letzten Häftlingen noch zusätzliche seelische Qualen zu bereiten. Der Tatbestand des Mordes ist auch hier erfüllt.

Da Franz die Erschiessung der mindestens 25 Personen aufgrund eines einzigen Beschlusses anordnete, beging er hier nur einen einzigen Mord, dem allerdings mindestens 25 Personen zum Opfer fielen (§§211, 73 StGB).

Die Täterschaft des Angeklagten Franz wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ihm die Liquidierung des Restkommandos möglicherweise von der Zentrale in Lublin befohlen worden war; denn auch in diesem Falle machte Franz sich den Befehl zur Tötung der Häftlinge völlig zu eigen und zögerte keinen Augenblick, ihn sofort und peinlichst genau auszuführen, obwohl gerade in diesem Fall die Möglichkeit bestanden hätte, die Tötung unter weniger grausamen Umständen durchzuführen oder den Häftlingen gar die Flucht zu ermöglichen.

III. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Matthes ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Die Selektion von mindestens fünf fleckfieberkranken Häftlingen zur Erschiessung im Lazarett

Die Erschiessung dieser vom Lagerkommandanten Stangl ausgesuchten mindestens fünf Fleckfieberkranken geschah aus niedrigen Beweggründen, nämlich weil sie Juden waren. Wären sie Arier gewesen, dann hätte man sich um ihre Genesung mit Hilfe von Medikamenten bemüht und ihre Fleckfiebererkrankung nicht zum Anlass genommen, sie der Einfachheit halber sofort zu erschiessen. Ihre Tötung im Lazarett des unteren Lagers erfolgte auch grausam, da sie sich - wie es im Lazarett immer üblich gewesen ist - entkleiden und dann nebeneinander an den Rand der Grube, die dort brennenden Leichen vor Augen, zur Exekution hinsetzen mussten. Stangl und Matthes nahmen diese Umstände der Tötung aus ihrer herzlosen Gesinnung heraus bewusst in Kauf und billigten sie. Die Merkmale des Mordes gemäss §211 StGB sind damit erfüllt.

Matthes handelte nicht als Gehilfe, sondern als Mittäter. Der ihm von Stangl erteilte Befehl, die mindestens 5 Fleckfieberkranken zur Erschiessung ins Lazarett zu überstellen, fand seine vollste Zustimmung, deckte sie sich doch mit seiner Vorstellung, zur Erzielung grösster Leistungen bei der Vergasung und dem Abtransport der Leichen seien nur gesunde, kräftige Männer zu gebrauchen. Er wollte die von Stangl angeordnete Erschiessung dieser mindestens fünf Männer als eigene Tat und handelte somit als Mittäter Stangls. Es liegt hier nur eine einzige Tat vor, da Matthes an der Tötung dieser mindestens fünf Fleckfieberkranken aufgrund eines einzigen Tatentschlusses mitgewirkt hat.

Matthes hat somit den Tatbestand eines gemeinschaftlichen Mordes in fünf tateinheitlich verbundenen Fällen verwirklicht (§§211, 47, 73 StGB).

2. Erschiessung des Warschauer Alek Weintraub

Die eigenmächtige Erschiessung dieses Leichenträgers, nur weil er kurze Zeit mit der Arbeit innehielt, um Wasser zu trinken, beging Matthes aus niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass. Hätte es sich um einen im oberen Lager tätigen Deutschen oder Ukrainer gehandelt, dann würde Matthes ihn sicherlich nicht wegen eines ähnlichen geringfügigen Vergehens getötet haben. Matthes hat hier allein den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

3. Erschiessung des Josel Rosenbaum und eines Häftlings mit dem Vornamen David

Auch die Tötung dieser beiden Häftlinge, die ihre Leichentrage nicht genügend gesäubert hatten, erfolgte letzten Endes deswegen, weil Matthes die in seinen Augen rassisch minderwertigen Juden missachtete, also aus niedrigen Beweggründen.

Es handelt sich um zwei Taten, da Matthes zwei Entschlüsse fasste, um beide zu töten. Das kam insbesondere darin zum Ausdruck, dass er seine Pistole zweimal abdrücken mussten, um die beiden Häftlinge zu erschiessen. Nach der Erschiessung des einen Mannes musste er sich von neuem darüber schlüssig werden, ob er auch den zweiten Mann töten wollte. Es liegt deshalb ein zweifacher Mord vor (§§211, 74 StGB).

IV. Erwiesene Exzesstaten des Angeklagten Miete ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Die Erschiessung des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten Sport im Lazarett

Dadurch, dass Miete sich an einem im Jahre 1943 von Franz und Küttner durchgeführten "Sport" beteiligte, dass er selbst auf die im Kreis um ihr Leben laufenden Häftlinge mit seiner Peitsche einschlug, um sie zur Schnelligkeit anzuspornen, dass er die von Franz aussortierten zwei Häftlinge, darunter den Lodzer Starsze Lipchitz, im Lazarett erschoss und dass er sowohl beim Sport selbst wie auch bei der Exekution seinen sadistischen Neigungen nachging, hat er auch hier den Tatbestand des aus Mordlust und grausam begangenen Mordes nach §211 StGB erfüllt, und zwar eines gemeinschaftlich begangenen Mordes, dessen Mittäter Franz, Küttner und Miete sind, weil alle drei gemeinsam von Anfang an entschlossen waren, diejenigen Häftlinge, welche den "Sport" nicht durchhielten, der Erschiessung im Lazarett zuzuführen. Da die Beteiligung Mietes auf einem einzigen Tatentschluss beruht, handelt es sich bei ihm auch nur dann um eine Tat, wenn er die beiden aussortierten Häftlinge im Anschluss an den "Sport" im Lazarett erschoss. Die eigentliche Entscheidung über Tod und Leben der beiden war bereits während des "Sports" gefallen. Ihre Erschiessung im Lazarett erfolgte nur in Ausführung dieses bereits vorher gefassten Entschlusses und erforderte keine neue Entscheidung Mietes. Er ist hier wegen eines gemeinschaftlichen Mordes an zwei Personen gemäss den §§211, 47, 73 StGB zur Rechenschaft zu ziehen.

2. Die Erschiessung eines jungen Häftlings auf dem Sortierplatz wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns

Die Erschiessung dieses jungen Häftlings erfolgte aus Mordlust und aus sonstigen niedrigen Beweggründen, nämlich aus Rassenhass. Einen Nichtjuden hätte Miete sicherlich nicht schon deshalb getötet, weil ihm während der Arbeit ein Versehen unterlaufen ist. Er hat damit den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt.

3. Erschiessung eines Häftlings, der beim Leichentransport in die Lazarettgrube gerutscht war

Die eigenmächtige Erschiessung dieses in die brennende Leichengrube geratenen Häftlings geschah aus Rassenhass, also aus niedrigen Beweggründen, und aus Mordlust. Dagegen kann man hier das Merkmal der Grausamkeit nicht annehmen, weil Miete den Häftling nicht etwa in die brennende Leichengrube gedrängt hat, um ihm dadurch besondere Schmerzen und Qualen zu bereiten. Er hat lediglich seine Befugnis, ohne Erlaubnis töten zu dürfen, bei dieser sich hier anbietenden Gelegenheit ausgenutzt. Miete hat auch hier den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB verwirklicht.

4. Die Erschiessung von fünf Fleckfieberkranken im Lazarett

Auch die Erschiessung dieser fünf Fleckfieberkranken durch Miete im Lazarett erfolgte aus Rassenhass, also aus niedrigen Beweggründen, und aus Mordlust, so dass der Tatbestand des Mordes nach §211 StGB erfüllt ist.

Das Schwurgericht ist davon überzeugt, dass Miete aufgrund seiner bereits mehrfach aufgezeigten inneren Einstellung zu den Vorgängen in Treblinka auch in diesem Falle als Täter und nicht nur als Gehilfe anzusehen ist. Es kann dahingestellt bleiben, wie die Beteiligung Küttners an der Tötung dieser Schwerkranken rechtlich zu bewerten ist. Möglicherweise ist Küttner in diesem Falle nur als Anstifter (§48 StGB) und nicht als Mittäter dieser Aktion anzusehen, weil er sich weder um die Ausführung der Tat gekümmert, noch später von Miete Rechenschaft über sie verlangt hat. Zudem brauchte ihm Miete noch nicht einmal nach der erfolgten Exekution eine Vollzugsmeldung zu erstatten. In jedem Falle ist Miete aber als Täter anzusehen, da er der Anregung Küttners, die Schwerkranken herauszusuchen und zu erschiessen, nur allzu gern und bereitwillig nachgekommen ist; denn hierdurch bekam er erneut Gelegenheit dazu, seinen sadistischen Neigungen zu frönen.

Es handelt sich nicht nur um eine Tat, die fünf Opfer gefordert hat, sondern um fünf getrennte Einzeltaten; denn Miete musste sich im Krankenrevier jedes Mal von neuem darüber schlüssig werden, ob er einen der ihm gezeigten Schwerkranken zur Erschiessung ins Lazarett mitnehmen sollte oder nicht. Auch im Lazarett musste er sich stets von neuem entscheiden, wenn er den Abzug seiner Pistole nach der Erschiessung des ersten Kranken erneut abdrückte, um das nächste Opfer durch Genickschuss zu töten. Wenn nicht besondere Umstände eine andere Bewertung erfordern, so ist gerade jede Betätigung des Abzugs einer normalen Pistole als selbständige Handlung zu bewerten (vgl. Seite 9 des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 28.Mai 1963 - 1 StR 540/62 - unter Bezugnahme auf BGHSt. 16, 397).

Miete hat mithin in fünf einzelnen Fällen den Tatbestand des Mordes nach §211 StGB als Täter verwirklicht.

C. Die rechtliche Beurteilung der von den Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. begangenen Taten

I. Ihre Mitwirkung bei der Massentötung

Bei der Massenvernichtung der Juden und Zigeuner in Treblinka haben die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. nicht als Mittäter, sondern als Gehilfen gehandelt. Es lässt sich bei ihnen nicht feststellen, dass ihr Wille über die Leistung eines Förderungsbeitrages hinausgegangen ist und dass sie die Tötungen als eigene gewollt haben. Obwohl diese sechs Angeklagten entweder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört haben, so hat bei den meisten von ihnen doch eine engere Bindung an die rasseideologischen Vorstellungen des Nationalsozialismus gefehlt. Sie sind keine fanatischen Antisemiten gewesen, die aus eigenem Antrieb Juden vernichten wollten. Sie haben sämtlich nur die ihnen anbefohlenen Tätigkeiten verrichtet und sind, wie es im Wesen des Handelns auf Befehl liegt, nicht aus eigenem Wollen, sondern in Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht zur Tatausführung geschritten. Darüber hinaus haben sie auch nicht über die Tatherrschaft verfügt, da sie keinen Einfluss auf Planung und Bestimmung von Art, Zeit und Ort der Tatausführung gehabt haben. Sie haben stets klare Anweisungen des Inspekteurs Wirth, des Kommandanten Stangl und seines Stellvertreters, des Angeklagten Franz, ausgeführt.

Vor allen Dingen ist aber bei den Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. wesentlich auf ihre Willensrichtung abzustellen; denn diese allein ist, selbst bei voller Tatbestandsverwirklichung, dafür entscheidend, ob der Handelnde als Täter oder Gehilfe anzusehen ist (vergleiche BGH in NJW 1963, 355). Nach dem Werdegang, ihrem Gesamtverhalten in Treblinka und dem in der mehrmonatigen Hauptverhandlung gewonnenen Persönlichkeitsbild der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. ist das Schwurgericht zu der Überzeugung gelangt, dass sie sich nicht deshalb an der Vernichtungsaktion beteiligt haben, weil sie sich das Verhalten und die Absichten der Haupttäter zu eigen gemacht haben, sondern weil sie als Folge ihrer grundsätzlichen Einstellung zu Befehl und Gehorsam die fremde Tat befehlsgemäss unterstützen wollten. Sie hatten an ihr weder ein materielles noch ein politisches Interesse und verrichteten sie nicht aufgrund eigener Entschliessung, sondern gleichsam als Werkzeug, weil sie der Autorität einer verbrecherischen Staatsführung unterworfen waren. Ihre innere Einstellung zu den befohlenen Taten lässt sich unter diesen Umständen nicht als "Täterwille" (vgl. dazu BGHSt. 8, 397) beurteilen.

Auf der anderen Seite bestehen daran, dass die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. als Gehilfen die Massentötungen wissentlich und willentlich gefördert haben, keinerlei Zweifel. Allen diesen sechs Angeklagten waren bei ihrer Beteiligung an den Vernichtungsmassnahmen in Treblinka alle Tatumstände bekannt. Sie wussten, dass es sich um die Ausführung grundsätzlicher und eingehend vorausgeplanter Befehle der obersten Staatsführung handelte und dass die Staatsführung mit diesen Befehlen die Tötung unschuldiger Menschen aus rasseideologischen und machtpolitischen Motiven, also aus niedrigen Beweggründen, bezweckte. Mit grosser Eindringlichkeit erlebten sie allesamt selbst den grausamen und heimtückischen Ablauf der Vernichtung.

Darauf, ob Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. selbst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam gehandelt haben, kommt es in diesem Zusammenhang nicht weiter an; denn entgegen der von der Verteidigung wiederholt geäusserten Meinung kann die Vorschrift des §50 Absatz 2 StGB, wonach besondere persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse, die nach dem Gesetz die Strafe schärfen, mildern oder gar ausschliessen, jeweils bei dem Täter oder Teilnehmer berücksichtigt werden müssen, bei dem sie vorliegen, nur insoweit Berücksichtigung finden, als es sich nicht um strafbegründende Merkmale handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt. 1, 368; BGHSt. 6, 630; BGHSt. 8, 220 und BGH in NJW 1956, 476), von der abzugehen das Schwurgericht keinen Anlass sieht, ist aber der Mord im Sinne von §211 StGB im Verhältnis zum Totschlag nach §212 StGB ein selbständiges Delikt und nicht etwa nur ein qualifizierter Tatbestand des Totschlags. Das bedeutet, dass die strafbegründenden Merkmale, unter anderem des niedrigen Beweggrundes, der Grausamkeit und der Heimtücke, nicht bei dem Gehilfen vorzuliegen brauchen, sondern dass es ausreichend ist, wenn sie beim Haupttäter gegeben sind. Der Gehilfe muss lediglich die Tatumstände kennen, die das Verhalten des Haupttäters als grausam, heimtückisch oder als aus niedrigen Beweggründen hervorgehend kennzeichnen. Sind ihm diese Umstände bekannt, so ist es unerheblich, wenn er sie in seiner Vorstellung rechtlich falsch qualifiziert, sofern er sie nur bei gehöriger Gewissensanspannung rechtlich zutreffend hätte einordnen können. Dazu waren die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. hier ohne weiteres in der Lage, wurden sie doch täglich mit der Tatsache konfrontiert, dass Menschen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht und Alter unter den schrecklichsten Umständen nur deshalb sterben mussten, weil sie Juden oder Zigeuner waren. Da sie trotz ihrer genauen Kenntnis aller dieser Umstände durch ihre Tätigkeit den reibungslosen Ablauf der Massentötungen wissentlich förderten, handelten sie hierbei auch vorsätzlich.

Die befehlsgemässe Beteiligung der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. an der Massenvernichtung im Lager Treblinka beruhte auf einem Tatentschluss, da alle diese Angeklagten von Anfang an entschlossen waren, bis zu einer Versetzung ununterbrochen in Treblinka tätig zu sein. Ihre Beihilfe liegt also in einem Gesamtverhalten, das durch den Aufenthalt in Treblinka zu einem einheitlichen Lebensvorgang zusammengefasst wird und das daher bei natürlicher Betrachtungsweise alle Einzelakte zu einer einheitlichen Handlung im Sinne des §73 StGB zusammenfügt. Das Gesamtverhalten dieser Angeklagten ist deshalb rechtlich als eine Handlung anzusehen. Das gilt auch für den Angeklagten Lambert.

Lambert befand sich in drei getrennten Zeitabschnitten im Vernichtungslager Treblinka, und zwar das erste Mal für mehrere Wochen ab Ende Mai / Anfang Juni 1942, das zweite Mal von August bis Ende September oder Anfang Oktober 1942 und das dritte Mal für mehrere Wochen im Frühjahr 1943. Da er als "fliegender Baumeister" der Dienststelle T4 bereits gewohnt war, mehrere Male an denselben Ort zur Erledigung von Bauarbeiten geschickt zu werden, muss man davon ausgehen, dass er bereits bei seinem ersten Einsatz dazu entschlossen war, so oft nach Treblinka zu kommen, wie man es von ihm seitens der Dienststelle T4 und der Lubliner Zentrale verlangte. Seinen zweiten und dritten Einsatz in Treblinka sah er als die fortlaufende Kette eines Ganzen an, dem er seine Dienste zur Verfügung zu stellen hatte. Die Leistungen, die er während seines zweiten und dritten Aufenthaltes in Treblinka erbrachte, beruhten deshalb nicht auf neuen Entschlüssen. Bei natürlicher Betrachtungsweise muss man seinen in drei Etappen erfolgten Einsatz in Treblinka ebenso als eine natürliche Handlungseinheit und damit als eine einzige Beihilfehandlung bewerten wie den seiner Mitangeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel und Ru.

Die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. verrichteten die ihnen anbefohlene Tätigkeit im Lager Treblinka in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit anderen Angehörigen der deutschen Lagerbesatzung, die ebenfalls nur die ihnen erteilten Befehle ausführten. Jeder von diesen Helfern trug, für den anderen erkennbar und von ihm unterstützt, seinen Teil dazu bei, dass die jüdischen Menschen getötet wurden. Nur ihr gemeinsames Handeln führte zum reibungslosen Ablauf der Vernichtungsaktion und sicherte insoweit den gewünschten Erfolg. Sie handelten deshalb als gemeinschaftliche Gehilfen.

Im einzelnen haben die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. folgende Beihilfehandlungen zur Massenvernichtung geleistet:

1. Mentz

Der Angeklagte Mentz unterstützte die Massenvernichtung dadurch, dass er zunächst einige Zeit lang die Leichenträger im oberen Lager beaufsichtigte und dass er dann im Lazarett des unteren Lagers alte und kranke Ankömmlinge, die man ihm dorthin brachte, durch Genickschuss erschoss. Mentz kannte alle Tatumstände, die das Verhalten der Haupttäter als ein solches aus niedrigem Beweggrund, als heimtückisch und grausam kennzeichnen, da er nahezu täglich alle Scheusslichkeiten der Judenvernichtung unmittelbar erlebte. Daneben handelte Mentz aber auch selbst grausam und heimtückisch.

Zwar ist nicht zu übersehen, dass Mentz sich an die ihm von Wirth erteilten Anweisungen über die Erschiessungen im Lazarett gehalten hat, welche die gesamte Prozedur (Entkleiden der Opfer, Hinsetzen der Opfer an den Rand der brennenden Leichengrube, Herunternehmen des Kopfes, Genickschuss und anschliessendes selbsttätiges Hineinfallen der Körper in die brennende Leichengrube) genau festlegten. Aus seiner gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus hat er jedoch einigen Opfern, die er nur verwundet und als noch Lebende in die brennende Grube gleiten liess, ohne sich von ihrem Tod zu überzeugen, dadurch besondere Qualen und Schmerzen zugefügt, dass sie lebendigen Leibes verbrannten. Einen solchen Fall hat der Zeuge Raj. (vergleiche den Abschnitt D.IV.6. des Zweiten Teiles der Gründe) beobachtet, als sich nämlich eine nur verwundete ältere Jüdin aus den Flammen der Grube erhob, um schliesslich von Mentz den endgültigen Todesschuss zu erhalten. Mentz räumt selbst ein, sich niemals darum gekümmert zu haben, ob seine Genickschüsse auch stets tödlich waren. Die Möglichkeit hierzu hätte bestanden. Mentz hätte nämlich seine drei jüdischen Helfer, darunter den Kapo Kurland, mit derartigen Kontrollen beauftragen können. Der Umstand, dass er solche Kontrollen unterliess und bewusst in Kauf nahm und billigte, dass lediglich verletzte Opfer lebend in den Flammen umkamen, zeugt von einer gefühllosen, unbarmherzigen Gesinnung des Angeklagten gegenüber seinen Opfern.

Schliesslich hat Mentz selbst auch heimtückisch gehandelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt. 2, 251; 7, 218 und 9, 385) ist Heimtücke die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Dagegen ist es zur Annahme von Heimtücke nicht erforderlich, dass der Handelnde die Arg- und Wehrlosigkeit selbst herbeigeführt haben muss (vgl. BGH in NJW 1951, 410). Wenn sich Mentz darauf beruft, dass nicht er, sondern andere Männer den Lazarettopfern vorgespiegelt hätten, sie kämen in ein richtiges Krankenhaus, so ist das also unbeachtlich. Dass Mentz jedoch die Arg- und Wehrlosigkeit seiner meist alten und kranken Opfer, die aufgrund der irreführenden Zusagen anderer Männer sowie durch die am Lazaretteingang angebrachten Symbole des Roten Kreuzes an eine ärztliche Behandlung glaubten und sich entkleideten, ausnutzte, ist ihm selbst als heimtückisches Verhalten zuzurechnen.

Mentz war trotz Kenntnis aller Tatumstände damit einverstanden, dass durch seine Tätigkeit der schnelle Ablauf der Massentötungen unterstützt wurde. Seine Mitwirkung geschah also vorsätzlich.

Obwohl der Angeklagte bei seiner Tätigkeit im Lazarett, wo er den Opfern mit eigener Hand den Genickschuss gab, den Tatbestand des §211 StGB in seiner eigenen Person erfüllte, handelte er nicht als Mittäter, sondern als Gehilfe. Es hat sich nicht feststellen lassen, dass sein Wille über die Leistung eines Förderungsbeitrages hinausging und dass er die Tötungen als eigene wollte. Er war zwar Mitglied der NSDAP, hatte sich aber die rassepolitischen Vorstellungen seiner Partei keineswegs zu eigen gemacht. Er sah keinen Sinn in der Vernichtung der Juden. Er wurde deshalb auch nicht aus eigenem Antrieb tätig, sondern führte nur die ihm befohlenen Tätigkeiten aus, weil er sich hierzu gegenüber seinem Führer für verpflichtet hielt. Er tröstete sich selbst damit, dass er sich sagte, der Führer müsse wissen, wozu das gut sei und der Führer werde das alles zu verantworten haben. Er verfügte darüber hinaus nicht über die Tatherrschaft, da er keinen Einfluss auf die Planung und die Art und Weise der Judenvernichtung hatte. Selbst die Technik der Erschiessungen im Lazarett war ihm von Wirth vorgemacht und vorgeschrieben worden. Einen geringen Spielraum hatte er nur insoweit, als er unter mehreren Opfern die Reihenfolge der Tötungen bestimmen konnte. Die Befugnis, einen zur Erschiessung ins Lazarett geschickten alten oder kranken Menschen am Leben zu lassen, hatte er nicht.

Für die Frage, ob er Täter oder nur Gehilfe ist, bleibt jedoch vor allem seine Willensrichtung von Bedeutung. Nach seinem Lebenslauf, seinem beruflichen Werdegang, seinem Gesamtverhalten in Treblinka und seinem in der mehrere Monate dauernden Hauptverhandlung gewonnenen Charakterbild ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass er sich nicht deshalb an der Vernichtungsaktion in Treblinka beteiligte, weil er sich den Haupttätern gleichstellen, sondern weil er infolge seiner Einstellung zu Befehl und Gehorsam eine fremde Tat weisungsgemäss unterstützen wollte. Sofern man ihm nicht die "Arbeit" im Lazarett abverlangte, weil er gelegentlich von anderen SS-Männern abgelöst wurde, arbeitete er als Chef des Landwirtschaftskommandos so zuverlässig und solide, wie er es sonst in seinem erlernten Beruf als Melkermeister gewohnt war. Er schlug die ihm anvertrauten Häftlinge des Landwirtschaftskommandos nicht, weil er hierzu keine Neigung verspürte und weil ihm das nicht befohlen war. Wie er selbst sagt, war für ihn der Ausspruch massgebend "Befehl ist Befehl", wobei es ihm gleichgültig war, ob er nun zu einer friedlichen Beschäftigung in der Landwirtschaft oder zum Henker unschuldiger Menschen bestimmt wurde. Er fühlte sich somit als Werkzeug einer allmächtigen Staatsgewalt, die in seinen Augen die Verantwortung für alles tragen musste, was sie anordnete. Seine innere Einstellung lässt sich deshalb nicht als "Täterwille" ansehen. Nicht zuletzt spricht hierfür der Umstand, dass ihm in Treblinka keine eigenmächtigen Tötungen und keine eigenmächtigen Misshandlungen von Arbeitshäftlingen nachgewiesen werden konnten.

Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hat der Angeklagte Mentz in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Ende Juni / Anfang Juli 1942 bis Ende November 1943, also über 17 Monate lang, angehört. Selbst wenn man einen Heimaturlaub von insgesamt 17 Wochen absetzt, so verbleiben mehr als 12 Monate, in denen Mentz an den Massentötungen teilgenommen und deren reibungslosen Ablauf gefördert hat. Das Schwurgericht schätzt deshalb die Anzahl der Personen, an deren Tötung Mentz im Rahmen der Massenvernichtung beteiligt gewesen ist, auf mindestens 300000. In dieser Zahl sind aus den bereits beim Angeklagten Franz genannten Gründen die von Mentz mit eigener Hand oder unter seiner unmittelbaren Mitwirkung bei der Transportabfertigung durchgeführten Tötungen im Lazarett (vergleiche Abschnitt D.IV. des Zweiten Teiles des Urteils) mit enthalten.

Der Angeklagte Mentz erfüllt mithin den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen (§§211, 47, 49, 73 StGB).

2. Münzberger

Der Angeklagte Münzberger unterstützte die Massentötungen insbesondere dadurch, dass er das Füllen der Gaskammern mit den im Schlauch wartenden Opfern überwachte, hierbei selbst auf die sich sträubenden Menschen mit seiner Peitsche einschlug und schliesslich darauf achtete, dass die Kammern bis zum Bersten voll belegt wurden. Ausserdem trieb er die Angehörigen des Leichenträgerkommandos mit Peitschenhieben zu schneller Arbeit an, um so eine baldige Leerung der Kammern von Leichen und ihre baldige erneute Verwendung zur Vergasung der noch im Schlauch wartenden Menschen zu erreichen.

Dem Angeklagten Münzberger waren alle Tatumstände bekannt. Er war nicht nur über die Vorgänge im oberen, sondern auch über die im unteren Lager genau informiert, da er anfangs einige Wochen im Auffanglager eingesetzt war. Schliesslich war ihm auch bekannt, dass die Massenvernichtung aufgrund von Befehlen der obersten Staatsführung erfolgte. Er wusste auch, dass die Spitzenfunktionäre des Staates die unschuldigen Juden und Zigeuner nach einem genauen Plan aus rassischen und machtpolitischen Motiven, also aus niedrigen Beweggründen, liquidieren wollten. Trotzdem war er damit einverstanden, die Massenvergasungen durch Tätigkeit vor und hinter den Gaskammern zu fördern. Er handelte somit vorsätzlich.

Münzberger ist nicht als Mittäter, sondern als Gehilfe der Vernichtungsaktion in Treblinka anzusehen. Obwohl er an einer Schaltstelle der Vernichtung tätig war, lässt sich nicht nachweisen, dass sein Wille über die Leistung eines Förderungsbeitrages, auch eines solchen von bedeutendem Umfang, hinausging und dass er die Tötungen als eigene wollte. Er gehörte zwar als Mitglied der NSDAP und der Allgemeinen SS an. Er war darüber sehr erfreut, dass es der nationalsozialistischen Regierung Adolf Hitlers gelungen war, seine sudetendeutsche Heimat dem Deutschen Reich anzugliedern, und er billigte auch die auf eine Machterweiterung abzielenden Pläne der damaligen Staatsführung. Aber es lässt sich bei ihm nicht mit einer für die Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachweisen, dass er auch die Massenvernichtung der Juden, insbesondere die Tötung von Frauen und Kindern, von alten und kranken Menschen, sich innerlich voll zu eigen gemacht und den Erfolg als eigenen gewollt hätte.

Dem Umstand, dass er einmal dem Angeklagten H. und dessen Freund Eisold Vorwürfe darüber machte, dass beide sich nicht eifrig genug an der Vernichtungsaktion beteiligten, kann man in diesem Zusammenhang kein entscheidendes Gewicht beimessen. Diesen Vorwurf erhob er möglicherweise nicht, weil er die Tötung der Juden als seine eigene Sache ansah, sondern deshalb, weil er meinte, jeder SS-Mann müsse die Befehle des Führers eifrig und exakt ausführen, und ein treuer Gefolgsmann habe nicht danach zu fragen, welcher Art diese Befehle seien. Nach seinem gesamten Verhalten in Treblinka und nach seinem Persönlichkeitsbild, welches das Schwurgericht in der mehrmonatigen Hauptverhandlung von ihm gewonnen hat, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass er sich die Ziele und Motive der Haupttäter zu eigen gemacht hat. Vielmehr ist es möglich, dass er, bedingt durch seine besondere Autoritätsgläubigkeit, seine Befehlsergebenheit und seine Dankbarkeit gegenüber dem Führer, der seine sudetendeutsche Heimat ins Reich heimgeholt hatte, lediglich eine fremde Tat, in freilich massiver Form, unterstützen wollte. Aus seiner inneren Einstellung kann man damit nicht auf einen Täterwillen schliessen.

Hinzu kommt, dass der Angeklagte in Treblinka stets nur in einer untergeordneten Stellung tätig war und bei seinem Einsatz vor dem Gashaus über keinerlei entscheidende Tatherrschaft verfügte. In diesem fortgeschrittenen Stadium des Vernichtungsprozesses besass er keinerlei Möglichkeit zur Rettung auch nur eines einzigen Juden oder zu einer sonstigen Einflussnahme auf den Ablauf der Aktion. Er war lediglich ein Rädchen in der grausamen Tötungsmaschinerie und hatte "stur" seine vorgeschriebene Arbeit zu verrichten.

Münzberger hat in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Ende September 1942 bis Mitte November 1943, also über 13 Monate, angehört. Selbst wenn man hiervon einen Urlaub von etwa 13 Wochen absetzt, so verbleiben immer noch rund 10 Monate, in denen Münzberger an den Massentötungen teilgenommen hat. Hierunter fallen insbesondere auch die Monate Oktober, November und Dezember 1942, in denen besonders viele Transporte abgefertigt worden sind. Das Schwurgericht schätzt deshalb die Zahl der Personen, an deren Vernichtung Münzberger im Rahmen der Transportabfertigungen teilgenommen hat, auf mindestens 300000. In dieser Zahl ist auch die Erschiessung einer Mutter mit zwei Kindern (vergleiche Abschnitt G.III. des Zweiten Teiles der Gründe) enthalten; denn auch in diesem Falle hat Münzberger nicht aus eigenem Antrieb, sondern in Beachtung der für die Transportabfertigung geltenden Richtlinien gehandelt.

Der Angeklagte Münzberger hat mithin den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen verwirklicht (§§211, 47, 49, 73 StGB).

3. Stadie

Die von den Haupttätern befohlene und organisierte Massenvernichtung der Juden und Zigeuner in Treblinka unterstützte er, indem er als Verwaltungsleiter des Lagers die Telefonanrufe über die ankommenden Transporte entgegennahm, das deutsche und ukrainische Personal zur Einnahme ihrer Plätze am Bahnhof zusammenrief, häufig selbst dabei die Transporte abnahm, mehrfach irreführende Ansprachen an die Angekommenen hielt und indem er den übrigen Lagerbetrieb, die Einteilung der Arbeit und Wachen, vornahm und kontrollierte. Stadie wusste, dass er durch seine Tätigkeit den Ablauf der Massentötungen förderte. Trotzdem übte er sie aus und handelte deshalb vorsätzlich.

Obwohl Stadie als "Spiess" und Stabsscharführer eine nicht unbedeutende Stellung im Lager innehatte, handelte er bei der Massenvernichtung nicht als Täter, sondern nur als Gehilfe. Er führte nur die ihm anbefohlenen Tätigkeiten durch und schritt, wie es im Wesen des Handelns auf Befehl liegt, nicht aus eigenem Willen zur Tatausführung, sondern in Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht. Er verfügte darüber hinaus nicht über die Tatherrschaft, da er keinen Einfluss auf Planung und Bestimmung von Art, Zeit und Ort der Tatausführung hatte. Wenn er einzelne Juden zur Arbeit heraussuchen und sie dadurch vor der Vergasung bewahren konnte, so führte er auch hier in der Regel klare Anweisungen des Kommandanten und seines Vertreters, des Angeklagten Franz, aus. Vor allen Dingen ist es aber bei ihm wesentlich auf seine innere Willensrichtung abzustellen; denn diese allein bleibt, selbst bei voller Tatbestandsverwirklichung, dafür bestimmend, ob der Handelnde als Täter oder Gehilfe anzusehen ist. Berücksichtigt man das Gesamtverhalten des Angeklagten Stadie in Treblinka, so lässt sich nicht feststellen, dass er die Massenvernichtung von Juden und Zigeunern als eigene Tat gewollt hat. Dafür spricht insbesondere, dass er seine Machtbefugnisse als Spiess und Verwaltungsleiter des Lagers keineswegs ausgeschöpft, sondern vielmehr den Arbeitsjuden gegenüber ein verhältnismässig mildes Regiment geführt hat. Zu berücksichtigen ist weiter, dass ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Begehung einer Exzesstat aus eigenem Antrieb mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nicht nachgewiesen werden kann (vergleiche den Abschnitt B.V. des Zweiten Teiles der Gründe). Er hat deshalb nach der Überzeugung des Schwurgerichts nur eine ihm innerlich fremde Tat befehlsgemäss fördern und unterstützen wollen, so dass er nicht als Täter, sondern nur als Mordgehilfe anzusehen ist.

Stadie hat in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Personen mitgewirkt. Er hat sich von Mitte 1942 bis Juli 1943, also rund ein Jahr lang in Treblinka befunden. Auch wenn man hiervon insgesamt etwa 12 Wochen Urlaub abzieht, so verbleiben immer noch etwa 9 Monate, in denen Stadie an der Massenvernichtung in Treblinka mitgewirkt hat, insbesondere auch in der zweiten Hälfte des Jahres 1942, als besonders viele Transporte mit Juden aus Warschau und aus anderen polnischen Städten in Treblinka eintrafen und abgefertigt wurden. Das Schwurgericht schätzt deshalb die Zahl der Personen, an deren Vernichtung Stadie im Rahmen der Massentötungen beteiligt gewesen ist, auf mindestens 300000.

Der Angeklagte Stadie hat somit den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen erfüllt (§§211, 47, 49, 73 StGB).

4. Suchomel

Der Angeklagte Suchomel förderte die Massentötungen dadurch direkt, dass er an der Rampe mehrfach von seiner Peitsche und auch von seiner Schusswaffe Gebrauch machte, um das Aussteigen und das Einordnen der Ankömmlinge in nach Geschlechtern getrennte Gruppen zu beschleunigen, dass er in mehreren Fällen Juden und Zigeuner zum Erschiessen ins Lazarett führte, dass er das Auskleiden der weiblichen Ankömmlinge in der Frauenauskleidebaracke beaufsichtigte und ihnen den Weg in den Schlauch wies, indirekt damit, dass er Geld, Gold, Schmuck- und Wertsachen durch seine Goldjuden einsammeln und sortieren liess und dass er mit Hilfe der ihm gleichfalls unterstellten Hofjuden zahlreiche handwerkliche Arbeiten in den Werkstätten und im Lagergelände ausführen liess, die dem allgemeinen Lagerbetrieb und auch einem besseren Ablauf der Transportabfertigungen zugute kamen.

Der Angeklagte leistete seinen Tatbeitrag, obwohl er wusste, dass er hierdurch die Massentötung förderte. Er handelte deshalb vorsätzlich.

Suchomel ist nicht als Mittäter, sondern als Gehilfe anzusehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sein Wille über die Leistung eines Unterstützungsbeitrages hinausging und dass er die Massentötungen als eigene wollte. Obwohl er Mitglied des NSKK war und den Ideen des Nationalsozialismus nicht ablehnend gegenüberstand, so hatte er sich jedoch die nationalsozialistischen Grundsätze über die rassische Minderwertigkeit von Juden und Zigeunern nicht voll zu eigen gemacht. Das zeigt deutlich der Umstand, dass er die ihm unterstellten Gold- und Hofjuden gut behandelte und dass er sogar zu anderen Arbeitsjuden, insbesondere zu den Deutsch sprechenden Juden aus der Tschechoslowakei, freundlich und entgegenkommend war. Wäre er ein Antisemit gewesen, dann hätte er sich mit Sicherheit anders aufgeführt. Auch hatte er bei den Massentötungen keine Tatherrschaft. Wollte er jemanden vor der Vergasung bewahren, so musste er hierzu die Einwilligung eines Vorgesetzten einholen. So musste er sich an den Kommandanten Stangl wenden, bevor er die Zeugin Su. zur Arbeit in der Schneiderwerkstatt heraussuchen und so vor der Vergasung bewahren konnte.

Entscheidend ist aber seine innere Einstellung zu den Vorgängen in Treblinka. Nach seinem Gesamtverhalten in Treblinka und seinem in der mehrmonatigen Hauptverhandlung zutage getretenen Persönlichkeits- und Charakterbild ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass Suchomel nicht deshalb an der Vernichtungsaktion in Treblinka teilnahm, weil er sich den Haupttätern anschliessen und mit ihnen auf eine Stufe stellen, sondern weil er infolge seiner Einstellung zu Befehl und Gehorsam eine fremde Tat weisungsgemäss fördern wollte. Er war ständig darum bemüht, seine beiden einander entgegengesetzten Absichten, einerseits das Streben um die Anerkennung seiner Vorgesetzten für die peinlich genaue und eifrige Befolgung der ihm übertragenen Aufgaben und andererseits seine Fürsorge um die ihm unterstellten Gold- und Hofjuden, auf einen Nenner zu bringen und sich damit das Wohlwollen seiner Vorgesetzten und der Häftlinge zu sichern. Dieses Bestreben, auf zwei Schultern zu tragen und es mit niemandem, wer es auch sei, zu verderben, ist typisch für die geistige Haltung Suchomels während seines Aufenthalts in Treblinka. Zwischen den beiden gegensätzlichen Polen, nämlich seinen Vorgesetzten und den Häftlingen, hin- und herschwankend, war seine zu jedem Kompromiss bereite Denkungsweise jedoch unter keinen Umständen derart, dass er sich den Vernichtungswillen seiner Haupttäter zu eigen machen wollte. Hätte er doch lieber nur die Aufsicht über arbeitende Juden geführt, als sich an der Vernichtung von Menschen zu beteiligen, wenn das ohne Einbusse seines Ansehens bei seinen Vorgesetzten möglich gewesen wäre. Seine innere Einstellung zur Massenvernichtung kann man deshalb mit Sicherheit nicht als Täterwillen bezeichnen.

Suchomel hat in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt. Er hat von Ende August 1942 bis Ende Oktober 1943, also rund 15 Monate dem SS-Sonderkommando Treblinka angehört. Selbst wenn man hiervon etwa 15 Wochen Heimaturlaub absetzt, so verbleiben immerhin noch mehr als 11 Monate, in denen Suchomel in Treblinka tätig gewesen ist, darunter auch mehrere Monate in der zweiten Hälfte des Jahres 1942, als besonders viele Transporte mit Juden aus Warschau und aus anderen polnischen Städten in Treblinka eintrafen und dort abgefertigt wurden. Das Schwurgericht schätzt mithin die Zahl der Personen, an deren Tötung Suchomel im Rahmen der Massenvernichtung mitgewirkt hat, auf mindestens 300000. Hierunter fallen auch die im Abschnitt F.III. des Zweiten Teiles der Gründe aufgeführten Taten; denn auch in diesen Fällen hat Suchomel nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern nur Beihilfe zu einer fremden Tat geleistet.

Der Angeklagte Suchomel hat somit den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen verwirklicht (§§211, 47, 49, 73 StGB).

5. Lambert

Der Angeklagte Lambert unterstützte die Vernichtungsaktion dadurch, dass er bei seinen drei Einsätzen zahlreiche Bauten des Vernichtungslagers, insbesondere aber das grosse Gashaus errichtete, das mindestens doppelt so viele und auch etwa doppelt so grosse Gaskammern enthielt wie das vorher benutzte kleine Gashaus.

Dem Angeklagten waren alle Tatumstände genau bekannt. Er wusste über die Vorgänge im unteren und im oberen Lager Bescheid, da er mehrfach Augenzeuge von Transportabfertigungen war. Insbesondere war er auch darüber informiert, dass das grosse Gashaus zur Tötung von Juden mit Hilfe von Dieselabgasen dienen sollte. Schliesslich wusste er auch, dass die Massenvernichtung aufgrund von Anweisungen der obersten Staatsführung erfolgte und dass der Führer und seine Mitarbeiter die Juden und Zigeuner nach einem exakt entworfenen Plan aus rassischen und machtpolitischen Motiven, also aus niedrigen Beweggründen, physisch vernichten wollten. Da Lambert trotz seiner Kenntnis aller Tatumstände damit einverstanden war, die Kapazität des Vernichtungslagers durch den von ihm geleiteten Bau des grossen Gashauses und verschiedener anderer Gebäude zu vergrössern und seine Funktionsfähigkeit zu verbessern, handelte er vorsätzlich.

Lambert ist nicht als Mittäter, sondern nur als Gehilfe der Massenvernichtungen in Treblinka anzusehen. Obwohl er durch die Errichtung von Bauten in Treblinka einen bedeutsamen Tatbeitrag geleistet hat, kann man nicht feststellen, dass sein Wille über die Leistung eines Förderungsbeitrages hinausging und dass er die Tötungen als eigene wollte. Er war zwar Mitglied der NSDAP, und er hatte auch schon an der Euthanasieaktion mitgewirkt. Mag er auch ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sein, so fehlen doch Anzeichen dafür, dass er sich die rassepolitischen Massnahmen der Partei in ihrer letzten Konsequenz zu eigen gemacht hat. Wäre er ein überzeugter Antisemit gewesen, dann hätte er die Gelegenheit, in Treblinka Juden zu schikanieren, zu misshandeln oder eigenhändig zu töten, wahrgenommen. Der Umstand, dass ihm dies nicht nachgewiesen werden kann, lässt den Schluss zu, dass er die Judenvernichtung nicht als eigene Tat wollte, sondern dass er nur fremdes Tun unterstützte.

Mit dem Bau der neuen, grossen Gaskammer, die im September 1942 fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde, schuf Lambert die Voraussetzungen für die schnelle Abfertigung grosser Transporte. Nur ein verhältnismässig kleiner Teil der 700000 Opfer ist in der alten, kleinen Gaskammer vergast worden, der weitaus grösste Teil von ihnen hat den Tod in der grossen Gaskammer gefunden.

Das Schwurgericht ist deshalb davon überzeugt, dass der Angeklagte Lambert durch die von ihm im Lagergelände errichteten Gebäude, insbesondere aber durch die Errichtung der grossen Gaskammer, an der Tötung von mindestens 300000 Personen beteiligt gewesen ist.

Der Angeklagte Lambert hat mithin den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen erfüllt (§§211, 47, 49, 73 StGB).

6. Ru.

Der Angeklagte Ru. förderte die Massentötungen dadurch, dass er zunächst im unteren Lager bei der Ankunft von Transporten das Entladen der Güterwaggons und das Einordnen der Ankömmlinge in zwei nach Geschlechtern getrennte Gruppen überwachte und hierbei auch von seiner Peitsche Gebrauch machte und dass er im oberen Lager die Leichenträger mit Zurufen und Peitschenhieben zu möglichst schneller Arbeit antrieb; denn je schneller die Gaskammern geleert und gereinigt waren, um so eher konnten sie wieder mit weiteren Opfern gefüllt werden. Wenn der Leichentransport nicht zügig voranging, dann konnte es sogar zu grossen Stockungen in der Abfertigung insgesamt kommen, so dass auch die Aufsicht über die Arbeiter vom Leichenkommando eine wichtige Aufgabe darstellte.

Diese und auch alle anderen Einzelheiten über das untere und das obere Lager waren dem Angeklagten Ru. genau bekannt. Er wusste auch, dass die Massenvernichtung auf Befehlen der obersten Staatsführung beruhte und dass die höchsten Staatsfunktionäre die Juden und Zigeuner im Rahmen einer ausgeklügelten Organisation aus rassischen und machtpolitischen Motiven, also aus niedrigen Beweggründen, körperlich vernichten wollten. Obwohl er alle diese Tatumstände kannte, war er doch dazu bereit, seinen Beitrag zur Vernichtung der Juden und Zigeuner zu leisten. Er handelte mithin vorsätzlich.

Er ist als Gehilfe, nicht als Mittäter der Massenvernichtung in Treblinka anzusehen. Obwohl er bei der Aufsicht über die Ankömmlinge im unteren Lager und bei der Kontrolle der Leichenträger im oberen Lager einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Massenvernichtung geleistet hat, kann man nicht davon ausgehen, dass sein Wille über die Leistung eines Unterstützungsbeitrages hinausging und dass er die Tötungen als eigene wollte. Er war zwar seit 1933 Mitglied der NSDAP und seit 1937 auch Blockwart der Partei. Es fehlen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass er mehr als nur ein "zahlendes Parteimitglied" und als Blockwart mehr als nur ein Kassierer von Beiträgen gewesen ist. Die rassepolitischen Ansichten und Forderungen der Partei hatte er sich jedenfalls nicht in ihren letzten Konsequenzen zu eigen gemacht. Wäre er antisemitisch eingestellt gewesen, dann würde er sich in Treblinka mit grösserem Eifer betätigt und vor allen Dingen zumindest einige der vielen Gelegenheiten wahrgenommen haben, um jüdische Häftlinge zu schikanieren, zu misshandeln oder gar zu töten. Das aber hat keiner der vernommenen jüdischen Zeugen bekundet. Soweit Ru. seine Peitsche schwang, geschah das nachweislich nur bei der Ankunft und der Ausladung von Transporten im unteren Lager oder beim Abtransport der Leichen im oberen Lager, um die Totenjuden zu schnellerer Arbeit anzutreiben. An den eigentlichen Prügeleien, die in der Regel bei Appellen durchgeführt wurden, beteiligte er sich dagegen nach seiner insoweit unwiderlegten Einlassung nicht. Sein
gemässigter Diensteifer lässt den Schluss zu, dass er lediglich eine fremde Tat weisungsgemäss unterstützen wollte. An einem Täterwillen hat es ihm also gefehlt, so dass er nur als Mordgehilfe zur Verantwortung gezogen werden kann.

In Treblinka hat Ru. an der Vernichtung von mindestens 100000 Menschen mitgewirkt. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Anfang Dezember 1941 bis Ende November 1943, also knapp 12 Monate angehört. Zieht man hiervon rund 12 Wochen Heimaturlaub ab, dann hat er sich rund 9 Monate im Lager Treblinka aufgehalten. Als er Anfang Dezember 1942 ins Lager kam, waren bereits viele der grössten Transporte aus polnischen Städten, insbesondere aus dem Warschauer Ghetto, abgefertigt. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Angeklagte Ru. während der Zeit seines Aufenthaltes in Treblinka im Rahmen der Transportabfertigungen noch an der Tötung von mindestens 100000 Personen teilgenommen hat.

Der Angeklagte Ru. hat deshalb den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 100000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen verwirklicht (§§211, 47, 49, 73 StGB).

II. Erwiesene Beihilfehandlungen der Angeklagten Mentz und Stadie ausserhalb der Massentötungen, die im Eröffnungsbeschluss und in der Anklageschrift aufgeführt sind

1. Die Mitwirkung des Angeklagten Mentz bei der Erschiessung des mindestens 25 Personen umfassenden jüdischen Restkommandos

Die Erschiessung des jüdischen Restkommandos stellt einen einzigen von Franz und eventuell seinen Lubliner Befehlsgebern begangenen Mord an mindestens 25 Menschen dar, wie im Abschnitt 2. B.II.19. des Dritten Teiles der Gründe dargelegt worden ist. Bei dieser Erschiessung war Mentz als Gehilfe beteiligt. Dafür, dass er diese Tat nicht als eigene, sondern nur als fremde unterstützen wollte, spricht sein bisheriges gesamtes Verhalten in Treblinka, bei dem er sich von seiner uneingeschränkten Befehlsergebenheit hat leiten lassen.

Mentz handelte hier als gemeinschaftlicher Gehilfe; denn er war von Anfang an entschlossen, sich die Arbeit mit Bredow und dem anderen SS-Unterscharführer so aufzuteilen, dass die mindestens 25 Personen alle in einem Zuge und unter Vermeidung jedweden Widerstandes getötet wurden. Dass die Erschiessung in kleineren Gruppen von 7 beziehungsweise 5 Personen vorgenommen wurde, war organisatorisch und technisch bedingt, führte aber nicht etwa zu mehrfachen Entschlüssen des Angeklagten. Mentz hat damit den Tatbestand einer Beihilfe zu einem Mord an mindestens 25 Personen verwirklicht (§§211, 49 StGB).

2. Die Beteiligung des Angeklagten Stadie an der Erschiessung des Lagerältesten Rakowski

An der Erschiessung des Lagerältesten Rakowski beteiligte sich der Angeklagte Stadie dadurch, dass er den vom Lagerkommandanten Stangl gegebenen Befehl zur Tötung Rakowskis auf einem Appell bekanntgab und den Mitangeklagten Miete mit seiner Ausführung beauftragte.

Dem Angeklagten Stadie waren hierbei alle Tatumstände genau bekannt. Er wusste, dass Rakowski lediglich wegen des Besitzes von Gold und Geld, das man bei ihm gefunden hatte, ohne Förmlichkeiten erschossen werden sollte, dass der wirkliche Grund für diese harte Bestrafung seine jüdische Abstammung war und dass er unter den üblichen Bedingungen im Lazarett, die brennenden Leichen in der Lazarettgrube vor Augen, erschossen werden sollte. Da er trotz Kenntnis aller dieser Tatumstände an der Erschiessung Rakowskis in der geschilderten Art und Weise mitwirkte, handelte er auch vorsätzlich.

Der Angeklagte Stadie ist auch hier nur als Gehilfe, nicht als Mittäter anzusehen. Es lässt sich nicht feststellen, dass er bei der von seinem Vorgesetzten angeordneten Erschiessung Rakowskis nicht nur mithelfen, sondern sich dessen Tötung als eigene Tat zurechnen lassen wollte. Wenn man berücksichtigt, dass Stadie trotz seiner Stellung als Verwaltungsleiter des Lagers ein verhältnismässig mildes Regiment gegenüber den Arbeitshäftlingen führte und deshalb von ihnen auch nicht so gefürchtet wurde, wie die meisten anderen SS-Leute im Lager, muss man davon ausgehen, dass er, hätte er allein zu entscheiden gehabt, niemals den Tod des Lagerältesten Rakowski als Strafe für den verbotenen Besitz von Gold und Geld beschlossen hätte. Seine Beteiligung an der Tötung des Rakowski lässt sich nur so deuten, dass Stadie entsprechend seiner grundsätzlichen Einstellung zu Befehlen von Vorgesetzten die von Stangl angeordnete Tat befehlsgemäss unterstützen wollte. Er hat hier also nicht mit Täterwillen, sondern nur als Mordgehilfe (§§211, 49 StGB) gehandelt.

D. Das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Schuldausschliessungsgründen bei den Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Suchomel, Stadie, Lambert und Ru.

Das vorsätzliche Handeln der Mittäter Franz, Matthes und Miete sowie der Gehilfen Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. war rechtswidrig, da ihnen keinerlei Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Dass ihre Tätigkeit in Treblinka auch nicht durch den Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage gerechtfertigt wurde, ist bereits im Abschnitt 2.A. des Dritten Teiles der Gründe ausführlich dargelegt worden. Die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. räumen überdies selbst ein, die Vernichtungsaktion in Treblinka trotz des Führerbefehls als ein gegen die Religion, die Menschlichkeit und die Gesetze verstossendes Unrecht angesehen zu haben, so dass sie damals auch das Bewusstsein hatten, Unrecht zu tun.

Die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. sind strafrechtlich voll verantwortlich. Die mehrmonatige Hauptverhandlung, in der diese Angeklagten auch nach den von ihnen durchgemachten Erkrankungen befragt worden sind, hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie in den Jahren 1942 und 1943 an einer Bewusstseinsstörung, einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit oder einer Geistesschwäche gelitten haben, die ihre Zurechnungsfähigkeiten aufgehoben oder erheblich vermindert hätte. Das gilt auch für den Angeklagten Stadie, der jetzt an einer Zerebralsklerose leidet und der sich darauf berufen hat, in Treblinka viel Alkohol getrunken zu haben. Wie bereits in den Abschnitten B.II. und III. des Zweiten Teiles der Gründe ausgeführt worden ist, hat der Regierungsobermedizinalrat Dr. Hin. keine Anzeichen dafür gefunden, dass Stadie in den Jahren 1942 und 1943 an einer akuten Alkoholvergiftung gelitten hat oder aus irgendwelchen anderen Gründen damals in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit in rechtlich erheblicher Weise beeinträchtigt gewesen ist.

Die Verantwortlichkeit der Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. wird weiter nicht dadurch ausgeschlossen, dass Franz, Matthes und Miete zum Teil, die übrigen sechs Angeklagten in vollem Umfang auf Befehl gehandelt haben.

Nach der Verordnung über die Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.Oktober 1939 (RGBl. I Seite 2107) muss man davon ausgehen, dass alle Angeklagten als Angehörige des SS-Sonderkommandos Treblinka der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterstanden haben, weil sie sich bei ihrer Abordnung nach Treblinka in einem besonderen Einsatz im Sinne dieser Verordnung befunden haben. Nach §3 der angeführten Verordnung sind deshalb die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches sinngemäss anzuwenden. Damit ist auch §47 des Militärstrafgesetzbuches heranzuziehen soweit die Angeklagten sich darauf berufen, bei den Massentötungen und bei einigen Exzesstaten auf Befehl gehandelt zu haben; denn diese Vorschrift ist nach §2 Absatz 2 StGB auch heute noch massgebend, weil sich die Strafbarkeit grundsätzlich aus dem Recht ergibt, das zur Zeit der Tat gegolten hat.

Unter einem "Befehl in Dienstsachen" im Sinne des §47 des Militärstrafgesetzbuches ist nur eine solche dienstliche Anordnung eines Vorgesetzten an einen Untergebenen zu verstehen, die eine genau bestimmte Handlung oder Unterlassung gebietet. Ein solcher Befehl lässt dem Empfänger keinen eigenen Spielraum mehr, so dass ihm keine andere Wahl und Entscheidung bleibt und er das Gebotene in Handeln umsetzen muss (vergleiche die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 10.Juni 1955 - 1 StR 558/54 - und vom 22.Januar 1957 - 1 StR 321/56).

Es bestehen keine Bedenken, alle sich auf die Massentötung beziehenden Anordnungen, die den Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. innerhalb der Befehlskette von ihren vorgesetzten Dienststellen in Lublin entweder unmittelbar oder durch den Lagerkommandanten Stangl über ihren Einsatz bei der Massentötung von Juden und Zigeunern im Vernichtungslager Treblinka erteilt wurden, als "Befehle in Dienstsachen" im Sinne des §47 Absatz 1 des Militärstrafgesetzbuches anzusehen. Diese Befehle waren aber unter den gegebenen Umständen für diese Angeklagten erkennbar rechtswidrig, da sie ein Verbrechen schwerster Art, nämlich die Massenvernichtung unschuldiger Männer, Frauen und Kinder bezweckten. Die Angeklagten räumen das auch selbst ein. Damit verloren die ihnen erteilten Befehle für sie jede Verbindlichkeit. Da sie diese Befehle dennoch ausführten, trifft sie nach §47 Absatz Nr.2 des Militärstrafgesetzbuches die Strafe des Teilnehmers.

Mit "Teilnehmer" ist in §47 des Militärstrafgesetzbuches die Teilnahme im weiteren Sinne gemeint, die nicht nur Beihilfe und Anstiftung, sondern auch die Mittäterschaft einschliesst (vergleiche BGH in NJW 1951, 323). Mithin sind die Angeklagten Franz, Matthes und Miete als Mittäter und die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. als Gehilfen an den Massentötungen in Treblinka zu bestrafen, es sei denn, dass ihnen insoweit andere Schuldausschliessungsgründe zur Seite stehen.

Bei den ausserhalb der Massenvernichtung begangenen Exzesstaten jedoch kann keineswegs jede Anordnung eines Vorgesetzten im Lager Treblinka an einen Untergebenen als ein Befehl im Sinne von §47 des Militärstrafgesetzbuches angesehen werden. So kann sich insbesondere der Angeklagte Miete - entgegen seiner Ansicht - in den Fällen E.VI.2. und 4. des Zweiten Teiles der Gründe (=Erschiessung eines jungen Häftlings auf dem Sortierplatz wegen Nichtabtrennung eines Davidsterns und Erschiessung von fünf Fleckfieberkranken im Lazarett) nicht auf Befehle von Wirth und Küttner berufen.

Es ist dem Angeklagten Miete im Falle E.VI.2. zwar nicht zu widerlegen, dass Wirth eine allgemeine Anordnung des Inhalts bekanntgegeben hat, jeder Arbeitsjude sei zu erschiessen, wenn er das Abtrennen eines Judensterns vergesse. Andererseits hat Miete aber selbst eingeräumt, dass es ihm durchaus möglich gewesen wäre, den jungen Häftling, der den Stern nur versehentlich nicht abgetrennt hatte, milder zu bestrafen, zum Beispiel mit einer Verwarnung oder mit einer Auspeitschung. Miete war jedoch nicht gezwungen, das Versehen des jungen Arbeitsjuden sogleich mit dem Tode zu ahnden, zumal weit und breit kein Vorgesetzter auf dem Sortierplatz zu sehen war und zumal insbesondere Wirth sich an diesem Tage gar nicht im Lager aufhielt.

Ähnlich verhält es sich im Falle E.VI.4., als der SS-Hauptscharführer Küttner den Angeklagten Miete beauftragte, die Schwerkranken im Krankenrevier herauszusuchen und zu liquidieren. Auch hier blieb dem Angeklagten ein sehr weiter Ermessensspielraum; denn er konnte ganz allein darüber bestimmen, wieviele und welche Kranke er zur Tötung im Lazarett heraussuchte. Da Küttner sich um die Erledigung dieser Aktion gar nicht mehr kümmerte, wäre es Miete sogar möglich gewesen, von einer Selektion insgesamt Abstand zu nehmen und den weiteren Verlauf der Fleckfiebererkrankung bei allen im Krankenrevier liegenden Kranken abzuwarten. Auch in diesem Falle war Miete also nicht gehalten, den unmissverständlichen Befehl eines Vorgesetzten, bei dem ihm selbst keine andere Wahl und Entscheidung blieb, in die Tat umzusetzen. Vielmehr lag hier nur eine allgemeine Anordnung vor, die seinem Ermessen noch einen erheblichen Spielraum liess.

Bei den von der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss erfassten Exzesstaten, an denen die Angeklagten Franz, Matthes und Miete als Mittäter und die Angeklagten Mentz und Stadie als Gehilfen mitgewirkt haben, kann man demnach nur in folgenden Fällen von Befehlen im Sinne des §47 des Militärstrafgesetzbuches ausgehen:

a. Bei Franz in den Fällen A.VI.1., 2. und 19. des Zweiten Teiles der Gründe (=Erschiessung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala auf Befehl von Wirth; Selektion von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Todestag von Max Biala und ihre Überstellung zur Erschiessung im Lazarett auf Befehl von Wirth; Liquidierung des aus mindestens 25 Personen bestehenden Restkommandos auf Befehl eines Vorgesetzten der Lubliner Zentrale);

b. bei Matthes im Falle C.IV.1. des Zweiten Teiles der Gründe (=Mitwirkung an der Selektion von mindestens 5 fleckfieberkranken Häftlingen in der Baracke zur Erschiessung im Lazarett auf Befehl von Stangl);

c. bei Miete im Falle E.VI.1. des Zweiten Teiles der Gründe (=Tötung des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten "Sport" auf Befehl von Franz);

d. bei Mentz im Falle D.V. des Zweiten Teiles der Gründe (=Mitwirkung bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos von mindestens 25 Personen auf Befehl eines Vorgesetzten in der Lubliner Zentrale und des Angeklagten Franz) und

e. bei Stadie im Falle B.IV. des Zweiten Teiles der Gründe (=Mitwirkung bei der Tötung Rakowskis auf Befehl von Stangl).

Soweit die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. überhaupt aufgrund eines Befehls im Sinne von §47 des Militärstrafgesetzbuches tätig geworden sind, berufen sie sich - mit Ausnahme von Ru. - sämtlich darauf, dass sie die ihnen erteilten Befehle zwar für rechtswidrig, aber dennoch für verbindlich gehalten hätten, weil sie letzten Endes auf den Willen des Führers als des alleinigen Machthabers im Staate zurückgegangen seien. Diese Auffassung der Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel und Lambert über die Verbindlichkeit eines verbrecherischen Befehls, die auf einer falsch verstandenen Gehorsams- und Treuepflicht beruhte, ist als Verbotsirrtum im Sinne des grundlegenden Plenarbeschlusses des Bundesgerichtshofes vom 18.März 1952 (BGHSt. 2, 194) anzusehen. Dieser Verbotsirrtum ist jedoch von den genannten Angeklagten selbst verschuldet; denn sie hätten sich aufgrund ihrer persönlichen Einsichtsfähigkeit und der täglichen grauenhaften Geschehnisse in Treblinka bei einer gehörigen Anspannung ihres Gewissens sagen müssen, dass die von ihnen verlangte Befehlsausführung, die für jeden von ihnen erkennbar auf die Begehung von Verbrechen gerichtet war, mit den Geboten des rechtlichen Sollens unvereinbar war und sie nicht zum Gehorsam verpflichten konnte, selbst wenn sie von höchsten Staatsstellen angeordnet worden war.

Ihr Irrtum über die rechtliche Verbindlichkeit des ihnen erteilten Befehls zur Massentötung und anderer Befehle zur Ausführung von Tötungen an Arbeitsjuden führt bei ihnen also nicht zur Straffreiheit, sondern kann allenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. werden auch nicht durch einen unter §54 StGB einzuordnenden Befehlsnotstand oder durch einen unter §52 StGB fallenden Befehlsnötigungsnotstand entschuldigt.

Nach §54 StGB ist eine strafbare Handlung dann nicht vorhanden, wenn die Handlung ausser im Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Art und Weise nicht zu beseitigenden Notstand zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist. Diese Bestimmung kann aber schon deshalb nicht zum Zuge kommen, weil die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. keineswegs ohne eigenes Verschulden in das Vernichtungslager Treblinka gekommen sind. Hatten sie sich doch schon vorher bei der ebenfalls ungesetzlichen Euthanasieaktion im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung "bestens bewährt". Sie erschienen deshalb den leitenden Männern der Dienststelle T4 für eine weitere "Spezialaufgabe" als besonders geeignet, und zwar nicht zu Unrecht, wie das weitere Verhalten dieser neun Angeklagten in Treblinka zeigte. Hätten sie sich bereits anfangs geweigert, für die Dienststelle T4 bei der Euthanasie tätig zu werden, oder hätten sie auf andere Art und Weise (z.B. durch langsames oder nachlässiges Arbeiten, durch Bitten um Versetzung und anderes mehr) zu erkennen gegeben, dass sie alle ungesetzlichen Massnahmen innerlich ablehnten, dann wären sie von der Personalabteilung der Dienststelle T4 von vornherein nicht für geeignet und zuverlässig genug angesehen worden, um bei der Vernichtung von Juden und Zigeunern in Treblinka, einer strengster Geheimhaltung unterliegenden und in höchstem Masse unmenschlichen Aktion, mitzuwirken. Es ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob sie persönlich überzeugte Nationalsozialisten oder nur Mitläufer der Partei gewesen sind. In jedem Falle haben sie schon bei der Euthanasie so willig mitgemacht, dass die Dienststelle T4 sie als treu ergebene Gefolgsleute des Führers ansehen und ihre weitere Verwendung für andere ungesetzliche Aufgaben ins Auge fassen konnte. Wer sich in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes einmal einer Parteidienststelle zur Durchführung einer Geheimmassnahme, wie es die Euthanasie war, willig zur Verfügung stellte, der konnte und musste auch damit rechnen, zu anderen ungesetzlichen Aktionen herangezogen zu werden.

Aus alledem geht hervor, dass die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. ihre etwaige Notlage zumindest fahrlässig selbst verschuldet haben. Hat der Handelnde aber seine Notlage, die ihm zugute gehalten werden soll, vorsätzlich oder fahrlässig selbst verschuldet, dann kann er sich nicht mehr auf den Schuldausschliessungsgrund des §54 StGB berufen (vergleiche dazu RGSt. 63, 276 f. und 70, 253 f. sowie BGHSt. 4, 169). Das trifft hier für die Angeklagten zu, so dass ihnen bereits aus diesem Grunde ein unter §54 StGB einzuordnender Befehlsnotstand nicht zugebilligt werden kann.

Die Angeklagten werden weiter auch nicht durch den über den einfachen Notstand des §54 StGB hinausgehenden Nötigungsnotstand des §52 StGB entschuldigt. Nach dieser Vorschrift ist eine strafbare Handlung dann nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. Die beiden Bestimmungen unterscheiden sich insofern voneinander, als dem Täter im Falle des §52 StGB die eigene tatbestandsmässige Handlung abgenötigt wird, während der Täter im Falle des §54 StGB die tatbestandsmässige Handlung nach seinem eigenem Willen begeht. Die Entschuldigungsmöglichkeit reicht bei §52 StGB weiter als bei §54 StGB, da bei §52 StGB im Gegensatz zu §54 StGB die Notlage auch verschuldet sein kann. Beiden Bestimmungen gemeinsam ist jedoch, dass sowohl §52 wie §54 StGB eine mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Handelnden selbst oder seiner Angehörigen verbundene Zwangs- und Notstandssituation voraussetzen. Eine solche Zwangs- und Notstandslage hat jedoch für die Angeklagten in Treblinka objektiv nicht bestanden. Nach dem Ergebnis der eingehenden Beweisaufnahme zu dieser Frage steht vielmehr zur Überzeugung des Schwurgerichts fest, dass die Angeklagten im Falle einer Verweigerung der ihnen in Treblinka erteilten verbrecherischen Befehle weder ihren Leib noch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben würden.

Die beiden zur Frage des Befehlsnotstandes gehörten Sachverständigen Dr. Ser. und Dr. Buch. haben ausführlich dargelegt, dass sie einen Fall, in dem ein in einem Vernichtungs- oder Konzentrationslager tätiger SS-Mann wegen der Weigerung, an einer widerrechtlichen Tötung teilzunehmen, getötet oder in ein Lager gebracht wurde, auch unter Benutzung aller erreichbaren Erkenntnisquellen nicht ausfindig machen konnten. Aus beiden Gutachten geht weiter hervor, dass es eine allgemeine Regel darüber, wie man derartige Befehlsverweigerungen, wenn sie vorgekommen wären, geahndet hätte, in der SS nicht gab, sondern dass es hier ganz und gar auf die Verhältnisse des Einzelfalles ankam. Eine kriegsgerichtliche Verurteilung durch ein SS-Gericht würde sich mit grösster Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Militärstrafgesetzbuches gehalten und hierbei auch alle entlastenden Umstände berücksichtigt haben; denn die Rechtsprechung der SS-Gerichte war, wie die beiden Gutachter Dr. Ser. und Dr. Buch. sowie die drei ehemaligen SS-Richter Dr. Mo., Dr. Fi. und West. überzeugend dargetan haben, bei der Aburteilung von Befehlsverweigerungen verhältnismässig milde, und sie unterschied sich insoweit keineswegs von der Rechtsprechung der bei der Wehrmacht bestehenden Kriegsgerichte. Besondere Beachtung verdient die Bekundung des Zeugen Dr. Mo., der in den Jahren 1941, 1942 und 1943 - allerdings mit einer längeren Unterbrechung vom Frühjahr 1942 bis zum Spätherbst des Jahres 1943 - SS-Richter beim SS-Gericht in Krakau war. Da das Krakauer Gericht in Lublin eine Zweigstelle hatte, kam Dr. Mo. mehrfach nach Lublin und lernte dort Globocnik und Wirth kennen. Er hat glaubhaft erklärt, dass SS-Männer wegen im Rahmen der Aktion Reinhard begangener Befehlsverweigerungen vom SS-Gericht genauso behandelt worden wären wie alle sonstigen Befehlsverweigerer der SS, d.h., die Motive ihrer Befehlsverweigerung wären genau geprüft und entlastende Umstände wären ebenso berücksichtigt worden wie die durch §47 des Militärstrafgesetzbuches gegebenen Vergünstigungen, so dass entweder gar keine oder nur eine milde Bestrafung zu erwarten gewesen wäre.

In der Hauptverhandlung sind zwar auch einige Fälle erörtert worden, bei denen SS-Gerichte harte Strafen gegen Angehörige der SS, des SD und der Polizei verhängt hatten. Diese harten Strafen wurden jedoch sämtlich nicht wegen der Weigerung, verbrecherische Befehle durchzuführen, ausgesprochen, sondern wegen anderer Delikte, die auch von regulären Wehrmachtsgerichten hart bestraft worden wären. Es handelt sich hier im wesentlichen um folgende Fälle:

a. Fall Eckers
Eckers war der Leiter einer SD-Dienststelle in Polen. Im Jahre 1944 hatte er sich bei der Rücknahme der Front viel zu weit abgesetzt. Um sich in Sicherheit zu bringen, war er nämlich eigenmächtig mehrere hundert Kilometer bis nach Posen zurückgefahren. Daraufhin verurteilte ihn ein SS-Feldgericht zu 4 bis 5 Jahren Zuchthaus. Himmler bestätigte dieses Urteil jedoch nicht, sondern liess Eckers wegen Feigheit vor dem Feinde erschiessen.

Diese Feststellungen zum Fall Eckers beruhen auf der glaubhaften eidlichen Bekundung des stellvertretenden Geschäftsführers Hus., der seit 1942 als Angehöriger des SD im Range eines SS-Obersturmbannführers im Reichssicherheitshauptamt Strafsachen, Dienststrafsachen und Disziplinarsachen bearbeitete.

b. Der Fall Hillesheim
Der bei einer SS-Dienststelle in den Niederlanden tätig gewesene Kriminalsekretär Hillesheim, der unter anderem zur Bekämpfung des Schwarzhandels in den Niederlanden eingesetzt war, entfernte sich eines Tages im Jahre 1944 von seiner Dienststelle und tauchte bei einer niederländischen Widerstandsgruppe unter. Als er gefasst wurde, verurteilte ihn ein SS- und Polizeigericht zunächst nur zu einer Freiheitsstrafe. Dieses Urteil wurde jedoch vom Brigadeführer Eberhard Schöngarth, dem damaligen Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Holland, nicht bestätigt. In der zweiten Verhandlung wurde Hillesheim wegen Desertion zum Tode verurteilt und im Februar 1945 in Oxenhof bei Deventer gehängt.

Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des Angestellten und ehemaligen SS-Obersturmbannführers Koli., des Bankangestellten und ehemaligen SS-Sturmbannführers Haa., des früheren Kriminalrats und SS-Sturmbannführers Lag., der von 1941 bis 1945 Leiter der Aussenstelle der Sicherheitspolizei in Amsterdam gewesen ist, und des Landessozialgerichtsrats und ehemaligen SS-Richters Ar. Die Beweisaufnahme hat nichts dafür ergeben, dass bei der Verhängung der Todesstrafe gegen Hillesheim dessen etwaige Gegnerschaft gegen die nationalsozialistische Judenpolitik eine Rolle gespielt hätte.

c. Fall Bell
Auch der Kriminalbeamte Bell war bei einer SS-Dienststelle in den Niederlanden, und zwar in Enschede, mit rein kriminalistischen Aufgaben betraut. Wegen seiner defaitistischen Haltung und verschiedener defaitistischer Äusserungen, die man damals als "Zersetzung der Wehrkraft" ansah, wurde er Ende 1944 / Anfang 1945 durch ein SS- und Polizeigericht zum Tode verurteilt und in Oxenhof bei Deventer gehängt.

Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Koli., Haa. und Lag. In der Beweisaufnahme ist hier ebenfalls nichts dafür hervorgetreten, dass bei dem Todesurteil gegen Bell dessen etwaige Gegnerschaft gegen die Judenverfolgung in den Niederlanden für seine Verurteilung auch nur mitursächlich gewesen ist.

d. Fall Kremer
Der bei dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Den Haag während des 2.Weltkrieges tätig gewesene Kriminalsekretär Hans Kremer desertierte in den ersten Monaten des Jahres 1945. Er wurde in Abwesenheit wegen Befehlsverweigerung und Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Das Urteil konnte jedoch nicht vollstreckt werden, da Kremer "untergetaucht" war und nicht gefasst werden konnte.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des Zeugen Lag. Dafür, dass eine judenfreundliche Gesinnung Kremer zur Desertion veranlasst hätte, fehlt jeder Anhaltspunkt.

e. Fall Stegemann
Der Kriminalsekretär Stegemann war während des 2.Weltkrieges in der Abteilung V. der Amsterdamer Aussendienststelle der Sicherheitspolizei, deren Zentrale sich in Den Haag befand, tätig. Ihm oblag unter anderem die Aufklärung von Delikten, die sich aus der nicht genauen Befolgung der Verordnung des Reichskommissars für die Niederlande über die Erfassung jüdischen Vermögens ergaben. Im Jahre 1942 desertierte Stegemann und lebte mit Hilfe einer niederländischen Widerstandsorganisation etwa neun Monate lang illegal in Amsterdam. Bei seiner Festnahme erklärte er gegenüber seinem damaligen Vorgesetzten, dem Zeugen Lag., er sei deshalb "untergetaucht", weil er die Deportationen der holländischen Juden missbillige. Er wurde dann Anfang 1943 vom SS- und Polizeigericht in Holland unter dem Vorsitz seines damaligen Chefrichters, des Zeugen Haer., wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Das Motiv seiner Fahnenflucht wurde im Urteil weder straferschwerend noch strafmildernd berücksichtigt.

Einige Zeit nach dem Urteilsspruch erhängte sich Stegemann in seiner Zelle. Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des früheren Kriminalrats und Leiters der Amsterdamer Aussenstelle der Sicherheitspolizei Lag., des Rechtsanwalts und früheren SS-Richters Haer. und des Landessozialgerichtsrats Dr. Ar., der damals zusammen mit seinem Kollegen Dep. als Anklagevertreter an der Verhandlung gegen Stegemann teilnahm. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die glaubhafte überzeugende Darstellung des Zeugen Haer., der erklärt hat, die Anklagevertretung habe in ihrem Plädoyer auf den angeblich in seiner Desertion zum Ausdruck gekommenen "weltanschaulichen Ungehorsam" des Angeklagten Stegemann hingewiesen, das Gericht habe aber diesen Vorwurf sogleich als nicht zur Sache gehörig abgelehnt und Stegemann ausschliesslich wegen Fahnenflucht nach dem Militärstrafgesetzbuch verurteilt.

f. Fall Asbach
Bei der Polizei in Breslau war der Kriminalkommissar Asbach Leiter des dortigen Zigeunerdezernats. Entgegen den Bestimmungen erteilte er während des 2.Weltkrieges einem Zigeunerfürsten und mehreren anderen Zigeunern die Genehmigung für eine Reise von Schlesien nach Posen. Zur Belohnung für die erteilte Genehmigung wurden Asbach und dessen Ehefrau zu einem grossen Fest des Zigeunerfürsten eingeladen, bei dem sie sich grosszügig bewirten liessen. Diese Dienstverfehlung wurde bekannt. Asbach erhielt in erster Instanz 1 1/2 Jahre Gefängnis und in zweiter Instanz 5 Jahre Zuchthaus. Zwei Jahre dieser Strafe musste er verbüssen, dann kam er in eine Bewährungseinheit. Nach kurzem Einsatz an der Front fiel er. Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des Kriminalhauptkommissars Roth.

g. Der Fall eines Kriminaloberassistenten aus Bielitz
Ein während des 2.Weltkrieges in Bielitz stationierter Kriminaloberassistent ermöglichte - entgegen anderslautenden dienstlichen Vorschriften - einem jüdischen Fabrikanten aus Bielitz die Flucht nach Ungarn. Von Ungarn gelangte der Fabrikant nach den USA. Als er seinem Retter einen Dankesbrief schrieb, fiel das der Zensur auf, und der Kriminalbeamte wurde durch ein SS- und Polizeigericht zum Tode verurteilt, und er wurde 1942 oder 1943 auf dem Gefängnishof in Breslau hingerichtet.

Diese Feststellungen beruhen ebenfalls auf der eidlichen Bekundung des Zeugen Roth.

Damit ist nachgewiesen, dass bei allen diesen Verurteilungen von SS-Männern und Polizeibeamten die Verweigerung verbrecherischer Befehle für sich allein keine Rolle gespielt hat.

Das Schwurgericht ist besonders eingehend der Frage nachgegangen, wie Befehlsverweigerungen ohne Kriegsgerichtsverfahren geahndet wurden. Auch für eine solche aussergerichtliche, disziplinarische Bestrafung von Befehlsverweigerungen bei der SS gab es besondere Richtlinien. Wie der ehemalige SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS v. d. Ba. eidlich und überzeugend dargelegt hat, war es nicht möglich, dass ein SS-Kommandeur einen SS-Mann wegen einer Befehlsverweigerung, die sich nicht beim Kampfeinsatz oder vor versammelter Mannschaft abspielte, von sich aus erschiessen oder ihn in eine Bewährungseinheit beziehungsweise in ein Konzentrationslager bringen lassen konnte. Diese Rechte hatte, wie der Zeuge weiter ausgeführt hat, nicht einmal ein SS-General. Wäre derartiges vorgekommen, dann hätte der betreffende Kommandeur oder General mit schärfsten Massnahmen seitens des Reichsführers Himmler rechnen müssen, der nach der Darlegung des Sachverständigen Dr. Buch. bei aller Härte gegenüber den Juden und den deutschen Kriegsgegnern sich seinen Leuten gegenüber in Disziplinarsachen verhältnismässig milde zeigte, insbesondere dann, wenn das angebliche oder tatsächliche Fehlverhalten mit gesundheitlichem oder nervlichem Versagen begründet wurde.

Ungeachtet dieser allgemeinen Feststellungen hat das Schwurgericht in einer langandauernden Beweisaufnahme zahlreiche Zeugen dazu gehört, wie einzelne Fälle von Befehlsverweigerungen, die bei der Exekution von Zivilpersonen im Kriege vorkamen, durch die jeweiligen Vorgesetzten - ohne Einschaltung eines Kriegsgerichts - tatsächlich behandelt wurden. In der überwiegenden Zahl der erörterten Fälle hat die Befehlsverweigerung den Betroffenen keine oder nur verhältnismässig geringe Nachteile für Leib oder Leben eingebracht. Nur in wenigen Fällen, die sich überdies nicht mit Vorkommnissen in einem Vernichtungslager vergleichen lassen, sind Befehlsverweigerungen von den Vorgesetzten mit besonderer Härte geahndet worden.

Zur letzteren Gruppe gehören insbesondere folgende Fälle:

a. Fall Noske
Der Chef der Kriminalpolizei in Köln, Noske, war grundsätzlich gegen die Judenpolitik der Machthaber des Dritten Reiches eingestellt. Während des 2.Weltkrieges weigerte er sich deshalb, Juden in einem Gefängnis erschiessen zu lassen. Daraufhin ordnete Himmler persönlich seine Degradierung zum einfachen SS-Mann an und versetzte ihn zu einer Bewährungseinheit.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des Zeugen Dr. Hus., dem dieser Vorfall während seiner Tätigkeit als Sturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt bekannt geworden ist. Der Zeuge hat ausdrücklich erklärt, dass Himmler derartige Massnahmen nur selten und dann nur bei höheren SS-Offizieren, nicht aber bei Mannschaftsdienstgraden ergriffen hat.

b. Erschiessung eines SS-Mannes in der Nähe von Riga
Während des Zweiten Weltkrieges wurde ein Zugführer in einer SS-Panzeraufklärungsabteilung im Raume Riga zur Erschiessung von 16 jüdischen Frauen und Kindern, die aus einem Lager in der Nähe von Riga entflohen waren, kommandiert. Als er sich weigerte, diesen Befehl auszuführen, soll er deswegen
ohne Gerichtsverfahren auf Anordnung des Chefs der SS-Panzeraufklärungsabteilung wegen Verweigerung eines wichtigen Befehls standrechtlich erschossen worden sein. Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des Kellners und ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS Die., der allerdings nicht mit Sicherheit angeben kann, ob dieser SS-Unterführer wegen seiner Weigerung, jüdische Menschen zu töten, erschossen wurde oder ob andere Gründe hierfür ausschlaggebend waren.

c. Die Erschiessung eines Schutzpolizisten
In der ersten Hälfte des Monats März 1945 führte die niederländische Widerstandsbewegung ein Attentat auf den Höheren SS- und Polizeiführer in Holland, den SS-Obergruppenführer Hans Rauter, aus, bei dem Rauter verletzt wurde. Auf Anordnung aus Berlin sollten mehrere Niederländer, die Mitglieder der niederländischen Widerstandsbewegung waren und die von der SS als Geiseln festgehalten wurden, im Frontgebiet bei Woeste Hoeve in der Nähe von Apeldoorn durch ein aus 12 Schutzpolizisten bestehendes Exekutionskommando erschossen werden. Ein Polizist weigerte sich, an der Erschiessung teilzunehmen. Er wurde abgeführt und soll angeblich einige Tage später selbst erschossen worden sein. Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des kaufmännischen Angestellten Har., eines ehemaligen Kriminalrats und Mitglieds der Gestapo. Der Zeuge hat zwar genaue Angaben über die Exekution der Geiseln gemacht, er vermag aber nicht mit Sicherheit anzugeben, was aus dem Befehlsverweigerer tatsächlich geworden ist. Er will lediglich davon gehört haben, dass der Befehlsverweigerer erschossen worden sein soll.

Im übrigen würden aus diesem Fall für das vorliegende Verfahren keine entscheidenden Schlüsse gezogen werden können, weil mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass es sich einmal bei der Geiselerschiessung um eine völkerrechtlich zulässige Repressalie gehandelt haben kann und dass zum anderen sich die Befehlsverweigerung unmittelbar im Kampfgebiet ereignet hat.

In der Hauptverhandlung sind ausserdem noch mehrere Fälle erörtert worden, in denen Vorgesetzte gegen SS-Männer unter anderem wegen Eigentumsdelikten und wegen Verstosses gegen die Geheimhaltungsvorschriften harte Bestrafungen ausgesprochen haben. Keiner der vernommenen Zeugen hat jedoch etwas darüber bekundet, dass in einem Vernichtungslager oder Konzentrationslager tätig gewesene SS-Männer deshalb Nachteile für Leib oder Leben erlitten, weil sie sich geweigert hatten, an der Massenvernichtung unschuldiger Menschen teilzunehmen. Auch der als Zeuge gehörte Staatssekretär a.D. Glo. hat hierzu nichts Bestimmtes sagen können. Er will lediglich gesprächsweise von Urlaubern in Berlin gehört haben, dass SS-Männer wegen ihrer Weigerung, Juden zu erschiessen, selbst getötet worden sein sollen. Einen auch nur annähernd konkreten Fall hat er aber nicht nennen können.

Viel zahlreicher sind dagegen die durch die Beweisaufnahme erwiesenen Fälle, bei denen Befehlsverweigerern gar nichts geschehen ist oder bei denen sie nur mit Degradierung beziehungsweise Pensionierung disziplinarisch gemassregelt worden sind. Es handelt sich unter anderem um folgende Fälle:

a. Fall Korsemann
Der Generalleutnant der Polizei und SS-Gruppenführer Korsemann weigerte sich 1942/1943, eine grössere Anzahl von Juden befehlsgemäss in das Vernichtungslager Maidanek bringen zu lassen. Er wurde dafür zum Oberstleutnant degradiert und in den Ruhestand versetzt.

b. Fall Jungklaus
Im Herbst 1944 liess der Generalleutnant der Polizei und SS-Gruppenführer Jungklaus bei der Räumung Brüssels belgische Widerstandskämpfer frei, anstatt sie nach einem Befehl Himmlers weiterhin in Gewahrsam zu halten. Er wurde zum Major degradiert.

c. Fall Zech
Im Jahre 1941 weigerte sich der damalige Polizeipräsident von Krakau, der SS-Gruppenführer Zech, jüdische Frauen und Kinder durch die ihm unterstellte Ordnungspolizei in ein Lager an der Lysa Gora bringen zu lassen. Er wurde abgelöst, nach Altenburg in Thüringen versetzt und fortan nur noch als Abwehrbeauftragter in einem Betrieb beschäftigt.

Die Feststellungen zu den Fällen a. bis c. beruhen auf der eidlichen Bekundung des kaufmännischen Angestellten und früheren SS-Obergruppenführers Ber.

d. Der Fall zweier Kriminalsekretäre
Im Winter 1941/42 hatten sich zwei aus Mitteldeutschland stammende Kriminalsekretäre, die zu dieser Zeit in Lettland Dienst taten, geweigert, jüdische Frauen und Kinder zu erschiessen. Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Riga Dr. Stahlecker liess die beiden Kriminalbeamten in Haft nehmen. Nach einiger Zeit wurden sie von Riga nach Tilsit gebracht. Eine Anklage gegen sie wurde nicht erhoben. Dr. Stahlecker erklärte dem Zeugen Dr. Fi., der damals als SS-Untersuchungsführer die Ermittlungen gegen die zwei Kriminalbeamten führte, er solle noch einige Nachforschungen anstellen, damit die Sache im Sande verlaufen könne. Die Akten wurden deshalb an die Heimatdienststellen der beiden Beschuldigten nach Mitteldeutschland geschickt, gingen aber unterwegs durch Feindeinwirkung verloren. Gegen die beiden Inhaftierten wurde daraufhin nichts mehr unternommen. Wahrscheinlich wurden sie alsbald aus der Haft entlassen.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des Rechtsanwalts und damaligen SS-Richters Dr. Fi.

e. Fall Rieger
Im Jahre 1941 weigerte sich der damalige Befehlshaber der Ordnungspolizei in Krakau, der General der Polizei Rieger, eine Kompanie seiner Polizei zur Erschiessung von Juden abzustellen. Sechs Wochen später wurde Rieger als Befehlshaber der Ordnungspolizei nach Prag versetzt. Kurze Zeit später wurde er ohne Angabe von Gründen pensioniert. Er erhielt seine vollen Pensionsbezüge.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des Generalmajors der Ordnungspolizei a.D. Mü.

f. Fall En.
Im Herbst 1943 erteilte der SS- und Polizeiführer für Wolhynien/Podolien, der SS-Oberführer oder SS-Brigadeführer Günther, dem Zeugen En. den Befehl, etwa 400 bis 450 jüdische Arbeiter in Wladimir Wolynski zu liquidieren. En. lehnte das aus ethischen Gründen ab. Er erlitt hierdurch keine Nachteile.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des Polizeioberkommissars En.

g. Fall Hof.
Im Jahre 1941 befand sich der Zeuge Hof. als Polizist im Einsatz in Podolien. In Kamenez-Podolski gab der Kompaniechef bei einer Ansprache an seine Leute bekannt, dass die Kompanie in diesem Gebiet Juden zu erschiessen habe. Der Zeuge Hof. suchte kurz darauf seinen Hauptmann auf und erklärte ihm, er könne aus religiösen Gründen an dieser Erschiessungsaktion nicht teilnehmen. Der Hauptmann zeigte hierfür Verständnis und teilte Hof. einer Gruppe von 20 bis 30 Kameraden zu, die zurückbleiben konnten, während die übrigen etwa 100 bis 120 Mann zu Judenaktionen ausrücken mussten.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Bekundung des Metallarbeiters und ehemaligen Polizeioberwachtmeisters Hof., der betont hat, dass ihm nichts weiter geschehen sei, dass er aber in Zukunft bei Beförderungen hinter seinen Kameraden habe zurückstehen müssen.

h. Fall Herr.
Während des 2.Weltkrieges war der Zeuge Herr. als Angehöriger einer Polizeieinheit einmal in einem Ort bei Minsk stationiert. Sein Hauptmann teilte ihn zu einem aus 20 Mann bestehenden Exekutionskommando ein, das Juden zu liquidieren hatte. Herr. weigerte sich, an der Judenerschiessung teilzunehmen. Der Hauptmann beschimpfte ihn als "Memme und feigen Hund", nahm ihn jedoch aus dem Exekutionskommando heraus und teilte ihn einem anderen Kommando zu, ohne ihn zu bestrafen.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des Buchhalters Herr.

i. Fall Die.
Im Jahre 1942 sollte der Zeuge Die. als Angehöriger einer SS-Panzeraufklärungsabteilung, die damals im Raume Riga eingesetzt war, an einer Erschiessung von drei Juden mitwirken. Er wandte sich an seinen Bataillonskommandeur und bat darum, aus menschlichen Gründen von diesem Befehl entbunden zu werden. Diesem Wunsch entsprach der Kommandeur, ohne dass Die. irgendwelche Nachteile erlitt.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des Kellners Die.

j. Fall Will.
Im Jahre 1943 leitete der Zeuge Will., der damals aktiver Schutzpolizist war, einen in Nowogrudok stationierten Zug ukrainischer Schutzpolizei. Eines Tages verlangte sein Bataillonskommandeur die Gestellung eines Kommandos zur Erschiessung von Häftlingen. Der Zeuge lehnte das ab. Der Kommandeur gab sich damit zufrieden und liess das Exekutionskommando aus einem anderen Zug seiner Einheit zusammenstellen. Der Zeuge erlitt durch seine Weigerung keinerlei Nachteile.

Diese Feststellungen beruhen auf der eidlichen Aussage des Schreinermeisters Will.

k. Fall Dr. Ratzelsberger
Der aus Wien stammende Kriminalrat Dr. Ratzelsberger suchte während des 2.Weltkrieges den Chef der Einsatzgruppe C Dr. Max Thomas auf und erklärte ihm, er könne in dieser Einsatzgruppe nicht mehr mitmachen. Dr. Thomas hielt den "weichen" Dr. Ratzelsberger für den Einsatz im Osten nicht geeignet und schickte ihn nach Wien zurück.

l. Der Fall eines SS-Unterscharführers
Ausserdem sprach ein SS-Unterscharführer bei Dr. Thomas vor und erklärte ihm, er könne den harten Dienst bei der Einsatzgruppe nicht mehr mitmachen. Auch ihn schickte Dr. Thomas in die Heimat zurück.

m. Der Fall eines jungen SS-Obersturmführers
Schliesslich bat ein junger SS-Obersturmführer seinen Chef Dr. Thomas mit erregter Stimme um seine Ablösung, da er die Erschiessungsaktionen einfach nicht mehr mitmachen könne. Bei diesem Manne wurde Dr. Thomas zunächst sehr wütend und erwog, ihn vor das Kriegsgericht zu bringen. Dann überlegte er es sich anders und schickte den jungen SS-Offizier nach Berlin zurück. Die weitere Regelung der Angelegenheit oblag dem damaligen Personalchef im Reichssicherheitshauptamt SS-Brigadeführer Schu., der selbst mit Hilfe seines Freundes Str. gerade die Leitung eines Einsatzkommandos innerhalb der Einsatzgruppe C abgegeben hatte, weil er die schrecklichen Dinge im Osten nicht mehr mitmachen konnte. Der junge SS-Offizier wurde von Schu. wahrscheinlich anderweitig eingesetzt, ohne dass ihm besondere Nachteile erwuchsen. Die Feststellungen zu den Fällen k., 1. und m. beruhen auf der eidlichen Bekundung des Schriftstellers, ehemaligen katholischen Geistlichen und SS-Sturmbannführers Hart., zum Fall m. ausserdem noch auf der eidlichen Bekundung des Angestellten und früheren SS-Brigadeführers Schu. und auf der uneidlichen Aussage des Angestellten und ehemaligen SS-Gruppenführers Str.

Alle diese Feststellungen darüber, wie Befehlsverweigerungen von SS-Männern und Polizeiangehörigen, die im Zusammenhang mit der Erschiessung von Zivilpersonen stehen, disziplinarisch geahndet oder auch nicht geahndet wurden, lassen sich jedoch nur in stark eingeschränktem Masse auf die Verhältnisse der Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Suchomel, Stadie, Lambert und Ru. übertragen; denn die einzelnen Befehlsverweigerungen ereigneten sich nicht in einem Vernichtungslager und nicht im Raume Lublin, sondern in ganz anderen Gebieten und unter ganz anderen Gegebenheiten. Zudem waren sie den Angeklagten zur Tatzeit nicht bekannt, so dass sie ihr Verhalten keineswegs danach ausrichten konnten. Für die Angeklagten selbst kommt es deshalb in der Hauptsache darauf an, ob für sie in Treblinka objektiv eine Zwangs- und Notstandslage bestanden hat. Das Schwurgericht hat deshalb seine besondere Aufmerksamkeit der Persönlichkeit des Inspekteurs Christian Wirth zugewandt, von dem diese Zwangs- und Notstandslage nach der Darstellung der Angeklagten allein ausgegangen sein soll.

Indessen hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass Wirth einen deutschen SS-Mann wegen einer Befehlsverweigerung getötet oder in ein Konzentrationslager gebracht hat. Wohl hat der Krankenpfleger U. ausgesagt, Wirth habe den aus Berlin stammenden SS-Mann Kaimer deshalb für einige Monate in ein Konzentrationslager einweisen lassen, weil Kaimer, der während der Euthanasieaktion in der Hadamarer Heil- und Pflegeanstalt eingesetzt gewesen sei, in einer Gaststätte in Hadamar unter dem Einfluss von Alkohol laut von der Euthanasie gesprochen und hierdurch Aufsehen erregt habe. Das kann zutreffen; denn die mit der höchsten Geheimhaltungsstufe ausgestattete Euthanasieaktion wurde durch Kaimer unbeteiligten Bürgern bekannt, und Wirth war deshalb gehalten, den in seinen Augen geschwätzigen Kaimer aus Hadamar zu entfernen und ihn in ein Konzentrationslager zu schaffen. Indessen kann Kaimer nur einige Monate inhaftiert gewesen sein, da er bereits Mitte 1942 dem SS-Sonderkommando Treblinka angehört hat. Auch in Treblinka war Wirth freilich auf Kaimer, der ihm in Hadamar Ärger bereitet hatte, nicht gut zu sprechen. Er teilte ihn zur Überwachung des Leichentransportes und zur Säuberung der Gaskammern im oberen Lager ein, einer Tätigkeit, die Kaimer nicht zusagte. Da er überdies schwermütig veranlagt war, erschoss er sich an einem Tag im Spätsommer 1942, wie die beiden Angeklagten Suchomel und H. übereinstimmend angegeben haben. Jedoch kann keine Rede davon sein, dass Wirth den Selbstmord Kaimers durch aussergewöhnliche Schikanen erzwungen hat; denn ausser Kaimer mussten noch mehrere andere SS-Männer im Totenlager und auch beim Leichentransport Dienst tun. Auch hat die Beweisaufnahme nichts dafür ergeben, dass Kaimer innerlich gegen die Judenvernichtung eingestellt und dass Wirth eine solche ablehnende Einstellung Kaimers bekannt gewesen ist. Die Behauptung der Angeklagten, man habe der Witwe Kaimers mitgeteilt, ihr Ehemann sei beim Partisaneneinsatz ums Leben gekommen, spricht gegen eine solche Annahme.

Der in der Hauptverhandlung mehrfach erörterte Tod des SS-Unterscharführers Jirmann im Lager Belzec ist ebenfalls nicht auf Wirth zurückzuführen. Hierzu hat der Zeuge G. folgendes ausgesagt:

An einem Abend im Oktober 1942, als es bereits dunkel gewesen sei, habe Jirmann den Auftrag erhalten, zwei in einem Bunker eingesperrte ukrainische Wachmänner zu erschiessen. Auf seine Bitte habe er ihn begleitet. Als Jirmann den Bunker geöffnet habe, hätten sich die beiden Ukrainer auf Jirmann gestürzt in der Hoffnung, ihn zu überwältigen und so zu entkommen. Als einer der Ukrainer aus dem Bunker herausgekommen sei, habe er, G., auf ihn geschossen und ihn verwundet. Als eine zweite Person aus dem Bunker herausgekommen sei, habe er ebenfalls geschossen, da er angenommen habe, es handele sich um den zweiten Ukrainer. Tatsächlich sei es jedoch Jirmann gewesen, der durch diesen Schuss getötet worden sei.

Diese Darstellung haben die Zeugen D. und Ob. bestätigt.

Ob. kam damals zusammen mit Wirth wegen des Todes von Jirmann sofort von Lublin nach Belzec. Die Angeklagten - mit Ausnahme von Franz - haben gegen die Aussagen dieser drei Zeugen keinerlei Einwände erhoben. Der Angeklagte Franz verdient aber mit seiner Einlassung, Jirmann sei nicht durch einen Unglücksfall, sondern absichtlich und auf Anweisung von Wirth getötet worden, schon deshalb keinen Glauben, weil er im Oktober 1942 längst nicht mehr in Belzec gewesen ist und deshalb keine eigene Kenntnis von den Vorgängen um den Tod Jirmanns haben kann.

Wenn auch kein einziger Fall bekannt geworden ist, in dem Wirth einen SS-Mann wegen einer Befehlsverweigerung im Rahmen der Aktion Reinhard getötet oder in ein Konzentrationslager gebracht hat, so ist andererseits aufgrund der Angaben der Angeklagten und der zahlreichen Zeugen, so des Rechtsanwalts A., des Krankenpflegers U., des Schlossers D., des Kellners Ob. und des Krankenpflegers G., nicht zu verkennen, dass Wirth ein Rauhbein und ein Grobian war, der seine Leute anzubrüllen pflegte, der ihnen mit Erschiessen und Einweisung in ein Konzentrationslager drohte, wenn sie nicht eifrig genug mitmachten, der in wenigen Einzelfällen mehrtägige Arreststrafen verhängte und der vereinzelt auch gegen SS-Leute handgreiflich wurde. Die Beweisaufnahme hat aber keinen einzigen Fall ergeben, bei dem Wirth darüber hinaus Mitglieder der in den Vernichtungslagern tätigen deutschen SS-Kommandos erheblich misshandelt, in ein Konzentrationslager eingewiesen oder gar getötet hätte.

Dass man bei einem standhaften, energischen Auftreten selbst gegenüber dem cholerischen Wirth etwas ausrichten konnte, geht aus den Angaben der Angeklagten Franz und Stadie hervor. So hat sich Franz, wie er selbst sagt, im Jahre 1942 gegenüber Wirth geweigert, anstelle seines Kameraden Niemann die Leitung des Totenlagers in Belzec zu übernehmen. Er will zwar dafür eine Ohrfeige Wirths habe hinnehmen müssen, ansonsten ist ihm jedoch, wie er selbst einräumt, nichts weiter geschehen. Der Angeklagte Stadie hat angegeben, er habe Wirth mehrfach um seine Ablösung aus Treblinka gebeten, bis Wirth ihn schliesslich im Juli 1943 zum Arbeitslager Lublin versetzt habe, in dem keine Massentötungen durchgeführt worden seien. Nach seinen eigenen Angaben hat Stadie hierbei ausser einigen unfreundlichen Anranzern keinerlei Nachteile durch Wirth erlitten und seinen Dienstgrad behalten.

Der Angeklagte Ru. hat zudem einen Fall geschildert, wonach ein junger SS-Mann mit dem Vornamen Alfred ein schriftliches Gesuch um Versetzung zur Front gestellt hat. Wie Ru. weiter glaubhaft dargelegt hat, hat Wirth diesen jungen SS-Mann deswegen nicht schikaniert, im Gegenteil, der junge SS-Mann hat mit seinem Gesuch Erfolg gehabt, da er unmittelbar nach dem Aufstand am 2.August 1943 zu einer Fronttruppe versetzt worden ist.

Aufgrund aller dieser Feststellungen ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass in Treblinka für keinen der Angeklagten objektiv eine Zwangs- oder Notstandslage im Sinne der §§52, 54 StGB bestanden hat, so dass sie aufgrund dieser beiden Vorschriften nicht entschuldigt werden können.

Auch auf einen Putativnotstand oder einen Putativnötigungsnotstand können sich die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. nicht mit Erfolg berufen. Das könnten sie nur dann, wenn die vermeintliche Leibes- oder Lebensgefahr im Sinne des §54 StGB oder die vermeintliche Zwangslage im Sinne des §52 StGB der Beweggrund für die Ausführung der verbrecherischen Befehle gewesen wäre (vergleiche die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 22.Januar 1963 - 1 StR 457/62 -, Seite 4 unten und Seite 5 oben und vom 2.Oktober 1963 - 2 StR 269/63 -, Seite 14 sowie Schönke-Schröder, 12.Auflage, Anmerkung 16 zu §52 StGB und Anmerkung 17 zu §54 StGB). Davon kann hier aber keine Rede sein.

Die Angeklagten Franz, Matthes und Miete haben nach der Überzeugung des Schwurgerichts deshalb bei der Massentötung mitgewirkt und deshalb zahlreiche Exzesstaten allein oder als Mittäter begangen, weil ihnen in Treblinka die Gelegenheit geboten wurde, ihrem sadistischen Treiben zu frönen, indem sie Menschen töten durften, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen. Die entfernte Möglichkeit, sie hätten wegen einer irrig angenommenen Notstands- oder Zwangssituation, insbesondere aus Angst vor Wirth gehandelt, kann man bei diesen drei Angeklagten mit Sicherheit ausscheiden. Dass keineswegs eine Angst vor Christian Wirth der Beweggrund für ihr Handeln gewesen ist, ist deutlich daran zu erkennen, dass die drei Angeklagten Franz, Matthes und Miete sich mit grossem und einverständlichem Eifer an der Massenvernichtung beteiligt und in zahlreichen Fällen Tötungen ohne Befehl und ohne Ermunterung durch Dritte allein aus eigenem Antrieb begangen haben.

Aber auch die Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. haben nicht aus einer vermeintlichen Zwangs- oder Notstandslage heraus gehandelt. Von diesen sechs Angeklagten haben die fünf Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel und Lambert die ihnen erteilten Befehle, deren verbrecherischen, rechtswidrigen Inhalt sie deutlich erkannt haben, deshalb ausgeführt, weil sie aufgrund einer falsch verstandenen Gehorsamkeits- und Treuepflicht selbst solche Anordnungen für verbindlich gehalten haben, die von ihnen die Begehung schwerster Verbrechen verlangten. Für den Entschluss der Angeklagten, die von ihnen verlangte Tätigkeit in Treblinka auszuführen, sind zudem die ihnen im Lager gebotenen Vergünstigungen, von denen der häufige und reichliche Heimaturlaub als die wichtigste anzusehen ist, nicht ohne Einfluss geblieben. Das gilt auch für den Angeklagten Ru., der sich als einziger unter dieser Gruppe von Angeklagten nicht durch eine falsch verstandene Befehlsergebenheit zur Mitwirkung an der Massentötung entschlossen hat.

Wären wirklich eine vermeintliche Gefahr für Leib oder Leben oder eine vermeintliche Zwangslage der Beweggrund für die Mitwirkung der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. an den Massentötungen gewesen, dann hätten sie nichts unversucht gelassen, um diesem angeblich ständigen psychischen Druck zu entgehen und aus Treblinka abgelöst zu werden. Das trifft aber nicht zu; denn einzelne dieser Angeklagten haben in dieser Hinsicht gar nichts, andere dagegen zu wenig unternommen. Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:

a. Der Angeklagte Mentz will Wirth einmal im September 1942 um seine Ablösung aus Treblinka gebeten und von ihm in ruhigem Tod die Antwort erhalten haben, man müsse da bleiben, wo einen der Führer hingestellt habe. Ausser diesem einen Mal hat Mentz, wie er einräumt, aber weder bei Wirth noch bei der Dienststelle T4 ein zweites Mal wegen einer Versetzung aus Treblinka vorgesprochen. Das zeigt deutlich, dass er keineswegs aus einer vermeintlichen Notstands- oder Zwangslage heraus gehandelt hat. Zudem hat er mit keinem Vorgesetzten, auch nicht mit dem angeblich so sehr gefürchteten Wirth, irgendwelche Zusammenstösse gehabt, da er sich an seine scheussliche Tätigkeit im Lazarett gewöhnt hatte und die ihm gebotenen Vorteile durchaus zu schätzen wusste.

b. Die Einlassung des Angeklagten Münzberger, er habe sich nur aus Angst vor Wirth an der Massenvernichtung beteiligt, ist eine Schutzbehauptung, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen ist; denn nach seinen eigenen Angaben hat Münzberger zu Beginn seines Lageraufenthaltes Wirth nur ein einziges Mal um eine Versetzung aus Treblinka gebeten und sich dann mit der Ablehnung seiner Bitte durch Wirth zufrieden gegeben, ohne dieserhalb noch weitere Schritte zu unternehmen. Hätte er sich aber wirklich in einer psychischen Zwangssituation befunden, dann hätte er nicht aufgehört, sich weiterhin um seine Ablösung aus Treblinka zu bemühen. Vor allen Dingen hätte er die ihm zugegangenen beiden Gestellungsbefehle zur Waffen-SS dazu benutzt, um von der Lubliner Zentrale oder von der Dienststelle T4 eine Freigabe für die Waffen-SS zu erreichen. Das gilt um so mehr, als Münzberger angeblich lieber an der Front kämpfen als seinen Dienst in Treblinka versehen wollte. Dass Münzberger keineswegs aus Angst vor Wirth in Treblinka mitmachte, geht auch daraus hervor, dass er sich vor dem grossen Gashaus und beim Leichentransport selbst dann mit dem gleichen Übereifer betätigte, wenn Wirth nicht im Lager war und wenn er auch von anderen Vorgesetzten nicht beobachtet werden konnte; denn auch dann prügelte er auf die im Schlauch zusammengedrängten Menschen ein und trieb sie unter ständigem Schimpfen und Schlagen in die Gaskammern.

c. Der Angeklagte Stadie hat sich zu diesem Punkt wie folgt geäussert: Er habe laufend versucht, von Treblinka wegzukommen. Er habe sich an Dr. Eberl und Stangl mit der Bitte um eine Versetzung gewandt. Beide hätten ihm gesagt, dass sie keinen Einfluss darauf hätten, wer in Treblinka bleiben müsse und wer aus Treblinka versetzt werden könne. Dann habe er sich verschiedentlich an Wirth mit dem Ziel gewandt, eine Ablösung aus Treblinka zu erreichen. Wirth habe ihn angefahren und ihm gesagt, er würde ihn nach Oranienburg bringen, wenn er, Stadie, nicht schon so ein alter Soldat wäre. Schliesslich habe er es aber bei Wirth doch erreicht, Mitte 1943 von Treblinka in das Arbeitslager Lublin versetzt zu werden, in dem keine Massentötungen stattgefunden hätten. Trotz dieser dem Angeklagten Stadie nicht zu widerlegenden Einlassung ist das Schwurgericht jedoch davon überzeugt, dass Stadie in Treblinka nicht aufgrund einer vermeintlichen Notstands- oder Zwangslage gehandelt hat. Eine gegenteilige Annahme findet in den tatsächlichen Feststellungen keine Stütze; denn es steht fest, dass Stadie sich bei der Abfertigung der Transporte auch dann eifrigst betätigte, wenn Wirth nicht im Lager anwesend war. Zudem kann sein Verhältnis zu Wirth, von dem die angebliche Notstands- oder Zwangslage allein ausgegangen sein soll, nicht so schlecht gewesen sein, wie Stadie es jetzt darstellte. Sonst hätte Wirth ihn nämlich nicht im August 1943 als Stabsscharführer einer ihm unterstehenden Einheit nach Oberitalien mitgenommen. Dass Stadie keineswegs aus einer seelischen Not- und Zwangslage heraus handelte, ergibt sich schliesslich aus seiner Mitwirkung an der Erschiessung Rakowskis. Mit dem Tode dieses Häftlings hatte Wirth nichts zu tun. Vielmehr ging der Befehl zur Erschiessung Rakowskis - nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten Miete - vom Lagerkommandanten Stangl aus, der jedoch von allen Angeklagten als ein Mann geschildert worden ist, der ein Herz für seine Leute gehabt habe und mit dem man habe reden können. Hier kann also von einer Zwangssituation des Angeklagten Stadie auch nicht im entferntesten die Rede sein. Stadie hätte seinem Kommandanten Stangl seine angeblichen seelischen Nöte darlegen und darum bitten können, von seiner Mitwirkung bei der Tötung Rakowskis Abstand zu nehmen. Anstatt von dieser völlig gefahrlosen Möglichkeit Gebrauch zu machen, war Stadie jedoch im Gegenteil darauf bedacht, an der Liquidierung Rakowskis, des damaligen Lagerältesten, eilfertig und eifrig mitzuwirken. Dem Angeklagten Stadie mag zwar seine Mitwirkung bei der Massentötung, insbesondere in den ersten Monaten seines Lageraufenthaltes, unangenehm gewesen sein. Dass er aber nur unter dem Eindruck einer vermeintlichen Notstands- oder Zwangslage gehandelt hat, kann man keineswegs annehmen, wofür nicht zuletzt die eifrige Mitwirkung Stadies im Falle Rakowski spricht. Hätte er sich wirklich in einem ständigen Gewissenskonflikt und in einer seelischen Notlage befunden, dann hätte er schliesslich auch eine der wichtigsten Möglichkeiten, um von Treblinka wegzukommen, nämlich eine direkte Vorsprache bei der Dienststelle T4 in Berlin, nicht ungenutzt gelassen. Das wäre Stadie, der mehrfach in Berlin auf Urlaub war, ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, zumal er als Mitglied der NSDAP politisch abgesichert war und durch eine Rücksprache bei der Personalabteilung von T4 nichts zu befürchten hatte. Der Umstand, dass Stadie diese wichtige Möglichkeit nicht ausgeschöpft, sondern seinen Dienst in Treblinka stets befehlsergeben und eifrig verrichtet hat, lässt den Schluss zu, dass er sich keineswegs aus Angst um seinen Leib oder sein Leben im Vernichtungslager Treblinka betätigt hat.

d. Das Schwurgericht ist weiter davon überzeugt, dass auch der Angeklagte Suchomel keineswegs aus Angst vor Christian Wirth bei den Massentötungen in Treblinka mitgewirkt hat. Andernfalls hätte er nämlich das ihm von Blankenburg gemachte Angebot, zum Einsatz Dr. Brandt ins Reich versetzt zu werden, nicht ohne nähere Prüfung (vergleiche dazu die Feststellungen Abschnitt F.VI. im Zweiten Teil der Gründe) einfach abgelehnt. Hätte Suchomel sich von Wirth so sehr bedroht gefühlt, wie er vorgibt, dann würde er das Versetzungsangebot Blankenburgs nicht sofort ausgeschlagen haben; denn im Reiche wäre er jedenfalls vor Wirth sicher gewesen, und er wäre der "Hölle von Treblinka" entronnen. Zudem würde er im Reich weitere Möglichkeiten gehabt haben, um auch von der Mitwirkung an der Euthanasie befreit zu werden, die in ihrem Umfange und der Art und Weise ihrer Durchführung bei weitem nicht die verbrecherische Intensität der in Treblinka praktizierten Massenvernichtung von mehreren hunderttausend Personen erreichte. Der Umstand, dass Suchomel die Möglichkeit, ins Reich versetzt zu werden, nicht genutzt hat, lässt unter Berücksichtigung aller Feststellungen zu seiner inneren Einstellung den Schluss zu, dass er sich keineswegs durch Wirth an Leib oder Leben bedroht fühlte und dass er angesichts der ihm gebotenen mannigfachen Vorteile sein Leben in Treblinka unter Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse für durchaus erträglich hielt.

Dafür, dass Suchomel keineswegs aufgrund eines ständigen psychischen Drucks gehandelt hat, spricht auch die grosse Beflissenheit, mit der er sein Amt als Chef der Goldjuden wahrnahm und mit der er peinlichst auf die Erfassung auch der letzten Wertsache bedacht war. Hätte Suchomel mit den Opfern echtes Mitleid gehabt, dann hätte er den jüdischen Frauen die entwürdigende Durchsuchung ihrer Genitalien erspart; denn nach seiner eigenen Einlassung war die dahingehende Anordnung nicht von der Lagerleitung erlassen, sondern von seinem Vorgänger Lindenmüller eingeführt worden. Als dessen Nachfolger hätte er diese Anordnung aus eigener Machtvollkommenheit aufheben können, wie er auf Vorhalt selbst einräumen musste.

e. Soweit auch der Angeklagte Lambert sich darauf beruft, nur aus Furcht vor dem unberechenbaren Wirth in Treblinka die grosse Gaskammer und andere Gebäude errichtet zu haben, vermag ihm das Schwurgericht ebenfalls nicht zu folgen. Wie bereits im Abschnitt H.III. des Zweiten Teiles der Gründe festgestellt worden ist, hat Lambert sich in Treblinka weder durch Wirth noch durch einen anderen Vorgesetzten bedroht gefühlt, da er mit keinem von ihnen irgendwelche Zusammenstösse gehabt hat, da er die ihm übertragenen Bauarbeiten aus seiner Befehlsergebenheit heraus durchgeführt hat und da er die mit seinem Auftrag verbundenen Vorteile, insbesondere seine Sonderstellung im Lager als Bauspezialist und den häufigen Heimaturlaub, nicht hat missen wollen.

Hätte er sich tatsächlich in einer seelischen Zwangslage befunden, wie er vorgibt, dann würde er nämlich seine freundschaftlichen Beziehungen zu seinem Duzfreund Blankenburg benutzt und um eine andere Verwendung ausserhalb der Aktion Reinhard und ausserhalb des Einflussbereichs von Wirth gebeten haben. Einer solchen Bitte hätte Blankenburg, der von mehreren Zeugen, darunter dem Rechtsanwalt A., als verhältnismässig milde und umgänglich geschildert worden ist, sich gewiss nicht verschlossen. Das gilt um so mehr, als die Freundschaft zwischen Lambert und Blankenburg sehr eng gewesen ist. Das geht unter anderem daraus hervor, dass Lambert auch nach 1945 mit Blankenburg, und zwar bis zu dessen Tod im Jahre 1958, einen ständigen, freundschaftlichen Umgang gepflogen und keineswegs an dessen früherer Tätigkeit bei T4 Anstoss genommen hat.

f. Schliesslich vermochte das Schwurgericht auch dem Angeklagten Ru. einen Putativnotstand oder Putativnötigungsnotstand nicht zuzuerkennen. Wie die im Abschnitt I.IV. des Zweiten Teiles der Gründe getroffenen Feststellungen ergeben, hat Ru. in Treblinka keineswegs aus Angst vor Wirth, mit dem er keinerlei Auseinandersetzungen hatte, mitgemacht, sondern weil er mit seinem Leben in Treblinka, angesichts der ihm dort gebotenen zahlreichen Vergünstigungen und angesichts der Kriegsverhältnisse, durchaus zufrieden gewesen ist. Wäre er mit seinem Einsatz in Treblinka unzufrieden gewesen und wäre er vor allen Dingen durch Wirth, wie er vorgibt, einem ständigen Druck ausgesetzt gewesen, dann hätte er nicht gezögert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um von Treblinka versetzt zu werden. Nach seinen eigenen Angaben hat er aber in dieser Hinsicht gar nichts unternommen, obwohl er während seines mehrfachen Heimaturlaubs unter Einschaltung seines guten Bekannten v. He. und unter Hinweis auf sein Alter von über 50 Jahren bei der Dienststelle T4 in Berlin wegen einer anderen Verwendung hätte vorsprechen können. Dabei hätte er, da er als Mitglied und Blockwalter der Partei politisch abgesichert gewesen ist, gar nichts riskiert. Der Umstand, dass er diese naheliegende Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen hat, lässt den Schluss zu, dass er in Treblinka keineswegs aus Angst um seinen Leib oder sein Leben gehandelt hat.

Somit haben sich die neun Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. wie folgt schuldig gemacht:

a. Franz des gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 300000 Personen, des Mordes in 35 Fällen an mindestens 139 Personen und des versuchten Mordes;
b. Matthes des gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 100000 Personen und des Mordes in 4 Fällen an mindestens 8 Personen;
c. Miete des gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 300000 Personen und des Mordes in 8 Fällen an mindestens 9 Personen;
d. Mentz der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an
mindestens 300000 Personen und der Beihilfe zum Mord an mindestens 25 Personen;
e. Münzberger der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen;
f. Stadie der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen und der Beihilfe zum Mord;
g. Suchomel der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen;
h. Lambert der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen sowie
i. Ru. der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 100000 Personen.

In allen übrigen Fällen, die in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss aufgeführt sind, waren die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger und Suchomel mangels Beweises freizusprechen.

Soweit dem Angeklagten Münzberger vorgeworfen wird, sich an der Liquidierung des jüdischen Restkommandos beteiligt zu haben, erfolgte der Freispruch mit der Massgabe, dass gegen Münzberger insoweit ein begründeter Verdacht nicht mehr vorliegt.

In der Hauptverhandlung sind zahlreiche Einzeltaten erörtert worden, die nicht Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses sind. Soweit diese zusätzlichen Taten durch die Beweisaufnahme nicht erwiesen worden sind, bedurfte es keines besonderen Freispruchs; den diese weder in der Anklage noch im Eröffnungsbeschluss aufgeführten Taten sind gar nicht rechtshängig geworden und können deshalb auch nicht Gegenstand des Urteilsspruchs sein (§264 StPO).

Soweit dagegen die Angeklagten über die in der Anklage und im Eröffnungsbeschluss aufgeführten Taten hinaus in weiteren Fällen des Mordes oder der Beihilfe zum Mord für überführt erachtet worden sind, scheitert eine Bestrafung ebenfalls daran, dass diese Fälle nicht rechtshängig geworden sind. Einer Einstellung des Verfahrens bedurfte es insoweit gleichfalls nicht, weil diese Tatbestände lediglich zur Charakterisierung der Angeklagten, nicht aber mit dem Ziel einer Verurteilung in die Hauptverhandlung einbezogen worden sind.

E. Die Freisprechung des Angeklagten H. von dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord

Von dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord an mehreren hunderttausend Menschen ist H. mangels eines sicheren Nachweises seiner Schuld freizusprechen.

Freilich hat auch H. den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord gemäss den §§211, 47, 49 StGB an sich erfüllt; denn durch seine Arbeit im oberen Lager, auch wenn sie nur in der Beaufsichtigung der Leichenträger und der Arbeiter an und in der Leichengrube sowie der später an den Verbrennungsrosten tätigen Häftlinge bestand, hat er den von den Haupttätern befohlenen und organisierten Mord gefördert. Wären die Leichen nicht schnell von den Gaskammern zu den Gruben und später zu den Verbrennungsrosten gebracht und dort verbrannt worden, so wäre eine erneute Füllung der Kammern nicht in der vorgesehenen kurzen Zeit möglich gewesen und die Massenvernichtung wäre ins Stocken geraten. Dem Angeklagten H. waren auch alle Tatumstände genau bekannt, und er wusste auch, dass die Vernichtungsaktion von der obersten Staatsführung zur Erreichung rassepolitischer Ziele, also aus niedrigen Beweggründen, angeordnet worden war. Da er sich trotz Kenntnis aller dieser Umstände im oberen Lager betätigte, handelte er vorsätzlich. Weil er die Judenvernichtung für ungesetzlich hielt, hatte er auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens. Sein Verhalten wird schliesslich durch keinen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt.

Da er die ihm erteilten Befehle für rechtswidrig hielt, wird er auch nicht nach §47 Absatz 1 des Militärstrafgesetzbuches entschuldigt. Schliesslich kann man ihm ebensowenig wie den anderen Angeklagten einen unter die §§54, 52 StGB fallenden Befehlsnotstand beziehungsweise Befehlsnötigungsnotstand zubilligen, da für einen SS-Mann, der in Treblinka die sich auf die Massentötung beziehenden Befehle verweigert oder sich ihnen auf irgendeine Weise zu entziehen versucht hätte, objektiv keine Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines seiner Angehörigen bestand, was im vorhergehenden Abschnitt 2.D. des Dritten Teiles der Gründe ausführlich geschildert worden ist.

Dagegen kann sich der Angeklagte H. als einziger der zehn Angeklagten mit Erfolg auf einen Putativnotstand beziehungsweise Putativnötigungsnotstand berufen. Er lässt sich nämlich wie folgt ein:

Er habe befürchtet, in ein Konzentrationslager gebracht zu werden, wenn er die ihm in Treblinka erteilten Befehle nicht ausgeführt hätte. Insbesondere habe er Angst vor dem Inspekteur Christian Wirth gehabt, der mehrfach davon gesprochen habe, er werde jeden, der die Aufgabe des Führers nicht erfülle, in ein Konzentrationslager bringen. Da er seinen Kameraden offen gesagt habe, er halte die Judenvernichtung für Mord, und da er bei ihnen kein Echo gefunden, sondern nur Ablehnung erfahren habe, sei seine seelische Verfassung immer schlechter geworden. Er habe sich schliesslich vor seinen eigenen Kameraden und insbesondere vor seinen unmittelbaren Vorgesetzten gefürchtet. Im Falle einer offenen Befehlsverweigerung wäre seine ablehnende Haltung gegenüber der Judenvernichtung sicherlich zur Sprache gekommen und hätte dann seine Position verschlechtert. Deshalb habe er nach anderen Wegen gesucht, um von Treblinka wegzukommen. Er habe nicht nur Wirth, sondern auch den SA-Standartenführer Blankenburg um seine Ablösung aus Treblinka und um seine Versetzung zu einer Fronttruppe gebeten. Wirth und Blankenburg hätten seine Bitten mit barschen Worten abgelehnt. Schliesslich habe er gemeinsam mit seinem Freund Eisold erwogen, zu desertieren oder von einem Urlaub einfach nicht zurückzukehren. Solange die Aktion noch in vollem Gange gewesen sei, habe er sich jedoch hierzu wegen des damit verbundenen grossen Risikos nicht entschliessen können. Während des Aufstandes am 2.August 1943 sei er in Urlaub gewesen. Als er wieder nach Treblinka zurückgekehrt sei, habe er bemerkt, dass seine Aussichten zur Desertion infolge des Aufstandes gestiegen seien. Da ihm noch ein Resturlaub zugestanden habe, habe er sich bereits Mitte September 1943 erneut beurlauben lassen. In Arnsdorf habe er sich dann dazu entschlossen, eine Krankheit vorzutäuschen und nicht mehr nach Treblinka zurückzukehren. Er habe zur Dienststelle T4 nach Berlin geschrieben, er sei an Wolhynischem Fieber erkrankt, obwohl das in Wirklichkeit nicht der Fall gewesen sei. Da er gar nicht krank gewesen sei, habe er auch kein Lazarett aufgesucht, sondern sich zunächst bei seiner Frau in Arnsdorf aufgehalten. Um bei der Polizei in Arnsdorf keinen Argwohn zu wecken, sei er nach einigen Wochen zu seiner Mutter nach Obergrauschwitz gefahren und habe sich erst kurz vor Weihnachten bei der Dienststelle T4 gemeldet, die inzwischen von Berlin nach Schönfliess bei Königsberg in der Neumark verlegt worden sei. Wegen der Verlegung der Dienststelle sei dort vieles drunter und drüber gegangen, so dass man seinen Angaben über seine angebliche Erkrankung nicht näher nachgegangen sei und sie auch nicht überprüft habe. Auf diese Weise sei es ihm, wenn auch recht spät, gelungen, dem Bannkreis des Lagers Treblinka zu entkommen.

Für die Richtigkeit eines grossen Teiles dieser Einlassung des Angeklagten spricht sein Gesamtverhalten in Treblinka, und zwar sowohl sein anständiges Betragen gegenüber den jüdischen Häftlingen wie auch sein Auftreten gegenüber den anderen deutschen SS-Männern, denen er offen erklärt hat, es handele sich bei der Judenvernichtung um Mord. Allerdings lassen sich seine Angaben darüber, dass er eine nicht vorhandene Krankheit vorgetäuscht habe und dass er mehrere Monate dem Lager Treblinka ferngeblieben sei, nicht überprüfen, da es hierzu keine sicheren Beweismittel gibt. Andererseits lässt sich seine Einlassung zu diesem Punkt mit Rücksicht auf sein sonstiges Verhalten auch nicht widerlegen. Das Schwurgericht muss deshalb zu seinen Gunsten davon ausgehen, dass er in Treblinka nur widerwillig sowie aus Angst um seine Freiheit und sein Leben mitgemacht hat und dass er laufend überlegt hat, wie er seiner Tätigkeit im Lager ein Ende setzen könne, bis er dann im September 1943 die Möglichkeit gesehen hat, unter Vortäuschung einer Krankheit mehrere Monate von Treblinka fernzubleiben. Bei verständiger Würdigung aller dieser Umstände, die sich aus der nicht zu widerlegenden Einlassung des Angeklagten H. ergeben, spricht sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass lediglich die - objektiv unbegründete - Angst des Angeklagten H. vor einer schweren Bestrafung durch Wirth, also eine von ihm irrig angenommene Zwangslage der Beweggrund dafür gewesen ist, dass er in Treblinka bis Mitte September 1943 befehlsgemäss mitgemacht hat.

In einem solchen Fall, in dem die vermeintliche Zwangslage das Motiv für eine Tat oder Beihilfehandlung bildet, ist die Annahme eines schuldausschliessenden Putativnotstandes oder Putativnötigungsnotstandes gerechtfertigt (vergleiche dazu die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 22.Januar 1963 - 1 StR 457/62 -, Seite 4 f., und vom 2.Oktober 1963 - 2 StR 269/63 -, Seite 14 sowie Schönke-Schröder, 12.Auflage, Anmerkung 16 zu §52 StGB und Anmerkung 17 zu §54 StGB). Das hat hier zur Folge, dass H. mangels Verschuldens freizusprechen ist. Allerdings kann dieser Freispruch H's nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern nur mangels Beweises erfolgen, da die schuldausschliessenden Tatumstände durch die Hauptverhandlung nicht eindeutig bewiesen sind.

F. Strafzumessung

I. Strafrahmen

Nach §2 Absatz 2 StGB ist die Strafe aus dem Gesetz zu entnehmen, das zur Zeit der Tat galt. Für die vollendeten Taten der Angeklagten Franz, Matthes und Miete ist die Strafe dem §211 StGB in der seit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4.9.1941 geltenden Fassung zu entnehmen. Die Strafe war früher die Todesstrafe, die aber durch Artikel 102 GG abgeschafft ist, so dass für Mord heute die Strafe lebenslanges Zuchthaus ist.

Für den Mordversuch des Angeklagten Franz an Dr. Choranzicky und für die bis zum 29.5.1943 begangenen Beihilfehandlungen der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. sind demnach die §§44, 49 alter Fassung des Strafgesetzbuches in Verbindung mit §4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.12.1939 massgebend. Für die in der Zeit von Ende Mai bis Ende November 1943 ausgeführten Beihilfehandlungen ist dagegen §49 StGB in Verbindung mit §44 StGB in der noch heute geltenden Fassung vom 29.5.1943 heranzuziehen.

Im Abschnitt 1.C. des Dritten Teiles der Gründe ist bereits dargelegt worden, dass der §4 der Gewaltverbrecherverordnung keine typisch nationalsozialistische, jeder rechtsstaatlichen Ordnung widersprechende Vorschrift ist. Das gleiche muss auch für den seit dem 29.5.1943 geänderten §49 StGB gelten, zumal diese Vorschrift nach wie vor geltendes Recht ist und zumal sie ausserdem mit den Regelungen in den Strafgesetzbüchern anderer demokratischer Länder, so zum Beispiel dem der Schweiz, übereinstimmt (vergleiche zu dieser Frage das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25.11.1964 - 2 StR 71/64 -unter A.I.d. a.E.).

Die in der Hauptverhandlung gegen die Rechtsgültigkeit der §§44, 49 StGB in der Fassung der Durchführungsverordnung vom 29.5.1943 zur Strafrechtsangleichungsverordnung vom selben Tage im Hinblick auf Artikel 104 GG geäusserten Bedenken greifen nicht durch; denn die Bestimmungen der genannten Durchführungsverordnung haben nach dem damals geltenden Verfassungsrecht durch ihre Einführung in das Strafgesetzbuch den Rang von förmlichen Gesetzesnormen erhalten. Sie widersprechen daher nicht der einschränkenden Bestimmung des Artikels 104 Absatz 1 Satz 1 GG, wonach eine Freiheitsentziehung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes angeordnet werden darf.

Der Strafrahmen für die Mordbeihilfe reicht somit von 3 Jahren Zuchthaus bis zu lebenslangem Zuchthaus, gleichgültig, ob man ihn den §§49, 44 StGB alter Fassung in Verbindung mit §4 der Gewaltverbrecherverordnung oder den §§49, 44 StGB in der seit dem 29.5.1943 geänderten Fassung entnimmt.

II. Allgemeine Strafzumessungserwägungen

Den Angeklagten ist nicht anzulasten, dass sie Mitglied der NSDAP, der Allgemeinen SS, der Waffen-SS oder einer anderen nationalsozialistischen Organisation waren. Den Vorspiegelungen des Nationalsozialismus erlagen nämlich seinerzeit selbst ältere, reifere und akademisch gebildete Menschen, die einen weiteren Überblick hatten als die Angeklagten mit ihrem nur begrenzten politischen Urteilsvermögen. Zudem waren die meisten der Angeklagten der Partei oder einer ihrer Gliederungen nicht aus weltanschaulicher Überzeugung, sondern aus Gründen der Nützlichkeit im Hinblick auf ihr berufliches Fortkommen beigetreten.

Bei den Mordgehilfen unter den Angeklagten ist strafmildernd zu werten, dass sie sämtlich nicht aus eigenem Antrieb, sondern aufgrund von Befehlen handelten und diese Befehle - mit Ausnahme des Angeklagten Ru. - in einer Weise überbewerteten, die durchweg den Vorstellungen der damaligen Zeit entsprach. Damit gerieten sie - abgesehen von Ru. - zugleich in einen, wenn auch nicht entschuldbaren Verbotsirrtum. Sie waren mehr oder weniger untergeordnete Dienstgrade, und die meisten von ihnen waren es nach ihrem bisherigen Werdegang gewohnt, Befehle zu empfangen und auszuführen, gleichgültig, welchen Inhalt sie hatten. Seit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahre 1933 unterlagen sie zudem der Einwirkung einer unaufhörlichen massiven Propaganda, die den "Willen des Führers als oberstes Gesetz" proklamierte und unbedingten Gehorsam bei der Erfüllung auch unangenehmer und schwieriger Aufgaben forderte. Dies galt in besonderem Masse zur Kriegszeit, denn die Kriegsraison verlangt von jeher vieles von einem Untergebenen, was in Zeiten des Friedens nur schlecht vorstellbar ist. Unter diesen Umständen war das Kritikvermögen der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel und Lambert gegenüber den Zielen der nationalsozialistischen Machthaber angesichts ihrer meist nur durchschnittlichen Intelligenz und Bildung ohnehin gering und überdies dadurch beeinträchtigt, dass das Gefühl für Recht und Unrecht unter der starken propagandistischen Einwirkung in der Allgemeinheit vielfach verlorengegangen war. Die Mordgehilfen unter den Angeklagten sahen sich nach ihrer Abkommandierung zum Vernichtungslager Treblinka unvermittelt in eine Situation verstrickt, die sie leicht zu der Annahme verleiten konnte, dass alle Befehle verbindlich seien und ausgeführt werden müssten.

Hierin wurden sie vor allen Dingen durch das Verhalten ihrer Vorgesetzten bestärkt, die sich, obwohl sie eher die Möglichkeit eines Ausweges hatten, den Anweisungen der höheren und höchsten Dienststellen ebenfalls fügten und nichts unternahmen, um ihre Untergebenen aus dem anbefohlenen verbrecherischen Einsatz zu entlassen. Im Gegenteil, ihre unmittelbaren Vorgesetzten, so in geringerem Umfange der Kommandant Stangl, in grösserem Ausmasse der Angeklagte Franz als sein Stellvertreter und Nachfolger sowie insbesondere der Inspekteur Christian Wirth, ermunterten sie ständig zu noch aktiverem Einsatz. In gleichem Sinne wirkten auch die Besichtigungen des Lagers durch den SS- und Polizeiführer in Lublin Globocnik und durch den SA-Standartenführer Blankenburg auf die Angeklagten ein, für die diese beiden Männer "hohe Tiere" waren.

Unter diesen Umständen ist es als eine beachtliche intellektuelle Leistung des Angeklagten Ru. anzusehen, wenn er trotz dieser Einflüsse im Gegensatz zu den meisten seiner Kameraden einen kühlen Kopf behielt und auf derartige unsinnige Befehle, wie es in seinen Augen die Anordnungen zur Vernichtung von Juden und Zigeunern waren, nichts gab. Dazu war Ru. auch nur deshalb in der Lage, weil er mehrere Jahre im Ausland verbracht und überdies in Berlin als Kellner verschiedentlich Parteigrössen bedient hatte, die auf ihn in menschlicher und geistiger Hinsicht keinen günstigen Eindruck gemacht hatten.

Ferner trug auch die nationalsozialistische Rassenideologie, mit der sich die Mordgehilfen unter den Angeklagten zwar sämtlich nicht haben voll identifizieren wollen, deren Einflüssen sie aber jahrelang ausgesetzt gewesen waren, dazu bei, dass sie sich leichter zu ihrer verderblichen Tätigkeit missbrauchen liessen, an deren verbrecherischen Charakter sie sich im übrigen im Laufe der Zeit mehr oder weniger gewöhnten und der gegenüber sie folglich immer weniger kritische Überlegungen anstellten.

Schliesslich spricht zugunsten der Angeklagten Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru., dass sie sich vor und nach ihrem Einsatz in Treblinka straffrei führten und in geordneten Verhältnissen lebten. Sie empfinden erkennbar echte Reue und sühnen ihr Fehlverhalten seit Jahren durch eine starke seelische Belastung.

Auf der anderen Seite ist das ungeheuerliche Ausmass der Vernichtungsaktion zu berücksichtigen, der mindestens 700000 Menschen zum Opfer fielen. Die Angeklagten Matthes und Ru. waren an der Tötung von mindestens 100000 Personen und die Angeklagten Franz, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel und Lambert an der Tötung von mindestens 300000 Personen beteiligt. Hinzu kommen dann noch die Exzesstaten der Angeklagten Franz, Matthes und Miete sowie die von den Angeklagten Mentz und Stadie geleistete Beihilfe zu zwei Exzesstaten.

Straferschwerend ist weiter, dass die Angeklagten - mit Ausnahme des Angeklagten Ru. - bei den Tötungen einen beachtlichen Eifer zeigten und dass sie sich - mit Ausnahme des Angeklagten Suchomel und in geringerem Masse auch des Angeklagten Stadie - gegenüber ihren Opfern vollkommen gleichgültig und mitleidlos verhielten, obwohl es in ihrer Macht stand, in einzelnen Fällen Gutes zu tun oder Barmherzigkeit zu üben.

Die Abwägung aller dieser für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände hat die insbesondere für die Gehilfen unter den Angeklagten wichtige Überlegung nach dem Strafzweck einzuschliessen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass nach der Überwindung des damaligen Ungeistes der nationalsozialistischen Diktatur dem Abschreckungs- und Besserungsgedanken kein allzu grosses Gewicht mehr beizumessen ist, sondern der Strafzweck der Sühne hier im Vordergrund stehen muss. Andererseits kann der Tatsache, dass zwischen Tat und Verurteilung ein langer Zeitraum vergangen ist, ein allzu entscheidendes Gewicht nicht beigemessen werden. Die Ströme von Blut und Tränen, die in und wegen Treblinka geflossen sind, können und dürfen trotz des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs nicht übersehen werden.

Die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. handelten bezüglich der Massenvernichtung aufgrund eines Befehls, die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz und Stadie auch hinsichtlich einiger Exzesstaten. In allen diesen Fällen eröffnet §47 Absatz 2 des Militärstrafgesetzbuches die Möglichkeit, dann von Strafe abzusehen, wenn die Schuld des Untergebenen gering ist. Das Schwurgericht kann sich jedoch nicht dazu entschliessen, hiervon auch nur bei einem der Angeklagten Gebrauch zu machen; denn angesichts des ungeheuren Ausmasses der Tötungen, an denen sie mitwirkten, kann selbst dann nicht von einer geringen Schuld im Sinne des §47 Absatz 2 des Militärstrafgesetzbuches die Rede sein, wenn die strafmildernden Umstände weitgehend berücksichtigt werden.

III. Besondere Strafzumessungserwägungen

Neben diesen allgemeinen Strafzumessungsgründen sind bei den Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger, Stadie, Suchomel, Lambert und Ru. noch weitere, individuelle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die Höhe des Strafmasses von Bedeutung sind.

1. Franz

Dem Angeklagten Franz ist zugute zu halten, dass er sich hinsichtlich der Massenvernichtung an mindestens 300000 Personen, der Tötung von mindestens 10 Häftlingen als Vergeltung auf den Überfall auf Max Biala, der Erschiessung von mindestens 80 Arbeitsjuden am Tage nach dem Tode von Max Biala und der Liquidierung des Restkommandos möglicherweise in einem verschuldeten Verbotsirrtum befand. Ein solcher verschuldeter Verbotsirrtum gibt die Möglichkeit, die Strafe nach den Grundsätzen des Versuchs zu mindern. Der Strafrahmen reicht deshalb in allen diesen Fällen nach §44 Absatz 2 StGB von 3 Jahren Zuchthaus bis zu lebenslangem Zuchthaus (§§211, 44 Absatz 2 StGB). Von dieser Möglichkeit hat das Schwurgericht jedoch wegen der von Franz an den Tag gelegten nahezu satanischen Grausamkeit, wegen seiner ausserordentlich grossen verbrecherischen Energie und wegen seiner Unbarmherzigkeit gegenüber seinen Opfern keinen Gebrauch gemacht, so dass Franz in diesen vier Fällen jeweils mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen ist.

In allen anderen 32 Fällen, bei denen Franz sich des vollendeten Mordes schuldig gemacht hat und bei denen er weder auf Befehl noch infolge eines Verbotsirrtums, sondern völlig eigenmächtig gehandelt hat, ist Franz ebenfalls nach §211 StGB mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen.

Im Falle Dr. Choranzicky ist Franz lediglich eines versuchten Mordes nach den §§211, 43 StGB schuldig. Bei der Bemessung der Strafe für diesen Fall hat das Schwurgericht von der in §44 Absatz 1 und Absatz 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die für das vollendete Delikt vorgesehene Strafe zu ermässigen. Angesichts der besonderen Roheit und Bestialität, mit der Franz den Arzt Dr. Choranzicky quälte, hat das Schwurgericht hier eine Zuchthausstrafe von acht Jahren zur Sühne dieses Mordversuchs für angemessen, aber auch für unbedingt erforderlich gehalten.

Damit ist Franz wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 300000 Personen und wegen Mordes in 35 Fällen an mindestens 139 Personen sechsunddreissigmal mit lebenslangem Zuchthaus und wegen versuchten Mordes mit acht Jahren Zuchthaus zu bestrafen.

2. Matthes

Auch beim Angeklagten Matthes ist zu berücksichtigen, dass er bei zwei Fällen (Mitwirkung an der Massentötung von mindestens 100000 Personen und Selektion von mindestens fünf Fleckfieberkranken zur Erschiessung im Lazarett) möglicherweise in einem verschuldeten Verbotsirrtum gehandelt hat, so dass ebenfalls eine Minderung der Strafe nach den Grundsätzen des Versuchs, also nach §44 Absatz 2 StGB, in Frage kommen könnte. Wegen der bedeutsamen Rolle, die Matthes als Chef des Totenlagers bei der Massenvergasung der Opfer und bei der Durchorganisierung dieses Lagerteils gespielt hat, sowie wegen seiner Brutalität und Unbarmherzigkeit gegenüber den ihm unterstellten Arbeitsjuden hat das Schwurgericht aber in beiden Fällen davon abgesehen, die lebenslange Zuchthausstrafe zu mindern.

Wegen der drei übrigen Fälle des Mordes, bei denen Matthes eigenmächtig gehandelt hat, ohne einen Befehl empfangen zu haben und ohne einem Verbotsirrtum unterlegen zu sein, hat er nach §211 StGB dreimal eine lebenslange Zuchthausstrafe verwirkt. Insgesamt ist Matthes also wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 100000 Personen und wegen Mordes in vier Fällen an mindestens acht Personen fünfmal mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen.

3. Miete

Der Angeklagte Miete hat möglicherweise in zwei Fällen (Mitwirkung bei der Massentötung von mindestens 300000 Personen und Erschiessung des Starsze Lipchitz und eines anderen Häftlings im Anschluss an den sogenannten Sport) in einem verschuldeten Verbotsirrtum gehandelt. Hier wäre jeweils eine Minderung der Strafe nach den Grundsätzen des Versuchs rechtlich zulässig. Das Schwurgericht hat von dieser Möglichkeit der Strafminderung jedoch deshalb Abstand genommen, weil Miete in Treblinka eine ungeheure verbrecherische Energie entwickelt hat, die in einem auffallenden Missverhältnis zu seinem an sich niedrigen Dienstgrad eines SS-Unterscharführers stand, weil er aus reinem Sadismus gehandelt hat und weil er nicht einmal ein einziges Mal gegenüber den von ihm beaufsichtigten Arbeitsjuden des Sortierkommandos Barmherzigkeit und Menschlichkeit hat walten lassen. Sein sehr grosser Beitrag zur Massenvernichtung, insbesondere seine Tätigkeit im Lazarett, und auch seine sehr aktive Rolle bei der Tötung des Starsze Lipchitz und dessen Kameraden erfordern in beiden Fällen die Verhängung der lebenslangen Zuchthausstrafe. In den sieben anderen Mordfällen, die von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss erfasst werden, hat Miete eigenmächtig, also ohne jeden Befehl und ohne Verbotsirrtum gehandelt, so dass er wegen dieser sieben Morde gleichfalls nach §211 StGB siebenmal zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen ist. Der Angeklagte Miete ist somit wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 300000 Personen und wegen Mordes in acht Fällen an mindestens neun Personen neunmal mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen.

4. Mentz

a. Strafe für seine Mitwirkung bei der Massenvernichtung

Die überaus schwere Schuld, die Mentz als Mordgehilfe bei der Massenvernichtung von mindestens 300000 Personen insbesondere durch seine Tätigkeit im Lazarett auf sich geladen hat, kann nur durch die gleiche Strafe gesühnt werden, die auch einem Mörder nach §211 StGB zukommt, nämlich durch lebenslanges Zuchthaus.

Die Verhängung der vollen Täterstrafe auch für den Tatgehilfen ist aufgrund des §4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.12.1939 und durch die Einarbeitung dieser Bestimmung in §49 StGB aufgrund der Verordnung des Reichsjustizministers vom 29.5.1943 zur Durchführung der Strafrechtsangleichungsverordnung vom selben Tage (RGBl. I, Seite 339) möglich, wie bereits früher dargelegt worden ist. Das Schwurgericht hat bei der Bemessung der Strafe für den Angeklagten Mentz nicht ausser acht gelassen, dass hier eine doppelte Möglichkeit besteht, die in §211 StGB vorgesehene lebenslange Zuchthausstrafe nach den Grundsätzen des Versuches (§44 Absatz 2 und Absatz 3 StGB) zu mindern, und zwar einmal aufgrund des §49 Absatz 2, letzter Halbsatz StGB und einmal mit Rücksicht auf den verschuldeten Verbotsirrtum, dem der Angeklagte Mentz unterlegen ist, weil er die ihm erteilten Befehle zur Tötung von Menschen im Lazarett zwar als rechtswidrig, aber dennoch als verbindlich ansah. Der vermeidbare Verbotsirrtum bei einer Beihilfe zum Mord gestattet es also sogar, die in §44 Absatz 2 StGB vorgesehene Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus zu unterschreiten (vgl. dazu BGHSt. 2, 194, 209 bis 211 und das Urteil des BGH vom 9.April 1963 - 5 StR 22/63, unter C.II.4. sowie das Urteil des BGH vom 25.November 1964 - 2 StR 71/64, unter B.II.2.b.). Obwohl sich das Schwurgericht dieses sehr weiten Strafrahmens bewusst gewesen ist, hat es die Verhängung einer lebenslangen Zuchthausstrafe gegen den Angeklagten Mentz als Sühne für seine Mitwirkung an den Massentötungen unbedingt für erforderlich gehalten; denn Mentz hat in mindestens 200 Fällen jüdische Männer, Frauen und Kinder, die aus Transporten ausgesucht und zu ihm ins Lazarett gebracht worden waren, eigenhändig mit seiner Pistole getötet. Er hat dabei jede menschliche Regung vermissen lassen und mit erbarmungsloser Brutalität und mitleidsloser Kälte gehandelt. Das geht auch daraus hervor, dass es ihm völlig gleichgültig war, ob die Opfer durch den Genickschuss getötet oder ob sie nur verwundet waren, da sie ja letzten Endes doch im ständigen Feuer der Lazarettgrube verbrannten. Die Blutschuld, die er dadurch auf sich geladen hat, ist sehr gross und erreicht fast die Schuld eines Täters. Mentz hat als ein seelenloser Roboter in Treblinka alles ausgeführt, was man von ihm verlangte und trotz der Scheusslichkeiten, die sich vor seinen Augen abspielten, trotz der Ströme von Blut und Tränen, die gerade im Lazarett von den ärmsten und hilflosesten der Opfer, den Müttern mit kleinen Kindern, den Alten, Kranken und Schwachen vergossen wurden, nicht einen einzigen Augenblick gezaudert, sein blutiges Handwerk auszuüben.

Gegenüber diesen Tatsachen kann der Umstand, dass Mentz ein geistig wenig beweglicher Mann ist, nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Sein Bildungsniveau, mag es auch nicht allzu hoch sein, war immerhin ausreichend genug, um sich die ganze Perversion und Scheusslichkeit seines Verhaltens vor Augen führen zu können. Wurden doch die Opfer im Lazarett von ihm weitaus schlechter behandelt als Schlachtvieh, das vor der Schlachtung betäubt wird. Die Lazarettopfer dagegen mussten sich sogar vor ihrer eigenen Tötung noch die brennenden Leichen ihrer zuvor erschossenen Leidensgenossen ansehen. Der Angeklagte ist so primitiv nicht, dass er das nicht alles hätte bemerken müssen, auch wenn er nach seiner ganzen geistigen Verfassung ein leicht beeinflussbarer und autoritätsgläubiger Mensch ist, der sich fremdem Willen leicht beugte. Er machte es sich aber doch zu leicht, wenn er sein anfangs zuweilen aufbegehrendes Gewissen damit beruhigte, dass er sich sagte, der Führer habe das alles befohlen und der werde dies alles verantworten müssen.

Das Schwurgericht ist nach sorgsamer Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu der Überzeugung gekommen, dass eine zeitige Zuchthausstrafe - auch eine solche von 15 Jahren - nicht ausreicht, um der Grösse und der Schwere seiner Schuld gerecht zu werden, auch wenn man beachtet, dass er nur als Mordgehilfe und ausserdem in einem verschuldeten Verbotsirrtum gehandelt hat. Die Vielzahl der von ihm eigenhändig begangenen Erschiessungen und seine hierbei zutage getretene kalte und gefühllose Einstellung zu jedem menschlichen Leben erfordern zur gerechten Sühne die Verhängung einer lebenslangen Zuchthausstrafe.

b. Strafe für seine Mitwirkung an der Liquidierung des Restkommandos

Wegen der Mitwirkung des Angeklagten Mentz bei der Erschiessung des jüdischen Restkommandos Ende November 1943 hält das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren für angemessen. Auch hier handelte Mentz mitleidlos und brutal, was sich insbesondere darin zeigte, dass er nichts dabei fand, wenn die zur Exekution gebrachten Häftlinge zunächst die Leichen ihrer bereits getöteten Leidensgenossen zur Verbrennung auf den Rost tragen mussten, bevor sie selbst erschossen wurden. Andererseits ist das Ausmass seiner Schuld hier bei weitem nicht so hoch wie bei den Erschiessungen im Lazarett, weil die Zahl der Opfer bei der Liquidierung des Restkommandos viel geringer war als die Zahl der Opfer bei den zahlreichen Erschiessungen im Lazarett und weil Mentz durch seine lange Tätigkeit im Lazarett bereits weitgehend abgestumpft war. Unter Berücksichtigung der doppelten Möglichkeit zur Strafmilderung (einmal nach §49 Absatz 2 StGB und zum anderen aufgrund des verschuldeten Verbotsirrtums) erscheint eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren als Sühne dieser letzten Beihilfehandlung des Angeklagten Mentz ausreichend.

Der Angeklagte Mentz ist mithin wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 300000 Personen und wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 25 Personen zu lebenslangem Zuchthaus und zu 6 Jahren Zuchthaus zu verurteilen.

5. Münzberger

Als Sühne für die sehr aktive Mitwirkung des Angeklagten Münzberger an der Massenvernichtung hält das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren für erforderlich. Die Beweisaufnahme hat bei Münzberger - im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten Stadie und Suchomel - nichts dafür ergeben, dass er sich auch nur in einem einzigen Falle gegenüber den Häftlingen, insbesondere den ihm unterstellten Leichenträgern milde oder menschlich gezeigt hätte. Ihr schweres Schicksal war ihm völlig gleichgültig. Mitleid und Erbarmen mit den Arbeitsjuden des oberen Lagers kannte er nicht.

Hinzu kommt seine besonders bedeutsame und massive Mitwirkung bei den Massentötungen, wo er auch nicht davor zurückschreckte, eine Frau mit zwei Kindern, die in den Gaskammern keinen Platz mehr gefunden hatten, an einem Leichenrost eigenhändig zu erschiessen. Selbst wenn man die durch §49 Absatz 2 StGB und durch den verschuldeten Verbotsirrtum gegebene Möglichkeit, die Strafe nach den Versuchsgrundsätzen doppelt zu mildern, berücksichtigt, kann angesichts der besonders aktiven Mitwirkung Münzbergers an der Massenvernichtung nur eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren seine schwere Schuld sühnen. Eine geringere Strafe wäre nicht schuldangemessen. Münzberger ist somit wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen mit zwölf Jahren Zuchthaus zu bestrafen.

6. Stadie

a. Strafe für seine Mitwirkung bei der Massentötung

Für die Beihilfe Stadies zur Massentötung von mindestens 300000 Personen ist eine Strafe von 6 Jahren Zuchthaus die gerechte Sühne.

Bei der Bemessung dieser Strafe hat das Schwurgericht einerseits berücksichtigt, dass Stadie als Stabsscharführer und Verwaltungsleiter des Vernichtungslagers Treblinka eine bedeutsame Stellung im Lager innehatte, dass er sich häufig besonders aktiv bei der Abfertigung von Transporten betätigte, wobei er von seiner Peitsche und seiner Schusswaffe Gebrauch machte und darüber hinaus irreführende Ansprachen hielt, und dass er in zwei
Fällen auch Arbeitshäftlinge misshandelte. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass er sich ausserhalb der Transportabfertigungen gegenüber den Arbeits- und Hofjuden verhältnismässig milde verhielt, dass er seine bedeutsame Stellung im Lager nicht zur Ausführung besonderer Schikanen und Exzesse ausnutzte und dass er möglicherweise den Zeugen Sed. vor der Erschiessung durch Küttner bewahrte (vergleiche den Abschnitt D.VI.3. des Zweiten Teiles der Gründe). Bei einer gerechten Abwägung aller dieser Umstände und einer Berücksichtigung der durch die §§49 Absatz 2, 44 Absatz 2 StGB und durch den verschuldeten Verbotsirrtum gegebenen Möglichkeit, die Strafe nach dem Versuchsgrundsätzen zweimal zu mindern, hielt das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von 6 Jahren bei Stadie für schuldangemessen.

b. Strafe für die Beihilfe zur Ermordung Rakowskis

Für Stadies Beihilfe bei der Erschiessung des Lagerältesten Rakowskis sind drei Jahre Zuchthaus die gerechte Strafe. In diesem Falle hat Stadie nach den getroffenen Feststellungen zwischen dem Befehlsgeber Stangl und dem Vollstrecker Miete ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt. Andererseits soll Stadie zugute gehalten werden, dass Rakowski einen - im Verhältnis zu seiner Bestrafung mit dem Tode freilich geringfügigen - Anlass für den Befehl des Lagerkommandanten gegeben hat, weil er sich entgegen den Lagerbestimmungen in den Besitz von Gold oder Geld gesetzt hatte. Das Schwurgericht hat beides gegeneinander abgewogen und auch hier gemäss den §§49 Absatz 2, 44 Absatz 2 StGB und wegen des verschuldeten Verbotsirrtums von der Möglichkeit einer doppelten Strafmilderung nach den Grundsätzen des Versuchs Gebrauch gemacht. Nach alledem ist für die Beihilfe Stadies bei der Erschiessung Rakowskis eine Zuchthausstrafe von 3 Jahren die angemessene, aber auch erforderliche Sühne.

c. Gesamtstrafe

Gemäss §74 StGB hat das Schwurgericht aus den beiden Einzelstrafen von 6 und 3 Jahren Zuchthaus eine Gesamtstrafe in der Weise gebildet, dass die Einsatzstrafe, nämlich die verwirkte höchste Strafe von 6 Jahren, auf sieben Jahre Zuchthaus erhöht worden ist. Bei der Bemessung dieser Gesamtstrafe war insbesondere zu berücksichtigen, dass der bisher nicht bestrafte Angeklagte Stadie schon 68 Jahre alt ist und an einer weit fortgeschrittenen Zerebralsklerose leidet. Ihn trifft eine Zuchthausstrafe von sieben Jahren viel härter als eine noch schwerere Strafe einen jüngeren, gesunden Mann treffen würde. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes, ist die Erhöhung der Einsatzstrafe von 6 Jahren um ein Jahr auf sieben Jahre Zuchthaus ausreichend, um den Strafzweck der Sühne für die von Stadie begangenen Taten zu erreichen.

Stadie ist also wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen und wegen Beihilfe zum Mord mit insgesamt sieben Jahren Zuchthaus zu bestrafen.

7. Suchomel

Als Sühne für die Mitwirkung Suchomels an der Massenvernichtung hat das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren für erforderlich gehalten.

Bei der Bemessung der Strafe hat das Schwurgericht einerseits berücksichtigt, dass Suchomel die ihm übertragenen Aufgaben bei den Transportabfertigungen mit grossem Eifer ausführte, dass er hierbei vor dem Gebrauch seiner Peitsche und sogar seiner Schusswaffe nicht zurückschreckte und dass er insbesondere die armen, hilflosen Frauen durch hämische Zurufe zu besonderer Eile antrieb, damit bei den Abfertigungen keine Stockungen eintraten. Andererseits ist zu beachten, dass Suchomel die Zeugin Su. vor der Vergasung rettete, dass er auch um die Rettung seines jüdischen Schulkameraden Dr. Rubin bemüht war, dass er zahlreichen Häftlingen die Ankunft von Franz und Küttner rechtzeitig bekanntgab, damit sie diesen beiden gefürchteten Männern nicht auffallen sollten, dass er die ihm unterstellten Gold- und Hofjuden gut behandelte, dass er ihnen und auch den aus der Tschechoslowakei stammenden Arbeitsjuden zusätzliche Verpflegung verschaffte und dass er, wie es der Zeuge Gl. ausdrückte, sich gegenüber den Häftlingen in Treblinka "unter Berücksichtigung der dort herrschenden besonderen Verhältnisse anständig" betrug. Unter diesen Umständen hat das Schwurgericht von der durch §49 Absatz 2 StGB und durch den verschuldeten Verbotsirrtum gegebenen Möglichkeit, die Strafe nach den Versuchsgrundsätzen (§44 StGB) zweimal zu mildern, Gebrauch gemacht. Bei Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hält das Schwurgericht eine Strafe von sechs Jahren als die angemessene Sühne für die Mitwirkung Suchomels bei der Massenvernichtung. Suchomel ist also wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen mit sechs Jahren Zuchthaus zu bestrafen.

8. Lambert

Zur Sühne der Mitwirkung Lamberts an der Massenvernichtung in Treblinka hält das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von vier Jahren für erforderlich.

Die Schuld, die Lambert durch die Errichtung des grossen Gashauses und zahlreicher anderer Gebäude im Vernichtungslager Treblinka auf sich geladen hat, erreicht ein erhebliches Ausmass; denn ohne ihn und das von ihm errichtete grosse Gashaus wäre es technisch gar nicht möglich gewesen, pro Tag mehrere Transporte nacheinander abzufertigen und so in wenigen Monaten mehrere hunderttausend Juden zu vergasen. Auf der anderen Seite ist dem Angeklagten nicht nachzuweisen, dass er über die ihm erteilten Befehle hinausgegangen ist und dass er von den in Treblinka reichlich gebotenen Möglichkeiten, Juden zu schikanieren, zu misshandeln oder gar zu töten, Gebrauch gemacht hat. Unter Berücksichtigung der Minderungsmöglichkeiten, welche einmal §49 Absatz 2 StGB und zum anderen der verschuldete Verbotsirrtum über die Befehlsverbindlichkeit bei der Strafzumessung bieten, hält das Schwurgericht eine Zuchthausstrafe von vier Jahren für erforderlich, um seine Schuld zu sühnen.

Lambert ist deshalb wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens 300000 Personen mit vier Jahren Zuchthaus zu bestrafen.

9. Ru.

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IV. Zum Urteilstenor

Soweit bei den Angeklagten Franz, Matthes, Miete, und Mentz mehrmals auf lebenslanges Zuchthaus erkannt oder neben lebenslangem Zuchthaus noch eine zeitige Zuchthausstrafe ausgeworfen worden ist, war gemäss §260 Absatz 4 Satz 3 StPO lediglich einmal die Verurteilung zu lebenslangem Zuchthaus in den Urteilstenor aufzunehmen.

G. Nebenentscheidungen

Soweit die Angeklagten zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind, ist ihnen nach §60 StGB die erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet worden.

Wegen des schweren Unrechtsgehalts ihrer Taten und deren sehr weitreichenden Folgen erscheint es geboten, den verurteilten Angeklagten nach §32 StGB die bürgerlichen Ehrenrechte für die jeweils im Urteilstenor angegebene Zeit abzuerkennen, also den Angeklagten Franz, Matthes, Miete und Mentz auf Lebenszeit, dem Angeklagten Münzberger auf die Dauer von 10 Jahren, dem Angeklagten Stadie auf die Dauer von 7 Jahren, dem Angeklagten Suchomel auf die Dauer von 6 Jahren, dem Angeklagten Lambert auf die Dauer von 4 Jahren und dem Angeklagten Ru. auf die Dauer von 3 Jahren.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§465, 467 StPO. Danach tragen die Angeklagten die Kosten des Verfahrens, soweit sie verurteilt worden sind. Soweit der Angeklagte H. in vollem Umfange und die Angeklagten Franz, Matthes, Miete, Mentz, Münzberger und Suchomel teilweise freigesprochen worden sind, fallen die Kosten der Staatskasse zur Last.

   

Last modified: January 15, 2009
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