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Die Besitzergreifung der Tschechoslowakei.

Die Sitzung vom 5. November 1937 ließ klar erkennen, daß die Besitzergreifung der Tschechoslowakei durch Deutschland endgültig beschlossen war. Die einzige Frage, die noch offen blieb, war die Wahl des für die Ausführung geeigneten Zeitpunktes. Am 4. März 1938 schrieb der Angeklagte Ribbentrop an den Angeklagten Keitel unter Bezugnahme auf einen Vorschlag, den Ribbentrop von dem ungarischen Gesandten in Berlin erhalten hatte, daß mögliche Kriegsziele gegen die Tschechoslowakei zwischen den Militärs von Deutschland und Ungarn erörtert werden sollten. In diesem Brief erklärte Ribbentrop:

»Ich stehe derartigen Besprechungen nicht ohne Bedenken gegenüber. Falls wir uns mit den Ungarn über mögliche Kriegsziele gegenüber der Tschechoslowakei unterhalten, besteht die Gefahr, daß hiervon auch andere Stellen Mitteilung erhalten.«

Am 11. März 1938 gab Göring gegenüber Mastny, dem tschechoslowakischen Gesandten in Berlin, zwei getrennte Erklärungen ab, in denen er ihm versicherte, die Geschehnisse, die sich damals in Österreich abspielten, hätten keinerlei ungünstigen Einfluß auf die Beziehungen des Deutschen Reiches zur Tschechoslowakei; er betonte weiterhin, daß Deutschland seinerseits fortfahren werde, sich ernsthaft um die Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen zu bemühen. Am 12. März bat Göring Mastny zu sich, und wiederholte diese Zusicherung.

Die Absicht, die Tschechoslowakei einzulullen, während man sich Österreichs bemächtigte, war ein kennzeichnendes Manöver des Angeklagten Göring, welches er im Falle Polens wiederholte, als er sich aufs äußerste bemühte, Polen in dem drohenden Konflikt zu isolieren. Am gleichen Tage, dem 12. März, sprach der Angeklagte von Neurath mit Mastny und versicherte ihm im Namen Hitlers, daß sich Deutschland nach wie vor durch den im Oktober 1925 zu Locarno geschlossenen deutsch-tschechoslowakischen Schiedsvertrag gebunden erachte.

Aus dem Beweismaterial geht hervor, daß nach der Besetzung Österreichs durch die deutsche Armee am 12. März und die Annexion Österreichs am 13. März Konrad Henlein, der Führer der Sudetendeutschen Partei in der Tschechoslowakei, Hitler in Berlin am 28. März besuchte. Am folgenden Tage wurde in einer Sitzung in Berlin, bei der Ribbentrop mit Henlein anwesend war, die allgemeine Lage erörtert; der Angeklagte Jodl schrieb später in sein Tagebuch:

»Führer äußert nach Einverleibung Österreichs, daß ihm die Bereinigung der tschechischen Frage nicht eilt. Man muß erst Österreich verdauen. Trotzdem sollen Vorbereitungen ›Fall Grün‹ (das ist der Plan gegen die Tschechoslowakei) ›energisch weiter getrieben werden‹. Sie müssen auf Grund der veränderten strategischen Lage durch Eingliederung Österreichs neu bearbeitet werden.«

Am 21. April 1938 fand eine Unterhaltung zwischen Hitler und dem Angeklagten Keitel über den »Fall Grün« statt, die klar beweist, daß die Vorbereitungen für den Angriff auf die Tschechoslowakei eingehend erörtert wurden. Am 28. Mai 1938 ordnete Hitler an, daß Vorbereitungen für den 2. Oktober zu treffen seien, und von da an wurde der Plan, in der Tschechoslowakei einzufallen, ständig im Auge behalten. Eine von Hitler unterzeichnete Weisung vom 30. Mai 1938 erklärte seinen »unabänderlichen Entschluß, die Tschechoslowakei durch militärische Maßnahmen in naher Zukunft zu zerschlagen«.

Wie aus einem erbeuteten Dokument aus den Akten des SD in Berlin hervorgeht, wurde im Juni 1938 ein ausgearbeiteter Plan für die Verwendung des SD in der Tschechoslowakei vorgelegt. Dieser Plan sah vor, »daß der SD womöglich der kämpfenden Truppe auf dem Fuße folge, und ähnliche Aufgaben übernehmen solle, wie in Deutschland«.

Gestapo-Beamte wurden bestimmt, um mit dem SD bei gewissen Aufgaben zusammenzuarbeiten. Besondere Agenten sollten im voraus ausgebildet werden, um Sabotage zu verhüten, und sie sollten »rechtzeitig vor dem Angriff verständigt werden, um sich zu verbergen und Festnahme und Deportation zu vermeiden«.

»In der ersten Zeit ist mit Franktireur- oder Partisanenkämpfen zu rechnen, deshalb ist eine Bewaffnung nötig...«

Informations-Material war zusammenzustellen, das zum Beispiel folgende Notizen enthielt: »festzunehmen»... »zu liquidieren«..... »zu konfiszieren«.... »Paß entziehen« usw.

Der Plan sah die zeitweise Aufteilung des Landes in größere und kleinere Gebietsteile vor, und erwog verschiedene sogenannte »Vorschläge« zur Einverleibung der »Bewohner und Gebietsteile der Tschechoslowakei in das Deutsche Reich. Der endgültige »Vorschlag« bezog das ganze Land ein, einschließlich der Slowakei und Karpatho-Rußland mit einer Bevölkerung von fast 15 Millionen Menschen.

In gewisser Hinsicht wurde dieser Plan im September nach dem Münchner Abkommen geändert; aber die Tatsache, daß er in so genauen Einzelheiten vorlag und in so kriegerische Sprache gekleidet war, bewies einen ausgeklügelten Entschluß zur Anwendung von Gewalt.

Am 31. August 1938 billigte Hitler ein Memorandum Jodls vom 24. August 1938, das sich mit der zeitlichen Anordnung für den Einfall in die Tschechoslowakei und der Frage der Verteidigungsmaßnahmen befaßte. Dieses Memorandum enthielt den folgenden Satz:

»Die Aktion ›Grün‹ wird ausgelöst durch einen Zwischenfall in der Tschechei, der Deutschland den Anlaß zum militärischen Eingreifen gibt. Die Bestimmung des Zeitpunktes dieses Zwischenfalls nach Tag und Stunde ist von größter Bedeutung.«

Diese Tatsachen beweisen, daß die Besetzung der Tschechoslowakei schon lange vor der Konferenz von München in ihren Einzelheiten geplant war.

Im September 1938 wurden die Konferenzen und Gespräche mit den militärischen Führern fortgesetzt. Angesichts der außergewöhnlich kritischen Lage, die sich ergeben hatte, flog der britische Premierminister Mr. Chamberlain nach München und dann weiter nach Berchtesgaden, um Hitler zu besuchen. Am 22. September 1938 traf sich Mr. Chamberlain mit Hitler zu weiteren Besprechungen in Bad Godesberg. Am 26. September 1938 bemerkte Hitler in einer Rede in Berlin über diese Unterhaltung:

»Und ich habe ihm weiter versichert, und wiederhole es hier, daß es – wenn dieses Problem gelöst ist – für Deutschland in Europa kein territoriales Problem mehr gibt! Und ich habe ihm weiter versichert, daß in dem Augenblick, in dem die Tsche choslowakei ihre Probleme löst, das heißt, in dem die Tschechen mit ihren anderen Minderheiten sich auseinandergesetzt haben, und zwar friedlich und nicht durch Unterdrückung, daß ich dann am tschechischen Staat nicht mehr interessiert bin. Und das wird ihm garantiert! Wir wollen gar keine Tschechen!«

Am 29. September 1938, nach einer Konferenz zwischen Hitler und Mussolini und den britischen und französischen Premierministern in München wurde das Münchener Abkommen unterzeichnet, durch das die Tschechoslowakei ersucht wurde, der Abtrennung des Sudetenlandes an Deutschland zuzustimmen.

Das »Stück Papier«, welches der britische Ministerpräsident nach London zurückbrachte, und das von ihm selbst und von Hitler unterzeichnet war, drückte die Hoffnung aus, daß Großbritannien und Deutschland in Zukunft ohne Krieg miteinander, leben könnten. Daß Hitler niemals die Absicht hatte, sich an das Münchener Abkommen zu halten, wird durch die Tatsache bewiesen, daß er kurz darauf den Angeklagten Keitel um Mitteilung bat, welche militärischen Kräfte seiner Meinung nach erforderlich seien, um jeden tschechischen Widerstand in Böhmen und Mähren zu brechen. Keitel antwortete am 11. Oktober 1938. Am 21. Oktober 1938 erließ Hitler einen durch den Angeklagten Keitel gegengezeichneten Befehl an die Wehrmacht über ihre zukünftigen Aufgaben; dieser besagte Folgendes:

»Erledigung der Rest-Tschechei.

Es muß möglich sein, die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu können, wenn sie etwa eine deutsch-feindliche Politik betreiben würde«.

Es ist nicht notwendig, das Beweismaterial über die Ereignisse der darauffolgenden Monate zu überprüfen. Am 14. März 1939 kamen auf Einladung Hitlers der tschechische Staatspräsident Hacha und sein Außenminister Chvalkowsky nach Berlin, um einer Zusammenkunft beizuwohnen, bei der neben anderen die Angeklagten Ribbentrop, Göring und Keitel anwesend waren. Es wurde Hacha eröffnet, falls er ein Abkommen über die sofortige Einverleibung des tschechischen Volkes in das Deutsche Reich unterzeichne, Böhmen und Mähren vor der Zerstörung gerettet würden. Es wurde ihm ferner mitgeteilt, die deutschen Truppen hätten bereits Marschbefehl erhalten und jeder Widerstand würde gewaltsam gebrochen werden. Der Angeklagte Göring fügte die Drohung hinzu, er werde Prag vollständig von der Luft her zerstören. Vor diese schreckliche Wahl gestellt, unterzeichnete Hacha und sein Außenminister um 4.30 Uhr morgens, und Hitler und Göring gaben im Namen Deutschlands dem erzwungenen Abkommen ihre Unterschrift.

Am 15. März besetzten deutsche Truppen Böhmen und Mähren, und am 16. März wurde die deutsche Verordnung, welche Böhmen und Mähren in Gestalt eines Protektorats dem Reich einverleibte, erlassen; diese Verordnung war von den Angeklagten Ribbentrop und Frick unterzeichnet.