Plünderung öffentlichen und privaten Eigentums.
Artikel 49 der Haager Konvention bestimmt, daß eine Besatzungsmacht das Recht habe, in dem besetzten Gebiet Auflagen in Geld zu erheben, um die Bedürfnisse des Besatzungsheeres und der Verwaltung dieses Gebietes zu decken. Artikel 52 der Haager Konvention sieht vor, daß die Besatzungsmacht Naturalleistungen nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres fordern kann und daß diese Forderungen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen müssen. Diese Artikel, im Zusammenhang mit Artikel 48, der sich auf die Verwendung der Steuereinkünfte bezieht, und den Artikeln 53, 55 und 56, die sich mit öffentlichem Eigentum beschäftigen, machen es klar, daß unter den Kriegsregeln das Wirtschaftssystem eines besetzten Landes nur zur Tragung der Besatzungskosten herangezogen werden kann, und daß diese nicht größer sein dürfen, als billigerweise von der Wirtschaft des Landes zu erwarten ist. Artikel 56 lautet folgendermaßen:
»Das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und der Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, ist als Privateigentum zu behandeln.
Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden.«
Das Beweismaterial im vorliegenden Falle hat jedoch gezeigt, daß die von Deutschland besetzten Gebiete für den deutschen Kriegseinsatz in der unbarmherzigsten Weise ausgebeutet wurden, ohne Rücksichtnahme auf die örtliche Wirtschaft und in Verfolg vorbedachter Planung und Politik. Tatsächlich lag systematisch »Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums« vor, die vom Artikel 6 b des Statuts als verbrecherisch bezeichnet wurde.
Die deutsche Besatzungspolitik wurde klar in einer Rede festgelegt, die der Angeklagte Göring am 6. August 1942 vor verschiedenen deutschen Besatzungsbehörden hielt:
»Sie sind weiß Gott nicht dorthin geschickt worden, um für die Wohlfahrt der Leute unter Ihrer Aufsicht zu sorgen, sondern um das meiste aus ihnen herauszuholen, damit das deutsche Volk leben kann. Dies erwarte ich von Ihren Bemühungen. Diese ewige Sorge für andere Leute muß nun ein für allemal aufhören. Ich habe hier Berichte vorliegen über das, was Sie abliefern sollen. Es ist nichts im Vergleiche zu Ihren Gebieten. Es ist mir völlig gleichgültig, ob Sie mir daraufhin sagen, daß Ihre Leute hungern werden.«
Die zur völligen Ausbeutung der Wirtschaftsquellen der besetzten Gebiete benutzten Methoden waren bei jedem einzelnen Land verschieden. In einigen der besetzten Länder im Osten und Westen wurde die Ausbeutung im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung durchgeführt. Die örtlichen Industrien wurden unter Aufsicht gestellt, und die Verteilung der Kriegsmaterialien wurde aufs schärfste kontrolliert. Die für den deutschen Kriegseinsatz als wertvoll betrachteten Industrien wurden gezwungen, weiterzuarbeiten, die meisten der übrigen wurden ganz stillgelegt. Rohstoffe und Fertigerzeugnisse wurden gleichermaßen für die Bedürfnisse der deutschen Industrie beschlagnahmt. Schon am 19. Oktober 1939 hatte der Angeklagte Göring eine Weisung ausgegeben, die genaue Richtlinien für die Verwaltung der besetzten Gebiete enthielt; sie sah vor:
»Die Aufgabenstellung für die wirtschaftliche Behandlung der einzelnen Verwaltungsbezirke ist verschieden, je nachdem, ob es sich um Land handelt, welches dem Deutschen Reich politisch angegliedert wird, oder um das Generalgouvernement, das voraussichtlich nicht zum Reichsgebiet geschlagen werden wird. Während in den erstgenannten Bezirken der Auf- und Ausbau der Wirtschaft, die Erhal tung ihrer Produktionskraft und ihrer Vorräte, und die möglichst rasche und vollständige Eingliederung in die gesamtdeutsche Wirtschaft zu betreiben ist, müssen aus den Gebieten des Generalgouvernements alle für die deutsche Kriegswirtschaft brauchbaren Rohstoffe, Altstoffe, Maschinen usw. herausgenommen werden. Betriebe, die nicht für die notdürftige Aufrechterhaltung des nackten Lebens der Bewohnerschaft unbedingt notwendig sind, müssen nach Deutschland überführt werden, soweit nicht die Überführung unverhältnismäßig viel Zeit erfordert und deshalb ihre Beschäftigung mit deutschen Aufträgen an Ort und Stelle zweckmäßiger ist.«
Auf Grund dieser Anordnung wurden landwirtschaftliche Erzeugnisse, Rohstoffe, die von deutschen Fabriken benötigt wurden, Maschinen, Werkzeuge, Verkehrsmittel, andere Fertigerzeugnisse und sogar ausländische Wertpapiere und Devisenguthaben beschlagnahmt und nach Deutschland gesandt. Diese Vermögenswerte wurden in einer Weise beschlagnahmt, die in keinem Verhältnis zu den wirtschaftlichen Kräften jener Länder stand, und führten zu Hungersnot, Inflation und einem lebhaften schwarzen Markt. Zunächst versuchten die deutschen Besatzungsbehörden den schwarzen Markt zu unterdrücken, da er dazu diente, ordentliche Erzeugnisse in einer Weise zu vertreiben, die sie den Händen der Deutschen entzog. Als die Versuche der Unterdrückung fehlschlugen, wurde eine deutsche Einkaufszentrale organisiert, um auf dem schwarzen Markt für Deutschland einzukaufen, und so dafür zu sorgen, daß die Versicherung des Angeklagten Göring eingehalten werde »es sei notwendig, daß jedermann wisse, daß, wenn irgendwo Hungersnot herrsche, dies keinesfalls in Deutschland der Fall sein werde«.
In vielen der besetzten Länder im Osten und Westen hielten die Behörden den Anschein aufrecht, als ob sie für alles beschlagnahmte Gut bezahlten. Dieser mühsam aufrecht erhaltene Vorwand einer Zahlung verbarg nur die Tatsache, daß die aus diesen besetzten Ländern nach Deutschland geschickten Güter von den besetzten Ländern selbst bezahlt wurden, und zwar entweder durch die Aufrechnung mit übermäßigen Besatzungskosten, oder aber durch Zwangsanleihen als Gegenleistung für einen Kreditsaldo, eines sogenannten »Clearing-Konto«, welches nur dem Namen nach ein Konto war.
In den meisten besetzten Ländern des Ostens wurde sogar dieser Vorwand von Gesetzlichkeit nicht aufrecht erhalten; wirtschaftliche Ausbeutung wurde zu vorsätzlicher Plünderung. Diese Politik wurde zuerst in der Verwaltung des Generalgouvernements in Polen in die Tat umgesetzt. In der Hauptsache erstreckte sich die Ausbeutung der Rohprodukte des Ostens auf landwirtschaftliche Erzeugnisse, und bedeutende Mengen an Lebensmitteln wurden vom Generalgouvernement nach Deutschland transportiert.
Das Beweismaterial über eine weitverbreitete Hungersnot des polnischen Volkes im Generalgouvernement deutet auf die Rücksichtslosigkeit und die Härte hin, mit der die Ausbeutungspolitik betrieben wurde.
Die Besetzung der Gebiete der USSR war eine durch eine vorsätzliche und systematische Plünderung gekennzeichnete. Vor dem Angriff auf die USSR wurde ein Wirtschaftsstab – Ödenburg – aufgestellt, um eine möglichst wirksame Ausbeutung der Sowjet- Gebiete zu gewährleisten. Die deutschen Armeen sollten aus dem Sowjet-Gebiet -verpflegt werden, auch wenn »viele Millionen Menschen verhungern würden«. Ein vor dem Angriff erteilter OKW-Befehl lautet wie folgt:
»Die größtmöglichste Menge Nahrungsmittel und Rohöle für Deutschland zu erhalten – das ist der hauptsächlichste wirtschaftliche Zweck des Feldzuges.«
In gleicher Weise hatte eine Erklärung des Angeklagten Rosenberg vom 20. Juni 1941 die Verwendung von Erzeugnissen Südrußlands und des nördlichen Kaukasus zum Zwecke der Verpflegung des deutschen Volkes empfohlen, und zwar wie folgt:
»Wir sehen durchaus nicht die Verpflichtung ein, aus diesen Überschußgebieten das russische Volk mit zu ernähren. Wir wissen, daß das eine harte Notwendigkeit ist, die außerhalb jeden Gefühls steht.«
Nach der Besetzung des Sowjet-Gebietes wurde diese Politik in die Tat umgesetzt. Es fanden Beschlagnahmungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse in großem Umfange unter vollständiger Mißachtung der Bedürfnisse der Bewohner des besetzten Gebietes statt.
Zu der Beschlagnahme von Rohmaterialien und Fertigerzeugnissen kam eine groß angelegte Beschlagnahme von Kunstschätzen, Möbeln, Spinnstoffen und ähnlichen Erzeugnissen in allen besetzten Ländern.
Am 29. Januar 1940 wurde der Angeklagte Rosenberg durch Hitler zum Leiter der Zentralstelle für nationalsozialistische Weltanschauungs- und Erziehungsforschung ernannt, und dadurch übte die als »Einsatzstab Rosenberg« bekannte Organisation ihre Tätigkeit in größtem Maßstabe aus. Ursprünglich damit beauftragt, eine Forschungsbibliothek zu gründen, entwickelte sie sich jedoch am 1. März 1942 zu einem Plan für die Beschlagnahme von Kulturschätzen. Hitler erließ eine weitere Verordnung, durch welche Rosenberg ermächtigt wurde, Bibliotheken, Logen und kulturelle Einrichtungen zu durchsuchen und Material aus diesen Institutionen, sowie in jüdischem Besitz befindliche Kulturschätze zu beschlagnahmen. Ähnliche Befehle wurden erteilt für Fälle, in denen sich der Besitzer nicht einwandfrei ermitteln ließ. In der Verordnung wurde das Oberkommando der Wehrmacht zur Mitarbeit angewiesen, und es wurde darauf hingewiesen, daß Rosenberg's Tätigkeit im Westen in seiner Eigenschaft als Reichsleiter und im Osten als derjenigen als Reichsminister durchgeführt werden sollte. Später wurden Rosenberg's Befugnisse auf die besetzten Länder ausgedehnt. Der Bericht von Robert Scholz, Chef des Sonderstabes »Bildende Kunst«, gab an:
»In der Zeit vom März 1941 bis Juli 1944 wurden vom Sonderstab »Bildende Kunst« 29 große Transporte ins Reich verbracht. Diese umfaßten 137 Waggons mit 4174 Kisten mit Kunstwerken.«
Scholz' Bericht bezieht sich auf 25 Bildermappen der wertvollsten Werke aus den im Westen beschlagnahmten Kunstsammlungen. Diese Mappen wurden dem Führer überreicht. 39 vom Einsatzstab zusammengestellte Bände enthielten Lichtbilder von Gemälden, Textilien, Möbeln, Kandelabern und zahlreichen anderen Kunstgegenständen, und erläuterten Wert und Bedeutung der zusammengestellten Sammlungen. In vielen besetzten Ländern wurden Privatsammlungen ausgeraubt, Bibliotheken geplündert und Privathäuser bestohlen.
Museen, Paläste und Bibliotheken der besetzten Gebiete der USSR wurden systematisch ausgeplündert. Rosenberg's Einsatzstab, Ribbentrop's »Sonder- Bataillon«, die Reichskommissare und die Vertreter des Militärkommandos beschlagnahmten kulturelle und historisch wertvolle Gegenstände, die Eigentum der Bevölkerung der Sowjetunion »waren, und brachten sie nach Deutschland. Der Reichskommissar für die Ukraine zum Beispiel, schaffte Gemälde und Kunstgegenstände aus Kiew und Charkow fort und sandte sie nach Ostpreußen. Seltene Bücher und Kunstgegenstände aus den Palästen von Peterhof, Zarskoje Selo und Pawlowsk wurden nach Deutschland abtransportiert. In seinem Brief an Rosenberg vom 3. Oktober 1941 erwähnte Reichskommissar Kube, daß sich der Wert der aus Weiß-Rußland fortgeschafften Kunstgegenstände auf mehrere Millionen Rubel belaufe. Die Ausmaße dieser Plünderung sind ferner ersichtlich aus einem der Dienststelle Rosenberg an von Milde-Schreden gesandten Brief, in welchem erwähnt wird, daß allein im Monat Oktober 1943 ungefähr 40, mit kulturellen Wertgegenständen beladene Güterwagen, nach Deutschland geleitet worden waren.
Hinsichtlich des Einwandes, daß die Beschlagnahme von Kunstgegenständen eine Schutzmaßnahme darstellte und zu deren Erhaltung durchgeführt wurde, ist es notwendig, einige Worte zu sagen. Am 1. Dezember 1939 erließ Himmler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, eine Verordnung an die örtlichen Gestapo-Beamten in den einverleibten Ostgebieten und die Kommandeure des SD in Radom, Warschau und Lublin. Diese Verordnung enthielt Durchführungsbestimmungen für die Beschlagnahme von Kunstgegenständen; Artikel 1 lautet wie folgt:
»Um das Deutschtum in der Verteidigung des Reiches zu stärken, werden alle im Absatz 2 dieser Verfügung aufgeführten Gegenstände hiermit beschlagnahmt... Sie werden zu Gunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt und dem Reichskommissar für die Stärkung des deutschen Volkstums zur Verfügung gestellt.«
Die Absicht, Deutschland durch dieses Beschlagnahmen zu bereichern und nicht etwa die beschlagnahmten Gegenstände sicherzustellen, geht aus einem undatierten Bericht von Dr. Hans Posse, dem Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie in Dresden, hervor:
»In Krakau und Warschau habe ich mir einen Einblick in die öffentlichen und privaten Sammlungen, sowie den kirchlichen Besitz verschafft. Es bestätigte sich, daß außer den uns in Deutschland bereits bekannten Kunstwerten höheren Ranges (zum Beispiel dem Veit-Stoß-Altar und den Tafeln des Hans von Kulmbach aus der Marienkirche in Krakau)... und einigen Werken des Nationalmuseums in Warschau, nicht allzuviel für eine Bereicherung des deutschen Besitzes an hoher Kunst (Malerei und Plastik) vorhanden ist.«