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Generalstab und Oberkommando

der Wehrmacht.

Die Anklagevertretung hat auch verlangt, den Generalstab und Oberkommando der deutschen Wehrmacht zu einer verbrecherischen Organisation zu erklären. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Generalstab und Oberkommando nicht für verbrecherisch erklärt werden sollte. Ist auch die Anzahl der beschuldigten Personen größer als im Falle der Reichsregierung, so ist sie doch so klein, daß Einzelprozesse gegen diese Offiziere den hier verfolgten Zweck besser erreichen würden, als die verlangte Erklärung. Aber ein noch zwingenderer Grund ist nach der Meinung des Gerichtshofes darin zu ersehen, daß Generalstab und Oberkommando weder eine »Organisation«, noch eine »Gruppe« im Sinne der im Artikel 9 des Statuts gebrauchten Bezeichnungen ist.

Einige erläuternde Worte über den Charakter dieser angeblichen Gruppe sind angezeigt. Laut Anklageschrift und gemäß dem Beweismaterial, das dem Gerichtshof vorgelegt wurde, besteht sie aus annähernd 130 lebenden und verstorbenen Offizieren, die zu irgendeinem Augenblick in der Zeit zwischen Februar 1938, als Hitler die Wehrmacht reorganisierte, und Mai 1945, als Deutschland kapitulierte, bestimmte Stellungen in der militärischen Hierarchie bekleideten. Diese Männer waren Offiziere von hohem Rang in den drei Wehrmachtsteilen: OKH – Heer, OKM – Marine und OKL – Luftwaffe.

Über ihnen stand die höchste Wehrmachtsstelle, das OKW – das Oberkommando der Wehrmacht, mit Hitler als Oberstem Befehlshaber. Die Offiziere des OKW, mit Einschluß des Angeklagten Keitel als Chef des Oberkommandos, waren in gewissem Sinne Hitlers persönlicher Stab. Im weiteren Sinne koordinierten und leiteten sie die drei Wehrmachtsteile, wobei besonderer Nachdruck auf die Planungsarbeit und die Operationen gelegt wurde.

Die einzelnen Offiziere dieser angeblichen Gruppe befanden sich zu einem oder dem anderen Zeitpunkt in einer der vier Kategorien:

1 Oberbefehlshaber einer der drei Wehrmachtsteile,

2 Stabschef einer der drei Wehrmachtsteile,

3 Oberbefehlshaber, das sind die obersten Befehlshaber im Felde in einem der drei Wehrmachtsteile. Sie stellten selbstverständlich die bei weitem größte Anzahl dieser Personen; oder

4 Offiziere des OKW, deren es drei gab, nämlich die Angeklagten Keitel, Jodl und den Stellvertreter des letzteren, Warlimont.

Dies ist die Bedeutung der in der Anklageschrift verwendeten Bezeichnung »Generalstab und Oberkommando«.

Die Anklagevertretung hat hier eine Abgrenzung vorgenommen. Sie erhebt keine Anklage gegen die nächste Ranggruppe der militärischen Hierarchie, die aus Kommandeuren der Armeekorps und gleichgestellten Offizieren der Marine und Luftwaffe bestand, noch gegen die nachfolgende Ranggruppe, die Divisionskommandeure oder gleichrangige Offiziere der anderen Waffengattungen umfaßte. Die Stabsoffiziere der vier Stabkommandos, nämlich des OKW, OKH, OKM und OKL, sind nicht inbegriffen, ebensowenig die geschulten Fachoffiziere, die gewöhnlich als Generalstabsoffiziere bezeichnet werden.

Die als Mitglieder Angeklagten sind also tatsächlich die militärischen Führer Deutschlands von höchstem Rang. Es wurde kein ernstlicher Versuch gemacht, zu behaupten, daß sie eine »Organisation« im Sinne des Artikels 9 bilden. Die Behauptung lautet eher dahin, daß sie eine »Gruppe« waren, was eine weitere und umfassendere Bezeichnung ist, als »Organisation«.

Der Gerichtshof erkennt nicht in diesem Sinne. Nach den vorgelegten Beweisen war ihre Planungstätigkeit in den Stäben, die ständigen Besprechungen zwischen Stabsoffizieren und Feldkommandeuren, ihre Operationstechnik im Felde und in den Stabsquartieren, so ziemlich die gleiche, wie bei den Armeen, Marinen und Luftwaffen aller anderen Länder. Die alles umfassende auf Koordination und Leitung gerichtete Tätigkeit des OKW kann mit einer ähnlichen, wenn auch nicht identischen Organisationsform bei anderen Armeen, wie zum Beispiel den Anglo-Amerikanischen gemeinsamen Stabschefs, verglichen werden.

Aus dieser Schablone ihrer Tätigkeit das Bestehen einer Vereinigung oder Gruppe ableiten zu wollen, ist nach Ansicht des Gerichtshofes nicht folgerichtig. Nach einer solchen Theorie wären die höchsten Kommandanten jeder anderen Nation auch eine solche Vereinigung, statt, was sie wirklich sind, eine Ansammlung von Militärs, eine Anzahl von Personen, die zufällig in einem gegebenen Zeitpunkt die hohen militärischen Stellungen bekleiden.

Ein großer Teil der Beweisrührung und der Erörterungen hat sich um die Frage gedreht, ob die Mitgliedschaft in diesen Organisationen freiwillig war oder nicht. Im vorliegenden Fall scheint dem Gerichtshof diese Frage völlig abwegig zu sein. Denn diese angeblich verbrecherische Organisation hat eine charakteristische Eigenschaft, ein beherrschendes Merkmal, das sie scharf von den übrigen fünf angeklagten Organisationen abhebt. Wenn jemand zum Beispiel Mitglied der SS wurde, so wurde er dies freiwillig oder auf andere Art, aber sicherlich in dem Bewußtem, zu irgend etwas Festgefügtem beizutreten. Im Falle des Generalstabs und Oberkommandos konnte er jedoch nicht wissen, daß er einer Gruppe oder Vereinigung beitrat, denn eine solche Vereinigung gab es nicht, außer in den Beschuldigungen der Anklageschrift. Er wußte nur, daß er einen bestimmten hohen Rang in einem der drei Wehrmachtsteile erlangt hatte, und konnte sich aber der Tatsache nicht bewußt sein, daß er Mitglied von etwas so Greifbarem wie einer »Gruppe« im gebräuchlichen Sinn des Wortes wurde. Seine Beziehungen zu den Kameraden seiner eigenen Waffengattung und seine Verbindungen zu denen der beiden anderen Waffengattungen glichen im allgemeinen den auf der ganzen Welt üblichen Dienstverhältnissen.

Deshalb erklärt der Gerichtshof Generalstab und Oberkommando nicht für eine verbrecherische Organisation.

Obwohl der Gerichtshof der Meinung ist, daß die im Artikel 9 enthaltene Bezeichnung »Gruppe« mehr enthalten muß, als eine Anhäufung von Offizieren, ist ihm doch viel Beweisstoff über die Teilnahme dieser Offiziere an der Planung und Führung des Angriffskrieges und an der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgelegt worden. Dieses Beweisergebnis ist gegen viele von ihnen klar und überzeugend.

Sie sind in großem Maße verantwortlich gewesen für die Leiden und Nöte, die über Millionen Männer, Frauen und Kinder gekommen sind. Sie sind ein Schandfleck für das ehrenhafte Waffenhandwerk geworden. Ohne ihre militärische Führung wären die Angriffsgelüste Hitlers und seiner Nazi-Kumpane akademisch und ohne Folgen geblieben. Wenn diese Offiziere auch nicht eine Gruppe nach dem Wortlaut des Statuts bildeten, so waren sie doch sicher eine rücksichtslose militärische Kaste. Der zeitgenössische deutsche Militarismus erlebte mit seinen jüngsten Verbündeten, dem Nationalsozialismus, eine kurze Blütezeit, wie er sie in der Vergangenheit kaum schöner gekannt hat.

Viele dieser Männer haben mit dem Soldateneid des Gehorsams gegenüber militärischen Befehlen ihren Spott getrieben. Wenn es ihrer Verteidigung zweckdienlich ist, so sagen sie, sie hatten zu gehorchen; hält man ihnen Hitlers brutale Verbrechen vor, deren allgemeine Kenntnis ihnen nachgewiesen wurde, so sagen sie, sie hätten den Gehorsam verweigert.

Die Wahrheit ist, daß sie an all diesen Verbrechen rege teilgenommen haben oder in schweigender Zustimmung verharrten, wenn vor ihren Augen größer angelegte und empörendere Verbrechen begangen wurden, als die Welt je zu sehen das Unglück hatte. Dies mußte gesagt werden. Wo es der Sachverhalt rechtfertigt, sollen diese Leute vor Gericht gestellt werden, damit jene unter ihnen, die dieser Verbrechen schuldig sind, ihrer Bestrafung nicht entgehen.