Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.
Es sind Beweise für die Teilnahme der Parteikanzlei unter Heß an der Weiterleitung von Befehlen vorhanden, die mit der Begehung von Kriegsverbrechen in Verbindung stehen; diese Befehle zeigen, daß Heß Kenntnis von den im Osten begangenen Verbrechen gehabt haben muß – selbst wenn er sich nicht an ihnen beteiligte – daß er Gesetze gegen die Juden und Polen vorschlug und daß er Erlasse unterschrieb, die gewisse Gruppen von Polen dazu zwangen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Der Gerichtshof glaubt jedoch nicht, daß dieses Beweismaterial gegen Heß ausreicht, um auf diese Verbrechen einen Schuldspruch zu begründen.
Wie bereits früher erwähnt, entschied der Gerichtshof nach eingehender ärztlicher Untersuchung des Angeklagten und nach Berichterstattung über seinen Zustand, daß gegen ihn ohne Vertagung verhandelt werden sollte. Seit dieser Zeit wurden weitere Anträge gestellt, ihn nochmals untersuchen zu lassen. Diese wurden vom Gerichtshof abgelehnt, nachdem er einen Bericht des Gefangenenpsychologen erhalten hatte. Es mag zutreffen, daß Heß sich anormal benimmt, an Gedächtnisschwund leidet und daß im Verlauf dieses Prozesses sein Geisteszustand sich verschlechtert hat. Jedoch liegen keine Anzeichen dafür vor, er begreife nicht die Art der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen, oder sei unfähig, sich zu verteidigen. Er war im Verfahren in geeigneter Weise durch einen Verteidiger vertreten, der vom Gerichtshof für diesen Zweck bestellt worden war. Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß Heß geistig nicht völlig gesund war, als die Taten, deren er beschuldigt ist, begangen wurden.
Schlußfolgerung.
Der Gerichtshof erklärt den Angeklagten Heß unter Punkt 1 und 2 der Anklage schuldig, dagegen für nicht schuldig unter Punkt 3 und 4.
Ribbentrop.
Ribbentrop ist nach allen 4 Punkten angeklagt. Der Nazi-Partei trat er 1932 bei. Um 1933 wurde er außenpolitischer Ratgeber Hitlers, und im selben Jahre wurde er außenpolitischer Vertreter der Nazi-Partei. 1934 wurde er zum Delegierten für Abrüstungsfragen ernannt, und im Jahre 1935 wurde er Botschafter zur besonderen Verwendung, in welcher Eigenschaft er das englisch-deutsche Flottenabkommen im Jahre 1935 und im Jahre 1936 den Anti-Kominternpakt abschloß. Am 11. August 1936 wurde er zum Botschafter in England ernannt. Am 4. Februar 1938 wurde er von Neuraths Nachfolger als Reichsaußenminister im Zuge des allgemeinen Revirements, das den Entlassungen von Fritschs und von Blombergs folgte.
Verbrechen gegen den Frieden.
Bei der am 5. November 1937 abgehaltenen Hoßbach-Besprechung war Ribbentrop nicht zugegen, jedoch schickte er am 2. Januar 1938, während er noch Botschafter in England war, eine Denkschrift an Hitler, in der er seiner Meinung Ausdruck gab, eine Änderung des Status quo im deutschen Sinne könne nur mit Gewalt durchgeführt werden; er schlug Maßnahmen vor, um England und Frankreich von einer Einmischung in einen europäischen Krieg abzuhalten, der ausgefochten werden müßte, wenn eine solche Änderung herbeigeführt werde. Als Ribbentrop Außenminister wurde, erklärte ihm Hitler, Deutschland habe noch vier Probleme zu lösen; Österreich, das Sudetenland, Memel und Danzig, und erwähnte die Möglichkeit, sie durch »irgendeine endgültige Auseinandersetzung« oder »militärische Erledigung« zu lösen.
Am 12. Februar 1938 wohnte Ribbentrop der Besprechung zwischen Hitler und Schuschnigg bei, bei der Hitler durch Androhung einer Invasion Schuschnigg dazu zwang, eine Reihe von Zugeständnissen zu machen, die der Stärkung der Nazis in Österreich dienen sollten, ebenso die Ernennung Seyß-Inquarts zum Minister für Sicherheit und innere Angelegenheiten einschließlich der Kontrolle der Polizei. Ribbentrop befand sich in London, als die eigentliche Besetzung Österreichs durchgeführt wurde; auf Grund der ihm von Göring erteilten Auskünfte unterrichtete er die Britische Regierung dahin, Deutschland habe Österreich kein Ultimatum gestellt, sondern in Österreich nur eingegriffen, um einen Bürgerkrieg zu verhüten. Am 13. März 1938 unterzeichnete Ribbentrop das Gesetz über die Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich.
Ribbentrop nahm an den Angriffsplänen gegen die Tschechoslowakei teil. Vom März 1938 an stand er in enger Fühlung mit der Sudetendeutschen Partei und gab ihr Anweisungen; diese hatten die Wirkung, das sudetendeutsche Problem als Lebensfrage, zum Vorwand für den von Deutschland gegen die Tschechoslowakei geplanten Angriff zu machen. Im August 1938 nahm er an einer Besprechung teil, die bezweckte, die Unterstützung Ungarns im Falle eines Krieges gegen die Tschechoslowakei zu erlangen. Nach dem Münchner Abkommen fuhr er fort, diplomatischen Druck mit dem Ziel auszuüben, den übrigen Teil der Tschechoslowakei zu besetzen. Er beteiligte sich an der Beeinflussung der Slowaken, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Er war bei der Besprechung vom 14. und 15. März zugegen, bei der Hitler durch Androhung einer Invasion den Präsidenten Hacha dazu nötigte, der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei zuzustimmen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen unterzeichnete Ribbentrop das Gesetz, durch das ein Protektorat für Böhmen und Mähren errichtet wurde.
Ribbentrop spielte eine besonders bedeutungsvolle Rolle bei den diplomatischen Vorgängen, die zum Angriff auf Polen führten. Er nahm an einer Besprechung vom 12. August 1939 teil, die dem Zweck diente, die Unterstützung Italiens für den Fall zu erlangen, der Angriff würde zu einem allgemeinen europäischen Krieg führen. Ribbentrop besprach die deutschen, sich auf Danzig und den polnischen Korridor beziehenden Forderungen in der Zeit vom 25. bis zum 30. August 1939 mit dem britischen Botschafter; er wußte damals, daß die deutschen Pläne für den Angriff auf Polen lediglich vorübergehend deshalb verschoben worden waren, um den Versuch zu machen, die Engländer zur Aufgabe ihrer den Polen gegebenen Garantie zu bewegen. Die Art und Weise, in der er diese Besprechungen durchführte, läßt klar erkennen, daß er dabei nicht etwa in gutem Glauben den Versuch machen wollte, eine Beilegung der zwischen Polen und Deutschland bestehenden Schwierigkeiten zu erreichen.
Ribbentrop wurde im voraus von den Angriffen auf Norwegen und Dänemark und dem Angriff auf Holland und Belgien unterrichtet und bereitete die amtlichen Noten des Auswärtigen Amtes vor, die den Versuch darstellten, diese Angriffshandlungen zu rechtfertigen.
Ribbentrop wohnte der Konferenz vom 20. Januar 1941 bei, bei der Hitler und Mussolini den vorgeschlagenen Angriff auf Griechenland besprachen, sowie der Konferenz im Januar 1941, bei der Hitler von Antonescu die Erlaubnis zum Durchmarsch deutscher Truppen durch Rumänien zu diesem Angriff erhielt. Als Jugoslawien sich am 25. März 1941 dem Dreimächtepakt der Achse anschloß, versicherte Ribbentrop, daß Deutschland die Souveränität und territoriale Unverletzlichkeit Jugoslawiens achten werde. Am 27. März 1941 wohnte er der nach dem jugoslawischen Staatsstreich abgehaltenen Besprechung bei, in der die Pläne zu der von Hitler bekanntgegebenen Absicht entworfen wurden, Jugoslawien zu vernichten.
Im Mai 1941 wohnte Ribbentrop einer Konferenz zwischen Hitler und Antonescu bei, die sich mit der Teilnahme Rumäniens am Angriff auf die USSR beschäftigte. Mit Rosenberg hat er sich außerdem über die Vorplanung für die politische Ausbeutung der Sowjetgebiete beraten und im Juli 1941, nach Ausbruch des Krieges, redete er Japan dringend zu, die Sowjetunion anzugreifen.