[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen in geschlossener Sitzung tagen, um sich mit Angelegenheiten des Verfahrens zu befassen. Daher wird morgen keine öffentliche Sitzung stattfinden.
OBERST TAYLOR: Hoher Gerichtshof! Ich habe nun noch ein weiteres Dokument, das sich mit diesem Thema des Aufbaus der Gruppe beschäftigt, bevor ich zur Substantiierung der Anklage übergehe.
Dies Dokument D-78 liegt bereits als US-139 vor und ist in Band II des Dokumentenbuchs zu finden. Dieses Schriftstück ist ein dienstlicher Befehl zur Teilnahme an einer Sitzung in der Reichskanzlei am 14. Juni 1941, acht Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion. Es ist eine der Zusammenkünfte, die im letzten Absatz der heute Vormittag zu Protokoll gegebenen eidesstattlichen Erklärungen von Halder und von Brauchitsch erwähnt sind. Der Befehl ist von Oberst Schmundt, dem Chefadjutanten der Wehrmacht bei Hitler, unterzeichnet und ist datiert: Berchtesgaden, den 9. 6. 1941. Er beginnt:
»Betr.: Besprechung ›Barbarossa‹.« – Es ist dies das Kennwort für den Angriff auf die Sowjetunion – »Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hat Vortrag für ›Barbarossa‹ durch die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und gleichgestellte Befehlshaber der Kriegsmarine und Luftwaffe befohlen.«
Wie der Gerichtshof wiederum sehen wird, ist dies dieselbe Gruppe, die auf der letzten Linie unten auf der Tafel an der Wand verzeichnet ist, Oberbefehlshaber, Heeresgruppen und Armeen sowie gleichrangige Marine- und Luftwaffen-Befehlshaber.
Das Schriftstück enthält gleichfalls eine Liste der Teilnehmer an dieser Besprechung, und ich möchte zum Abschluß des Themas diese Liste durchgehen, um darzulegen, wer die Teilnehmer an dieser Besprechung waren, und wie nahe sie dem Aufbau der in der Anklageschrift genannten Gruppe gleichkommen. Der Gerichtshof wird sehen, daß die Liste der Teilnehmer am Ende der ersten Seite der Übersetzung beginnt:
Generalfeldmarschall von Brauchitsch, damals Oberbefehlshaber der Armee und Mitglied der Gruppe; Generaloberst Halder, Chef des Generalstabs des Heeres und Mitglied der Gruppe; dann drei Unterbefehlshaber, die nicht Mitglieder der Gruppe waren: Paulus, Heusinger und Gyldenfeldt.
Kriegsmarine: Kapitän zur See Wagner, Chef des Stabes der Operationsabteilung der Seekriegsleitung, nicht Mitglied der Gruppe. Seitens der Luftwaffe: General Milch, Staatssekretär und Inspekteur der Luftwaffe, ebenfalls kein Mitglied der Gruppe; General Jeschonnek, Chef des Generalstabs der Luftwaffe und Mitglied der Gruppe; ferner zwei seiner Mitarbeiter.
Zum Oberkommando der Wehrmacht übergehend finden wir, daß Keitel, Jodl und Warlimont, alles Mitglieder der Gruppe, anwesend waren, ferner ein Hilfsoffizier des Generalstabs.
Dann vier Offiziere der Adjutantur, die nicht Mitglieder der Gruppe waren.
Wir gehen nun zu den Truppenbefehlshabern des Feldheeres über: Generaloberst von Falkenhorst, Armee-Oberkommando Norwegen, Mitglied der Gruppe; Generaloberst Stumpff, Luftflotte 5, Mitglied der Gruppe; Rundstedt, Reichenau, Stülpnagel, Schober, Kleist, alle vom Heer und sämtlich Mitglieder der Gruppe.
Luftwaffe: Generaloberst Löhr, Luftflotte 4, Mitglied der Gruppe.
Generaloberst Fromm und Generaloberst Udet waren nicht Mitglieder. Der eine war Befehlshaber des Ersatzheeres und der andere Generalluftzeugmeister.
Marine: Raeder, Mitglied der Gruppe, Fricke, Chef des Stabes Seekriegsleitung und Mitglied der Gruppe; und ein Assistent, der kein Mitglied war; Carls, Marine-Gruppe Nord, Mitglied der Gruppe; ebenso Schmundt.
Dann von der Armee: Leeb, Busch, Küchler, alle als Oberbefehlshaber Mitglieder der Gruppe; Keller, ein Mitglied der Gruppe; Bock, Kluge, Strauß, Guderian, Hoth, Kesselring, sämtlich Mitglieder der Gruppe.
Man kann also ersehen, daß mit Ausnahme einiger Hilfsoffiziere mit verhältnismäßig niedrigem Dienstgrad alle Teilnehmer an diesen Beratungen Mitglieder der Gruppe waren, wie sie in der Anklageschrift bezeichnet ist, und daß in der Tat die Teilnehmer fast alle Mitglieder der Gruppe umfaßten, die mit den bevorstehenden Operationen gegen die Sowjetunion zu tun hatten.
Ich habe nun den ersten Teil der Ausführungen beendet, das heißt, die Beschreibung des Generalstabs und der Oberkommando-Gruppe, deren Zusammensetzung, Aufbau und allgemeine Arbeitsweise. Ich wende mich nun den Anklagen zu, die in der Anklageschrift gegen diese Gruppe erhoben werden.
Anhang B beschuldigt diese Gruppe der Hauptverantwortung für die Planung, Vorbereitung, die Auslösung und Führung der rechtswidrigen Kriege, die in den Anklagepunkten 1 und 2 dargelegt sind, und für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in den Anklagepunkten 3 und 4 näher beschrieben sind.
Bei der Beweisführung zur Unterstützung dieser Anklagen müssen wir im Auge behalten, daß laut Statut die Gruppe für verbrecherisch erklärt werden kann in Verbindung mit allen Handlungen, wegen derer ein einzelner Angeklagter, der Mitglied dieser Gruppe war, verurteilt werden kann.
Die Gruppe Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht ist durch die einzelnen Angeklagten stark vertreten. Fünf Angeklagte, das heißt ein Viertel der Angeklagten gehören der Gruppe an.
Wenn wir sie der Reihe nach hernehmen, kommt zuerst der Angeklagte Göring. Göring ist vor diesem Gerichtshof aus zahlreichen Gründen angeklagt. Kraft seiner Stellung als Oberbefehlshaber der Luftwaffe von deren erstem offenen Auftreten und offizieller Gründung an bis ungefähr einen Monat vor Kriegsende gehörte Göring zu der Gruppe Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht. Während des letzten Kriegsmonats wurde er in dieser Eigenschaft durch von Greim ersetzt, der kurz nach seiner Gefangennahme bei Kriegsende Selbstmord beging. Die Verbrechen, deren Göring bezichtigt wird, fallen unter sämtliche Punkte der Anklageschrift.
Der nächste Angeklagte, der der Gruppe angehört, ist Keitel. Er und die übrigen drei Angeklagten, sind alle vier vorwiegend oder ausschließlich wegen ihrer militärischen Tätigkeit angeklagt, und alle vier sind Berufssoldaten oder Berufsmarineoffiziere.
Keitel wurde Chef des Oberkommandos der Wehrmacht oder des OKW, als das OKW im Jahre 1938 gegründet wurde, und blieb in dieser Stellung während der gesamten einschlägigen Zeit. Den größten Teil dieser Zeit hatte er den Rang eines Feldmarschalls und, abgesehen von seiner Stellung als Chef des OKW, war er Mitglied des Geheimen Kabinettsrats und des Ministerrats für die Reichsverteidigung. Keitel ist unter sämtlichen vier Punkten der Anklageschrift angeklagt.
Der Angeklagte Jodl war Berufssoldat. Als die Nazis zur Macht kamen, war er Oberstleutnant und schließlich rückte er zum Rang eines Generalobersten vor. Er wurde der Chef des Wehrmachtführungsstabs und behielt diese Stellung während des ganzen Krieges. Die Verbrechen, deren er bezichtigt wird, fallen unter sämtliche vier Punkte der Anklageschrift.
Die beiden anderen Angeklagten, die Mitglieder dieser Gruppe waren, gehören der Marine an. Der Angeklagte Raeder ist in gewissem Sinne das älteste Mitglied der gesamten Gruppe, da er bereits im Jahre 1928 Oberbefehlshaber der deutschen Marine war. Er erreichte den höchsten Rang in der deutschen Marine, den des Großadmirals. Er gab das Oberkommando der Kriegsmarine im Januar 1943 ab und wurde durch Dönitz ersetzt. Raeder ist unter den Punkten 1, 2 und 3 der Anklageschrift angeklagt.
Der letzte der fünf Angeklagten, Dönitz, war bei der Machtergreifung der Nazis ein Offizier von verhältnismäßig niedrigem Range. Während der ersten Jahre des Nazi-Regimes spezialisierte er sich auf dem U-Boot-Gebiet und war bei Ausbruch des Krieges Befehlshaber der Unterseeboote. Er rückte in der Kriegsmarine ständig im Range auf, wurde 1943 nach Raeders Rücktritt als dessen Nachfolger ausersehen und damit Oberbefehlshaber der Marine und erhielt den Rang eines Großadmirals. Als die deutsche Wehrmacht bei Kriegsende zusammenbrach, wurde Dönitz Hitlers Nachfolger als deutscher Regierungschef. Dönitz ist unter den Punkten 1, 2 und 3 der Anklageschrift angeklagt.
Vier dieser fünf Angeklagten sind für die Gruppe als Ganzes mehr oder weniger typisch. Wir müssen den Angeklagten Göring ausnehmen, der in erster Linie Nazi-Parteipolitiker war und als Ergebnis seiner Laufbahn 1914 bis 1918 eine Vorliebe für das Flugwesen hatte. Aber die anderen machten das Soldatsein oder das Seemannsein zum Lebensinhalt. Sie arbeiteten mit den Nazis zusammen und beteiligten sich an ihren wichtigsten Abenteuern, aber sie gehörten nicht zu den älteren Parteimitgliedern. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von den anderen 125 Mitgliedern der Gruppe. Sie sind ohne Zweifel in gewisser Beziehung fähigere Leute. Sie rückten in die höchsten Stellungen der deutschen Wehrmacht auf, und alle, mit Ausnahme von Jodl, erreichten den höchsten Rang.
Sie können jedoch als ausgezeichnete Studienobjekte und als Vertreter der Gruppe gelten; wir können ihre Gedanken überprüfen, so wie sie diese in diesen Dokumenten und ihren Handlungen ausgedrückt haben, in der ziemlich sicheren Annahme, daß diese Gedanken und Handlungen auch für die anderen Mitglieder der Gruppe kennzeichnend sind.
Ich wende mich zunächst der verbrecherischen Tätigkeit des Generalstabs und des Oberkommandos der Wehrmacht zu, die unter Punkt 1 und 2 der Anklageschrift fällt, also ihrer Tätigkeit bei der Planung und bei der Verschwörung, rechtswidrige Kriege zu führen. Meine Aufgabe besteht hierbei größtenteils darin, bereits vorgebrachte Dinge wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Das auf den Angriffskrieg bezügliche Beweismaterial ist im wesentlichen dem Hohen Gerichtshof bereits von meinem Kollegen, Herrn Alderman, und von den verehrlichen Mitgliedern der Britischen Delegation vorgelegt worden.
Viele Schriftstücke, auf die die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs gelenkt wurde, zeigten, daß die Angeklagten hier, die der Gruppe Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht angehörten, wissentlich und vorsätzlich an Verbrechen nach Punkt 1 und 2 der Anklageschrift teilgenommen haben. Ich habe die Absicht, nach Möglichkeit die Bezugnahme auf dieses Beweismaterial zu vermeiden; aber ich muß mich doch auf ein oder zwei Beweisstücke beziehen, um die besondere Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Rolle zu lenken, die die Gruppe Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht bei den Verbrechen der Angriffskriege gespielt hat.
Es ist natürlich die normale Aufgabe eines Generalstabs, militärische Pläne vorzubereiten. In Friedenszeiten beschäftigen sich militärische Stäbe gewöhnlich mit der Vorbereitung von Angriffs- oder Verteidigungsplänen, die auf angenommenen Voraussetzungen aufgebaut sind. Es ist nichts Verbrecherisches dabei, derartige Übungen durchzuführen, oder solche Pläne vorzubereiten. Dessentwegen werden die Angeklagten und diese Gruppe auch nicht angeklagt.
Wir werden jedoch beweisen, daß diese Gruppe dem Ziel der Nazis, Deutschland durch Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu vergrößern, zugestimmt, und daß sie im Hinblick auf dieses Ziel bewußt und begeistert am Aufbau der deutschen Wehrmacht teilgenommen hat. Sie wurde im voraus von den Plänen der Nazis, Angriffskriege vom Zaun zu brechen, in Kenntnis gesetzt. Sie schmiedete die militärischen Pläne und leitete die Vorbereitung und Ausführung der Kriege. Diese Dinge sehen wir gemäß Artikel 6 des Statuts als Verbrechen an.
Angriffskriege können nicht ohne intensive Mitwirkung aller Wehrmachtteile und besonders der sie befehligenden hohen Offiziere vorbereitet oder geführt werden. Ebenso, wie die Vorbereitungen der Deutschen für den Angriffskrieg eine allgemein bekannte und als solche bewiesene geschichtliche Tatsache sind, folgt daraus notwendigerweise, daß die Gruppen Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht sowie die deutsche Wehrmacht selbst daran mitgewirkt haben.
Das ist eine Tatsache, trotz der Versuche gewisser Wehrmachtsführer, die darauf bestehen, daß sie bis zum Losmarschieren der Truppen weltabgeschlossen wie in einem Turm von Elfenbein lebten und nicht sehen wollten, in welche Richtung ihre Arbeit führte.
Die Dokumente, die ich anführen werde, besagen jedoch das Gegenteil, und überdies geben nunmehr einige dieser Männer voll und ganz zu, daß sie sich begeistert mit den Nazis verbündeten, da die Ziele der Nazis mit ihren eigenen verwandt waren.
Ich glaube, daß die von Herrn Alderman bereits in das Protokoll gelesenen Schriftstücke die Zwecke und Ziele der Gruppe Deutscher Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht während des der Besetzung Österreichs vorangehenden Zeitabschnitts genügend beleuchten. Während dieser Zeit erfolgte, wie in der Anklageschrift angeführt, erstens die geheime Wiederaufrüstung einschließlich der Ausbildung von Soldaten, der Herstellung von Kriegsmaterial und des Aufbaus einer Luftwaffe; zweitens Görings Bekanntmachung vom 10. März 1935, daß Deutschland eine militärische Luftwaffe aufbaue; drittens das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht vom 16. März 1935, das die Friedensstärke des deutschen Heeres auf 500000 Mann festsetzte; und schließlich viertens die Wiederbesetzung des Rheinlands am 7. März 1936 und die Wiederbefestigung dieses Gebiets.
Diese speziellen Tatsachen erfordern keinen juristischen Beweis. Es sind geschichtliche Tatsachen, und ebenso kann die Tatsache, daß es für die Nazis unmöglich gewesen wäre, diese Ziele ohne die Mitarbeit der Wehrmacht zu erreichen, bei der Natur der Sache nicht bestritten werden.
Herr Alderman beschrieb dem Gerichtshof diese Ereignisse und verlas zu deren Erläuterung zahlreiche Dokumente, einschließlich zahlreicher Schriftstücke über den geheimen Ausbau der deutschen Marine in Verletzung vertraglicher Begrenzungen unter der Leitung des Angeklagten Raeder. Er verlas auch das geheime Reichsverteidigungsgesetz, 2261-PS, im Protokoll bereits als US-24, das am gleichen Tage angenommen wurde, an dem Deutschland einseitig die Rüstungsbestimmungen des Vertrags von Versailles kündigte. Er verlas den Plan von Blombergs vom 2. Mai 1935 zur Wiederbesetzung des Rheinlands, C-159, US-54; ferner von Blombergs Befehl, nach dem die Wiederbesetzung tatsächlich ausgeführt wurde.
Alle diese Ergebnisse erforderten offensichtlich die engste Zusammenarbeit zwischen den militärischen Führern und den Nazis. Ich brauche diesen Punkt nicht weiter auszuführen.
Ich glaube jedoch, daß es sich lohnt, ein oder zwei Schriftstücke nochmals zu prüfen, die die Einstellung und die Ziele der deutschen militärischen Führer während dieser früheren Zeit zeigen. In einem Schriftstück, aus dem Herr Alderman vorgelesen hat, spiegelt sich die Ansicht der deutschen Marine über die durch die Nazis ermöglichte Wiederaufrüstung, mittels derer Deutschland seine Ziele durch Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung erreichen könnte. Es ist eine vom Oberkommando der Kriegsmarine im Jahre 1937 herausgegebene Denkschrift mit dem Titel: »Der Kampf der Marine gegen Versailles.« Es ist Dokument C-156, US-41. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß dieses Dokument, diese offizielle Veröffentlichung der deutschen Marine, feststellt, daß es nur mit Hitlers Hilfe möglich gewesen war, die Bedingungen zur Wiederaufrüstung zu schaffen. Der Angeklagte Jodl hat dies in seiner Rede an die Gauleiter am 7. November 1943 besser ausgedrückt als ich es tun könnte. Es ist dies das Beweisstück L-172, US-34, aus dem Herr Alderman des längeren vorgelesen hat.
Auch die hohen deutschen Offiziere waren sich darüber klar, daß die Politik und die Ziele der Nazis Deutschland zum Krieg führen mußten. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Beweisstück C-23, das bereits als US-49 ins Protokoll verlesen wurde. Es besteht aus einigen Aufzeichnungen, die Admiral Carls von der deutschen Marine im September 1938 gemacht hat. Diese Aufzeichnungen wurden von Admiral Carls als Stellungnahme zu einer »Entwurfstudie Seekriegsführung gegen England« gemacht, und sie lauten auszugsweise wie folgt. Euere Lordschaft findet sie auf Seite 3 der Übersetzung des Dokuments C-23:
»Dem Gedanken der Studie wird voll zugestimmt:
1. Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherter Seeverbindungen und gesicherter Zugänge zum freien Ozean.
2. Beide Forderungen sind nur gegen englisch-französische Interessen erfüllbar und schränken deren Weltmachtstellung ein. Sie mit friedlichen Mitteln durchsetzen zu können, ist unwahrscheinlich. Der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Weltmacht führt daher zwangsmäßig zur Notwendigkeit entsprechender Kriegsvorbereitung.
3. Der Krieg gegen England bedeutet gleichzeitig Krieg gegen das Empire, gegen Frankreich und wahr scheinlich auch gegen Rußland und eine große Reihe überseeischer Staaten, also gegen 1/2 bis 2/3 der Gesamtwelt.
Er hat innere Berechtigung und Aussicht auf Erfolg nur, wenn er sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch vorbereitet und der Zielsetzung entsprechend geführt wird: Deutschland den Weg zum Ozean erobern.«
Ich wende mich nun der Luftwaffe zu, nachdem wir die Ansicht der Kriegsmarine kennengelernt haben. Ein Teil der deutschen Luftwaffe stellte während dieser Vorkriegsperiode sogar noch radikalere Angriffspläne für die Vergrößerung des Reiches auf. Das Dokument L-43, GB-29, ist eine vom Chef einer Abteilung im Generalstab der Luftwaffe, dem sogenannten Organisationsstab, vorbereitete Studie. Die fragliche Studie ist ein Vorschlag für die Organisation der deutschen Luftwaffe für die Zukunft bis zum Jahre 1950. Die Vorschläge beruhten auf gewissen Voraussetzungen, und eine dieser Voraussetzungen war, daß im Jahre 1950 die Grenzen Deutschlands so sein würden, wie sie auf einer der Studie beigefügten Karte eingezeichnet waren. Von dieser Karte steht hier nur ein Exemplar zur Verfügung, Herr Vorsitzender.
Der Gerichtshof wird auf Grund dieser Karte feststellen, daß Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und die baltische Küste bis zum Finnischen Meerbusen sämtlich in die Grenzen des Reiches einbezogen waren. Der Gerichtshof wird weiterhin feststellen, daß auf Seite 2 des eigentlichen Dokuments L-43 der Verfasser die zukünftige Friedensstärke der deutschen Luftwaffe auf sieben Gruppenkommandos ansetzt, von denen vier innerhalb der Grenzen Deutschlands liegen, in Berlin, Braunschweig, München und Königsberg, während die anderen drei in Wien, Budapest und Warschau liegen sollten.
Bevor ich mich den einzelnen Angriffsaktionen der deutschen Wehrmacht zuwende, möchte ich noch einmal die grundlegende Übereinstimmung und Harmonie unterstreichen, die zwischen den Nazis und den deutschen militärischen Führern bestand. Ohne diese Übereinstimmung bezüglich der Ziele hätte es vielleicht nie einen Krieg gegeben. In diesem Zusammenhang möchte ich den Gerichtshof auf eine eidesstattliche Erklärung, Nummer 3 im Dokumentenbuch, Dokument 3704-PS, US-536, hinweisen. Sie stammt von Blomberg, dem früheren Generalfeldmarschall, Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht bis Februar 1938. Ich werde diese eidesstattliche Erklärung in das Protokoll verlesen:
»Seit 1919 und insbesondere seit 1924 nahmen 3 wesentliche Territorialfragen die Aufmerksamkeit Deutschlands in Anspruch. Es waren dies die Fragen des polnischen Korridors, der Ruhr und des Memellandes.
Sowohl ich selbst, als auch die gesamte Gruppe deut scher Stabsoffiziere glaubten, daß diese drei Fragen, unter welchen die Frage des polnischen Korridors besonders hervortrat, eines Tages gelöst werden müßten, nötigenfalls durch Waffengewalt. Ungefähr 90 Prozent des deutschen Volkes teilte diese Ansicht mit den Offizieren bezüglich der polnischen Frage. Ein Krieg, um die durch die Schaffung des polnischen Korridors entstandene Schmach auszumerzen und die Bedrohung des abgetrennten Ostpreußens, das von Polen und Litauen umfaßt war, zu vermindern, wurde als eine heilige Pflicht, wenn auch bittere Notwendigkeit, betrachtet. Dieses war einer der Hauptgründe der teils geheimen Wiederaufrüstung, welche ungefähr 10 Jahre vor Hitlers Machtergreifung begann und unter der Naziherrschaft besonders betont wurde.
Vor 1938 bis 1939 waren die deutschen Generale nicht gegen Hitler eingestellt. Es war kein Grund vorhanden, Hitler zu opponieren, da er die Erfolge brachte, welche sie erwünschten. Nach diesem Zeitpunkt begannen einige Generale seine Methoden zu verabscheuen und mißtrauten seiner Urteilskraft. Sie haben jedoch allgemein gefehlt, eine erkennbare Stellung gegen ihn einzunehmen, obwohl einige versuchten, es zu tun, und infolgedessen es mit ihrem Leben oder ihrer Position einbüßen mußten.
Kurz vor meiner Absetzung als Oberbefehlshaber der Wehrmacht im Jahre 1938 ersuchte mich Hitler, einen Nachfolger vorzuschlagen. Ich schlug Göring vor, der der dienstälteste Offizier war, aber Hitler erhob Einwand wegen seines Mangels an Geduld und Fleiß. Ich wurde als Oberbefehlshaber der Wehrmacht nicht durch einen Offizier ersetzt, sondern Hitler übernahm unmittelbar meine Funktion als Befehlshaber. Keitel wurde von mir als ein Chef de bureau vorgeschlagen. Er wurde meines Wissens niemals zum Befehlshaber der Wehrmacht ernannt, sondern war immer nur ein ›Chef des Stabes‹ unter Hitler, der praktisch die Verwaltungsgeschäfte des Kriegsministeriums führte. Zu meiner Zeit war Keitel nicht gegen Hitler eingestellt und darum geeignet, zum guten Einverständnis zwischen Hitler und der Wehrmacht beizutragen, was ich selbst wünschte und als Reichswehrminister und Reichskriegsminister gefördert hatte. Das Gegenteil hätte zu einem Bürgerkrieg geführt, denn damals stand die Masse des deutschen Volkes hinter Hitler. Viele wollen das nicht mehr zugeben. Aber es ist die Wahrheit.
Wie ich hörte, hat Keitel es dann an einem Widerstand gegen jede Maßnahme Hitlers fehlen lassen. Er wurde zu einem fügsamen Werkzeug in der Hand Hitlers für jeden seiner Entschlüsse. Er wuchs in eine Stellung hinein, der er nicht gewachsen war.«
Die von mir eben verlesene Erklärung von Blombergs ähnelt einer eidesstattlichen Erklärung des Generalobersten Blaskowitz. Es ist die eidesstattliche Erklärung Nummer 5 in Band I des Dokumentenbuchs, später US-537. Blaskowitz war Befehlshaber einer Armee in den Feldzügen gegen Polen und Frankreich. Später wurde er der Befehlshaber der Armeegruppe G in Südfrankreich, und gegen Kriegsende befehligte er die Armeegruppe H, die sich über den Rhein zurückgezogen hatte. Die ersten drei Absätze seiner eidesstattlichen Erklärung sind im wesentlichen identisch mit den ersten drei Absätzen der Erklärung Blombergs. Da sie in allen Sprachen zur Verfügung steht, werde ich der Beschleunigung halber sofort mit Absatz 4 beginnen, wo die Erklärung sich mit einem anderen Thema befaßt:
»Nach dem Anschluß der Tschechoslowakei hofften wir, daß die polnische Frage nunmehr friedlich auf diplomatischem Wege gelöst werden würde, denn wir glaubten, daß diesmal Frankreich und England zur Hilfe ihres Alliierten kommen würden. In der Tat fühlten wir, daß die polnische Frage, wenn politische Maßnahmen scheiterten, zum Kriege führen mußte, d.h. nicht nur mit Polen selbst, sondern auch mit den Westmächten.
Als ich Mitte Juni vom OKH einen Befehl erhielt, mich auf einen Angriff gegen Polen vorzubereiten, wußte ich, daß dieser Krieg nunmehr in den Bereich der Möglichkeit rückte. Diese Feststellung wurde durch die Führeransprache am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg nur noch betont und erschien nun als eine klare Tatsache. Zwischen Mitte Juni 1939 und dem 1. September 1939 nahmen meine bearbeitenden Stabsangehörigen an verschiedenen Besprechungen teil, die zwischen dem OKH und der Heeresgruppe durchgeführt wurden. Während dieser Besprechungen wurden Dinge taktischer, strategischer und allgemeiner Natur besprochen, die mit meiner zukünftigen Stelle als Oberbefehls haber der achten Armee während des geplanten polnischen Feldzuges zu tun hatten.
Während des polnischen Feldzuges, insbesondere während der Kutno-Kämpfe, war ich wiederholt in Verbindung mit dem Oberbefehlshaber des Heeres und er, sowie der Führer besuchten mein Hauptquartier. Es war überhaupt Gepflogenheit, daß von Zeit zu Zeit Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Armeen durch Telefon, Fernschreiber oder Funk sowohl als auch durch persönliche Vorladungen um Situationsberichte und Rat gefragt wurden.
In der Tat wurden dann diese Frontoberbefehlshaber Berater beim OKH in ihrem Sachbereich, so daß die in der beiliegenden Skizze aufgeführten Dienststellen jene Gruppe umfassen, die der tatsächliche Beraterkreis des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht war.«
Der Gerichtshof wird erkennen, daß der letzte Teil dieser Erklärung wie auch die von Halder und Brauchitsch angegebenen Erklärungen Zeugnis dafür ablegen, daß der Aufbau und die Organisation der Gruppen Generalstab und Oberkommando von der Anklagevertretung zutreffend dargestellt worden sind. Der Gerichtshof wird weiter feststellen, daß auf Grund der Erklärung von Blombergs und des ersten Teils der Erklärung Blaskowitz' kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die militärischen Führer Deutschlands die Pläne für die Vergrößerung der Wehrmacht über die vertraglich bestimmten Grenzen hinaus kannten, billigten, sie unterstützten und sie durchführten. Welche Ziele sie im Sinne hatten, ist klar. Aus diesen Dokumenten und Erklärungen sehen wir, daß die Nazis und die Generale über das grundsätzliche Ziel, Deutschland durch Gewalt oder Gewaltandrohung zu vergrößern, übereinstimmten, und wir sehen, daß sie am Aufbau der deutschen Wehrmacht mitarbeiteten, um die dann folgenden Angriffshandlungen zu ermöglichen. Wir wenden uns nun der Prüfung der dem Gerichtshof schon im allgemeinen beschriebenen verschiedenen Angriffshandlungen zu mit der besonderen Absicht, die Teilnahme der Gruppe Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht an diesen verbrecherischen Handlungen zu beweisen.
Ich möchte bemerken, Eure Lordschaft, daß ich, um Zeit zu sparen, bei der Behandlung dieses Materials beabsichtige, nur aus einigen wenigen Dokumenten Stellen zu verlesen. Da es sich um eine große Zahl von Schriftstücken handelt, glaube ich, daß es kaum notwendig ist, daß der Gerichtshof diese Stellen bei der Verlesung in den ihm vorliegenden Dokumenten nachschlägt. Die meisten Dokumente sind bereits als Beweismaterial eingereicht worden, und ich habe nur vor, sie wiederholungsweise zu zitieren, ohne viel zu verlesen:
Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Herr Alderman Teile eines Dokuments 386-PS, US-25, in das Protokoll gelesen hat, das aus den Aufzeichnungen des Obersten Hoßbach über eine Sitzung vom 5. November 1937 in der deutschen Reichskanzlei in Berlin bestand. Hitler führte bei dieser kleinen und streng geheimen Sitzung den Vorsitz; die einzigen anderen Teilnehmer waren die vier obersten militärischen Führer und der Reichsaußenminister, der Angeklagte Neurath. Die vier obersten Führer der Wehrmacht, Blomberg, der damals Reichskriegsminister war, und die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtteile, von Fritsch für das Heer, Raeder für die Marine und Göring für die Luftwaffe, waren anwesend. Hitler erging sich in einer allgemeinen Besprechung der diplomatischen und militärischen Politik Deutschlands und erklärte, daß die Eroberung Österreichs und der Tschechoslowakei eine wesentliche Vorbedingung »zur Verbesserung unserer militärpolitischen Lage« und notwendig sei, »um die Flankenbedrohung... auszuschalten«.
Die ihm vorschwebenden militärischen und politischen Vorteile schlossen die Erwerbung neuer Nahrungsmittelquellen ein, kürzere und bessere Grenzen, die Entlastung von Truppen für andere Zwecke und die Möglichkeit der Aufstellung neuer Divisionen aus der Bevölkerung der besetzten Gebiete. Blomberg und von Fritsch nahmen an der Erörterung teil, und Fritsch erklärte, daß er an einer Studie arbeite, um »die Möglichkeiten der Führung von Operationen gegen die Tschechei unter besonderer Berücksichtigung des tschechischen Befestigungssystems« zu untersuchen.
Im folgenden Frühjahr, im März 1938, kamen die deutschen Pläne bezüglich Österreichs zur Reife. Herr Alderman hat bereits Teile des Tagebuchs des Angeklagten Jodl in das Protokoll verlesen. Der hier in Frage kommende Teil des Tagebuchs, Dokument 1780-PS, US-72, zeigt die Teilnahme der deutschen militärischen Führer an der Einverleibung Österreichs. Wie die Tagebuch-Eintragung Jodls vom 11. Februar 1938 zeigt, waren der Angeklagte Keitel und andere Generale bei dem Treffen zwischen Schuschnigg und Hitler auf dem Obersalzberg zugegen; der Zweck ergibt sich klar aus der Eintragung, die besagt, daß:
»Abends am 12. 2. General Keitel mit General v. Reichenau und Sperrle auf dem Obersalzberg. Schuschnigg und G. Schmidt wieder unter schwersten politischen und militärischen Druck gesetzt. Um 23 Uhr unterschreibt Schuschnigg das Protokoll.«
Der erwähnte General von Reichenau war damals Oberbefehlshaber des Wehrkreises VII, eines der Wehrkreise, in die Deutschland eingeteilt war. Er wurde später Befehlshaber der 10. Armee in Polen und der 6. Armee in Frankreich und gehörte der Gruppe an, die in der Anklageschrift bezeichnet ist. Sperrle, der während des Bürgerkriegs in Spanien und dann praktisch während des ganzen Krieges Befehlshaber der Luftflotte 3 war, war ebenfalls Mitglied dieser Gruppe. Zwei Tage später bereiteten Keitel und andere militärische Führer Vorschläge vor, die Hitler vorgelegt werden und der österreichischen Regierung den Eindruck geben sollten, daß Deutschland Gewalt anwenden werde, falls das Schuschnigg-Abkommen in Wien nicht ratifiziert würde.
Diese Vorschläge finden sich in einem Dokument vom 14. Februar 1938; 1775-PS US-73, das die Unterschrift Keitels trägt. Die Vorschläge Keitels an den Führer lauten auszugsweise wie folgt:
»1. Keine tatsächlichen Bereitschaftsmaßnahmen in Heer und Luftwaffe durchführen. Keine Truppenbewegungen und Verschiebungen.
2. Falsche, aber glaubwürdige Nachrichten lancieren, die auf militärische Vorbereitungen gegen Österreich schließen lassen:
a) durch V.-Männer« – das heißt durch Agenten – »in Österreich;
b) durch unser Zollpersonal an der Grenze;
c) durch Reiseagenten.«
Ich gehe nun zu Absatz 4 des Dokuments über. Keitel schlug vor:
»4. Lebhafter Täuschungsfunkverkehr im Wehrkreis VII und zwischen Berlin und München anordnen.
5. Tatsächliche Friedensübungen (Ausbildungsflüge und Winterübung der Gebirgstruppe nahe der Grenze) verstärken.
6. Admiral Canaris ab 14. II. früh im Wehrkreiskommando VII bereit, um Maßnahmen auf Befehl Chef OKW durchzuführen.«
Jodls Tagebuch zeigt unter dem 14. Februar, daß diese Täuschungsmaßnahmen sehr erfolgreich waren und in Österreich den Eindruck hervorriefen, den man von einer solchen Gewaltandrohung erwarten konnte. Etwa einen Monat später wurde durch Schuschniggs Entschluß, in Österreich eine Volksabstimmung abzuhalten, die bewaffnete Intervention beschleunigt. Hitler befahl nach bereits bestehenden, als »Fall Otto« bekannten Plänen für die Invasion Österreichs die Mobilmachung, um den Anschluß Österreichs durchzuführen und die Abstimmung zu verhindern. Jodls Tagebucheintragungen am 10. März 1938 berichten auf Seite 2 folgendes:
»Schuschnigg hat überraschend und ohne Beteiligung seiner Minister einen Volksentscheid für Sonntag, 13. März angeordnet, der ohne planmäßige Vorbereitung einen hohen Sieg der Legitimisten ergeben soll. Führer ist entschlossen, das nicht zu dulden. Noch in der Nacht, 9./10. 3. Bericht an Göring, General von Reichenau wird aus Kairo (Olympia-Komitee) zurückgerufen, General von Schober bestellt, ebenso Minister Glaise-Horstenau, der bei Gauleiter Bürckel in der Pfalz ist.«
Der erwähnte General von Schober war General von Reichenaus Nachfolger als Befehlshaber des Wehrkreises VII, später Befehlshaber der 11. Armee in der Sowjetunion und war ein Mitglied der Gruppe, die in der Anklageschrift beschrieben ist.
Der Einfall in Österreich unterscheidet sich von anderen deutschen Angriffshandlungen dadurch, daß der Zeitplan nicht im voraus genau festgelegt war. Dies war nur dem Umstand zuzuschreiben, daß der Einfall durch ein Ereignis von außen beschleunigt wurde, nämlich durch Schuschniggs Befehl, eine Volksabstimmung durchzuführen. Wenngleich aus diesem Grund das Merkmal eines vorher genau festgelegten Zeitplans fehlte, zeigen die obigen Dokumente doch eindeutig, daß die militärischen Führer in allen Stadien teilgenommen haben.
Bei der kleinen politischen Sitzung im November 1937, als Hitlers allgemeines Programm für Österreich und die Tschechoslowakei umrissen wurde, waren die einzigen anderen Teilnehmer die vier höchsten militärischen Führer und der Außenminister. Im Februar waren Keitel, Reichenau und Sperrle anwesend, um Schuschnigg schwerstem militärischem Druck zu unterziehen. Keitel und andere arbeiteten gleich darnach ein Programm militärischer Drohung und Täuschung aus, das durchgeführt wurde, um die Österreichische Regierung dahin einzuschüchtern, das Schuschnigg-Protokoll anzunehmen. Als dann die Invasion stattfand, wurde sie natürlich von militärischen Führern geleitet und von der Wehrmacht durchgeführt. Wir sind dem Angeklagten Jodl zu Dank verpflichtet für seine klare Darlegung der Gründe, warum die deutschen Militärführer nur zu glücklich waren, zusammen mit den Nazis das Ende der österreichischen Unabhängigkeit herbeizuführen.
In seinem Vortrag vor den Gauleitern vom November 1943, der im Dokument L-172, US-34, wiedergegeben ist – es ist Seite 5, Absatz 3 der Übersetzung – erklärte Jodl:
»Der Anschluß Österreichs brachte sodann nicht nur die Erfüllung eines alten nationalen Zieles, sondern wirkte sich neben der Stärkung unserer Wehrkraft zugleich durch eine wesentliche Verbesserung unserer strategischen Lage aus. Während bisher der tschechoslowakische Raum in bedrohlichster Form nach Deutschland hineinragte (Wespentaille zu Frankreich hin und Luftbasis für die Alliierten, besonders Rußland), war nunmehr die Tschechei ihrerseits in die Zange genommen. Ihre eigene strategische Lage war jetzt so ungünstig geworden, daß sie einem energischen Angriff zum Opfer fallen mußte, bevor wirksame Hilfe vom Westen her zu erwarten war.«
Dieser Auszug aus der Rede Jodls bildet einen guten Übergang zum Fall Tschechoslowakei, zum Fall »Grün«. Ich beabsichtige, diesen nur kurz zu behandeln. Herr Alderman hat die allgemeine Geschichte des deutschen Angriffs gegen die Tschechoslowakei sehr ausführlich behandelt, und die von ihm verlesenen Dokumente waren voll von Beweismaterial für die wissentliche Teilnahme von Keitel, Jodl und anderen Mitgliedern der Gruppe an diesem Unternehmen.
Ich bitte, sich wieder die Niederschrift Hoßbachs über die Besprechungen mit den vier wichtigsten militärischen Führern ins Gedächtnis zurückzurufen. Es ist Dokument 386-PS, US-25. Österreich und die Tschechoslowakei standen damals als die nächsten Opfer des deutschen Angriffs auf der Liste. Nach dem Anschluß Österreichs verloren Hitler als Staatsoberhaupt und Keitel als Chef der gesamten Wehrmacht keine Zeit, ihre Aufmerksamkeit der Tschechoslowakei zuzuwenden. Von da an ist fast der ganze Verlauf im Schmundt-Akt, 388-PS, US-26, und im Tagebuch Jodls enthalten; aus beiden wurde bereits ausführlich verlesen. Diese zwei Informationsquellen tragen, wie ich glaube, viel dazu bei, um die Argumente für die Verteidigung der angeklagten Militärs und der Gruppen Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht hinfällig zu machen. Die Verteidigung sucht den Eindruck zu erwecken, daß die deutschen Generale lediglich Militärtechniker waren und sich weder für politische und diplomatische Erwägungen interessierten noch darüber unterrichtet waren, und daß sie Pläne für militärische Angriffe oder Verteidigungen auf ausschließlich theoretischer Grundlage vorbereiteten. Sie behaupten dies alles, um damit anzudeuten, daß sie Hitlers Angriffsabsichten weder teilten noch beurteilen konnten, und daß sie die unter politischen Gesichtspunkten erlassenen Befehle wie militärische Automaten ausführten, ohne eine Ahnung zu haben, ob die Kriege, die sie begannen, Angriffskriege waren oder nicht.
Wenn diese Argumente geltend gemacht werden, Herr Vorsitzender, möchte ich vorschlagen: Lesen Sie die Schmundt-Akte und lesen Sie General Jodls Tagebuch. Es geht daraus ganz klar hervor, daß die Angriffspläne von den Nazis und den Generalen gemeinsam entworfen wurden, und daß die militärischen Führer über die aggressiven Absichten völlig auf dem laufenden und genau informiert waren über die politischen und diplomatischen Entwicklungen; ja die deutschen Generale hatten die merkwürdige Eigenschaft, bei politischen Zusammenkünften aufzutauchen und, selbst wenn die Dokumente diese Dinge nicht so klar zeigen würden, müßte eine kurze Überlegung ihre Wahrheit beweisen.
Ein wirklich erfolgreiches Eroberungsprogramm hängt von der bewaffneten Macht ab. Es kann nicht von einer unvorbereiteten, schwachen oder unwilligen militärischen Führung ausgeführt werden. Es ist natürlich gesagt worden, daß der Krieg eine zu wichtige Angelegenheit sei, um Soldaten allein überlassen zu werden; das ist ohne Zweifel richtig, aber es ist ebenso richtig, daß eine aggressive Diplomatie eine viel zu gefährliche Angelegenheit ist, um ohne militärischen Rat und Beistand durchgeführt zu werden. Zweifellos hatten einige der deutschen Generale Bedenken hinsichtlich der von Hitler getroffenen Wahl des Zeitpunkts und hinsichtlich der Waghalsigkeit mancher seiner Aktionen. Einige dieser Zweifel spiegeln sich interessanterweise in einer Eintragung in Jodls Tagebuch wider, die noch nicht vorgelesen worden ist.
Es ist wiederum Dokument 1780-PS, und zwar die Eintragung vom 10. August 1938. Es ist Seite 4 der Übersetzung des Dokuments 1780-PS:
»10. August 1938: Die Armeechefs, die Chefs der Luftwaffengruppen, Obstlt. Jeschonnek und ich wurden auf den Berghof befohlen. Der Führer hielt nach Tisch eine fast dreistündige Ansprache, in der er seine politischen Gedankengänge auseinandersetzt. Die anschließenden Versuche, den Führer auf die Mängel unserer Bereitschaft hinzuweisen, die einzelne Generale des Heeres unternahmen, sind leider ziemlich unglücklich, insbesondere die Bemerkung des Generals v. Wietersheim, die er noch dazu dem General Adam in den Mund legt, daß die Westbefestigungen ja höchstens 3 Wochen lang gehalten werden können. Der Führer wird sehr ungehalten und braust auf mit den Worten, ›dann würde die ganze Armee nichts mehr taugen. Ich sage Ihnen, Herr General, die Stellung wird nicht drei Wochen, sondern drei Jahre gehalten‹.
Die Ursache dieser kleinmütigen Auffassung, die leider im Generalstab des Heeres sehr weit verbreitet ist, liegt in verschiedenem begründet. Zunächst fühlt er sich in früheren Reminiszenzen befangen, auch für politische Entschließungen verantwortlich, anstatt zu gehorchen und seine militärischen Aufgaben zu erfüllen. Letzteres tut er sicherlich mit althergebrachter Hingabe, aber die Kraft des Gemüts fehlt ihm, weil er letzten Endes an das Genie des Führers nicht glaubt. Man vergleicht ihn wohl mit Karl XII. Und da die Wasser von oben nach unten fließen, erwächst aus dieser Miesmacherei nicht nur unter Umständen ein ungeheurer politischer Schaden, – denn den Gegensatz zwischen der Auffassung der Generale und der des Führers pfeifen die Spatzen von den Dächern – sondern auch eine Gefahr für die Stimmung der Truppe. Ich habe aber keinen Zweifel, daß diese wie die Stimmung des Volkes den Führer in ungeahnter Weise zur rechten Zeit emporreißen wird.«
VORSITZENDER: Wollen wir die Sitzung jetzt für zehn Minuten unterbrechen?