Schlußfolgerung.
Der Gerichtshof entscheidet daher, daß von Papen nach dieser Anklageschrift nicht schuldig ist, und ordnet an, daß er durch den Marschall entlassen werde, sobald der Gerichtshof sich demnächst vertagt.
GENERALMAJOR NIKITCHENKO:
Seyß-Inquart.
Seyß-Inquart ist unter allen vier Punkten angeklagt. Seyß-Inquart, ein österreichischer Rechtsanwalt, wurde auf deutschen Druck hin im Mai 1937 zum österreichischen Staatsrat ernannt. Er hatte seit 1931 Fühlung mit der österreichischen Nazi-Partei, hatte aber oft Schwierigkeiten mit ihr und wurde erst am 13. März 1938 Parteimitglied. Er wurde gemäß einer der Bedingungen, die Hitler in der Berchtesgadener Konferenz vom 12. Februar 1938 Schuschnigg aufgezwungen hatte, zum österreichischen Sicherheits- und Innenminister ernannt.
Tätigkeit in Österreich.
Seyß-Inquart nahm an den letzten Phasen der Nazi- Intrige, die der deutschen Besetzung Österreichs voranging, teil und wurde unter dem Druck deutscher Invasionsdrohungen zum österreichischen Kanzler ernannt.
Am 12. März 1938 traf Seyß-Inquart Hitler in Linz und hielt eine Ansprache, in der er die deutschen Truppen willkommen hieß und sich für eine Wiedervereinigung Deutschlands mit Österreich einsetzte. Am 13. März erlangte er die Annahme eines Gesetzes, demzufolge Österreich ein Teil Deutschlands werden sollte, und löste Miklas, den Präsidenten Österreichs, ab, da Miklas lieber zurücktrat, als dieses Gesetz zu unterschreiben. Am 15. März wurde Seyß-Inquarts Titel in Reichsstatthalter für Österreich umgewandelt, und am gleichen Tage wurde ihm der Rang eines SS-Generals verliehen. Am 1. Mai 1939 wurde er Reichsminister ohne Geschäftsbereich.
Am 11. März 1939 stattete er der Slowakischen Regierung in Preßburg einen Besuch ab und veranlaßte sie, ihre Unabhängigkeit in einer Weise zu erklären, die gut zu Hitlers Angriff45 auf die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei paßte.
Als Reichsstatthalter in Österreich führte Seyß-Inquart die Beschlagnahme jüdischen Eigentums durch. Unter seinem Regime wurden die Juden gezwungen auszuwandern, sie wurden in Konzentrationslager geworfen und Pogromen ausgesetzt. In der Endphase seines Regimes arbeitete er mit der Sicherheitspolizei und dem SD zusammen, um die Deportation der Juden von Österreich nach dem Osten durchzuführen. Während er Reichsstatthalter in Österreich war, wurden politische Gegner der Nazis durch die Gestapo in Konzentrationslager geschafft, mißhandelt und in vielen Fällen getötet.
Verbrecherische Betätigung in Polen und den Niederlanden.
Seyß-Inquart wurde im September 1939 zum Chef der Zivilverwaltung von Südpolen ernannt. Am 12. Oktober 1939 wurde er Stellvertreter des Generalgouverneurs in dem Frank unterstehenden Generalgouvernement. Seyß-Inquart wurde am 18. Mai 1940 Reichskommissar für die besetzten Niederlande. Auf diese Weise46 übernahm er die Verantwortung für die Verwaltung von Gebieten, die durch Angriffskriege besetzt worden waren und deren Verwaltung eine Lebensfrage für den deutschen Angriffskrieg war.
Als Stellvertreter des Generalgouverneurs im polnischen Generalgouvernement unterstützte Seyß-Inquart die harten Besatzungsmaßnahmen, die in Kraft gesetzt wurden. Im Verlauf einer Inspektionsreise durch das Generalgouvernement stellte er im November 1939 fest, daß Polen derart zu verwalten sei, daß seine Wirtschaftsvorräte zugunsten Deutschlands ausgebeutet werden würden. Seyß-Inquart setzte sich auch für die Verfolgung der Juden ein und war über den Beginn der AB-Aktion unterrichtet, die die Ermordung vieler polnischer Intellektueller bedeutete.
Als Reichskommissar für die besetzten Niederlande übte Seyß-Inquart unbarmherzigen Terror zur Unterdrückung allen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung, ein Programm, das er selbst als »Vernichtung« der Gegner bezeichnete. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Höheren SS- und Polizeiführern hatte er mit der Erschießung der Geiseln zu tun, die wegen Angriffen gegen die Besatzungsbehörden festgenommen waren und ferner mit der Einweisung in Konzentrationslager all derer, darunter Geistliche und Erzieher, die einer feindlichen Haltung gegen die Besatzungsmethoden verdächtig waren. Viele holländische Polizisten wurden durch Androhung von Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Familien zur Beteiligung an diesen Aktionen gezwungen, auch holländische Gerichtshöfe wurden zur Teilnahme an diesen Programmen genötigt. Als sie aber zu verstehen gaben, daß sie zögerten, Freiheitsstrafen zu verhängen, weil tatsächlich so viele Gefangene getötet wurden, wurde in größerem Maße von Polizei-Schnellgerichten Gebrauch gemacht.
Die wirtschaftliche Verwaltung der Niederlande führte Seyß-Inquart durch, ohne die Regeln der Haager Konvention, die er als veraltet bezeichnete, zu beachten. Statt dessen wurde eine Politik der größtmöglichen Ausnutzung der wirtschaftlichen Kraft der Niederlande angenommen und durchgeführt, ohne daß man sich viel um ihre Auswirkung auf die Bevölkerung kümmerte. Öffentlicher und privater Besitz wurde im großen Stil geplündert, und solchen Maßnahmen wurde der Anschein der Legalität durch Anordnungen Seyß-Inquarts verliehen; sie wurden unterstützt durch die Machenschaften der Finanzinstitute der Niederlande, die seiner Kontrolle unterstanden.
Sofort, nachdem Seyß-Inquart Reichskommissar für die Niederlande geworden war, begann er, Sklavenarbeiter nach Deutschland zu schicken. Bis 1942 war die Arbeit in Deutschland theoretisch eine freiwillige, wurde aber tatsächlich durch starken wirtschaftlichen und staatlichen Druck erzwungen. Im Jahre 1942 ordnete Seyß-Inquart formell den Zwangsarbeitsdienst an und machte von den Diensten der Sicherheitspolizei und des SD Gebrauch, um eine Umgehung dieses Befehls zu verhüten. Während der Besetzung wurden 500000 Menschen von den Niederlanden nach dem Reich als Arbeiter gesandt, und nur ein ganz geringer Bruchteil davon waren tatsächlich Freiwillige.
Eine der ersten Maßnahmen, die Seyß-Inquart als Reichskommissar für die Niederlande ergriff, war der Erlaß einer Reihe von Gesetzen, die die wirtschaftliche Schlechterstellung der Juden erzwang. Darauf folgten Verordnungen, die ihnen auferlegten, sich registrieren zu lassen, Verordnungen, die sie zwangen, in Ghettos zu wohnen und den Davidstern zu tragen, sporadische Verhaftungen und Einsperrungen in Konzentrationslager und schließlich auf Vorschlag Heydrichs die Massenverschleppung von fast 120000 der 140000 Juden Hollands nach Auschwitz und zur »Endlösung«. Seyß-Inquart gibt zu, daß er wußte, daß sie nach Auschwitz kamen, behauptet aber, daß er von Leuten, die in Auschwitz gewesen waren, gehört hätte, daß es den Juden dort verhältnismäßig gut gehe, und daß er gedacht habe, daß man sie dort für die Neuansiedlung nach dem Kriege festhalte. Auf Grund des Beweismaterials und in Ansehung seiner Amtsstellung ist es unmöglich, diesen Behauptungen Glauben zu schenken.
Seyß-Inquart behauptet ferner, daß er nicht verantwortlich sei für viele der Verbrechen, die während der Besetzung der Niederlande begangen wurden, da sie entweder aus dem Reich angeordnet waren und von der Armee, über die er nichts zu sagen hatte, ausgeführt wurden oder vom deutschen Höheren SS- und Polizeiführer, welcher, wie er sagt, unmittelbar an Himmler berichtete. Es trifft zu, daß für einige der Ausschreitungen die Armee verantwortlich war, und daß der Höhere SS- und Polizeiführer, obschon er Seyß-Inquart zur Verfügung stand, stets direkt an Himmler berichten konnte. Es ist ebenfalls wahr, daß in gewissen Fällen Seyß-Inquart gegen besonders scharfe Maßnahmen, die von anderen Dienststellen getroffen wurden, protestierte, wie zum Beispiel, als er die Armee erfolgreich daran hinderte, die Politik der verbrannten Erde zur Anwendung zu bringen, und ferner, daß er beim Höheren SS- und Polizeiführer darauf drang, die Zahl der zu erschießenden Geiseln herabzusetzen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß Seyß-Inquart ein wissender und freiwilliger Teilnehmer an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, die während der Besetzung der Niederlande begangen wurden.