Home Up One Level What's New? Q & A Short Essays Holocaust Denial Guest Book Donations Multimedia Links

The Holocaust History Project.
The Holocaust History Project.

der 12. Dezember 1941

by Götz Aly
translation into English


Der Historiker Christian Gerlach belegt, daß Hitler an diesem Tag die Grundsatzentscheidung zur Vernichtung aller europäischen Juden traf.

Lange haben Historiker nach dem Befehl zur Judenvernichtung gesucht oder - sofern sie eine "Führer-Weisung" ausschlossen - nach anderen zentralen Dokumenten. Das Protokoll der Wannsee-Konferenz schied aus. Hier hatten sich Männer der zweiten Garnitur eingefunden, hier wurde nicht vom Befehl, wohl aber von einer "Genehmigung" Hitlers gesprochen. Dem Treffen war eine - wie immer geartete - übergeordnete Einigung vorausgegangen. Wenigstens mußten sich dokumentarische Anhaltspunkte finden lassen, die plausible Rückschlüsse auf Ort, Zeitpunkt und personelle Zusammensetzung einer solchen Besprechung erlaubten. Die Recherchen liefen ins Leere.

Jetzt aber hat ein 34jähriger Berliner Geschichtswissenschaftler die alte Frage knapp beantwortet. Um es vorweg zu nehmen: Die Begründung ist genial. Er veröffentlichte sie nicht in einem der ewig langweiligen Fachblätter und tat gut daran. Die Arbeit erschien im Heft 18 (6.Jg., November 1997) der unorthodoxen, von niemandem geförderten Zeitschrift "Werkstatt Geschichte". Mit fast mathematischer Präzision geschrieben, umfaßt der Aufsatz 37 Seiten einschließlich 223 Quellenhinweisen. Der Titel lautet: "Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden". Der Autor heißt Christian Gerlach. Er hat Belege für eine interne Rede Hitlers aus dem Jahr 1941 gefunden, die kein anderer Forscher zuvor auch nur erwähnt hatte.

Der schwache Diktator

Schon grollt Hans Mommsen, der Senior unter den Holocaustforschern: Der junge Mann sei zwar "ausgezeichnet", habe sich aber auf "Abwege" begeben, noch dazu mit "altmodischen Methoden", und überhaupt, er mache "zuviel Wind". Tatsächlich setzte sich Gerlach - keineswegs naiv - zwischen jene Stühle, die Zeithistoriker seit Jahrzehnten besetzt, vererbt und allenfalls widerwillig zentimeterweise verrückt haben.

Die einen, die sogenannten Intentionalisten, unterstellten den absoluten, bereits in der frühesten Programmatik angelegten Willen Adolf Hitlers zum Rassenmord. Selbst auf das Mittel der Austilgung - das Gas - habe er sich schon in der "Kampfzeit" festgelegt. Andere betonten den vorauseilenden Gehorsam, richtiger: die großen Freiheiten der "Paladine". Sie handelten frei nach dem höchst flexiblen Motto: "Es ist der Wunsch des Führers " Sieht man von der im Aussterben begriffenen Variante ab ("Wenn das der Führer gewußt hätte!") oder der gleichfalls angejahrten Reduktion ("Marionette des Monopolkapitals"), so machte eine ernst zu nehmende Schule die These vom lavierenden, ja "schwachen" Diktator stark: Er scheute Konflikte, schob Entscheidungen vor sich her, daher seine Empfänglichkeit für große Zukunfts-, Eroberungs- und Neuordnungsvisionen.

Trotz vielfältiger Unterschiede im Detail und in der Gewichtung steht nach Auffassung der insgesamt so bezeichneten Funktionalisten doch eines fest: Die deutsche Judenpolitik radikalisierte sich schrittweise."Es ist ernsthaft zu erwägen", hatte der niemals bestrafte Jurist Rolf Heinz Höppner am 16.Juni 1941 geschrieben, "ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen."

Der Brief war an Eichmann adressiert, der fast täglich mit seinem Residenten Höppner in Posen telefonierte."Geben Sie mir das schriftlich", wird Eichmann gesagt und das Schreiben in den hierarchischen Geschäftsgang eingespeist haben. Einen Befehl wollte Höppner nicht, er bat um die wohlwollende Prüfung seines Neuerervorschlags. Er fand ihn kühn, "teilweise phantastisch", aber "durchaus durchzuführen". Im übrigen sprach er ausschließlich von der Ermordung der arbeitsunfähigen, nicht aller 500 000 Juden, für die er im Warthegau und speziell im Ghetto Lodz zuständig war. Die anderen wollte er in ein Arbeitslager sperren, alle gebärfähigen Frauen sterilisieren, "damit mit dieser Generation das Judenproblem tatsächlich restlos gelöst wird".

Noch Ende September 1941 konnte Eichmann das fortdauernde Drängen Höppners nur ausweichend beantworten. In jedem Fall stärkt das Dokument die These von der fortschreitende Judendiskriminierung bis zu jenem Punkt absoluter Segregation und Pauperisierung, an dem die schon lange betriebene Politik des sozialen Todes in die industrielle Ausrottung umschlug, gemäß innerer Logik, von keinem einzelnen mehr gesteuert.

Jenseits der Frage, ob dem Holocaust ein Befehl vorausging, herrschte Konfusion auch über das Datum der Entscheidung. Einige Historiker plädierten mit guten Gründen für den März 1941, andere und zunehmend mehr für den September/Oktober desselben Jahres. Die vorherrschende Meinung war jedoch, "auf dem Höhepunkt der Siegeserwartung" im Ostkrieg am 31.Juli 1941 sei "alles klar gewesen". Gleichgültig aber, ob sie Hitler als Urheber oder eher als Moderator betrachteten, setzten fast alle Forscher voraus, die "Endlösung" habe sich allein aus antijüdischen Maßnahmen heraus entwickelt. Sie betonten den Primat des Ideologischen und verzichteten folglich darauf, die Wechselwirkungen anderer politischer und militärischer Faktoren auf die Judenpolitik auch nur in Betracht zu ziehen. Das galt für die äußerst wechselhafte Besatzungs- und Germanisierungspolitik, für die Kriegs-, Wirtschafts- und Ernährungslage. Vernachlässigt wurde auch das induktive Miteinander von Volk und Führung, das Victor Klemperer so minutiös zu Protokoll nahm.

Nun aber hat Gerlach dem Streit der Schulen ein vorläufiges Ende gesetzt. Er schert sich nicht um die Schmähungen aus den hier wie dort tiefgestaffelten Fußnotenfronten. Er arbeitet strikt empirisch. Ausgangspunkt seines Forschens ist seine gerade eingereichte, von Wolfgang Scheffler betreute Dissertation "Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland" und seine Mitarbeit an der bahnbrechenden - von einer freien Assoziation jüngerer Historiker vorangetriebenen - kommentierten Edition der Kalendarien und Notizbücher Heinrich Himmlers aus den Jahren 1941 und 1942. Erst 1991 wurden wichtige Teile davon im Moskauer Sonderarchiv bekannt und zugänglich.

Christian Gerlach behauptet und begründet, Adolf Hitler habe seine Grundsatzentscheidung zur vollständigen Vernichtung der europäischen Juden am 12.Dezember 1941 bekanntgegeben. An diesem Tag sprach Hitler in seinen Privaträumen der Reichskanzlei vor den etwa 50 Reichs- und Gauleitern, dem obersten Führungsgremium der NSDAP.Fast alle bekleideten in Personalunion auch Staatsämter. Die Versammlung war am 9. per Fernschreiben für den 10. einberufen, am selben Tag auf den 11. und dann noch einmal auf den folgenden Tag verschoben worden. Seine Einladung zur Wannsee-Konferenz hatte Heydrich am 29.November verschickt und die Konferenz für den 9.Dezember anberaumt. Am 8.Dezember sagte er den Termin auf unbestimmte Zeit ab. Erst einen Monat später gingen die neuen Einladungen heraus - für den 20.Januar 1942.

Schon die Parallelität der Ereignisse gibt der Rede Hitlers ein gewisses Gewicht. Aber welches, wenn die erste Einladung zur Wannsee-Konferenz schon vierzehn Tage zuvor abgeschickt worden war? Die Verschiebung folgte, so könnte man einwenden, dem politischen Durcheinander, das der für die deutsche Führung unerwünschte japanische Angriff auf Pearl Harbor vom 7.Dezember mit sich brachte. Aber Gerlach begründet mit überzeugenden Details, die ursprünglich geplante Wannsee-Konferenz habe ein ganz anderes Thema gehabt als diejenige, die dann sechs Wochen später tatsächlich stattfand. Es sei lediglich vorgesehen gewesen, die Probleme zu erörtern, die bei der Deportation der (groß)deutschen Juden entstanden. Diese hatte am 15.Oktober begonnen, auf Druck der Bürgermeister, Gauleiter und Regierungspräsidenten, nach einer ausdrücklichen Genehmigung Hitlers, die sich anhand des Himmler-Kalenders auf den 17.September datieren läßt. Die Zielbahnhöfe waren Lodz, Riga, Kaunas, Minsk. Die Schwierigkeiten und Reibungsverluste waren enorm: Es ging um die genaue Abgrenzung der sogenannten Voll- und Halbjuden, um Einsprüche aus der Bevölkerung, um die Zurückstellung derjenigen, die zwangsweise in der Rüstungsindustrie arbeiteten, um Vermögensfragen, um das Tempo und die Prioritäten des "Umsiedelns". Erst nach Hitlers Rede vom 12.Dezember konnte Heydrich, wie Gerlach zeigt, das Thema ausweiten und eine Konferenz zur "Endlösung der europäischen Judenfrage" einberufen.

Hitler sprach zu seinen engsten Vertrauten in der ärgsten Krise seiner Herrschaft. Aachen hatte am 8.Dezember, Köln in der Nacht zuvor schwerste Bombenangriffe erlitten, die deutsche Luftwaffe hatte an der Ostfront seit dem 22.Juni 2 093 Flugzeuge verloren, die Panzermotoren waren vernutzt und festgefressen, die Lokomotiven westeuropäischer Bauart auf den rasch umgenagelten Schienensträngen eingeeist, 160 000 Soldaten des Ostheeres gefallen, Tausende erfroren in den Schützengräben und Lazaretten. Die Truppe sei "am Ende", meldeten die Generale. Die Gegenoffensive der Roten Armee hatte begonnen. Im Reich liefen Gerüchte um über die neuerliche Senkung der Fleisch- und Fettrationen.

Auf der anderen Weltseite hatte Japan nicht, wie der deutsche Bündnispartner gefordert und gehofft hatte, den Krieg in den sowjetischen Osten getragen, sondern die USA angegriffen. Deutschland mußte am 11.Dezember mit der Kriegserklärung an die USA reagieren. Für Hitler hatte nun der Weltkrieg begonnen. Es war die Situation des alles oder nichts. In diesen Tagen übernahm Hitler den militärischen Oberbefehl ("das bißchen Operationsführung"), verordnete drakonische Härte in den besetzten Ländern Europas ("Todesstrafe grundsätzlich angebracht"), den Soldaten an der Ostfront hatte er nicht mehr zu bieten als den Aufruf zu "fanatischem Widerstand".

Was Hitler am 12.Dezember zur Judenfrage sagte, ist doppelt, in den Formulierungen fast identisch überliefert: Einmal im Tagebucheintrag des Berliner Gauleiters und Propagandaministers Joseph Goebbels vom 13.Dezember und einmal im Regierungstagebuch des Reichsleiters und Krakauer Generalgouverneurs Hans Frank vom 16.Dezember."Bezüglich der Juden ist der Führer entschlossen", so heißt es bei Goebbels, "reinen Tisch zu machen. Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muß die notwendige Folge sein. Diese Frage ist ohne jede Sentimentalität zu betrachten. Wir sind nicht dazu da, Mitleid mit den Juden, sondern nur Mitleid mit unserem deutschen Volk zu haben. Wenn das deutsche Volk jetzt wieder im Ostfeldzug an die 160 000 Tote geopfert hat, so werden die Urheber dieses blutigen Konflikts dafür mit dem Leben bezahlen müssen."

Zwei Tage später legte Rosenberg, Reichsleiter fürs Ideologische und Minister für die besetzten Ostgebiete, Hitler ein Redemanuskript zur Genehmigung vor und notierte: "Über die Judenfrage sagte ich, daß die Anmerkungen über die New Yorker Juden jetzt nach der Entscheidung etwas geändert werden müßten."Am 18.Dezember vermerkte der Abteilungsleiter Allgemeine Politik im Ostministerium, Otto Bräutigam, später Chef der Ostabteilung im Bonner Auswärtigen Amt: "In der Judenfrage dürfte inzwischen durch mündliche Besprechung Klarheit geschaffen sein."

Am 14.Dezember traf Himmler den Mann, der in Hitlers Kanzlei für die Morde an deutschen Geisteskranken zuständig war - Viktor Brack. Schon zuvor war die Vernichtung in Gaskammern als "Anwendung Brackscher Hilfsmittel" umschrieben worden. Himmler notierte sich die Besprechungspunkte "Kurs im Ostministerium, Euthanasie". Gleichzeitig hatte Bracks Vorgesetzter, Reichsleiter Philipp Bouhler, zwei Termine bei Hitler. In all diesen Besprechungen ging es immer um dasselbe Thema: um die Abordnung des "eingespielten Personals", das schon die Gaskammern der "Euthanasie" betrieben hatte, in die Vernichtungslager, die zur Ermordung aller Juden jetzt auf- und ausgebaut wurden. Wie Bouhler es formulierte: Die Abstellung seiner Leute "zu einer bis in die letzte Konsequenz gehenden Lösung der Judenfrage".

Unser Kulturkreis

Der Ton lag auf den Wörtern "letzte Konsequenz". Bis zum 12.Dezember 1941 waren bereits eine Million Juden ermordet worden: In den besetzten Gebieten der Sowjetunion zunächst die wehrfähigen Männer, seit Mitte August auch Frauen, Kinder und Alte. Die Ghettos wurden ausgehungert. In der Nähe von Lodz, in Chelmno, hatten die Massenmorde mittels Gaswagen schon am 8.Dezember begonnen. Doch waren dem Morden hier noch Grenzen gesetzt: Die Opfer waren zunächst - genau kontingentiert - 100 000 arbeitsunfähige Juden, noch im Sinne der Vorstellungen, die Höppner schon im Juli geäußert hatte. Seit Oktober geplant und gebaut wurde das Vernichtungslager Belzec, mit einer Kapazität, die zur Vergasung von täglich 500 Menschen ausreichte. Auch die Konzeption dieses Lagers beruhte noch auf der Selektion der Arbeitsunfähigen. Als die Vernichtungsanlage im März 1942 funktionsfähig war, wurde sie nur sechs Wochen lang benutzt, dann geschlossen und binnen vier Wochen auf eine Tageskapazität zur Vernichtung von 2 000 Deportierten ausgebaut, der Bau der anderen Vernichtungslager folgte.

Unabhängig von Hitlers grundsätzlicher Entscheidung hatten die Praktiker der deutschen Rassenpolitik die Ermordung der Juden in allen besetzten osteuropäischen Ländern diskutiert, gefordert oder schon begonnen. Aber ein geschlossenes Konzept hatten sie vor dem 12.Dezember nicht. Die Arbeitsunfähigen, die Wehrfähigen, schließlich die Ostjuden überhaupt hatten sie nach und nach in den Kreis der Vernichtung einbezogen, nur ausnahmsweise auch schon einige tausend deutsche Juden. Die lokalen und regionalen Initiativen dokumentierten den weitverbreiteten Vernichtungswillen, gelegentlich die Grenzen: Die Ermordung der ostjüdischen "bodenständig vertierten Horden", so sagte es der Generalkommissar in Minsk, sei doch etwas anderes als die von "Menschen, die aus unserem Kulturkreis kommen". Am 16.Dezember bat er um "dienstliche Anweisung" zum Mord, die er im Fall der deutschen Juden "auf eigene Verantwortung" nicht geben könne.

Den Inhalt von Hitlers vertraulicher Rede kannte er noch nicht. Nach allem steht dessen alleinige Verantwortung nicht zur Debatte. Hitler befahl nicht, sondern genehmigte in aller Deutlichkeit, was vielerorts bereits begonnen hatte und viele längst schon wollten. Erst das verhalf den Funktionären der Rassenation zu letzter "Planungssicherheit". Christian Gerlach hat den Archimedischen Punkt herausgefunden, der es erlaubt, die politische Entstehungsgeschichte des Holocaust klarer denn je nachzuzeichnen und zu deuten.

   

Last modified: May 20, 1999
Copyright © 1997 Götz Aly. Reprinted by permission. All rights reserved.
Technical/administrative contact: webmaster@holocaust-history.org