"DER EWIGE JUDE" (1939/40)


Der nationalsozialistische Propagandafilm "Der ewige Jude" ist - mit den Worten des Regisseurs, Fritz Hipplers - eine "Negation alles Humanen". Diese Bezeichnung verwendete Hippler allerdings erst nach dem Krige. Bei der Uraufführung am 28.11. 1940 sprach er dafür von einer "Symphonie des Ekels und des Grauens".

"Der ewige Jude" beinhaltet eine Art von Hetzpropaganda gegen andere Menschen, die bis dem heutigen Tag kaum von einem anderen Film oder Video übertroffen worden ist. Aus verschiedenen Gründen kann der Film als ein Röntgenbild des Entscheidungsprozesses angesehen werden, der zum Holocaust führte. Der Film zeichnet - als ein emotionales, "realitätsnahes" Medium - die paranoiden Wahnvorstellungen auf, die den Völkermord an das europäische Judentum ermöglichten.

"Der ewige Jude" ist noch heute verboten und darf nur mit Sondergenehmigung in geschlossenen Veranstaltungen der politischen Bildung vorgeführt werden. Als Bedingung gilt auch, dass der Veranstalter über Expertwissen verfügt. In neo-nazistischen Kreisen wird der Film als Piratkopie auf Video vertrieben und wird von diesen Kreisen schlichthin als Kultfilm betrachtet.

 

Historischer Hintergrund

Der sogenannte "Dokumentarfilm" wurde vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, persönlich konzipiert und produziert. Ursprünglich war der Film als eine Legitimation des Antisemitismus als Eckpfeiler der national-sozialistischen Weltanschauung für die deutsche Öffentlichkeit gedacht, weil viele Deutsche gegen die gewalttätige Verfolgung der Juden (Pogrom der Reichskristallnacht 9./10.11. 1938) gewesen waren. Die erste Sichtung von neuaufgenommenen Szenen von rituellen Schlachtungen von Lämmern und Vieh - im Auftrag von Goebbels gezielt als Tierquälerei gefilmt - führte allerdings zu folgendem Eintrag in seinem Tagebuch: "Dieses Judentum muss vernichtet werden" (Eintrag vom 17.10. 1939). Der schon radikale Judenhass von Joseph Goebbels wurde durch das Erleben von insznerierter "Wirklichkeit" zu einem mörderischen Trieb.

Die weitere Produktion des Filmes kann deswegen als den Versuch des zynischen Propagandaministers bewertet werden, den Führer von der "Notwendigkeit" zu überzeugen, die ultimative Konsequenz seiner eigenen Ideologie zu ziehen - und somit einen Befehl zur physischen Vernichtung der europäischen Juden zu geben. Adolf Hitler forderte allerdings zunächst immer wieder neue Veränderungen, wobei der Film immer deutlicher in seiner Vernichtungsbotschaft wurde. Allem Anschein nach gab Hitler schliesslich am 20.5. 1940 seine Zustimmung für die Version des Filmes, die überliefert worden ist.

"Der ewige Jude" kann deswegen als die "amtliche Veröffentlichung" seiner Entscheidung zum Holocaust gesehen werden, wobei es darum ging, dass seine Vollstrecker selbst herausfinden sollten, wie die Juden zu vernichten seien. Als "Führer-Gott" eines "tausendjähriges Reich" genügte das Zitat aus seiner "Prophezeihung" vom 30.1. 1939 (s.u.).

Propaganda-Strategie

Der Film war Teil eines skurillen "Propaganda-Pakets", wo ein Spielfilm - "Jud Süss" (Veit Harlan, 1940) - zunächst antisemitische Emotionen wecken sollte, die anschliessend dann vom sogenannten "Dokumentarfilm" gestärkt, d.h. "bewiesen", werden sollten. Ausserdem wurde gezielt auf zwei verschiedene Typen des Publikums gezielt. Während "Jud Süss" auf die breite Masse gerichtet worden war, auf deren Akzept der anti-jüdischen Massnahmen, d.h. zunächst totales Ausschalten aus dem sozialen Leben und anschliessend Deportationen, worauf die Machthaber immer noch angewiesen waren, war "Der ewige Jude" dafür gezielt als Aktivierungs- und Motivierungsmittel für die schon überzeugten Antisemiten und die künftigen Vollstrecker angelegt.

Die öffentliche Erstaufführung des "Ewigen Jude" wartete deswegen die Abnahme dieses Spielfilmes ab und wurde dann am 8.9. 1940 den Spitzenleute des Dritten Reiches zur Einstimmung und Einbindung als Beispiel der neuen Form für Kriegspropaganda vorgeführt. Allerdings gab es bei dieser Gelegenheit Proteste gegen die Schächtszenen, die als zu stark für die Öffentlichkeit angesehen wurden - und Goebbels liess daraufhin eine Fassung ohne diese Szenen für Frauen und Kinder herstellen. "Der ewige Jude" lief in diesen zwei Fassungen in etwa der Hälfte der deutschen Kinos im Dezember 1940 und Januar 1941.

Während "Jud Süss" zu den Spitzenreitern der gesammten Filmproduktion des Dritten Reiches gehört, gab es keinen Massenzulauf zum "Ewigen Jude". Laut Geheimdienstberichte war es "nur der politisch aktivere Teil der Bevölkerung", der den Film ansah, während "das typische Filmpublikum ihn teilweise mied und örtlich eine Mundpropaganda gegen den Film und seine stark realistische Darstellung des Judentums" trieb. Der Film wurde mit anderen Worten auch von denjenigen wahrgenommen, die ihn nicht ansehen wollte - und Goebbels war äusserst zufrieden mit der erzielten Wirkung der beiden Filmen. Später wurden sie gezielt dort eingesetzt, wo Deportationen bevorstanden. Es sind auch Zeugenberichte überliefert worden, wonach ganze Dörfer zwangsweise die Filme ansehen mussten. "Der ewige Jude" gehörte auch zum Pflichtprogramm bei der Hitler-Jugend - obwohl er nicht überall eingesetzt wurde - und er wurde auch den Mitgliedern der Einsatzgruppen und der Polizei etc. vorgeführt. Sonderversionen wurden für die Niederlande und Frankreich produziert, während die deutsche Originalfassung - z.T. mit Untertitelung - im südlichen und ostlichen Europa gezeigt wurde.

 

Literatur

Stig Hornshøj-Møller: "Der ewige Jude". Quellenkritische Analyse eines antisemitischen Propagandafilms. Institut für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen 1995. (Kostelos erhältlich bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Postfach 1369, 53111 Bonn)

Yizhak Ahren u.a.: "Der ewige Jude" oder wie Goebbels hetzte - eine Untersuchung zum nationalsozialistischen Propagandafilm. Alano Verlag, Aachen 1990

Dorothea Hollstein: "Jud Süss" und die Deutschen. Antisemitische Vorurteile im nationalsozialistischen Spielfilm. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main 1983

Zum Inhalt des Filmes

"Der ewige Jude" gilt heute als Paradebeispiel audiovisueller Manipulation. Joseph Goebbels sah ihn selbst an sein "propagandistisches Meisterstück" an. Aufnahmegegenstand und Kameraperspektive, Brennweite und Lichtsetzung, Trick, Montage und Sprechtext, O-Ton und Filmmusik standen voll im Dienste der Denuziation der "jüdischen Rasse".

Der absurde Vergleich von Juden und Ratten bildet einen der Höhepunkte des Filmes, ebenso wie die Gegenüberstellung von Schächten und Hitlers "Prophezeihung" vom 30.1. 1939: "Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und ausserhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!"

Der Film bezeichnet sich selbst zwar als ein "dokumentarischer Film" (Vorspann), ist aber ein äusserst tendenziöser Kompilationsfilm, der aus sehr unterschiedlichem Filmmaterial zusammengestellt wurde:

1. NS-Filmmaterial aus Polen, wobei die meisten Einstellungen direkt für den Film im Oktober 1939 gedreht wurden. Ohne den propagandistischen Kommentar sind sie zugleich Zeugnisse der grossen Armut in den schon überfüllten Ghettos. Der autoritative Sprecher - Harry Giese, der sonst Stimme zu den Wochenschauen legte - deuten die Bilder wechselweise als Beweis und als äussere Täuschung.

2. Prozionistisches Filmmaterial aus Palästina, wobei die Aufnahmen genau im entgegengesetzten Sinn des Originalfilms im "Ewigen Juden" verwendet wurden.

3. Spielfilmsszenen (Deutschland, Polen, USA). Hier wurde bei den Zitaten kräftig manipuliert. Im Rotschild-Film wurden die ursprügliche Untertitelung durch einen schwarzen Balken abgedeckt und durch eine neue, sinnentstellende ersetzt. Im ersten Teil durch Auslassung wichtiger Repliken, im zweiten durch eine bewusste Fehlübersetzung: Eine Aufforderung zum familiären Zusammenhalt wird zu einer Verschörung!

4. Alte Aufnahmen aus dem Reichsfilmarchiv, die schon durch andere Propagandafilme einen festen symbolischen Charakter bekommen hatte wie z.B. kommunistische Aufnahmen vom "Blutmai 1929". Sie wurden ursprünglich als Dokumentation der Verfolgung von Kommunisten in Berlin am 1. Mai 1929 aufgenommen, wurden aber dann von den Nazis als Beleg für die unruhigen, politischen Verhältnisse der späten Weimarer Republik verwendet.

5. NS-Trickaufnahmen, die die Verbreitung der Juden sowie den Einfluss jüdischer Bankhäuser als "Krebsgeschwür" darstellen sollte. Sie wurden in der damaligen Presse als besonders effektvoll gelobt, weil graphischen Tricks dieser Art sonst äusserst selten vorkamen.

6. NS-Studioaufnahmen, darunter die Sequenz mit "Berliner Juden". Ausserdem wurde nachträglich fünf Einstellungen mit Ratten gedreht, um Aufnahmen aus einem Informationsfilm zur Bekämpfung von Ratten aus dem Jahre 1938: "Kampf den Ratten".

7. Photographien, die wahrscheinlich aus dem sogenannten "Institut zum Studien der Judenfrage" stammten.

 

Zum Film- und Propagandatechnik

"Der ewige Jude" ist in jeder Hinsicht ein Musterbeispiel für audiovisuelle Propaganda. Wie in der modernen Film- und Fernsehwerbung haben Lichteinsatz, Kameraperspektive und -ausschnitt, Objektwahl, Tiefenschärfe, Schnittrhytmus, Vereinfachung des Textes und Schlagworte in Verbindung mit emotionalisierender Musik entscheidenden Anteil an der Vermittlung der Vernichtungsbotschaft. Es lässt sich genau nachweisen, wie jede Einstellung, jedes Wort und jeder Schnitt im Film mit Sorgfalt und Akribie gewählt wurde.

Der Lichteinsatz bzw. die Ausleuchtung war zwar bei vielen Aufnahmen den Gegebenheiten vor Ort unterworfen, doch wurden gerade diese Gegebenheiten häufig durch Kameraperspektive und Bildausschnitt genutzt. Hinzu kommt, dass die schlechte Ausleuchtung oft schon wegen der fehlenden Tiefenschärfe eine "düstere" filmische Aussage bewirkte, die durch Sprechtext und Musik noch verstärkt wurde. Bei den meisten Neuaufnahmen im Ghetto wurde im Stil der indoktrinierenden Wochenschaureportage gearbeitet, der den Zuschauern vertraut war. Häufig ist ein (scheinbar) nüchtern-objektiver Bildausschnitt gewählt, während eine leichte Auf- oder Untersichtperspektive gleichzeitig massiv die Bildaussage beeinflusst.

Die eigentliche Filmaussage entstand beim Schnitt. Der Film wurde - laut eines Fernsehinterviews Fritz Hipplers - "über 13 Monate hindurch mindestens an die Dutzend Male geändert, umgeschnitten, ergänzt usw. - ganz zu schweigen von den verschiedenen Fassungen des Begleittextes, die immer blutrünstiger, immer kämpferischer wurden." Auch hier wurde kräftig manipuliert wie z.B. bei der ersten Schächtung, wo die Untersuchung der Innerei der Kuh angeblich schon während der Ausblutung stattfindet - oder beim "Schachern während des Gottesdienstes", das allerdings deutlich aufgrund der Beleuchtung zu einem anderen Zeitpunkt aufgenommen worden ist.

Die Aufgabe des Komponistens war von Goebbels genau definiert. Franz R. Friedl sollte "eine möchlichst dissonante und persiflierende Musik" schreiben, wobei ihm für "die Gestaltung der Musik jüdische Lieder und Tempelgesänge aus einem erbeuteten polnischen Spielfilm" als Vorlage dienen sollte. Diese und z.B. auch die Marseillaise sollte er "in grotesker Weise" verzerren. Ein Filmrezensent hob hervor, dass der Film nicht zuletzt durch die Musik eine "packende realistische Wirkung" erzielt habe: Friedl habe "für die wechselnden Szenen und Schauplätze e i n e tragende Kraft des musikalischen Gedankens zum Ausdruck gebracht: Das jüdische Wesen in seiner schleichenden Verderbtheit, in seiner unmenschlichen Geisteshaltung zu entlarven".