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Pierre Blet. Papst Pius XII. und der Zweite
Weltkrieg. Aus den Akten des Vatikans. Aus
dem Franzoesischen von Birgit Martens-Schoene. Paderborn: Schoeningh,
2000. XIII + 313 S. . DM 48,00 (taschenbuch), ISBN 3-506-71903-3.
Michael F. Feldkamp. Pius XII. und Deutschland. Goettingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000. 236 S. . DM 29,80 (taschenbuch), ISBN 3-525-34026-5. Reviewed by Rainer
Decker, Staatl. Studienseminar Sek. II, Paderborn.
Die beiden hier zu besprechenden Buecher duerfte Cornwell in der Schublade mit der Aufschrift "apologetische Papstliteratur" verschwinden lassen. Das waere schade, denn sie enthalten eine Fuelle an Informationen, deren Kenntnis auch fuer Vatikan-Kritiker hilfreich ist. Pierre Blet ist das letzte lebende Mitglied einer Kommission von vier Jesuiten-Patres, die auf eine Initiative Papst Pauls VI. hin zwischen 1965 und 1981 in 12 umfangreichen Baenden die Akten des Vatikans zum 2. Weltkrieg herausgab. Da die meisten Quellentexte auf Italienisch, manche auch auf Latein verfasst sind, sind sie bis heute ausserhalb Italiens nur einigen Spezialisten zugaenglich. Blets Buch besteht im Grossen und Ganzen aus dem Text der Einleitungen zu den Baenden, in manchen Teilen gekuerzt, gelegentlich aber durch Quellenzitate ergaenzt. Die 12 ueberwiegend chronologisch angeordneten Kapitel schlagen den Bogen vom Amtsantritt Pius XII. im Februar 1939 ("Die Vatikanische Diplomatie gegen den Krieg") bis zu "Die letzten Kaempfe und das Schicksal der Voelker". Das Problem des "Schweigens des Papstes" wird besonders in den Kapiteln 7 bis 10 ("Rassengesetze und Verfolgungen", Judenverfolgung und Deportation in der Slowakei, Kroatien, Rumaenien und Ungarn, "Das Schicksal der Ewigen Stadt") behandelt. Die zugrunde liegenden Quellen sind zu einem grossen Teil diplomatischer Natur, Berichte der Nuntien, Anweisungen an sie, Aufzeichnungen ueber Gespraeche mit den beim Vatikan akkredierten Botschafter, interne Ueberlegungen. Die quellennahe Darstellung hat den Vorteil, dass die Innensicht des Papstes und seiner engsten Mitarbeiter, des Kardinalstaatssekretaers Luigi Maglione sowie der Unterstaatssekretaere Domenico Tardini und Giovanni Battista Montini (der spaetere Papst Paul VI.) als roter Faden erkennbar ist: das Bemuehen um aeussere Neutralitaet zwischen den kriegfuehrenden Staaten, die stille Diplomatie in dem Bemuehen, Menschenleben zu retten, die antitotalitaere Grundhaltung, Angst vor einer Expansion der Sowjetunion und der Verzicht auf laute Proteste "ad maiora mala vitanda". Der Nachteil einer Einleitung zu der Edition eines Quellenbestandes ist, dass sie naturgemaess eine wissenschaftliche Darstellung nicht ersetzen kann, denn diese muesste auch die Parallelueberlieferung der anderen beteiligten Parteien, hier insbesondere die der deutschen Fuehrung, miteinbeziehen. Nur unter dieser Voraussetzung waere, wenn ueberhaupt, die Frage beantwortbar, ob ein Machtwort des Papstes an die Adresse Hitlers und des deutschen Volkes juedisches Leben gerettet oder aber, wie die Spitze der katholischen Kirche ueberzeugt war, den Kreis der Verfolgten nur noch vergroessert haette. Der Materialreichtum des Buches bleibt dank eines detaillierten Inhaltsverzeichnisses und des Namensregisters ueberschaubar Trotzdem haette man sich eine staerkere Hervorhebung einzelner Geschehnisse gewuenscht, so etwa des mutigen Versuches Pius XII. im Winter 1939/40, im Vorfeld eines geplanten Staatsstreichs gegen Hitler zwischen der deutschen Militaeropposition und der britischen Regierung zu vermitteln, aber auch seiner Weihnachtsansprache 1942, in der er verklausuliert den NS-Voelkermord verurteilte. Ein Fazit versucht Blet in dem Schlusskapitel, wo er ohne Pathos den von Pius XII. eingeschlagenen Kurs verteidigt, wodurch es gelungen sei, "eine nicht unerhebliche Zahl von Menschenleben zu retten" (S. 296). Leider unterlaesst es Blet, sich explizit mit Kritikern der Position des Vatikans auseinanderzusetzen. Das kurze Literaturverzeichnis enthaelt zwar Titel bis 1995, aber in willkuerlicher Auswahl. Bedauerlicherweise fehlen sogar die wichtigsten Veroeffentlichungen von Blets Ordensbruder und Mitherausgeber, Pater Robert Graham, dessen wuellenkritische Analysen und temperamentvolle Auseinandersetzungen mit Historikern anderer Couleur ein erfrischendes Pendant zu der ruhigen Diktion der Quellenedition und des vorliegenden Bandes darstellen. Solange die vatikanischen Archive nur bis 1922 zugaenglich sind, bleibt die Aktenedition aber eine unverzichtbare Grundlage der Forschung. Die Uebersetzung von Blets Buch erleichtert deutschen Lesern den Einstieg in diese voluminoese Materialsammlung und dokumentiert die offizioese Sicht der Kurie zu Pius XII. Einen anderen Weg, sich der umstrittenen Persoenlichkeit des Papstes zu naehern, schlaegt Michael F. Feldkamp ein, der sich durch Forschungen und Editionen als Kenner der vatikanischen Diplomatie der fruehen Neuzeit, aber auch der Anfaenge der Bundesrepublik Deutschland und ihres Verhaeltnisses zum Heiligen Stuhl erwiesen hat. Die Beziehungen zu Deutschland haben bei keinem anderen Papst der Neuzeit so im Vordergrund gestanden, und das nicht nur aufgrund aeusserer, hochpolitischer Zwange, sondern aufgrund einer tiefen Sympathie dieses aus Rom stammenden "deutschen Papstes" (Papa tedescho) zu dem Land, in dem er zwischen 1917 und 1929 als Nuntius lebte und aus dem er sich dann einen Stab tuechtiger Mitarbeiter in den Vatikan holte. Feldkamp bietet zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse, sondern profitiert von der guten Quellen- und Forschungslage, ermoeglicht aber sowohl dem interessierten Laien als auch dem Historiker, der sich in die Materie einarbeiten will, einen problemorientierten Zugang, in dem kontroverse Fragen leitend sind wie: "Hat Staatssekretaer Eugenio Pacelli vor Abschluss des Reichskonkordats 1933 die Selbstaufloesung der deutschen Zentrumspartei gefordert? ... Hat er zum Holocaust geschwiegen, um einen antibolschewistischen Pakt mit dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler nicht aufs Spiel zu setzen?" (S. 5). Die meisten Leser duerften dabei gern in Kauf nehmen: "Auf die Bedeutung dieses Papstes als Priester, Theologe und Kirchenlehrer soll nicht naeher eingegangen werden. Auch wenn sein kirchlich-geistlicher Hintergrund nicht voellig ausgeblendet werden kann, steht der Diplomat und Politiker im Vordergrund..." (S. 7). In fuenf grossen Kapiteln werden die Lebensstationen Pacellis von den Anfaengen (Familie, Ausbildung, Eintritt in die Kurie, das Konkordat mit Serbien 1914, das von Cornwell fehlgedeutet wurde), ueber die Nuntiaturen in Deutschland, das Amt des Kardinalstaatssekretaers (1930-1939) bis zum Wirken des Papstes im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit verfolgt. Die eigentlich brisante Epoche, 1939-1945, findet nur auf 32 Seiten Beruecksichtigung, das Wirken des Nuntius dagegen auf 48 und das Kardinalstaatssekretaers auf 56. Hinzu kommt allerdings ein wichtiges Schlusskapitel zu den "Auseinandersetzungen um das 'Schweigen' des Papstes" mit dem "'Fall Hochhuth'" und "Pius XII. im Widerstreit der Meinungen". Ueber zahlreiche interessante Einzelinformationen zur Kritik an Pius XII. seit 1945 hinaus arbeitet Feldkamp dabei noch einmal die entscheidende Frage heraus, "ob der Papst aus gesinnungsethischem Antrieb heraus seinen moralischen Standpunkt noch deutlicher publik haette machen muessen, oder ob er in der Rolle des Verantwortungsethikers tatsaechlich mehr Menschenleben haette retten koennen." Feldkamps Antwort lautet: "Pius XII. hat sich fuer den in seinen Augen realistischen Weg entschieden und den Verhandlungsweg offen gelassen. Er hat, wie gezeigt wurde, dennoch nicht geschwiegen, sondern die Lehre der katholischen Kirche weiterhin verkuendigt" (S. 190). Diese These wird auf Widerspruch stossen, aber dank der uebersichtlichen, gut lesbaren Darstellung, der Skizzierung der Forschungsgeschichte, der detaillierten Quellenangaben und des umfangreichen Literaturverzeichnisses, also seines handbuchartigen Charakters hat das Baendchen auf jeden Fall einen hohen Informationswert. In einer Neuauflage zu verbessern waere die Zahlenangabe auf Seite 152, wonach der Vatikan waehrend der deutschen Besetzung Roms 1943/44 etwa 200.000 Italiener, darunter zahlreiche Juden, versteckt habe, was viel zu hoch gegriffen ist (Druckfehler statt 20.000?). Anmerkungen: [1]. Rezension in H-Soz-u-Kult vom 22.2.2000; http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/buecher/2000/DeRa0200.htm [2]. Giovanni Miccoli, I dilemmi e i silenzi di Pio XII, Milano 2000. |