Copyright © 1999, H-Net Source: http://www.h-net.msu.edu/reviews/ Ernst Hanisch. Der Gau der guten Nerven.
Salzburg im Nationalsozialismus. Salzburg
und München: Anton Pustet, 1997. 272 S. Bibliographie. DM 47.00 (Taschenbuch),
ISBN 3-7025-0325-0.
Reviewed by Frank-Rutger
Hausmann, z.Zt. Historisches Kolleg München. Der Titel "Gau der guten Nerven" ist erklaerungsbeduerftig.
Salzburg mit seiner grandiosen Alpenkulisse und seinen beruehmten
Festspielen sollte im System der nationalsozialistischen Arbeitsteilung
neben den Industrie- und Ruestungszentren ein Gau der Erholung und des
Urlaubs sein und in der schon bald beginnenden Kriegszeit als Lazarettgau
dienen. Nach Flaeche und Bevoelkerung einer der kleinsten der
zweiundvierzig Gaue, wurde Salzburg einer von insgesamt zehn Reichsgauen,
darunter sieben in der Ostmark, deren Name den alten Namen Oesterreichs
ersetzt hatte. Ihr Gebiet stimmte einer nie zu Ende gefuehrten Reform der
Reichsgliederung entsprechend mit dem Territorium des jeweiligen
NSDAP-Gaus ueberein, so dass an ihrer Spitze ein Reichsstatthalter stand,
der zugleich Gauleiter war. Die Verschmelzung der beiden Funktionen
erlaubte der Partei einen besseren Zugriff auf die staatliche Verwaltung.
Hanisch legt seine Darstellung zunaechst einmal chronologisch an und
gliedert sie in drei Phasen, die 'Anschluss' (1938-39), 'Stabilisierung
und Hoehepunkt der NS-Herrschaft' (1939-42) sowie 'Der totale Krieg'
(1942-45) ueberschrieben sind. Das von ihm entworfene Bild setzt sich
jedoch immer mosaikartig aus unterschiedlichen Quellen (Archivmaterialien,
Zeitungsberichte, Nachlaesse und gedruckte wie unpublizierte Erinnerungen
von Zeitgenossen, Feldpost- und andere Briefe, Zeugnissen der oral history
und vor allem ein vorzueglich ausgewaehltes umfangreiches Korpus von
Abbildungen) zusammen, die durch ein breites Panorama zeitgeschichtlicher
Forschungen ergaenzt werden. Dabei kann das benutzte Material den drei
Bereichen Institutionen, Individuen und Ideologien zugeordnet werden.
Der Gang der so entworfenen Ereignisgeschichte wird aber seinerseits
durch methodische Vorueberlegungen gelenkt, die vor allem die hohe
Zustimmung erklaeren, den zunaechst der 'Anschluss' und dann die NS-Herrschaft
selber in Salzburg fanden. Eine erste These geht von der Spannung zwischen
Zentrum und Peripherie, Metropole und Provinz, aus. Der Einfluss Wiens,
haeufig als bedrueckende Bevormundung und imperiales Gehabe empfunden,
wurde gebrochen und durch den der viel weiter entfernten Reichshauptstadt
Berlin abgeloest, was der Provinz vorerst einmal ein hoeheres Mass an
Selbstaendigkeit und Autonomie gewaehrte. Hand in Hand damit geht das
Faktum, dass die Provinz in der ersten Phase der nationalsozialistischen
Herrschaft Anschluss an die Moderne fand und somit entprovinzialisiert
wurde. Noch dem abgelegensten Ort wurden neue Verkehrsmittel versprochen,
wenngleich nur z.T. realisiert, Parteigliederungen nahmen dort ihren Sitz,
so dass sich die 'Hinterwaeldler' als nuetzliche Glieder der
Volksgemeinschaft fuehlen konnten, und der ueberwiegend agrarisch
strukturierte Reichsgau profitierte davon, dass im Rahmen der
Gleichschaltung auch ein einheitlicher Reichsnaehrstand geschaffen wurde,
so dass er am oekonomischen Marktgeschehen partizipierte. Langfristig
erwies sich die hier beschriebene Modernisierung jedoch als
"regressive Modernisierung" (S. 13). Das duerfte vor allem damit
zusammenhaengen, dass die Kriegswirtschaft eine Art oekonomischen
Ausnahmezustand darstellte. Wenn man bedenkt, dass die 'Ostmark' nur knapp
anderthalb Jahre Friedenszeit unter NS-Herrschaft kannte, ist, und da ist
Hanisch gegen seine Kritiker Recht zu geben, der konstatierte Aufschwung
beachtlich, wenngleich nicht mit dem zu vergleichen, der dann ab 1950
einsetzte.
Es wurde bereits gesagt, dass Hanisch, wenn er dies auch nicht
systematisiert, im Rahmen seiner Regionalgeschichte eines Gaus im
Nationalsozialismus Institutionen, Individuen und Ideologien vorstellt.
Die wichtigsten Maechte sind die Partei mit ihren Untergliederungen, vor
allem Deutsche Arbeitsfront und Reichsnaehrstand, die Wehrmacht, die
Wirtschaft und, immer noch, die katholische Kirche. Die zentralen
Gestalten sind die beiden Gauleiter, der Kaerntner Friedrich Rainer und
sein Nachfolger, der ehemalige Reichsstudentenfuehrer Gustav Adolf Scheel,
dazu der Gauleiterstellvertreter Anton Wintersteiger und der
Gauschulungsleiter Karl Springenschmid. Die im Widerstreit liegenden
Ideologien waren das alte liberalkonservative Oesterreichertum, der
radikale Nationalsozialismus, der pazifistische Sozialismus und der
kompromisslose Katholizismus, wobei sich alle diese Stroemungen im Fluss
der politischen Veraenderungen modifizierten.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Teile des Buchs, die Salzburg
als Kunststadt gewidmet sind sowie diejenigen, die den Ausbau von Schloss
Klessheim betreffen, das 1942 zu einem 'Gaestehaus des Fuehrers' ausgebaut
wurde. Die Salzburger Festspiele wurden zwar aufgewertet, doch durften in
Salzburg nur Mozart und verwandte Komponisten aufgefuehrt wurden, d.h.
Musik aus Barock und Klassik. Wagner wurde fuer Bayreuth reserviert, aber
das Mozarteum wurde immerhin Reichshochschule fuer Musik. Klessheim
erhielt einen eigenen Bahnhof, und hier empfingen Hitler oder Ribbentrop
der Reihe nach die Oberhaeupter der sued- und osteuropaeischen
Vasallenstaaten - Mussolini, Antonescu, Horthy, Tiso und Pavelic - zum
Befehlsempfang.
Der Alltag in der Provinz war vielgestaltig, und Salzburg erfuellte
seine Funktion als Urlaubsgau meist zur vollen Zufriedenheit. Darueber
darf aber nicht vergessen wesen, dass es in und um die Stadt herum ein
Zigeuner-, ein Gefangenen- sowie ein KZ-Nebenlager gab, in dem Menschen
ermordet oder der Ermordung zugefuehrt wurden. Der in der Naehe des
Obersalzbergs gelegene Gau wurde in der Endphase des 'Dritten Reichs' zur
Fluchtburg hoher NS- Hierarchen, aber auch prominenter Gefangener des
Reichs wie Koenig Leopolds von Belgien. Erst am 8. Mai wurde auch Salzburg
befreit, vierzig Mitglieder der Parteielite vom Oberbuergermeister bis zum
Oberstaatsanwalt nahmen sich das Leben, um sich durch diese
Selbstvernichtung der Verantwortung zu entziehen.
Es ist keine Floskel, wenn man sich derart eindringliche, hervorragend
disponierte und methodisch untermauerte Studien fuer andere Bereiche des
NS- Imperiums wuenscht. Hinzu kommt, dass der Verlag ein aufwendig und
liebevoll gestaltetes Buch erstellt hat, wie man es fuer diesen Preis nur
noch selten findet. Man moechte Hanischs Studie viele Leser, auch
ausserhalb Oesterreichs, wuenschen. |