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Ernst Hanisch. Der Gau der guten Nerven. Salzburg im Nationalsozialismus. Salzburg und München: Anton Pustet, 1997. 272 S. Bibliographie. DM 47.00 (Taschenbuch), ISBN 3-7025-0325-0.

Reviewed by Frank-Rutger Hausmann, z.Zt. Historisches Kolleg München.
Published by H-Soz-u-Kult (September, 1999)

Die vorliegende Studie stellt die Bearbeitung eines bereits 1983 erschienenen Buchs dar. Der damalige Titel lautete Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz. Salzburg im Dritten Reich. Die jetzige Version hat mit der frueheren nur noch den Kern gemein, denn in der Zwischenzeit hat die Erforschung der NS-Zeit einen beachtlichen Aufschwung genommen, und zwar in methodischer wie in faktischer Hinsicht. Dem Autor, Universitaetsprofessor fuer Neuere Oesterreichische Geschichte an der Universitaet Salzburg und Autor grundlegender Arbeiten zur oesterreichischen Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, ist mit dieser Studie ein neuartiger Typ von Territorial- oder Regionalgeschichte gelungen, der bisher meist von lokalen Heimatforschern verfasst wurde, denen jedoch das methodische Ruestzeug dazu fehlte. Hanisch widmet sein Buch der Erinnerung an den franzoesischen Historiker Marc Bloch, den Begruender der modernen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, dem wir jedoch auch bahnbrechende Untersuchungen zur Darstellung der agrarischen Welt verdanken.

Der Titel "Gau der guten Nerven" ist erklaerungsbeduerftig. Salzburg mit seiner grandiosen Alpenkulisse und seinen beruehmten Festspielen sollte im System der nationalsozialistischen Arbeitsteilung neben den Industrie- und Ruestungszentren ein Gau der Erholung und des Urlaubs sein und in der schon bald beginnenden Kriegszeit als Lazarettgau dienen. Nach Flaeche und Bevoelkerung einer der kleinsten der zweiundvierzig Gaue, wurde Salzburg einer von insgesamt zehn Reichsgauen, darunter sieben in der Ostmark, deren Name den alten Namen Oesterreichs ersetzt hatte. Ihr Gebiet stimmte einer nie zu Ende gefuehrten Reform der Reichsgliederung entsprechend mit dem Territorium des jeweiligen NSDAP-Gaus ueberein, so dass an ihrer Spitze ein Reichsstatthalter stand, der zugleich Gauleiter war. Die Verschmelzung der beiden Funktionen erlaubte der Partei einen besseren Zugriff auf die staatliche Verwaltung.

Hanisch legt seine Darstellung zunaechst einmal chronologisch an und gliedert sie in drei Phasen, die 'Anschluss' (1938-39), 'Stabilisierung und Hoehepunkt der NS-Herrschaft' (1939-42) sowie 'Der totale Krieg' (1942-45) ueberschrieben sind. Das von ihm entworfene Bild setzt sich jedoch immer mosaikartig aus unterschiedlichen Quellen (Archivmaterialien, Zeitungsberichte, Nachlaesse und gedruckte wie unpublizierte Erinnerungen von Zeitgenossen, Feldpost- und andere Briefe, Zeugnissen der oral history und vor allem ein vorzueglich ausgewaehltes umfangreiches Korpus von Abbildungen) zusammen, die durch ein breites Panorama zeitgeschichtlicher Forschungen ergaenzt werden. Dabei kann das benutzte Material den drei Bereichen Institutionen, Individuen und Ideologien zugeordnet werden.

Der Gang der so entworfenen Ereignisgeschichte wird aber seinerseits durch methodische Vorueberlegungen gelenkt, die vor allem die hohe Zustimmung erklaeren, den zunaechst der 'Anschluss' und dann die NS-Herrschaft selber in Salzburg fanden. Eine erste These geht von der Spannung zwischen Zentrum und Peripherie, Metropole und Provinz, aus. Der Einfluss Wiens, haeufig als bedrueckende Bevormundung und imperiales Gehabe empfunden, wurde gebrochen und durch den der viel weiter entfernten Reichshauptstadt Berlin abgeloest, was der Provinz vorerst einmal ein hoeheres Mass an Selbstaendigkeit und Autonomie gewaehrte. Hand in Hand damit geht das Faktum, dass die Provinz in der ersten Phase der nationalsozialistischen Herrschaft Anschluss an die Moderne fand und somit entprovinzialisiert wurde. Noch dem abgelegensten Ort wurden neue Verkehrsmittel versprochen, wenngleich nur z.T. realisiert, Parteigliederungen nahmen dort ihren Sitz, so dass sich die 'Hinterwaeldler' als nuetzliche Glieder der Volksgemeinschaft fuehlen konnten, und der ueberwiegend agrarisch strukturierte Reichsgau profitierte davon, dass im Rahmen der Gleichschaltung auch ein einheitlicher Reichsnaehrstand geschaffen wurde, so dass er am oekonomischen Marktgeschehen partizipierte. Langfristig erwies sich die hier beschriebene Modernisierung jedoch als "regressive Modernisierung" (S. 13). Das duerfte vor allem damit zusammenhaengen, dass die Kriegswirtschaft eine Art oekonomischen Ausnahmezustand darstellte. Wenn man bedenkt, dass die 'Ostmark' nur knapp anderthalb Jahre Friedenszeit unter NS-Herrschaft kannte, ist, und da ist Hanisch gegen seine Kritiker Recht zu geben, der konstatierte Aufschwung beachtlich, wenngleich nicht mit dem zu vergleichen, der dann ab 1950 einsetzte.

Es wurde bereits gesagt, dass Hanisch, wenn er dies auch nicht systematisiert, im Rahmen seiner Regionalgeschichte eines Gaus im Nationalsozialismus Institutionen, Individuen und Ideologien vorstellt. Die wichtigsten Maechte sind die Partei mit ihren Untergliederungen, vor allem Deutsche Arbeitsfront und Reichsnaehrstand, die Wehrmacht, die Wirtschaft und, immer noch, die katholische Kirche. Die zentralen Gestalten sind die beiden Gauleiter, der Kaerntner Friedrich Rainer und sein Nachfolger, der ehemalige Reichsstudentenfuehrer Gustav Adolf Scheel, dazu der Gauleiterstellvertreter Anton Wintersteiger und der Gauschulungsleiter Karl Springenschmid. Die im Widerstreit liegenden Ideologien waren das alte liberalkonservative Oesterreichertum, der radikale Nationalsozialismus, der pazifistische Sozialismus und der kompromisslose Katholizismus, wobei sich alle diese Stroemungen im Fluss der politischen Veraenderungen modifizierten.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Teile des Buchs, die Salzburg als Kunststadt gewidmet sind sowie diejenigen, die den Ausbau von Schloss Klessheim betreffen, das 1942 zu einem 'Gaestehaus des Fuehrers' ausgebaut wurde. Die Salzburger Festspiele wurden zwar aufgewertet, doch durften in Salzburg nur Mozart und verwandte Komponisten aufgefuehrt wurden, d.h. Musik aus Barock und Klassik. Wagner wurde fuer Bayreuth reserviert, aber das Mozarteum wurde immerhin Reichshochschule fuer Musik. Klessheim erhielt einen eigenen Bahnhof, und hier empfingen Hitler oder Ribbentrop der Reihe nach die Oberhaeupter der sued- und osteuropaeischen Vasallenstaaten - Mussolini, Antonescu, Horthy, Tiso und Pavelic - zum Befehlsempfang.

Der Alltag in der Provinz war vielgestaltig, und Salzburg erfuellte seine Funktion als Urlaubsgau meist zur vollen Zufriedenheit. Darueber darf aber nicht vergessen wesen, dass es in und um die Stadt herum ein Zigeuner-, ein Gefangenen- sowie ein KZ-Nebenlager gab, in dem Menschen ermordet oder der Ermordung zugefuehrt wurden. Der in der Naehe des Obersalzbergs gelegene Gau wurde in der Endphase des 'Dritten Reichs' zur Fluchtburg hoher NS- Hierarchen, aber auch prominenter Gefangener des Reichs wie Koenig Leopolds von Belgien. Erst am 8. Mai wurde auch Salzburg befreit, vierzig Mitglieder der Parteielite vom Oberbuergermeister bis zum Oberstaatsanwalt nahmen sich das Leben, um sich durch diese Selbstvernichtung der Verantwortung zu entziehen.

Es ist keine Floskel, wenn man sich derart eindringliche, hervorragend disponierte und methodisch untermauerte Studien fuer andere Bereiche des NS- Imperiums wuenscht. Hinzu kommt, dass der Verlag ein aufwendig und liebevoll gestaltetes Buch erstellt hat, wie man es fuer diesen Preis nur noch selten findet. Man moechte Hanischs Studie viele Leser, auch ausserhalb Oesterreichs, wuenschen.

Document compiled by Dr S D Stein
Last update 26/01/00
Stuart.Stein@uwe.ac.uk
©S D Stein

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