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Cornelia Brink. Ikonen der Vernichtung, Oeffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin: Akademie-Verlag, 1998. 266 S. zahlreiche Abbildungen. DM 98,00 (gebunden), ISBN 3-05-003211-1.

Reviewed by Ulrich Haegele, Ludwig-Uhland-Institut fuer Empirische Kulturwissenschaft, Universitaet Tuebingen.
Published by H-Soz-u-Kult (July, 2000)


Jeder hat sie vor Augen, die Bilder des Grauens, aufgenommen unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager im Osten: Geschorene Koepfe und ausgezehrte Koerper, dicht gedraengt auf Holzpritschen kauernd, mit ausgemergelten Gesichtern in die Linse des Fotografen blickend; Leichenberge, die von Bulldozern in Massengraeber geschoben werden. Im Laufe der Zeit wurden diese Fotografien durch ihre Reproduktion in Zeitungen, Zeitschriften, illustrierten Buechern sowie Ausstellungen zum Symbol der NS-Schreckensherrschaft, zum Symbol fuer den Holocaust, zu "Ikonen der Vernichtung". Die Bilder verloren aber ueber die fortgesetzte stereotype Veroeffentlichung auch einen Teil ihres Schreckens, so dass sie zwar ins kollektive Gedaechtnis eingelagert wurden, aber gleichzeitig ihre vordergruendige Eindeutigkeit ueber den Prozess der visualisierten Historisierung und des Betrachtet-Werdens dekonstruiert und damit abgeschwaecht wurde.

Die Freiburger Volkskundlerin Cornelia Brink untersucht in ihrer Dissertation den Umgang mit diesen Fotografien in der Oeffentlichkeit. Sie geht davon aus, dass auch die "Ikonen der Vernichtung" hinterfragt werden muessen, dass also der Zusammenhang zwischen Bildproduktion, Veroeffentlichung und Rezeption analysiert werden muss, mit dem Ziel, die geschichtliche Dimension der Fotografien und ihren Gebrauch im Rueckblick zu deuten. Ihre These hierzu: Gerade in den Widerspruechlichkeiten der vermeintlich authentischen fotografischen Dokumente des historischen Geschehens liessen sich die Spuren der Ereignisse wiederfinden.

Die Autorin eroertert zunaechst den direkten Produktionskontext der Fotografien in der Zeit ihrer Entstehung von April bis Juni 1945 sowie ihre Funktion innerhalb einer "visuellen Entnazifizierung" durch die Medien. In einem zweiten Schritt geht sie der Frage nach, welche Rolle der Zeugenschaft den Fotos vor Gericht waehrend des Nuernberger Prozesses (1945/46) und des Frankfurter Auschwitzprozesses (1963-65) beigemessen wurde. Sodann widmet sich Cornelia Brink beispielhaft dem fruehen Bildband ueber den Holocaust "Der Gelbe Stern" von Gerhard Schoenberger, erschienen 1960, der bis heute durch zahlreiche Neuauflagen eine ungebrochene Resonanz erhaelt. Schliesslich analysiert die Autorin die paedagogische Verarbeitung von KZ-Fotografien durch Museen und Ausstellungen.

Cornelia Brink waehlte fuer ihre Studie einen diskursanalytischen Zugang. Im Rezeptionskontext von KZ-Bildern geht sie von der Hypothese aus, dass eine Fotografie nicht aus sich heraus spricht. Ihre Lesbarkeit werde vielmehr insbesondere von folgenden Publikationsmedien bestimmt: Illustrierte Zeitung, Bildband, Plakat, Projektionsleinwand im Gerichtssaal oder Dokumentationsmappe der Anklage, Ausstellung im Museum oder Ausstellungskatalog. Dementsprechend, so ihre Argumentationslinie, liessen sich Fotografien von Konzentrationslagern erst dann interpretieren, wenn man die Bildproduzenten, also die alliierten Fotografen, Staatsanwaelte, Richter/Verteidiger, Publizisten oder Ausstellungsmacher gleichzeitig im Blick behalte. Neben dem eigentlichen Bild misst Cornelia Brink auch den schriftlichen Belegen, also Bildlegende und Begleittext, eine signifikante Rolle zu.

Vor Kriegsende stiessen Bilder der befreiten Lager im Osten bei den Alliierten auf wenig Resonanz. Das Interesse konzentrierte sich allein auf die aktuelle Frontberichterstattung. Auch die Befreiung Auschwitz' ging zunaechst im allgemeinen Freudentaumel ueber den Sieg unter. Erst die westlichen Alliierten beauftragten professionelle Fotografinnen und Fotografen wie Lee Miller oder Margaret Bourke-White damit, die halb verhungerten Ueberlebenden und die Spuren des Massenmords im Bild festzuhalten. Cornelia Brink zeigt in ihrem Hauptkapitel ueber das "Scheitern der optischen Entnazifizierung 1945", wie widerspruechlich diese vordergruendig dokumentarischen Fotos gehandhabt wurden. Einerseits entstanden sie aus Betroffenheit, um die Deutschen mit ihren bis dahin unvorstellbaren Greueltaten zu konfrontieren. Dabei ging es zunaechst darum, Reue und Schuldbewusstsein zu wecken. Letzteres sollte schliesslich insofern kollektiv vermittelt werden, als die Fotografien in Zeitungen publiziert oder in Schaufenstern und Anschlagtafeln im Freien mit dem Zusatz "Ihr seid Schuld" ausgehaengt wurden. Andererseits sei in den Bildern auch eine Portion Schaulust feststellbar, ein distanzierter, ja inszenatorischer Blick, der dem eines Voyeurs auf ein sensationelles Ereignis aehnle. Zum dritten lieferten die Bilder des barbarischen Verbrechens schliesslich vor allem fuer die US-Amerikaner ein Mass an Sinnstiftung fuer ihren Einsatz zur Rettung der Zivilisation. Cornelia Brink zeigt ausserdem, dass die Opfer - aufgenommen meist am Betrachter vorbei ins Leere blickend - mit ihrer visuellen Reduziertheit auf Koerper und Masse einer Verdinglichung unterzogen wurden. Die deutschen Betrachter wiederum haetten durch die auf sie gerichteten Blicke der Opfer ihre Mitschuld in visueller Form nahegebracht bekommen, die dann innerhalb kollektiver Freund/Feindvorstellungen als ein trennendes Moment zwischen Siegern und Besiegten wirken konnte. Brink schliesst daraus, der Blick auf die Greuel sei so zum Mittel der Politik geworden.

Die Autorin hat auch Aussagen von Deutschen, die besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit den fotografischen Schreckensbildern aus den KZs konfrontiert wurden, aufgezeichnet und analysiert. Das Ergebnis: Die Deutschen zeigten sich entsetzt ueber das, was sie zu sehen bekamen. Erkennbar waren aber auch vehemente Verleugnungstrategien, die mit einer auffaelligen Gefuehlskaelte einher gegangen sind. Auf den Bildern, so Brink, war Sehen identisch mit Gesehen-werden. Die Reaktionen haetten stereotyp in folgende Aussage gemuendet: "Was auf den Bildern zu sehen ist, hat mit uns nichts zu tun." Die optische Entnazifizierung sei deshalb gescheitert, weil die deutschen Betrachter die Fotos anders gelesen haben als von den Alliierten erwartet.

Cornelia Brink setzt die Bilder der Shoah mit Ikonen gleich und verwendet dabei einen Begriff, mit dem gemeinhin solche Bilder bezeichnet werden, die "Geschichte" machten oder als religioese Kultbilder geistliche Inhalte zeigen und gleichzeitig verhuellen. Ein plausibler Gedanke, denn erst durch die millionenfach reproduzierten Fotografien der Lager wurden Stacheldraht, Wachturm, Eingangstor, Baracken, Schornsteine der Krematorien zum Symbol einer bis dahin unvorstellbaren Gewalt und damit zu einem Synonym eines Teils der deutschen Geschichte. Gleichzeitig gibt die Autorin aber zu bedenken, die Bilder seien, obwohl mittlerweile im kollektiven Gedaechtnis verankert, als gefrorene Ereignisse unentziffert und damit unverstanden geblieben. Keinen Zugang vermittelten die Fotografien der Shoah zu den wirklichen Ereignissen, allenfalls ein moralischer Appell liesse sich daraus ableiten.

Cornelia Brink argumentiert hart an der Bildquelle der reproduzierten Fotografie. Sie bindet aber ebenso Artikeltexte und andere schriftliche Belege mit in die Analyse ein. Zusaetzlich fuehrt sie den Diskurs ueber das Bildmedium Fotografie, der sich wie ein roter Faden durch ihr Buch zieht und schliesslich im Epilog komprimiert wird. Innerhalb der modernen Fotoforschung kann Cornelia Brinks aeusserst anregende Publikation nicht hoch genug geschaetzt werden. Die Autorin ist eine der ersten ueberhaupt, die sich grundlegend mit KZ-Fotos und ihrer Rezeption beschaeftigt hat. Sie demonstriert ausserdem, dass Bildquellen im visuellen Zeitalter sowohl aus volkskundlicher als auch aus zeitgeschichtlicher Perspektive unbedingt zum Repertoire der Forschung zu zaehlen sind. Ein fotohistorisches Defizit in ihrer Studie ist, dass sie die fruehen KZ-Fotos nicht beruecksichtigt. Eine Petitesse vielleicht, aber in den Anfangsjahren der Diktatur liessen die Nazi-Propagandastrategen gezielt Fotoreportagen ueber das KZ Dachau produzieren, die dann millionenfach in der deutschen und internationalen Presse veroeffentlicht wurden. Ziel dieser Propagandaluege war es, in der Oeffentlichkeit ein harmloses und beschauliches Bild des Lagerlebens zu zeichnen. Dieses Trugbild wurde denn auch zum Beispiel in vielen franzoesischen Illustrierten der Zeit ungefiltert reproduziert. Deshalb ist nicht auszuschliessen, dass die fruehen KZ-Bilder Eingang in das kollektive (deutsche) Gedaechtnis gefunden haben und somit bei manchen auch nach 1945 noch wirksam geblieben sind.

Document compiled by Dr S D Stein
Last update 10/07/2000
Stuart.Stein@uwe.ac.uk
©S D Stein

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