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Holger Berschel. Bürokratie und Terror. Das
Judenreferat der Gestapo Düsseldorf 1935-1945. Düsseldorfer
Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte
Nordrhein-Westfalens Band 58. Essen: Klartext Verlag, 2001. 478 S.
Bibliographie. EUR 39, ISBN 3-89861-001-2.
Reviewed by Ingrid
Schupetta, NS-Dokumentationssstelle der Stadt Krefeld.
Das geeignete Untersuchungsmaterial fand sich im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, wo 70.000 Personenakten aus den Büros der Gestapo Düsseldorf und ihrer Außenstellen lagern. Sie geben im Detail Aufschluss über Art und Umfang der Tätigkeit der Geheimpolizei. Die "Judenbetreffe" beschränken sich auf 6.400 Einzelakten, von den Holger Berschel eine Auswahl von 1.000 Akten sichtete. Für den Bereich Düsseldorf hat er damit immerhin über 15% des Bestandes ausgewertet. Zur Ergänzung zog Holger Berschel unter anderem Akten über Wiedergutmachungsverfahren heran, in denen sich Aussagen der Opfer befinden. Über die Seite der Täter recherchierte er zusätzlich in Entnazifizierungsunterlagen und Ermittlungsakten der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. Für alle, die sich mit den konkreten Schritten zum Holocaust beschäftigen, ist das sorgfältig recherchierte und ordentlich geschriebene Buch besonders aufschlussreich. Es dokumentiert nämlich außer den Personenakten auch jene Akten der Gestapo, aus denen die umfassende Beteiligung von Bürokraten hervorgeht (Polizei, Reichsbahn, Finanzamt, Gerichte, Post, Banken, Versicherungen, Gerichtsvollzieher, NSV usw.) Die Arbeit gliedert sich in einen knappen Teil über die Gestapo auf Reichsebene, einen ausführlicheren Abschnitt über die Gestapo im Regierungsbezirk Düsseldorf und einen Hauptteil über die Tätigkeit der Düsseldorfer Gestapo auf dem Gebiet der "Judenangelegenheiten". Damit betont Berschel notwendigerweise, dass es sich bei der Gestapo um eine hierarchisch gegliederte Behörde mit ziemlich klaren Befehlssträngen von oben nach unten handelte. Die Handlungsspielräume der Beamten schätzt er als eher gering ein. Mit seinem Ansatz, möglichst dicht an das historische Geschehen heran zu kommen, kann der Autor nicht nur die von interessierter Seite seinerzeit geschaffenen Mythen über die Geheimpolizei (allwissend, allmächtig, allgegenwärtig) als solche entlarven. Auch neue Mutmaßungen über einen besonderen Typ des Gestapo-Sachbearbeiters für Judenfragen (umgänglich, höflich, beruhigend) enttarnt er. In der Regel waren zwar ein bis drei bestimmte Mitarbeiter für Juden zuständig, bei den verhältnismäßig kleinen Dienststellen mussten häufig aber auch andere Beamte einspringen. Soweit die politischen Einstellungen einzelner Beamten vermutet werden können, lassen sich kaum Unterschiede in der Praxis nachweisen. Grundsätzlich wurden von den Vorgesetzten nationalsozialistische und rassistische Einstellungen begrüßt, notwendig waren sie in der Dienstroutine offensichtlich nicht. Bei der Betrachtung des Verhältnisses zu andern Behörden wird für Berschel sichtbar, dass es insbesondere zwischen Polizei und Gestapo eine enge Kooperation gab. Ohne die Hilfe der "normalen" Polizei wären flächendeckende Erfassung, Kontrolle und Überwachung bis hin zur Transportbegleitung bei Deportationen gar nicht möglich gewesen. Er stellt in dieser Kooperation eher System als Improvisation fest, zumal in wirklich wichtigen Fragen die Gestapo die Weisungsbefugnis erhielt. Für die Personalstruktur der Judenreferate konstatiert Berschel, dass 75% der Beamten bereits in der Weimarer Zeit als Schutz- oder Kriminalpolizisten beschäftigt waren. Die Versetzung zur Gestapo bedeutete in der Regel einen Karrieresprung, der unter normalen Verhältnissen nicht möglich gewesen wäre. Den Kollegen bei der Polizei blieb man privat verbunden (Wohnort, Vereine), was die Amtshilfe zusätzlich erleichterte. Der häufige Ortswechsel, der für die neuen Karrierebeamten der Gestapo besonders in der Kriegszeit charakteristisch ist, scheint für die Judensachbearbeiter nicht als Mittel der Einbindung in die große Kameraden- und Verbrechensgemeinschaft der SS benutzt worden zu sein. Der Verfasser weist noch auf einen weiteren interessanten Aspekt hin: weder aus den zeitgenössischen Akten noch aus den Nachkriegsuntersuchungen geht hervor, dass in den Judenreferaten im Bezirk Düsseldorf systematisch geprügelt oder gar gefoltert wurde. Wo es etwas zu ermitteln gab, erfolgte dies in Polizeiroutine: Befragung, Gegenüberstellung, Aufzeigen von Widersprüchen, erneute Befragung, Geständnis. Holger Berschel vermutet den Grund für die unerwartete Milde darin, dass es bei den Juden im Gegensatz zu den Sozialisten, Kommunisten, Zeugen Jehovas ja nie um das Aufrollen einer Organisation gegangen wäre. Die Rezensentin hat aber gerade aus dem Bereich der politischen Verfolgung ähnliche Beobachtungen gemacht. Hält sich hier noch ein Teil des Mythos? Die immer noch ausstehende Gesamtdarstellung der Gestapo Düsseldorf hat Holger Berschel nicht zu schreiben beabsichtigt. Er hat aber gute Teile des Fundaments geliefert und auch schon einige Bausteine bereit gelegt. |