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Burkhard Jellonnek und Rüdiger Lautmann, Hrsg. Nationalsozialistischer
Terror gegen Homosexuelle. Verdrängt und ungesühnt. Paderborn:
Schöningh, 2002. 310 S. Bibliographie. EUR 24, ISBN 3-506-74204-3.
Reviewed by Martin
Achrainer, Universität Innsbruck .
In dieser Rezension versuche ich mich auf das Kernthema des Titels - "Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle" - zu konzentrieren, der einen aktuellen Überblick dazu wohl verspricht - ein solcher wäre angesichts der Forschungen des letzten Jahrzehnts auch angebracht -, aber nicht unbedingt zu halten vermag. Der ursprünglich vom Verlag angekündigte Titel "Gab es den Homocaust?" hätte vielleicht auch gepasst, befassen sich doch mehrere Autoren mit einer Art Selbstkritik, die sich auf frühere weit überzogene Opferzahlen und den Vergleich der Verfolgung Homosexueller mit der Judenverfolgung bezieht. Dieses Thema darf als erledigt betrachtet werden, der Abschied gestaltete sich anscheinend mühselig. Rüdiger Lautmann versucht in seinem Beitrag über die "Paradigmen der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung" eine solche Entmythologisierung zu begründen und diskutiert u. a. ein "kriminologisches Paradigma", das die Verfolgung Homosexueller unter den Aspekt sozialer Kontrolle im engeren Sinn stellt. Das dürfte der Realität im Dritten Reich auch weitgehend entsprechen, jedenfalls der präziseren Erforschung dienlich sein. Den Blick nicht in erster Linie empathisch auf die Leiden der Opfer zu richten, sondern analytisch auf die Institutionen der Verfolgung und ihre Methoden, führt zu besserer Erkenntnis; die umständlichen Bekenntnisse mancher Autoren des Bandes im Sinne einer Abkehr vom "Homocaust"-Mythos zeugen meiner Ansicht nach tatsächlich vom Bedürfnis danach, "das Thema in die Normalität geschichtswissenschaftlicher Arbeit zu heben", wie die Herausgeber in der Einleitung formulieren (S. 11). Viele Beiträge in diesem Band zeigen aber, dass dieser Anspruch heute weitestgehend durchaus erfüllt wird. In dieser "Normalität" befinden sich jedenfalls Claudia Schoppmann und Angela H. Mayer, die jeweils einen kompetenten Überblick über die von ihnen erforschten Verfolgungssituationen gegen lesbische Frauen in Deutschland und Österreich bieten. Da Liebesverhältnisse zwischen Frauen in Deutschland nicht strafbar waren, war das Stigma "asozial" in der Verfolgung zentral; dasselbe galt aber auch für Österreich - lesbische Liebe war und blieb zwar strafbar, vorherrschend scheint jedoch auch hier die Einstufung als "asozial" gewesen zu sein. Während Schoppmanns Veröffentlichungen dem interessierten Publikum wohl durchwegs als Standardwerke bekannt sind, geht Mayers Aufsatz auf eine leider immer noch nicht veröffentlichte Studie über Arbeitsanstalten für "asoziale" Frauen im Gau Wien und Niederösterreich zurück. Gerade weil die Literatur über "Asoziale" insgesamt recht spärlich ist, wäre die Veröffentlichung dieser Studie wünschenswert. Für die Verfolgung männlicher Homosexueller fehlt ein zusammenfassender Überblick wie jener von Claudia Schoppmann über lesbische Frauen. Ein solcher hätte als Einleitung zu den Spezialbeiträgen gut getan; immerhin sind die Standardwerke dazu, wie jenes von Burkhard Jellonnek, auch schon über ein Jahrzehnt alt. Burkhard Jellonneks Aufsatz "Staatspolizeiliche Fahndungs- und Ermittlungsmethoden gegen Homosexuelle" bezieht sich stark auf die jüngeren Erkenntnisse der Gestapo-Forschung, in der die Gestapo (in der Überwachung und Verfolgung der "Volksgenossen") als weitgehend "reagierende Institution" gesehen wird, eine Einschätzung, die er in den von ihm untersuchten Bezirken ohne "Szene" bestätigt findet: "Hier beschränkte man sich, Denunziationen von Dritten abzuwarten, die Geständnisse bereits ermittelter Homosexueller auszuwerten oder auf den 'Kommissar Zufall' zu hoffen, der in Ermittlungen in anderer Sache homosexuelle Handlungen ans Tageslicht brachte." Eine "aktive" Vorgangsweise zeigte die Gestapo dagegen in Großstädten mit bekannten Treffpunkten. Den Anteil der durch Denunziation ausgelösten Ermittlungen gegen Homosexuelle beziffert Jellonnek für Würzburg und Düsseldorf mit 9 bzw. 15 % (S. 158), während in Düsseldorf "mehr als jeder zweite Verdächtigte Opfer von eigens inszenierten Razzien" wurde (S. 159). Schriftlich festgehaltene Vorträge haben in der Regel nicht die Qualität und "Benutzbarkeit" wissenschaftlich ausgearbeiteter Aufsätze, eine geringfügige Ausarbeitung darf aber wohl erwartet werden. Beinahe zum Ärgernis wird das Ausbleiben solcher Überarbeitung im Beitrag des Sozialhistorikers John C. Fout, der "Neue Forschungsansätze über Alltagsleben und Verfolgung" präsentiert. Man erfährt hier, wann Fout einen Akt in der Hand hatte und dass er monatelang auf Forschungsbewilligungen wartete; das ist in einem Vortrag erträglich, lesen muss man es nicht. Er erwähnt "zwei neue Bücher" über ein Thema, ohne sie anzugeben. Inhaltlich und argumentativ geht es mehr als unscharf zu. Obwohl Fout mehr als 1400 Justizakten, vorwiegend aus Hamburg, ausgewertet hat, scheint er wichtige Grundlagen nicht vollständig erfasst zu haben. Er erwähnt zwar die Einführung der Sicherungsverwahrung, der Entmannung usw. für Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher im November 1933; der späteren Einführung der Todesstrafe für denselben Personenkreis (§ 20a RStGB.) misst er aber anscheinend keine größere Bedeutung zu, obwohl er eingangs einen Fall präsentiert, in dem das Gericht ein Todesurteil erwogen und abgelehnt hat. Einen Hinweis auf diesen weiteren Einschnitt in der Verfolgungsgeschichte nicht nur der Homosexuellen sucht man allerdings im ganzen Buch vergeblich - es fehlt eben, wie gesagt, ein zusammenfassender Überblick. Manche von Fouts durchaus interessanten Aussagen erscheinen in ihrer weitgehenden Pauschalität fragwürdig, und man darf auf sein im Text angekündigtes Buch und damit auf eine Präzisierung gespannt sein. Interessant ist seine These, dass von der Verfolgung im wesentlichen schwule Arbeiter betroffen gewesen seien, vor allem unter den Todesopfern (S. 172); bürgerliche Schwule (sofern sie es nicht mit Minderjährigen zu tun hatten) seien "zum ersten Mal" in der Phase von 1936 bis 1939 verfolgt worden (S. 167). Eher kurios: "So gab es keinen Oralverkehr auf dem Lande, wenigstens nicht in den von mir analysierten Regionen Deutschlands." (S. 165) Oder doch nur in den von ihm analysierten Akten? Ob das vielleicht auf zuviel Vertrauen in die Quellen zurückzuführen ist? Ärgerlich sind nebensächliche Formulierungen wie "Im Gegensatz zur Ziviljustiz war die Wehrmachtsjustiz unglaublich hart." - u.a. sprechen Tausende von Sondergerichten verhängte Todesurteile gegen Kleinkriminelle gegen eine allzu große Milde der Ziviljustiz. Möglicherweise ein sprachliches Missverständnis - wenn nicht, dann fehlt es hier stark an Quellenkritik - führt schlicht zu völlig verfälschten Aussagen. Die Frage "Wer denunzierte Homosexuelle?" beantwortet Fout mit einer erstaunlichen Zahl: Zu 60 % seien es andere schwule Männer gewesen (vgl. dazu Jellonneks oben zitierte Ergebnisse). Offensichtlich bezieht Fout aber unter den Begriff "Denunziation" auch die Aussagen bereits Verhafteter im Polizeiverhör ein, was jeder Definition und dem landläufigen Gebrauch des Wortes widerspricht, vor allem angesichts der möglichen und gebräuchlichen Methoden im Polizei- bzw. Gestapoverhör. Johannes Wasmuth zieht schließlich eine prägnante Bilanz der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller in der BRD und DDR, in der er eine geradezu unglaubliche Kontinuität in der BRD-Justiz nachweist. Die Verschärfung des § 175 RStGB im Jahr 1935 blieb in der BRD bis 1969 aufrecht; weder Gesetzgeber noch Bundesverfassungsgerichtshof wollten daran etwas ändern, mochte der Deutsche Juristentag dagegen protestieren und die "rechtsstaatliche Unhaltbarkeit der Strafdrohung des § 175 RStGB durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen" (S. 175) belegt sein - es blieb dabei. Der Bundesverfassungsgerichtshof argumentierte 1957 mit dem "Sittengesetz" und der "deutschen Auffassung", die gleichgeschlechtliche "Verirrung" führe "zur Entartung des Volkes und zum Verfall seiner Kraft". Dabei bleibt Wasmuth in seinem knappen und exakten Stil völlig unpolemisch; insgesamt ein hervorragender Beitrag. Zum Kernthema des Bandes gehören schließlich auch die beiden Aufsätze, die die Bekämpfung Homosexueller in den besetzten Niederlanden (Pieter Koenders) und im besetzten Frankreich (Mario Kramp) behandeln. Auf einige weitere Beiträge sei noch kurz hingewiesen: Auf die Problematik Männerbund und Homophobie geht Geoffry J. Giles ein, der anhand eines konkreten Falles zeigt, wie sich Vorwurf der Homosexualität als Mittel gegen alte Rivalen einsetzen ließ. Harry Oosterhuis interpretiert die Verfolgung Homosexueller vor dem Hintergrund "der Homosexuellengefahr in den eigenen Reihen" der Nationalsozialisten, die davon "regelrecht besessen" gewesen seien. Nicht nachvollziehbar erscheint mir Manfred Herzers Zugangsweise, der in seinem Beitrag "Schwule Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus" neue Studien zu vier Männern ankündigt, dabei letztlich nicht viel mehr als Gerüchte und Vermutungen, sie seien homosexuell gewesen, zusammenträgt und damit wohl allenfalls die Klatsch- und Tratschseiten der Geschichtsschreibung füllt - Erkenntnis gibt's jedenfalls keine. Der Abschnitt "Medizin und Psychiatrie" bietet sehr gut verständliche Einführungen in die Diskussionen und den wissenschaftlichen Status der Zeit: Marc Dupont stellt "Biologische und psychologische Konzepte" (konkret: Erbbiologie, Endokrinologie, Psychiatrie und Psychotherapie) und ihre wichtigsten Vertreter dar, dem Psychiater Hans Bürger-Prinz ist ein eigener Beitrag von Peter von Rönn gewidmet. Günter Grau untersucht den Beitrag der "Mediziner als Vollstrecker" bei Kastration und in den so genannten "erbbiologischen Sammelstellen". In den beiden letzten Abschnitten geht es um Wiedergutmachung und um Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit. Interessant ist vor allem Rüdiger Lautmanns Vorschlag einer "kollektiven Wiedergutmachung" in Form einer (Magnus-Hirschfeld-)Stiftung, "die sich der Dokumentation der Diffamierung und Vernichtung sowie der Erinnerungsarbeit zu widmen hätte" (S. 305). Im Rahmen diese Rezension konnte nur ein Bruchteil des Bandes besprochen werden. Ein knappes Fazit: Wer sich mit dem Thema befasst, wird um den Band nicht herumkommen und so manchen Beitrag wirklich bereichernd und anregend finden; wer sich einen (ersten) Überblick verschaffen will, muss immer noch auf ältere Literatur zurückgreifen. |