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The Holocaust History Project.
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Belzec-Prozess - Urteil

LG München I vom 21.1.1965, 110 Ks 3/64

INHALTSVERZEICHNIS

I. Zur Person des Angeklagten
II. Die nationalsozialistische Judenpolitik
III. Das Lager Belzec
IV. Die Aufgaben des Angeklagten in Belzec und Lublin
V. Einlassung des Angeklagten; Beweiswürdigung
VI. Zurechnungsfähigkeit
VII. Rechtliche Würdigung
VIII. Strafzumessung
IX. Kosten

Im Namen des Volkes

Das Schwurgericht bei dem Landgericht München I erlässt in der Strafsache gegen

Oberhauser Josef Kaspar,

wegen Beihilfe zum Mord,

in der öffentlichen Sitzung vom 21.Januar 1965, auf Grund der Hauptverhandlung vom 18., 19., 20. und 21.Januar 1965 folgendes Urteil:

Oberhauser Josef, geboren am 20.9.1915 in München-Riem, verheirateter Schenkkellner in München, z.Zt. in Untersuchungshaft in den Strafanstalten München, wird wegen eines Verbrechens der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 300000 Fällen und wegen fünf weiterer Verbrechen der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in je 150 Fällen zur Gesamtstrafe von vier Jahren sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird angerechnet. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf die Dauer von drei Jahren aberkannt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

GRÜNDE

I.

1. Der heute 49jährige Angeklagte wurde als ehelicher Sohn des Ökonomiebaumeisters Melchior Oberhauser in München-Riem geboren und wuchs im elterlichen Haushalt auf. Sein Vater war auf einem landwirtschaftlichen Gut in München-Riem beschäftigt. Nach dem Besuch der Volksschule wurde der Angeklagte zu einem Onkel in Markt Schwaben gegeben, in dessen landwirtschaftlichem Betrieb er Beschäftigung fand. Im Jahre 1934 meldete Oberhauser sich freiwillig zur Reichswehr und verpflichtete sich für eine Dienstzeit von achtzehn Monaten. Er wurde zum Infanterieregiment 19 in München einberufen und liess sich nach Ablauf seiner Dienstzeit von der SS-Verfügungstruppe anwerben, wo er im November 1935 der Totenkopfstandarte "Brandenburg", die in Oranienburg stationiert war, zugeteilt wurde. Gleichzeitig wurde er Mitglied der NSDAP. Im Jahre 1936 wurde er zum SS-Rottenführer (Gefreiten) und etwa zwei Jahre darauf zum SS-Unterscharführer (Unteroffizier) befördert.

Bei Ausbruch des Krieges wurde die SS-Verfügungstruppe "Brandenburg" aufgeteilt. Oberhauser wurde zur "Leibstandarte Adolf Hitler" versetzt, in deren Reihen er den Polenfeldzug mitmachte, dessen Beendigung ihm die Beförderung zum SS-Oberscharführer brachte. Im November 1939 wurde er zu der im Bereich der Kanzlei des Führers neu errichteten "Reichsarbeitsgemeinschaft für Heil- und Pflegeanstalten" in Berlin versetzt und wirkte anschliessend bei der Tötung von Geisteskranken in den sog. Euthanasieanstalten Grafeneck, Brandenburg und Bernburg mit. Nach Einstellung der Euthanasieaktion erfolgte im November 1941 seine Kommandierung zum Stab des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin (Polen), SS-Brigadeführer und Generalleutnant der Polizei Globocnik, wo er in der Folgezeit im Rahmen der "Aktion Reinhard" (Tarnbezeichnung für die Judenvernichtung) Verwendung fand. Wegen seiner ausgezeichneten Dienstleistung bei der Durchführung der "Aktion Reinhard" - Himmler hatte anlässlich einer Besichtigung der Vernichtungseinrichtungen im Raum Lublin von einer "einmaligen Leistung der beteiligten Männer" gesprochen und deren Beförderung bewilligt - wurde Oberhauser mit Wirkung vom 20.4.1943 vom SS-Hauptscharführer zum SS-Untersturmführer (unterster Offiziersdienstgrad der Waffen-SS = Leutnant) befördert. Ab Herbst 1943 war er dann in Oberitalien zur Partisanenbekämpfung eingesetzt, wo ihn am 30.1.1945 seine Beförderung zum SS-Obersturmführer erreichte. Bei Kriegsende setzte er sich mit Angehörigen seiner Einheit nach Österreich ab und geriet in Bad Gastein in englische Kriegsgefangenschaft.

2. Am 24.September 1948 wurde der Angeklagte, der im Frühjahr 1948 anlässlich eines Aufenthalts in der Sowjetzone ergriffen worden war, durch die nach Befehl 201 der sowjetischen Militärverwaltung gebildete 5. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg wegen Verbrechens gegen das Kontrollratsgesetz Nr.10 in zwei Fällen, davon in einem im Fortsetzungszusammenhang, zu einer Zuchthausstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Ausserdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren aberkannt. Gleichzeitig wurde er nach Direktive 38 Artikel II Ziffer 7 und 8 als Hauptbelasteter eingestuft, was die Verhängung einer Reihe von Sühnemassnahmen gegen ihn zur Folge hatte. Gegenstand des Verfahrens war die Beteiligung Oberhausers an den Euthanasieverbrechen in Grafeneck, Bernburg und Brandenburg und seine Zugehörigkeit zur SS als einer verbrecherischen Organisation. Wegen dieser unter Anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr.10 Art.II Ziffer 1c und 1d abgeurteilten Straftaten waren gegen den Angeklagten Einzelstrafen von vierzehn und drei Jahren Zuchthaus ausgesprochen und daraus eine Gesamtstrafe von fünfzehn Jahren Zuchthaus gebildet worden.
Nach Verbüssung eines erheblichen Teils dieser Strafe in ostzonalen Anstalten wurde Oberhauser am 28.4.1956 im Rahmen einer Amnestie aus der Haft entlassen. Die Strafe ist endgültig erlassen.

II.

1. Entsprechend dem Parteiprogramm der NSDAP, nach dessen Punkt 4 ein Jude niemals Volksgenosse und damit Staatsbürger sein konnte, begann schon bald nach der sogenannten Machtübernahme am 30.1.1933 die Diskriminierung und Entrechtung der in Deutschland lebenden Juden. Dies geschah zunächst durch eine Reihe gesetzgeberischer Massnahmen, die darauf abzielten, die Juden aus dem öffentlichen Leben und aus dem Wirtschaftsleben zu eliminieren und auf diese Weise zur Auswanderung unter Zurücklassung grosser Teile ihres Vermögens zu veranlassen (vgl. z.B. das Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933; Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 und die dazu erlassenen Verordnungen). Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935, das die Eheschliessung von Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sowie den Geschlechtsverkehr zwischen Personen der genannten Bevölkerungskreise verbot und Zuwiderhandlungen unter schwere Strafe stellte, und einige Verordnungen (z.B. die 3. Bekanntmachung über den Kennkartenzwang vom 23.7.1938; 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938) dienten der Isolierung der Juden innerhalb des Volkskörpers. Man scheute auch nicht davor zurück, den gesetzlichen Verfolgungsmassnahmen durch Gewaltakte gegen die jüdische Bevölkerung besonderen Nachdruck zu verleihen. Die Tötung des deutschen Legationssekretärs vom Rath durch den Juden Hershel Grynspan war ein willkommener Anlass, in der Nacht vom 9. zum 10.November 1938 im gesamten Reichsgebiet unter der Führung örtlicher Parteiführer und sonstiger Funktionäre zu Willkür- und Terrorakten gegenüber den Juden zu schreiten. In dieser sog. "Reichskristallnacht" wurden durch den gelenkten Pöbel zahlreiche Angehörige der jüdischen Bevölkerung ermordet und misshandelt und ihre Geschäfte und Wohnungen demoliert und geplündert. Das genannte Attentat bot der nationalsozialistischen Reichsregierung auch Gelegenheit, die Entrechtung der Juden durch weitere gesetzgeberische Massnahmen zu vervollständigen und ihre Vertreibung aus dem deutschen Reichsgebiet zu beschleunigen (z.B.: 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939, RGBl. I S.1097 ff.).

Nach dem Beginn des 2.Weltkrieges wurden die Juden in ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb des Reichsgebietes beschränkt und dazu gezwungen, vom 6. Lebensjahr ab in der Öffentlichkeit den Judenstern zu tragen (vgl. Polizeiverordnung vom 1.9.1941, RGBl. I S.547 ff.). Ihre Arbeitsverhältnisse wurden in Beschäftigungsverhältnisse besonderer Art umgewandelt (Verordnung vom 31.10.1941, RGBl. I S.681 ff.). Ferner wurde ihnen verboten, öffentliche Fernsprechzellen, öffentliche Verkehrsmittel, elektrische Geräte, Fahrräder, Schreibmaschinen usw. zu benutzen. In Strafsachen wurde ihnen die Einlegung von Rechtsmitteln untersagt. Schliesslich wurde durch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1.7.1943 (RGBl. I S.372) bestimmt, dass strafbare Handlungen von Juden nicht mehr durch die ordentlichen Gerichte, sondern durch die Polizei geahndet wurden und dass nach dem Tode eines Juden sein gesamtes Vermögen dem Reich verfiel.

2. Während zunächst lediglich die Entrechtung und die Vertreibung der Juden aus Deutschland angestrebt war, wurde mit Rücksicht auf die Anfangserfolge der deutschen Wehrmacht im Kriege, die zur Unterwerfung grosser Teile Europas führten, von den NS-Gewalthabern die radikale Vernichtung der Juden innerhalb ihres Machtbereiches ernsthaft in Erwägung gezogen. Dieses Endziel, nämlich die Vernichtung der als minderwertig erachteten jüdischen Rasse, schwebte Hitler offenbar schon längere Zeit vor Kriegsbeginn vor, als er in der Reichstagsrede vom 30.1.1939 ausführte:
Ich will heute wieder ein Prophet sein. Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerhalb und ausserhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.

III.

1. Der Feldzug gegen die Sowjetunion gab den nationalsozialistischen Machthabern die Gelegenheit, zur Durchführung der geplanten "Endlösung der Judenfrage", d.h. zur physischen Vernichtung des Judentums, zu schreiten und zunächst die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung im deutschen Einflussbereich Osteuropas zu verwirklichen. Zu diesem Zweck waren bereits vor Beginn des Russlandfeldzuges die sogenannten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes gebildet worden, die unmittelbar dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, unterstellt waren und deren Angehörige sich vorwiegend aus den Reihen der SS, der Geheimen Staatspolizei, des Sicherheitsdienstes und der Kriminalpolizei rekrutierten. Diese mobilen Einheiten der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes hatten sich während des Polenfeldzuges und im unmittelbaren Anschluss daran bei der Liquidierung der polnischen Führungsschicht bewährt.

Die Vernichtung der Juden im Wege der Massenerschiessungen erschien den Gewalthabern des Dritten Reiches auf die Dauer nicht durchführbar. Man ging daher nach entsprechenden Versuchen mit "Vergasungswagen" im Frühjahr 1942 dazu über, die von der nationalsozialistischen Staatsführung beschlossene Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten in der Folgezeit in den Gaskammern von Vernichtungslagern zu vollziehen. Mit der Durchführung dieser Massentötungen, die unter der Tarnbezeichnung "Aktion Reinhard" erfolgten, wurde von Himmler der im Distrikt Lublin (Ostpolen) eingesetzte SS- und Polizeiführer, der SS-Brigadeführer und Generalleutnant der Polizei Odilo Globocnik, beauftragt. Als Stammpersonal wurden ihm zahlreiche Angehörige der seit Herbst 1939 im Bereich der Kanzlei des Führers in Berlin bestehenden "Reichsarbeitsgemeinschaft für Heil- und Pflegeanstalten", deren Errichtung durch Geheimauftrag Hitlers vom 1.9.1939 (sog. Nacht- und Nebelerlass) angeordnet und die mit der planmässigen Tötung von Geisteskranken betraut worden war, zur Verfügung gestellt und nach Lublin abgeordnet. Diese Leute der vorbezeichneten Dienststelle, die auch die Bezeichnung T4 führte - so benannt nach ihrem Sitz Tiergartenstrasse 4 -, waren nach Einstellung der unter der Bezeichnung "Vernichtung lebensunwerten Lebens" bekannt gewordenen Tötungsaktion (sog. Euthanasieprogramm) für andere Aufgaben frei geworden.

Im Zuge der "Aktion Reinhard" wurden mehrere Vernichtungslager in Ostpolen errichtet, darunter das Lager Belzec, mit dessen Aufbau in der Nähe des Ortes Belzec, Kreis Tomaszow, im Spätherbst 1941 begonnen wurde. Das Lager, das sich in unmittelbarer Nähe der ehemaligen deutsch-russischen Demarkationslinie befand und in das ein Nebengleis der Eisenbahnlinie Tomaszow - Lublin führte, war mit Stacheldraht umgeben, dessen Bewuchs so durchflochten war, dass man nicht hineinsehen konnte. Es war in die Lagerbereiche I und II unterteilt und hatte ein Ausmass von etwa je 250 m an der Nord-, West- und Ostseite und von rund 200 m an der Südseite. Im Lagerbereich I waren die Unterkünfte für die Wachmannschaften, die Entladerampe, der Sammelplatz für die Juden, die Entkleidungsbaracken und eine Räumlichkeit, in der den jüdischen Frauen die Haare geschoren wurden. Der Lagerbereich II war durch einen Zaun vom Bereich I völlig abgetrennt. Beide Lagerbereiche waren durch einen engen Gang, der aus Stacheldraht mit Bewuchsverflechtung und Bastmatten gefertigt war und die Bezeichnung "Schlauch" trug, miteinander verbunden. Durch diesen Gang wurden die Juden von der Entkleidungsbaracke zum Eingang des Gebäudes getrieben, in dem sich die Vergasungsanlage befand und wo der eigentliche Vernichtungsvorgang stattfand.

Etwa Mitte März 1942 wurde der Vernichtungsbetrieb im Lager Belzec aufgenommen. Die Vergasungen wurden zunächst in einer innen mit Blech ausgeschlagenen Holzbaracke durchgeführt, die nur aus einem Raum bestand und ein Fassungsvermögen von ca. 100-150 Personen hatte. Als Tötungsmittel wurden in den ersten Wochen Zyklon-B-Gas, später aus Ersparnisgründen die Abgase eines Dieselmotors verwendet. Als man genügend Erfahrung gesammelt hatte, riss man etwa Mitte Mai die ursprüngliche Vergasungsbaracke ab und errichtete an ihrer Stelle ein massives Steingebäude mit insgesamt 6 Gaskammern im Ausmass von 4 x 5 m. Dieses war Ende Juni 1942 fertiggestellt. An der Eingangstüre war die Aufschrift "Bade- und Inhalationsraum" angebracht. Der Bau wurde in seiner Länge durch einen Gang geteilt, zu dessen beiden Seiten jeweils drei Gaskammern lagen. Die Kammern waren durch Türen zugänglich, die luftdicht abgeschlossen und von innen nicht geöffnet werden konnten. An der Aussenseite jeder Gaskammer waren mit Gummi abgedichtete Schiebetüren angebracht, die auf Rampen hinausführten, auf die nach Beendigung des Vergasungsvorgangs die Leichen zum Zwecke des Abtransportes verbracht wurden. Die Gaszuführung zu den einzelnen Kammern erfolgte durch ein Röhrensystem. Die Räume waren zur Erleichterung der nach der Vergasung erforderlichen Reinigung bis zu einer Höhe von ca. 1 m mit Zinkblech verkleidet.

Nach Fertigstellung des Massivbaues konnten bei einem Vergasungsvorgang bis zu etwa 1500 Menschen getötet werden. Es bestand nunmehr die Möglichkeit, verhältnismässig grosse Transporte zusammenzustellen und die darin befindlichen Menschen innerhalb weniger Stunden zu töten.

2. Kommandant des Lagers Belzec war bis zum 1.August 1942 der SS-Hauptsturmführer und Polizeihauptmann Christian Wirth, ein bedingungsloser Nationalsozialist, der bereits massgeblich bei der Vernichtung von Geisteskranken mitgewirkt hatte. Sein Diensteifer in seinem neuen Wirkungsbereich war offensichtlich auch der Anlass, dass er am 1.8.1942 zum Inspekteur der drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka mit Sitz in Lublin ernannt wurde. Seine weitere Bewährung an dieser massgeblichen Stelle der Aktion "Reinhard" trug ihm am 30.1.1943 die Beförderung zum Polizeimajor ein und hatte ferner die Folge, dass er unter Umgehung der entsprechenden Bestimmungen mit Wirkung vom 20.4.1943 vorzeitig zum SS-Sturmbannführer befördert wurde. Sein Nachfolger in Belzec war der SS-Hauptsturmführer Hering, gleichfalls ein Polizeiangehöriger und ein Mann, der seine Stellung bedenkenlos ausfüllte. Für die Durchführung des Vernichtungswerkes standen dem Lagerkommandanten deutsches Personal und eine aus ukrainischen Hilfswilligen und Volksdeutschen gebildete Wachmannschaft zur Verfügung. Den Stamm des deutschen Lagerpersonals stellten Angehörige der Dienststelle T4 in Berlin und Angehörige der SS und Polizei, die man zur Dienstverrichtung nach Belzec kommandierte und die zum Teil bereits früher der Dienststelle T4 unterstanden hatten. Sämtliche Angehörigen des deutschen Lagerpersonals waren entweder schon im Rahmen der Euthanasieaktion oder zu Beginn des "Einsatzes Reinhard" zur Geheimhaltung verpflichtet und darauf hingewiesen worden, dass die Vorgänge bei der "Judenumsiedlung" Gegenstand einer "Geheimen Reichssache" waren. Die Besoldung der deutschen Angehörigen der "Aktion Reinhard" oblag der Dienststelle T4 in Berlin und wurde von einem eigenen Kurier in das Lager gebracht. Sie bestand aus dem üblichen Sold (Wehrsold, Kriegsbesoldung, wie er auch an Angehörige der Wehrmacht unter Berücksichtigung des Dienstgrades gezahlt wurde) und einer Zulage von täglich RM 18.-, die unterschiedslos an alle Angehörigen des "Einsatzes Reinhard" zur Auszahlung gelangte.

3. Die deutsche Lagerbesatzung war ausserhalb des Lagers in festgebauten Häusern untergebracht. Ihre wesentliche Aufgabe bestand in der Beaufsichtigung der jüdischen Arbeitskommandos, der sogenannten "Arbeitsjuden", die ständig in einer Zahl von mehreren Hundert im Lager anwesend waren und in der Hoffnung, das eigene Leben zu retten, ihre grausige Tätigkeit verrichteten, durch die sie ihre Rassegenossen dem Tode zuführten. Dabei war jedem einzelnen des deutschen Aufsichtspersonals ein fester Aufgabenbereich zugewiesen, um eine eingespielte und reibungslose Abwicklung der Massentötungen zu gewährleisten. Beim Einlauf eines Transportes, dessen Ankunft selbstverständlich vorausgemeldet worden war, übernahm jeder Angehörige der Lagerbesatzung die ihm zugedachte Funktion im Rahmen des Vernichtungsvorganges, der sich jeweils in der gleichen Weise abspielte: Die auf dem Wege des Eisenbahntransportes eingetroffenen Juden, häufig in überladenen Güterwagen zusammengepresst, wurden durch jüdische Arbeitskommandos innerhalb des Lagers (Bereich I) entladen. Dabei wurde streng darauf geachtet, dass kein Angehöriger des Zugbegleitpersonals das Lager betrat. Anschliessend hielt der Lagerkommandant oder einer der SS-Unterführer eine kurze Ansprache, in der den Neuangekommenen erklärt wurde, sie kämen nun zum Arbeitseinsatz, müssten vorher aber noch entlaust, gebadet und körperlich untersucht werden. Dann mussten sich alle in den hierfür vorgesehenen Baracken, nach Geschlechtern getrennt, völlig entkleiden und ihre Wertsachen an einem besonders hierfür eingerichteten Schalter abgeben. Die Frauen wurden angewiesen, sich in entkleidetem Zustand in eine Baracke zu begeben, in der ihnen von Angehörigen des jüdischen Arbeitskommandos die Haare abgeschnitten wurden. Diese wurden der Rüstungsindustrie als kriegswichtiges Material zugeführt. Schliesslich trieb man aus Gründen der Sicherheit zuerst die Männer und dann die Frauen und Kinder durch den sogenannten "Schlauch" zum Vergasungsgebäude. Dort führte man sie in die einzelnen Kammern, wobei man jeweils 200-300 Menschen in einer Kammer (vor Fertigstellung des Massivbaues jeweils 100-150 Menschen in der einzigen Kammer der behelfsmässigen Vergasungsbaracke) zusammenpferchte. Dann wurden die Türen der Gaskammer verschlossen und das Licht ausgeschaltet. Spätestens in diesem Zeitpunkt ahnten die Opfer das ihnen zugedachte Schicksal. Endlich wurde der Dieselmotor angeworfen, dessen Abgase den jämmerlichen Erstickungstod der eingeschlossenen Menschen herbeiführte, der je nach der körperlichen Widerstandsfähigkeit nach einer qualvollen Zeitspanne von 15-30 Minuten eintrat. Anschliessend öffnete man die äusseren Türen der Kammern, in denen die bedauernswerten, zumeist mit Speichel, Kot und Urin beschmutzten Opfer infolge der Enge zum Teil noch in verkrampften Stellungen standen oder übereinander lagen. Die hierzu eingeteilten jüdischen Arbeiter schlangen Lederriemen um die Handgelenke der Toten und schleiften sie zu den etwa 100-150 m entfernten, vorbereiteten Gruben. Auf dem Wege dorthin wurden ihnen durch jüdische Zahnärzte, die zu einem besonderen Kommando gehörten, die Goldzähne herausgebrochen. Ausserdem untersuchte man die Körperöffnungen der Getöteten zum Zwecke der Sicherstellung verborgener Wertgegenstände.

In dem Vernichtungslager Belzec fanden in der Zeit vom März bis Mai 1942 mindestens 90000 und in der Zeit von Juli bis November 1942 (nach Errichtung des massiven
Vergasungsgebäudes) mindestens 300000 Menschen den Tod.

IV.

1. Der Angeklagte Oberhauser - damals SS-Oberscharführer - war von November bis Weihnachten 1941 Angehöriger des Stabes des SS- und Polizeiführers in Lublin. Anschliessend wurde er dem Lagerkommandanten von Belzec zur Dienstleistung zugeteilt, der ihn als Verbindungsmann zum Stab des SS- und Polizeiführers einsetzte und ihm im übrigen, anders als den sonstigen Unterführern, keinen festen Aufgabenbereich innerhalb des Lagers zuwies, sondern ihn zu seiner persönlichen Verfügung hielt. Oberhauser wurde infolgedessen innerhalb des Lagers häufig in Begleitung Wirths gesehen, ohne dass er eine erkennbare eigene Tätigkeit entfaltet oder selbständige Befehlsgewalt ausgeübt hätte.

Nur gelegentlich fand Oberhauser auch bei der Durchführung der Massentötungen, deren Unrechtmässigkeit er voll erkannt hatte, Verwendung. So nahm er auf Befehl des Lagerkommandanten Wirth in der Zeit von Mitte März bis 1.August 1942 in mindestens fünf Fällen die im Lager Belzec eintreffenden Eisenbahntransporte, die jeweils mindestens 150 Personen umfassten, am Lagertor in Empfang. Er führte die Aufsicht beim Entladen der Transporte und sorgte dafür, dass das Zugbegleitpersonal den Lagerbereich nicht betrat und ausserhalb des Lagers in Bereitschaft gehalten wurde, um im Falle eines Aufstandes oder eines verzweifelten Ausbruchsversuchs der todgeweihten Menschen die äussere Postenkette verstärken zu können. Sämtliche mit diesen Transporten eingetroffenen Juden wurden in der bereits geschilderten Weise getötet.

2. Als im Frühjahr 1942 zur Erhöhung der Vernichtungskapazität der grosszügige Ausbau des Lagers Belzec in Angriff genommen wurde, war es Aufgabe des Angeklagten, die erforderlichen Baumaterialien, insbesondere für die Errichtung der grösseren Vergasungsanlage, herbeizuschaffen. Für die Erfüllung dieser Aufgabe standen ihm Kraftfahrzeuge und die nötigen Leute zur Verfügung. Er war sich bei seiner Tätigkeit der Tatsache bewusst, dass durch die unter seiner Mitwirkung ausgeführten Arbeiten die Voraussetzungen für eine erhebliche Steigerung der Vernichtungszahlen geschaffen werden sollten. Am 1.August 1942 bezog Wirth als Inspekteur der drei Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor seine neue Dienststelle in Lublin und erreichte, dass Oberhauser, den er als pflichtbewussten Untergebenen schätzte, gleichfalls dorthin versetzt wurde. Dort wurde dem Angeklagten vom Stab des SS- und Polizeiführers Globocnik die Befehlsgewalt über die in Lublin eingesetzten ukrainischen Wachmannschaften übertragen, die wichtige Objekte zu bewachen hatten. Daneben stand er weiterhin Wirth zur Verfügung, bei dessen Inspektionsfahrten zu den Vernichtungslagern er als Begleitschutz zu fungieren hatte.

V.

1. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen keine Stellung genommen und auch eine Erörterung seiner persönlichen Verhältnisse abgelehnt. Er hat sich lediglich damit verteidigt, dass er wegen seiner Beteiligung an den Massentötungen in Belzec bereits am 24.September 1948 durch die 5. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zur Zuchthausstrafe von acht Jahren verurteilt worden und infolgedessen die Strafklage hinsichtlich dieses Sachverhalts verbraucht sei. Die Geschehnisse in Belzec seien damals zwar nicht in der Hauptverhandlung erörtert worden, sondern man habe lediglich auf die Vernehmungen durch die russischen Militärbehörden verwiesen, in denen seine Tätigkeit in den besetzten Ostgebieten, insbesondere auch seine Mitwirkung an der Judenvernichtung, ausführlich zur Sprache gekommen sei. Im übrigen habe es sich bei der Verhandlung vor dem Magdeburger Gericht um ein Schnellverfahren gehandelt, das nicht länger als eine Stunde gedauert habe. Er habe weder eine Anklageschrift noch eine schriftliche Urteilsausfertigung erhalten.
Der Einwand des Angeklagten, der Durchführung des Verfahrens stehe wegen der Verurteilung durch das Landgericht Magdeburg der Verbrauch der Strafklage entgegen, vermochte jedoch nicht durchzugreifen. Die Tätigkeit Oberhausers in Belzec war nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Magdeburg.

a. Mit Schreiben vom 17.5.1960 hatte der Staatsanwalt des Bezirks Magdeburg auf eine entsprechende Anfrage der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I mitgeteilt, dass Oberhauser am 24.9.1948 wegen seiner Beteiligung an der Tötung von Geisteskranken in den Anstalten Grafeneck, Brandenburg und Bernburg (Verbrechen gegen das Kontrollratsgesetz Nr.10) zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, eine Übersendung der Prozessakten oder einer beglaubigten Urteilsausfertigung aber nicht möglich sei. Ein neuerliches Ersuchen der Staatsanwaltschaft führte schliesslich dazu, dass der Generalstaatsanwalt in Ostberlin ihr mit Schreiben vom 2.3.1962 eine beglaubigte Abschrift des Urteils der 5. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg übersandte mit dem Bemerken, dass die Reststrafe dem Angeklagten am 28.4.1956 endgültig erlassen worden sei. Aus den knappen Gründen des vorbezeichneten Urteils geht hervor, dass der Angeklagte wegen Mitwirkung an den Euthanasieverbrechen in den Anstalten Grafeneck, Brandenburg und Bernburg zu fünfzehn Jahren Zuchthaus und wegen seiner Zugehörigkeit zur SS zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Aus diesen Einzelstrafen hat das Gericht eine Gesamtstrafe von fünfzehn Jahren Zuchthaus gebildet und ausserdem auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre erkannt. Die Vorgänge in Belzec sind mit keinem Wort erwähnt.
Ein während der Hauptverhandlung eingelaufenes Telegramm des Generalstaatsanwalts in Ostberlin - die Staatsanwaltschaft hatte kurz vor der Hauptverhandlung mit Rücksicht auf das zu erwartende Verteidigungsvorbringen des Angeklagten erneut um Überlassung von Abschriften der seinerzeitigen Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses ersucht - hatte folgenden Wortlaut: Gründe der Verurteilung des Josef Kaspar Oberhauser geboren am 20.9.1915 wurden der Staatsanwaltschaft München I bereits zum Aktenzeichen 1 Js 432/60 A-1 übermittelt. Tötung jüdischer Bürger im Vernichtungslager Belzec war nicht Gegenstand des Magdeburger Verfahrens, das ausschliesslich Euthanasieverbrechen erörterte. Aufenthalt Oberhauser in Belzec war damals nicht bekannt.

b. Das Schwurgericht hat keine Veranlassung gesehen, die von der Verteidigung hinsichtlich der Zuverlässigkeit der von den ostzonalen Behörden erteilten Auskünfte und überlassenen Unterlagen angemeldeten Bedenken zu teilen.
Ganz abgesehen davon, dass die Ausführungen des Verteidigers zu diesem Punkt allgemeiner Natur waren und konkrete Anhaltspunkte für die Berechtigung eines solchen Misstrauens vermissen liessen, ist gerade die Einlassung des Angeklagten während der ersten Phase des Ermittlungsverfahrens geeignet, die Richtigkeit der Auskünfte der ostzonalen Behörden und die Vollständigkeit der Urteilsabschrift zu bestätigen. Oberhauser hat zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zunächst geleugnet, überhaupt jemals in Belzec gewesen zu sein, und im Zusammenhang mit seiner Verurteilung in Magdeburg bei seinen ersten Vernehmungen im wesentlichen die nämlichen Gründe (Beteiligung an den Euthanasieverbrechen, Zugehörigkeit zur SS) genannt, wie sie sich auch aus dem Sachverhalt des in Frage stehenden Urteils ergeben. Erst als er im weiteren Verlauf der Ermittlungen unter dem Druck der Beweise seine Anwesenheit im Lager Belzec einräumen musste, berief er sich darauf, auch wegen der Verbrechen in den Ostgebieten durch das Landgericht Magdeburg abgeurteilt worden zu sein. Ein vernünftiger Grund dafür, weshalb das Magdeburger Landgericht davon abgesehen haben sollte, einen so schwerwiegenden Schuldvorwurf, wie ihn die Teilnahme an der Tötung von mehreren hunderttausend Menschen darstellt, in die schriftlichen Urteilsgründe aufzunehmen - in der mündlichen Urteilsbegründung soll nach der nunmehrigen Behauptung Oberhausers von diesem Tatkomplex die Rede gewesen sein -, ist nicht ersichtlich. Gegen die Richtigkeit der Behauptung des Angeklagten, seine Tätigkeit sei damals bereits den sowjetischen Militärbehörden oder dem NKWD bekannt gewesen, spricht nicht zuletzt die Erfahrungstatsache, dass die russische Besatzungsmacht deutsche Staatsangehörige, die der Begehung von Verbrechen in den besetzten Ostgebieten verdächtig waren, an den betroffenen Staat (hier: Polen) auszuliefern oder soweit Verbrechen auf russischem Territorium in Frage standen, durch eigene Militärgerichte abzuurteilen pflegte. Die Darstellung Oberhausers, wonach das russische Militärtribunal in Magdeburg bei dem deutschen Gericht seine Verurteilung wegen der Taten in Belzec beantragt habe, ist als reines, den Tatsachen widersprechendes Schutzvorbringen zu werten.

c. Dem Hilfsantrag der Verteidigung, die Akten des Landgerichts Magdeburg beizuziehen, den Generalstaatsanwalt in Ostberlin um die Überlassung der Vernehmungsprotokolle der russischen Militärbehörden und um die Auskunft zu ersuchen, ob russische Behörden die Möglichkeit haben, vor deutschen Gerichten Anträge zu stellen, konnte nicht entsprochen werden. Die ostzonalen Justizbehörden haben es schon während des Ermittlungsverfahrens abgelehnt, die Akten des Landgerichts Magdeburg zur Verfügung zu stellen (vgl. Schreiben des Staatsanwalts des Bezirkes Magdeburg vom 17.5.1960). Das beantragte Beweismittel ist somit unerreichbar (§244 Abs.3 StPO).
Die Frage, ob der Angeklagte durch russische Militär- oder Polizeibehörden über seine Tätigkeit im Rahmen der "Aktion Reinhard" vernommen worden ist, ist für die Entscheidung darüber, ob durch die vom Landgericht Magdeburg ausgesprochene Verurteilung die Strafklage hinsichtlich der Mitwirkung des Angeklagten bei den gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Vernichtungsmassnahmen in Belzec verbraucht ist, ohne Bedeutung (§244 Abs.3 StPO). Es kann schliesslich auch nicht darauf ankommen, ob sowjetische Behörden - was äusserst unwahrscheinlich ist - die Möglichkeit hatten, bei einem deutschen Gericht Antrage zu stellen. Allein entscheidend ist vielmehr, ob die Beteiligung des Angeklagten an den Massentötungen in Belzec damals bekannt und Gegenstand des gegen ihn durchgeführten Strafverfahrens war. Dies war aber nach der Überzeugung des Schwurgerichtes nicht der Fall.

d. Abschliessend sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, dass das Urteil des Landgerichts Magdeburg möglicherweise zu den Entscheidungen ostzonaler Gerichte gehört, die wegen grober Verstösse gegen die elementarsten Grundsätze rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren nichtig und damit ohne jede Rechtswirkung sind (vgl. KG in NJW 1954, 1901; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.3.1961, Az.: 1 Ws 30/61). Auch bei der 5. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg handelte es sich offensichtlich um ein gemäss dem SMAD-Befehl Nr.201 gebildetes Gericht.

2.a. Den Sachverhalt, wie er sich - einschliesslich der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten - aus den Ziffern I. - IV. ergibt, hat das Schwurgericht auf Grund der Hauptverhandlung als erwiesen festgestellt. Wenngleich der Angeklagte, wie schon ausgeführt wurde (vgl. vorstehende Ziffer 1.), in der Hauptverhandlung jegliche Einlassung zur Sache abgelehnt und lediglich immer wiederkehrend den Einwand vorgebracht hat, er sei wegen der in diesem Verfahren zur Aburteilung stehenden Taten bereits rechtskräftig abgeurteilt, so vermittelte seine Sachdarstellung anlässlich der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter vom 10.11.1964 in Verbindung mit seinen ausführlichen Angaben vor der Staatsanwaltschaft (12. und 13.12.1962), die den Gegenstand der richterlichen Vernehmung bildeten, und die Angaben der Zeugen D., F., G., J., U., Z., Fe., H., Dr. P., Erich Bauer, Bo., Go., Gi. und R. dem Schwurgericht doch ein ausreichend klares Bild des äusseren Tatgeschehens.

Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme ergaben sich naturgemäss aus dem Nachlassen des Erinnerungsvermögens der Zeugen - die Ereignisse, über die sie zu berichten hatten, liegen mehr als 20 Jahre zurück -, in erheblichem Masse aber aus der Zurückhaltung, die von der Mehrzahl der Zeugen bei ihren Angaben geübt wurde. Die Zeugen, von denen D., F., G., J., U., Z. und Gi. in diesem Verfahren angeklagt oder beschuldigt waren, sind fast ausnahmslos Tatbeteiligte im engeren oder weiteren Sinn und zum Teil (Bauer und Go.) wegen verbrecherischer Handlungen, die über die ihnen anbefohlenen Mitwirkung an den Vernichtungsaktionen hinausgingen, abgeurteilt oder gegenwärtig noch in Strafverfahren verwickelt (Bo.). Sie haben zwar nicht von dem ihnen zustehenden Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, ihr Bestreben, nur das Notwendigste über die auch für sie belastenden Vorkommnisse zu berichten und diese ihnen unangenehmen Erinnerungen aus ihrem Bewusstsein tunlichst zu verdrängen, trat jedoch deutlich zutage. Die Zurückhaltung der Zeugen, bei denen es sich zum grossen Teil um ehemalige Untergebene des Angeklagten handelte, mag nicht zuletzt auch in der Befürchtung begründet gewesen sein, der Angeklagte könnte, falls man ihn über das unumgängliche Mass hinaus belaste, unter Umständen seinerseits bisher noch unbekannte, unerfreuliche Geschehnisse zur Sprache bringen. Die Beweisschwierigkeiten wurden allerdings dadurch weitgehend gemildert, dass der Ablauf der einzelnen Vernichtungsaktionen im wesentlichen gleichbleibend war und aus diesem Grunde unbedenklich davon ausgegangen werden konnte, dass die Massentötungen jeweils unter den gleichen Umständen erfolgten.

Eine Abweichung vom Eröffnungsbeschluss ergab sich in tatsächlicher Hinsicht lediglich in bezug auf die Zahl der nach Errichtung des grossen Vergasungsgebäudes getöteten Menschen, die nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung unter Zugrundelegung vorsichtiger Berechnungen mit mindestens 300000 zu beziffern ist. Bei der Feststellung dieser Zahl ist das Schwurgericht davon ausgegangen, dass die Judenvernichtung in Belzec während einer Zeit von fünf Monaten (Juli bis November 1942) in vollem Gang war - damals begann man mit der Räumung der Ghettos in Warschau und anderen grossen polnischen Städten - und während dieses Zeitraums mindestens 100 Eisenbahntransporte mit durchschnittlich 30 Waggons, in denen jeweils 100 Menschen zusammengepfercht waren, in Belzec eintrafen.

b. Der Angeklagte hat bei den Vernehmungen, die durch Verlesung der Niederschriften in das Verfahren eingeführt wurden, nicht nur den objektiven Sachverhalt eingeräumt, sondern auch zugegeben, dass er die von der nationalsozialistischen Staatsführung angeordneten Massenvernichtungsmassnahmen als Unrecht empfunden habe. Er beruft sich lediglich, wie auch der Verteidiger in seinem Schlussvortrag kurz anklingen liess, auf Befehlsnotstand, ein Verteidigungsvorbringen, mit dem sich erfahrungsgemäss in Verfahren der vorliegenden Art die Angeklagten, soweit sie ihre Tatbeteiligung nicht in Abrede stellen, zu entlasten versuchen. Oberhauser hat in diesem Zusammenhang im wesentlichen folgendes zu seiner Verteidigung vorgetragen: Obwohl er die Tötung der Juden von vornherein verabscheut habe, sei es ihm trotz wiederholter ernstlicher Bemühungen nicht gelungen, von der Beteiligung an der Judenvernichtung loszukommen. Wirth, dem er den Wunsch nach Versetzung zweimal vorgetragen habe, sei jedesmal darüber in Wut geraten, so dass an eine Fortsetzung des Gespräches nicht mehr zu denken gewesen sei. Bei der Persönlichkeit des Polizeimajors und SS-Sturmbannführers Wirth, dessen hervorstechende Eigenschaften absolute Gefühllosigkeit und Rücksichtslosigkeit gewesen seien, hätte eine offene Befehlsverweigerung unweigerlich zur Selbstvernichtung geführt. Er habe es daher vorgezogen, durch exakte Ausführung der gegebenen Befehle das Vertrauen des Wirth zu erwerben um sich auf diese Weise die Möglichkeit offen zu halten, seinen Tatbeitrag auf ein Mindestmass zu beschränken. Nach seiner Versetzung nach Lublin habe er sich mit Erfolg um Sonderaufgaben bemüht, die mit der Judenvernichtung nicht mehr in Zusammenhang standen.

Dieses Vorbringen vermochte den Angeklagten jedoch nicht zu entlasten. Es bedarf keines besonderen Hinweises, dass die im nationalsozialistischen Staat in gewissem Umfang bestehende Terrorlage durch brutale Vorgesetzte wie Wirth, der wahrscheinlich auch vor der Liquidierung eines widersetzlichen Untergebenen nicht zurückgeschreckt wäre, erheblich verschärft wurde. Man kann daher unbedenklich davon ausgehen, dass dem Angeklagten für den Fall einer Befehlsverweigerung eine gegenwärtige Leibes- oder Lebensgefahr gedroht hätte. Der Angeklagte hat jedoch die ihm angesonnenen strafbaren Handlungen nicht begangen, um der sonst drohenden Gefährdung seiner eigenen Person zu entgehen, sondern befehlsgemäss die ihm zugewiesenen Tätigkeiten ausgeführt.
Oberhauser hatte - davon ist das Schwurgericht überzeugt - zu keiner Zeit die Absicht, sich den übertragenen Aufgaben zu entziehen, sondern führte diese in unerschütterlicher Befehlstreue durch, ohne als gehorsamer Gefolgsmann der damaligen Machthaber die Möglichkeit einer Nichtausführung oder Umgehung der unmenschlichen Anordnungen überhaupt in Erwägung zu ziehen und in dieser Richtung etwas zu unternehmen. Er hat nicht in dem Bewusstsein gehandelt, sich in einer völlig ausweglosen Zwangslage zu befinden. Sein Wille ist nicht gebeugt worden. Diese Überzeugung des Schwurgerichts gründet sich auf folgende Tatsachen und Erwägungen:

aa. Der Angeklagte ist im Jahre 1935 als 20jähriger junger Mann zur SS gestossen, eine Tatsache, aus der keineswegs ein Vorwurf hergeleitet werden kann, da damals noch nicht abzusehen war, dass diese Truppe einmal zur Begehung von Massenverbrechen verwendet werden würde. Seine Zugehörigkeit zur SS hatte jedoch die zwangsläufige Folge, dass er lange Zeit hindurch im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie geschult und zu unbedingtem Gehorsam erzogen wurde. Für seine damalige Einstellung zu den grauenhaften Geschehnissen im Rahmen der Aktion "Reinhard" ist seine Erklärung vor dem Untersuchungsrichter, die Ausrottung alter Juden habe er noch verstehen können, aufschlussreich und bezeichnend. Diese Äusserung lässt auf jeden Fall klar erkennen, dass der Angeklagte der Gewaltlösung der Judenfrage nicht in dem Masse ablehnend gegenüberstand, wie er es heute wahrhaben will.

bb. Der Lagerkommandant Wirth war ein fanatischer Nationalsozialist und rücksichtsloser Vorgesetzter, der keinen Widerspruch duldete und von seinen Untergebenen bedingungslose Befolgung der gegebenen Anordnungen verlangte. Bei seiner Persönlichkeit ist es kaum vorstellbar, dass er in seiner unmittelbaren Nähe einen Mann geduldet hätte, der die Vernichtungsmassnahmen verabscheute, sich wiederholt um eine Versetzung oder Freistellung von den ihm übertragenen Aufgaben bemühte und die ihm anbefohlene Tätigkeit nur widerwillig verrichtete. Die bevorzugte Stellung Oberhausers, die ihn in den Augen Aussenstehender als "Adjutanten", "ständigen Begleiter" oder "Schatten" Wirths erscheinen liess, lässt den Schluss zu, dass Wirth, der bei seinen Untergebenen denkbar unbeliebt war, in dem Angeklagten einen Mann gefunden zu haben glaubte, der in weltanschaulicher Hinsicht zuverlässig war und von dem er bei der Durchführung der von der Staatsführung befohlenen Vernichtungsmassnahmen keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten hatte.
Als Wirth dann am 1.8.1942 zum Inspekteur der drei Vernichtungslager ernannt wurde und seinen Dienstsitz nach Lublin verlegte, sorgte er dafür, dass ihm der Angeklagte auch in seinem neuen Dienstbereich zur Verfügung stand. Diese Tatsache lässt gleichfalls erkennen, dass Wirth den Angeklagten als pflichtbewussten Untergebenen schätzte, der den damaligen Staat vorbehaltlos bejahte und bereitwillig seinen Dienst tat.
Oberhauser selbst räumt ein, dass sich zwischen ihm und Wirth im Lauf der Zeit eine Art Vertrauensverhältnis herausgebildet hatte. Er schildert sein Verhältnis zu seinem Vorgesetzten mit folgenden Worten:
Ich habe mich recht gut mit Wirth verstanden und ihn als Soldaten sehr geschätzt. Andererseits glaube ich auch sagen zu können, dass Wirth mich gern mochte. Ich kann hierzu anführen, dass Wirth manchmal dafür sorgte, dass ich von einem anderen Dienst abgelöst wurde, wenn ich ihn begleiten sollte .... Mit dem Hauptmann der Schutzpolizei Wirth stand ich gut; ich schätzte ihn als Soldaten und er mich, weil ich meinen Dienst ordentlich verrichtete und nicht so lasch war wie die Reservisten, die er sonst zur Verfügung hatte .... Ich konnte mit ihm schon reden. Zu anderen Personen des Lagerpersonals, d.h. zu solchen, die nicht aktiv zur SS und Polizei gehörten, war er härter und teilweise brutal. Es mag sein, dass er solche auch mit der Peitsche geschlagen hat. Bei mir konnte er sich derartiges nicht erlauben.

cc. Der Reichsführer SS Himmler hatte anlässlich einer Besichtigung der Einrichtung der Aktion "Reinhard" im März 1943 eine Beförderung der besten Männer und Führer, die an dieser Aktion beteiligt waren, bewilligt. In Anerkennung seiner besonderen Verdienste bei der Durchführung der Aktion "Reinhard" wurde Oberhauser auf Vorschlag des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin, der sich auf eine entsprechende Beurteilung des Angeklagten durch Wirth gründete, mit Wirkung vom 20.4.1943 zum SS-Untersturmführer befördert. Oberhauser rückte damit immerhin vom Unteroffizier zum Offizier auf, eine Beförderung, die bei Unterführern mit der Vorbildung des Angeklagten nicht gerade die Regel darstellte, sondern nur bei Leuten ausgesprochen wurde, von deren Eignung in weltanschaulicher und soldatischer Hinsicht man voll überzeugt war.
Unter diesen Umständen kann daher unbedenklich davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte keinesfalls zum SS-Offizier befördert worden wäre, wenn er auch nur andeutungsweise zu erkennen gegeben hätte, dass er die von der Staatsführung angeordneten Massnahmen als Verbrechen verabscheue, und dadurch gezeigt hätte, dass er nicht über die von einem SS-Offizier in besonderem Masse zu verlangende Pflichttreue und Härte verfügte.

VI.

Der Angeklagte war zur Zeit der geschilderten Geschehnisse für seine Handlungen voll verantwortlich. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei ihm eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder eine Geistesschwäche - Bewusstseinsstörung scheidet unter den gegebenen Umständen aus - und eine dadurch bedingte Aufhebung oder erhebliche Verminderung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit vorgelegen haben könnte. Oberhauser hat in dieser Richtung auch zu keinem Zeitpunkt während des mehr als vier Jahre andauernden Verfahrens etwas vorgebracht.

VII.

Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führte zu folgendem Ergebnis:

1. Die von der Verteidigung beantragte Einstellung des Verfahrens wegen Verbrauchs der Strafklage kam aus den unter V.1. dargelegten Gründen nicht in Betracht.

2. Im Rahmen der Vorbereitung des Feldzugs gegen Russland fasste Hitler im Zusammenwirken mit Himmler und Heydrich den Entschluss, im Zuge der geplanten Vernichtung des Judentums mit der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas zu beginnen. Die Durchführung des Vernichtungsplanes, soweit er die jüdische Bevölkerung Polens betraf (Aktion "Reinhard"), wurde von Himmler dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin übertragen.
Die nationalsozialistischen Gewalthaber haben die Tötungshandlungen bis in die Einzelheiten ihrer Durchführung geplant und vorbereitet. Sie haben demzufolge, soweit die Planung und Vorbereitung der Massenverbrechen in die Zeit vor dem 4.September 1941 (Tag des Inkrafttretens der neuen, gegenwärtig noch gültigen Fassung des §211 StGB) zurückreicht, mit Überlegung im Sinne der Bestimmung des §211 StGB alter Fassung gehandelt.

Ihre Handlungsweise erfüllt aber auch den Tatbestand des §211 StGB neuer Fassung. Die Massentötungen in Belzec erfolgten aus rassischen und politischen Gründen. Der Entschluss zur Tötung von Menschen allein wegen ihrer Rassezugehörigkeit wurzelt in einem von der nationalsozialistischen Ideologie erzeugten und genährten Rassenwahn, der zu einer Überbewertung der eigenen "germanischen" Rasse führte, der gegenüber alle übrigen Menschenrassen als minderwertig galten und entweder unterworfen oder vernichtet werden mussten. Das Verhalten Hitlers und seiner Tatgenossen war somit von Vorstellungen bestimmt, die jeglichem gesunden menschlichen Empfinden Hohn sprachen und in besonderem Masse verwerflich waren. Es bedarf daher keiner weiteren Darlegungen, dass solche verächtlichen Beweggründe als "niedrig" im Sinne der Bestimmung des §211 Abs.2 StGB n.F. anzusehen sind (vgl. BGHSt. 2, 63; 3, 133; BGH NJW 1962, 2308).
Die Ausführung der Tötungshandlungen war von einer nahezu unbeschreiblichen Gefühllosigkeit und Unbarmherzigkeit der Gesinnung gekennzeichnet. Die Opfer wurden in überfüllten Güterwaggons ohne Versorgung mit Ernährung und Getränken zu den Vernichtungslagern verbracht und kamen vor allem in den Sommermonaten, zum Teil schon in einem bedauernswerten und verzweifelten Zustand an ihrem Bestimmungsort an, wo sie sich nach der Entladung des Transportzuges einer entwürdigenden Prozedur (völlige Entkleidung; bei den Frauen Scheren der Haare; Abgabe sämtlicher Habseligkeiten) zu unterwerfen hatten. Der eigentliche Tötungsvorgang war in seinen Einzelheiten so grauenhaft und mit so unermesslichen körperlichen und seelischen Qualen für die in den Gaskammern zusammengepferchten Menschen verbunden, dass durch die Tötungshandlungen auch das Tatbestandsmerkmal der Grausamkeit gemäss §211 Abs.2 StGB verwirklicht wurde.
Es bedarf schliesslich auch keiner eingehenden Erörterungen, dass die Tötungen heimtückisch im Sinne des §211 Abs.2 StGB ausgeführt wurden. Den jeweils ankommenden Opfern wurde vorgeheuchelt, sie kämen nun zum Arbeitseinsatz, müssten aber vorher noch entlaust, gebadet und körperlich untersucht werden. Auf diese Weise wurde in ihnen neuer Lebensmut und Vertrauen erweckt, das zumindest einen grossen Teil von ihnen veranlasste, den letzten Gang zuversichtlich und ohne Widerstand anzutreten.

Die objektive Rechtswidrigkeit der befohlenen Massenvernichtung schuldloser Menschen liegt auf der Hand. Es handelt sich um eine Massnahme, in deren Ungeheuerlichkeit und Brutalität sich die tiefe Missachtung Hitlers und seiner Umgebung gegenüber den primitivsten Rechten der von den Vernichtungsaktionen betroffenen Menschen in furchtbarer Deutlichkeit widerspiegelt. Die Massentötungen sind dadurch auch kein "Recht" geworden, dass sie auf einer Willenskundgebung Hitlers als obersten Repräsentanten des ehemaligen Deutschen Reiches beruhten (vgl. BGHSt. 2, 177). Wenn obrigkeitliche Anordnungen die Begehung derartiger Ungeheuerlichkeiten zum Ziele haben und die allen Kulturvölkern gemeinsamen Rechtsüberzeugungen von Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit in einem so gröblichen Masse verletzen, dann schaffen sie kein Recht und ein ihnen entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht. Rechtfertigungsgründe, wie etwa Staatsnotwehr oder Staatsnotstand, kommen nicht in Betracht.
Hitler und seine Tatgenossen waren sich dessen bewusst, dass die Planung und Durchführung der Massenvernichtung von Menschen jeglicher Rechtsgrundlage entbehrte. Sie haben jedoch in klarer Erkenntnis der Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens die sich ihnen durch die Besetzung weiter Teile Osteuropas bietende und die, wie sie glaubten, günstige Gelegenheit ergriffen, um die von ihnen seit langem erwogene Vernichtung des Judentums in die Tat umzusetzen in der Annahme, die blutigen Spuren dieser Massenverbrechen würden sich in dem furchtbaren Kriegsgeschehen verlieren. Ihr Unrechtsbewusstsein kommt in der strengen Geheimhaltung der Planung und Durchführung der Vernichtungsmassnahmen, die zur "Geheimen Reichssache" (höchster Grad der Geheimhaltung) erklärt worden waren, klar zum Ausdruck.
Die Täter rechneten schliesslich damit, dass die von ihnen aus Gründen der Rassezugehörigkeit und unter Missachtung jeglichen menschlichen Mitgefühls veranlassten Vernichtungsaktionen unter Umständen ablaufen würden, die zwangsläufig erhebliche seelische und körperliche Qualen mit sich bringen mussten. Trotz dieser Erkenntnis haben sie jedoch die Massenvernichtungsmassnahmen bedenkenlos und bar jeglichen menschlichen Empfindens durchführen lassen, weil ihnen die Erreichung ihrer politischen Ziele höher stand als das Leben von mehreren Millionen Menschen. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Ausführungen, dass der Plan zu diesen Massenverbrechen und der Entschluss zu ihrer Ausführung einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung entsprungen ist (vgl. BGHSt. 3, 180 ff.). Von ihnen ging auch die Anordnung aus, die Opfer durch Vorspiegelung (Umsiedlung; Arbeitseinsatz) von gewaltsamen Befreiungsversuchen abzuhalten.

Hitler und seine Tatgenossen haben als mittelbare Täter gemeinschaftlich gehandelt. Sie haben in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken den Entschluss zur Tötung der jüdischen Bevölkerung der besetzten Ostgebiete gefasst und unter Ausnutzung ihrer unumschränkten Machtstellung die zur Ausführung des Vernichtungsbefehls erforderlichen Anordnungen erlassen; sie wollten, wie dies aus einer Rede Himmlers in Minsk hervorgeht, dafür auch die Verantwortung tragen. Zur Durchführung ihres gemeinsamen Mordplanes bedienten sie sich einer Organisation, deren Angehörige in einem militärähnlichen Gehorsamsverhältnis standen und befehlsgemäss in der gewünschten Richtung tätig wurden, ohne jedoch selbst, von Ausnahmen abgesehen, mit Täterwillen zu handeln. Anstiftung scheidet aus diesen Gründen aus.

Durch die befohlenen Tötungshandlungen haben Hitler, Himmler, Heydrich und möglicherweise weitere an der Planung der Vernichtungsaktion Beteiligte, soweit die im Lager Belzec durchgeführten Massentötungen in Frage stehen, den Tatbestand eines in Mittäterschaft begangenen Verbrechens des Mordes gemäss §§211 StGB a. und n.F., 47 StGB erfüllt. Durch die Anordnungen, die auf Grund des gemeinsam erwogenen Tatplanes ergingen und über die zuständigen Stellen weitergeleitet wurden, haben die Haupttäter die Ermordung einer unfassbar grossen Zahl von Menschen - das vorliegende Verfahren befasste sich nur mit einem Ausschnitt des grauenhaften Geschehens - ausgelöst, die sich in einer Reihe von Vernichtungsaktionen, die in fast völliger Gleichförmigkeit abliefen, vollzog. Die Ausführung der Massentötungen in den Vernichtungslagern ist demzufolge auf eine Willensbetätigung und Willensäusserung der gemeinschaftlichen Täter zurückzuführen, so dass die einzelnen durch diesen einheitlichen Willensakt veranlassten Tötungen rechtlich eine Handlung im Sinne einer gleichartigen Tateinheit bilden (§73 StGB).

3. Der Angeklagte hat auf Befehl gehandelt. Er unterstand als Angehöriger der SS einer Sondergerichtsbarkeit (Verordnung über die Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.10.1939 - RGBl. I, 2107 - in Verbindung mit dem Erlass des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei vom 9.4.1940 - XXI (RA III), Bew.St.12a). Die Unterstellung unter diese Sondergerichtsbarkeit, die aus guten Gründen den an den Massenmorden beteiligten Personenkreis der Zuständigkeit der Kriegsgerichte entzog, hatte für die Angehörigen dieser Verbände die sinngemässe Anwendung der Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (MilStGB) und der Militärstrafgerichtsordnung sowie die Zuständigkeit der SS- und Polizeigerichte zur Folge (vgl. BGHSt. 5, 239 ff.).
Der grundsätzliche Vernichtungsbefehl Hitlers und die zu seiner Erfüllung ergangenen Anordnungen der Führungsspitze sowie der untergeordneten Befehlsstellen sind daher in gleicher Weise wie militärische Befehle zu behandeln. Bestimmungen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Handeln auf Befehl sind in der Vorschrift des §47 MilStGB enthalten. Danach ist grundsätzlich der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich, wenn durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt wird; den gehorchenden Untergebenen trifft die Strafe des Teilnehmers dann, wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.

§47 MilStGB setzt einen "Befehl in Dienstsachen" voraus. Darunter ist die dienstliche Anordnung eines militärischen Vorgesetzten an einen Untergebenen zu verstehen, die eine genau bestimmte Handlung oder Unterlassung gebietet. Ein Befehl in diesem Sinn lässt dem Befehlsempfänger keinen Raum für eigenes Ermessen.
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so steht fest, dass es sich bei dem Befehl zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten und den weiteren zu seiner Ausführung erteilten Anordnungen für die Angehörigen des Vernichtungslager Belzec um "Befehle in Dienstsachen" und damit um Befehle im Sinne des §47 MilStGB handelte. Dem Angeklagten, dem die Mitwirkung an den Massentötungen anbefohlen war, blieb kein Raum für eine eigene Entschliessung.
Es liegt auf der Hand, dass der Vernichtungsbefehl Hitlers und die weiteren, zu seiner Ausführung ergangenen Anordnungen die Begehung von Verbrechen, nämlich die durch nichts gerechtfertigte Tötung von Menschen, bezweckte und damit ihrem Inhalt nach rechtswidrig waren. Die Rechtswidrigkeit der Massenvernichtung unschuldiger Menschen ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht hat der Angeklagte, wie er einräumte, auch klar erkannt. Er wusste, dass die ihm anbefohlenen Handlungen Verbrechen bezweckten und unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt waren.

Oberhauser kann sich nicht auf Befehlsnotstand berufen. Unter Ziffer V.2b. wurde bereits ausgeführt, dass der Angeklagte bei der Ausführung der ihm erteilten Befehle als Anhänger des nationalsozialistischen Gewaltregimes und als gehorsamer SS-Unterführer in unerschütterlicher Befehlstreue und aus falsch verstandenem Pflichtgefühl gehandelt hat, ohne eine Nichtbefolgung dieser Anordnungen überhaupt ernstlich ins Auge zu fassen und die Möglichkeit zu erwägen, sich der ihm angesonnenen Teilnahme an den Tötungshandlungen zu entziehen. Die strafbaren Handlungen sind ihm demzufolge nicht durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben abgenötigt worden, sein Wille ist nicht durch eine solche Drohung gebeugt worden (BGHSt. 3, 271, 275).

Durch seine Beteiligung an den Massentötungen in Belzec hat der Angeklagte zur Durchführung der von den Haupttätern angeordneten Vernichtungsmassnahmen in Kenntnis von deren Rechtswidrigkeit wissentlich Hilfe geleistet. Es war ihm bekannt, dass die Tötungshandlungen von langer Hand geplant und vorbereitet waren und allein rassische und politische Gründe für den Tatentschluss ausschlaggebend waren. Der Grausamkeit der Ausführung der Tötungen war er sich als unmittelbar Beteiligter ohnehin bewusst, desgleichen der Tatsache, dass man die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer ausnutzte.
Der Angeklagte hat nicht mit Täterwillen gehandelt. Wenn auch die Anwendung des §47 MilStGB grundsätzlich nicht ausschliesst, dass der gehorchende Untergebene sich der Mittäterschaft schuldig gemacht hat, sofern er das Verbrechen gleichfalls als eigenes gewollt hat, so liegt doch in aller Regel im Wesen des Handelns auf Befehl, dass der Untergebene nicht aus eigenem Willen zur Tat schreitet, sondern nur in Erfüllung einer Pflicht, wenn auch unter Verkennung ihrer Grenzen, tätig werden will. Dies gilt auch dann, wenn der Untergebene den äusseren Tatbestand der ihm anbefohlenen strafbaren Handlung verwirklicht hat. Gerade für die während des Dritten Reiches begangenen zahlreichen Verbrechen ist es kennzeichnend, dass die verantwortlichen NS-Gewalthaber, denen die Machtmittel des Staates zur Verfügung standen, sie durch militärische oder in einem militärähnlichen Gehorsamsverhältnis stehende Untergebene wie durch Werkzeuge ausführten und die Einstellung der Untergebenen zu diesen Taten nicht als "Täterwille" zu beurteilen ist (BGHSt. 8, 393 ff.).

Auch im vorliegenden Fall lag, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, die volle Tatherrschaft bei Hitler und seinen Mittätern. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind keinerlei Umstände zu erkennen, aus denen bei dem Angeklagten auf eine Willensrichtung geschlossen werden könnte, die über den Gehilfenwillen, den Willen zur befehlsgemässen Unterstützung fremder Taten, hinausgehen würde. Der Angeklagte hat sich daher der Beihilfe zum gemeinschaftlich begangenen Mord schuldig gemacht indem er in fünf Fällen bei der Tötung von jeweils mindestens 150 Menschen (Aufsicht beim Entladen der eintreffenden Transporte) und in einem Fall bei der Tötung von mindestens 300000 Menschen (Beschaffung des Baumaterials für die erwähnten Vergasungsanlagen) mitwirkte (§§211, 47, 49, 73 StGB, §47 Abs.1 Nr.2 MilStGB in Verbindung mit §3 der VO vom 17.10.1939).
Die Beihilfehandlungen stehen, anders als die Tathandlungen der Haupttäter, im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander (§74 StGB). Ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt, ist für den Teilnehmer selbständig zu beurteilen. Tat im Sinne der §§73, 74 StGB ist für den Gehilfen nicht die Haupttat, sondern sein eigener Tatbeitrag. Mehrere Beihilfehandlungen des Gehilfen können daher auch dann vorliegen, wenn die Haupttäter nur eine Tat im Rechtssinn begangen haben (vgl. BGH, Urteil vom 22.1.1963, 1 StR 457/62). Die Tatbeiträge des Angeklagten sind zeitlich getrennt und sind durch jeweils neue Anordnungen seines Vorgesetzten ausgelöst worden. Die Ausführungshandlungen fielen in keinem Punkt zusammen. Die Beihilfe wurde also nicht durch ein und dieselbe Handlung geleistet. Es liegt somit Tatmehrheit vor.

Die Strafbestimmung des §49 StGB ist seit der Tatzeit geändert worden und gilt gegenwärtig in der Fassung, die sie durch die Verordnung vom 29.5.1943 (RGBl. I, 341) erhalten hat. Damit wurde aber nur der Wortlaut des §49 StGB dem bereits seit Inkrafttreten der Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5.12.1939 (RGBl. I, 2378) bestehenden Rechtszustand - lediglich fakultative Strafmilderung gegenüber der früher zwingend vorgeschriebenen Ermässigung der Strafe bei Beihilfe - angepasst (vgl. §4 der GewaltverbrecherVO).

Die Geltung des deutschen Strafrechts für diese im Staatsgebiet Polens begangenen Taten ergibt sich aus §3 StGB, der durch die Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6.5.1940 (RGBl. I, 754) neu gefasst worden ist und gegenwärtig noch in dieser Fassung - der Absatz 2 wurde durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.8.1953 (BGBl. I, 735) unwesentlich geändert - gültig ist.

VIII.

Bei der Strafzumessung liess sich das Schwurgericht von folgenden Erwägungen leiten: Der Angeklagte ist durch seinen Tatbeitrag für die Tötung einer grossen Anzahl unschuldiger Menschen mitverantwortlich. Bei der Bewertung seiner Schuld musste jedoch berücksichtigt werden, dass seine Mitwirkung an den Tötungshandlungen, soweit sie in der Beschaffung des Materials für die Errichtung der grossen Vergasungsanlage bestand, doch verhältnismässig unbedeutend gewesen ist und daher trotz der ungeheuerlichen Zahl der im späteren Verlauf getöteten Menschen der Schuldvorwurf in diesem Punkt nicht wesentlich schwerer wiegt als in den übrigen Fällen. Der Angeklagte hat vor und nach dem Kriege ein straffreies Leben geführt. Es konnte ferner nicht ausser Betracht bleiben, dass Oberhauser als junger Mensch von 20 Jahren zur SS gestossen ist, zu einem Zeitpunkt, in dem er noch nicht zu erkennen vermochte, dass diese Truppe einmal als Instrument für die Begehung von Massenverbrechen Verwendung finden sollte. Auch seine Stellung als untergeordneter Befehlsempfänger wurde ihm zugute gehalten, ebenso wie die Tatsache, dass die langjährige Erziehung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie seine Achtung vor dem Leben anderer, noch dazu von der Staatsführung als minderwertig bezeichneter Menschen verringert haben mag.

Folgende Einzelstrafen erachtete das Schwurgericht für schuldangemessen:
Für das Verbrechen der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens 300000 Fällen drei Jahre sechs Monate Zuchthaus,
für die fünf Verbrechen der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in jeweils mindestens 150 Fällen je drei Jahre Zuchthaus.
Aus diesen Einzelstrafen hat das Schwurgericht gemäss §74 StGB durch Erhöhung der schwersten verwirkten Strafe eine Gesamtstrafe von vier Jahren sechs Monaten Zuchthaus gebildet, die dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen des Angeklagten gerecht wird und den Strafzweck erfüllt.
Auch bei ihrer Bemessung ist das Gericht von den bereits dargelegten Strafzumessungsgründen ausgegangen. Daneben wurde aber - auch bei der Bemessung der Einzelstrafen - in erheblichem Masse der Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits im Jahre 1948 durch das Landgericht Magdeburg wegen seiner Beteiligung an den Euthanasieverbrechen und seiner Zugehörigkeit zur SS zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist und einen erheblichen Teil dieser Strafe in ostzonalen Strafanstalten unter ungleich schwereren Bedingungen als in der Bundesrepublik verbüsst hat. Eine unbillige Benachteiligung des Angeklagten dadurch, dass eine Aburteilung wegen seiner sämtlichen während des nationalsozialistischen Regimes begangenen Taten in einem Verfahren nicht erfolgen konnte, war im vorliegenden Verfahren nur durch eine entsprechende Strafmilderung auszugleichen. Hätte sich Oberhauser damals oder heute wegen aller seiner Verfehlungen zu verantworten gehabt, so wäre mit Rücksicht auf seinen damaligen niedrigen Dienstgrad allenfalls die höchstmögliche zeitige Zuchthausstrafe (§14 Abs.2 StGB) ausgesprochen worden, ein Strafmass, zu dem er wegen eines Teils seiner Taten schon in Magdeburg verurteilt wurde.

Auf die erkannte Strafe wurde die erlittene Untersuchungshaft in vollem Umfang angerechnet (§60 StGB). Durch seine Beteiligung an den grauenvollen Massenvernichtungsmassnahmen, bei denen wahllos unschuldige Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, getötet wurden, hat der Angeklagte eine unbarmherzige und unehrenhafte Gesinnung erkennen lassen, so dass es angebracht erschien, ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren abzuerkennen (§32 StGB). Auch der schwere Unrechtsgehalt der Taten und ihre weitreichenden Folgen rechtfertigen die Verhängung dieser Nebenstrafe (vgl. BGHSt. 5, 198).

IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§464, 465 StPO. Danach trägt der Angeklagte als Verurteilter die Kosten des Verfahrens.

   

Last modified: January 15, 2009
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