Anlage II
Blühnbach, den 13. September 1945
Prof. Dr. med. Otto Gerke
Badgastein
Ärztliches Zeugnis:
Herr Dr. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, geb. am 7. 8. 1870, steht seit vielen Jahren in meiner Behandlung und wurde heute von mir nachuntersucht. Seit dem Jahre 1930 besteht eine Arthrose der Wirbelsäule, und eine Hypotonie, die schon 1932 zu anfallsweisen Ohnmachtszuständen geführt hat. Seit 1937 war eine rasch zunehmende allgemeine Gefäßsklerose festzustellen mit besonderer Lokalisation an den Gehirngefäßen.
1939 traten flüchtige Augenmuskellähmungen hinzu und vorübergehende Sprachstörungen. Im Frühjahr 1942 hatte der Patient einen apoplektischen Insult (Schlaganfall) links, mit Facialisparese und einer deutlichen Reflexsteigerung der ganzen rechten Seite. Die cerebralen Kreislaufstörungen haben sich trotz der ständigen medikamentösen Behandlung allmählich verschlimmert. Seit ca. 5 Jahren haben sich auch die begleitenden psychischen Ausfallerscheinungen deutlich verschlechtert. Sie zeigten sich anfangs in einer Merk- und Willensschwäche, Entschlußunfähigkeit und allgemeiner Rückgang der intellektuellen Leistungen und steigerten sich zu ausgesprochenen Depressionen mit stumpfer Benommenheit und Zwangsweinen. Es hat sich eine hochgradige arteriosklerotische Demenz entwickelt.
Seit einem Autounfall mit Nasenbein- und Schädelbasisbruch im Dezember 1944, der eine achtwöchige Krankenhausbehandlung im Krankenhaus Schwarzach St. Veith nötig machte, ist auch der körperliche Zustand stark zurückgegangen. Es sind seitdem mehrere apoplektische Anfälle durch multiple Erweichung des Gehirns mit Herdsymptomen und striären Syndromen aufgetreten.
Der Kranke ist jetzt vollkommen apathisch und teilnahmslos, sowie desorientiert. Es besteht notorische Aphasie. Durch den eingetretenen Rigor der Muskulatur kann er weder gehen noch stehen. Seit ca. 6 Monaten kann er Harn und Stuhl nicht mehr halten und läßt unter sich. Es besteht eine vollkommene Hilflosigkeit selbst bei einfachsten Handlungen. An der Lunge ist ein fortgeschrittenes Emphysem, am Herzen eine deutliche Mycardschädigung auf Basis einer Coronarsclerose nachweisbar. Eine Prostatavergrößerung besteht seit Jahren.
Die Prognose des Zustandes ist ausgesprochen schlecht, eine Besserung nicht mehr zu erwarten. Herr von Bohlen ist in keiner Weise mehr zurechnungs- und vernehmungsfähig.
Unterschrift: Dr. GERKE
Anlage III
Hauptquartier
42. Artilleriedivision
APO 411 U.S. Army
20. Oktober 1945
Betrifft: Körperliche Untersuchung des Gustav Krupp von Bohlen und Halbach.
An: Generalsekretär, Internationaler Militärgerichtshof, APO 403
1. Nachfolgend werden Krankheitsgeschichte und Ergebnis der körperlichen Untersuchung des Herrn Gustav Krupp von Bohlen-Halbach, einem Ersuchen von Herrn James Rowe entsprechend, unterbreitet. Die Krankheitsgeschichte wurde von Frau von Bohlen und einem Diener mitgeteilt. Die Mitteilung erfolgte am 19. und 20. Oktober 1945, während der Patient in seinem Haus zu Blühnbach, Österreich, untersucht wurde.
2. Geschichte der gegenwärtigen Krankheit: Gemäß dem Gutachten seiner Ärzte bildete sich bei Herrn von Bohlen seit 1932 eine Arterienverkalkung. Man glaubt, daß er das erste Mal im Jahre 1937 einen ganz leichten apoplektischen Anfall hatte. Dieser war ausgesprochen vorübergehender Natur, und verging ohne merkliche Folgen außer einer kleinen Einbüße an Gedankenschärfe und Erinnerungsvermögen, die die Familie bemerkte. Gegen Ende November 1944 hatte er einen Ohnmachtsanfall, fiel und: brach einen Finger und konnte während ungefähr 24 Stunden nicht ohne Hilfe gehen. Am 15. Dezember 1944 hatte er einen Autounfall, wobei er einen starken Schlag und eine Rißwunde an der Stirne erhielt. Er lag infolge dieses Unfalles bis zur ersten Februarwoche 1945 im Krankenhaus, und kam dann nach Hause. Danach konnte er nur mit fremder Hilfe gehen, er konnte keine zusammenhängenden Erklärungen abgeben. Er hatte fortlaufend leichte Schlaganfälle, und seit März ist es ihm auch mit fremder Hilfe unmöglich zu gehen; sein Sprechvermögen hat fortlaufend abgenommen, so daß er heute nur noch ab und zu ein einzelnes Wort sprechen kann. Seit er das Krankenhaus verließ, hat er auch keine Kontrolle mehr über Stuhl und Blase, und während der vergangenen drei Monate hat er keine Anzeichen dafür gegeben, daß er verschiedene Mitglieder seiner Familie oder gute Bekannte erkannt hätte.
3. Körperliche Untersuchung:
Allgemein: Der Patient ist ein ausgemergelter männlicher Weißer, 76 Jahre alt, der unfähig ist, zu sprechen oder bei seiner Untersuchung behilflich zu sein, und der nicht zu erkennen scheint, was um ihn vorgeht.
Haut: Narbe 2 Zoll lang, über die Stirne nach unten zwischen den Augen und über die Nasenbrücke verlaufend. Die Haut der Leistengegend ist beiderseitig angegriffen, da fortwährend mit Urin befeuchtet.
Augen, Ohren, Nase und Hals: Keine erkennbaren Abnormalitäten.
Lungen: Durchwegs überresonant, mit einer gemäßigten Vergrößerung des Brustkastens, die die Anwesenheit eines geringen Emphysems vermuten läßt.
Herzgefäßsystem: Herzspitze fühlbar 1 cm näher zur linken Mittelschlüsselbeinlinie. Ein Beweis für eine rechtsseitige Herzvergrößerung konnte nicht gefunden werden. Puls 80. Blutdruck 130/75. Puls voll und regelmäßig, außer einem gelegentlich ausfallenden Schlag. Die äußeren Arterien in den Hand- und Fußgelenken waren merklich verkalkt.
Das Muskel-Skelett-System: Der Patient bewegte Beine und Arme langsam, obzwar alle Bewegungen der Gliedmaßen mit einer mäßigen Spastizität verbunden waren. Wenn aufrecht gehalten, war es dem Patienten unmöglich, ohne fremde Hilfe zu stehen oder zu gehen.
Neurologisches System: Reaktion der Pupillen auf Licht normal. Tiefe Sehnenreflexe in Armen und Beinen waren normal. Normale Reaktion bei Sohlenreizung.
Genital-Urinal-System: Das Nichthaltenkönnen von Urin wurde während der Untersuchung bemerkt. Genitalien erschienen normal. Eine Untersuchung der Vorsteherdrüse wurde nicht gemacht.
Magen- und Darm-System: Unterleibsuntersuchung war normal. Das Nichthaltenkönnen von Stuhl wurde während der Untersuchung bemerkt.
4. Eindrücke und Prognose: Der Unterzeichnete hat den Eindruck, daß dieser Mann unter einer weitfortgeschrittenen, allgemeinen Arterienverkalkung leidet, die sich weiterentwickelt, und daß er bereits unter wiederholten apoplektischen Anfällen gelitten hat. Es ist anzunehmen, daß sich sein Zustand bereits bis zu dem Punkt entwickelt hat, an dem er alle Fähigkeit des Gedächtnisses, des Urteilens und des Verstehens einer an ihn gerichteten Erklärung verloren hat und daß Überführung oder irgend etwas, was ihn in Erregung bringen würde, sein Leben gefährdet.
Unterschrift: PAUL F. CHESNUT
Capt. MC
Chirurg.