Internationaler Militärgerichtshof
Unterschrift: GEOFFREY LAWRENCE
Vorsitzender
Nürnberg, 24. November 1945.
Bericht der Kommission zur Untersuchung
des Angeklagten Heß.1
A
An den
Internationalen Militärgerichtshof
Entsprechend dem Auftrag des Gerichtshofes haben wir, die medizinischen Sachverständigen der sowjetischen Delegation zusammen mit den Aerzten der britischen Delegation und in Anwesenheit eines Vertreters der amerikanischen Medizinischen Abordnung Rudolf Heß untersucht und über diese Untersuchung einen Bericht erstattet, zusammen mit unseren Schlußfolgerungen und einer Auslegung des Verhaltens des Herrn Heß.
Die Erklärung über die allgemeinen Schlußfolgerungen wurden nur von den Ärzten der sowjetischen Delegation und von Professor Delay, dem medizinischen Sachverständigen der französischen Delegation unterschrieben.
Anlagen (1) Schlußfolgerungen und (2) Bericht über die Untersuchung des Herrn Heß.
Unterschrift: PROFESSOR KRASNUSHKIN
Doktor der Medizin
Unterschrift: PROFESSOR E. SEPP
Wissenschaftler, Ordentliches
Mitglied der Medizinischen Akademie
Unterschrift: PROFESSOR KURSHAKOV
Doktor der Medizin, Chefarzt
des Gesundheitskommissariats der USSR
17. November 1945.
1 Auf Grund dieses Berichtes und mit Rücksicht auf die mündliche Erklärung des Angeklagten Hess während der Verhandlung vom 30. November 1945, hat der Gerichtshof am 1. Dezember 1945 beschlossen, daß, »der Angeklagte Hess im gegenwärtigen Zeitpunkt verhandlungsfähig ist und daß der Antrag seines Verteidigers auf Vertagung deshalb abgelehnt und das Verfahren fortgesetzt wird«.
Anhang I: Schlußfolgerungen
Nach Beobachtung und Untersuchung des Rudolf Heß haben die Unterzeichneten folgende Schlüsse gezogen:
1. Es wurden keine wesentlichen körperlichen Abweichungen vom Normalzustand beobachtet.
2. Sein Geisteszustand ist von gemischtem Typus. Er ist eine unausgeglichene Persönlichkeit, welche man in der Fachsprache als psychopathische bezeichnet. Die Angaben über seine Krankheit während der letzten vier Jahre, die von einem von uns, der ihn in England beobachtete, unterbreitet wurden, zeigen, daß er den Wahn hegte, vergiftet zu werden und andere ähnliche paranoische Vorstellungen.
Teilweise bewirkt durch das Fehlschlagen seiner dortigen Mission, vermehrten sich die anormalen Anzeichen und führte zu Selbstmordversuchen. Zu dem oben Erwähnten kommt noch, daß er erkennbare hysterische Neigungen besitzt, die eine Entwicklung verschiedener Symptome verursachten, hauptsächlich des Gedächtnisschwundes, der vom November 1943 bis Juni 1944 andauerte. Die hysterischen Neigungen bewirkten auch, daß er sich allen Heilungsversuchen widersetzte.
Bei veränderten Umständen können die Symptome des Gedächtnisschwundes verschwinden.
Die zweite Zeitspanne des Gedächtnisschwundes begann im Februar 1945 und dauert auch gegenwärtig noch an.
3. Gegenwärtig ist er nicht geisteskrank im engeren Sinne dieses Wortes. Sein Gedächtnisschwund hält ihn nicht vollständig vom Verstehen der Ereignisse um ihn ab, behindert jedoch seine Fähigkeit, seine Verteidigung zu führen oder Einzelheiten der Vergangenheit zu verstehen, die als Tatbestand hier von Bedeutung sein könnten.
4. Zur Klarstellung der Lage empfehlen wir, daß eine Analyse unter Narkose mit ihm angestellt werde; wenn der Gerichtshof entscheidet, gegen ihn zu verhandeln, sollte die Frage nachträglich noch einmal vom psychiatrischen Standpunkt aus untersucht werden.
Die Schlußfolgerung, die die Ärzte der britischen Delegation, Lord Moran, Dr. T. Kees und Dr. G. Riddoch, und die Ärzte der sowjetischen Delegation, die Professoren Krasnushkin, Sepp und Kurshakov, am 14. November gezogen haben, wurde auch von dem Vertreter der französischen Delegation, Professor Jean Delay, am 15. November angenommen.
Nach Untersuchung des Herrn Heß, die am 15. November 1945 stattfand, haben sich die unterzeichneten Professoren und Sachverständigen der sowjetischen Delegation, Krasnushkin, Sepp und Kurshakov sowie Professor Jean Delay, der Sachverständige der französischen Delegation, auf folgende Erklärung geeinigt:
Herr Heß weigerte sich kategorisch, sich einer Analyse unter Narkose zu unterziehen und widersetzte sich allen anderen Maßnahmen, die die Heilung seines Gedächtnisschwundes herbeiführen sollten; er erklärte, daß er erst nach dem Prozeß bereit sei, sich einer Behandlung zu unterziehen. Das Verhalten des Herrn Heß macht es möglich, die im Absatz 4 des Berichtes vom 14. November vorgeschlagenen Methoden anzuwenden und den Vorschlag dieses Absatzes in seiner gegenwärtigen Form zu befolgen.
Unterschrift: PROFESSOR KRASNUSHKIN
Doktor der Medizin
Unterschrift: PROFESSOR E. SEPP
Wissenschaftler
Ordentliches Mitglied der Medizinischen Akademie
Unterschrift: PROFESSOR KURSHAKOV
Doktor der Medizin, Chefarzt des Gesundheitskommissariats der USSR
Unterschrift: PROFESSOR JEAN DELAY
an der Medizinischen Fakultät Paris.