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II

Begründung

zu I: Über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten Heß und seine Verhandlungsfähigkeit bestehen bei dem unterzeichneten Verteidiger auf Grund des von dem Angeklagten bei den mehrfachen Unterhaltungen gezeigten Verhaltens und auf Grund der in der ausländischen und deutschen Presse früher und jetzt erfolgten Veröffentlichungen aus Anlaß des »Falles Heß« starke Bedenken.

Der Angeklagte ist nicht in der Lage, seinem Verteidiger irgendwelche Informationen hinsichtlich der ihm in der Anklage zur Last gelegten Verbrechen zu geben. Sein Gesichtsausdruck ist leblos und sein Verhalten im Hinblick auf das bevorstehende Verfahren und gegenüber seinem Verteidiger jeder natürlichen Einstellung eines sonstigen Angeklagten widersprechend.

Der Angeklagte gibt an, seit einer längeren, von ihm nicht mehr feststellbaren Zeit das Erinnerungsvermögen vollkommen verloren zu haben... Die von dem deutschen Propaganda-Ministerium gegebene parteiamtliche Erklärung vom 12. Mai 1941 spricht sogar von »einer seit Jahren fortschreitenden Krankheit« und von »Spuren geistiger Zerrüttung«.

... Diese Tatsachen sind für die Behauptung einer Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten infolge krankhafter Störung der Geistestätigkeit erheblich, und für die Begründung des Beweisantrages zu I ausreichend.

Diese Tatsachen rechtfertigen gleichzeitig die Nachprüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten. Die Hinzuziehung mehrerer, von der Verteidigung beantragter Sachverständiger für den Fall, daß der Hohe Gerichtshof von sich aus ein Gremium von Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens schon beauftragt hat, dürfte gegenüber dem Angeklagten der Billigkeit entsprechen.

Unterschrift: VON ROHRSCHEIDT

Anwalt

Nürnberg, 7. November 1945.

Beschluß des Gerichtshofes

über die Ablehnung des Antrages

für den Angeklagten Heß

und über die Bestellung einer Kommission zur Untersuchung des Geisteszustandes und der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Heß.

Der Internationale Militärgerichtshof

DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA,

DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK,

DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH VON GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND

UND DIE UNION DER SOZIALISTISCHEN SOWJET-REPUBLIKEN


gegen –

HERMANN WILHELM GÖRING und andere,

Angeklagte

BESCHLUSS.

1. Der Verteidiger des Angeklagten Heß hat beim Gerichtshof den Antrag gestellt, einen von der Medizinischen Fakultät der Zürcher oder Lausanner Universität bestimmten Sachverständigen zu ernennen, um den Angeklagten Heß in Bezug auf seine geistige Zurechnungsfähigkeit und die Fähigkeit, dem Prozeß beizuwohnen, zu untersuchen. Dieser Antrag wird abgelehnt.

2. Der Gerichtshof hat eine Kommission bestimmt, die sich aus folgenden Mitgliedern zusammensetzt:

Eugene Krasnushkin, Dr. med., Professor der Psychiatrie, Medizinisches Institut in Moskau, assistiert von

Eugene Sepp, Dr. med., Professor der Neurologie, Medizinisches Institut in Moskau, Mitglied der Akademie der Medizinwissenschaft der USSR und

Nikolas Kurshakov, Dr. med., Professor der Medizin, Medizinisches Institut in Moskau, Chefinternist des öffentlichen Gesundheitskommissariats der USSR

Lord Moran, Dr. med., F.R.C.P. Präsident des »Royal College of Physicians«, assistiert von

Dr. T. Rees, Dr. med., F.R.C.P. Hauptberatender Psychiater für das Kriegsamt und

Dr. George Riddoch, Dr. med., F.R.C.P. Direktor der Neurologie des Londoner Krankenhauses und Hauptberatender Neurologe des Kriegsamtes.

Dr. Nolan D. C. Lewis, assistiert von

Dr. D. Ewen Cameron und

Oberst Paul Schroeder, Dr. med.

Professor Jean Delay.

Der Gerichtshof hat die Kommission ersucht, den Angeklagten Heß zu untersuchen und einen Bericht über den Geisteszustand des Angeklagten zu erstatten, im besonderen über die Frage, ob er fähig ist, am Prozeß teilzunehmen. Im einzelnen soll folgendes geprüft werden:

1. Kann der Angeklagte zur Anklageschrift Stellung nehmen?

2. Ist der Angeklagte geistig gesund oder nicht; über diesen letzten Punkt will der Gerichtshof erfahren, ob der Angeklagte genügend Verständnis besitzt, um den Verhandlungsverlauf zu erfassen, um sich richtig zu verteidigen, um einen Zeugen zu befragen, gegen den er Einwendungen zu erheben hat, und um Einzelheiten der Beweisführung zu verstehen.

3. Die Mitglieder der Kommission haben dem Gerichtshof ihren Bericht in einer ihnen angemessen erscheinenden Form zu unterbreiten. Es wird angeordnet, daß Exemplare des Berichtes einem jeden der Hauptankläger und dem Verteidiger zugehen. Der Gerichtshof wird die Argumente der Anklagebehörde und Verteidiger über die aus dem Bericht entstehenden Streitfragen am Freitag, dem 30. November, um 4.00 Uhr nachmittags hören.