HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

B

An den

Internationalen Militärgerichtshof.

Nachdem die Unterzeichneten Rudolf Heß gesehen und untersucht haben, haben sie folgende Schlußfolgerungen gezogen:

1. Es bestellen keine wesentlichen körperlichen Anormalitäten.

2. Sein Geisteszustand ist von gemischtem Typus. Er ist ein unausgeglichener Mensch, der in der Fachsprache als psychopathische Persönlichkeit zu bezeichnen ist. Die Angaben über seine Krankheit während der letzten vier Jahre, die von einem von uns, der ihn in England betreute, gemacht wurden, zeigen, daß er den Wahn, vergiftet zu werden, und andere paranoische Vorstellungen hegte.

Teilweise bewirkt durch das Fehlschlagen seiner Mission, verschlimmerten sich diese anormalen Gedanken und führten zu einem Selbstmordversuch. Dazu hat er noch ausgesprochen hysterische Neigungen, die sich in verschiedenen Anzeichen äußern, hauptsächlich in einem Gedächtnisschwund, welcher von November 1943 bis zum Juni 1944 andauerte; sie ließen ihn auch allen Heilungsversuchen Widerstand entgegensetzen. Ein zweiter Gedächtnisschwund begann im Februar 1945 und dauert gegenwärtig noch an. Dieses Anzeichen von Gedächtnisschwund wird möglicherweise verschwinden, wenn andere Umstände eintreten.

3. Er ist gegenwärtig nicht geisteskrank im strengen Sinne des Wortes. Sein Gedächtnisschwund hält ihn nicht vollständig vom Verstehen der Verhandlungen ab, behindert jedoch seine Fähigkeit, seine Verteidigung zu führen und Einzelheiten der Vergangenheit zu verstehen, die im Beweisverfahren eine Rolle spielen könnten.

4. Wir empfehlen, weitere Beweise durch eine Analyse unter Narkose herbeizuziehen. Sollte sich der Gerichtshof entscheiden, das Verfahren fortzusetzen, so wäre der Fragenkomplex wohl noch später vom psychiatrischen Standpunkt aus zu überprüfen.

Unterschrift: J. R. REES

M.D., F.R.C.P.

Unterschrift: GEORGE RIDDOCH

M.D., F.R.C.D.

Unterschrift: MORAN

M.D., F.R.C.D.

19. November 1945.

20. November 1945

C

MEMORANDUM AN:

Brigadegeneral Wm. L. Mitchell, Generalsekretär des

Internationalen Militärgerichtshofes.

Auf Ersuchen des Gerichtshofes haben die unterzeichneten Psychiater am 15. und 19. November 1944 Rudolf Heß in seiner Zelle im Militärgefängnis zu Nürnberg untersucht.

Es wurden die folgenden Untersuchungen durchgeführt: Physische, neurologische und psychologische.

Darüber hinaus wurden Dokumente überprüft, die Aufschluß über seine persönliche Entwicklung und seine berufliche Laufbahn gaben. Die Berichte über seinen Aufenthalt in England wurden durchgesehen. Die Ergebnisse aller vom Gefängnispsychiater und seinem Stab durchgeführten psychologischen und besonderen psychometrischen Untersuchungen und Beobachtungen wurden durchgearbeitet. Weitere Informationen stammten aus der am 14. und 16. November 1945 vorgenommenen amtlichen Vernehmung des Angeklagten.

(1) Wir stellen als Ergebnis unserer Untersuchungen und Nachforschungen fest, daß Rudolf Heß an Hysterie leidet, die zum Teil durch Gedächtnisverlust gekennzeichnet ist. Obwohl die Art dieses Gedächtnisverlustes eine solche ist, daß sie seine Aufnahmefähigkeit bei den Verhandlungen nicht beeinträchtigt, wird sie aber sein Vermögen, auf Fragen über seine Vergangenheit zu antworten, beeinträchtigen und ebenso die Durchführung seiner Verteidigung.

Weiterhin besteht eine bewußte Übertreibung seines Gedächtnisschwundes und die Neigung, dies zu seinem Schutze gegen Untersuchungen auszunutzen.

(2) Wir glauben, daß das gegenwärtige hysterische Gebaren des Angeklagten als Verteidigung gegen die ihm in England entgegengetretenen Umstände entstanden ist; jetzt ist es zum Teil Gewohnheit geworden und wird solange andauern, wie er unter der Bedrohung einer Bestrafung steht. Trotzdem kann es eine normalere Form der Verteidigung beeinträchtigen.

(3) Es ist die einstimmige Schlußfolgerung der Unterzeichneten, daß Rudolf Heß zur Zeit im strengen Sinn des Wortes nicht geisteskrank ist.

Unterschrift: DR. JEAN DELAY

Professor der Psychiatrie bei der Medizinischen Fakultät in Paris

Unterschrift: DR. NOLAN D. C. LEWIS

Professor der Psychiatrie, Columbia Universität

Unterschrift: D. EWEN CAMERON

Professor der Psychiatrie, McGill Universität

Unterschrift: PAUL L. SCHRÖDER

Oberst der amerikanischen Armee,

Neuropsychiatrischer Berater.