Haager Abkommen.
Im Abkommen von 1899 kamen die vertragsschließenden Mächte überein:
»bevor sie zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittlung einer befreundeten Macht oder mehrerer befreundeter Mächte anzurufen, soweit dies die Umstände gestatten werden.«
Eine ähnliche Bestimmung wurde in das Abkommen zur friedlichen Beilegung Internationaler Streitigkeiten von 1907 aufgenommen. In dem zusätzlichen Abkommen über die Eröffnung von Feindseligkeiten drückt sich der Artikel I noch deutlicher aus:
»Die Vertragsmächte erkennen an, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen ohne eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muß.«
Deutschland war eine der Vertragsmächte dieser Abkommen.
Der Vertrag von Versailles.
Die Anklagevertretung stützt sich auch auf den Bruch gewisser Bestimmungen, des Vertrages von Versailles: Das linke Rheinufer nicht zu befestigen (Art. 42-44); die Unabhängigkeit Österreichs strengstens zu achten (Art. 80); Verzicht auf alle Rechte im Memelgebiet (Art. 99) und dem Freistaat Danzig (Art 100); die Anerkennung der Unabhängigkeit des tschechoslowakischen Staates; und die Heeres-, Flotten- und Luftbestimmungen gegen eine deutsche Wiederaufrüstung, die im Teil V enthalten sind. Es besteht kein Zweifel, daß die deutsche Regierung gegen alle diese Bestimmungen verstoßen hat; Einzelheiten sind im Anhang C angeführt. Mit Bezug auf den Vertrag von Versailles werden folgende Fälle herangezogen:
1. Die Verletzung der Artikel 42 bis 44 über die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes;
2. die Annexion Österreichs am 13. März 1938 unter Verletzung des Artikels 80;
3. Die Einverleibung des Memelgebietes am 22. März 1939 unter Verletzung des Artikels 99;
4. die Einverleibung des Freistaates Danzig am 1. September 1939 unter Verletzung des Artikels 100;
5. die Einverleibung der Provinz Böhmen und Mähren am 16. März 1939 unter Verletzung des Artikels 81;
6. der Widerruf der Heeres-, Flotten- und Luftbestimmungen des Vertrages im März 1935.
Am 21. Mai 1935 kündigte Deutschland an, daß es, ungeachtet der Widerrufung der Abrüstungsbestimmungen des Vertrages, noch immer Gebietsbegrenzungen respektieren und sich dem Locarno-Vertrag unterwerfen würde.
Im Hinblick auf die ersten fünf unter Anschuldigung stehenden Verstöße findet der Gerichtshof die Anschuldigungen als erwiesen.
Gegenseitige Garantie-, Schieds- und Nichtangriffsverträge.
Es ist nicht nötig, die verschiedenen Verträge, die Deutschland mit anderen Mächten abschloß, im einzelnen zu erörtern. Gegenseitige Garantie-Verträge wurden von Deutschland im Jahre 1925 in Locarno mit Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien abgeschlossen, in denen die Aufrechterhaltung des territorialen Status quo zugesichert wurden. Außerdem wurden von Deutschland in Locarno Schieds- und Vergleichsverträge mit der Tschechoslowakei, Belgien und Polen unterzeichnet.
Typisch ist der Artikel I des letztgenannten Vertrages, welcher vorsieht:
»Alle Streitfragen jeglicher Art zwischen Deutschland und Polen..., die nicht auf dem Wege des gewöhnlichen diplomatischen Verfahrens gütlich geregelt werden können, sollen einem Schiedsgericht zur Entscheidung unterbreitet werden...«
Im Jahre 1926 wurden von Deutschland Schieds- und Vergleichsverträge mit den Niederlanden und Dänemark eingegangen, im Jahre 1929 zwischen Deutschland und Luxemburg. Nicht-Angriffsverträge mit Dänemark und Rußland wurden von Deutschland im Jahre 1939 abgeschlossen.