Tabelle der Strafaussprüche
30. September 19461
Unterschrift: Geoffry Lawrence
Vorsitzender
Unterschrift: Francis Biddle
Unterschrift: H. Donnedieu de Vabres
Unterschrift: Nikitchenko
Für die Richtigkeit der Abschrift:
Unterschrift: JOHN E. RAY
Oberst, FA
1 Dieser Urteilsspruch wurde in öffentlicher Gerichtssitzung durch den Vorsitzenden am 1. Oktober 1946 verlesen.
Vorbereitende Verhandlungen
Vorbereitende Verhandlung.
Mittwoch, 14. November 1945
DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Ist der Verteidiger für Gustav Krupp von Bohlen anwesend?
DR. THEODOR KLEFISCH, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KRUPP VON BOHLEN: Ja.
VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren Antrag jetzt stellen?
DR. KLEFISCH: Herr Präsident! Meine Herren! Als Verteidiger des Herrn Krupp von Bohlen und Halbach wiederhole ich den bereits schriftlich gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gegen diesen Angeklagten, auf alle Fälle nicht gegen diesen Angeklagten die Verhandlung durchzuführen.
Ich stelle es dem Hohen Gericht anheim, das Verfahren gegen Krupp vorläufig oder endgültig einstellen zu wollen.
Nach dem Gutachten der Herren Sachverständigen, die vom Gerichtshof zur Untersuchung des Krankheitszustandes des Herrn Krupp ernannt worden sind, ist Krupp von Bohlen und Halbach wegen seiner schweren Erkrankung unfähig, in der Verhandlung ohne Lebensgefahr zu erscheinen. Es heißt in dem Gutachten, daß eine organische Gehirnstörung vorliegt, und daß geistiger Verfall diesen Angeklagten unfähig macht, seine Umgebung zu erfassen und auf die Umgebung in normaler Weise zu reagieren. Daraus folgt, daß Herr Krupp auch unfähig ist, die Verteidigung zu informieren. Ferner heißt es in dem Bericht, daß der Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte schon mehrere Jahre andauert, und daß Krupp seit seinem Autounfall am 4. Dezember 1944 nur gelegentlich unzusammenhängende Worte hervorbringen kann, und daß er in den letzten zwei Monaten seine Verwandten und Freunde überhaupt nicht mehr erkennen kann.
Auf Grund dieses Sachverhalts kann man nur die Feststellung treffen, daß Herr Krupp von der Zustellung der Anklageschrift am 19. Oktober keinerlei Kenntnis hat, also überhaupt nicht weiß, daß er angeklagt ist und weswegen er angeklagt ist oder sein wird.
Es ergibt sich nun die Frage, ob trotz dieser ständigen Verhandlungsunfähigkeit, trotz der Unfähigkeit zur Informierung der Verteidigung und trotz der Unkenntnis der Anklageschrift und ihres Inhalts, gegen Herrn Krupp in Abwesenheit verhandelt werden kann.
Artikel 12 des Statuts gibt dem Gericht das Recht, ein Verfahren gegen Abwesende durchzuführen, wenn der Angeklagte unauffindbar ist, oder wenn der Gerichtshof es aus anderen Gründen im Interesse der Gerechtigkeit – »in the interests of justice« – für erforderlich hält, in Abwesenheit zu verhandeln.
Da die erste Voraussetzung, Unauffindbarkeit, ohne weiteres ausscheidet, ist also zu prüfen, ob die zweite Voraussetzung zutrifft oder nicht, d.h. ob es im Interesse der Gerechtigkeit nötig ist, gegen Krupp zu verhandeln.
Die Verteidigung vertritt den Standpunkt, daß die Gerechtigkeit die Verhandlung gegen den abwesenden Krupp nicht erfordert, daß dies vielmehr der Gerechtigkeit widersprechen würde. Dafür möchte ich folgende Gründe vortragen:
Die Entscheidung der Frage muß ausgehen von dem Begriff der Gerechtigkeit im Sinne des Artikels 12 des Statuts. Zu beachten ist dabei, daß der Artikel 12 eine reine Verfahrensvorschrift ist. Es ist aber zu fragen, ob das Verfahren gegen den abwesenden Krupp ein gerechtes Verfahren wäre. Ein gerechtes Verfahren ist meines Erachtens nur dann gegeben, wenn es im ganzen oder in den einzelnen Vorschriften so gestaltet ist, daß ein billiges Urteil garantiert ist, das heißt ein Urteil, das den schuldig befundenen Angeklagten angemessen bestraft, daß aber der Nichtschuldigbefundene von Schuld und Strafe freigesprochen wird.
Kann nun ein gerechtes Urteil garantiert werden, wenn in Abwesenheit gegen den Angeklagten verhandelt wird, der ohne sein Verschulden nicht erscheinen und sich nicht verteidigen kann, der auch seinen Verteidiger nicht informieren konnte und kann, und der nicht einmal weiß, daß und weswegen er angeklagt ist?
Diese Frage stellen, heißt, sie verneinen.
Schon nach den statutarischen Vorschriften über die Rechte des Angeklagten im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung muß die gestellte Frage verneint werden. Es kommen da folgende Bestimmungen in Betracht:
Nach Artikel 16 (a) soll der Angeklagte eine Abschrift der. Anklage vor der Verhandlung zugestellt bekommen.
Nach Artikel 16 (b) hat der Angeklagte im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung das Recht, zu jeder Beschuldigung sich selbst zu erklären.
Nach Artikel 16 (c) soll eine vorläufige Vernehmung des Angeklagten stattfinden.
Nach Artikel 16 (d) soll der Angeklagte entscheiden, ob er sich selbst verteidigen oder verteidigen lassen will.
Nach Artikel 16 (e) hat der Angeklagte das Recht, selbst Beweismittel beizubringen und jeden Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.
Alle diese Rechte konnte der Angeklagte Krupp nicht wahrnehmen. Dasselbe gilt auch für die besonderen Rechte, die den Angeklagten für die Hauptverhandlung gemäß Artikel 24 zugestanden sind:
Der Angeklagte soll in der Hauptverhandlung erklären, ob er sich schuldig bekennt oder nicht.
Das ist eine Bestimmung, die meines Erachtens für den Verlauf der Verhandlung und die Entscheidung eine überaus bedeutsame Erklärung ist, die der Angeklagte nur persönlich abgeben kann.
Ich weiß nicht, ob es zulässig ist, daß der Verteidiger diese »Schuldig«- oder »Nichtschuldigerklärung« für den Angeklagten abgeben kann; und selbst wenn das zulässig wäre, würde der Verteidiger diese Erklärung nicht abgeben können, wenn er keine Gelegenheit hatte, sich irgendwie mit dem Angeklagten zu verständigen.
Schließlich kann der Angeklagte, der nicht anwesend ist, auch das Recht auf das letzte Wort nicht ausüben.
Das Statut, das so zahlreiche und einschneidende Bestimmungen für das Recht des Angeklagten und seine Verteidigung erlassen hat, läßt hierdurch erkennen, daß die persönliche Ausübung dieser dem Angeklagten zugestandenen Rechte durch den Angeklagten persönlich eine wichtige Erkenntnisquelle für die Findung eines gerechten Urteils ist, und daß eine Verhandlung gegen einen solchen Angeklagten, der diese Rechte ohne irgendein Verschulden nicht wahrnehmen kann, nicht als ein gerechtes Verfahren im Sinne von Artikel 12 angesprochen werden kann.
Ich möchte aber einen Schritt weitergehen und sagen, daß die Abwesenheitsverhandlung gegen Herrn Krupp nicht nur nach den Bestimmungen des Statuts der Gerechtigkeit widersprechen würde, sondern auch nach den allgemein anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechtes der zivilisierten Staaten. Soviel ich unterrichtet bin, läßt kein Verfahrensrecht eines kontinentalen Staates die Gerichtsverhandlung gegen einen abwesenden, geisteskranken und total verhandlungsunfähigen Angeklagten zu. Nach deutschem Verfahrensrecht muß in einem solchen Falle das Verfahren vorläufig eingestellt werden. (Paragraph 205 der deutschen Strafprozeßordnung.)
Wenn nun das Verbot der Verhandlung gegen einen verhandlungsunfähigen Angeklagten ein allgemein anerkannter Verfahrensgrundsatz (principe général de droit reconnu par les nations civilisées) im Sinne des Paragraphen 38 (c) des Status des Internationalen Gerichtshofs in Dem Haag ist, so kann ein Gericht, auf das die Blicke der ganzen Welt gerichtet sind und die Blicke der kommenden Geschlechter, dieses Verbot wohl nicht ignorieren.
Die Auslandspresse, die sich in den letzten Wochen und Tagen wiederholt mit der Rechtssatzung des Statuts befaßt, hebt fast einmütig hervor, daß in dem formalen Strafverfahren von den Gebräuchen und Regeln eines »fairen« Verfahrens, wie es in den zivilisierten Ländern üblich sei, nicht abgewichen werden dürfe, während sie für das materielle Strafrecht ein Abweichen von den bisher anerkannten Grundsätzen nicht beanstandet, weil die Gerechtigkeit und hohe politische Erwägungen die Schöpfung eines neuen internationalen Strafrechts sogar mit rückwärtiger Kraft verlangen, um Kriegsverbrecher bestrafen zu können.
Ich möchte noch einen Punkt hinzufügen, der für die Entscheidung der besprochenen Frage von Bedeutung sein kann. Das Hohe Gericht wäre selbstverständlich auch außerstande, sich einen Eindruck von der Persönlichkeit des Herrn Krupp zu verschaffen, der in einem so außerordentlich bedeutenden Prozeß ein nicht zu unterschätzendes Erkenntnismittel für die Beurteilung des inkriminierten Sachverhalts sein würde.
Wenn in dem Statut die Abwesenheitsverhandlung gegen unauffindbare Angeklagte grundsätzlich zugelassen ist, so stimmt das mit entsprechenden Vorschriften der Verfahrensordnung aller Staaten und auch der deutschen Strafprozeßordnung überein.
Der Fall insbesondere des flüchtigen Angeklagten unterscheidet sich wesentlich von dem des verhandlungsunfähigen Angeklagten, denn er hat im Gegensatz zu dem verhandlungsunfähigen Angeklagten die Möglichkeit, vor Gericht zu erscheinen und sich zu verteidigen. Entzieht er sich vorsätzlich dieser Möglichkeit, so muß er die Gefahren und Nachteile, die seine Abwesenheit mit sich bringen, selbst verantworten. Von einem ungerechten Verfahren in diesem Falle kann natürlich nicht die Rede sein.
Es sind in den letzten Tagen und Wochen Stimmen laut geworden, daß die Weltöffentlichkeit es verlange, gegen den Angeklagten Krupp unter allen Umständen auch in Abwesenheit zu verhandeln, weil Krupp der Inhaber der größten deutschen Waffenschmiede und weil er einer der Hauptkriegsverbrecher sei. Soweit dieses Verlangen der Weltöffentlichkeit damit begründet wird, daß Krupp einer der Hauptkriegsverbrecher sei, ist zu erwidern, daß diese Beschuldigung vorerst nur eine These der Anklage ist, die erst im Verfahren zu beweisen ist. Ausschlaggebend ist aber meines Erachtens, daß es nicht darauf ankommt, ob die Weltöffentlichkeit oder, um einen aus der Nazi- Werkstatt hervorgegangenen Ausdruck zu gebrauchen, »Das gesunde Volksempfinden« oder politische Erwägungen eine Rolle spielen, sondern daß die Frage einzig und allein unter dem Gesichtspunkt entschieden werden muß, ob die Gerechtigkeit das Verfahren gegen den abwesenden Krupp nach Artikel 12 erfordert. Ich will nicht bestreiten, daß die Forderung der Gerechtigkeit gleichzeitig eine Forderung der Weltöffentlichkeit sein kann.
Die Forderung der Weltöffentlichkeit und die Forderung der Gerechtigkeit können sich aber widersprechen.
Im vorliegenden Falle aber würde ein Widerspruch zwischen der Forderung der Weltöffentlichkeit, die die Verhandlung gegen den abwesenden Krupp verlangen würde, und der Forderung der Gerechtigkeit bestehen, da es, wie ich ausgeführt habe, gegen die anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts aller Staaten und insbesondere gegen den Artikel 12 des Statuts verstoßen würde, gegen einen geisteskranken Menschen, der sich nicht verteidigen kann, die Verhandlung durchzuführen, die Verhandlung, in der es sich für den Angeklagten um alles, um Ehre, um Sein oder Nichtsein, und was noch mehr bedeutet, darum handelt, ob er in den Kreis, in den Höllenkreis der schweren Kriegsverbrecher gehört, die ein so ungeheures Elend über die Menschheit und das eigene Vaterland heraufbeschworen haben. Ich will indes die Gefahren und Nachteile für die Person und die Interessen des Angeklagten nicht einmal in den Vordergrund stellen.
Weit beachtenswerter sind die Gefahren und Nachteile eines so ungewöhnlichen Verfahrens für die materielle Gerechtigkeit, weil die Verhandlung gegen einen solchen Angeklagten, der verhandlungsunfähig ist, wegen der totalen Unfähigkeit, eine ordnungsgemäße Verteidigung zu führen, die Findung einer gerechten und richtigen Entscheidung nicht garantieren kann.
Diese Gefahr für die materielle Gerechtigkeit darf meines Erachtens ein Gerichtshof nicht in Kauf nehmen, der eine bisher nicht dagewesene weltgeschichtliche Bedeutung hat, und der sich die hohe und heilige Aufgabe gestellt hat, durch Bestrafung der Kriegsverbrecher die Wiederholung eines so grausigen Krieges wie des zweiten Weltkriegs, zu unterbinden und den Völkern der Erde die Pforte zum dauernden Frieden zu öffnen.
VORSITZENDER: Mr. Justice Jackson, erheben Sie gegen diesen Antrag eine Einwendung?
JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Ehe ich diesem Antrag entgegentrete, möchte ich zunächst bei dem Gerichtshof die mir von Präsident Truman erteilte Bestallung, die Vereinigten Staaten in diesem Verfahren zu vertreten, vorlegen. Ich lege die Originalbestallungsurkunde vor und überreiche dem Sekretär eine Photokopie.
Ich trete diesem Antrag auch im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und mit Zustimmung der sich hier befindlichen französischen Abordnung entgegen. Ich bin der Schwierigkeiten eingedenk, die in pflichtgetreuester Weise dem Gerichtshof von dem ehrenwerten Vertreter der deutschen Anwaltschaft unterbreitet wurden, dessen Aufgabe es ist, die Interessen Krupps wahrzunehmen; keine meiner Ausführungen zur Ablehnung des Antrags soll Kritik an dem Verteidiger Krupps üben, der bemüht ist, die Interessen seines Klienten wahrzunehmen, wie dies seine Pflicht ist; er vertritt aber einen einzigen Klienten, dessen Interessen klar zutage liegen.
Wir vertreten drei Nationen dieser Erde; eine von ihnen wurde dreimal mit Kruppschen Waffen überfallen, eine andere hat im Verlauf des Krieges im Osten unter der Wucht des Krieges gelitten wie nie ein Volk zuvor, und eine von ihnen hat zweimal den Atlantik überquert, um, soweit es in ihren Kräften stand, Streitigkeiten zu beenden, die durch den deutschen Militarismus entfacht waren. Bei der Auslegung des Statuts in dieser Angelegenheit hat der Gerichtshof die Interessen der Gerechtigkeit wahrzunehmen, und er kann die Interessen der Anklagevertretung ebensowenig außer Acht lassen wie die Interessen Krupps.
Zweifellos hat eine Gerichtsverhandlung in absentia ihre großen Nachteile. Es wäre nicht in Übereinstimmung mit den verfassungsmäßigen Rechten eines Bürgers der Vereinigten Staaten in einem in unserem eigenen Lande stattfindenden Strafverfahren. Unter den Umständen dieses Falles bereitet dies den Anklagevertretern große Schwierigkeiten. Beim Entwerfen des Statuts mußten wir jedoch berücksichtigen, daß sich jede Art von Prozeßlücke zugunsten der Angeklagten auswirken würde, und darum hat das Statut den Prozeß in absentia gestattet, wenn dies im Interesse der Gerechtigkeit liegt; dieser allgemein gehaltene Grundsatz ist daher der einzige Wegweiser für das Ermessen des Gerichtshofs.
Ich behaupte nicht, daß der Verteidiger die Schwierigkeiten übertrieben hat. Der Gerichtshof sollte jedoch der Tatsache eingedenk sein, daß von allen sich vor diesem Gerichtshof befindlichen Angeklagten Krupp zweifellos in der günstigsten Lage ist, was Hilfsmittel und Beistand für seine Verteidigung anbelangt. Die Quellen des vorliegenden Beweismaterials sind nicht geheim. Die großen Kruppschen Werke selbst sind die Quelle des größten Teiles des Beweismaterials, das gegen ihn vorliegt und würden die Quelle einer etwaigen Rechtfertigung bilden.
Zweifellos bleibt trotz allem, was gesagt wurde, ein Gerichtsverfahren in absentia immer noch eine schwierige und wenig befriedigende Prozeßmethode. Die Frage, die sich erhebt, ist jedoch, ob solch ein Verfahren tatsächlich so unbefriedigend ist, daß die Interessen der hier vertretenen Nationen, welche die Waffen- und Munitionsindustrie in der Person ihres bekanntesten und hartnäckigsten Vertreters vor diesen Gerichtshof stellen, eine Niederlage erleiden sollen. In einer schriftlichen Antwort, mit der die Mitglieder des Gerichtshofes zweifellos vertraut sind, haben die Vereinigten Staaten den Hergang der Geschichte des Angeklagten Krupp geschildert und darin die Art des öffentlichen Interesses aufgezeigt, das verlangt, daß dieser Prozeß stattfindet.
Ich will an dieser Stelle ihren Inhalt nicht wiederholen, sondern lediglich zusammenfassend erklären, daß die Krupp-Unternehmungen seit mehr als 130 Jahren blühten und gediehen, indem sie die deutsche Kriegsmaschine mit Kriegsmaterial versahen. Im Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen war der Angeklagte Krupp von Bohlen und Halbach der verantwortliche Direktor, und in demselben Zeitraum wurde sein ältester Sohn Alfried in die Geschäftsführung in der Erwartung eingeweiht, daß er die Tradition weiterführen werde. Die Tätigkeit der Krupp-Werke war nicht auf die Ausführung von Regierungsaufträgen beschränkt. Die Krupp-Werke waren auch an der Aufhetzung zum Kriege aktiv beteiligt, sowie – durch Deutschlands Ausscheiden – an dem Schiffbruch der Abrüstungskonferenz und des Völkerbundes, und schließlich nahmen die Krupp-Werke an der politischen Agitation zur Unterstützung des gesamten Nazi-Angriffsprogramms ebenfalls aktiven Anteil.
Dies war nicht ohne Gewinn für die Kruppschen Unternehmungen, und wir sprachen bereits von dem auffallenden Aufstieg ihrer Gewinne, der ihrer Mithilfe an den deutschen Vorbereitungen für einen Angriffskrieg zuzuschreiben ist. Ihre Dienste in dieser Hinsicht waren so außerordentlich, daß dieses Unternehmen von der Nationalisierungspolitik ausgenommen wurde und durch Nazi-Erlasse als Familienunternehmen in die Hände des ältesten Sohnes Alfried überging.
Es scheint darum, daß es in einem Prozeß, in welchem wir den Grundsatz gerichtlich festzulegen suchen, daß die Anstiftung zum Angriffskrieg ein Verbrechen ist, wie dies bereits durch Verträge, Abkommen und internationalen Brauch festgelegt ist, unglaublich wäre, wenn das Unternehmen, das ich eben umrissen habe, von unseren Erwägungen ausgeschlossen werden sollte.
Drei der anklagenden Mächte bitten um die Erlaubnis des Gerichtshofes, die Anklageschrift unverzüglich derart abzuändern, daß der Name Alfried Krupp von Bohlen und Halbach jedesmal in der Anklageschrift hinter dem Namen Gustav Krupp von Bohlen erscheine, und bitten ferner, daß der Gerichtshof die Anklageschrift sofort Alfried zustellen lassen möge. Wie berichtet wird, befindet er sich in Händen der britischen Armee am Rhein.
Wir müssen nun untersuchen, ob hierdurch eine Verzögerung entstehen würde. Alle Staatenvertreter bei diesem Gerichtshof bedauern jede Verzögerung, und niemand mehr als ich, der ich seit langem in dieser Sache arbeite. Jedoch, wenn wir der Überzeugung sind, daß sich unsere Aufgabe überhaupt lohnt, dann lohnt es sich auch, sie gründlich durchzuführen; und ich sehe keine Rechtfertigung dafür, unsere Bequemlichkeit oder das Eingehen auf ein auf Unwissen beruhendes Drängen nach Eile der gründlichen Durchführung unserer Aufgabe vorgehen zu lassen.
Ich verstehe, daß die Eröffnung des Prozesses ungeduldig erwartet wird, doch gestatte ich mir darauf aufmerksam zu machen, daß es nur wenige Prozesse in den Vereinigten Staaten gibt, in die ein Kläger und ein Angeklagter verwickelt sind, und die auf örtlicher Basis und vor den ordentlichen Gerichten verhandelt werden, die vor Ablauf von acht Monaten nach den Ereignissen vor Gericht kommen. Vor acht Monaten war die deutsche Armee noch im Besitz dieses Saales und im Besitz des Beweismaterials, das heute in unserer Hand ist. Aus diesem Grunde glauben wir, uns wegen der Zeit nicht entschuldigen zu müssen, die wir beansprucht haben, um Material zusammenzustellen, das einen ganzen Kontinent berührt, sich auf ein Jahrzehnt erstreckt und die Staatsgeschäfte der meisten Nationen dieser Erde betrifft.
Wir glauben nicht, daß die Einbeziehung Alfried Krupps eine durch die übliche Zubilligung einer Frist an den Angeklagten hervorgerufene Verzögerung herbeiführen muß. Die Arbeit, die bereits im Falle Krupp von Bohlen geleistet wurde, wird zweifellos auch Alfried zugänglich sein. Die Organisation Krupp ist die Quelle der Urkunden und des hauptsächlichsten Beweismaterials, auf das sich die Verteidigung stützen wird. Falls diesem Ansuchen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion und der Französischen Republik stattgegeben wird und Alfried Krupp mit angeklagt wird, würden wir keinen Einspruch gegen die Entlassung des älteren Krupp erheben, was der eigentliche Kern dieses Antrags ist; sein Gesundheitszustand macht es vermutlich unmöglich, ihn persönlich vor Gericht zu stellen.
VORSITZENDER: Herr Jackson, darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf Seite 5 der schriftlichen Erklärung der Vereinigten Staaten lenken? Unten auf Seite 5 heißt es: »Der Anklagevertreter der Sowjetunion, der Französischen Republik und des Vereinigten Königreichs sind einstimmig gegen die Einbeziehung Alfried Krupps«, und dann heißt es auf der vierten Linie der Seite 6: »Unmittelbar nach Zustellung der Anklageschrift und nachdem Meldung über den ernsten Gesundheitszustand Krupps eingetroffen war, beraumten die Vereinigten Staaten nochmals eine Sitzung der Anklagevertreter an und schlugen eine Abänderung der Anklageschrift vor, um Alfried Krupp anzuschließen. Wiederum wurde der Vorschlag der Vereinigten Staaten durch Stimmenmehrheit von drei zu eins abgelehnt.« Teilen Sie dem Gerichtshof nun mit, daß seitdem eine andere Zusammenkunft stattgefunden hat, bei der die Anklagevertreter ihre beiden früher getroffenen Entscheidungen umstießen?
JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender, es ist mir mitgeteilt worden, daß die französische Delegation dem Sekretär des Gerichtshofes eine Erklärung unterbreitet hat, in welcher sie sich den Ansichten der Vereinigten Staaten anschließt. Auch erhielt ich eben einen Anruf im Auftrag des Sowjetanklägers, General Rudenko, der augenblicklich in Moskau ist, durch den uns mitgeteilt wird, daß die Sowjetdelegation sich dieser Ansicht nun ebenfalls anschließt, und ich wurde heute morgen ermächtigt, in ihrem Namen zu sprechen. Beide Delegationen wünschen selbstverständlich, wie auch wir, jede etwaige Verzögerung auf ein Minimum herabzusetzen.
Ich darf hinzufügen, daß die anfängliche Uneinigkeit bezüglich der Einbeziehung Alfried Krupps nicht etwa auf einem Meinungsunterschied darüber beruhte, ob dieses Industriewerk im Prozeß vertreten sein sollte, sondern es war lediglich damals nicht bekannt, daß der Gesundheitszustand des älteren Krupp es ihm unmöglich machen werde, dem Prozeß beizuwohnen. Es bestand die Absicht, daß...
VORSITZENDER: Entschuldigen Sie meine Unterbrechung, Herr Justice Jackson. Die Worte, die ich gerade verlas, zeigen jedoch, daß der Gesundheitszustand Krupps damals schon bekannt war. Die Stelle lautet: »Unmittelbar nach Zustellung der Anklageschrift und nachdem Meldung über den ernsten Gesundheitszustand Krupps eingetroffen war, beraumten die Vereinigten Staaten nochmals eine Sitzung der Anklagevertreter an, und wiederum wurde der Vorschlag der Vereinigten Staaten durch Stimmenmehrheit von drei zu eins abgelehnt.«
JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender, Sie beziehen sich auf die Sitzung, die unmittelbar nach der Zustellung der Anklageschrift stattfand. Ich spreche von der ursprünglichen Abfassung der Anklageschrift. Es scheint, daß wir über zwei verschiedene Zeitpunkte sprechen.
VORSITZENDER: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wir sahen damals voraus, daß es sehr schwierig sein würde, gegen zuviele Angeklagte einen Prozeß durchzuführen, und da sich Gustav Krupp von Bohlen bereits unter ihnen befand, war es unnötig, weitere Angeklagte heranzuziehen. Nach Zustellung der Anklageschrift erhielten wir Nachricht über seinen Gesundheitszustand und beriefen die Konferenz ein. Wir konnten damals nicht mit Sicherheit voraussehen, daß der Prozeß gegen ihn nicht durchgeführt werden könnte. Wir wußten, daß sein Gesundheitszustand ernst war, doch in welchem Maße das zutraf, wußten wir damals nicht so genau wie heute. Und es war damals die Überzeugung der drei anderen anklagenden Nationen, daß es nicht nötig sei, diesen Austausch vorzunehmen.
Angesichts der neuesten Ereignisse haben nun die Sowjetunion und die französische Republik beschlossen, sich der Stellungnahme der Vereinigten Staaten anzuschließen.
VORSITZENDER: Darf ich Sie fragen, wie lange die Frist sein würde, die Ihrer Meinung nach gewährt werden sollte, falls Ihrem Antrag für die Einbeziehung Alfried Krupps stattgegeben würde?
JUSTICE JACKSON: Es ist schwer zu sagen, welche Frist für den Angeklagten angemessen erscheinen würde. Doch scheint es mir erstens, daß er bereit sein dürfte, seines Vaters Platz ohne Verzögerung einzunehmen; auf keinen Fall sollte jedoch der Anfang des Prozesses über den 2. Dezember hinaus verzögert werden. Ich glaube, das ist ein Montag. Dies würde ihn in die Lage versetzen, auf Grund aller bereits geleisteten Arbeit sich vollständig vorzubereiten, und würde es uns ermöglichen, ihm die Anklageschrift sofort zuzustellen. Sollte mein Ansuchen genehmigt werden, so könnten wir die Zustellung unverzüglich vornehmen; die Angeklagten sind selbstverständlich schon über die Anklagepunkte vollkommen unterrichtet und können die Urkunden einsehen.
VORSITZENDER: Ist er nicht gemäß dem Statut und der Verfahrensordnung zu 30 Tagen Frist berechtigt – nach Einreichung der Anklageschrift von ihrer Zustellung an ihn?
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, daß das Statut keine derartige Forderung stellt und bin weiterhin der Meinung, daß die Verfahrensordnung der Kontrolle des Gerichtshofes selbst unterliegt.
VORSITZENDER: Schlagen Sie vor, daß ihm eine kürzere Frist gewährt werde als den anderen Angeklagten?
JUSTICE JACKSON: Ich habe keine Bedenken, diesen Vorschlag auf Grund der Tatsache zu unterstützen, daß die Arbeit, die in seinem Falle bereits geleistet wurde, ihm vermutlich zur Verfügung stehen würde; und wie ich bereits früher erwähnte, ist von allen Angeklagten die Familie Krupp im Hinblick auf ihre Mittel und die Reichweite ihrer Organisation am besten in der Lage, sich zu verteidigen. Selbstverständlich – und ich nehme an, Sie sind derselben Ansicht – ist sie auch in keiner Weise benachteiligt, was die Fähigkeiten des Verteidigers anlangt.
VORSITZENDER: Ich möchte eine letzte Frage an Sie richten:
Glauben Sie, daß es dem Interesse der Gerechtigkeit dient, einen Mann zu verurteilen, der wegen Krankheit nicht in der Lage ist, seine Verteidigung ordnungsgemäß durchzuführen?
JUSTICE JACKSON: Indem ich die von Ihnen, Herr Vorsitzender, aufgestellte Hypothese zugrundelege, habe ich keine Bedenken zu erklären, daß es nicht im Interesse der Gerechtigkeit wäre, einen Mann zu verurteilen, der nicht ordnungsgemäß verteidigt werden kann. Ich glaube jedoch nicht, daß sich aus der Art der Anklage, die in diesem Falle erhoben wurde, ergibt, daß das Verfahren gegen Gustav Krupp von Bohlen nicht ordnungsgemäß in absentia stattfinden kann. Das ist eine Frage, über die man debattieren kann. Es ist anzunehmen, daß alle die Taten, derentwegen er angeklagt ist, dokumentarisch belegt sind oder öffentlich begangen wurden; wir klagen ihn nicht an, solche Taten begangen zu haben, wegen derer man normalerweise auf private Quellen zurückgreift. Die einzige ernste Frage, wie mir scheint, ist, daß er nicht in der Lage sein würde, zu seiner Verteidigung selbst als Zeuge aufzutreten; ich bin jedoch nicht ganz davon überzeugt, daß er dies würde tun wollen, selbst wenn er anwesend wäre.
VORSITZENDER: Aber nicht wahr, Sie haben wohl erklärt und sind noch der Ansicht, daß nach dem Landesrecht der Vereinigten Staaten von Amerika ein Mann in der körperlichen und geistigen Verfassung von Krupp nicht vor Gericht gestellt werden könnte.
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, das stimmt für die meisten Rechtsgebiete.
VORSITZENDER: Ich danke Ihnen.
SIR HARTLEY SHAWCROSS, HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Die Angelegenheit, die ich dem Gerichtshof unterbreiten will, kann kurz gefaßt werden. Zunächst möchte ich folgendes klarstellen: Es besteht keinerlei grundsätzliche Meinungsverschiedenheit zwischen mir und meinen Kollegen, die die drei anderen Anklagemächte vertreten – nicht die geringste. Nur in Bezug auf Methoden und Verfahren gehen unsere Ansichten auseinander. Nach dem Dafürhalten der Britischen Regierung ist der Prozeß schon zur Genüge aufgehalten worden, und wir finden, daß er nun ohne weitere Verzögerung anfangen sollte.
Bevor ich näher auf das Gesuch eingehe, das dem Gerichtshof bezüglich Gustav Krupps von Bohlen vorgelegt wurde, darf ich vielleicht zunächst ein Wort über unsere Stellungnahme gegenüber Großindustriellen im allgemeinen sagen. Der Gerichtshof kann versichert sein, daß ich als Vertreter der gegenwärtigen Britischen Regierung gewiß nicht weniger als die Vertreter anderer Staaten bestrebt bin, vor dem Gerichtshof und vor der Welt die Rolle aufzudecken, die die Großindustriellen bei der Vorbereitung und Führung des Krieges gespielt haben. Das wird im Verlaufe dieses Prozesses geschehen, gleichgültig ob Gustav Krupp von Bohlen oder Alfried Krupp als Angeklagte in dem Prozeß erscheinen oder nicht. Die Angeklagten vor diesem Gerichtshof sind beschuldigt, an einer Verschwörung teilgenommen zu haben, und zwar nicht nur miteinander, sondern, auch mit verschiedenen anderen Personen. Sollte der Gerichtshof beschließen, Gustav Krupp von Bohlen von dem gegenwärtigen Prozeß auszuschließen, so würde das Beweismaterial über die Rolle, die er, seine Firma und ihr Mitinhaber und andere Großindustrielle bei der Vorbereitung und Führung des Krieges gespielt haben, trotzdem dem Gerichtshof vorgelegt werden, da dies zu der allgemeinen Verschwörung gehört, in die diese Angeklagten zusammen mit verschiedenen anderen nicht vor Gericht stehenden Personen verwickelt waren.
Was das dem Gerichtshof unterbreitete Gesuch Gustav Krupps von Bohlen betrifft, so ist meiner Meinung nach die Entscheidung darüber ausschließlich Sache des Gerichtshofs. Die einzige Bemerkung, die ich mir diesbezüglich erlaube, ist, daß es sich hier um ein Gesuch handelt, das, wie mir scheint, nach dem Tatbestand für sich allein zu beurteilen ist. Es handelt sich hier um ein Gerichtsverfahren, nicht um ein Spiel, bei dem man einen erkrankten Spieler durch einen anderen ersetzen kann. Sollte dieser Angeklagte unfähig sein, zum Prozeß vor diesem Gerichtshof zu erscheinen – und ob er dazu fähig oder unfähig ist, unterliegt der Entscheidung des Gerichtshofs – so wird er nicht dadurch minder unfähig, daß der Gerichtshof beschließt, irgend eine andere Person, die vorläufig nicht vom Prozeß betroffen ist, nicht anzuschließen.
Das Statut sieht die Möglichkeit eines Gerichtsverfahrens in absentia vor. Ich will dem, was mein Freund, Herr Justice Jackson, über diese Seite der Angelegenheit gesagt hat, nichts hinzufügen. Ich ersuche jedoch den Gerichtshof, den im Namen Gustav Krupps von Bohlen gestellten Antrag ganz unabhängig davon zu beurteilen, ob irgend eine andere Person angeschlossen wird oder nicht. Eine derartige Überlegung würde meiner Ansicht nach den Antrag nicht berühren. Es ist jedoch dem Gerichtshof ein unabhängiges Gesuch vorgelegt worden, einen weiteren Angeklagten zu diesem späten Zeitpunkt einzubeziehen. Hierzu darf ich vielleicht noch folgendes bemerken: Wie Sie, Herr Vorsitzender, erwähnten, sind bei der letzten Konferenz der Hauptanklagevertreter, bei der – nicht zum ersten Mal- diese Möglichkeit besprochen wurde, die Vertreter der provisorischen Regierung Frankreichs und der Sowjetregierung, sowie wir selbst, die wir die Britische Regierung vertreten, dem Vorschlag entgegengetreten, einen weiteren Angeklagten anzuschließen, wenn dies eine Verzögerung der Eröffnung dieses Prozesses zur Folge haben würde. Ich habe in dieser Hinsicht vom technischen Standpunkt aus nichts zu bemerken – nichts dagegen einzuwenden, daß der Gerichtshof die Angelegenheit jetzt entscheidet, genau so, als ob die Hauptanklagevertreter eine weitere Konferenz abgehalten und als Komitee gemäß den Verfügungen des Statuts durch Mehrheitsbeschluß übereingekommen wären, dieses Gesuch an den Gerichtshof zu richten. Ich erwähne die Angelegenheit lediglich, um meine Stellungnahme als Vertreter der Britischen Regierung klarzustellen. Bei der letzten Konferenz der Hauptanklagevertreter war man mit der britischen Ansicht einverstanden. Die Vertreter der beiden anderen Staaten haben – wie es ihr gutes Recht ist – seit der letzten Konferenz ihre Ansicht geändert. Was nun das Gesuch anlangt, Herr Vorsitzender, so will ich das Folgende sagen: Der Fall gegen die Angeklagten, ob sich Gustav Krupp von Bohlen darunter befindet oder nicht, kann vollständig unterbaut werden, ohne daß noch jemand, wer er auch immer sein mag, angeschlossen werde. Die allgemeine Rolle, die die Großindustriellen gespielt haben, kann vollständig nachgewiesen werden, ohne daß irgend ein besonderer Industrieller, wer er auch immer sein mag, angeschlossen würde. Dieser Fall wird auch tatsächlich im Verlaufe der Gerichtsverhandlung ausgeführt und vollständig geklärt werden. Damit will ich nicht sagen, daß Alfried Krupp nicht zur Rechenschaft gezogen werden soll. Im Statut ist die Führung weiterer Prozesse vorgesehen, und es ist durchaus möglich, daß je nach dem Ausgang des gegenwärtigen Prozesses andere Verfahren eröffnet werden, möglicherweise gegen Alfried Krupp, möglicherweise gegen andere Großindustrielle, möglicherweise auch gegen andere Personen. Unsere augenblickliche Aufgabe betrifft die bereits angeklagten Personen. Was uns betrifft, so ist der Fall gegen sie seit geraumer Zeit fertiggestellt und kann kurz und klar ausgeführt werden. Meine hiermit dem Gerichtshof unterbreitete Ansicht geht dahin, daß es im Interesse der Gerechtigkeit und mit Rücksicht auf die Weltmeinung angeraten erscheint, gegen diese Männer ohne weiteren Verzug vorzugehen.
Ich gestatte mir, dem Gerichtshof die bei der Eröffnungssitzung in Berlin von General Nikitschenko gesprochenen Worte in Erinnerung zu bringen. Er sagte:
»Den einzelnen Angeklagten, die sich in Haft befinden, wird mitgeteilt, daß sie binnen 30 Tagen nach Zustellung der Anklageschrift bereit sein müssen, sich vor Gericht zu verantworten. Gleich darauf wird der Gerichtshof den Tag der Eröffnung der Gerichtsverhandlungen in Nürnberg festsetzen und bekanntgeben, und zwar soll dieser Tag nicht früher festgesetzt werden als 30 Tage nach Zustellung der Anklageschrift. Den Angeklagten ist das Datum mitzuteilen, sobald es festgesetzt ist.«
Er sagte dann weiterhin:
»Es versteht sieh, daß der Gerichtshof, der durch das Statut verpflichtet ist, für eine rasche Verhandlung aller von den Richtern angesetzten Fragen zu sorgen, keinerlei Verzögerung in der Vorbereitung, sei es der Verteidigung, sei es des Prozesses, dulden wird.«
Sollte etwa Alfried Krupp bereit sein, seines Vaters Platz vor Gericht einzunehmen, ohne daß der Prozeß dadurch verzögert würde, so würde die britische Anklagevertretung selbstverständlich ein solches Vorgehen begrüßen; sollte jedoch sein Einschluß eine weitere Verzögerung des Prozesses gegen die übrigen Angeklagten bedeuten, so widersprechen wir diesem Gesuch.
VORSITZENDER: Gestatten Sie folgende Frage: Stimmen Sie mit mir überein, daß nach dem Landesrecht Großbritanniens – ebenso wie, wenn ich recht verstanden habe, nach dem Rechte der Vereinigten Staaten von Amerika – ein Mann im geistigen und körperlichen Zustand Gustav Krupps für verhandlungsunfähig erklärt werden würde?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich erlaube mir, mich der von Herrn Justice Jackson in Beantwortung Ihrer Frage geäußerten Ansicht anzuschließen.
VORSITZENDER: Unter solchen Umständen würde die Anklage gegen ihn nicht abgewiesen werden, sondern er würde auf unbeschränkte, von dem Entscheid der beteiligten souveränen Mächte abhängigen Zeit in Haft verbleiben?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Jawohl, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Das war die eine Frage, die ich an Sie richten wollte.
Schlagen Sie nun vor, daß unter den obwaltenden Umständen in Gustav Krupps Abwesenheit gegen ihn vorgegangen werden soll, angesichts der uns vorliegenden ärztlichen Gutachten?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Diese Angelegenheit ist dem Ermessen des Gerichtshofs vollständig überlassen, bei der ich auf keine Weise auf Sie einwirken möchte; da jedoch das Beweismaterial bezüglich seiner Firma auf jeden Fall dem Gerichtshof vorgelegt werden wird, wäre es wohl angemessen, daß er sich durch einen Verteidiger vertreten läßt: und ferner, daß der Gerichtshof bei der Urteilsfällung – wie es selbstverständlich der Fall sein wird – den derzeitigen Gesundheitszustand des Angeklagten mit in Betracht zieht.
VORSITZENDER: Ist Ihnen irgendein Präzedenzfall für ein derartiges Verfahren bekannt, d.h. dafür, daß man einen Angeklagten für verhandlungsunfähig erklärt, ihn weder schuldig noch unschuldig sprechen kann und ihm dennoch einen Verteidiger zubilligt, der ihn vor Gericht vertritt?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Nein, Herr Vorsitzender, ich wollte nicht anregen, daß er nicht als Angeklagter vor Gericht behandelt und schuldig oder unschuldig gesprochen werden solle. Meine Bemerkungen bezogen sich lediglich auf die dem Gerichtshof in einem späteren Stadium offenstehenden Möglichkeiten, für den Fall, daß er diesen Angeklagten, sei es aller, sei es einiger dieser Verbrechen, schuldig sprechen sollte.
VORSITZENDER: Haben Sie aber nicht der Ansicht zugestimmt, daß – jedenfalls nach englischem Landesrecht – ein Mann in der körperlichen Verfassung Krupps nicht vor Gericht gestellt werden kann?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Ich stimme der Ansicht zu, daß er nach englischem Landesrecht nicht verhandlungsfähig wäre.
VORSITZENDER: Und jenes Recht dient den Interessen der Gerechtigkeit?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Das kann ich nicht leugnen, Herr Vorsitzender. Bekanntlich sieht unser Recht aber keinerlei Prozesse in absentia vor. Das Statut dagegen, auf Grund dessen dieser Gerichtshof errichtet wurde, läßt sie ausdrücklich für den Fall zu, daß der Gerichtshof der Ansicht ist, daß dies der Gerechtigkeit dienen würde.
VORSITZENDER: Bitte sagen Sie uns genau, was Sie vorschlagen: Daß in seiner Abwesenheit gegen ihn verhandelt werden soll, oder daß in seiner Abwesenheit nicht gegen ihn verhandelt wird?
SIR HARTLEY SHAWCROSS: Herr Vorsitzender, wir haben angeregt, daß von der Möglichkeit einer Verhandlung in absentia Gebrauch gemacht werden soll; wie ich jedoch bereits im Anfang sagte, bin ich der Ansicht, daß dies dem Ermessen des Gerichtshofs vollkommen anheimgestellt und keine Angelegenheit ist, bei der ich eine bestimmte Meinung besonders stark vertreten möchte.
VORSITZENDER: Wünscht der Hauptanklagevertreter der Sowjetunion hierzu etwas zu bemerken? Ich glaube, Herr Justice Jackson, Sie waren bevollmächtigt, im Namen des Hauptanklagevertreters der Sowjetunion zu sprechen.
JUSTICE JACKSON: Ich bin beauftragt mitzuteilen, daß die sowjetische Anklagevertretung die Ansicht der Vereinigten Staaten teilt. Ich weiß nicht, ob ich bei Beantwortung von Fragen immer die gleichen Antworten gegeben habe, die sie gegeben hätte. Zum Beispiel glaube ich, daß in der Sowjetunion Verhandlungen in absentia vorkommen und daß ihre diesbezügliche Stellungnahme von der meinen etwas abweichen dürfte.
VORSITZENDER: Die Frage, die ich an Sie stellte, bezog sich selbstverständlich nur auf das Landesrecht der Vereinigten Staaten, Wünscht der Hauptanklagevertreter der Sowjetunion dem Gerichtshof etwas vorzutragen?
OBERST Y. V. POKROWSKI, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Nein.
VORSITZENDER: Wünscht der Hauptanklagevertreter der Französischen Republik dem Gerichtshof etwas vorzutragen?
M. CHARLES DUBOST, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Es wäre der französischen Delegation ein Leichtes, ihre heutige Stellungnahme zu rechtfertigen, wenn man sich erinnert, daß sie mehrmals angeregt hat, es solle unverzüglich ein zweiter Prozeß vorbereitet werden, damit dieser anhängig werden könnte, sobald der erste beendet sein wird. Auf diese Weise wäre es möglich gewesen, die deutschen Großindustriellen unter Anklage zu stellen, ohne die Verhandlungen zu unterbrechen. Mit dieser Ansicht sind wir nie durchgedrungen. Aus diesem Grunde haben wir uns dem Gesichtspunkt der Vereinigten Staaten angeschlossen, der als der zweckdienlichste erscheint und den französischen Interessen am besten Rechnung trägt. Wir sind stark daran interessiert, daß der Sohn Krupps unter Anklage gestellt wird. Schwere Beschuldigungen liegen gegen ihn vor, und wenn von dieser großen deutschen Industrie, die zu den Hauptschuldigen am Kriege gehört, kein Vertreter hier vor Gericht gestellt werden sollte, so würde das niemand begreifen können. Wir hätten es vorgezogen, daß in einem zweiten Prozeß gegen die Großindustriellen vorgegangen würde; da jedoch dieser zweite Prozeß nicht stattfinden soll, so sind wir der Überzeugung, daß die Anwesenheit Alfried Krupps bei den jetzigen Verhandlungen unumgänglich notwendig ist.
VORSITZENDER: Wie würden Sie sich dazu stellen, wenn die Einsetzung Alfried Krupps eine unvermeidliche Verzögerung zur Folge haben sollte?
M. DUBOST: Herr Vorsitzender, ich gestatte mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie, wie ich glaube, ein zweites Schreiben von mir in Händen haben, das ich heute vormittag beim Gerichtshof einreichte, nachdem ich einen telephonischen Anruf aus Paris erhalten hatte.
VORSITZENDER: Ich halte ein Schreiben vom 13. November 1945 in der Hand, das, wie mir scheint, von Ihnen unterzeichnet ist.
M. DUBOST: Jawohl. Aber es ist auch ein Ergänzungsschreiben vorhanden, das ich heute morgen einreichte, in welchem ich mich der von Herrn Jackson geäußerten Ansicht anschließe. Tatsächlich war es mir möglich, nach der Einreichung des Schreibens gestern abend und bevor ich das Schreiben von heute morgen einreichte, das die Folgen...
VORSITZENDER: Vielleicht wäre es am besten, wenn Sie dieses uns jetzt vorgelegte Schriftstück vorlesen würden.
M. DUBOST: »Wir sind der Überzeugung, daß der Prozeß gegen den älteren Krupp im Augenblick nicht möglich ist. Ein Gerichtsverfahren gegen einen sterbenden, alten Mann, der der Verhandlung nicht beiwohnen kann, ist unmöglich. Es liegt uns jedoch daran, daß Krupps Sohn angeklagt werde, da sehr schwere Beschuldigungen gegen ihn erhoben werden. Bis jetzt hatten wir gebeten, daß er unverzüglich in diesem Prozeß herangezogen werden sollte; aus Zweckmäßigkeitsgründen jedoch – und diese sind für uns maßgebend gewesen – ist das nicht mehr dringlich, seitdem sich die Sowjetdelegation dem Standpunkt Herrn Jacksons angeschlossen hat. Aus diesem Grund erheben wir keinen Einspruch mehr und schließen uns ebenfalls diesem Standpunkt an.«
VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß Alfried Krupp seinen Vater ersetzen soll, obwohl dies eine Verzögerung bedeuten muß?
M. DUBOST: Ja, das ist richtig.
VORSITZENDER: Schlagen Sie im Namen Frankreichs vor, daß über Gustav Krupp in absentia verhandelt werden soll, oder nicht?
M. DUBOST: Nein. Das nicht, keinesfalls.
HERR WOLKOW, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE SOWJETUNION: Wie steht der französische Anklagevertreter und wie steht die Französische Republik zu der Frage Gustav Krupp?
M. DUBOST: Bezüglich des älteren Krupp sind wir der Überzeugung, daß es wegen seines Gesundheitszustandes unmöglich ist, gegen ihn vorzugehen. Er ist nicht in der Lage, vor dem Gerichtshof zu erscheinen. Er ist nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Er ist nicht in der Lage, über seine Handlungen Auskunft zu geben. Es ist notwendig, seinen Fall abzutrennen oder die Verhandlungen gegen ihn bis zu seiner Wiederherstellung zu verschieben, es sei denn, daß er vor diesem Zeitpunkt vor dem Höchsten Richter erscheint. Wir halten es auch für notwendig, da ein zweiter Prozeß gegen die Großindustriellen nicht stattfinden soll, Krupp den Vater, der verhandlungsunfähig ist, durch Alfried Krupp zu ersetzen, gegen den schwere Beschuldigungen erhoben werden.
VORSITZENDER: Teilen Sie die Überzeugung des Generalstaatsanwalts für Großbritannien, daß im Laufe der Verhandlungen das Beweismaterial gegen die Großindustriellen Deutschlands vorgebracht werden muß, ohne Rücksicht darauf, ob Gustav Krupp oder Alfried Krupp im Prozeß angeklagt werden oder nicht? Oder sind Sie anderer Ansicht?
M. DUBOST: Es lag uns sehr viel daran, Herr Vorsitzender, daß ein zweiter Prozeß sofort nach Abschluß des ersten Prozesses eröffnet werde, bei dem die Frage der Großindustriellen gründlich untersucht werden sollte. Da dieser zweite Prozeß unmöglich ist, liegt uns sehr viel daran, daß ein Vertreter der Firma Krupp, der persönlich verantwortlich ist und gegen den Beschuldigungen erhoben werden, vor Gericht gestellt werde, um sich gegen die Anklagen zu verteidigen, die wir gegen die Firma Krupp und im allgemeinen auch gegen andere Großindustrielle vorbringen werden, die mit den Kruppschen Werken assoziiert waren und an der Verschwörung teilnahmen, jener Verschwörung, die in unserer Anklageschrift aufgeführt ist; die ferner die Machtergreifung der Nazis, die Nazi-Regierung und die Nazi-Propaganda unterstützten, die Nazis finanzierten und schließlich die Wiederaufrüstung Deutschlands förderten, damit es seinen Angriff fortsetzen könnte.
VORSITZENDER: Entschuldigen Sie. Sie haben, wie mir scheint, die Frage nicht beantwortet, die ich Ihnen stellte. Stimmen Sie mit dem Generalstaatsanwalt Englands überein, daß, gleichgültig ob Gustav Krupp oder Alfried Krupp in diesem Prozeß angeklagt werden oder nicht, das Beweismaterial gegen die deutschen Großindustriellen notwendigerweise zusammen mit dem Beweismaterial über die Verschwörungsanklage vollständig ans Tageslicht gebracht wird?
M. DUBOST: Ja, ich teile die Ansicht, daß es möglich ist, Beweise über die Verschwörung zu erbringen, ohne daß das eine oder andere Mitglied der Familie Krupp vor Gericht gestellt wird. Solches Beweismaterial, solche Beweise wären aber nur Bruchstücke, denn es handelt sich hier um persönliche Verantwortung, um eine Verantwortung, die über die allgemeine Verantwortung der Urheber der Verschwörung hinausgeht – und diese persönliche Verantwortung wird insbesondere von Vater und Sohn Krupp getragen.
M. DONNEDIEU DE VABRES: Sie haben vorhin die Ansicht vertreten, daß der Name des Sohnes Krupp den Namen des Vaters Krupp ersetzen sollte. Meinten Sie tatsächlich »ersetzen«? Haben Sie mit Absicht diesen Ausdruck gewählt, oder wollten Sie nicht eher sagen, daß Ihrer Meinung nach die Anklageschrift abgeändert und ihr ein Zusatz hinzugefügt werden sollte? Glauben Sie tatsächlich, daß Sie den Gerichtshof auffordern können, einen Namen in der Anklageschrift durch einen anderen zu ersetzen, oder wollten Sie uns nicht eher einen Zusatz zur Anklageschrift vorschlagen?
M. DUBOST: Ich habe es seit langem für nötig erachtet, eine Abänderung der Anklageschrift zu beantragen. Ich bin auch noch derselben Ansicht, doch ist es vom rechtlichen Standpunkt aus unzulässig, die Anklageschrift durch einen Zusatz abzuändern.
VORSITZENDER: Danke! Hat der Verteidiger des Angeklagten Gustav Krupp noch etwas dem Gerichtshof vorzutragen?
DR. KLEFISCH: Ich entnehme den Ausführungen der Anklagevertreter, daß der hauptsächliche Einwand gegen unseren Gesichtspunkt die Ansicht ist, daß es der Gerechtigkeit nicht entsprechen würde, wenn gegen den abwesenden Vater Krupp die Verhandlung durchgeführt würde. Wenn zur Vertretung des gegenteiligen Standpunktes darauf hingewiesen wird, daß die öffentliche Meinung der ganzen Welt gleichwohl die Verhandlung gegen den Angeklagten, Herrn Krupp fordere, so ist dies in der Hauptsache damit begründet worden, daß Krupp senior als einer der Hauptkriegsverbrecher anzusprechen sei. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß diese Begründung eine Vorwegnahme des endgültigen Urteils des Gerichts bedeuten würde. Ich bin der Meinung, daß hier nicht der Ort und nicht der Zeitpunkt ist, um diese Fragen zu erörtern, und möchte mich darauf beschränken zu sagen, was ich bereits gesagt habe, daß das, was nach dieser Richtung vorgetragen wurde, zunächst eine These der Anklage ist, der im Verlauf des Verfahrens die Antithese der Verteidigung gegenübergestellt werden muß, so daß das Hohe Gericht aus These und Antithese zu einer rechten Synthese eines billigen Urteils gelangen kann. Einen Punkt noch zu dieser Frage:
Es ist auch darauf hingewiesen worden, daß deshalb in Abwesenheit des Herrn Krupp senior verhandelt werden könne, weil das ganze Beweismaterial für die Schuldfrage zur Vorlage gekommen und kein Geheimnis sei. Das ist in tatsächlicher Hinsicht nicht richtig.
Wir haben bisher lediglich einen Teil des Beweismaterials gesehen, der im Aktenstück enthalten ist. Ich darf aber darauf hinweisen, daß bei der Firma Krupp und in der Privatwohnung der Familie Krupp das gesamte Schriftenmaterial beschlagnahmt worden ist, das ganze Waggons füllt, und von diesem Material haben wir noch nichts gesehen. Deshalb ist auch die Verteidigung schwer zu führen, denn angesichts der Beschlagnahme dieses gesamten Materials wäre nur der Angeklagte Krupp senior in der Lage, die für seine Verteidigung erforderlichen Dokumente, Urkunden und so weiter wenigstens einigermaßen so zu bezeichnen, daß sie in der Form von ordnungsmäßigen Beweisanträgen dem Hohen Gerichtshof unterbreitet werden könnten.
Was nun die Frage einer Nachtragsanklage gegen den Sohn Alfried Krupp angeht, so möchte ich zunächst bemerken, daß ich noch keinen offiziellen Auftrag zur Verteidigung dieses Angeklagten habe. Ich unterstelle aber, daß mir die Verteidigung übertragen werden wird, und deshalb darf ich einstweilen mit gütiger Erlaubnis des Gerichtes, vielleicht als Geschäftsführer ohne Auftrag, einige Worte über diesen Antrag sagen. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, rechtlich möglich ist, den Herrn Alfried Krupp nachträglich in die Liste der Hauptkriegsverbrecher zu setzen. Wenn ich aber diese rechtliche Möglichkeit unterstellen soll, dann möchte ich noch auf folgende Gesichtspunkte hinweisen: Daß es mir nämlich ein infolge der veränderten Situation etwas merkwürdiger Dekorationswechsel zu sein scheint, wenn nunmehr, nicht etwa deshalb, weil man von vornherein den Alfried Krupp als einen Hauptkriegsverbrecher gekennzeichnet hat, er eben jetzt deshalb als Hauptkriegsverbrecher in die Liste der übrigen gesetzt werden soll, weil gegen seinen Vater nicht verhandelt werden kann. Ich finde darin, seitens des Herrn Vertreters der Vereinigten Staaten ein gewisses Spiel, das meines Erachtens seitens des Gerichtshofs nicht gebilligt werden kann. Im übrigen möchte ich noch kurz folgendes bemerken:
Wenn eine Nachtragsanklage gegen Herrn Alfried Krupp erhoben würde, dann müßte ich, wenn mir eine Verteidigung endgültig übertragen würde, nach meinem Gewissen die in dem Paragraphen 2a vorgesehene, unter allen Umständen einzuhaltende Frist von 30 Tagen zwischen Zustellung der Anklageschrift und der Hauptverhandlung beantragen.
Zum Schluß möchte ich noch betonen, daß, soweit ich unterrichtet bin, der Sachverhalt für die Person des Alfried Krupp ein ganz wesentlich anderer ist als der Sachverhalt bezüglich der Person des bisherigen Angeklagten, Krupp senior. In den Urkunden, die uns bisher zur Verfügung gestellt worden sind und die in einem Band zusammengeheftet sind, habe ich so gut wie kein Wort über eine Mittäterschaft oder Teilnahme des Alfried Krupp an den dem Vater Krupp vorgeworfenen Verbrechen finden können. Ich darf auch betonen, daß, wie ja schon erörtert worden ist, Alfried Krupp erst, ich glaube, im November 1943 Inhaber der Firma Krupp geworden ist und daß er vorher von 1937 bis zu diesem Zeitpunkt im Jahre 1943 lediglich Direktor einer Abteilung des Gesamtwerkes war, daß er aber in dieser seiner Eigenschaft nicht den geringsten Einfluß auf die Führung des Betriebes und nicht den geringsten Einfluß namentlich auf die Übernahme von Aufträgen für die Fertigung und Lieferung von Kriegsmaterial hatte.
Aus den angeführten Gründen glaube ich berechtigt zu sein, den Wunsch auszusprechen, daß man von der Hereinziehung des Alfried Krupp in diesen Prozeß der Hauptkriegsverbrecher Abstand nehmen möchte.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt und wird seine Entscheidung über diesen Antrag später bekanntgeben.