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[Keine Antwort!]

Dann wird sich der Gerichtshof mit dem Gesuch des Angeklagten Streicher wie folgt befassen:

Der in seinem schriftlichen Antrag mit Nr. 1 numerierte Antrag auf Vertagung ist zurückgezogen worden. Seinen anderen zwei Anträgen, die die Nummern 2 und 3 tragen und die von der Hauptanklagevertretung angenommen wurden, wurde vom Gerichtshof stattgegeben.

[Das Gericht vertagt sich bis

17. November 1945, 10.00 Uhr.]

Vorbereitende Verhandlung.

Samstag, 17. November 1945.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht zu erfahren, ob die Hauptanklagevertreter eine Erklärung bezüglich des Angeklagten Bormann abzugeben wünschen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH:

Hoher Gerichtshof! Wie dem Gerichtshof bekannt ist, wurde der Angeklagte Bormann in die Anklageschrift mit einbegriffen, die dem Gericht unterbreitet wurde. Der Sachverhalt bezüglich des Angeklagten Bormann hat sich nicht geändert, auch sind den Hauptanklagevertretern keine weiteren Nachrichten zu Ohren gekommen. Ich glaube, daß dem Gerichtshof der Stand unserer Information zur Zeit der Einreichung der Anklageschrift bekannt war, doch möchte ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs den Stand unserer Informationen zur Zeit der Erhebung der Anklageschrift darlegen, der auch heute noch derselbe ist.

Wir besitzen Beweismaterial, daß Hitler und Bormann, zusammen mit einer Anzahl von Nazi-Beamten, am 30. April 1945 in der Reichskanzlei in Berlin waren und sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an diesem Tage in Hitlers unterirdischem Luftschutzraum im Garten der Reichskanzlei trafen. Am 1. Mai versuchten Bormann und andere Deutsche, in einem Tank aus dem Reichskanzleibezirk zu entkommen. Sie gelangten bis an die Spree und versuchten dort, eine Brücke zu überqueren. Von russischen Soldaten wurde eine Handgranate in den Tank geworfen. Drei Mitglieder der Gruppe, die mit Bormann in dem Tank waren, sind verhört worden. Zwei davon nehmen an, daß Bormann getötet, der dritte, daß er verwundet wurde. Die Lage ist daher die, daß die Anklagebehörde nicht mit Bestimmtheit sagen kann, es sei ausgeschlossen, daß Bormann tot ist. Es besteht noch eine ausgesprochene Möglichkeit, daß er am Leben ist.

Unter diesen Umständen stelle ich anheim, daß er unter den Wortlaut des Artikels 12 des Statuts fällt:

»Der Gerichtshof hat das Recht, gegen eine Person, die wegen eines der in Artikel 6 dieses Statuts erwähnten Verbrechens angeklagt ist, ein Verfahren in ihrer Abwesenheit durchzuführen, wenn der Angeklagte nicht auffindbar ist.«

Mit anderen Worten: die Anwesenheit dieser Personen ist unter solchen Umständen nicht nötig. Der Gerichtshof hat in seinen Verfahrensvorschriften unter Nummer 2 (b) das Verfahren niedergelegt, das in einer derartigen Situation anzuwenden ist.

»Einzelangeklagte, die sich nicht in Haft befinden, werden in einer von dem Gerichtshof zu bestimmenden Art und Form von der Anklage gegen sie, sowie von ihrem Recht zum Empfang der in Absatz (a) oben aufgezählten Dokumente, unterrichtet werden.«

Der Gerichtshof bestimmte, daß dem Angeklagten Bormann die Klage in folgender Weise zugestellt werden soll: Die Bekanntmachung soll einmal wöchentlich, vier Wochen lang, über den Rundfunk verlesen werden. Die erste Verlesung soll in der Woche vom 22. Oktober stattfinden. Sie soll ebenfalls in vier verschiedenen Zeitungen, die in Bormanns Heimatstadt erscheinen, veröffentlicht werden.

Die Rundfunkwiedergabe erfolgte, wie angeordnet, in den Wochen nach dem 22. Oktober über die Radiostation Hamburg und die Radiostation Langenberg, das ist Köln. Der letzte Wohnsitz des Angeklagten Bormann war Berlin. Die Bekanntmachung wurde deshalb in vier Berliner Zeitungen, nämlich der »Täglichen Rundschau«, der »Berliner Zeitung«, dem »Berliner« und der »Allgemeinen Zeitung« vier Wochen lang veröffentlicht, wie es vom Gerichtshof angeordnet worden war.

Ich stelle respektvoll anheim, daß meines Erachtens dem Statut und der Verfahrensordnung entsprochen wurde. Der Gerichtshof hat daher gemäß Artikel 12 das Recht, die Verhandlung in absentia durchzuführen. Es bleibt selbstverständlich dem Gerichtshof überlassen, zu entscheiden, ob er dieses Recht ausüben will.

Die Hauptanklagevertreter legen jedoch dar, daß sich die Lage nicht geändert hat, seitdem Bormann angeklagt wurde, und daß, falls der Gerichtshof nicht anderer Ansicht ist, dies der gegebene Fall für ein Verfahren in absentia ist.

Ich bin ermächtigt, diese Erklärung nicht nur für die britische Delegation, sondern auch für die Delegation der Vereinigten Staaten und diejenige der Französischen Republik abzugeben. Ich habe mit meinem Freund und Kollegen, Oberst Pokrowski, gestern diesbezüglich beraten, doch mußte er Instruktionen in dieser Angelegenheit einholen. Ich sehe, daß er heute anwesend ist. Ich hatte noch keine Gelegenheit, heute morgen mit ihm zu sprechen, und zweifellos wird er dem Gerichtshof, falls er es wünscht, eine Mitteilung machen. Ich hoffe, daß dies dem Gerichtshof die Grundlage dieser Angelegenheit erklärt. Sollten noch andere Tatsachen gebracht werden, so bin ich gerne bereit, dieselben Punkt für Punkt zu beantworten.

VORSITZENDER: Es wurde mir vorgeschlagen, daß Sie dem Generalsekretär die Beweise für die Veröffentlichung, auf die Sie sich bezogen haben, unterbreiten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Beweise der Veröffentlichung? Ja, das wird geschehen.

VORSITZENDER: Danke Ihnen, Sir David. Ich frage nun den Hauptanklagevertreter der Sowjetunion, ob er etwas vorzubringen wünscht.

OBERST POKROWSKI: Ich danke dem Gerichtshof für den Wunsch, die Meinung der Sowjetdelegation zu hören. Ich werde dieses Vorrecht benützen, das mir von dem Gerichtshof zugestanden ist, um ihn der vollständigen Übereinstimmung der Sowjetdelegation zu versichern und ihn bezüglich der Stellungnahme meiner Kollegen in Sachen Bormann zu unterrichten. Wir sind der Auffassung, daß dem Gerichtshof gemäß Artikel 12 des Statuts das volle Recht zusteht, als Beweismaterial alles, was sich auf den Fall Bormann bezieht, zuzulassen und die Verhandlungen gegen ihn in seiner Abwesenheit zu beginnen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich für eine kurze Zeit und hofft, in Kürze seine Entscheidung bekanntgeben zu können.