HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof erklärt eine Gerichtspause von 15 Minuten von 15.30 bis 15.45 Uhr und wird dann die Sitzung bis 16.30 Uhr fortsetzen.

JUSTICE JACKSON: Ich komme jetzt zu dem Abschnitt

3. Verbrechen gegen die Juden:

Die meisten und wildesten Verbrechen, die von den Nazis geplant und begangen worden sind, richteten sich gegen die Juden, deren Zahl in Deutschland im Jahre 1933 etwa fünfhunderttausend betrug. Sie hatten, im ganzen gesehen, Stellungen erreicht, die Neid erregten, und Besitz erworben, der die Habsucht der Nazis reizte. Sie waren wenig genug, um hilflos zu sein, aber zahlreich genug, um als eine Gefahr hingestellt zu werden.

Die Anklage der Judenverfolgung darf nicht mißverstanden werden. Wir legen den Angeklagten nicht anmaßendes Verhalten oder Voreingenommenheit zur Last, wie sie häufig bei der Vermischung verschiedener Völker vorkommen und trotz ehrlicher Bemühung der Regierung leicht zu bedauerlichen Verbrechen und Erschütterungen führen. Ich will vielmehr zeigen, daß das Ziel, dem sich alle Nazis fanatisch ergaben, nämlich alle Juden zu vernichten, Plan und festes Vorhaben war. Diese Verbrechen wurden von der Parteiführerschaft organisiert und gefördert und von den Nazi- Beamten ausgeführt und gedeckt, wofür wir Ihnen überzeugenden Beweis durch schriftliche Befehle der Geheimen Staatspolizei selbst vorlegen werden.

Die Verfolgung der Juden war eine ununterbrochene und vorsätzliche Politik, die sich gegen andere Völker in gleicher Weise richtete wie gegen die Juden selbst. Der Antisemitismus wurde gefördert, um die demokratischen Völker zu spalten und zu verbittern und ihren Widerstandsgeist gegen den Angriff der Nazis zu schwächen. Robert Ley erklärte in der Zeitung: »Der Angriff« vom 14.5.1944.

»Die zweite deutsche Geheimwaffe ist der Antisemitismus, weil er, wenn er von Deutschland konsequent durchgehalten wird, eine Weltfrage werden wird, mit der sich alle Völker werden auseinandersetzen müssen.«

Der Antisemitismus ist auch zutreffend als »Lanzenspitze des Schreckens« bezeichnet worden. Das Ghetto war die Versuchstätte, Unterdrückungsmaßnahmen zu erproben. Jüdischer Besitz wurde als erster enteignet, aber der Brauch breitete sich aus und führte zu ähnlichen Maßnahmen gegen »staatsfeindliche« Deutsche, gegen Polen, Tschechen., Franzosen und Belgier. Die Ausrottung der Juden ermöglichte den Nazis, mit erfahrener Hand in ähnlicher Weise gegen Polen, Serben und Griechen vorzugehen. Das schlimme Schicksal der Juden war ständige Drohung gegenüber dem Widerstandswillen oder der Unzufriedenheit unter anderen Teilen der Bevölkerung Europas – Pazifisten, Konservativen, Kommunisten, Katholiken, Protestanten, Sozialisten. Es war in Wahrheit eine Drohung gegenüber jeder abweichenden Meinung, es bedrohte das Leben aller Nichtnazis.

Die Politik der Verfolgung gegen die Juden begann ohne Gewalttaten, etwa mit der Aberkennung des Staatsbürgerrechts, der öffentlichen Schmähung ihres Glaubens und ihrer Behinderung im Wirtschaftsleben. Sie entwickelte sich schnell zu überlegter und vielfältiger Gewalttätigkeit, zu Absonderung in Ghettos, Verschleppung, Zwangsarbeit, Massenaushungerung und Vernichtung. Die Regierung, die Parteigliederungen, die vor Ihnen als verbrecherische Organisationen angeklagt sind, die Geheime Staatspolizei, die Wehrmacht, private und halböffentliche Vereinigungen und »spontane« Ausschreitungen, die sorgfältig von amtlicher Stelle gelenkt wurden, sie alle waren an dieser Verfolgung beteiligt. Die Verfolgung richtete sich auch nicht etwa gegen einzelne Juden, die sich persönlich als Staatsbürger schlecht geführt oder mißliebig gemacht hatten. Die offen zugegebene Absicht war die Vernichtung des jüdischen Volkes überhaupt, als Selbstzweck, als Vorbereitungsmaßnahme zum Kriege und als eine Warnung für besiegte Völker.

Die Verschwörung oder der gemeinsame Plan, die Juden auszurotten, wurde so überlegt und gründlich betrieben, daß dieses Ziel der Nazis trotz der deutschen Niederlage und trotz ihrem Sturze weitgehend erreicht worden ist. Nur Reste der europäischen jüdischen Bevölkerung sind in Deutschland, in den von Deutschland besetzten Gebieten und in den Ländern seiner Vasallen oder Mithelfer übriggeblieben. Von 9,6 Millionen Juden, die in dem von den Nazis beherrschten Europa lebten, sind nach amtlichen Schätzungen sechzig von hundert umgekommen. 5,7 Millionen Juden werden in den Ländern, in denen sie früher lebten, vermißt. Über 4,5 Millionen davon lassen sich weder durch normale Sterblichkeit oder Auswanderung erklären, noch sind sie unter den Verschleppten. Die Geschichte berichtet von keinem Verbrechen, das sich jemals gegen so viele Opfer gerichtet hat oder mit solch einer berechnenden Grausamkeit begangen worden ist.

Gleich mir wird es auch Ihnen schwer fallen, in die Gesichter dieser Angeklagten zu blicken und zu glauben, daß Menschen in diesem zwanzigsten Jahrhundert fähig waren, ihren eigenen Landsleuten wie auch ihren sogenannten »minderwertigen« Feinden solche Leiden, wie wir sie hier beweisen werden, zuzufügen. Die einzelnen Verbrechen und die Verantwortlichkeit der Angeklagten für sie werden von dem Anklagevertreter der Sowjetregierung behandelt werden, soweit sie im Osten, und von dem Anklagevertreter der Französischen Republik, soweit sie im Westen begangen worden sind. Ich weise auf diese Verbrechen hier nur hin, um ihre gewaltig große Zahl als Beweis dafür anzuführen, daß eine feste Absicht zugrundelag, von der alle Angeklagten wußten, und daß es sich um einen amtlichen Plan handelte und nicht etwa um eine launenhafte Politik irgendeines einzelnen Befehlshabers. Ich möchte ferner zeigen, daß die Beständigkeit der Judenverfolgung vom Beginn der Nazi-Verschwörung bis zu ihrem Zusammenbruch die Annahme verbietet, irgend jemand könnte sich in irgendeiner Weise an dem Werk der Nazis beteiligt haben, ohne nicht auch diesem auffälligsten Programmpunkt zugestimmt zu haben.

Die Anklageschrift selbst führt viele Beweise antisemitischer Verfolgungen an. Der Angeklagte Streicher war unter den Nazis der Vertreter der schärfsten judenfeindlichen Gewalttätigkeit. In einem Artikel des »Stürmers« vom 19. März 1942 beklagte er sich, daß die christliche Lehre einer »radikalen Lösung der Judenfrage in Europa« hindernd im Wege gestanden habe, und führte begeistert die Proklamation des Führers vom 24. Februar 1942 an als die Lösung des zwanzigsten Jahrhunderts, nämlich daß der »Jude ausgerottet werden wird«. Und am 4. November 1943 erklärte Streicher im »Stürmer«, daß die Juden »aus Europa verschwunden sind und daß das jüdische ›Reservoir des Ostens‹, aus dem die Judenseuche seit Jahrhunderten über die europäischen Völker gekommen ist, aufgehört hat, zu bestehen«.

Streicher hat jetzt die Dreistigkeit, uns zu sagen, er sei »nur ein Zionist«, – er habe nur die Juden nach Palästina zurückschicken wollen. Aber am 7. Mai 1942 schrieb er in seiner Zeitung »Der Stürmer«:

»Die Judenfrage ist nicht nur ein europäisches Problem. Die Judenfrage ist eine Weltfrage. Ebenso wenig wie Deutschland vor den Juden sicher ist, solange auch nur ein Jude in Europa lebt, ebenso wenig ist in Europa die Judenfrage gelöst, solange Juden die übrige Welt bevölkern.«

Und der Angeklagte Hans Frank, ein Anwalt von Beruf, wie ich mit Beschämung feststellte, faßte in seinem Tagebuch im Jahre 1944 die Nazi-Politik folgendermaßen zusammen: »Die Juden sind eine Rasse, die ausgetilgt werden muß, wo immer wir nur einen erwischen, geht mit ihm zu Ende« (Dokument 2233-PS, 4. März 1944, Seite 26). Zu einer früheren Zeit hatte er, als er von seiner Aufgabe als Generalgouverneur von Polen sprach, seinem Tagebuch dieses Zeugnis des Zartgefühls anvertraut: »Freilich, in einem Jahre konnte ich weder sämtliche Läuse noch sämtliche Juden beseitigen« (Dokument 2233-PS, Band IV/1940, Seite 1158).

Ich könnte die Beispiele solchen Nazi-Wütens endlos fortsetzen, aber das soll der Beweisaufnahme überlassen bleiben. Wir wollen uns jetzt den Ergebnissen dieses entarteten Denkens zuwenden.

Die schwersten Maßnahmen gegen die Juden lagen außerhalb jedes Gesetzes, aber auch die Gesetzgebung selbst wurde bis zu einem gewissen Grade benutzt, zum Beispiel in den berüchtigten Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 (Reichsgesetzblatt 1935 Teil I, Seite 1146). Die Juden wurden in Ghettos abgesondert und der Zwangsarbeit unterworfen. Sie wurden aus ihrem Beruf ausgestoßen, ihr Eigentum wurde eingezogen, alles kulturelle Leben, Presse, Theater und Schulen wurden ihnen verboten. Die Verantwortung für sie wurde dem SD übertragen (212-PS, 069-PS); es war eine verhängnisvolle Vormundschaft wie die folgenden »Richtlinien für die Behandlung der Judenfrage« zeigen:

»Die Zuständigkeit des mit der Endlösung der europäischen Judenfrage beauftragten Chefs der Sicherheitspolizei und des SD erstreckt sich auch auf die besetzten Ostgebiete...

Ein etwaiges Vorgehen der örtlichen Zivilbevölkerung gegen die Juden ist nicht zu hindern, soweit sich dies mit dem Gebot der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Rücken der kämpfenden Truppe vereinba ren läßt... Ein erstes Hauptziel der deutschen Maßnahmen muß sein, das Judentum streng von der übrigen Bevölkerung abzusondern, Voraussetzung hierfür ist zunächst die restlose Erfassung der jüdischen Bevölkerung durch Einführung der Meldepflicht und sonstige geeignete Maßnahmen...

Alsdann ist unverzüglich die Kennzeichnung mittels eines stets sichtbar zu tragenden gelben Judensternes durchzuführen und sofort die Freizügigkeit für alle Juden aufzuheben. Eine Überführung in Ghettos unter gleichzeitiger Trennung der Geschlechter ist anzustreben. Das Vorhandensein zahlreicher mehr oder weniger geschlossener jüdischer Niederlassungen in Weißruthenien und in der Ukraine erleichtert diese Aufgabe. Im übrigen sind hierfür Orte auszuwählen, die infolge vorliegender Arbeitsvorhaben die völlige Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft ermöglichen...

Mit Ausnahme dessen, was zur notdürftigen Lebensführung benötigt wird, ist das gesamte jüdische Vermögen zu erfassen, zu beschlagnahmen und endgültig einzuziehen. Soweit es die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen, ist den Juden in diesem Rahmen möglichst frühzeitig die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen durch Anordnung der kommissarischen Verwaltung und sonstige Maßnahmen zu entziehen, damit Vermögensverschiebungen nach Möglichkeit hintangehalten werden.

Eine kulturelle Betätigung wird den Juden völlig verboten werden. Hierzu gehört auch das Verbot der jüdischen Presse, der jüdischen Theater und des Schulwe sens.

Das Schächten ist gleichfalls zu unterbinden.« (212-PS.)

Der Feldzug gegen die Juden in Deutschland steigerte sich zu besonderer Heftigkeit nach der Ermordung des deutschen Legationssekretärs vom Rath in Paris. Heydrich, der Chef der Geheimen Staatspolizei, gab über den Fernschreiber an alle Dienststellen der Gestapo und des SD Anweisung »spontane« Demonstrationen, die für die Nächte des 9. und 10. November 1938 zu erwarten seien, so zu handhaben, daß die Zerstörung jüdischen Eigentums begünstigt und nur deutscher Besitz geschützt werde. Kein zynischeres Dokument ist je ans Licht gekommen!

Es liegt ferner der Bericht des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker an Himmler vor, und ich zitiere:

»Ebenso wurden schon in den ersten Stunden nach dem Einmarsch, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten, einheimische antisemitische Kräfte zu Pogromen gegen die Juden veranlaßt. Befehlsgemäß war die Sicherheitspolizei entschlossen, die Judenfrage mit allen Mitteln und aller Entschiedenheit zu lösen. Es war aber nicht unerwünscht, wenn sie zumindest nicht sofort bei den doch ungewöhnlich harten Maßnahmen, die auch in deutschen Kreisen Aufsehen erregen mußten, in Erscheinung trat. Es mußte nach außen gezeigt werden, daß die einheimische Bevölkerung selbst als natürliche Reaktion gegen jahrzehntelange Unterdrückung durch die Juden und gegen den Terror durch die Kommuni sten in der vorangegangenen Zeit die ersten Maßnahmen von sich aus getroffen hat...

Angesichts der Ausdehnung des Einsatzraumes und der Fülle der sicherheitspolizeilichen Aufgaben wurde von vornherein angestrebt, daß die zuverlässige Bevölkerung selbst bei der Bekämpfung der Schädlinge in ihrem Lande – also insbesondere der Juden und Kommunisten – mitwirkt. Über die Steuerung der ersten spontanen Selbstreinigungsaktionen hinaus, auf die in anderem Zusammenhang noch näher eingegangen wird, mußte Vorsorge getroffen werden, daß zuverlässige Kräfte in die Säuberungsarbeit eingespannt und zu ständigen Hilfsorganen der Sicherheitspolizei gemacht wurden...

Es war überraschenderweise zunächst nicht einfach, dort ein Judenpogrom größeren Ausmaßes in Gang zu setzen. Dem Führer der oben bereits erwähnten Partisanengruppe, Klimatis, der hierbei in erster Linie herangezogen wurde, gelang es, auf Grund der ihm von dem in Kauen eingesetzten kleinen Vorkommando gegebenen Hinweise ein Pogrom einzuleiten, ohne daß nach außen irgendein deutscher Auftrag oder eine deutsche Anregung erkennbar wurde. Im Verlaufe des ersten Pogroms in der Nacht vom 25. zum 26. 6. wurden über 1500 Juden von den litauischen Partisanen beseitigt, mehrere Synagogen angezündet oder anderweitig zerstört und ein jüdisches Wohnviertel mit rund 60 Häusern niedergebrannt. In den folgenden Nächten wurden in derselben Weise 2300 Juden unschädlich gemacht. In anderen Teilen Litauens fanden nach dem in Kauen gegebenen Beispiel ähnliche Aktionen, wenn auch in kleinerem Umfange, statt, die sich auch auf zurückgebliebene Kommunisten erstreckten. Durch Unterrichtung der Wehrmachtsstellen, bei denen für dieses Vorgehen durchweg Verständnis vorhanden war, liefen die Selbstreinigungsaktionen reibungslos ab. Dabei war es von vornherein selbstverständlich, daß nur die ersten Tage nach der Besetzung die Möglichkeit zur Durchführung von Pogromen boten. Nach der Entwaffnung der Partisanen hörten die Selbstreinigungsaktionen zwangsläufig auf.

Wesentlich schwieriger war es, in Lettland ähnliche Säuberungsaktionen und Pogrome in Gang zu bringen« (L-180).

Es versteht sich von selbst, daß diese »Tumulte« von der Regierung und der Nazi-Partei inszeniert worden sind. Wenn wir darüber im Zweifel wären, brauchten wir nur in einer Denkschrift Streichers vom 14. April 1939 nachzulesen, in der er erklärt: »Die Judenaktion vom November 1938 ist nicht spontan aus dem Volke gekommen... Mit der Durchführung der Judenaktion waren Teile der Parteigliederungen beauftragt« (406-PS).

Den Juden in ihrer Gesamtheit wurde eine Buße von einer Milliarde Mark auferlegt. Sie wurden vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen und die Versicherungsansprüche für das Eigentum, das durch den Brand vernichtet worden war, wurden vom Staate beschlagnahmt. Alle diese Maßnahmen wurden auf Grund einer Verordnung des Angeklagten Göring getroffen (Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1579 bis 1582).

Die Synagogen wurden mit besonderer Rache heimgesucht. Am 10. November 1938 wurde folgende Anweisung ausgegeben: »Auf Befehl des Gruppenführers sind sofort innerhalb der Brigade 50 sämtliche jüdische Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen... Die Aktion ist in Zivil auszuführen... Vollzugsmeldung bis 8.30 Uhr an Brigadeführer oder Dienststelle« (1721-PS).

Einige vierzig Fernschreibmeldungen von verschiedenen Polizeipräsidien schildern die Raserei, mit der sämtliche Juden in Deutschland in diesen furchtbaren Novembernächten verfolgt worden sind. Die SS- Truppen wurden losgelassen, und die Gestapo führte die Aufsicht. Jüdischer Besitz wurde auf höheren Befehl zerstört. Die Gestapo ordnete die Festnahme von zwanzigtausend bis dreißigtausend »wohlhabenden Juden« an, die in die Konzentrationslager gebracht werden sollten. Gesunde, arbeitsfähige Juden sollten verhaftet werden (3051-PS).

Mit der Ausdehnung der deutschen Grenzen durch den Krieg erweiterte sich auch der Feldzug gegen die Juden. Der Plan der Nazis war nie auf ihre Ausrottung in Deutschland beschränkt, er sah stets vor, die Juden in Europa-zuweilen auch in der Welt – zu vernichten. Im Westen wurden die Juden ermordet und ihr Eigentum wurde übernommen. Den Gipfel der Wildheit erreichte der Feldzug gegen sie aber im Osten. Die Ostjuden haben gelitten wie nie ein Volk zuvor. Ihre Leiden wurden sorgfältig an die Behörden gemeldet, um darzutun, wie getreulich die Pläne ausgeführt worden waren. Ich werde hier nur das nötigste Beweismaterial heranziehen, um zu zeigen, wie weit die Pläne der Nazis zur Ermordung von Juden gingen.

Wenn ich diese Greueltaten mit eigenen Worten wiedergäbe, würden sie mich für maßlos und unzuverlässig halten. Glücklicherweise brauchen wir niemandes anderen Zeugnis als das der Deutschen selbst. Werfen Sie mit mir einen Blick auf einige aus der riesigen Zahl erbeuteter deutscher Befehle und Berichte, die wir als Beweismaterial anbieten, um zu zeigen, was ein Einmarsch der Nazis bedeutete.

Wir werden einen Bericht der »Einsatzgruppe A« vom 15. Oktober 1941 vorlegen, der sich rühmt, daß bei dem Überrennen der baltischen Staaten »schon in den ersten Stunden nach dem Einmarsch einheimische judenfeindliche Kräfte zu Pogromen gegen die Juden veranlaßt« worden seien.

In diesem Bericht heißt es weiter:

»Es war von vornherein zu erwarten, daß allein durch Pogrome das Judenproblem im Ostlande nicht gelöst werden würde. Andererseits hatte die sicherheitspolizeiliche Säuberungsarbeit gemäß den grundsätzlichen Be fehlen eine möglichst umfassende Beseitigung der Juden zum Ziel. Es wurden daher durch Sonderkommandos, denen ausgesuchte Kräfte – in Litauen Partisanentrupps, in Lettland Trupps der lettischen Hilfspolizei – beigegeben wurden, umfangreiche Exekutionen in den Städten und auf dem flachen Lande durchgeführt. Der Einsatz der Exekutionskommandos war reibungslos...

Die Gesamtzahl der in Litauen liquidierten Juden beläuft sich auf 71105. Bei den Pogromen wurden in Kauen 3800, in den kleineren Städten rund 1200 Juden beseitigt... In Lettland sind bisher insgesamt 30000 Juden exekutiert worden. 500 wurden durch die Pogrome in Riga unschädlich gemacht« (L-180).

Ein erbeuteter Bericht des Gebietskommissars von Sluzk vom 30. Oktober 1941 beschreibt die Dinge mehr im einzelnen. Es heißt darin:

».... Der Oberleutnant erklärte, daß das Polizeibataillon den Auftrag erhalten hätte, hier in der Stadt Sluzk in zwei Tagen die. Liquidierung sämtlicher Juden vorzunehmen... Ich bat dann darum, die Aktion um einen Tag zu verschieben. Er lehnte dieses jedoch ab, mit dem Bemerken, daß er überall in allen Städten die Aktion durchzuführen habe, und für Sluzk nur zwei Tage zur Verfügung stünden. In diesen beiden Tagen müßte die Stadt Sluzk unbedingt frei von Juden sein.... Sämtliche Juden ohne Ausnahme wurden trotz der Vereinbarung aus den Betrieben und Werkstätten herausgeholt und abtransportiert. Ein Teil der Juden wurde allerdings über das Ghetto geleitet, wo noch viele von mir erfaßt und aussortiert worden sind, während aber ein großer Teil direkt auf Lastwagen verladen und außerhalb der Stadt ohne weiteres liquidiert worden ist.... Was im übrigen die Durchführung der Aktion anbelangt, muß ich zu meinem tiefsten Bedauern hervorheben, daß letztere bereits an Sadismus grenzte. Die Stadt selbst bot während der Aktion ein schreckenerregendes Bild. Mit einer unbeschreiblichen Brutalität sowohl von seiten der deutschen Polizeibeamten, wie insbesondere von den litauischen Partisanen, wurde das jüdische Volk, darunter aber auch Weißruthenen aus den Wohnungen herausgeholt und zusammengetrieben. Ueberall in der Stadt knallte es und in den einzelnen Straßen häuften sich Leichen erschossener Juden. Die Weißruthenen hatten größte Not, um sich aus der Umklammerung zu befreien. Abgesehen davon, daß das jüdische Volk, darunter auch die Handwerker, furchtbar roh vor den Augen des weißruthenischen Volkes brutal mißhandelt worden ist, hat man das weißruthenische Volk ebenfalls mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben bearbeitet. Von einer Judenaktion konnte schon keine Rede mehr Sein, vielmehr sah es nach einer Revolution aus« (1104-PS).

Es liegen Berichte vor, die einfach nur die Zahlen der Ermordeten aufführen. Ein anderes Beispiel bringt, daß »... der beim Einrücken der Wehrmacht gebildete estnische Selbstschutz sofort mit einer umfassenden Festnahmeaktion sämtlicher Juden begann«.

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß dies ein Bericht der Wehrmacht ist, die gemeinsam mit der SS in diese Taten verwickelt war.

»... Festnahme aller männlichen Juden über sechzehn Jahre und Festnahme aller arbeitsfähigen in Reval und Umgebung wohnhaften Jüdinnen im Alter von sechzehn bis sechzig Jahren, die zum Torfstechen eingesetzt wurden.« Juden wurden allen möglichen Einschränkungen unterworfen, sämtlicher jüdischer Besitz beschlagnahmt.

»Die männlichen über sechzehn Jahre alten Juden wurden mit Ausnahme der Ärzte und der Judenältesten exekutiert.« Nach Abschluß der Aktion blieben im Ostland von ursprünglich 4500 Juden nur noch 500 Jüdinnen und Kinder übrig.

37180 Personen wurden in Weißruthenien während des Oktobers von der Sicherheitspolizei und dem SD beseitigt.

In einer Stadt wurden 337 Jüdinnen erschossen, weil sie »ein besonders aufsässiges Verhalten an den Tag legten«. In einer anderen Stadt wurden. 380 Juden erschossen, weil sie »Hetz- und Greuelpropaganda gegen die deutschen Besatzungstruppen betrieben hatten«.

Und so geht es in dem Bericht weiter. Er führt Stadt um Stadt auf, in denen Hunderte und aber Hunderte von Juden ermordet worden sind.

In Witebsk wurden 3000 Juden wegen Epidemiegefahr liquidiert.

In Kiew wurden 33771 Juden exekutiert, und zwar am 29. und 30. September als Vergeltung für Brände, die angelegt wurden.

In Schitomir »mußten 3145 Juden erschossen werden«, weil sie als Träger bolschewistischer Propaganda betrachtet worden sind.

In Cherson wurden 410 Juden als Repressalie für Sabotageakte exekutiert.

In dem Gebiet östlich des Dnjepr wurde das Judenproblem »gelöst« durch die Exekution von 4891 und dadurch, daß man die Übrigbleibenden in Arbeitsbataillone von bis zu 1000 Personen steckte (R-102).

Andere Darstellungen schildern nicht so sehr das Gemetzel als die Tiefen der Erniedrigung, zu der die Peiniger herabsanken. Als Beispiel werden wir den Bericht vorlegen, der dem Angeklagten Rosenberg erstattet worden ist über das Verhalten der Wehrmacht und der SS in den Gebieten, die zu dem Machtbereich Rosenbergs gehörten. Darin wird im einzelnen folgendes angeführt (Dokument R-135) und ich zitiere:

In Gegenwart eines SS-Mannes mußte ein jüdischer Zahnarzt alle Goldzähne, Brücken oder Plomben aus dem Mund deutscher und russischer Juden »ausziehen beziehungsweise ausbrechen«, bevor sie umgebracht wurden.

Männer, Frauen und Kinder wurden in Scheunen gesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt.

Bauern, Frauen und Kinder wurden unter dem Vorwand erschossen, daß sie »bandenverdächtig« seien (R-135).

Wir in der westlichen Welt hatten von Gaswagen gehört, in denen Juden und politische Gegner erstickt würden. Wir konnten das nicht glauben. Aber wir haben hier einen Bericht vom 16. Mai 1942, den ein deutscher SS-Offizier, Becker, an seinen Vorgesetzten in Berlin gerichtet hat. Darin beschreibt er folgendes:

Gaswagen der Gruppe C können zu dem Ort der Exekution, der sich meistens zehn bis fünfzehn Kilometer abseits der Verkehrswege befindet, nur bei guter Wetterlage gebracht werden. Da diejenigen, die exekutiert werden sollen, außer sich geraten, wenn sie zu diesem Platz gebracht werden, sind solche Wagen bei feuchtem oder nassem Wetter nicht benutzbar.

Gaswagen der Gruppe D werden als Wohnwagen getarnt, aber die Wagen sind den Behörden und der Zivilbevölkerung wohlbekannt, die sie als »Todeswagen« bezeichnet.

Der Schreiber des Briefes (Becker) ordnete an, daß sich alle Männer bei den Vergasungen vom Wagen möglichst fernhalten sollten. Da das Ausladen der Wagen »ungeheuren seelischen und gesundheitlichen Schaden« auf die Männer habe, sollten sie Befehl erhalten, sich an solcher Arbeit nicht zu beteiligen (501-PS).

Ich will mich bei diesem Thema nicht länger aufhalten, muß aber noch ein weiteres widerwärtiges Dokument anführen, das beweist, wie vorsätzlich und planmäßig diese Verfolgungen der Juden waren. Ich habe hier einen Bericht, der mit teutonischer Hingabe an die Einzelheiten geschrieben ist. Er enthält Aufnahmen, die seinen fast unglaublichen Wortlaut bestätigen sollen, und ist schon in Leder eingebunden mit der liebenden Sorgfalt, die an ein stolzes Werk gewandt wird. Es ist der Originalbericht des SS-Brigadeführers und Generals der Polizei Stroop, der mit der Zerstörung des Warschauer Ghettos beauftragt war. Das Titelblatt trägt die Aufschrift: »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.« Es ist charakteristisch, daß eine Photographie, die ausgetriebene Juden darstellt, mit dem Wort »Banditen« überschrieben ist; meist stellen diese Photographien nur Frauen und kleine Kinder dar. Es enthält eine tägliche Aufzeichnung über die Tötungen, die hauptsächlich von der SS-Organisation ausgeführt worden sind, zu lang, um sie anzuführen; aber lassen Sie mich General Stroops Zusammenfassung vorlesen:

»Der von den Juden und Banditen geleistete Widerstand konnte nur durch energischen unermüdlichen Tag- und Nachteinsatz der Stoßtrupps gebrochen werden. Am 23. April 1943 erging vom Reichsführer SS über den höheren SS- und Polizeiführer Ost in Krakau der Befehl, die Durchkämmung des Ghettos in War schau mit größter Härte und unnachsichtiger Zähigkeit zu vollziehen.

Ich entschloß mich deshalb, nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks durch Abbrennen sämtlicher Wohnblocks, auch der Wohnblocks bei den Rüstungsbetrieben, vorzunehmen. Es wurde systematisch ein Betrieb nach dem anderen geräumt und anschließend durch Feuer vernichtet. Fast immer kamen dann die Juden aus ihren Verstecken und Bunkern heraus. Es war nicht selten, daß die Juden in den brennenden Häusern sich so lange aufhielten, bis sie es wegen der Hitze vorzogen, aus den Stockwerken herauszuspringen. Mit gebrochenem Knochen versuchten sie dann noch über die Straße in Häuserblocks zu kriechen, die noch nicht oder nur teilweise in Flammen standen. Oft wechselten die Juden auch ihre Verstecke während der Nacht, indem sie sich in bereits abgebrannte Ruinen verzogen und dort solange Unterschlupf fanden, bis sie von den einzelnen Stoßtrupps aufgefunden wurden. Auch der Aufenthalt in den Kanälen war schon nach den ersten acht Tagen kein angenehmer mehr. Häufig konnten auf der Straße durch die Schächte laute Stimmen aus den Kanälen herausgehört werden. Mutig kletterten dann die Männer der Waffen-SS oder der Polizei oder Pioniere der Wehrmacht in die Schächte hinein, um die Juden herauszuholen, und nicht selten stolperten sie dann über bereits verendete Juden oder wurden beschossen. Immer mußten Nebelkerzen in Anwendung gebracht werden, um die Juden herauszutreiben. So wurden an einem Tage 183 Kanaleinsteiglöcher geöff net und in diese zu einer festgelegten X-Zeit Nebelkerzen herabgelassen mit dem Erfolg, daß die Banditen, vor dem angeblichen Gas flüchtend, im Zentrum des ehemaligen jüdischen Wohnbezirkes zusammenliefen und aus den dort befindlichen Kanalöffnungen herausgeholt werden konnten. Zahlreiche Juden, die nicht gezählt werden konnten, wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt. Je länger der Widerstand andauerte, desto härter wurden die Männer der Waffen- SS, der Polizei und der Wehrmacht, die auch hier in treuer Waffenbrüderschaft unermüdlich an die Erfüllung ihrer Aufgaben herangingen und stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann standen... Nicht selten wurden Juden, welche die Nacht benutzten, um aus verlassenen Bunkern ihre Lebensmittelvorräte zu ergänzen oder mit Nachbargruppen Verbindung aufzunehmen, beziehungsweise Nachrichten auszutauschen, gestellt und erledigt.«

Dieses Unternehmen vernichtete, wie der SS-Brigadeführer mitteilt, »nachgewiesenermaßen 56065 Personen. Dieser Zahl hinzuzusetzen sind noch die Juden, die durch Sprengungen, Brände usw. ums Leben gekommen, aber zahlenmäßig nicht erfaßt werden konnten.« (1061-PS.)

Wir erheben die Beschuldigung, daß sämtliche Greueltaten gegen die Juden Ausdruck und höchstes Ziel des Planes der Nazis waren, an dem jeder der hier Angeklagten mitbeteiligt war. Ich weiß sehr wohl, daß manche dieser Männer manches getan haben, um irgendeinen Juden aus irgendeinem persönlichen Grunde vor den Schrecknissen zu bewahren, wie sie den erwarteten, der nicht in solcher Art geschützt war. Einige wandten ein, bestimmte Greueltaten seien Ausschreitungen und belasteten die allgemeine Politik. Ein paar der Angeklagten mögen sich um bestimmte Ausnahmen bemüht haben gegenüber der Politik, die Juden auszurotten, aber ich habe kein Anzeichen dafür gefunden, daß irgendeiner der Angeklagten der Politik selbst widersprochen oder versucht hätte, sie aufzuheben oder auch nur zu mildern.

Die Entschlossenheit, die Juden zu vernichten, war eine bindende Kraft, die jederzeit die einzelnen Teilkräfte dieser Verschwörung zusammenhielt. Über viele Fragen der inneren Politik bestanden Meinungsverschiedenheiten unter den Angeklagten, aber es ist nicht einer unter ihnen, der nicht den Schlachtruf des Nazismus willig wiederholt hätte: »Deutschland erwache, Juda verrecke!«