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Schreckensherrschaft und Kriegsvorbereitung.

Wie eine Regierung ihr eigenes Volk behandelt, wird gewöhnlich nicht als Angelegenheit anderer Regierungen oder der internationalen Gemeinschaft der Staaten angesehen. Sicherlich würden Unterdrückung oder Grausamkeit nur in seltenen Fällen fremde Mächte zur Einmischung berechtigen. Die Mißhandlung Deutscher durch Deutsche aber überschreitet, wie man jetzt weiß, nach Zahl und Art der Fälle und an Roheit alles, was für die moderne Zivilisation tragbar ist. Die anderen Völker würden, wenn sie schwiegen, teilhaben an diesen Verbrechen, denn ihr Schweigen wäre Zustimmung. Die Verfolgungen durch die Nazis kommen jedoch außerdem – wenn man das Ziel bedenkt, dem sie galten – internationalen Verbrechen gleich.

Die freie Arbeiterschaft, die Kirchen und die Juden auszuschalten, sollte, wie wir gesehen haben, ihren störenden Einfluß beseitigen gegenüber dem Bestreben, einen Angriffskrieg heraufzubeschwören. Wenn die Verletzung von Vertragsverpflichtungen eine Angelegenheit des internationalen Rechtsgefühls und der internationalen Rechtsprechung ist, dann müssen auch die Vorbereitungen dazu eine Angelegenheit der internationalen Gemeinschaft sein. Der Schrecken war das Hauptmittel, den Zusammenhalt des deutschen Volkes im Dienste des Krieges zu sichern. Außerdem sollten die Grausamkeiten in Deutschland den Mitgliedern der verbrecherischen Organisationen die Möglichkeit geben, Greueltaten zu verüben und zu erproben, um später in den besetzten Gebieten in gleicher Weise zu verfahren.

Durch die Polizeigliederungen, die vor Ihnen, meine Herren Richter, als verbrecherische Organisationen angeklagt sind, haben die Führer der Nazi-Partei eine Schreckensherrschaft errichtet, und jeder einzelne der Angeklagten hier hat zu seinem Teile geholfen, dieses grundlegende und ihnen allen bekannte Ziel zu erreichen. Diese polizeilichen Organisationen mit ihrer Beihilfe an Spitzelarbeit wurden dazu benutzt, jegliche Regung des Widerstandes aufzuspüren und niederzuhalten und jeglichen Vorbehalt oder irgendein Abweichen von dem allgemeinen Wege zu bestrafen. Frühzeitig wurden von diesen Organisationen Konzentrationslager eingerichtet und unterhalten, – Buchenwald im Jahre 1933, Dachau 1934. Aber diese schimpflichen Namen blieben nicht allein; die Landkarte Deutschlands wurde allmählich mit Konzentrationslagern übersprenkelt.

Anfangs regte sich bei einigen Deutschen Widerspruch. In unseren Händen ist ein aufschlußreicher Brief, den der Reichsjustizminister Gürtner an Hitler gerichtet hat. Ein Beamter der Gestapo war angeklagt worden, weil in dem Konzentrationslager Hohnstein Verbrechen begangen worden waren. Der Gauleiter von Sachsen hatte sofort verlangt, daß das Verfahren eingestellt werde. Der Reichsjustizminister lehnte dies im Juni 1935 mit der folgenden Begründung ab:

»In dem Lager ist es mindestens seit Sommer 1933 zu ungewöhnlich schweren Mißhandlungen der Häftlinge gekommen. Die Häftlinge – wurden nicht nur ähnlich wie in dem Schutzhaftlager Bredow bei Stettin grundlos mit Peitschen und anderen Werkzeugen bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, sondern man quälte sie auch auf andere Weise, so unter anderem mit Hilfe eines ausschließlich zu diesem Zweck konstruierten Tropfapparates, unter dem die Häftlinge so lange stehen mußten, daß sie schwere eitrige Verletzungen der Kopfhaut davontrugen...« (787-PS).

Ich will mich nicht damit aufhalten, die schauerlichen Vorgänge in den Konzentrationslagern im einzelnen zu beschreiben. Daß man Menschen schlug, ihnen die Nahrung entzog, sie quälte oder sie umbrachte, wurde zu einer alltäglichen Gewohnheit, – so sehr, daß die Peiniger abgestumpft und unbekümmert wurden. Wir werden Ihnen einen Bericht vorlegen, aus dem hervorgeht, daß in Plötzensee in einer Nacht 186 Personen hingerichtet wurden, während der Befehl nur für 180 Personen galt. Ein anderer Bericht beschreibt, wie die Familie eines Opfers versehentlich zwei Urnen mit Asche erhielt. Lagerinsassen wurden gezwungen, sich gegenseitig hinzurichten. Im Jahre 1942 erhielten sie fünf Mark je Hinrichtung, aber am 27. Juni 1942 wies SS-Brigadeführer und General der Waffen-SS Glücks die Lagerkommandanten an, dieses Honorar auf drei Zigaretten herabzusetzen. Im Jahre 1943 befahl der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, daß die Prügelstrafe an russischen Frauen von Polinnen zu vollziehen sei und umgekehrt. Der Preis war jedoch nicht genau festgelegt: »einige Zigaretten« wurden als »Belohnung« zugestanden. Das Menschenleben war unter den Nazis immer mehr entwertet worden, bis es schließlich weniger galt als eine Handvoll Tabak, – Ersatztabak. Aber es gab auch einige Spuren menschlicher Milde; am 11. August 1942 erließ Himmler einen Befehl an die Kommandanten von vierzehn Konzentrationslagern, daß nur deutsche Gefangene das Recht haben, andere deutsche Gefangene zu schlagen (2189-PS).

Geheimnis und Ungewißheit sollten außerdem die Qual von dem Lagerinsassen auf seine Familie und seine Freunde übertragen. Männer und Frauen verschwanden aus ihrer Wohnung, aus ihrem Geschäft oder von der Straße, – und man hörte nichts mehr von ihnen. Daß eine Benachrichtigung ausblieb, ging nicht auf eine Überlastung der Behörde zurück; es lag vielmehr Plan und Absicht darin. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD berichtete, daß nach einem Führerbefehl sorgenvolle Unruhe in der Familie eines Festgenommenen hervorgerufen werden solle (Dokument 668-PS). Verschleppungen und geheime Festnahmen wurden in einer fast gespenstischen Findigkeit mit dem Stichwort »Nacht und Nebel« umgeben (Dokument L-90, 833-PS).

Eine der vielen Anordnungen für diese Angelegenheit gibt auch die Aufklärung:

»Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht befiehlt, daß die von Zivilpersonen in den besetzten Ge bieten begangenen Straftaten der bezeichneten Art von den zuständigen Kriegsgerichten in den besetzten Gebieten nur abzuurteilen sind, wenn

a) das Urteil auf Todesstrafe lautet

und b) das Urteil innerhalb von 8 Tagen nach der Festnahme verkündet wird.

Nur wenn beide Voraussetzungen gewährleistet werden, verspricht sich der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht von der Behandlung der Strafverfahren in den besetzten Gebieten die erforderliche abschreckende Wirkung. Andernfalls sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme liegt

a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten,

b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf« (833-PS).

Zu plumper Grausamkeit kam wissenschaftliches Geschick. »Unerwünschte« wurden ausgelöscht, indem man ihnen irgendwelche Lösungen in den Blutkreislauf einspritzte, oder sie erlitten in Gaskammern den Erstickungstod; man erprobte die Wirkung vergifteter Kugeln an ihnen (L-103).

Neben allem Grausamen in diesen Versuchen stand das schmutzig Widerwärtige, nicht aus der Verkommenheit Untergeordneter entstanden, sondern ersonnen von führenden Köpfen der Nazi-Verschwörung. Am 20. Mai 1942 ermächtigte Generalfeldmarschall Milch den SS-Obergruppenführer Wolff, im Lager Dachau mit sogenannten »Kälteversuchen« zu beginnen; vier Zigeunerinnen wurden dafür zur Verfügung gestellt. Himmler erlaubte dann, diese »Versuche« in anderen Lagern fortzusetzen (1617-PS). Aus den Berichten des leitenden »Arztes« von Dachau geht hervor, daß die Opfer in kaltes Wasser getaucht wurden, bis ihre Körpertemperatur auf achtundzwanzig Grad Celsius sank, worauf sie alle augenblicklich starben (1618-PS). Das war im August 1942. Aber der »Arzt« verbesserte sein Verfahren. Im Februar 1943 konnte er berichten, daß dreißig Personen auf siebenundzwanzig bis neunundzwanzig Grad »abgekühlt« worden waren, wobei ihre Hände und Füße weiß froren, und daß ihre Körper dann durch ein heißes Bad bald wieder völlig »aufgewärmt« worden waren. Der Triumph der Nazi-Wissenschaft waren jedoch »Erwärmungsversuche durch animalische Wärme«. Um das Opfer, das beinahe erfroren war, wurden Körper Lebender Frauen gelegt, bis es wieder zu sich kam und auf seine Umgebung mit Geschlechtsverkehr reagierte (1616-PS). Damit erreichte die Verkommenheit der Nazis ihren tiefsten Stand.

Ich belaste nicht gern das Protokoll mit solchen krankhaften Geschichten, aber wir haben die traurige Aufgabe, über Männer zu Gericht zu sitzen, die Verbrecher sind, und dieses sind die Dinge, die sich nach Aussage ihrer eigenen Helfershelfer zugetragen haben. Wir werden Ihnen die Konzentrationslager im Film genau in dem Zustand zeigen, in dem die Armeen der Alliierten sie bei ihrer Ankunft vorgefunden haben, und die Maßnahmen, die General Eisenhower treffen mußte, sie zu säubern. Unser Beweismaterial wird widerwärtig sein, und Sie werden sagen, ich hätte Ihnen den Schlaf geraubt. Aber das sind die Dinge, die den Ekel und Abscheu der Welt erregt und dazu geführt haben, daß in den zivilisierten Ländern jede Hand sich erhob gegen Nazi-Deutschland.

Deutschland wurde eine riesige Folterkammer. Die Schreie der Opfer wurden in der ganzen Welt gehört und ließen die Gesitteten erschauern ringsum. Ich gehöre zu denen, die während des Krieges die meisten Greuelgeschichten mißtrauisch und mit Zweifel aufgenommen haben. Aber die Beweisstücke, die wir vorlegen, werden überwältigend sein, und ich wage vorauszusagen, daß nicht eines meiner Worte widerlegt werden wird. Die Angeklagten werden nur ihre persönliche Verantwortung abstreiten oder behaupten, ihnen seien diese Dinge nicht bekannt gewesen.

In jener Wirrnis geheimer Überwachung und ränkevoller List, wie sie von einem modernen Staate noch niemals ertragen worden ist, in einer Verfolgung und Folterung, wie sie die Welt seit vielen Jahrhunderten nicht mehr heimgesucht haben, wurde alles, was anständig und mutig zugleich war im deutschen Volke, vernichtet. Was anständig, aber schwach war, wurde eingeschüchtert. Offener Widerstand, der nie mehr als matt und unentschlossen gewesen war, verschwand. Aber Widerstand, wie ich gern feststelle, blieb immer vorhanden, wenn er auch nur in Ereignissen wie dem mißlungenen Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 offenbar wurde. Als der Widerstand sich nur noch unterirdisch halten konnte, hatten die Nazis den Staat in ihre Gewalt gebracht.

Sie ließen sich aber nicht daran genug sein, die Stimmen des Widerspruchs stumm zu machen. Sie schufen sich ein System der Aufsicht und Lenkung, das im Werben um Zustimmung und Bereitwilligkeit nicht minder wirksam war als ihre Einrichtungen zum Niederhalten des Gegners. Eine Propaganda, wie sie bis dahin nicht bekannt war, erweckte in der Partei und ihren Gliederungen immer von neuem Begeisterung und Hingabe, wie wir Demokraten sie nur für einige Tage vor einer großen Wahl aufbringen können. Sie stützten sich auf das von ihnen geprägte und ausgebildete »Führerprinzip«, das die Herrschaft der Partei und des von der Partei beaufsichtigten Staates über das Leben und Denken des deutschen Volkes in sich zusammenfaßte, eines Volkes, das gewohnt ist, zu dem Staat – gleichgültig wer ihn regiert – mit einem geheimnisvollen Schauer der Ehrfurcht aufzublicken, wie er meinem Volke unbegreiflich ist.

Alle diese Führungsmittel wurden von Anfang an mit einem Eifer ohnegleichen zu dem einen Zweck benutzt, Deutschland kriegstüchtig zu machen. Wir werden aus den eigenen Unterlagen der Nazis nachweisen, wie die militärische Ausbildung und die Aufstellung einer Luftwaffe im geheimen betrieben wurde, bis dann schließlich die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. Die Männer aus Wirtschaft, Industrie und Finanz beteiligten sich an dem gemeinsamen Plan und forderten eine weitgehende Anpassung der Industrie und der Geldwirtschaft, um mit einer beispiellosen Zusammenfassung aller Hilfsquellen und Kräfte die Kriegsvorbereitungen zu unterstützen.

Deutschland überholte seine Nachbarn in der Aufrüstung so sehr, daß es in etwa einem Jahre die gesamte Militärmacht des europäischen Festlandes, mit Ausnahme Sowjetrußlands, zu zerschlagen und dann die russischen Armeen bis zur Wolga zurückzudrängen vermochte. Diese Vorbereitungen waren so gewaltig, daß sie weit über das für die Verteidigung Notwendige hinausgingen. Jeder der Angeklagten – und jeder Deutsche, der sich Gedanken machte – wußte denn auch sehr wohl, daß sie Angriffszwecken dienen sollten.