[Pause von 10 Minuten.]
MR. ALDERMAN: Nach der etwas verwickelten Diskussion, die ich gerade vorgelesen habe über die geopolitische und wirtschaftliche Theorie und die Notwendigkeit, den Lebensraum auszudehnen, hat Adolf Hitler nach diesen Hoßbach-Notizen die folgende Frage gestellt und ich zitiere:
»Für Deutschland laute die Frage, wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei. Die deutsche Politik habe mit den beiden Haßgegnern England und Frankreich zu rechnen, denen ein starker deutscher Koloß inmitten Europas ein Dom im Auge sei, wobei beide Staaten eine weitere deutsche Erstarkung, sowohl in Europa als auch in Übersee, ablehnten, sich in dieser Ablehnung auf die Zustimmung aller Parteien stützen könnten. In der Errichtung deutscher militärischer Stützpunkte in Übersee sehen beide Länder eine Bedrohung ihrer Überseeverbindungen, eine Sicherung des deutschen Handels und rückwirkend eine Stärkung der deutschen Position in Europa.
England könne aus seinem Kolonialbesitz infolge des Widerstands der Dominien keine Abtretungen an uns vornehmen. Nach dem durch Übergang Abessiniens in italienischen Besitz eingetretenen Prestigeverlust Englands, sei mit einer Rück-
gabe Ostafrikas nicht zu rechnen. Das Entgegenkommen Englands werde sich bestenfalls in dem Anheimstellen äußern, unsere Kolonialwünsche durch Wegnahme solcher Kolonien zu befriedigen, die sich zur Zeit in nichtenglischem Besitz befinden, z. B. Angola. In der gleichen Linie werde sich auch das französische Entgegenkommen bewegen. Eine ernsthafte Diskussion wegen der Rückgabe von Kolonien an uns käme nur zu einem Zeitpunkt in Betracht, in dem England sich in einer Notlage befinde und das Deutsche Reich stark und gerüstet sei. Die Auffassung, daß das Empire unerschütterlich sei, teilt der Führer nicht.«
Ich glaube natürlich, daß er das englische Empire meint.
»Die Widerstände gegen das Empire lägen weniger in den eroberten Ländern, als bei den Konkurrenten. Das Empire und das Römische Weltreich seien hinsichtlich der Dauerhaftigkeit nicht vergleichbar; dem letzteren habe seit den Punischen Kriegen kein machtpolitischer Gegner ernsthafteren Charakters gegenübergestanden.
Erst die vom Christentum ausgehende auflösende Wirkung und die sich bei jedem Staat einstellenden Alterserscheinungen hätten das alte Rom dem Ansturm der Germanen erliegen lassen.
Neben dem englischen Empire ständen schon heute eine Anzahl ihm überlegener Staaten. Das englische Mutterland sei nur im Bunde mit anderen Staaten, nicht aus eigener Kraft, in der Lage, seinen Kolonialbesitz zu verteidigen. Wie solle England allein z. B. Kanada gegen einen Angriff Amerikas, seine ostasiatischen Interessen gegen einen solchen Japans verteidigen.
Das Herausstellen der englischen Krone als Träger des Zusammenhalts des Empire sei bereits ein Eingeständnis, daß das Weltreich machtpolitisch auf die Dauer nicht zu halten sei. Bedeutungsvolle Hinweise in dieser Richtung seien:
a) Das Streben Irlands nach Selbständigkeit.
b) Die Verfassungskämpfe in Indien, wo England durch seine halben Maßnahmen den Indern die Möglichkeit eröffnet habe, späterhin die Nichterfüllung der verfassungsrechtlichen Versprechungen als Kampfmittel gegen England zu benutzen.
c) Die Schwächung der englischen Position in Ostasien durch Japan.
d) Der Gegensatz im Mittelmeer zu Italien, welches – unter Berufung auf seine Geschichte, getrieben aus Not und geführt durch ein Genie – seine Machtstellung ausbaue und sich hierdurch in zunehmendem Maße gegen englische Interessen wenden müsse. Der Ausgang des abessinischen Krieges sei ein Prestigeverlust Englands, den Italien durch Schüren in der mohammedanischen Welt zu vergrößern bestrebt sei.
In summa sei festzustellen, daß trotz aller ideeller Festigkeit das Empire machtpolitisch auf die Dauer nicht mit 45 Millionen Engländern zu halten sei. Das Verhältnis der Bevölkerungszahl des Empires zu der des Mutterlandes von 9:1 sei eine Warnung für uns, bei Raumerweiterungen nicht die in der eigenen Volkszahl liegende Plattform zu gering werden zu lassen.«
Ich denke, er meinte: Halte die Bevölkerung der besetzten Gebiete niedrig im Vergleich mit der unseren.
»Die Stellung Frankreichs sei günstiger als die Englands. Das französische Reich sei territorial besser gelagert, die Einwohner seines Kolonialbesitzes stellten einen militärischen Machtzuwachs dar. Aber Frankreich gehe innenpolitischen Schwierigkeiten entgegen.
Im Leben der Völker nehmen die parlamentarischen Regierungsformen etwa 10 %, die autoritären etwa 90 % der Zeit ein. Immerhin seien heute in unsere politischen Berechnungen als Machtfaktoren einzusetzen: England, Frankreich, Rußland und die angrenzenden kleineren Staaten.
Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben, dieser kann niemals risikolos sein. Die Kämpfe Friedrichs des Großen um Schlesien und die Kriege Bismarcks gegen Österreich und Frankreich seien von unerhörtem Risiko gewesen und die Schnelligkeit des preußischen Handelns 1870 habe Österreich vom Eintritt in den Krieg ferngehalten. Stelle man an die Spitze der nachfolgenden Ausführungen den Entschluß zur Anwendung von Gewalt unter Risiko, dann bleibe noch die Beantwortung der Fragen ›wann‹ und ›wie‹. Hierbei seien drei Fälle zu entscheiden.«
Ich füge hinzu: Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß die Anklageschrift ausdrücklich davon spricht, daß bei dieser Sitzung drei verschiedene Pläne aufgestellt wurden, von denen jeder zur Anwendung kommen konnte.
»Fall 1: Zeitpunkt 1943-1945.
Nach dieser Zeit sei nur noch eine Veränderung zu unseren Ungunsten zu erwarten.
Die Aufrüstung der Armee, Kriegsmarine, Luftwaffe sowie die Bildung des Offizierskorps seien annähernd beendet.«
Ich erinnere den Gerichtshof daran, daß diese Zusammenkunft am 5. November 1937 stattfand, aber daß er den Zeitraum 1943 bis 1945 behandelte.
Die materielle Ausstattung und Bewaffnung seien modern, bei weiterem Zuwarten läge die Gefahr ihrer Veraltung vor. Besonders der Geheimhaltungsschutz der ›Sonderwaffen‹ ließe sich nicht immer aufrechterhalten. Die Gewinnung von Reserven beschränke sich auf die laufenden Rekrutenjahrgänge, ein Zusatz aus älteren unausgebildeten Jahrgängen sei nicht mehr verfügbar.
Im Verhältnis zu der bis dahin durchgeführten Aufrüstung der Umwelt nähmen wir an relativer Stärke ab. Wenn wir bis 1943/45 nicht handeln, könne infolge des Fehlens von Reserven jedes Jahr die Ernährungskrise bringen, zu deren Behebung ausreichende Devisen nicht verfügbar seien. Hierin sei ein ›Schwächungsmoment des Regimes‹ zu erblicken. Zudem erwarte die Welt unseren Schlag und treffe ihre Gegenmaßnahmen von Jahr zu Jahr mehr. Während die Umwelt sich abriegele, seien wir zur Offensive gezwungen. Wie die Lage in den Jahren 1943/45 tatsächlich sein würde, wisse heute niemand. Sicher sei nur, daß wir nicht länger warten können.
Auf der einen Seite die große Wehrmacht mit der Notwendigkeit der Sicherstellung ihrer Unterhaltung, das Älterwerden der Bewegung und ihrer Führer, auf der anderen Seite die Aussicht auf Senkung des Lebensstandards und auf Geburteneinschränkung ließen keine andere Wahl als zu handeln. Sollte der Führer noch am Leben sein, so sei es sein unabänderlicher Entschluß, spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen. Die Notwendigkeit zum Handeln vor 1943/45 käme in Fall 2 und 3 in Betracht.
Fall 2: Wenn die sozialen Spannungen in Frankreich sich zu einer derartigen innenpolitischen Krise auswachsen sollten, daß durch letztere die französische Armee absorbiert und für eine Kriegsverwendung gegen Deutschland ausgeschaltet würde, sei der Zeitpunkt zum Handeln gegen die Tschechei gekommen.
Fall 3: Wenn Frankreich durch einen Krieg mit einem anderen Staat so gefesselt ist, daß es gegen Deutschland nicht »vorgehen« kann.
Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Falle einer kriegerischen Verwicklung unser erstes Ziel sein, die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westen auszuschalten.
Bei einem Konflikt mit Frankreich sei wohl nicht damit zu rechnen, daß die Tschechei am gleichen Tage wie Frankreich uns den Krieg erklären würde. In dem Maße unserer Schwächung würde jedoch der Wille zur Beteiligung am Kriege in der Tschechei zunehmen, wobei ihr Eingreifen sich durch einen Angriff nach Schlesien, nach Norden oder nach Westen bemerkbar machen könne.
Sei die Tschechei niedergeworfen, eine gemeinsame Grenze Deutschland-Ungarn gewonnen, so könne eher mit einem neutralen Verhalten Polens in einem deutsch- französischen Konflikt gerechnet werden. Unsere Abmachungen mit Polen behielten nur solange Geltung, als Deutschlands Stärke unerschüttert sei, bei deutschen Rückschlägen müsse ein Vorgehen Polens gegen Ostpreußen, vielleicht auch gegen Pommern und Schlesien in Rechnung gestellt werden.
Bei Annahme einer Entwicklung der Situation, die zu einem planmäßigen Vorgehen unsererseits in den Jahren 1943/45 führe, sei das Verhalten Frankreichs, Englands, Italiens, Polens, Rußlands voraussichtlich folgendermaßen zu beurteilen:
An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich die Tschechei bereits im stillen abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch Deutschland bereinigt würde. Die Schwierigkeiten des Empire und die Aussicht, in einen lange währenden europäischen Krieg verwickelt zu werden, seien bestimmend für eine Nichtbeteiligung Englands an einem Kriege gegen Deutschland. Die englische Haltung werde gewiß nicht ohne Einfluß auf die Frankreichs sein. Ein Vorgehen Frankreichs ohne die englische Unterstützung und in der Voraussicht, daß seine Offensive an unseren Westbefestigungen sich festlaufe, sei wenig wahrscheinlich. Ohne die Hilfe Englands sei auch nicht mit einem Durchmarsch Frankreichs durch Belgien und Holland zu rechnen, der auch bei einem Konflikt mit Frankreich für uns außer Betracht bleiben müsse, da es in jedem Fall die Feindschaft Englands zur Folge haben müßte. Naturgemäß sei eine Abriegelung im Westen in jedem Fall während der Durchführung unseres Angriffs gegen die Tschechei und Österreich notwendig. Hierbei sei zu berücksichti gen, daß die Verteidigungsmaßnahmen der Tschechei von Jahr zu Jahr an Stärke zunehmen und daß auch die Konsolidierung der inneren Werte der österreichischen Armee im Laufe der Jahre stattfände. Wenn auch die Besiedlung insbesondere der Tschechei keine dünne sei, so könne die Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5-6 Millionen Menschen bedeuten unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million Menschen zur Durchführung gelange. Die Angliederung der beiden Staaten an Deutschland bedeute militär-politisch eine wesentliche Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke und der Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen, wobei auf 1 Million Einwohner eine neue Division entfalle. Von der Seite Italiens seien gegen die Beseitigung der Tschechei keine Einwendungen zu erwarten, wie dagegen seine Haltung in der österreichischen Frage zu beantworten sei, entziehe sich der heutigen Beurteilung und sei wesentlich davon abhängig, ob der Duce noch am Leben sei.
Das Maß der Überraschung und der Schnelligkeit unseres Handelns sei für die Stellungnahme Polens entscheidend. Gegen ein siegreiches Deutschland wird Polen – mit Rußland im Rücken – wenig Neigung haben, in den Krieg einzutreten.
Einem militärischen Eingreifen Rußlands müsse durch die Schnelligkeit unserer Operationen begegnet werden; ob ein solches überhaupt in Betracht kommen werde, sei angesichts der Haltung Japans mehr als fraglich.
Trete der Fall 2 – Lahmlegung Frankreichs durch einen Bürgerkrieg – ein, so sei infolge Ausfalls des gefährlichsten Gegners die Lage jederzeit zum Schlag gegen die Tschechei auszunutzen.
In gewissere Nähe sehe der Führer den Fall 3 gerückt, der sich aus den derzeitigen Spannungen im Mittelmeer entwickeln könne und den er eintretendenfalls zu jedem Zeitpunkt, auch bereits im Jahre 1938, auszunützen entschlossen sei. Nach den bisherigen Erfahrungen beim Verlauf der kriegerischen Ereignisse in Spanien sehe der Führer deren baldige Beendigung noch nicht bevorstehend. Berücksichtige man den Zeitaufwand der bisherigen Offensiven Francos, so könne eine Kriegsdauer von etwa noch drei Jahren im Bereich der Möglichkeit liegen. Andererseits sei vom deutschen Standpunkt ein 100 %iger Sieg Francos auch nicht erwünscht; wir seien vielmehr an einer Fortdauer des Krieges und der Erhaltung von Spannungen im Mittelmeer interessiert. Franco im ungeteilten Besitz der spanischen Halbinsel, schalte die Möglichkeit weiterer italienischer Einmischung und den Verbleib Italiens auf den Balearen aus. Da unser Interesse auf die Fortdauer des Krieges in Spanien gerichtet sei, müsse es Aufgabe unserer Politik in nächster Zeit sein, Italien den Rücken für weiteren Verbleib auf den Balearen zu stärken. Ein Festsetzen der Italiener auf den Balearen sei aber weder für Frankreich noch für England tragbar und könne zu einem Krieg Frankreichs und Englands gegen Italien führen, wobei Spanien – falls völlig in weißer«, das ist Francos, »Hand – an der Seite der Gegner Italiens auf den Plan treten könne. In einem solchen Krieg sei ein Unterliegen Italiens wenig wahrscheinlich. Zur Ergänzung seiner Rohstoffe stehe der Weg über Deutschland offen. Die militärische Kriegführung seitens Italiens stelle der Führer sich derart vor, daß es an seiner Westgrenze gegen Frankreich defensiv bleibe und den Kampf gegen Frankreich aus Lybien heraus gegen die nordafrikanischen französischen Kolonialbesitzungen führe.
Da eine Landung französisch-englischer Truppen an den Küsten Italiens ausscheiden und eine französische Offensive über die Alpen nach Oberitalien sehr schwierig sein dürfte, und sich voraussichtlich an den starken italienischen Befestigungen festlaufen würde, läge der Schwerpunkt der Handlungen in Nordafrika. Die Bedrohung der französischen Transportwege durch die italienische Flotte werde in starkem Umfang den Transport von Streitkräften aus Nordafrika nach Frankreich lahmlegen, so daß Frankreich an den Grenzen gegen Italien und Deutschland nur über die Streitkräfte des Heimatlandes verfüge.
Wenn diesen Krieg Deutschland zur Erledigung der tschechischen und österreichischen Frage ausnutze, so sei mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß England – im Kriege mit Italien liegend – sich nicht zu einem Vorgehen gegen Deutschland entschließen würde. Ohne die englische Unterstützung sei eine kriegerische Handlung Frankreichs gegen Deutschland nicht zu erwarten.
Der Zeitpunkt unseres Angriffes auf die Tschechei und Österreich müsse abhängig von dem Verlauf des italienisch-englisch-französischen Krieges gemacht werden und läge nicht etwa gleichzeitig mit der Eröffnung der kriegerischen Handlungen dieser drei Staaten. Der Führer denke auch nicht an militärische Abmachungen mit Italien, sondern wolle in eigener Selbständigkeit und unter Ausnutzung dieser sich nur einmal bietenden günstigen Gelegenheit den Feldzug gegen die Tschechei beginnen und durchführen, wobei der Überfall auf die Tschechei »blitzartig schnell« erfolgen müsse.
Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst von Fritsch wiesen bei der Beurteilung der Lage wiederholt auf die Schwierigkeit hin, daß England und Frankreich nicht als unsere Gegner auftreten dürften und stellten fest, daß durch den Krieg gegen Italien das französische Heer nicht in dem Umfange gebunden sei, daß es nicht noch mit Überlegenheit an unserer Westgrenze auf den Plan treten könne. Die erstmalig an der Alpengrenze gegenüber Italien zum Einsatz gelangenden französischen Kräfte veranschlagte Generaloberst von Fritsch auf etwa 20 Divisionen, so daß immer noch eine starke französische Überlegenheit an unserer Westgrenze bliebe, der als Aufgabe nach deutschem Denken der Einmarsch in das Rheinland zu unterstellen sei, wobei noch besonders der Vorsprung Frankreichs in der Mobilmachung in Rechnung zu stellen und zu berücksichtigen sei, daß, abgesehen, von dem ganz geringen Wert unseres derzeitigen Standes der Befestigungsanlagen – worauf Feldmarschall von Blomberg besonders hinwies – die für den Westen vorgesehenen vier motorisierten Divisionen mehr oder weniger bewegungsunfähig seien. Hinsichtlich unserer Offensive nach Südosten machte Feldmarschall von Blomberg nachdrücklich auf die Stärke der tschechischen Befestigungen aufmerksam, deren Ausbau den Charakter einer Maginotlinie angenommen hätte und unseren Angriff aufs äußerste erschwere.
Generaloberst von Fritsch erwähnte, daß es gerade Zweck einer durch ihn angeordneten Studie dieses Winters sei, die Möglichkeiten der Führung der Operationen gegen die Tschechei unter besonderer Berücksichtigung der Überwindung des tschechischen Festungssystems zu untersuchen; der Generaloberst brachte ferner zum Ausdruck, daß er unter den obwaltenden Verhältnissen davon absehen müsse, seinen am 10. 11. beginnenden Auslandsurlaub durchzuführen. Diese Absicht lehnte der Führer mit der Begründung ab, daß die Möglichkeit des Konfliktes noch nicht als so nahe bevorstehend anzusehen sei.... Zu den seitens des Feldmarschalls von Blomberg und des Generalobersten von Fritsch hinsichtlich des Verhaltens Englands und Frankreichs angestellten Überlegungen äußerte der Führer in Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen, daß er von der Nichtbeteiligung Englands überzeugt sei und daher an eine kriegerische Aktion Frankreichs gegen Deutschland nicht glaube. Sollte der in Rede stehende Mittelmeerkonflikt zu einer allgemeinen Mobilmachung in Europa führen, so sei unsererseits sofort gegen die Tschechei anzutreten, sollten dagegen die am Kriege nicht beteiligten Mächte ihr Desinteresse erklä ren, so habe sich Deutschland diesem Verhalten zunächst anzuschließen.
Generaloberst Göring hielt angesichts der Ausführungen des Führers es für geboten, an einen Abbau unseres militärischen Spanien-Unternehmens zu denken. Der Führer stimmt dem insoweit zu, als er den Entschluß einem geeigneten Zeitpunkt vorbehalten zu glauben solle.
Der zweite Teil der Besprechungen befaßte sich mit materiellen Rüstungsfragen.
gez. Hoßbach.«
Wir besitzen noch andere Aufzeichnungen.
Im Zusammenhange damit lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Behauptung in Paragraph 3 (a) des Abschnitts IV (F) der Anklageschrift, auf Seite 7 des gedruckten englischen Textes, die sich auf eine Zusammenkunft einer einflußreichen Gruppe von Nazi-Verschwörern am 5. November 1937 bezieht.
Das soeben vorgelegte und zur Beweisführung vorgelesene Dokument stellt den besonders klaren Beweis für diese Behauptung dar.
Die Aufzählung dessen, was nachher folgte, ist der Geschichte wohl bekannt. Der Anschluß von Österreich unter militärischem Druck der Nazis erfolgte im März 1938. Wir werden Ihnen darüber ausführliches Beweismaterial zur gegebenen Zeit vorlegen. Ebenso werden wir Ihnen alle Einzelheiten des Angriffs auf die Tschechoslowakei vorlegen, einschließlich des auf dieses Land ausgeübten Druckes, der seine Auswirkung im Münchener Vertrag vom September 1938 hatte, ebenso die Verletzung dieses Paktes selbst durch Deutschland am 15. März 1939. Es ist viel Interessantes in den geheimen Dokumenten vorhanden, die sich auf diese Angriffe beziehen.
Hier möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf ein weiteres erbeutetes Dokument lenken, welches die Wahrheit bezüglich der Mutwilligkeit des Angriffes gegen die Tschechoslowakei in ihrer Nacktheit aufdeckt. Diese Urkunde besteht aus einem Aktenbündel, das von Oberst Schmundt, dem Adjutanten Hitlers, geführt wurde. Das Aktenbündel wurde von einer der Einheiten der 327. Luftlande-Infanterie im Keller des Platterhofes auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden gefunden. Das Bündel stellt ein Arbeitsaktenstück bestehend aus Originalen und Abschriften dar, das die Vorbereitungen des Angriffes auf die Tschechoslowakei behandelt. Ich möchte das Gericht bitten, besonders die Photokopie des deutschen Originals dieses Aktenstücks zu prüfen. Wir haben Abzüge dieser Photokopien. Etwas von der körperlichen Form des Originals geht beim Übersetzen in eine andere Sprache verloren. Das Bild des ursprünglichen Aktes, einschließlich der Kopien von Telegrammen, gibt den Eindruck der Wirklichkeit des Beweisstücks, der beim Übersetzen verloren geht. Das Aktenstück ist mit der Nummer 388-PS in unserer numerierten Dokumentenreihe bezeichnet. Ich habe hier das Original, wie es gefunden wurde.
Ich denke, ich lese vielleicht den Titel in deutscher Sprache. Er heißt: »Grundlagen zur Studie Grün«, das ist der Hauptplan für den Fall »Grün«. »Grün« bedeutet den Decknamen für den Angriff auf die Tschechoslowakei. Ich lege das gesamte Aktenbündel als Beweisstück US-26 vor und bitte, daß die Photokopien dem Gerichtshof überreicht werden. Ich biete das gesamte Dokument dem Hohen Gerichtshof unter der Voraussetzung an, daß nur jene Teile, die von mir gelesen werden, sofort als Beweismaterial angenommen werden; aber wir werden uns auf die anderen Teile später von Zeit zu Zeit in der weiteren Darlegung des Falles beziehen. Das Material in diesen Dokumenten wird von mir ausführlicher zu einem späteren Zeitpunkt meiner Ausführungen vorgebracht werden. Jedoch will ich jetzt die Aufmerksamkeit auf Punkt 2 in diesem Dokument lenken.
Punkt 2 ist vom 22. April 1938 datiert. Es ist das zweite Blatt der englischen Übersetzung. Es ist ein von dem Adjutanten Schmundt hergestellter zusammenfassender Bericht einer Sitzung vom 21. April 1938 zwischen Hitler und dem Angeklagten Wilhelm Keitel. Dieser Bericht, ebenso wie die anderen Teile dieses Dokuments, bezieht sich auf den »Fall Grün«. Wie ich eben sagte, war »Grün« ein Deckname für die geplanten Angriffe gegen die Tschechoslowakei. Die Sitzung wurde ungefähr einen Monat nach der erfolgreichen Einverleibung Österreichs abgehalten. In Anbetracht der geänderten Lage, die durch den unblutigen Erfolg gegen Österreich entstanden war, war es notwendig, den Plan »Grün« abzuändern. Ich will nun Stück 2 dieses Dokumentes vorlesen:
»Berlin, den 22. April 1938. Grundlagen zur Studie ›Grün‹. Zusammenfassung der Besprechung Führer / General Keitel am 21. April:
A. Politisch.
1. Strategischer Überfall aus heiterem Himmel ohne jeden Anlaß oder Rechtfertigungsmöglichkeit wird abgelehnt. Da Folge: Feindliche Weltmeinung, die zu bedenklicher Lage führen kann. Solche Maßnahme nur zur Beseitigung des letzten Gegners auf dem Festland berechtigt.
2. Handeln nach einer Zeit diplomatischer Auseinandersetzungen, die sich allmählich zuspitzen und zum Kriege führen.
3. Blitzartiges Handeln auf Grund eines Zwischenfalles (z. B. Ermordung des deutschen Gesandten im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration).
B. Militärische Folgerungen.
1. Zu den politischen Möglichkeiten 2) und 3) sind die Vorbereitungen zu treffen.
Fall 2) ist der unerwünschte, da »Grün« Sicherheits maßnahmen getroffen haben wird.
2. Der Zeitverlust durch die Eisenbahntransporte für die Masse der Divisionen – der unabänderlich und möglichst zu verkürzen ist – darf nicht im Augenblick des Handelns von blitzschnellem Zupacken absehen lassen.
3. Sofort sind »Teilvorstöße« zum Breschenschlagen durch die Befestigungslinie an zahlreichen Stellen und in operativ günstiger Richtung zu unternehmen. Die Vorstöße sind bis ins einzelne vorzubereiten (Kenntnis der Wege, der Angriffsobjekte, Zusammensetzung der Kolonnen, je nach bevorstehenden Aufgaben). Angriff Heer und Luftwaffe zum gleichen Zeitpunkt.
Die Luftwaffe hat die einzelnen Kolonnen zu unterstützen (z. B. Sturzbomber: Abriegeln der Werke an den Einbruchstellen. Erschwerung des Heranführens von Reserven, Zerschlagen von Nachrichtenverbindungen, dadurch Isolierung der Besatzungen).
4. Politisch sind die ersten vier Tage militärischen Handelns die entscheidenden. Bleiben durchschlagende militärische Erfolge aus, so tritt mit Sicherheit eine europäische Krise ein. Vollendete Tatsachen müssen die Aussichtslosigkeit fremden militärischen Eingreifens überzeugen, Verbündete auf den Plan rufen (Teilung der Beute!) »Grün« demoralisieren.
Daher Überbrücken des Zeitraumes zwischen erstem Einbruch und Einsatz der anzutransportierenden Kräfte durch entschlossenen, rücksichtslosen Vorstoß einer motorisierten Armee (z. B. über Pilsen an Prag vorbei).
5. Wenn möglich, Trennung der Transportbewegung »Rot« von »Grün«. »Rot« war der Deckname für die Pläne gegen den Westen. Gleichzeitiger Aufmarsch »Rot« kann »Rot« zu unerwünschten Maßnahmen veranlassen. Andererseits muß »Fall Rot« jederzeit anlaufen können.
C. Propaganda.
»1. Flugblätter für das Verhalten der Deutschen im Grünland,« das ist in der Tschechoslowakei.
»2. Flugblätter mit Drohungen zur Einschüchterung der Grünen,« das heißt der tschechoslowakischen Bevölkerung. Die Unterschrift stammt von Schmundt.
Das Gericht hat zweifellos beim Lesen dieses Dokuments besonders den Absatz 3 unter dem Titel »Politisch« beachtet, wo es heißt:
»Blitzartiges Handeln auf Grund eines Zwischenfalls, z. B. Ermordung des deutschen Gesandten im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration.« Das Dokument als Ganzes zeigt, daß die Verschwörer die Schaffung eines Zwischenfalls planten, um vor der Welt ihren Angriff auf die Tschechoslowakei zu rechtfertigen. Es wurde also, wie ich mir erlaube darzulegen, erwogen, den deutschen Gesandten in Prag zu ermorden, um den erforderlichen Zwischenfall vorzubereiten. Dies wird in Paragraph 3 (c) des Abschnitts IV (F) der Anklageschrift behauptet und befindet sich auf Seite 8 des gedruckten englischen Textes der Anklageschrift.
Als die Anklageschrift gelegentlich der Eröffnung dieses Falles verlesen wurde, schüttelte der Angeklagte Göring, als diese besondere Behauptung gemacht wurde, sein Haupt langsam und feierlich in verneinender Weise. Ich kann wohl verstehen, daß er seinen Kopf schüttelt, wenn er glauben würde, die Behauptung der Anklageschrift sei unwahr. Im Verlauf der Eröffnungsansprache von Justice Jackson, als dieselbe Angelegenheit erwähnt wurde, schüttelte der Angeklagte Göring wieder feierlich seinen Kopf. Mit dieser Behauptung steht jedoch die Anklagevertretung trotz der Leugnungen des Angeklagten Göring auf dem Boden des eben geschilderten Beweismaterials.
Ist es dem Gerichtshof angenehm, die Sitzung jetzt zu vertagen?
VORSITZENDER: Das Gericht wird sich jetzt bis 14.00 Uhr vertagen.