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Film-Vorführung.

[Das Gericht vertagt sich bis

30. November 1945, 10.00 Uhr.]

Neunter Tag.

Freitag, 30. November 1945.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Ich ersuche den Anklagevertreter der Vereinigten Staaten, das Wort zu ergreifen.

JUSTICE JACKSON: Oberst Amen wird heute Morgen für die Vereinigten Staaten sprechen.

OBERST JOHN HARLAN AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich rufe heute als ersten Zeugen der Anklage Generalmajor Erwin Lahousen auf.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof bittet mich, bekanntzugeben, daß die Aussage des Zeugen, den Sie vorzuladen wünschen, sich streng auf den Anklagepunkt, der von den Vereinigten Staaten behandelt wird, beschränken muß, nämlich Anklagepunkt 1.

OBERST AMEN: Darf ich einen Augenblick Zeit erbitten, um dies mit dem Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten zu besprechen?

VORSITZENDER: Ja, selbstverständlich.

DR. NELTE: Herr Präsident, meines Wissens war zwischen der Anklagebehörde und der Verteidigung eine Vereinbarung getroffen, wenn immer möglich vorher bekanntzugeben, was am nächsten Tage verhandelt werden soll. Der klare Zweck dieser, wie mir scheint, vernünftigen Vereinbarung war, den Verteidigern die Möglichkeit zu geben, über die bevorstehenden Fragen mit den Angeklagten zu sprechen und dadurch den glatten und raschen Verlauf des Prozesses sicherzustellen.

Ich habe nicht gehört, daß heute der Zeuge Lahousen von der Anklagebehörde eingeführt werden soll; auch nicht, über welche Fragen er verhört werden soll. Es wäre dies auch deshalb besonders wichtig, weil wir heute, wie ich glaube, den Zeugen Lahousen nicht über Fragen hören sollen, die im Zusammenhang mit dem Vortrag der Anklagebehörde in den letzten Tagen stehen.

VORSITZENDER: Das ist das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt, daß der Zeuge auf Aussagen beschränkt werden soll, die sich auf Anklagepunkt 1 beziehen, welcher bis heute als einziger. Punkt besprochen worden ist.

DR. NELTE: Meint der Herr Präsident in diesem Zusammenhang, daß der Verteidigung, um die Möglichkeit zu haben, den Zeugen auch im Kreuzverhör zu vernehmen, die Möglichkeit gegeben wird, nach der Vernehmung durch die Anklagebehörde in einer Pause mit den Angeklagten zu sprechen, damit sie wissen, welche Fragen sie zu stellen haben?

Der Zeuge Lahousen war, soviel ich mich entsinne, in dem bisherigen Vortrag der Anklagebehörde nicht erwähnt.

VORSITZENDER: Ist das alles, was Sie zu sagen haben?

DR. NELTE: Jawohl.

VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof möchte gern den Vertreter der Vereinigten Staaten über die vom Verteidiger des Angeklagten Keitel erwähnte Vereinbarung hören, dahingehend, daß das, was am nächsten Tage besprochen werden soll, vorher den Verteidigern der Angeklagten mitgeteilt werde.

JUSTICE JACKSON: Ich kenne keine Vereinbarung, die besagt, daß den Verteidigern der Angeklagten über irgendeinen Zeugen oder dessen Aussage Mitteilung zu machen sei; ich würde auch keine solchen treffen wollen. Aus Sicherheitsgründen können wir die Namen der Zeugen den Verteidigern vorher nicht nennen; ich brauche das nicht weiter zu erläutern.

Ich bin auch sicher, daß wir ihnen mitgeteilt haben, sie würden über alles Dokumentenmaterial unterrichtet werden; ich glaube, das wurde eingehalten. Wenn es sich jedoch um Zeugen handelt, so ist eine praktische Erwägung maßgebend. Diese Zeugen sind nicht immer Gefangene. Sie müssen in etwas anderer Art behandelt werden als Gefangene, und die Wahrung ihrer Sicherheit ist von größter Bedeutung, da wir diesen Prozeß geradezu in der Hochburg des Nazitums durchführen, mit dem einige Verteidiger identifiziert wurden.

VORSITZENDER: Ich glaube, das genügt, Justice Jackson. Wenn Sie dem Gerichtshof sagen, daß eine solche Vereinbarung nicht besteht, so wird der Gerichtshof dies natürlich akzeptieren.

JUSTICE JACKSON: Mir ist in dieser Hinsicht in Bezug auf Zeugen nichts bekannt. Das bezieht sich auch auf Dokumente. Es ist sehr schwierig für uns, den genauen Sinn des vom Gerichtshof soeben bekanntgegebenen Entscheids zu erkennen. Punkt 1 der Anklageschrift stellt einen Verschwörungspunkt dar, der den ganzen materiellen Inhalt der Anklage deckt. Es bestehen natürlich gewisse sich überschneidende Probleme, von denen ich annahm, daß sie von der Anklagevertretung bis heute Morgen ausgearbeitet worden sind.

Wenn man eine Verschwörung in einem Prozeß behandelt, so ist es unmöglich, die Tatsache unerwähnt zu lassen, daß die Handlung, die das Ziel der Verschwörung war, ausgeführt wurde. Es ist dies in der Tat ein Bestandteil des Beweismaterials über die Verschwörung. Ich glaube, ich brauche mich nicht ausführlich über den weiten Umfang des Beweismaterials in einem Verschwörungsfalle. zu äußern. Es wäre vielleicht das beste, den Zeugen zu vereidigen. Wenn die anderen Anklagevertreter das Gefühl haben, man dringe in ihr Gebiet ein, oder wenn die Richter der Ansicht sind, wir gingen zu weit, sollen sie spezielle Einwendungen erheben; denn ich weiß nicht, wie wir Anklagepunkt 1 von den anderen Punkten trennen können, besonders von einem Augenblick zum anderen. Wir haben unser möglichstes getan, um ein Übereinkommen auszuarbeiten, das uns und den anderen Anklagevertretern gerecht wird; aber es ist uns unmöglich, es immer jedem recht zu machen.

Mit größter Achtung vor dem Entscheid des Gerichtshofs möchte ich vorschlagen, daß wir fortfahren. Ich weiß zwar nicht genau, wie weit der Gerichtsentscheid geht, aber wir können das wohl nur dadurch ermitteln, daß wir fortfahren und besondere Einwendungen in besonderen Fällen erheben, wenn jemand das Empfinden hat, es läge eine Überschreitung vor. Ich möchte dabei unsere größte Achtung vor dem Entscheid betonen; möglicherweise könnten wir aber damit in Konflikt geraten, weil es schwer ist, in dieser Sache die Grenzen zu ziehen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer?

DR. STAHMER: Herr Präsident, ich muß nochmals auf die von Dr. Nelte aufgeworfene Frage zurückkommen, nämlich seine Behauptung, daß vor Beginn des Prozesses zwischen der Verteidigung und der Anklagebehörde eine Vereinbarung getroffen sei, daß jeweils am Tage zuvor die Verteidigung über das Programm des nächsten Verhandlungstages unterrichtet werden soll. Eine solche Vereinbarung ist tatsächlich getroffen, und ich kann nicht verstehen, daß diese Vereinbarung nicht zur Kenntnis der Anklagebehörde gelangt ist. Wir haben in einer Besprechung erwogen, daß dieser Weg gangbar wäre und eingeschlagen werden solle, wie uns Dr. Kempner, unser Verbindungsmann, versicherte. Ich habe darum ferner noch auf das Folgende hinzuweisen:

Es wurde von der Anklagebehörde erklärt, daß aus Sicherheitsgründen der Verteidigung Zeugen, die am nächsten Tage verhört werden sollen, am Tage vorher nicht namhaft gemacht werden können. Die Presse war jedoch bereits gestern über die Zeugen unterrichtet, die heute verhört werden sollen; das haben wir heute Morgen durch Pressevertreter erfahren und, soviel ich weiß, steht das auch heute bereits in der Zeitung. Mir ist auch nicht verständlich, warum uns eine solche Mitteilung vorenthalten werden sollte, da aus Sicherheitsgründen uns solche Mitteilungen nicht gemacht werden dürften. Mir scheint, daß dies ein unberechtigtes Mißtrauen gegen die Verschwiegenheit der Verteidigung bedeutet. Es ist ferner nicht richtig, daß uns die Dokumente jetzt rechtzeitig zugestellt werden. Wir bekommen diese Dokumente auch heute noch verspätet. Heute Morgen erst ist uns z.B. eine Urkunde auf den Platz gelegt worden, über die heute gesprochen werden soll und überdies noch in einer Sprache, die viele Verteidiger nicht verstehen, weil sie nicht Englisch können.

Da ich der Anklagebehörde einen Antrag über diese Beschwerde bereits schriftlich überreicht habe, möchte ich den Gerichtshof bitten, möglichst bald darüber eine Entscheidung zu treffen.

VORSITZENDER: Sind Sie fertig?

DR. STAHMER: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Es ist richtig, daß der Name des Zeugen, der heute vorgeladen werden soll, der Presse genannt wurde. Die Frage unserer Methode, die Namen von Zeugen bekanntzugeben, wurde mir gestern abend nach Gerichtsschluß unterbreitet, denn bis jetzt haben wir von Zeugen noch keinen Gebrauch gemacht; und ich erklärte Oberst Storey daraufhin, daß die Namen von Zeugen den Verteidigungsanwälten aus Sicherheitsgründen nicht gegeben werden dürfen. Ich glaube, er hat das Dr. Dix mitgeteilt. Ich habe dann später gehört, daß sie der Presse gegeben wurden. Daher haben sie natürlich über diesen Zeugen hinreichend Bescheid gewußt. Doch ich spreche jetzt über die Methode. Wir können uns nicht verpflichten, den Verteidigern die Namen der Zeugen, die aufgerufen werden, und die hier in Nürnberg sind, sich aber nicht im Gefängnis befinden, mitzuteilen. Die Lage läßt das nicht zu; wir können auch keine Abschriften und Aussagen der Zeugen oder ähnliches im voraus geben. Wir wollen den Verteidigern alles geben, was sie zu einer gerechten Durchführung des Prozesses haben sollten. Sie erhalten jetzt in mancher Hinsicht schon viel mehr als das, was ein Bürger der Vereinigten Staaten in einem Prozeß vor den Gerichten der Vereinigten Staaten erhält, was Vorausmitteilungen, Abschriften, Hilfskräfte und Dienstleistungen betrifft. Ich glaube, es wäre nicht richtig, von uns zu verlangen, ihnen im voraus entweder die Namen oder den Inhalt einer Aussage – der Inhalt würde oftmals den Zeugen preisgeben – zu enthüllen. Es wurde gestern erklärt, daß wir heute einen Zeugen verhören würden.

VORSITZENDER: Wir hörten bereits zwei Vertreter der Verteidigung. Haben Sie noch etwas Neues zu den Aussagen derselben hinzuzufügen?

DR. DIX: Ja. Ich glaube, daß ich ein Mißverständnis aufklären und damit zur Vereinfachung der Situation beitragen kann. Darf ich mich nun an den Hohen Gerichtshof wenden. Ich glaube, daß hier ein Mißverständnis vorliegt. Die Lage ist zuletzt folgende: Soweit ich informiert bin, ich weiß nicht, was in meiner Abwesenheit erörtert wurde, ist die Lage die folgende: Obgleich Verhandlungen geführt wurden, ist eine Vereinbarung zwischen der Anklagebehörde und der Verteidigung nicht zustande gekommen. Vielmehr liegt, wie der Herr Vorsitzende weiß, nur eine Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Dokumente vor, eine Entscheidung, die bekannt ist, und die ich deshalb nicht zu wiederholen brauche. Was Zeugen anbelangt, so glaube ich voraussetzen zu dürfen, daß zwischen uns allen Einigkeit darüber besteht, daß der Wunsch der Verteidigung, vorher zu erfahren, welche Zeugen erscheinen, berechtigt ist.

Das Hohe Gericht muß darüber entscheiden, wie weit diesem an sich berechtigten Wunsch aus Sicherheitsgründen nicht stattgegeben werden kann. Das sind Dinge, die nicht von der Verteidigung entschieden werden können. Aber ich glaube, Justice Jackson darin richtig verstanden zu haben, daß, wenn der Presse Mitteilung gemacht wird, welche Zeugen am nächsten Tage erscheinen, dann selbstverständlich dieselbe Mitteilung auch den Verteidigern gleichzeitig zugehen müßte. Es war nur eine unglückliche Verkettung von Umständen, die jederzeit eintreten kann, und die bei gegenseitigem guten Willen in Zukunft vermieden werden könnte. Ich sagte schon, daß ich nicht weiß, was vor meiner Zeit vereinbart worden ist, und daß ich deshalb meinem Kollegen Dr. Stahmer in diesem Punkte nicht widersprechen kann. Ich halte es aber für möglich, daß das Mißverständnis dadurch entstanden ist, daß auf Anordnung des Gerichts uns die Dokumente 48 Stunden vorher übergeben werden sollten, und daß auch der Film uns vorher gezeigt werden sollte. Dies gab meinem Kollegen den Eindruck, der, wie ich glaube, gerechtfertigt ist, daß alles derartige uns unterbreitet werden sollte. Selbstverständlich erwarten wir nicht, den Inhalt der Zeugenaussage zu erfahren. Nach dieser Klarstellung möchte ich nun die Bitte aussprechen, daß uns in Zukunft mitgeteilt wird, welcher Zeuge gerufen wird, sobald dies möglich ist, und dieser Bitte die weitere Bitte hinzufügen, doch die Sicherheitserwägungen von dem Gedanken tragen zu lassen, daß es sich hier um eine zuverlässige Verteidigerbank handelt, deren Mitglieder alle entschlossen und fähig sind, durch diszipliniertes Verfahren dem Gericht bei der Findung des Rechtsspruches zu helfen; und daß in Zukunft die Fälle, in welchen der Sicherheitsoffizier glaubt, daß er uns den Namen des Zeugen nicht vorher mitteilen kann, sich auf unbedingt notwendige Fälle beschränken sollen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Anträge, die im Namen der Verteidigung gestellt worden sind, bezüglich der Dinge, die ihnen mitgeteilt und der, die ihnen nicht mitgeteilt werden sollen, erwägen. Die Vereinigten Staaten dürfen jetzt den Zeugen aufrufen, den sie aufrufen wollen. Bezüglich meiner Bemerkung, daß der Zeuge seine Aussagen auf Anklagepunkt 1 beschränken soll, denkt der Gerichtshof, es wäre am besten, wenn die anderen Ankläger jetzt Gelegenheit hätten, irgendwelche Fragen zu stellen, die sie für richtig halten, und daß sie, wenn sie es wünschen, Gelegenheit haben sollen, den Zeugen später für ihre eigenen Anklagepunkte zu laden.

Was das Kreuzverhör durch die Verteidiger der Angeklagten betrifft, so wird ihnen dieses auf die ihnen möglichst genehme Weise gestattet werden, damit sie, wenn sie wünschen mit ihren Klienten vor dem Kreuzverhör zu sprechen, dazu Gelegenheit haben. Jetzt werden wir fortsetzen.

OBERST AMEN: Können wir nun General Lahousen dem Gerichtshof vorführen?

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE ERWIN LAHOUSEN: Erwin Lahousen.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren Namen buchstabieren?

LAHOUSEN: L-a-h-o-u-s-e-n.

VORSITZENDER: Wollen Sie, bitte, diesen Eid nachsprechen: Ich schwöre bei Gott – dem Allmächtigen und Allwissenden – daß Ich die reine Wahrheit sprechen werde – und nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.