[Herr Dubost macht ein verneinendes Zeichen.]
DR. VON ROHRSCHEIDT: Darf ich einige Worte zum Gericht sprechen, um meinen Standpunkt nochmals klar zu machen?
1. In tatsächlicher Hinsicht, der Angeklagte Heß ist nach den übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen nicht geisteskrank; es liegt also nicht eine Störung seiner geistigen Fähigkeit vor;
2. der Angeklagte Heß leidet an einer Amnesie, die sämtliche Gutachter als vorhanden zugeben, wobei lediglich in den Gutachten ein Unterschied gemacht wird, ob die Amnesie eine pathologische oder psychogene oder hysterische. Grundlage hat. Darin sind sich jedoch alle Gutachter einig, daß die Amnesie auf krankhafter Basis seiner geistigen Tätigkeit beruht. Also das Ergebnis ist, daß der Angeklagte zwar nicht geisteskrank ist, wohl aber einen geistigen Defekt hat. Daraus ergibt sich meines Erachtens erstens rechtlich, der Angeklagte kann sich nicht darauf berufen, daß er für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, denn er ist gerade zur Zeit der Ausführung der ihm zur Last gelegten Taten sicherlich nicht geisteskrank gewesen. Er kann also zur Verantwortung gezogen werden. Eine andere Frage ist es aber, wenigstens nach deutschem Recht, ob der Angeklagte zur Zeit in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, das heißt, ob er verhandlungsfähig ist, und diese Frage ist meines Erachtens auf Grund der ärztlichen Sachverständigenberichte, wie ich mir auszuführen erlaubt habe, zu verneinen. Er ist nicht verhandlungsfähig.
Ich gebe zu, daß Zweifel möglich sind. Vielleicht hat das Gericht Zweifel, ob die Antworten der Gutachter genau genug sind, den Schluß zuzulassen, daß der Angeklagte in der Fähigkeit, sich zu verteidigen, tatsächlich beschränkt ist, und daß er, wie das Gericht vielleicht mit Absicht erklärt hat, sich nicht »angemessen« verteidigen kann. Ich glaube, daß das Gewicht auf diesen letzten Punkt zu legen ist.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Amnesie, also der Gedächtnisschwund, den die Gutachter allgemein bejahen, derartig ist, daß er eine angemessene Verteidigung nicht vornehmen kann. Es mag sein, daß er in dem einen oder dem anderen Punkt sich verteidigen kann, daß er in dem einen oder anderen Falle vielleicht auch Einwendungen erheben kann, daß er überhaupt dem Verlauf der Verhandlungen, rein äußerlich gesehen, folgen kann. Aber auch dann könnte seine Verteidigung nicht angemessen genannt werden, und wäre nicht vergleichbar mit der einer Person, die sich im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten befindet.
Ich erlaubte mir, schon auszuführen, daß der Angeklagte Heß mir gegenüber geäußert hat, er möchte der Verhandlung beiwohnen, weil er sich nicht verhandlungsunfähig fühlt. Darauf kommt es aber nach Ansicht der Verteidigung nicht an. Das ist eine Frage, die das Gericht zu prüfen hat. Die Ansicht des Angeklagten ist dabei unmaßgeblich.
Hinsichtlich der Folge, die der Herr Vertreter der amerikanischen Staatsanwaltschaft daraus zieht, daß der Angeklagte es ablehnte, sich der von den Ärzten vorgeschlagenen Narkotherapie zu unterziehen, ist zu sagen, daß es sich hier nicht um eine Widerspenstigkeit handelt. Wie Heß mir glaubhaft versicherte, hat er sie abgelehnt, weil er befürchtete, daß die intravenösen Einspritzungen gerade jetzt bei seiner geschwächten Konstitution ihn außerstande setzen könnten, den Verhandlungen zu folgen, was gerade nicht in seiner Absicht liegt. Zweitens, wie ich mir erlaubte auszuführen, hält er sich für gesund und sagt, ich brauche ja keine intravenösen Einspritzungen, ich werde gesund werden im Laufe der Zeit. Drittens darf ich noch bemerken, daß Heß mir gesagt hat, er habe eine innere Abneigung gegen eine derartige Behandlung mit Medikamenten. Das beruht insofern auf Wahrheit, als sich der Angeklagte Heß in der unglücklichen Zeit des Nationalsozialismus immer für Naturheilmethoden eingesetzt hat. Er gründete sogar das Rudolf-Heß-Krankenhaus in Dresden, das nach den Grundsätzen der Naturheilkunde und nicht der Medizin arbeitete.
JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof, darf ich eine Bemerkung machen?
VORSITZENDER: Ja.
JUSTICE JACKSON: Dieses Argument veranschaulicht, auf welch verschiedene Weise sein Gedächtnis arbeitet, wie ich vorher erwähnte. Heß kann anscheinend seinen Verteidiger über seine Haltung zu dieser besonderen Frage während des nationalsozialistischen Regimes informieren. Sein Verteidiger ist imstande, uns die Ansicht von Heß über medizinische Dinge während des nationalsozialistischen Regimes zu erzählen, aber wenn wir ihn über Teilnahme an Dingen fragen, die ein verbrecherisches Ansehen haben, wird das Gedächtnis von Heß schlecht. Ich hoffe, daß der Gerichtshof die Feststellung der Dinge, an die er sich gut erinnert, nicht übersehen hat.
DR. VON ROHRSCHEIDT: Darf ich eine Berichtigung vorbringen?
VORSITZENDER: Es ist nicht üblich, dem Verteidiger eine zweite Antwort zu gestatten, aber da Justice Jackson noch einmal das Wort ergriffen hat, werden wir auch anhören, was Sie zu sagen haben.
DR. VON ROHRSCHEIDT: Darf ich das vielleicht richtigstellen? Ich möchte nur bemerken, daß ich mißverstanden wurde. Nicht der Angeklagte hat mir gesagt, daß er Anhänger der Naturheilkunde gewesen ist, sondern ich habe dies aus meiner eigenen Kenntnis festgestellt. Ich sagte dies aus meiner Erfahrung, um aufzuzeigen, daß der Angeklagte eine instinktive Abneigung gegen medizinische Eingriffe hat. Meine Bemerkung war keineswegs auf dem Erinnerungsvermögen des Angeklagten Heß basiert, sondern auf Grund einer Tatsache, die ich aus meiner Kenntnis weiß.
VORSITZENDER: Herr Dr. von Rohrscheidt, der Gerichtshof würde gerne, wenn Sie es für richtig halten, die Ansichten des Angeklagten Heß in dieser Frage hören.
DR. VON ROHRSCHEIDT: Selbstverständlich habe ich als Verteidiger nichts dagegen, und es entspricht, glaube ich, dem Wunsche des Angeklagten, ihn selbst zu hören. Dann wird das Gericht auch in der Lage sein, zu beurteilen, in welcher Verfassung sich der Angeklagte befindet.
VORSITZENDER: Er kann erklären, ob er sich für verhandlungsfähig hält.
HESS: Herr Präsident, ich möchte das Folgende sagen: Zu Anfang der Verhandlung heute Nachmittag gab ich dem Verteidiger einen Zettel, auf dem ich meine Meinung dahingehend ausdrückte, daß die Verhandlung abgekürzt werden könnte, würde man mir zu sprechen gestatten. Was ich zu sagen wünsche, ist das Folgende: Um vorzubeugen, daß ich für verhandlungsunfähig erklärt werde, obwohl ich an den weiteren Verhandlungen teilzunehmen und mit meinen Kameraden gemeinsam das Urteil zu empfangen wünsche, gebe ich dem Gericht nachfolgende Erklärung ab, obwohl ich sie ursprünglich erst zu einem späteren Zeitpunkte des Prozesses abgeben wollte:
Ab nunmehr steht mein Gedächtnis auch nach außen hin wieder zur Verfügung. Die Gründe für das Vortäuschen von Gedächtnisverlust sind taktischer Art. Tatsächlich ist lediglich meine Konzentrationsfähigkeit etwas herabgesetzt. Dadurch wird jedoch meine Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen, mich zu verteidigen, Fragen an Zeugen zu stellen oder selbst Fragen zu beantworten, nicht beeinflußt.
Ich betone, daß ich die volle Verantwortung trage für alles, was ich getan, unterschrieben oder mitunterschrieben habe.
Meine grundsätzliche Einstellung, daß der Gerichtshof nicht zuständig ist, wird durch obige Erklärung nicht berührt.
Ich habe bisher auch meinem Offizialverteidiger gegenüber den Gedächtnisverlust aufrechterhalten. Er hat ihn daher guten Glaubens vertreten.
VORSITZENDER: Die Verhandlung wird vertagt.