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OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe soeben das Angebot Hitlers an die Britische Regierung verlesen. Es war TC-72, Nummer 68, und wird GB-65. Die Britische Regierung war sich natürlich nicht des wirklichen Zieles dieser Botschaft bewußt, und erklärte sich guten Glaubens am 28. August schriftlich dazu bereit, in Verhandlungen einzutreten. Sie stimmte mit Hitler überein, daß die Meinungsverschiedenheiten ausgeglichen werden sollten.
Ich zitiere vom 4. Absatz:
»Nach Ansicht Seiner Majestät Regierung könnte und sollte eine vernünftige Lösung der Differenzen zwischen Deutschland und Polen auf dem Wege der Vereinbarung zwischen den beiden Nationen erzielt werden auf einer Grundlage, die die Sicherstellung der wesentlichen Interessen Polens einbeziehen würde, und Seiner Majestät Regierung erinnert sich, daß der Herr Reichskanzler in seiner Rede am 28. April die Wichtigkeit dieser Interessen für Polen anerkannt hat.
Wie jedoch der Britische Premierminister in seinem Schreiben vom 22. August an den Herrn Reichskanzler zum Ausdruck brachte, ist es nach Ansicht Seiner Majestät Regierung unerläßlich für den Erfolg der Besprechungen, die der Vereinbarung vorangehen würden, daß es im voraus feststünde, daß ein zu erzielendes Abkommen von anderen Mächten garantiert werden würde. Seiner Majestät Regierung würde bereit sein, wenn der Wunsch dazu ausgesprochen werden sollte, zu der wirksamen Durchführung einer solchen Garantie beizutragen.«
Ich komme nun zum letzten Absatz dieser Seite, Absatz 6:
»Seiner Majestät Regierung hat ihre eigene Haltung gegenüber den besonderen zwischen Deutschland und Polen strittigen Angelegenheiten erschöpfend zum Ausdruck gebracht. Sie vertraut darauf, daß der Herr Reichskanzler nicht glauben wird, daß Seiner Majestät Regierung, weil sie ihre Verpflichtung gegenüber Polen genau nimmt, aus diesem Grunde nicht bestrebt ist, ihren ganzen Einfluß für das Zustandekommen einer sowohl Deutschland wie Polen befriedigenden Lösung einzusetzen.«
Das hat natürlich die deutschen Hoffnungen schwer erschüttert. Ihre Tricks und Bestechungen hatten nicht den Erfolg gehabt, England von seinen Verpflichtungen gegenüber Polen abzubringen; es war nunmehr nun eine Frage, wie sie so schnell wie möglich aus ihrer Verwirrung herauskommen und doch soweit wie möglich das Gesicht wahren könnten. Das letzte Dokument wird GB-66. Ich lege ferner Sir Nevile Hendersons Bericht über diese Unterredung vor, TC-72, Nr. 75, das GB-67 wird.
Die einzige Bedeutung dieser Unterredung bestand darin, daß Sir Nevile Henderson wiederum die Haltung Englands betonte, daß England in jedem Falle entschlossen sei, seine Verpflichtungen gegenüber Polen zu erfüllen. Ich möchte einen Absatz zitieren, der angesichts der folgenden Briefe Interesse verdient. Absatz 10:
»Schließlich stellte ich ihm zwei direkte Fragen: ›War er bereit, direkt mit Polen zu verhandeln?‹ und ›War er willens, die Frage eines Bevölkerungsaustausches zu erörtern?‹ Er bejahte die letztere Frage, obwohl ich keinen Zweifel habe, daß er gleichzeitig an eine Grenzberichtigung dachte. Bezüglich der ersten Frage sagte er, er könne mir keine Antwort geben, bevor er nicht die Antwort der Regierung Seiner Majestät die ihr gebührende Aufmerksamkeit gewidmet hätte. In diesem Zusammenhang sagte er zu Herrn von Ribbentrop: ›Wir müssen Feldmarschall Göring rufen und es mit ihm erörtern.‹«
Im nächsten Absatz wiederholte Sir Nevile Henderson feierlichst den Hauptpunkt des ganzen Gespräches, soweit es ihn anging. Ich gehe nun auf das nächste Dokument über, TC-72, Nummer 78, das GB-68 wird.
Die deutsche Antwort wurde, wie ich vorher zeigte, Sir Nevile Henderson am 29. August um 19.15 Uhr überreicht. Die Antwort setzt sich mit dem Vorschlag, der von der Britischen Regierung in ihrer vorausgegangenen Note übermittelt worden war, auseinander und besagt weiterhin, daß die Deutsche Regierung bereit sei, Besprechungen auf der Grundlage aufzunehmen, daß der ganze Korridor sowie Danzig dem Reich angegliedert würden. Insbesondere möchte ich den vorletzten Abschnitt auf der ersten Seite des Dokuments zitieren:
»Die Forderung der Deutschen Reichsregierung entspricht der von Anfang an als notwendig erkannten Revision des Versailler Vertrages in diesem Gebiete; Rückkehr von Danzig und dem Korridor an Deutschland, Sicherung des Lebens der deutschen Volksgruppen in den restlich Polen verbleibenden Gebieten.«
Wie ich vorher betont habe, ist dieses Recht erst jetzt als seit langem bestehend geltend gemacht worden. Am 28. April richteten sich seine Forderungen nur auf Danzig, eine Autobahn und die Eisenbahn.
Der Gerichtshof wird sich der Lage erinnern, aus der Hitler damals herauszukommen versuchte. Er trachtete danach, sich eine Rechtfertigung zu verschaffen, indem er Vorschläge machte, die weder Polen noch Großbritannien unter keinen Umständen annehmen konnten. Aber, wie ich vorher sagte, wollte er sich doppelt sichern.
Ich gehe nun zur zweiten Seite über und beginne mit dem dritten Absatz:
»Die Britische Regierung erachtet zwei Erwägungen für wichtig:
1. daß durch direkte Verhandlungen schnellstens die vorhandene Gefahr einer drohenden Explosion beseitigt wird, und
2. daß der Existenz des im übrigen dann fortbestehenden Polnischen Staates durch internationale Garantien wirtschaftlich und politisch die notwendige Sicherung gegeben wird.
Die Deutsche Reichsregierung hat dazu folgende Erklärung abzugeben:
Trotz ihrer skeptischen Beurteilung der Aussichten solcher direkten Besprechungen will sie dennoch den englischen Vorschlag akzeptieren und in diese eintreten. Sie tut dies ausschließlich unter dem Eindruck der – wie schon betont – ihr zugegangenen schriftlichen Mitteilung der Königlich Britischen Regierung, daß auch diese ein Freundschaftsabkommen unter Zugrundelegung der dem Botschafter Henderson gegebenen Anhaltspunkte wünscht.«
Nun gehe ich zu dem vorletzten Absatz über:
»Im übrigen hat die Deutsche Reichsregierung bei ihren Vorschlägen nie die Absicht gehabt, lebenswichtige Interessen Polens anzugreifen oder die Existenz eines unabhängigen Polnischen Staates in Frage zu stellen.«
Diese Briefe hören sich wirklich mehr wie die Briefe eines gemeinen Schwindlers und nicht wie die der Regierung einer großen Nation an.
»Die Deutsche Reichsregierung ist unter diesen Umständen damit einverstanden, die vorgeschlagene Vermittlung der Königlich Britischen Regierung zur Entsendung einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen Persönlichkeit nach Berlin anzunehmen. Sie rechnet mit dem Eintreffen dieser Persönlichkeit für Mittwoch, den 30. August 1939.
Die Reichsregierung wird die Vorschläge einer für sie akzeptablen Lösung sofort ausarbeiten und diese, wenn möglich, bis zur Ankunft des polnischen Unterhändlers auch der Britischen Regierung zur Verfügung stellen,«
Das war am 29. August, abends 7.15 Uhr. Es war, wie ich schon ausgeführt habe, nur wenig Zeit übrig, um den polnischen Unterhändler bis Mitternacht der folgenden Nacht dorthin gelangen zu lassen. Dieses Dokument ist GB-68.
Das nächste Dokument, Sir Nevile Hendersons Bericht, faßt zusammen, was in der Zwischenzeit geschehen war; ich zitiere besonders Abschnitt 4:
»Ich bemerkte, daß diese Ausdrucksweise« – gemeint ist der Satz, daß der polnische Unterhändler bis Mitternacht der folgenden Nacht erscheinen müsse – »wie ein Ultimatum klinge.
Aber nach einigen hitzigen Bemerkungen versicherten mir Herr Hitler sowohl wie Herr von Ribbentrop, es wäre lediglich beabsichtigt, die Dringlichkeit der Lage zu betonen, da sich zwei völlig mobilisierte Heere gegenüberständen.«
Dies war die Unterredung am Abend des 29. August. Dieses letzte Dokument wird GB-69.
Die Britische Regierung antwortete wieder und Sir Nevile Henderson überreichte diese Antwort Ribbentrop bei der berühmten Zusammenkunft um Mitternacht des 30. August, zu der Zeit, als der polnische Unterhändler erwartet wurde. Ich brauche die Einzelheiten nicht zu verlesen. Die Britische Regierung drückte wiederholt den Wunsch nach besseren Beziehungen aus. Sie betone aber nochmals, daß sie die Interessen ihrer anderen Freunde nicht opfern könne, um eine Verbesserung der Lage zu erreichen. Sie glaube, annehmen zu dürfen, so heißt es weiter, daß die Deutsche Regierung die Bedingung annimmt, daß die Regelung zum Gegenstand einer internationalen Garantie gemacht werden sollte. Sie mache einen Vorbehalt hinsichtlich der von den Deutschen in ihrem letzten Brief angemeldeten Forderungen und werde sofort die Polnische Regierung über diese verständigen; und schließlich glaube sie zu verstehen, daß die Deutsche Regierung zur Zeit die Vorschläge ausarbeitet. Dieses Dokument, TC-72, Nr. 89, wird GB-70.
Um den Bericht über die Unterredung zu finden, gehen wir zu dem nächsten Dokument im Dokumentenbuch des Gerichtshofs über, nämlich zu TC-72, Nr. 92, GB-71. Der Bericht ist nicht sehr lang; es lohnt sich, ihn ganz zu verlesen.
»Ich teilte heute Abend Herrn von Ribbentrop mit, daß es der Regierung Seiner Majestät schwer fiele, der Polnischen Regierung anzuraten, die in der deutschen Antwort skizzierte Methode in Anwendung zu bringen, und schlug vor, man solle sich der normalen Fühlungnahme bedienen, d.h. wenn die deutschen Vorschläge vorlägen, solle man den Polnischen Botschafter rufen lassen und sie ihm zur Übermittlung an seine Regierung überreichen, so daß sofort Verhandlungen eröffnet werden könnten. Ich fügte hinzu, daß, wenn sich auf dieser Grundlage eine Beilegungsmöglichkeit voraussehen lasse, man damit rechnen könne, daß die Regierung Seiner Majestät sich in Warschau verwenden würde, um Verhandlungen hinauszuzögern. Herrn von Ribbentrops Antwort bestand darin, daß er ein langes Dokument laut mit Höchstgeschwindigkeit in deutscher Sprache vorlas. Unter der irrigen Meinung, daß er es schließlich mir überhändigen würde, machte ich keinen Versuch, den ungefähr 16 Artikeln, die es enthielt, genauer zu folgen. Obgleich ich mich deshalb nicht für ihre Genauigkeit verbürgen kann, waren die Kernpunkte wie folgt...«
Ich halte es nicht für nötig, die Hauptpunkte zu verlesen und gehe daher zum 3. Absatz über.
»Als ich Herrn von Ribbentrop bat, mir im Sinne der gestrigen deutschen Antwort den Wortlaut dieser Vorschläge zu übergeben, behauptete er, es sei nun zu spät, da der polnische Bevollmächtigte bis Mitternacht nicht in Berlin eingetroffen sei.
Ich wandte ein, daß diese Behandlung des Falles bedeute, daß die Aufforderung, ein polnischer Vertreter solle am 30. August nach Berlin kommen, tatsächlich, trotz seiner und Herrn Hitlers gestrigen Versicherungen, einem Ultimatum gleichzusetzen sei. Er stritt dies ab und sagte, meine Idee eines Ultimatums sei ein Hirngespinst. Ich fragte, warum er denn dann nicht normale Methoden einschlagen und mir eine Kopie der Vorschläge aushändigen und den Polnischen Botschafter zu sich bitten könnte, genau wie Herr Hitler mich vor einigen Tagen zu sich gebeten hatte, um ihm die Vorschläge zur Weiterleitung an die Polnische Regierung zu überreichen. In der schroffsten Weise sagte Herr von Ribbentrop, er werde den Botschafter niemals zu sich bitten. Er ließ durchblicken, daß, wenn der Polnische Botschafter um eine Unterredung einkäme, das vielleicht etwas anderes sei. Ich sagte, ich würde natürlich meine Regierung sofort hiervon benachrichtigen, worauf er entgegnete, es wären dies nur seine persönlichen Ansichten und er würde alles, was ich gesagt hätte, Herrn Hitler mitteilen. Der Reichskanzler müsse ent scheiden.
Damit gingen wir auseinander, aber ich muß Ihnen mitteilen, daß Herr von Ribbentrop in seinem ganzen Auftreten während dieser unerfreulichen Unterredung Hitler in seinen übelsten Zügen nachäffte. Beiläufig hetzte er gegen die polnische Mobilisation, aber ich erwiderte, dies sei kaum erstaunlich, da Deutschland, wie Herr Hitler es selbst gestern mir gegenüber zugegeben habe, auch mobilisiert habe.«
Wie dem auch sei, Sir Nevile Henderson wußte damals nicht, daß Deutschland einige Tage zuvor auch schon den Befehl, Polen anzugreifen, gegeben hatte. Am folgenden Tage, dem 31. August, um 6.30 Uhr abends, hatte der Polnische Botschafter, Herr Lipski, eine Unterredung mit Herrn von Ribbentrop. Dieses Dokument, das nächste Dokument, TC-73, Nr. 112, wird GB-72. Es ist ein kurzer Bericht aus einer Meldung an Herrn Beck.
»Ich führte meine Weisungen aus. Herr von Ribbentrop fragte, ob ich besondere Vollmachten habe, diese Verhandlungen zu führen. Ich verneinte. Er fragte mich, ob mir bekannt sei, daß auf den englischen Vorschlag hin die Deutsche Regierung sich bereit erklärt habe, mit einem mit den nötigen Vollmachten ausgestatteten Vertreter der Polnischen Regierung direkt zu verhandeln, und daß dieser am vorhergehenden Tage, dem 30. August, hätte eintreffen sollen. Ich erwiderte, ich besäße keine direkten Informationen auf diesem Gebiete. Abschließend wiederholte Herr von Ribbentrop, er sei der Meinung gewesen, ich sei zu Verhandlungen bevollmächtigt. Er würde mein Vorsprechen dem Reichskanzler mitteilen.«
Wie ich schon angedeutet hatte, war es zu spät. Die Befehle zum Einmarsch waren an diesem Tage der deutschen Armee bereits gegeben worden.
Ich wende mich jetzt Dokument C-126 zu. Es ist bereits als GB-45 eingereicht. Andere Teile sind vorgetragen worden, und ich wende mich nun dem Brief auf der zweiten Seite zu, einer »Geheimen Kommandosache«. Sie ist von Hitler unterzeichnet und als seine »Weisung Nr. 1 für die Kriegsführung« bezeichnet. Sie trägt das Datum vom 31. August 1939.
»1. Nachdem alle politischen Möglichkeiten erschöpft sind, um auf friedlichem Wege eine für Deutschland unerträgliche Lage an seiner Ostgrenze zu beseitigen, habe ich mich zur gewaltsamen Lösung entschlossen.
2. Der Angriff gegen Polen ist nach den für Fall ›Weiß‹ getroffenen Vorbereitungen zu führen mit den Abänderungen, die sich beim Heer durch den inzwischen fast vollendeten Aufmarsch ergeben.
Aufgabenverteilung und Operationsziel bleiben unverändert.
Angriffstag 1. September 1939
Angriffszeit 4.45« – mit Rotstift eingefügt –
»Diese Zeit gilt auch für die Unternehmungen Gdingen – Danziger Bucht und Brücke Dirschau.
3. Im Westen kommt es darauf an, die Verantwortung für die Eröffnung von Feindseligkeiten eindeutig England und Frankreich zu überlassen. Geringfügigen Grenzverletzungen ist zunächst rein örtlich entgegenzutreten.«
Die weiteren Einzelheiten des Befehls, die für den Gerichtshof unwesentlich sind, brauche ich nicht zu verlesen. An jenem Abend gab der deutsche Rundfunk um 9 Uhr die Bedingungen der deutschen Vorschläge, bekannt, unter denen Deutschland bereit wäre, die Verhandlungen mit der Polnischen Regierung aufzunehmen. Die Sendung gibt die Vorschläge in aller Ausführlichkeit wieder. Man wird sich erinnern, daß zu dieser Zeit weder Sir Nevile Henderson, noch der Polnischen Regierung, noch ihrem Botschafter eine Abschrift davon überreicht worden war. Es ist in der Tat ein Dokument, das interessant ist zu verlesen, oder wenigstens auszugsweise zu verlesen, einfach als Beweisstück oder als Beispiel für eine ausgesprochene Heuchelei. Ich beziehe mich auf den zweiten Absatz, Dokument TC-72, Nr. 98, Beweisstück GB-39.
Die Deutsche Regierung hat weiter in Aussicht gestellt, daß sie glaubt, bis zum Eintreffen dieses polnischen Unterhändlers in Berlin der Britischen Regierung die Grundlagen über das Verständigungsangebot ebenfalls zugänglich machen zu können.
Wir haben ja gehört, auf welche Art dies geschah. Es wurde behauptet:
»Statt einer Erklärung über das Eintreffen einer autorisierten polnischen Persönlichkeit erhielt die Reichsre gierung als Antwort auf ihre Verständigungsbereitschaft zunächst die Nachricht der polnischen Mobilmachung und erst am 30. August 1939 gegen 12 Uhr nachts eine mehr allgemein gehaltene britische Versicherung der Bereitwilligkeit, ihrerseits auf den Beginn von Verhandlungen hinwirken zu wollen.
Trotzdem durch das Ausbleiben des von der Reichsregierung erwarteten polnischen Unterhändlers die Voraussetzung entfallen war, der Britischen Regierung noch eine Kenntnis über die Auffassung der Deutschen Regierung in Bezug auf mögliche Verhandlungsgrundlagen zu geben, da die Britische Regierung ja selbst für direkte Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen plädiert hatte, gab Reichsaußenminister von Ribbentrop dem Britischen Botschafter anläßlich der Übergabe der letzten englischen Note eine genaue Kenntnis des Wortlautes der für den Fall des Eintreffens des polnischen Bevollmächtigten als Verhandlungsgrundlage vorgesehenen deutschen Vorschläge.«
Und dann fahren sie fort in ihrer Geschichte, oder besser gesagt in ihrer Version der Geschichte über die Verhandlungen während der letzten Tage.
Ich wende mich nun der übernächsten Urkunde im Dokumentenbuch zu, TC-54, die GB-73 wird. Am 1. September erließ Hitler, als seine Armeen bereits die Grenze, und zwar an allen Stellen, überschritten hatten, folgenden Aufruf an die Wehrmacht:
»Der Polnische Staat hat die von mir erstrebte friedliche Regelung nachbarlicher Beziehungen verweigert, er hat statt dessen an die Waffen appelliert.
Die Deutschen in Polen werden mit blutigem Terror verfolgt, von Haus und Hof vertrieben. Eine Reihe von für eine Großmacht unerträglichen Grenzverletzungen beweist, daß die Polen nicht mehr gewillt sind, die deutsche Reichsgrenze zu achten. Um diesem wahnwitzigen Treiben ein Ende zu bereiten, bleibt mir kein anderes Mittel, als von jetzt ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen.
Die deutsche Wehrmacht wird den Kampf um die Ehre und die Lebensrechte des wiederauferstandenen deutschen Volkes mit harter Entschlossenheit führen.
Ich erwarte, daß jeder Soldat, eingedenk der großen Tradition des ewigen deutschen Soldatentums, seine Pflicht bis zum letzten erfüllen wird.
Bleibt Euch stets und in allen Lagen bewußt, daß Ihr die Repräsentanten des nationalsozialistischen Großdeutschlands seid!
Es lebe unser Volk und unser Reich!«
Und so sehen wir endlich, daß Hitler sein Wort seinen Generalen gegenüber gehalten hatte. Er hatte ihnen ihre propagandistische Rechtfertigung gegeben, und damals spielte es jedenfalls keine Rolle, was man darüber später sprechen würde.
»Der Sieger wird später nicht gefragt werden, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht....
Es kommt nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg.«
An diesem Tage, dem 1. September, sandte die Britische Regierung nach Eingang der Nachricht über die Verletzung polnischen Hoheitsgebietes gemäß ihren Vertragsverpflichtungen ein Ultimatum an die Deutsche Regierung, in dem sie ausführte, ich zitiere den letzten Absatz:
»Ich bin daher beauftragt, Euerer Exzellenz mitzuteilen, daß die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich ohne Zögern ihre Verpflichtungen gegenüber Polen erfüllen wird, wenn nicht die Deutsche Regierung bereit ist, der Regierung des Vereinigten Königreiches befriedigende Zusicherungen dahingehend abzugeben, daß die Deutsche Regierung jegliche Angriffshandlungen gegen Polen eingestellt hat und bereit ist, ihre Truppen unverzüglich aus polnischem Gebiet zurückzuziehen.«
Am 3. September hatte eine Rückziehung der Truppen noch nicht stattgefunden, und so wurde am 3. September morgens 9.00 Uhr dem Reichsaußenminister ein endgültiges Ultimatum überreicht. Das ist Dokument TC-72, auf das ich eben verwiesen habe; es wird GB-74. Ich zitiere aus dem dritten Absatz:
»Obwohl diese Mitteilung vor mehr als 24 Stunden erfolgte, ist keine Antwort eingegangen, hingegen wurden die deutschen Angriffe auf Polen fortgesetzt und verstärkt. Ich habe demgemäß die Ehre, Sie davon zu unterrichten, daß, falls nicht bis 11.00 Uhr vormittags, britische Sommerzeit, am heutigen Tage, dem 3. September, eine befriedigende Zusicherung im obenerwähnten Sinne von der Deutschen Regierung erteilt wird und bei Seiner Majestät Regierung in London eintrifft, ein Kriegszustand zwischen den beiden Ländern von dieser Stunde an bestehen wird.«
Und so kam es, daß seit dem 3. September um 11.00 Uhr der Kriegszustand zwischen Deutschland und England und zwischen Deutschland und Frankreich bestand. Alle Mahnungen zum Frieden, alle Mahnungen an die Vernunft waren, wie wir erkennen, vollkommen unfruchtbar, unfruchtbar bereits, als sie ergingen. Pläne, Vorbereitungen, Absichten und der Entschluß zu diesem Angriff auf Polen bestanden schon seit Monaten, ja seit Jahren. Es war unwesentlich, was irgendein anderer außer der Deutschen Regierung im Sinne hatte, und welche Rechte ein anderer außer der Deutschen Nation zu haben glaubte. Wenn nach allem, was wir gesehen haben, noch irgendein Zweifel bleibt, so ersuche ich Sie, zwei weitere Dokumente einzusehen.
Vor allem bitte ich Sie, das letzte Dokument in Ihrem Dokumentenbuch anzusehen; es ist 1831-PS und wird GB-75. Selbst jetzt noch, d.h. am 3. September, bot Mussolini eine gewisse Friedenschance an.
Wir besitzen ein Telegramm vom 3. September mit der Zeitangabe 6.30 Uhr. Ich bin bedauerlicherweise nicht in der Lage, zu sagen, ob das 6.30 Uhr morgens oder abends bedeutet. Ich zitiere:
»Italienischer Botschafter übergab Staatssekretär im Auftrage des Duce für den Führer und Reichskanzler und Reichsaußenminister folgende Niederschrift:
›Zur Information läßt Italien wissen, natürlich jede Entscheidung dem Führer überlassend, daß es noch die Möglichkeit hätte, von Frankreich und England und Polen eine Konferenz auf folgender Grundlage annehmen zu lassen;
1. Waffenstillstand, der die Armeekorps läßt, wo sie jetzt sind.‹ « –
Man wird sich erinnern, daß die Deutschen am 3. September schon weit über die Grenze vorgedrungen waren.
»2. ›Einberufung der Konferenz in 2-3 Tagen; 3. Lösung der polnisch-deutschen Streitfrage, welche, wie die Sachen heute liegen, sicher günstig für Deutschland sein würde.‹
Für den Gedanken, der ursprünglich vom Duce ausgegangen ist, setzt sich heute besonders Frankreich ein.
Danzig ist bereits deutsch, und Deutschland hat schon Pfänder in seiner Hand, die den größten Teil seiner Forderungen sichern. Außerdem hat Deutschland schon seine ›moralische Genugtuung‹ gehabt. Wenn es Vorschlag einer Konferenz annehmen würde, würde es alle seine Ziele erreichen und gleichzeitig einen Krieg vermeiden, der schon heute als allgemein und von außerordentlich langer Dauer aussieht.«
Hoher Gerichtshof! Wahrscheinlich hat nicht einmal Mussolini alle Pläne Deutschlands voll erkannt; daher wurde selbstverständlich das Angebot in einem aufschlußreichen Brief, den Hitler als Antwort schrieb, abgelehnt. Ich beziehe mich auf das vorletzte Dokument, einen Teil des gleichen Beweisstückes GB-75.
VORSITZENDER: Soweit ich verstehe, sind die von Ihnen angegebenen »GB«-Bezeichnungen auf den Dokumenten überhaupt nicht angebracht; es sind die Nummern der Beweisstücke selbst und sollten auf den Dokumenten nach deren Vorlegung vermerkt werden.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gewiß. Das ist richtig. Sie werden natürlich durch den Gerichtshof vermerkt werden.
VORSITZENDER: Wollen Sie versuchen, die Bezeichnungen auf dem Dokument klar anzugeben, damit der Gerichtshof das Dokument selbst finden kann?
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gewiß. Das letzte Dokument war PS-1831; es ist das allerletzte im Dokumentenbuch. Es ist das Dokument, auf das ich mich gerade bezogen habe – Mussolinis Telegramm. Das Dokument, auf das ich mich jetzt beziehen möchte, ist das vorletzte im Dokumentenbuch des Gerichtshofs, aber es trägt die gleiche Nummer wie das letzte Dokument, da es ein Teil desselben Beweisstückes ist.
VORSITZENDER: Ich glaube, es würde uns helfen, wenn Sie das System, nach dem die Beweisstücke numeriert sind, kurz erklären würden.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gegenwärtig werden die Beweisstücke, ehe sie als Beweismaterial vorgelegt werden, mit einer Anzahl von Serien-Nummern, wie »PS«, »TC«, »L« und anderen Buchstaben bezeichnet. Sie haben an sich keine Bedeutung. Es hängt davon ab, wer die Dokumente gefunden hat, und aus welchen Archiven sie stammen. Wenn die Dokumente als Beweisstücke vorgelegt werden, werden sie vom Gerichtshof mit einer Gerichtsnummer versehen. Die von den Vertretern der Vereinigten Staaten vorgelegten Dokumente erhalten die Buchstaben »US«, die der britischen Anklagevertreter »GB«. Um den Mitgliedern des Gerichtshofs behilflich zu sein, will ich heute abend die Dokumentenbücher mit den neuen Gerichtsnummern versehen lassen, die von den Gerichtsbeamten im Laufe des Tages eingesetzt wurden.
VORSITZENDER: Wir werden darüber später sprechen.
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wenn irgend ein Dokument in einem dieser Bücher fehlt, so besitze ich eine Kopie.
VORSITZENDER: Wollen Sie jetzt PS-1831 lesen?
OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja, es ist GB-75 und lautet wie folgt:
»Duce,
Ich danke Ihnen zunächst für Ihren letzten Versuch einer Vermittlung. Ich wäre bereit gewesen, anzunehmen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sich eine Möglichkeit hätte finden lassen, mir gewisse Garantien zu geben für einen erfolgreichen Verlauf der Konferenz. Denn seit zwei Tagen sind die deutschen Truppen in einem teilweise außerordentlich schnellen Vormarsch in Polen begriffen. Es wäre unmöglich gewesen, die dabei gebrachten Blutopfer sich durch diplomatische Ränke wieder entwerten zu lassen. Trotzdem glaube ich, daß ein Weg hätte gefunden werden können, Wenn nicht England schon von vornherein entschlossen gewesen wäre, es unter allen Umständen zum Krieg kommen zu lassen. Ich bin vor der englischen Drohung nicht zurückgewichen, weil ich, Duce, nicht mehr daran glaube, daß der Friede länger als ein halbes oder sagen wir ein Jahr hätte aufrecht erhalten werden können. Unter diesen Umständen hielt ich aber den jetzigen Zeitpunkt eines Widerstandes trotz allem für geeigneter. Zur Zeit ist die Überlegenheit der deutschen Wehrmacht in Polen auf allen technischen Gebieten eine so ungeheure, daß die polnische Armee in ganz kurzer Zeit zusammenbrechen wird. Ob dieser schnelle Erfolg in ein oder zwei Jahren auch noch zu erzielen gewesen wäre, glaube ich, bezweifeln zu müssen. England und Frankreich hätten ihren Verbündeten immerhin soweit aufgerüstet, daß die durchschlagende technische Überlegenheit der deutschen Wehrmacht nicht mehr so in Erscheinung hätte treten können. Ich bin mir bewußt, Duce, daß der Kampf, in den ich gehe, ein Kampf auf Leben und Tod ist. Mein eigenes Schicksal spielt dabei überhaupt keine Rolle. Ich bin mir aber weiter bewußt, daß man einem solchen Kampf auf die Dauer nicht ausweichen kann und daß man mit eisiger Überlegung den Augenblick des Widerstandes so wählen muß, daß die Wahrscheinlichkeit des Erfolges gewährleistet ist, und an diesen Erfolg, Duce, glaube ich felsenfest. Sie haben mir freundlicherweise neulich zugesichert, daß Sie auf manchem Gebiete glauben, helfen zu können. Ich nehme dies schon im voraus mit aufrichtigem Dank entgegen. Ich glaube aber weiter, daß – auch wenn wir jetzt getrennte Wege marschieren – das Schicksal uns doch aneinander binden wird. Sollte das nationalsozialistische Deutschland von den westlichen Demokratien zerstört werden, würde auch das faschistische Italien einer schweren Zukunft entgegengehen. Ich war mir persönlich dieser Verbundenheit der Zukunft unserer beiden Regime stets bewußt, und ich weiß, daß Sie, Duce, genau so denken. Zur Lage in Polen möchte ich nur kurz bemerken, daß wir natürlich alles Unwichtige liegen lassen, keinen Mann an nebensächlichen Aufgaben verbrauchen, sondern alle unsere Handlungen nur von großen operativen Erwägungen aus leiten lassen. Die im Korridor befindliche polnische Nordarmee ist schon jetzt durch dieses unser Handeln vollkommen eingerie gelt. Sie wird entweder aufgerieben oder sich ergeben. Im übrigen finden alle Operationen planmäßig statt. Die Tagesleistungen der Truppen stehen weit über allen Erwartungen. Die Herrschaft unserer Luftwaffe ist, obwohl sich kaum ein Drittel in Polen befindet, eine ausschließliche. Im Westen werde ich mich defensiv verhalten. Frankreich kann hier zunächst sein Blut opfern. Es wird dann der Augenblick kommen, daß wir mit der ganzen Kraft der Nation uns auch dort dem Gegner stellen können. Nehmen Sie nochmals meinen Dank entgegen, Duce, für alle Ihre Unterstützungen, die Sie mir in der Vergangenheit gegeben haben und die ich bitte, mir auch in der Zukunft nicht versagen zu wollen.«
Das vervollständigt das Beweismaterial, das ich für diesen Teil des Falles, nämlich des Angriffskrieges gegen Polen, England und Frankreich, der unter Punkt 2 der Anklage fällt, unterbreiten möchte.
MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! In den frühen Morgenstunden des 9. April 1940 fiel Nazi-Deutschland in Norwegen und Dänemark ein. Es ist meine Pflicht, dem Gerichtshof das Beweismaterial der Anklagebehörde vorzulegen, das gemeinsam mit meinem amerikanischen Kollegen Major Hinely vorbereitet wurde; es erstreckt sich auf diese brutalen Angriffskriege, die zugleich Kriege in Verletzung internationaler Verträge, Abkommen und Zusicherungen waren. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich mich zuerst mit den Verträgen, Abkommen und Zusicherungen befassen, die durch diese beiden Invasionen von Norwegen und Dänemark tatsächlich verletzt wurden.
Die Invasionen waren natürlich in erster Linie Verletzungen der Haager Konvention und des Kellogg- Briand-Paktes. Mein verehrter Freund, Sir David Maxwell-Fyfe, hat sich bereits mit diesen Tatbeständen bei Vorlage des Beweismaterials befaßt. Außer diesen allgemeinen Verträgen bestanden spezielle Vereinbarungen zwischen Deutschland und Norwegen beziehungsweise Dänemark. In erster Linie bestand ein Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark, der in Berlin am 2. Juni 1926 unterzeichnet worden war. Der Gerichtshof wird diesen Vertrag, TC-17, auf der ersten Seite des britischen Dokumentenbuches Nr. 3 finden. Diesem Beweisstück dürfte die Nummer GB-76 gegeben werden. Ich schlage vor, nur den ersten Artikel dieses Vertrages zu lesen, der wie folgt lautet:
»Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen Deutschland und Dänemark entstehen und nicht in angemessener Frist auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, und die nicht mit Zustimmung beider Parteien dem Ständigen Internationalen Gerichtshof unterbreitet werden, nach Maßgabe des gegenwärtigen Vertrages entweder einem Schiedsgerichtsverfahren oder einem Vergleichsverfahren zu unterwerfen. Streitigkeiten, für deren Schlichtung die vertragschließenden Teile durch andere zwischen ihnen bestehende Abmachungen an ein besonderes Verfahren gebunden sind, werden nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Abmachungen behandelt.«
In den folgenden Artikeln ist die technische Ausgestaltung des Schiedsverfahrens behandelt.
Als nächstes möchte ich den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Dänemark erwähnen, der vom Angeklagten Ribbentrop am 31. Mai 1939 unterzeichnet wurde; wie sich der Gerichtshof erinnern wird, 10 Wochen nach der Nazi-Eroberung der Tschechoslowakei. Der Gerichtshof findet diese Urkunde als Beweisstück TC-24 im Dokumentenbuch; es wird die Beweisstück-Nummer GB-77 tragen.
Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich zur Identifizierung des Unterzeichners dieses Vertrages die Einleitung und die Artikel 1 und 2 verlesen:
»Der Deutsche Reichskanzler und Seine Majestät der König von Dänemark und Island, fest entschlossen, den Frieden zwischen Deutschland und Dänemark unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, sind übereingekommen, diesen Entschluß durch einen Staatsvertrag zu bekräftigen, und haben zu Bevollmächtigten ernannt:
Der Deutsche Reichskanzler:...
Seine Majestät der König von Dänemark und Island...«
Artikel 1 lautet wie folgt:
»Das Deutsche Reich und das Königreich Dänemark werden in keinem Falle zum Kriege oder zu einer anderen Art von Gewaltanwendung gegeneinander schreiten.
Falls es von Seiten einer dritten Macht zu einer Aktion der im Absatz 1 bezeichneten Art gegen einen der vertragschließenden Teile kommen sollte, wird der andere vertragschließende Teil eine solche Aktion in keiner Weise unterstützen.«
Artikel 2 befaßt sich mit der Ratifikation des Vertrages, und der zweite Absatz heißt:
»Der Vertrag tritt mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft und gilt von da an für eine Zeit von zehn Jahren....«
Der Gerichtshof wird bemerken, daß der Vertrag vom 31. Mai 1939 datiert ist. Am Ende der Seite erscheint die Unterschrift des Angeklagten Ribbentrop. Der Gerichtshof wird sogleich sehen, daß die Invasion Dänemarks durch die Nazi-Truppen noch nicht ein Jahr nach der Unterzeichnung dieses Vertrages die äußerste Wertlosigkeit von Verträgen zeigte, unter die der Angeklagte Ribbentrop seine Unterschrift setzte.
Im Falle Norwegen waren der Angeklagte Ribbentrop und die Nazi-Verschwörer an einem ähnlichen Treubruch beteiligt. In erster Linie beziehe ich mich auf Beweisstück TC-30, die nächste Urkunde in dem britischen Dokumentenbuch Nr. 3; sie wird die Beweisstück-Nummer GB-78 tragen. Der Gerichtshof wird bemerken, daß es eine an Dänemark, Norwegen und Holland gegebene Zusicherung vom 28. April 1939 ist. Dies geschah, nachdem die Besetzung der Tschechoslowakei das Vertrauen der Welt erschüttert hatte. Es war anscheinend ein Versuch – die Anklagebehörde bezeichnet es jetzt als unehrenhaften Versuch – die Skandinavischen Staaten wieder zu beruhigen. Die Zusicherung ist in einer Rede Hitlers enthalten, und lautet:
»... Ich habe einer ganzen Reihe von Staaten bindende Erklärungen abgegeben. Keiner dieser Staaten kann sich beklagen, daß auch nur einmal die Andeutung einer Forderung Deutschlands an ihn gerichtet worden wäre, die zu dem in Gegensatz stände. Keiner der nordischen Staatsmänner z.B. kann es behaupten, daß ihm von seiten der Deutschen Reichsregierung oder von seiten der deutschen öffentlichen Meinung jemals ein Ansinnen gestellt wäre, das mit der Souveränität oder Integrität dieser Staaten nicht vereinbarlich gewesen wäre.
Ich war glücklich darüber, daß eine Anzahl europäischer Staaten diese Erklärungen der Deutschen Reichsregierung zum Anlaß nahmen, um auch ihrerseits den Willen zu einer unbedingten Neutralität auszusprechen und zu vertiefen. Dies gilt für Holland, Belgien, die Schweiz, Dänemark usw.«
Eine weitere Zusicherung gab die Nazi-Regierung am 2. September 1939, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, am Tage nach dem Nazi-Einfall in Polen. Ich bitte den Gerichtshof, die nächste Urkunde im britischen Dokumentenbuch Nr. 3 einzusehen; es ist Dokument TC-31 und wird Beweisstück GB-79. Es handelt sich um ein Aide-Mémoire, das dem Norwegischen Außenminister durch den Deutschen Gesandten in Oslo am 2. September 1939 überreicht wurde. Es lautet:
»Die Deutsche Reichsregierung ist entschlossen, gemäß den freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Norwegen und Deutschland bestehen, die Unverletzlichkeit und Integrität Norwegens unter keinen Umständen zu beeinträchtigen und das norwegische Staatsgebiet zu respektieren. Wenn die Reichsregierung diese Erklärung abgibt, so erwartet sie natürlich auch ihrerseits, daß Norwegen dem Reich gegenüber eine einwandfreie Neutralität beobachten wird und alle Einbrüche, die etwa von dritter Seite in die norwegische Neutralität erfolgen sollten, nicht dulden wird. Sollte die Haltung der Königlich Norwegischen Regierung im Falle, daß ein derartiger Neutralitätsbruch von dritter Seite wiederkehrt, eine andere sein, so würde die Reichsregierung selbstverständlich genötigt sein, die Interessen des Reiches so wahrzunehmen, wie die dann ergebende Lage es der Reichsregierung aufnötigen würde.«
Es folgt schließlich die weitere deutsche Zusicherung an Norwegen, die als nächste Urkunde im Dokumentenbuch TC-32 erscheint; sie wird Beweisstück GB-80. Es handelt sich um eine Rede Hitlers vom 6. Oktober 1939. Ich bitte den Gerichtshof, Abschnitt 2 zu Beginn der Seite einzusehen; der Auszug aus der Rede lautet wie folgt:
»Deutschland hat mit den nordischen Staaten schon früher keine Interessenkonflikte oder gar Streitpunkte besessen und hat sie heute genau so wenig. Schweden und Norwegen haben beide von Deutschland Nichtangriffspakte angeboten erhalten und sie nur abgelehnt, weil sie sich selbst gar nicht als irgendwie bedroht fühlten.«
Das sind klare und eindeutige Zusicherungen, die Deutschland gegeben hat. Der Gerichtshof wird feststellen, daß die Verletzung dieser Zusicherungen in Paragraph 22, Anhang C, Seite 43 der Anklageschrift behandelt ist. Der Gerichtshof wird auch bemerken, daß ein geringfügiger Schreibmaschinenfehler bezüglich des Datums der ersten Zusicherung vorliegt, die in der Anklageschrift als am 3. September 1939 gegeben erscheint. Der Gerichtshof wird aus Dokument TC-31, Beweisstück GB-79, ersehen, daß die Zusicherung tatsächlich am 2. September 1939 gegeben wurde.
Diese Abkommen und Zusicherungen waren der diplomatische Hintergrund für den brutalen Überfall der Nazis auf Norwegen und Dänemark. Das Beweismaterial, das die Anklagebehörde dem Gerichtshof jetzt vorlegen wird, wird über jeden berechtigten Zweifel hinaus zeigen, daß diese Zusicherungen nur deshalb gegeben wurden, um den Verdacht einzuschläfern und die ausersehenen Opfer des Nazi-Überfalls vollkommen unvorbereitet für den Nazi-Angriff zu lassen. Denn wir wissen jetzt, daß diese Verschwörer und ihre Helfershelfer schon seit Oktober 1939 planten, in Norwegen einzufallen; das Beweismaterial wird zeigen, daß die aktivsten Verschwörer in diesem Komplott die Angeklagten Raeder und Rosenberg waren.
Der Norwegen-Einfall ist in einer Beziehung kein typischer Nazi-Angriff, nämlich insofern nicht, als Hitler überredet werden mußte, sich auf ihn einzulassen. In erster Linie waren es Raeder und Rosenberg, die ihn überredeten; Raeder, weil er glaubte, daß Norwegen strategisch wichtig sei, und weil er Ruhm für seine Kriegsmarine erstrebte; Rosenberg wegen seiner politischen Beziehungen zu Norwegen, die er zu entwickeln suchte.
Wie der Gerichtshof in Kürze erkennen wird, fand Rosenberg in dem Norweger Vidkun Quisling den Prototyp eines Agenten der Fünften Kolonne, die vollkommenste Verkörperung der Treulosigkeit.
Das Beweismaterial für die ersten Phasen der Nazi- Verschwörung, in Norwegen einzufallen, findet sich in einem Brief, den der Angeklagte Raeder am 10. Januar 1944 an Admiral Aßmann, den offiziellen deutschen Marinehistoriker, schrieb. Ich lege diesen Brief als Dokument C-66 vor; er wird Beweisstück GB-81. Der Gerichtshof wird ihn weiter hinten in diesem Dokumentenbuch finden. Ich möchte gleichzeitig erklären, daß in diesem Dokumentenbuch die Dokumente in die Nummemfolge der Serie eingefügt sind, zu der sie gehören, und nicht in die Reihenfolge, in der sie dem Gerichtshof vorgelegt werden. Ich hoffe, daß dies eine geeignetere Form ihrer Zusammenstellung ist, als wenn sie in der Reihenfolge der Vorlage angebracht wären.
VORSITZENDER: 66?
MAJOR JONES: C-66. Es ist überschrieben: »Herrn Admiral Aßmann zur eigenen Information. Nicht für Veröffentlichungen zu verwenden.«
Der Gerichtshof wird bemerken, daß die erste Seite von »Barbarossa« handelt. Wenn sich der Gerichtshof der nächsten Seite mit der Überschrift »b) Weserübung« zuwendet, so wird der Gerichtshof aus Dokumenten, die ich alsbald vorlegen werde, erkennen, daß »Weserübung« der Deckname für den Einfall in Norwegen und Dänemark war.
Ich werde den ersten Satz auslassen. Das Dokument ist, wie ich bereits gesagt habe, eine Mitteilung des Angeklagten Raeder an Admiral Aßmann. Es lautet wie folgt:
»Ich hatte in den Wochen vor dem Vortrag vom 10. 10. 39 einen Briefwechsel mit Admiral Carls, der zuerst in einem ausführlichen Brief an mich die Bedeutung einer Besetzung der norwegischen Küste durch Deutschland betonte. Ich gab diesen Brief dem C/Skl« – das ist der Chef der Seekriegsleitung – »zur Kenntnis und fertigte mir an Hand des Briefes einen Sprechzettel... für den Vortrag beim Führer, den ich am 10. 10. 39 hielt, da meine Auffassung sich mit der des Admirals Carls völlig deckte, während Skl diesem Problem damals noch fern stand. Ich betonte dabei die Nachteile, die eine Besetzung von norwegischen Stützpunkten durch die Engländer für uns haben würde – Beherrschung der Ostsee- Eingänge, Flankierung unserer Seekriegsoperationen in der Nordsee und der Fliegerangriffe auf England, Druck auf Schweden – sowie die Vorteile des Besitzes der norwegischen Küste für uns –, Ausfallpforte nach Nordatlantik, keine englische Minenbarre möglich wie im Jahre 1917/18. – Es war damals naturgemäß nur von der Küste und von Stützpunkten die Rede, wobei ich Narvik mit einbezog, während Admiral Carls im Verlaufe des Briefwechsels auf Narvik glaubte verzichten zu können.... Dem Führer leuchtete sofort die Bedeutung des Norwegenproblems ein; er bat um Überlassung des Sprechzettels und erklärte, er wolle sich mit der Frage beschäftigen.«
Ich werde hier einen Augenblick unterbrechen und später auf dieses Dokument zurückkommen, um dem Gerichtshof den ganzen Fall chronologisch vorzutragen.
Dieser Bericht Raeders beweist meines Erachtens, daß die ganze Entwicklung dieses Nazi-Feldzugs in Norwegen ein gutes Beispiel für die Teilnahme des deutschen Oberkommandos an der Nazi-Verschwörung, friedliche Nachbarn anzugreifen, darstellt.
Dieser Brief, aus dem ich gerade einen Auszug verlesen habe, hat klar enthüllt, daß Raeder Hitler am 10. Oktober 1939 Bericht erstattete....
MR. BIDDLE: Von welchem Datum ist diese Niederschrift?
MAJOR JONES: Die Niederschrift (C-66) sandte der Angeklagte Raeder im Januar 1944 an Aßmann, den deutschen Marine-Historiker, und sie war daher wahrscheinlich für die Geschichtschreibung bestimmt.
Bevor Raeder am 10. Oktober 1939 dem Führer Bericht erstattete, holte er ein zweites Gutachten über die norwegische Invasion ein. Am 3. Oktober stellte Raeder einen Fragebogen auf, auf den ich den Gerichtshof jetzt aufmerksam machen möchte. Es ist Dokument C-122, der Gerichtshof wird es als übernächstes, C-66, im Dokumentenbuch finden; es wird jetzt Beweisstück GB-82.
Wie der Gerichtshof sehen wird, trägt es die Überschrift: »Gewinnung von Operationsbasen in Norwegen (Auszug aus Kriegstagebüchern)« und das Datum vom 3. Oktober 1939. Es lautet:
»Chef Skl« – das war der Angeklagte Raeder – »hält es für notwendig, den Führer baldmöglichst mit den Überlegungen der Skl über die Möglichkeit zur Ausweitung der Operationsbasis nach Norden vertraut zu machen. Es ist zu prüfen, ob unter dem gemeinsamen Druck Rußlands und Deutschlands die Möglichkeit zur Gewinnung von Stützpunkten in Norwegen besteht, mit dem Ziel einer grundsätzlichen Verbesserung unserer strategischen und operativen Lage. Folgende Fragen sind zu überprüfen:
a. Welche Orte in Norwegen kommen als Stützpunkte in Frage?
b. Kann die Gewinnung der Stützpunkte, sofern es kampflos nicht möglich ist, gegen den Willen Norwegens militärisch erzwungen werden?
c. Wie ist die Verteidigungsmöglichkeit nach Inbesitznahme?
d. Müssen die Häfen voll ausgebaut werden als Stützpunkte, oder bringen sie evtl. schon als Versorgungsplätze entscheidende Vorteile?«
– Es folgt in Klammern:
»(B. d. U.«
– das bezieht sich auf den Angeklagten Dönitz –
»... hält derartige Häfen schon für vorübergehendes Anlaufen als Ausrüstungs- und Versorgungsbasen für äußerst wertvoll für Atlantik-U-Boote.)«
– Und dann Frage e.: –
»e. Welche entscheidenden Vorteile würde die Gewinnung eines Stützpunktes in Nord-Dänemark, z.B. Skagen, für die Seekriegsführung besitzen?«
In unserem Besitz ist weiterhin ein Dokument C-5. Um es zu finden, muß der Gerichtshof im Dokumentenbuch bis zum ersten der C-Beweisstücke zurückblättern. Es wird Beweisstück GB-83.
Es ist ein Memorandum des Angeklagten Dönitz über norwegische Stützpunkte. Wahrscheinlich bezieht es sich auf den Fragebogen des Angeklagten Raeder, der, wie ich erwähnt habe, gerade zu der Zeit in Umlauf gesetzt worden war. Das Dokument trägt die Überschrift »Befehlshaber der Unterseeboote, Operations-Abteilung« und ist als »Geheime Kommandosache« gekennzeichnet. Gegenstand: »Stützpunkt in Norwegen«.
Dann sind die »Voraussetzungen«, die »Vor- und Nachteile« und auf der nächsten Seite die Schlußfolgerungen dargelegt. Ich möchte jetzt den letzten Absatz III verlesen:
»Es wird daher beantragt:
1. Einrichtung eines Stützpunktes in Trondheim, hierzu:
a. Versorgungsmöglichkeit mit Betriebsstoffen, Preßluft, Sauerstoff, Proviant.
b. Reparaturmöglichkeit für normale Überholungsarbeiten nach einer Unternehmung,
c. Gute Unterbringungsmöglichkeit für U-Bootsbesatzungen.
d. Flakschutz, Seezielartillerie, Vorposten- und Minensuch-Verbände.
2. Einrichtung einer Versorgungsmöglichkeit mit Betriebsstoffen in Narvik als Ausweiche.«
Das ist ein Dönitz-Memorandum.
Wie der Gerichtshof aus Raeders Bericht an Aßmann ersah, hatte Hitler im Oktober 1939 den norwegischen Angriff lediglich in Betracht gezogen und sich noch nicht darauf festgelegt, obwohl Hitler, wie der Gerichtshof bald sehen wird, für Einflüsterungen, das Gebiet anderer Länder anzugreifen, sonst sehr empfänglich war.
Die Dokumente werden beweisen, daß der Angeklagte Raeder seinen Standpunkt in Bezug auf Norwegen beharrlich durchzusetzen suchte, und in diesem Stadium fand er einen mächtigen Verbündeten in dem Angeklagten Rosenberg.
Die Nazi-Verwendung von Verrätern und der Ansporn zum Verrat als politische Waffe sind leider bewiesene historische Tatsachen. Sollte aber ein Beweis dieser Behauptung notwendig sein so ist er in dem bemerkenswerten Dokument zu finden, das einzusehen ich jetzt den Gerichtshof bitte. Ich beziehe mich auf Dokument 007-PS hinter der TC- und D-Serie im Dokumentenbuch. Es wird Beweisstück GB-84. Die Überschrift auf Seite 1 heißt: »Kurzer Tätigkeitsbericht des Außenpolitischen Amtes der NSDAP von 1933-1943«. Der Bericht lautet:
»Bei der Begründung des Außenpolitischen Amtes am 1. April 1933 gab der Führer die Weisung, daß es sich nicht zu einer großen Behörde auswachsen sollte, vielmehr durch Initiative und Anregungen seine Wirksamkeit zu entfalten hätte.
Entsprechend der von vornherein außerordentlich feindseligen Stellungnahme der Sowjetregierung in Moskau wandte das neugegründete Amt seine besondere Aufmerksamkeit den inneren Zuständen in der So wjetunion zu, als auch den Auswirkungen des Weltbolschewismus vorwiegend in den übrigen europäischen Ländern. Es trat mit den verschiedensten, dem Nationalsozialismus zuneigenden und den Bolschewismus bekämpfenden Gruppen in Verbindung, wobei es sein Hauptaugenmerk auf die an die Sowjetunion angrenzenden Völker und Staaten richtete, die einerseits einen Isolierungsring um den bolschewistischen Nachbarn, andererseits aber auch die Flügelstellung zum deutschen Lebensraum, und eine Flankenstellung gegenüber den Westmächten, insbesondere Großbritannien gegenüber, einnahmen. In Berücksichtigung der völlig verschiedenartigen Lebensverhältnisse, der blutmäßigen und geistigen Bindungen und der geschichtlichen Abhängigkeit in den vom Amt beobachteten Bewegungen in diesen Ländern sah es sich daher zur Anwendung der abweichendsten Methoden genötigt, um auf diesen oder jenen Wegen zu der gewünschten Einflußnahme zu gelangen.«
Der Gerichtshof wird in Kürze die Bedeutung dieses Satzes erkennen.
»In Skandinavien, in dem nach dem Weltkrieg von 1914/1918 eine immer ausgesprochenere pro-angelsächsische Einstellung, auf wirtschaftlicher Grundlage fußend, vorherrschend wurde, legte das Amt den ganzen Nachdruck auf eine Einwirkung über die allgemein kulturellen Beziehungen zu den nordischen Völkern. Zu diesem Zweck nahm es die Nordische Gesellschaft in Lübeck in seine Obhut. Deren Reichstagungen waren von zahlreichen hervorragenden Persönlichkeiten, vor allem auch aus Finnland, beschickt. Während in Schweden und Dänemark eine rein politische Zusammenarbeit sich nicht eröffnete, fand sich in Norwegen dagegen eine auf dem großgermanischen Gedanken fußende Vereinigung vor, mit deren Gründer eine sehr enge Verbindung hergestellt wurde, die dann auch zu weiteren Folgen führte.«
Ich bitte den Gerichtshof, sich jetzt dem Ende des Hauptteiles dieser Erklärungen zuzuwenden, vier Seiten weiter. Ich darf bemerken, daß sich auf den dazwischenliegenden Seiten ein Bericht über die Aktivität des Büros Rosenbergs in verschiedenen Teilen Europas und tatsächlich der Welt befindet, auf den ich den Gerichtshof im jetzigen Stadium nicht aufmerksam machen möchte. Ich bitte vielmehr den Gerichtshof, den letzten Absatz des Hauptteiles dieses Berichtes, der die Unterschrift des Angeklagten Rosenberg trägt, einzusehen. Die letzten beiden Sätze lauten wie folgt:
»Mit dem Ausbruch des Krieges durfte es seine Aufgabe als erledigt betrachten. Die Auswertung der vielen persönlichen Beziehungen in vielen Ländern kann in anderer Form wieder aufgenommen werden.«
Wenn sich der Gerichtshof nun der Anlage zu dem Dokument auf der nächsten Seite zuwendet, so wird er erkennen, was »Auswertung persönlicher Beziehungen« bedeutete.
Das Dokument ist betitelt:
»Anlage I zum kurzen Tätigkeitsbericht des Außenpoli tischen Amtes der NSDAP von 1933-1943.«
Die Überschrift lautet:
»Die politische Vorbereitung der militärischen Besetzung Norwegens in den Kriegsjahren 1939/1940.«
Darüber heißt es:
»Wie schon erwähnt, erschien von allen politischen Gruppierungen in Skandinavien nur die in Norwegen vom ehemaligen Kriegsminister und Major a. D. Vidkun Quisling geführte ›Nasjonal Samling‹ einer ernsteren politischen Beachtung würdig. Sie war eine politische Kampfgruppe, getragen von der Idee einer großgermanischen Gemeinschaft und wurde natürlich von allen herrschenden Kräften angefeindet, die ihren Durchbruch in der Bevölkerung mit allen Mitteln zu verhindern trachteten. Das Amt hielt mit Quisling eine dauernde Verbindung aufrecht und verfolgte aufmerksam seine mit zäher Energie geführten Angriffe auf die im englischen Fahrwasser segelnde Bourgeoisie. Es erschien von vornherein wahrscheinlich, daß ohne umwälzende, die Bevölkerung aus ihrer bisherigen Einstellung aufwühlende Ereignisse ein erfolgreiches Fortschreiten der ›Nasjonal Samling‹ nicht zu erwarten war. Im Winter 1938/39 wurde Quisling durch ein Mitglied des Amtes privat besucht. Als sich die politische Lage in Europa 1939 zuspitzte, erschien Quisling auf der Tagung der Nordischen Gesellschaft im Juni in Lübeck und entwickelte seine Auffassung der Lage und seine Befürchtungen bezüglich Norwegens. Nachdrücklich machte er auf die geopolitisch entscheidende Bedeutung Norwegens im skandinavischen Raum aufmerksam und auf alle jene Vorteile, die im Falle eines Konfliktes zwischen dem Großdeutschen Reich und Großbritannien jener Macht erwachsen würde, die die norwegische Küste beherrsche. In der Annahme, daß die Ausführungen Quislings aus fliegerstrategischen Gründen Reichsmarschall Göring besonders interessieren würden, wurde Quisling vom Amt an Staatssekretär Körner verwiesen. Dem Chef der Reichskanzlei übergab der Stabsleiter des Amtes zwecks Überreichung an den Führer eine Denkschrift...«
In einem weiteren Teil des Dokuments, den ich in einem späteren Stadium meiner Beweisvorlage verlesen darf, wird der Gerichtshof sehen, wie Quisling mit Raeder in Berührung kam. Die Anklagebehörde macht geltend, daß dieses Dokument eine weitere Illustration dafür ist, wie eng die politische und militärische Führung im Nazi-Staate verwoben war, wie eng das Band zwischen den Berufssoldaten und den berufsmäßigen Verbrechern war.
Der Angeklagte Raeder gab in seinem Bericht an Admiral Aßmann seine Zusammenarbeit mit Rosenberg zu. Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit nochmals dem Beweisstück C-66 zuzuwenden; es ist GB-81. Auf der Seite mit der Überschrift »Weserübung« heißt es im zweiten Absatz des Raeder-Berichtes:
»Bei der weiteren Entwicklung unterstützte mich Korvettenkapitän Schreiber, Marine-Attaché in Oslo, und der M-Chef persönlich – in Verbindung mit der Organi sation Rosenberg –, so daß wir Verbindung mit Quisling und Hagelin erhielten, die Anfang Dezember in Berlin eintrafen und von mir im Einvernehmen mit Reichsleiter Rosenberg... beim Führer eingeführt wurden.«
Später werde ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Entwicklung im Dezember lenken.
Die Einzelheiten über die Art, in welcher der Angeklagte Raeder persönlich in Verbindung mit Quisling trat, sind nicht sehr klar. Ich möchte zu dem vorangehenden Dokument C-65 übergehen...
VORSITZENDER: Würden Sie das Ende dieses Absatzes verlesen?
MAJOR JONES: Mit Eurer Lordschaft Erlaubnis möchte ich in einem späteren Stadium meines Beweisvortrages darauf zurückkommen.
In Dokument C-65, das Beweisstück GB-85 wird, haben wir hier einen Bericht Rosenbergs an Raeder; in ihm wird das volle Ausmaß der Bereitschaft Quislings, Verrat zu üben, und seine eventuelle Nützlichkeit für die Nazi-Angreifer dem Angeklagten Raeder dargelegt und enthüllt.
Absatz 1 dieses Berichtes befaßt sich mit Angelegenheiten, die ich schon behandelt habe, als ich Rosenbergs Erklärungen, 007-PS, verlas. Ich ersuche den Gerichtshof, sich dem zweiten Absatz des Beweisstückes GB-85, C-65, zuzuwenden, der wie folgt lautet:
»Der Anlaß einer Aktion, die Quisling vortrug, wäre gegeben durch die Tatsache, daß der Storthing« – das ist das norwegische Parlament – »gegen die Verfassung seine eigene Verlängerung beschlossen hat, die am 12. Januar in Kraft treten soll. Quisling hat als alter Offizier und ehemaliger Kriegsminister auch jetzt noch engste Beziehungen zur norwegischen Armee. Er zeigte mir das Original eines Briefes, den er erst kürzlich vom Kommandanten in Narvik, Oberst Sunlo, erhalten hatte. In diesem Brief betont Oberst Sunlo offen: unter den jetzigen Umständen, wenn sie so weiter gingen, sei Norwegen erledigt.«
Ich bitte den Gerichtshof, sich den letzten zwei Absätzen auf der nächsten Seite zuzuwenden, die die Einzelheiten des verräterischen Anschlages zum Sturz der Regierung seines eigenen Landes darlegen, den der Verräter Quisling mit Hilfe des Angeklagten Rosenberg ausarbeitete.
»Über die Möglichkeit einer Aktion ist dahingehend ein Plan vorgetragen worden, wonach eine Anzahl ausgesuchter Norweger möglichst schnell in Deutschland für eine entsprechende Tat nebst genauer Arbeitsteilung ausgebildet werden sollen, ihr beigegeben erfahrene nationalsozialistische Kämpfer, die Übungen in derartigen Aktionen besitzen. Diese Ausgebildeten müßten dann möglichst schnell nach Norwegen, wobei über die Einzelheiten noch zu reden wäre. Die Besetzung einiger wichtiger Zentralen in Oslo müßte schlagartig erfolgen, und zu gleicher Zeit müßte die deutsche Flotte nebst entsprechenden Kontingenten der deutschen Armee an einer vorgesehenen Bucht vor der Einfahrt von Oslo auf besonderen Ruf der neuen norwegischen Regierung eingesetzt werden. Quisling zweifelt nicht, daß eine solche Tat – im Augenblick gelungen – ihm sofort die Zustimmung jener Teile der Armee bringen wird, mit denen er jetzt Verbindung hat, wobei es sich von selbst versteht, daß er über einen politischen Kampf nie mit ihnen gesprochen hat. Vom König glaubt er, daß er einer solchen vollzogenen Tatsache Rechnung tragen würde.«
Wie sehr sich Quisling in dieser Erwartung täuschte, zeigt die spätere Entwicklung.
Der letzte Satz lautet:
»Die Zahl der notwendigen deutschen Truppen beziffert Quisling in Übereinstimmung mit den deutschen Ausrechnungen.«
Der Gerichtshof wird der Ansicht sein, daß im ganzen Wortschatz keine genügend starken Schimpfworte vorhanden sind, um dieses Ausmaß von Verrat zu kennzeichnen.
VORSITZENDER: Trägt das Dokument ein Datum?
MAJOR JONES: Nein, es hat kein Datum.
VORSITZENDER: Wir wollen jetzt abbrechen.