[Das Gericht vertagt sich bis
12. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]
Achtzehnter Tag.
Mittwoch, 12. Dezember 1945.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Sitzung heute um 12.30 Uhr unterbrechen, um eine geschlossene Sitzung abzuhalten, und um 2.00 Uhr die Verhandlung fortsetzen.
MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich möchte die Fragen klären, die sich gestern Nachmittag wegen der drei Dokumente ergeben haben.
Nachdem die Verhandlung vertagt war, stellten wir fest, daß sich die Photokopie des Dokuments 2220-PS im Verteidigerzimmer befand; auch die beiden anderen Dokumente waren dort, nämlich die zwei verschiedenen Eintragungen im Tagebuch von Frank. Franks Tagebuch besteht aus rund 40 Bänden, die wir selbstverständlich nicht vollständig photokopieren lassen konnten. Wir haben daher statt dessen Auszüge in den Verteidigerraum bringen lassen. Das heißt also, daß wir das vollständige Dokumentenbuch dort niedergelegt haben.
DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRANK: Es wurden gestern von dem Herrn Anklagevertreter Dokumente vorgelegt, die auch den Angeklagten Frank betreffen; und zwar handelt es sich um die Nummern 2233(a)-PS und 2233(b)-PS, welche als US-173 und 174 eingeführt wurden. Es handelt sich hier nicht um gewöhnliche Urkunden, sondern um Auszüge aus dem Tagebuch Franks, und ich habe bereits vor sechs Wochen schriftlich den Antrag gestellt, mir dieses Tagebuch, das aus 42 schweren, dicken Bänden besteht, vorzulegen. Zum erstenmal habe ich den Antrag am 2. September gestellt, zum zweitenmal am 16. November, zum drittenmal am 18. November und zum viertenmal am 3. Dezember.
Unglücklicherweise habe ich bis heute das Tagebuch nicht bekommen. Ich möchte das Gericht bitten, daß es mir sobald als möglich zur Verfügung gestellt werde, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es sich hier um ein Beweismaterial handelt, das der Angeklagte Frank bei seiner Verhaftung selbst den ihn festnehmenden Offizieren übergeben hat, und das vor allem als Entlastungsmaterial benützt werden sollte.
Ich bin natürlich nicht in der Lage, in wenigen Tagen dieses ganze Material durchzuarbeiten, und möchte daher das Gericht bitten, daß mir das Tagebuch ohne Verzögerung zur Verfügung gestellt wird.
In diesem Zusammenhang darf ich das Gericht auf einen anderen Gegenstand aufmerksam machen. Das Gericht hat bereits genehmigt, daß mir die vier großen Reden, die der Angeklagte Frank im Jahre 1942 in Deutschland gehalten hat, und die dazu führten, daß er von Hitler seiner Ämter enthoben wurde, zur Verfügung gestellt werden. Der Herr Generalsekretär des Gerichtshofs unterrichtete mich hiervon bereits am 4. Dezember. Leider habe ich auch von diesen Reden bis heute noch keine Kopien erhalten. Ich wäre daher sehr dankbar, wenn das Gericht sicherstellen würde, daß seine Beschlüsse auch ausgeführt werden, und daß mir diese Dokumente ohne Verzug zur Verfügung gestellt werden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird diese Angelegenheit mit dem Generalsekretär prüfen, und es wird ihm zweifellos möglich sein, zu veranlassen, daß Ihnen diese Dokumente im Informationszimmer der Verteidigung zur Verfügung gestellt werden.
DR. SEIDL: Danke schön.
VORSITZENDER: Herr Dodd, bitte.
MR. DODD: Ich möchte kurz auf die Dinge verweisen, die wir gestern besprachen, um den Gedankengang wieder aufzunehmen.
Ich möchte den Gerichtshof daran erinnern, daß wir das Dokument L-61 besprachen oder seine Besprechung gerade beendet hatten; es war ein Brief des Angeklagten Sauckel an die Vorsitzenden der Landesarbeitsämter. Ich habe zwei Stellen aus diesem Brief verlesen.
Unter Bezugnahme auf diesen Brief verweisen wir nun auf einen anderen an den Angeklagten Frank gerichteten Brief, und zwar Dokument 1526-PS, in dem der Nazi-Feldzug der Gewalt, des Schreckens und der Verschleppungen geschildert ist.
VORSITZENDER: Bevor Sie weitergehen, Herr Dodd: wurde das Original oder eine Photokopie dem Verteidiger Sauckels gezeigt?
MR. DODD: Ja, Herr Präsident! Eine Photokopie befand sich im Informationsraum der Verteidigung. Nach dem gestrigen Verhandlungsschluß erhielten wir das Original und übergaben es ihm hier in diesem Saal.
VORSITZENDER: Hat er Einsicht genommen?
MR. DODD: Ja, Herr Präsident!
VORSITZENDER: Sehr gut.
MR. DODD: Dieses Dokument 1526-PS, US-178, ist ein vom Leiter des ukrainischen Hauptausschusses in Krakau im Februar 1943 geschriebener Brief. Ich will Seite 3 des englischen Textes, beginnend mit Absatz 2 verlesen. Im deutschen Text befindet sich die gleiche Stelle auf Seite 2, Absatz 5. Ich zitiere:
»Die allgemeine Nervosität wird noch mehr durch die unrichtigen Methoden des Arbeitseinsatzes, die in den letzten Monaten immer häufiger angewandt werden, gesteigert.
Wilde, rücksichtslose Menschenjagd, wie sie überall in Stadt und Land, auf Straßen, Plätzen, Bahnhöfen, ja sogar in Kirchen sowie nachts in Wohnungen durchgeführt wird, hat das Sicherheitsgefühl der Einwohner erschüttert. Jedermann ist der Gefahr ausgesetzt, irgendwo und irgendwann von den Polizeiorganen plötzlich und unerwartet gefaßt und in ein Sammellager geschleppt zu werden. Niemand von seinen Angehörigen weiß, was mit ihm geschehen ist, erst nach Wochen oder Monaten gibt einer oder der andere mit einer Postkarte vom Schicksal, das ihn ereilt hat, Kunde.«
Ich gehe nun zu Anlage 5 auf Seite 8 dieses Dokuments über und zitiere:
»Im Bezirk Zaleschczyki (Kreis Czortkow) wurde im November v. J. eine Musterung aller Männer aus den Jahrgängen 1910-1920 angeordnet. Als sich die Mannschaft zur Musterung eingefunden hatte, wurden die Auserlesenen sofort eingesperrt, dann auf die Bahn verladen und ins Reich geschickt. Eine derartige Werbung der Arbeiter ins Reich hat noch in anderen Sammelgemeinden dieses Kreises stattgefunden. Dann wurde die Aktion infolge von Interventionen eingestellt.«
Der Widerstand des polnischen Volkes gegen das Versklavungsprogramm und die Notwendigkeit gesteigerter Gewaltanwendung wurden von einem gewissen Timm, dem Stellvertreter des Angeklagten Sauckel, in einer Versammlung der Zentralen Planung, die nebenbei bemerkt Hitlers Kriegsplanungsstelle war, zur Sprache gebracht. Die Mitglieder dieser Zentralen Planung waren die Angeklagten Speer, Feldmarschall Milch und Staatssekretär Körner; dies war das höchste Amt für Wirtschaftsplanung und kontrollierte die gesamte Produktion, indem es den industriellen Verbrauchern Rohmaterialien und Arbeitskräfte zuteilte.
Nun komme ich zu Dokument R-124, US-179. Dieses Dokument enthält Auszüge aus den Sitzungsprotokollen der Zentralen Planung und Protokolle über die Konferenzen zwischen dem Angeklagten Speer und Hitler. Selbstverständlich werden nur die Auszüge aus diesen Protokollen, auf die wir uns berufen, als Beweismaterial vorgelegt. Ich möchte jedoch dem Gerichtshof mitteilen, daß die übrigen Protokolle zur Verfügung stehen – gestellt werden können –, wenn der Gerichtshof es wünscht.
Bei der 36. Besprechung der Zentralen Planung gab Sauckels Stellvertreter Timm folgende Erklärung ab, die auf Seite 14, Absatz 2, des englischen Textes des Dokuments R-124 und auf Seite 10, Absatz 2, des deutschen Textes zu finden ist:
»Insbesonders in Polen ist die Lage im Augenblick außerordentlich ernst. Es ist bekannt, daß sich dort gerade auf Grund dieser Dinge heftige Kämpfe abgespielt haben. Bei der Verwaltung, die wir drüben aufgezogen haben, sind die Widerstände sehr stark. Eine ganze Reihe von unseren Männern ist erhöhten Gefahren ausgesetzt gewesen, und gerade in den letzten 14 Tagen bis 3 Wochen sind einige davon erschossen worden, so der Leiter des Arbeitsamtes in Warschau vor 14 Tagen in seinem Dienstzimmer, und gestern wieder ein anderer. So geht es augenblicklich, und die Anwerbungen sind selbst beim besten Willen außerordentlich schwierig, wenn nicht polizeiliche Verstärkungen da sind.«
Verschleppung und Versklavung von Zivilpersonen erreichten ein nie vorher dagewesenes Ausmaß in den sogenannten besetzten Ostgebieten. Diese Massenverschleppungen erfolgten auf Grund von Forderungen auf Bereitstellung von Arbeitern, welche vom Angeklagten Sauckel an den Angeklagten Rosenberg, den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, und dessen Untergebene gestellt wurden; die gleichen Forderungen wurden vom Angeklagten Sauckel unmittelbar auch an die Wehrmacht gestellt.
Am 5. Oktober 1942 z.B. schrieb der Angeklagte Sauckel dem Angeklagten Rosenberg, daß weitere zwei Millionen ausländischer Arbeiter benötigt würden, und daß die Mehrzahl von ihnen aus den kürzlich besetzten Ostgebieten, und zwar besonders der Ukraine, entnommen werden müßten.
Ich möchte hierzu auf Dokument 017-PS, US-180, verweisen, einen Brief des Angeklagten Sauckel an den Angeklagten Rosenberg, den ich vollständig verlesen will. Dieser Brief beginnt wie folgt:
»Der Führer hat neue dringlichste Programme für die Rüstung gestellt, die den beschleunigten Einsatz von 2 Millionen weiterer fremdländischer Arbeitskräfte erforderlich machen. Der Führer hat mir daher in Durchführung seines Erlasses vom 21. März 1942 für meine weiteren Aufgaben neue Vollmachten erteilt und mich insbesondere ermächtigt, nach meinem Ermessen alle Maßnahmen im Reich, dem Protektorat, dem Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten zu treffen, die den geordneten Arbeitseinsatz für die deutsche Rüstungswirtschaft unter allen Umständen gewährleisten.
Die erforderlichen zusätzlichen Arbeitskräfte werden in größtem Umfange aus den neu besetzten Ostgebieten entnommen werden müssen, insbesondere aus dem Reichskommissariat Ukraine. Aus dem Reichskommissariat Ukraine müssen daher 225000 Arbeitskräfte bis zum 31. Dezember 1942, weitere 225000 Arbeitskräfte bis zum 1. Mai 1942 gestellt werden. Ich bitte Sie, den Reichskommissar Gauleiter Parteigenossen Koch sofort von der neuen Lage und dem neuen Auftrag zu unterrichten und ihn insbesondere zu veranlassen, daß er die Durchführung dieses neuen Auftrages persönlich in jeder Hinsicht unterstützt.
Ich beabsichtige, Parteigenossen Koch in Kürze aufzusuchen und wäre dankbar, wenn er mir mitteilen lassen würde, wo und wann ich ihn zu einer persönlichen Besprechung treffen kann.
Ich bitte aber schon jetzt, die Werbung sofort mit allem Nachdruck und unter Einsatz aller Kräfte, insbesondere auch der Fachkräfte der Arbeitsämter, aufzunehmen. Alle Anweisungen, die die Anwerbung von Ostarbeitern vorübergehend einschränkten, gelten als aufgehoben. Die Reichswerbung muß für die nächsten Monate im Vordergrunde aller Maßnahmen stehen....
Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die für die Durchführung des neuen Auftrages bestehen, bin aber überzeugt, daß bei rücksichtslosem Einsatz aller Mittel und bei voller Hingabe aller Beteiligten die Erfüllung der neuen Auflage termingemäß durchgeführt werden kann.
Die neuen Auflagen habe ich gleichzeitig durch Fernschreiben unmittelbar dem Reichskommissar Ukraine mitgeteilt.
Unter Bezugnahme auf unsere heutige fernmündliche Unterredung werde ich Ihnen den neuen Führererlaß Anfang nächster Woche im Wortlaut übersenden.«
Ich möchte dem Gerichtshof in Erinnerung bringen, daß wir bereits gestern Nachmittag vom Reichskommissar Gauleiter Parteigenossen Koch gesprochen und einen von ihm gemachten Ausspruch zitiert haben, an den sich der Gerichtshof erinnern wird: »Wir sind das Herrenvolk, wir müssen hart sein«, und so weiter.
Am 17. März 1943 schrieb der Angeklagte Sauckel wieder an den Angeklagten Rosenberg und verlangte bei dieser Gelegenheit den Nachschub einer weiteren Million Männer und Frauen aus den Ostgebieten innerhalb der nächsten vier Monate. Ich möchte hier auf Dokument 019-PS, US-181, verweisen. Ich verlese diesen ganzen Brief:
»Nach längerer Krankheit begibt sich mein Beauftragter für den Arbeitseinsatz in den besetzten Ostgebieten, Staatsrat Peuckert, nach dort, um den Arbeitseinsatz sowohl für Deutschland als auch für die dortigen Gebiete zu regeln.
Ich bitte Sie sehr, lieber Parteigenosse Rosenberg, auf Grund der äußersten Dringlichkeit des Auftrages Peuckerts ihn bestens unterstützen zu wollen. Ich darf mich schon jetzt für die bisherige gute Aufnahme Peuckerts bedanken. Er selbst ist zu bester und vorbehaltloser Zusammenarbeit mit allen Dienststellen der Ostgebiete von mir verpflichtet.
Besonders der Arbeitseinsatz in der deutschen Landwirtschaft und ebenso allerdringlichste vom Führer befohlene Rüstungsprogramme machen die schnellste Heranführung von ca. 1 Million Frauen und Männer aus den Ostgebieten innerhalb der nächsten vier Monate erforderlich. Vom 15. März ab muß der tägliche Abtransport 5000 Arbeiterinnen bzw. Arbeiter erreicht haben, während vom Anfang April ab diese Zahl auf 10000 gesteigert werden muß, wenn die dringlichsten Programme und die Frühjahrsbestellungen und sonstige landwirtschaftliche Arbeiten nicht zum Schaden der Ernährung und der Wehrmacht Not leiden sollen.
Die Aufteilung des Anwerbesolls auf die einzelnen Gebiete habe ich im Einvernehmen mit Ihren Sachbearbeitern für den Arbeitseinsatz wie folgt vorgesehen:
Tagessoll ab 15. März 1943.
Aus Generalkomm. Weißruthenien 500 Kräfte
Wirtschaftsinspektion Mitte 500 Kräfte
Reichskomm. Ukraine 3000 Kräfte
Wirtschaftsinspektion Süd 1000 Kräfte
insgesamt: 5000 Kräfte
Ab 1. April 1945 ist das Tagessoll entsprechend der Verdoppelung des Gesamtaufkommens gleichfalls zu verdoppeln. Ich hoffe, Ende des Monats selbst nach den Ostgebieten zu kommen, und bitte nochmals um Ihre gütige Unterstützung.«
Der Angeklagte Sauckel reiste dann auch nach dem Osten. Er reiste nach Kauen in Litauen, um seine Forderungen durchzudrücken. Als Beweis legen wir Dokument 204-PS, US-182, vor. Dieses Dokument enthält in Berichtform eine Übersicht des Stadtkommissars von Kauen und das Protokoll einer Sitzung, an der der Angeklagte Sauckel teilgenommen hat. Ich möchte von der zweiten Seite des englischen Textes verlesen, und zwar beginne ich mit dem ersten Absatz. Die betreffende Stelle erscheint im deutschen Text auf Seite 5, Absatz 2. Ich zitiere:
»In einem Vortrag, den der GBA. Gauleiter Sauckel am 18. Juli 1943 in Kauen hielt und in einer daran anschließenden Dienstbesprechung zwischen Gauleiter Sauckel und dem Herrn Generalkommissar kam erneut und eindringlich die angespannte Arbeitseinsatzlage im Reich zur Sprache und stellte Gauleiter Sauckel erneut die Forderung auf, litauische Arbeitskräfte im größeren Umfang für Zwecke des Reiches bereitzustellen.«
VORSITZENDER: Wer war der Generalkommissar? Rosenberg?
MR. DODD: Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz?
VORSITZENDER: Nein, der Generalkommissar.
MR. DODD: Wir kennen seinen Namen nicht. Es war offenbar ein örtlicher Funktionär der Partei.
VORSITZENDER: Sehr gut.
MR. DODD: Der Angeklagte Sauckel besuchte auch Riga in Lettland, um auch dort seine Forderungen geltend zu machen. Der Zweck dieses Besuches ist in der Urkunde 2280-PS, US-183, dargelegt. Es ist ein Brief des Reichskommissars für das Ostland an den Generalkommissar in Riga vom 3. Mai 1943.
Ich will Seite 1 des englischen Textes verlesen; und zwar beginne ich mit dem ersten Absatz:
»Im Anschluß an die grundsätzlichen Ausführungen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, anläßlich seines Besuches in Riga am 21. April 1943, wurde im Hinblick auf den Ernst der Lage und unter Zurückstellung aller entgegenstehenden Bedenken festgelegt, daß auch aus dem Ostland insgesamt 183000 Arbeitskräfte an das Reichsgebiet abgegeben werden sollen. Die Abgabe muß unbedingt in den nächsten vier Monaten durchgeführt werden und allerspätestens Ende August abgeschlossen sein.«
Auch hier kennen wir weder Name noch Person des Reichskommissars für das Ostland.
Der Angeklagte Sauckel ersuchte die deutsche Armee um Unterstützung bei der Anwerbung und beim Abtransport von Zivilarbeitern aus den Ostgebieten. Wir verweisen hierzu auf 3010-PS, US-184.
VORSITZENDER: Herr Dodd, sagten Sie nicht, daß Sie nicht wissen, von wem dieses Dokument stammt?
MR. DODD: Nein, Herr Vorsitzender! Wir sagen, daß es ein Brief des Reichskommissars für das Ostland an den Generalkommissar in Riga ist, aber wir wissen nicht, wer zur Zeit, als dieser Brief geschrieben wurde, diese Ämter innehatte.
VORSITZENDER: Sie wissen nicht, wer Reichskommisar für die Ostgebiete war?
MR. DODD: Wir kennen ihn nicht unter dem Titel »Der Reichskommissar für das Ostland«.
VORSITZENDER: Gut.
MR. DODD: Sein Name ist Lohse, wie ich eben höre. Ich glaubte, daß wir ihn nicht kennen.
VORSITZENDER: Gut.
MR. DODD: Ich komme nun auf das Dokument 3010-PS zurück. Es ist ein geheimer Operationsbefehl der Armeegruppe Süd, datiert vom 17. August 1943. Ich möchte von Seite 1 des englischen Textes die ersten beiden Absätze verlesen:
»Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz hat mit dem in Abschrift beiliegenden Erlaß (Anlage 1), Az. VI A 5780.28, die Musterung und Einziehung zweier geschlossener Jahrgänge für das gesamte neubesetzte Ostgebiet befohlen. Der Herr Reichsminister für Bewaffnung und Munition hat zu diesem Befehl seine Zustimmung gegeben.
Auf Grund dieses Befehls des GBA sind in Ihrem Bereich die Jahrgänge 1926 und 1927 geschlossen unverzüglich zu mustern und in das Reich abzutransportieren. Für die Durchführung dieser Maßnahme ist die Verordnung über Arbeitspflicht und Arbeitseinsatz im Operationsgebiet der neubesetzten Ostgebiete vom 6. Februar 1943 und die hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen maßgebend. Die Durchführung der Aushebung muß spätestens bis zum 30. September 1943 beendet sein.«
Wir behaupten, daß es ganz klar ist, daß die Forderungen des Angeklagten Sauckel die Verschleppung von Zivilpersonen aus den besetzten Ostgebieten zur Folge hatte. Der Angeklagte Speer hat den Inhalt von Besprechungen mit Hitler vom 10., 11. und 12. August 1942 aufgezeichnet; die Protokolle darüber sind im Dokument R-124, US-179, enthalten, das bereits dem Gerichtshof vorliegt. Ich möchte nun von Seite 34 des englischen Textes dieses Dokuments den Absatz 1 verlesen. Im deutschen Text ist es Seite 23, Absatz 2. Ich zitiere unmittelbar:
»Die zur Erfüllung des Eisen- und Kohlenprogrammes erforderliche Bereitstellung russischer Arbeitskräfte in der angeforderten Höhe sichert Gauleiter Sauckel zu und teilt mit, daß er – falls erforderlich – eine weitere Million russischer Arbeitskräfte für die deutsche Rüstungswirtschaft bis einschließlich Oktober 1942 zur Verfügung stellen will, nachdem jetzt mehr als 700000 Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und eine Million Arbeitskräfte für die Wirtschaft durch ihn bereitgestellt werden konnten.
Der Führer erklärt dabei, daß die Frage der Arbeitskräftebeschaffung in jedem Fall und in jedem Umfang gelöst werden könne, und daß er Gauleiter Sauckel ermächtige, die dazu notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Er wäre mit jeder Zwangsmaßnahme einverstanden, falls diese Frage auf freiwilliger Basis nicht durchzuführen sei, und zwar nicht nur für den Osten, sondern auch für die besetzten westlichen Gebiete.«
Um diesen Forderungen auf Bereitstellung von 1700000 – 100000 hier und 100000 dort – nachkommen zu können, gebrauchten die Nazi-Verschwörer, wie wir gestern schon sagten, Terror, Gewalt und Brandstiftung als grundlegende Mittel ihrer Sklavenarbeitspolitik. Zwanzig Tage nach dem 5. Oktober, dem Tage, an dem Sauckel diese Forderungen gestellt hatte, schilderte ein hoher Beamter im Ministerium des Angeklagten Rosenberg die Maßnahmen zur Erfüllung dieser Forderungen. Ich lege nun 294-PS, US- 185, vor. Diese Urkunde ist eine Geheime Reichssache vom 25. Oktober 1942 und ist von einem gewissen Bräutigam unterzeichnet. Ich möchte nun von Seite 4 des englischen Textes verlesen, und zwar beginne ich mit dem letzten Absatz. Im deutschen Text erscheint die Stelle auf Seite 8 im zweiten Absatz. Ich zitiere unmittelbar:
»Wir erlebten nun das groteske Bild, daß nach dem gewaltigen Hungersterben der Kriegsgefangenen, Hals über Kopf Millionen von Arbeitskräften aus den besetzten Ostgebieten angeworben werden mußten, um die in Deutschland entstandenen Lücken auszufüllen. Jetzt spielte auf einmal die Ernährungsfrage keine Rolle mehr. In der üblichen grenzenlosen Mißachtung des slawischen Menschen wurden bei der ›Werbung‹ Methoden angewandt, die wohl nur in den schwärzesten Zeiten des Sklavenhandels ihr Vorbild haben. Es setzte eine regelrechte Menschenjagd ein. Ohne Rücksicht auf Gesundheitszustand und Lebensalter wurden die Menschen nach Deutschland verfrachtet, wo sich bald herausstellte, daß weit über 100000 wegen schwerer Krankheit und sonstiger Arbeitsunfähigkeit zurückgeschickt werden mußten.«
Der Angeklagte Rosenberg schrieb über diese Brutalitäten persönlich an deren Anstifter, den Angeklagten Sauckel. Wir verweisen hierzu auf 018-PS, US- 186.
VORSITZENDER: Herr Dodd, woher stammt diese Geheime Reichssache?
MR. DODD: Aus den Akten des Angeklagten Rosenberg.
Dieses Dokument 018-PS ist ein Brief des Angeklagten Rosenberg an den Angeklagten Sauckel vom 21. Dezember 1942 mit Anlagen. Ich möchte von Seite 1 des englischen Textes zitieren, und zwar beginne ich in der Mitte des zweiten Absatzes, der folgendermaßen lautet:
»Die mir zugegangenen Berichte lassen erkennen, daß die Vermehrung der Banden in den besetzten Ostgebieten zu einem großen Teil darauf zurückzuführen ist, daß die in den betreffenden Gegenden angewandten Anwerbemethoden als Zwangsmaßnahmen zur Massendeportation empfunden werden, so daß die hiervon sich bedroht fühlenden Personen es vorziehen, sich ihrem Schicksal durch Flucht in die Wälder oder unmittelbar durch Überlaufen zu den Banden zu entziehen.«
Ich gehe nun zu Seite 4 desselben englischen Textes über, einer Anlage zum Brief Rosenbergs, die Auszüge aus Briefen von Bewohnern der besetzten Ostgebiete enthält, die anscheinend von den Nazi- Zensurbeamten angefertigt wurden. Es sind die Absätze 1 und 2 auf Seite 6 des deutschen Textes. Ich zitiere:
»Bei uns sind neue Ereignisse vorgekommen. Man nimmt Leute nach Deutschland. Am 5. Oktober sollten einige aus dem Kowkuski-Bezirk fahren, aber sie wollten nicht, und man hat das Dorf angesteckt. Dasselbe haben sie in Borowytschi zu tun versprochen, als nicht alle zur Abfahrt Bestimmten fahren wollten. Darauf kamen 3 Kraftwagen voll Deutscher und haben ihre Häuser angesteckt. In Wrasnytschi hat man 12 Häuser und in Borowytschi 3 Häuser niedergebrannt.
Am 1. Oktober fand eine neue Aushebung von Arbeitskräften statt; von dem, was geschehen ist, werde ich Dir das Wichtigste beschreiben. Du kannst Dir diese Bestialität gar nicht vorstellen. Du erinnerst Dich wohl daran, was man uns während der Polenherrschaft über die Sowjets erzählt hat; so unglaublich ist es jetzt auch, und wir glaubten es damals nicht. Es kam der Befehl, 25 Arbeiter zu stellen, aber keiner hat sich gemeldet, alle waren geflohen. Dann kam die deutsche Gendarmerie und fing an, die Häuser der Geflohenen anzuzünden. Das Feuer wurde sehr heftig, da es seit 2 Monaten nicht geregnet hat, dazu standen die Getreideschober auf den Höfen. Du kannst Dir denken, was da vor sich ging. Man verbot den herbeigeeilten Leuten zu löschen, schlug und verhaftete sie, so daß 6 Höfe niederbrannten. Die Gendarmen zündeten unterdessen andere Häuser an, die Leute fallen auf die Knie und küssen ihnen die Hände, die Gendarmen aber schlagen mit Gummiknüppeln auf sie los und drohen, daß sie das ganze Dorf niederbrennen werden. Ich weiß nicht, womit das geendet hätte, wenn Sapurkany sich nicht ins Mittel gelegt hätte. Er versprach, daß bis zum Morgen Arbeiter da sein werden. Während des Brandes ging die Miliz durch die anliegenden Dörfer, nahm die Arbeiter fest und brachte sie in Gewahrsam. Wo sie keinen Arbeiter fanden, sperrten sie die Eltern so lange ein, bis die Kinder erschienen. So wüteten sie die ganze Nacht in Bielosirka.
... Die Arbeiter, die bis dahin noch nicht erschienen waren, sollten erschossen werden. Man hat alle Schulen geschlossen und die verheirateten Lehrer hier zur Arbeit geschickt, während die unverheirateten zur Arbeit nach Deutschland gehen. Man fängt jetzt Menschen, wie die Schinder früher Hunde gefangen haben. Man ist schon eine Woche auf Jagd und hat noch nicht genug. Die gefangenen Arbeiter sind in der Schule eingesperrt, sie dürfen nicht einmal hinaus, um ihre Bedürfnisse zu erledigen, sondern müssen es wie die Schweine im selben Raum tun. Aus den Dörfern wallfahrten viele Leute an einem bestimmten Tage zum Kloster Potschaew. Sie wurden alle festgenommen, eingesperrt, und man wird sie zur Arbeit schicken. Unter ihnen gibt es Lahme, Blinde und Greise.«
Trotz der Tatsache, daß der Angeklagte Rosenberg diesen Brief mit dieser Anlage schrieb, behaupten wir, daß er die Anwendung von Gewalt zur Beischaffung von Sklavenarbeitern für Deutschland billigte, und daß er auch seine Verantwortlichkeit für die angewandten »ungewöhnlich strengen Maßnahmen« zugegeben hat.
Ich verweise hierzu auf Auszüge aus dem Protokoll über ein eidliches Verhör des Angeklagten Rosenberg vom 6. Oktober 1945, US-187. Ich möchte von Seite 1 des englischen Textes verlesen, und zwar beginne ich mit dem neunten Absatz.
VORSITZENDER: Sie haben uns die PS-Nummer nicht genannt.
MR. DODD: Es hat keine PS-Nummer.
VORSITZENDER: Entschuldigen Sie bitte. Ist dem Verteidiger Rosenbergs eine Abschrift zur Verfügung gestellt worden?
MR. DODD: Jawohl, Herr Vorsitzender! Dieses Dokument befindet sich am Ende des Dokumentenbuchs, das dem Gerichtshof vorliegt.
DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Ich erhebe namens meines Mandanten gegen Verlesung dieses Dokuments Einspruch, und zwar aus folgenden Gründen:
Mein Mandant ist im Laufe des Ermittlungsverfahrens mehrfach Über die Fragen des Arbeitseinsatzes von Angehörigen der Völker Osteuropas gefragt worden. Er hat ausgesagt, daß Sauckel durch Führer- Vollmacht und im Auftrag des Beauftragten für den Vierjahresplan ihm gegenüber weisungsberechtigt war; daß er trotzdem eine Werbung auf freiwilliger Grundlage gefordert hat, daß diese auch durchgeführt wurde, und daß Sauckel für den Fall zugestimmt hat, daß die Erfüllung der Quoten erreicht werden könnte. Rosenberg hat ferner ausgesagt, daß sein Ministerium mehrfach Herabsetzung der Quoten in gemeinsamen Besprechungen gefordert und zum Teil auch bekommen hat. Über alle diese Aussagen enthält das vorzulegende Schriftstück nichts. Dieses Dokument enthält nur Bruchstücke seiner diesbezüglichen Aussagen. Um dem Gericht einen vollständigen Einblick und der Verteidigung die Möglichkeit eines Gesamtüberblicks zu geben, bitte ich das Gericht, die Anklagevertretung zu ersuchen, das Protokoll der ganzen Aussage vorzulegen und dann vor der amtlichen Vorlage die Rückübersetzung mit der Verteidigung durchzusprechen, um Mißverständnissen vorzubeugen.
VORSITZENDER: Ich weiß nicht genau, ob ich Ihren Einspruch richtig verstehe. Sie sagten, soweit ich verstehe, daß Sauckel Vollmacht von Hitler hatte, stimmt das?
DR. THOMA: Jawohl.
VORSITZENDER: Und daß Rosenberg auf Grund dieser Vollmacht handelte?
DR. THOMA: Jawohl.
VORSITZENDER: Aber alles, was der Vertreter der Anklage derzeit beabsichtigt, ist die Vorlage des Protokolls über ein Verhör mit Rosenberg. Stellen Sie hierzu den Antrag, das vollständige Verhör vorzulegen?
DR. THOMA: Jawohl.
VORSITZENDER: Gut, aber wir wissen doch einstweilen noch nicht, ob er die Absicht hat, das ganze Protokoll oder nur einen Teil davon einzureichen.
DR. THOMA: Ich weiß nur das eine, ich habe das Schriftstück, das die Anklage vorlegen will, bereits in meinen Händen, und ich habe daraus entnommen, daß es nur Bruchstücke der ganzen Vernehmung enthält. Was insbesondere nicht enthalten ist, ist, daß Rosenberg immer darauf gedrungen hat, daß nur freiwillige Meldungen in Frage kommen, und daß Rosenberg fortgesetzt die Herabsetzung der Quoten verlangt hat. Das steht in dem zu überreichenden Dokument nicht darin.
VORSITZENDER: Falls der Anklagevertreter einen Teil des Verhörs verliest und Sie sich auf einen anderen Teil des Verhörs berufen wollen, damit der verlesene Teil nicht zu Mißverständnissen Anlaß gibt, dann können Sie dies tun, nachdem der Anklagevertreter seinen Teil des Verhörs verlesen hat. Ist das klar?
DR. THOMA: Ja. Dann bitte ich aber, den Herrn Anklagevertreter zu befragen, ob das Dokument, das er vorlegen will, den ganzen Inhalt der Aussage Rosenbergs wiedergibt.
VORSITZENDER: Herr Dodd, wollten Sie das ganze Verhör Rosenbergs vorlegen?
MR. DODD: Nein, Herr Vorsitzender! Ich beabsichtigte nicht, das ganze Verhör von Rosenberg vorzulegen, sondern nur bestimmte Teile davon. Diese Teile stehen und standen schon seit einiger Zeit dem Verteidiger zur Verfügung. Hingegen ist das ganze Verhör mit Rosenberg in englischer Sprache Sauckels Verteidiger übergeben worden, und er hat den ganzen Text, das einzige verfügbare Exemplar, das wir haben.
VORSITZENDER: Hat der Verteidiger Rosenbergs nicht den ganzen Text erhalten?
MR. DODD: Er hat nur den Auszug, den wir jetzt zu Protokoll geben wollen.
DR. THOMA: Darf ich reden?
VORSITZENDER: Herr Dodd, der Gerichtshof meint, daß, falls Sie beabsichtigen, nur einen Teil des Verhörs vorzulegen, das ganze Verhör der Verteidigung zur Verfügung gestellt werden sollte; Sie können dann den Teil des Verhörs verlesen, den Sie wünschen, und die Verteidigung kann dann auf irgendeinen anderen Teil des Verhörs direkt verweisen, wenn dies zur Erklärung des vom Anklagevertreter verlesenen Teiles notwendig ist. Bevor Sie also von diesem Verhör Gebrauch machen, muß Rosenbergs Verteidiger eine Abschrift des vollständigen Verhörs besitzen.
MR. DODD: Ich möchte bemerken, Herr Vorsitzender, daß wir das ganze Verhör dem Verteidiger des Angeklagten Sauckel übergeben haben und der Meinung waren, daß er es allen anderen Verteidigern zur Verfügung stellen werde. Anscheinend ist dies jedoch nicht geschehen.
DR. THOMA: Danke sehr, Herr Vorsitzender.
DR. SERVATIUS: Ich habe gestern abend von dem Vertreter der Anklage die Dokumente in englischer Sprache bekommen. Mir selbst genügt das. Aber die Verteidiger der anderen Angeklagten sind nicht alle in der Lage, den englischen Text zu verstehen, so daß hier gewisse Schwierigkeiten sind, und ich muß dann Zeit haben, es den Kollegen zu übersetzen. Aber es wäre doch zu wünschen, daß die Anklagevertretung uns den deutschen Text gibt, denn die Vernehmung hat in deutscher Sprache stattgefunden und ist ins Englische übersetzt worden, so daß nun eigentlich der ursprüngliche deutsche Text vorliegen sollte.
Das sind die Schwierigkeiten. Ich möchte anregen, uns auch die deutsche Übersetzung frühzeitig auszuhändigen.
MR. DODD: Zum sogenannten deutschen Text möchte ich bemerken, daß das Original in englischer Sprache ist. Die Verhöre wurden mit Hilfe eines Dolmetschers durchgeführt und in englischer Sprache protokolliert, so daß das Original in englischer Sprache abgefaßt ist. Dieses wurde dem Verteidiger des Angeklagten Sauckel in der Annahme übergeben, daß es allen anderen Verteidigern zugänglich gemacht würde.
VORSITZENDER: Dies wird jedoch die Schwierigkeiten nicht völlig beseitigen, da sie ja nicht alle englisch sprechen oder lesen können. Es tut mir leid, Sie müssen daher warten, bis der Verteidiger Rosenbergs eine Abschrift des vollständigen Verhörs in seiner eigenen Sprache erhalten hat.
MR. DODD: Sehr wohl. Wir übergehen das eben besprochene Dokument und ziehen es mit Rücksicht auf die Entscheidung des Gerichtshofs zurück. Wir werden es zu einem späteren Zeitpunkt vorlegen, sobald wir der Anordnung des Gerichtshofs entsprochen haben. Wir gehen nun zu einem anderen Dokument über, und zwar zu einem Brief vom 21. Dezember 1942. Es ist Dokument 018-PS, US-186. Es ist dies ein Brief des Angeklagten Rosenberg an den Angeklagten Sauckel. Ich zitiere von Seite 1, Absatz 3, des englischen Textes. Im deutschen Text ist es Seite 3, Absatz 1. Ich zitiere wörtlich:
»Wenn ich mich auch keineswegs der Notwendigkeit verschließe, daß die durch den Reichsminister für Bewaffnung und Munition sowie die durch die Landwirtschaft geforderten Auflageziffern ungewöhnliche und harte Maßnahmen rechtfertigen, so muß ich doch aus der mir für die besetzten Ostgebiete obliegenden Verantwortung heraus mit allem Nachdruck darum bitten, daß zur Erfüllung der befohlenen Kontingente Handhabungen ausgeschlossen werden, deren Duldung und Folgen eines Tages mir und meinen Mitarbeitern zur Last gelegt werden.«
In der Ukraine wurde tatsächlich Brandstiftung als Terrormittel verwendet, um die Rekrutierungsmaßnahmen zu erzwingen. Wir verweisen dazu auf 254-PS, US-188. Diese Urkunde stammt von einem Beamten im Ministerium Rosenberg und wurde ebenfalls in den Rosenbergschen Akten gefunden. Sie trägt das Datum des 29. Juni 1944 und enthält die Abschrift eines von einem gewissen Paul Raab, einem Bezirkskommissar im Gebiete Wassilkow, an den Angeklagten Rosenberg gerichteten Briefes. Ich möchte von der ersten Seite aus Raabs Brief verlesen und beginne mit dem Absatz 1 des englischen Textes, der wie folgt lautet:
»Einer Anzeige des OKH zufolge soll ich während meines Einsatzes im Gebiete Wassilkow, Ukraine, mehrere Häuser von widersetzlichen Arbeitspflichtigen niederge brannt haben. Die Anzeige entspricht den Tatsachen.«
Ich gehe nun zu Absatz 3 über.
»Während des Jahres 1942 wurde die Erfassung von Arbeitspflichtigen fast ausschließlich durch Propaganda erreicht. Nur selten wurde damals Anwendung von Zwangsmaßnahmen erforderlich. Lediglich im August 1942 mußte gegen zwei Familien in den Dörfern Glewenka und Salisny-Chutter eingeschritten werden, welche je einen Arbeitspflichtigen zu stellen hatten. Die Beiden waren im Juni zum ersten Male aufgefordert worden, hatten aber mehrfachen Aufforderungen nicht Folge geleistet. Sie mußten zwangsweise vorgeführt werden, doch gelang es ihnen zweimal aus dem Sammellager in Kiew beziehungsweise vom Transport zu entspringen. Vor der zweiten Festnahme waren bereits vorsorglich die Väter der beiden Arbeitspflichtigen festgenommen worden, um als Geisel erst ausgelöst zu werden, sobald sich ihre Söhne stellen würden. Als dann nach der zweiten Flucht erneute Festnahme sowohl der beiden Jungen als auch ihrer Väter angeordnet wurde, trafen die damit beauftragten Polizeistreifen die Häuser leer an.«
Ich gehe nun zu Absatz 4 über, der besagt, und ich zitiere wörtlich:
»Damals habe ich mich entschlossen, nunmehr endlich zu Maßnahmen zu greifen, welche der immer störrischer werdenden ukrainischen Jugend klarmachen sollten, daß unsere Anweisungen für sie bindend sind. Ich ließ die Häuser beider Flüchtigen niederbrennen.«
Wünscht der Herr Vorsitzende, daß ich den Rest des Absatzes verlese?
VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sollten noch die nächsten Zeilen verlesen.
MR. DODD: »Der Erfolg war, daß man in der Folgezeit wieder bereitwillig den Anordnungen bezüglich Arbeitseinsatz nachkam. Die Maßnahme der Niederbrennung von Häusern ist allerdings nicht erstmalig durch mich bekannt geworden, sie war in einem Geheimschreiben des Herrn Reichskommissars für den Arbeitseinsatz ausdrücklich als Zwangsmaßnahme vorgeschlagen worden, falls andere Maßnahmen versagen sollten. Überdies wurde diese harte Strafe von der Bevölkerung mit Genugtuung aufgenommen....«
MR. BIDDLE: Herr Dodd, Sie sagten eben: »Ein Befehl vom Kommissar für den Arbeitseinsatz.« Wer war das?
MR. DODD: Wir haben darüber schon vor der heutigen Verhandlung gesprochen. Das Dokument nennt seinen Namen nicht. Wir wissen nichts Genaues darüber. Der Angeklagte Sauckel wurde »Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz« genannt. Wir glauben, daß wir nicht viel weiter gehen können, und sagen, daß wir es nicht wissen. Der Name erscheint einfach nicht.
MR. BIDDLE: Danke sehr.
MR. DODD: Ich verlese den letzten Satz:
»Überdies wurde die harte Strafe seitens der einheimischen Bevölkerung mit Genugtuung aufgenommen, denn beide Familien hatten vor der Maßregelung allenthalben die pflichtbewußte Bevölkerung verhöhnt, welche ihre Kinder teilweise freiwillig zum Arbeitseinsatz brachte.«
Ich gehe nun zu Absatz 2 auf Seite 2 über und fange ungefähr nach dem zweiten Drittel des Absatzes an. Ich möchte folgendes verlesen. Im deutschen Text steht es auf Seite 3, Absatz 1:
»Nach anfänglich guten Erfolgen setzte eine passive Resistenz seitens der Bevölkerung ein, die mich endlich zwang, wieder zu Verhaftungen, Beschlagnahme und Überweisungen in Arbeitslager zu greifen. Nachdem ein ganzer Transport von Arbeitspflichtigen am Bahnhof in Wassilkow die Polizei überrannte und die Flucht ergriff, sah ich mich wieder zu schärfstem Durchgreifen genötigt. Einige Rädelsführer, welche natürlich längst geflohen waren, wurden in Plissezkoje und in Mitnitza ermittelt. Nach mehrfachen Versuchen, ihrer habhaft zu werden, wurden ihre Häuser niedergebrannt.«
Schließlich möchte ich nun auf den letzten Absatz auf Seite 3 des gleichen Dokuments übergehen. Im deutschen Text ist es Seite 5, Absatz 7. Ich lese nun den letzten Absatz auf Seite 3:
»Mein Vorgehen gegen flüchtige Arbeitseinsatzpflichtige wurde dem in Wassilkow amtierenden Gebietskommissar Döhrer und dem Herrn Generalkommissar in Kiew in jedem Bericht gemeldet. Beide kannten die Verhältnisse und haben meine Maßnahmen gebilligt, denn sie brachten Erfolge.«
Das ist das Ende von diesem Teil des Zitats.
Der Generalkommissar in Kiew war, wie wir gestern und auch heute Morgen wieder angegeben haben, jener Koch, dessen Ausspruch über die Herrenrasse wir zitiert haben.
Ein weiteres Dokument bestätigt, daß Brandstiftung als Mittel zur Erzwingung des Arbeitsprogramms im Dorfe Biloserka in der Ukraine in Fällen von Widerstand gegen die Zwangsarbeitsaushebung gebraucht wurde. Von Greueltaten, die in diesem Dorfe begangen wurden, wird im Dokument 018-PS, US-186, berichtet, das bereits vorliegt. Weiter lege ich Dokument 290-PS, US-189, vor. Dieses Dokument enthält einen Briefwechsel, der im Ministerium Rosenbergs geführt wurde, das selbstverständlich die Hauptdienststelle des Angeklagten Rosenberg war; es trägt das Datum des 12. November 1943. Ich möchte von der ersten Seite des englischen Textes zitieren; und zwar beginne ich auf der letzten Zeile:
»Aber selbst, wenn Müller bei der Niederbrennung von Häusern im Zusammenhang mit der Reichswerbung in Biloserka zugegen gewesen wäre, könnte hieraus keine Begründung für eine Amtsenthebung Müllers hergeleitet werden. In einem Erlaß des Generalkommissars in Luzk vom 21. September 1942 heißt es ausdrücklich unter Berufung auf die besondere Dringlichkeit der Reichswerbung ›Gehöfte von Arbeitsverweigerern sind niederzubrennen, Verwandte als Geiseln festzunehmen und in Zwangsarbeitslager zu bringen‹.«
SS-Verbände hatten Auftrag, beim Abtransport dieser Zwangsarbeiter, ebenso bei Razzien auf Dörfer und bei deren Niederbrennung teilzunehmen, und waren angewiesen, die gesamte Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu verschicken.
Wir verweisen auf 3012-PS, US-190. Dieses Dokument ist ein geheimer SS-Befehl und trägt das Datum vom 19. März 1943. Ich möchte von Seite 3 des englischen Textes zitieren und beginne mit dem dritten Absatz; im deutschen Text ist es auf Seite 2, Absatz 3. Ich zitiere aus dem Inhalt:
»Die Tätigkeit der Arbeitsbehörden beziehungsweise der Werbekommission sind weitgehendst zu unterstützen. Dabei wird es nicht immer ohne Zwangsmittel abgehen. Bei einer Besprechung mit dem Leiter der Arbeitseinsatzstäbe wurde vereinbart, daß überall dort, wo Entlassungen von Häftlingen vorgenommen werden können, diese dem Beauftragten der Arbeitsbehörde zur Verfügung gestellt werden. Bei der Überholung von Dörfern, beziehungsweise notwendig werdenden Niederbrennung eines Dorfes wird die gesamte Bevölkerung dem Beauftragten zwangsweise zur Verfügung gestellt.«
VORSITZENDER: Wollen Sie nicht auch die folgende Nummer 4 verlesen?
MR. DODD: Nummer 4 lautet: »Grundsätzlich werden keine Kinder mehr erschossen.«
Ich möchte bemerken, Herr Vorsitzender, daß wir uns auf Teile dieser Urkunde später zum Beweise für andere Tatsachen berufen werden. Es mag daher dem Gerichtshof manchmal scheinen, als ob wir einige Auszüge übersehen; aber dessenungeachtet bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich darauf aufmerksam machten, da diese Stelle auch für diese Beschuldigung sehr wichtig ist.
In der Gemeinde Shitomir erließ der Angeklagte Sauckel einen Aufruf zur Beistellung von mehr Arbeitern für das Reich. Der Generalkommissar berichtet hierzu von der Brutalität des Programms der Verschwörer, das er als ein Programm des Zwanges und der Sklaverei beschreibt. Ich verweise hierzu auf 265-PS, US-191. Dieses Dokument ist ein Geheimbericht über eine Besprechung zwischen dem Generalkommissar von Shitomir und dem Angeklagten Rosenberg in der Gemeinde Winniza vom 17. Juni 1943. Der Bericht trägt das Datum des 30. Juni 1943 und ist von Leyser unterzeichnet.
Ich möchte von Seite 1 des englischen Textes zitieren, und zwar beginnend mit dem letzten Absatz; im deutschen Text befindet sich die Stelle auf Seite 2, Absatz 3. Ich zitiere wörtlich:
»Was die Arbeiterwerbung angeht, so sind deren Symptome dem Herrn Reichsminister durch Berichte und eigene Wahrnehmungen zweifellos hinreichend bekannt. Von Wiederholungen möchte ich daher absehen. Fest steht, daß man von einer Arbeiterwerbung im eigentlichen Sinne kaum mehr sprechen kann. Zumeist handelt es sich heute nur noch um ausgesprochene Zwangsaushebungen.«
Ich gehe nun zu Seite 2 des gleichen Dokuments über, und zwar zu Absatz 1, Zeile 11; im deutschen Text ist es Seite 3, Absatz 2. Ich zitiere wörtlich:
»Da uns aber der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz den Ernst der Lage klar machte, blieb uns keine Wahl. Ich habe infolgedessen die Gebietskommissare ermächtigt, zur Erfüllung des ihnen aufgelegten Solls die schärfsten Mittel anzuwenden. Daß damit eine Stimmungsverschlechterung verbunden ist, braucht nicht weiter bewiesen zu werden. Indessen gilt es, auch auf diesem Sektor den Krieg zu gewinnen. Mit Handschuhen kann daher das Problem der Arbeitererfassung nicht angefaßt werden.«
Die Rekrutierungsmaßnahmen, die wir hier besprochen haben, versklavten so viele Bürger der besetzten Länder, daß ganze Gegenden entvölkert wurden.
Ich will nun auf Dokument 3000-PS, US-192, verweisen. Dieses Dokument ist die teilweise Übersetzung eines Berichts des Chefs des Hauptamts III des Oberkommandos in Minsk; es trägt das Datum des 28. Juni 1943 und ist an Ministerialdirektor Riecke, einen höheren Beamten im Ministerium Rosenberg, gerichtet. Ich verlese von der ersten Seite des englischen Textes, und zwar beginne ich mit dem zweiten Absatz, wie folgt:
»So hatte die Erfassung von Arbeitskräften für das Reich, die an und für sich notwendig ist, katastrophale Auswirkungen. Denn bei den Erfassungsmaßnahmen der letzten Wochen und Monate handelt es sich um ausgesprochene Menschenjagden, die eine nicht wieder gutzumachende politische und wirtschaftliche Auswirkung haben.... Aus... Weißruthenien wurden bisher rund 50000 Menschen dem Reich zur Verfügung gestellt. Weitere 130000 sollen erfaßt werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von 2,4 Millionen ist an eine Erfüllung dieser Kontingente gar nicht zu denken.... Durch die im November 1942 durchgeführten Großaktionen der SS und Polizei fallen... rund 155000 ha Ackerland aus, da die Bevölkerung nicht mehr vorhanden ist und die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht sind....«
Wir haben bereits darauf verwiesen, daß es das Ziel der Verschwörer war, den Feind durch Versklavung seiner Arbeitskraft und Auseinanderreißung der Familien auf immer zu schwächen; und wir lenken die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf 031-PS, US- 171. Wir möchten betonen, daß diese Politik in den besetzten Ostgebieten auf Grund eines mit Zustimmung des Angeklagten Rosenberg gefaßten Planes verfolgt wurde, der die Verhaftung und Verschleppung von 40-50000 Jugendlichen im Alter von 10-14 Jahren vorsah. Zweck dieses Planes war es, wie schon erwähnt, die Wiedererstarkung der Wehrkraft des Feindes zu verhüten und seine Fähigkeit, sich zu vermehren, herabzusetzen. Wir haben bereits von Seite 3 des englischen Textes dieses Dokuments eine Stelle verlesen, um zu beweisen, daß der Angeklagte Rosenberg zu diesen sogenannten Heuaktionen seine Zustimmung gegeben hatte. Wir haben gestern nachmittag darauf verwiesen.
Weitere Beweise für die Absicht der Verschwörer, ihre Feinde in völliger Mißachtung des Völkerrechts zu schwächen, sind in 1702-PS, US-193, enthalten. Es ist ein geheimer Befehl eines militärischen Etappenkommandeurs an den Bezirkskommissar von Kasatin vom 25. Dezember 1943. Ich zitiere den Absatz 1 der Seite 3 des englischen Textes; es ist Seite 12, Absatz 1, des deutschen Textes:
»Aus dem Gebiet ostwärts der Linie Belilowka-Berditschew-Shitomir (Orte ausschl.) sind die wehrfähige männliche Bevölkerung im Alter von 15-65 Jahren und das Vieh zurückzuführen.«
Dieses eben dargestellte Programm und die hierbei getroffenen grausamen Maßnahmen waren nicht nur auf Polen und die besetzten Ostgebiete beschränkt, sondern wurden zum Unheil Westeuropas auch dort angewendet. Franzosen, Holländer, Belgier und Italiener, alle bekamen das Sklavenjoch und die Brutalität ihrer Sklavenhalter zu spüren.
In Frankreich verschärften diese Sklavenhalter ihr Programm in der ersten Hälfte des Jahres 1943, in Verfolg von Anweisungen, die der Angeklagte Speer am 4. Januar 1943, 8.00 Uhr abends, von Hitlers Hauptquartier aus telefonisch an den Angeklagten Sauckel gab. Ich verweise hierzu auf 556-13-PS, US- 194. Es ist zufällig eine vom Angeklagten Sauckel unterschriebene und für sein eigenes Archiv bestimmte Aktennotiz vom 5. Januar 1943. Ich möchte von Seite 1, Absatz 1, des englischen Textes folgendes zitieren:
»Am 4. Januar 1943, abends 8.00 Uhr, ruft Minister Speer vom Führerhauptquartier aus an und teilt mit, daß es auf Grund der Entscheidung des Führers nicht mehr notwendig sei, bei den weiteren Anwerbungen von Facharbeitern und Hilfskräften in Frankreich besondere Rücksichten auf die Franzosen zu nehmen. Es könne dort mit Nachdruck und verschärften Maßnahmen an die Werbung herangegangen werden.«
Um jeden Widerstand gegen sein Sklaven-Arbeitsprogramm zu beseitigen, führte der Angeklagte Sauckel neue Zwangsrekrutierungsmaßnahmen ein, die von seinen Agenten in Frankreich und Italien angewandt wurden, und die er selbst als grotesk bezeichnete. Ich verweise jetzt auf R-124, US-179, und zwar insbesondere auf Seite 2, Absatz 2, des englischen Textes; im deutschen Text ist es Seite 8, Absatz 1. Ich zitiere hieraus wörtlich eine von Sauckel am 1. März 1944 bei einer Sitzung der Zentralen Planung abgegebene Erklärung:
»Das fürchterlichste Moment, wogegen ich zu kämpfen habe, ist die Behauptung, in diesen Gebieten sei keinerlei deutsche Exekutive vorhanden, um die Franzosen, Italiener oder Belgier zweckmäßig zu verpflichten und zur Arbeit zu bringen. Ich bin dann sogar den Weg gegangen, mir einen Agentenstab von Franzosen und Französinnen, Italienern und Italienerinnen heranzubändigen, die gegen gute Bezahlung, wie es früher ein Shanghaien gegeben hat, auf Menschenfang ausgehen und durch Schnäpse und Überredung die Leute betören, um sie nach Deutschland zu bringen. Ich habe darüber hinaus ein paar tüchtige Männer mit dem Aufbau einer eigenen Arbeitseinsatzexekutive beauftragt, und zwar unter der Ägide des Höheren SS- und Polizeiführers eine Anzahl einheimischer Mannschaften ausgebildet und bewaffnet und muß jetzt das Munitionsministerium noch um Bewaffnung für diese Leute bitten. Denn es sind mir im letzten Jahr allein mehrere Dutzend höherer Arbeitseinsatzbeamter von großem Können erschossen worden. Alle diese Wege, so grotesk es auch klingen mag, müssen heute gegangen werden, um das Moment zu überwinden: es gibt keine Exekutive, um in diesen Ländern die Arbeitskräfte nach Deutschland zu bringen.«
Diese gleiche Jagd nach Sklavenarbeitern mit Terror und Verschleppung wurde in Holland ebenso wie in Frankreich veranstaltet. Ich verweise auf 1726-PS, US-195. Dieses Dokument ist betitelt: »Erklärung der Niederländischen Regierung zur Anklage und Bestrafung der deutschen Hauptkriegsverbrecher.« Ich zitiere aus Beilage »h« mit der Überschrift: »Zentralbüro für Statistik – Verschleppung von niederländischen Arbeitern nach Deutschland.« Ich beginne mit Absatz 1, Seite 1, des englischen Textes; im deutschen Text ebenfalls Absatz 1, Seite 1: Ich zitiere folgendes wörtlich:
»Viele große und ziemlich große Konzerne, besonders in der Metallindustrie, wurden von deutschen Kommissionen besucht, um Arbeiter zur Deportation auszuwählen. Die Auskämmung wurde als ›Sauckel-Aktion‹ bezeichnet, so genannt nach ihrem Leiter, der mit der Beistellung ausländischer Arbeiter für Deutschland betraut war.
Die Arbeitgeber hatten die Verträge mit den betreffenden Arbeitern zu lösen, und diese waren gezwungen, sich auf den Arbeitsämtern registrieren zu lassen, die dann für die Deportation unter Überwachung durch deutsche ›Fachberater‹ Sorge trugen.
Arbeiter, die sich weigerten – verhältnismäßig wenige – wurden durch den Sicherheitsdienst (SD) verfolgt. Im Falle der Ergreifung wurden sie dann meistens für einige Zeit in den berüchtigten Gefangenenlagern in den Niederlanden untergebracht und später zur Arbeit in Deutschland eingesetzt. Bei diesen Verfolgungen wurde der Sicherheitsdienst vom deutschen Polizeidienst unterstützt, der mit den Arbeitsämtern in Verbin dung stand und sich aus Mitgliedern der NSB und dergleichen zusammensetzte.
Ende April 1942 begannen die Deportationen von Arbeitern in großem Maßstab. Später, in den Monaten Mai und Juni stieg die Zahl der Deportationen auf nicht weniger als 22000 bzw. 24000, unter denen sich viele Metallarbeiter befanden. Dann ließ die Aktion etwas nach, aber im Oktober 1942 erreichte sie einen neuen Höhepunkt (26000). Nach den großen mußten jetzt auch kleinere Konzerne ihr Personal abgeben...
Dies änderte sich im November 1944. Die Deutschen begannen einen rücksichtslosen Feldzug, um Arbeitskräfte zu erhalten; sie übergingen dabei die Arbeitsämter. Ohne Warnung umzingelten sie ganze Stadtviertel, nahmen die Leute in den Straßen oder in ihren Häusern fest und deportierten sie.
In Rotterdam und Schiedam, wo die Razzien am 10. und 11. November stattfanden, wurde die Zahl derjenigen, die auf diese Weise deportiert wurden, auf 50000 bzw. 55000 geschätzt.
Bei den Razzien, die später in anderen Orten stattfanden, lagen die Zahlen viel tiefer, weil die Leute vorher durch die Ereignisse gewarnt waren. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, weil sie von der Besatzungsbehörde nicht veröffentlicht wurden.
Die so festgenommenen Leute wurden teilweise in Holland beschäftigt, teilweise in Deutschland.«
Ein in den Archiven des OKH gefundenes Dokument liefert weiteres Beweismaterial für die Erfassung von Arbeitern in Holland. Ich verweise hierzu auf 3003-PS, US-196. Dieses Dokument ist eine teilweise Übersetzung des Vortrags eines Leutnants Haupt von der deutschen Wehrmacht über die Lage der Kriegswirtschaft in Holland. Ich zitiere von Seite 1 des englischen Textes, und zwar beginne ich mit der vierten Zeile des Absatzes 1. Ich zitiere wörtlich:
»Es hat Schwierigkeiten gegeben beim Arbeitseinsatz bzw. bei der Menschenfang-Aktion, die hier sehr stark in Erscheinung getreten ist, und zwar unorganisch und unvorbereitet. Die Leute wurden auf den Straßen kassiert und aus den Häusern herausgeholt. Eine einheitliche Freistellung war vorher nicht möglich gewesen, infolge besonderer Tarnungsgründe hat man den Zeitpunkt nicht rechtzeitig bekanntgegeben. Die Freistellungsscheine sind zum Teil von den Ausführungsorganen nicht anerkannt worden. Es sind nicht nur die durch Erliegen der Industrie freigewordenen Arbeitskräfte erfaßt worden, sondern auch die aus den Betrieben für unseren Sofortbedarf. Sie wurden erfaßt oder haben sich nicht auf die Straße getraut. Jedenfalls war es ein großer Ausfall für uns.«
Hoher Gerichtshof! Ich möchte hervorheben, daß die Massen der Heimatlosen heute in Deutschland darauf schließen lassen, wie sehr das Arbeitsprogramm der Verschwörer von Erfolg begleitet war. Die verläßlichsten Angaben aus alliierten und deutschen Quellen, über die wir verfügen, zeigen, daß im Januar 1945 ungefähr 4795000 ausländische Zivilarbeiter im Altreich zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft eingesetzt wurden; unter ihnen waren Sklavenarbeiter von mehr als 14 verschiedenen Nationen. Ich verweise hierzu auf 2520-PS, US-197, eine eidesstattliche Erklärung von Edward L. Deuss, einem Wirtschaftssachverständigen.
Am Anfang der Seite 1 finden Sie eine Tabelle, die die Nationalitäten angibt, sowie die Anzahl der Angehörigen der verschiedenen Nationen beziffert; dann kommt eine Aufteilung in Kriegsgefangene und sogenannte politische Häftlinge. Nach Herrn Deuss, der ein Sachverständiger auf diesem Gebiete ist, beläuft sich die Zahl der Arbeiter allein auf 4795000, die Zahl, die ich vorhin nannte. Ich will den zweiten Absatz des Gutachtens von Herrn Deuss wörtlich zitieren, damit er ins Protokoll aufgenommen werden kann:
»Ich, Edward L. Deuss, bin seit 3 Jahren von der Auslandswirtschaftsverwaltung in Washington als Wirtschaftssachverständiger in London, Paris und Deutschland angestellt und spezialisierte mich während des Krieges für Arbeits- und Bevölkerungsfragen Deutschlands. Ich bestätige hiermit, daß die Angaben über die ausländischen Arbeiter, die im Altreich beschäftigt waren, auf Grund der besten zur Verfügung stehenden deutschen und alliierten Quellen zusammengestellt sind. Die anliegende Tabelle stellt eine Zusammenfassung dar von deutschen amtlichen Schätzungen über die im Januar 1945 in Deutschland arbeitenden Ausländer, sowie von amerikanischen, britischen und französischen Zahlen über die Ausländer, die am 10. Mai 1945 im Altreich angetroffen wurden.«
Nur ein sehr kleiner Teil dieser nach Deutschland gebrachten Arbeiter kam freiwillig. Bei der Konferenz dieser zentralen Planung vom 1. März 1944, von der wir schon früher gesprochen haben, stellte der Angeklagte Sauckel selbst fest, in welchem riesigen Ausmaß freie Menschen zu dieser Sklavenarbeit gezwungen worden waren. Er gab die Erklärung ab; und ich zitiere hier aus R-124, US-179, aus dem ich bereits heute Morgen Teile verlesen habe. Ich verweise auf Seite 11 dieses Dokuments, und zwar den mittleren Absatz. Es ist Absatz 2 auf Seite 4 des deutschen Textes, und ich zitiere Sauckels eigene Worte:
»Von den 5 Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200000 freiwillig gekommen.«
Die Nazi-Verschwörer hatten jedoch nicht genug damit, fünf Millionen Menschen von ihren Kindern wegzureißen, sie aus ihren Häusern und ihrer Heimat zu vertreiben. Nein, diese Angeklagten, die heute in diesem Gerichtssaal sitzen, bestanden noch dazu darauf, diese ungeheure Menge armer Teufel, die im sogenannten Altreich als Zwangsarbeiter lebten, hungern zu lassen, ihnen weniger als unbedingt nötig zu essen zu geben, sie oftmals prügeln und mißhandeln und in Massen sterben zu lassen aus Mangel an Nahrung, aus Mangel am Mindestmaß von anständiger Kleidung und geeigneter Unterkunft, oder tatsächlich manchmal, weil sie zu wenig schafften.
Die Verhältnisse, unter denen diese Verschleppungen erfolgten, ergeben sich deutlich aus Dokument 054-PS, einem Bericht an den Angeklagten Rosenberg über die Behandlung ukrainischer Arbeiter. Ich möchte auf 054-PS, US-198, Bezug nehmen. Bevor ich daraus zitiere, will ich bemerken, daß, wie aus diesem Bericht hervorgeht, der Jammer dieser unglücklichen Opfer noch dadurch vergrößert wurde, daß viele weggeschleppt wurden, ohne eine Möglichkeit zu haben, ihre Habe mitzunehmen. Frauen und Männer wurden aus ihren Betten geholt und in Keller gesperrt, bis sie abgeschoben wurden. Manche trafen in Nachtkleidung ein. Brutale Wachen schlugen auf sie ein. Sie wurden lange Zeit in Eisenbahnwagen eingesperrt gehalten, ohne irgendwelche sanitäre Einrichtungen, ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Heizung. Frauen waren physischen und moralischen Erniedrigungen und Schamlosigkeiten während der ärztlichen Untersuchungen ausgesetzt.
Ich verweise nun im besonderen auf Dokument 054-PS. Es ist dies erstens ein Mantelschreiben von einem gewissen Theurer, einem Oberleutnant der Wehrmacht, an den Angeklagten Rosenberg, dem die Abschrift eines Berichts des Kommandanten des Sammellagers für ukrainische Facharbeiter in Charkow beigelegt ist. Weiterhin enthält es einen Brief eines Spezialisten im Büro Rosenbergs, – nein, eines Facharbeiters, nicht aus dem Amt Rosenberg, sondern von einem der ausgehobenen Facharbeiter namens Grigori. Ich zitiere von Seite 2 des englischen Textes dieses Berichts, und zwar beginne ich mit Absatz 4; im deutschen Text ist es Seite 3, Absatz 4. Ich zitiere wörtlich:
»Die vielfach bestechlichen Starosten bzw. Dorfältesten ließen, bzw. lassen die von ihnen bestimmten Facharbeiter nicht selten nachts aus den Betten holen und bis zum Abtransport in Kellern einsperren. Da den Arbeitern bzw. Arbeiterinnen oft keine Zeit zum Gepäckpacken etc. gelassen wird, kommen viele Facharbeiter mit völlig ungenügender Ausrüstung (ohne Schuhe, zwei Kleider, Eß- und Trinkgeschirr, Decke etc.) im Facharbeitersammellager an. In besonders krassen Fällen müssen zur Nachholung des Notwendigsten daher eben Angekommene sofort wieder zurückgeschickt werden. Bedrohungen und Schlagen der Facharbeiter durch die obigen Dorfmilizen, wenn die Leute nicht sofort mitgehen, ist an der Tagesordnung und wird von den meisten Gemeinden gemeldet. In mehreren Fällen wurden Frauen bis zur Marschunfähigkeit geprügelt. Einen besonders schlimmen Fall habe ich dem Kommandeur der Ordnungspolizei hier (Herrn Oberst Samek) zur strengen Bestrafung gemeldet (Ort Sozolinkow, Bez. Dergatschi). Die Übergriffe der Starosten und Milizen sind besonders dadurch sehr schwerwiegender Art, daß die Genannten zu ihrer Rechtfertigung meist behaupten, das alles geschehe im Namen der deutschen Wehrmacht. In Wahrheit hat sich die letztere fast durchwegs hervorragend verständnisvoll gegen Facharbeiter und die ukrainische Bevölkerung betragen. Dasselbe kann jedoch von manchen Verwaltungsstellen nicht gesagt werden. Zur Illustrierung des Obengesagten sei erwähnt, daß einmal eine Frau mit nicht viel mehr als einem Hemd bekleidet ankam.«
Ich gehe nun auf Seite 4 dieses Dokuments über und beginne mit der zehnten Zeile, Absatz 3; im deutschen Text ist es Seite 5, Absatz 2. Ich zitiere wörtlich:
»Auf Grund gemeldeter Vorfälle muß auch darauf hingewiesen werden, daß es unverantwortlich ist, die Arbeiter im Waggon viele Stunden eingesperrt zu halten, so daß sie nicht einmal ihre Notdurft verrichten können. Zum Trinkwasserholen, Waschen, Austreten muß dem Transport selbstverständlich von Zeit zu Zeit Gelegenheit gegeben werden. Es sind Waggons gezeigt worden, die von den Leuten durchlöchert wurden, damit sie ihre Notdurft verrichten konnten. Das Austretenlassen muß allerdings bei Annäherung an größere Bahnhöfe möglichst außerhalb derselben erfolgen.«
Ich gehe nun zu Seite 5, Absatz 12, desselben Dokuments über; im deutschen Text ist es Seite 6, Absatz 1:
»Von Entlausungsanstalten wurden insofern Mißstände bekannt, als dort teils männliche Bedienung oder andere Männer sich unter den Frauen und Mädchen im Dusch raum betätigten oder herumtrieben – sogar mit Einseifung Dienst taten! – und umgekehrt bei den Männern Frauenpersonen, teils Männer längere Zeit in den Frauenduschräumen fotografierten. Da es sich bei der ukr. Landbevölkerung, die in den letzten Monaten hauptsächlich abtransportiert wurde, was den weiblichen Bevölkerungsteil betrifft, um sittlich sehr gesunde und an strenge Zucht gewöhnte Frauen handelt, muß eine solche Behandlung als Volksentehrung empfunden werden. Die erstgenannten Mißstände sind inzwischen unseres Wissens durch Eingreifen der Transportführer beseitigt worden. Das Fotografieren wurde uns aus Halle gemeldet, das erstere aus Kiewerce. Ähnliche, der Würde und dem Ansehen des Großdeutschen Reiches keinesfalls entsprechende Zustände dürften da und dort noch anzutreffen sein.«
Ohne einen Unterschied zu machen, wurden Kranke und Schwache zusammen mit den anderen aus den besetzten Gebieten verschleppt. Diejenigen, die die Reise nach Deutschland überlebten, aber zu krank ankamen, um zu arbeiten, wurden wie Vieh zusammen mit denjenigen zurückgeschickt, die bei der Arbeit erkrankten, da sie von keinem Nutzen mehr für die Deutschen waren. Die Rückreise erfolgte unter den gleichen fürchterlichen Verhältnissen wie die Hinreise und ohne jede ärztliche Aufsicht. Viele starben, und ihre Leichen wurden ohne Vorkehrungen für ein Begräbnis einfach aus den Wagen geworfen.
Ich zitiere nun Seite 3, Absatz 3 der Urkunde 054-PS. Im deutschen Text ist es Seite 2, Absatz 3. Ich zitiere wörtlich:
»Recht deprimierend auf die Stimmung sowohl der Facharbeiter wie der Bevölkerung wirken vor allem die untauglich gewordenen oder schon nicht arbeitseinsatzfähig gewesenen Rückbeförderten aus Deutschland.
Mehrmals schon haben sich Facharbeitertransporte nach Deutschland mit solchen untauglichen Rücktransporten gekreuzt und haben beide längere Zeit Gleis neben Gleis nebeneinander gelegen. Durch die ungenügende Betreuung dieser Rücktransporte (meist 50-60 in einem Waggon, lauter Kranke, Verletzte oder Schwache, oft mehrere Tage ohne genügende Verpflegung und Betreuung, da gewöhnlich nur 3-4 Mann Begleitung, durch die oft sehr ungünstigen – wenn auch sicher übertriebenen – Aussagen der Rückkehrer hinsichtlich Behandlung in Deutschland und unterwegs, sowie durch den sich ergebenden Augenschein, wurden bei den Facharbeitern bzw. dem ganzen nach Deutschland gehenden Transport Angstpsychosen ausgelöst. Mehrere Transportführer – bes. vom 62. und 63. Transport – melden hierüber Einzelheiten. In einem Fall beobachtete der Führer des Facharbeitertransportes mit eigenen Augen, wie ein Verhungerter auf dem Nebengeleis aus dem Rückkehrertransport ausgeladen wurde. Oblt. Hofmann des 63. Trp., Bhf. Darniza). Ein andermal wurde gemeldet, daß 3 Tote unterwegs vom Begleitkommando neben den Gleisen niedergelegt und unbestattet zurückgelassen werden mußten. Bedauerlich ist auch, daß diese Untauglichen ohne jegliche Ausweise hier ankom men. Nach den Berichten der Transportführer gewinnt man den Eindruck, daß diese Arbeitsuntauglichen zusammengefaßt, in Waggons gepfercht, mit ein paar Begleitmännern versehen und ohne besondere Fürsorge für Verpflegung, ärztliche und sonstige Betreuung losgeschickt werden. Sowohl die Arbeitsbehörde am Ankunftsort wie die Transportführer bestätigen diesen Eindruck.«
So unglaublich es auch klingen mag, gebärende Mütter waren mit Tuberkulösen und Geschlechtskranken zusammen. Kinder, die dort geboren wurden, wurden aus den Wagenfenstern geworfen, Sterbende lagen auf dem nackten Boden der Güterwagen, und es wurde ihnen nicht einmal Stroh gegeben.
Ich verweise hier auf 084-PS, US-199. Es ist dies ein interner Bericht von Dr. Gutkelch aus dem Ministerium des Angeklagten Rosenberg vom 30. September 1942. Ich will von Seite 10 des englischen Textes verlesen, und zwar beginne ich mit Zeile 4 der Seite von oben. Im deutschen Text ist es Seite 22, Absatz 1:
»Wie notwendig dieses Eingreifen war, beweist die Tatsache, daß der Rückkehrerzug inzwischen einem Zug neu angeworbener Ostarbeiter begegnete, was ohne das begütigende Dazwischentreten von Frau Miller angesichts der Toten in dem Rückkehrerzug zu einer Katastrophe hätte führen können. Wie in diesem Zuge Frauen Kinder geboren haben, die während der Fahrt aus dem Fenster geworfen wurden, während in dem glei chen Wagenraum tuberkulöse und geschlechtskranke Personen mitfuhren, wie hier Sterbende in Güterwagen ohne Stroh lagen und schließlich einer der Toten auf der Bahnböschung landete, so dürfte es auch mit den anderen Rücktransporten bestellt gewesen sein.«
Der Angeklagte Sauckel hat selbst in einem Erlaß vom 20. Juli 1942 die Art der Nazi-Transporte gekennzeichnet. Ich verweise insbesondere auf 2241(2)-PS, US-200. Ich bitte, den Gerichtshof, den Originalerlaß amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Er ist in Teil BIa, Seite 48e, eines »Die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften in Deutschland« betitelten Buches veröffentlicht. Ich zitiere Seite 1, Absatz 2, des englischen Textes, und zwar wörtlich:
»Nach mir vorgelegten Berichten der Transportleiter sind die von der Reichsbahn bereitgestellten Sonderzüge wiederholt in einem recht mangelhaften Zustande gewesen. In den Wagen haben häufig zahlreiche Fensterscheiben gefehlt. Teilweise sind alte französische Wagen eingesetzt worden, die keine Aborte hatten, so daß die Arbeiter genötigt waren, ein geräumtes Abteil als Abort einzurichten. In anderen Fällen waren im Winter die Wagen ungeheizt, so daß die Aborte nach kurzer Zeit unbenutzbar wurden, weil die Wasserleitungen eingefroren und die Spülvorrichtung somit ohne Wasser war.«
Der Hohe Gerichtshof wird sicherlich festgestellt oder bemerkt haben, daß eine ganze Anzahl der angezogenen und vorgelegten Urkunden Beschwerden enthalten, die von Beamten aus dem Ministerium des Angeklagten Rosenberg oder anderen über Zustände gemacht wurden, unter denen die ausländischen Arbeiter angeworben wurden und leben mußten. Ich halte es für richtig, darauf hinzuweisen, daß diese Urkunden von der Anklagebehörde aus zwei Gründen vorgelegt wurden: erstens natürlich zum Beweis der darin geschilderten Tatsachen, und dann auch um zu zeigen, daß die Nazi-Verschwörer über diese Zustände Bescheid wußten, und daß sie trotz dieser Kenntnis dieses Programm der Versklavung einer ungeheueren Anzahl von Einwohnern der besetzten Länder begünstigten und daran teilnahmen.
Nach ihrer Ankunft in Deutschland waren diese Sklavenarbeiter geradezu unglaublichen Brutalitäten und Erniedrigungen von seiten ihrer Aufseher unterworfen. Die Art ihrer Behandlung geht teilweise aus eigenen Äußerungen der Verschwörer hervor, wie zum Beispiel aus Urkunde 016-PS, US-168. Ich verweise auf Seite 12, Absatz 2, des englischen Textes; im deutschen Text ist es Seite 17, Absatz 4. Ich zitiere wörtlich:
»All diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmögliche Leistung hervorbringen.«
Die Methode der Verwendung von Gewalt und Brutalität zur Erhöhung der Produktion fand einen bereitwilligen Anhänger in dem Angeklagten Speer, der in Gegenwart des Angeklagten Sauckel bei einer Besprechung der Zentralen Planung eine Äußerung machte – ich verweise hier auf Urkunde R-124 –, die schon als Beweisstück vorliegt und über die ich bereits gesprochen habe. Es ist US-179. Ich verweise insbesondere auf Seite 42, Absatz 2, dieses Dokuments R-124. Der Angeklagte Speer führte bei dieser Besprechung aus:
»Die Bummelantenfrage ist auch ein Punkt, den wir behandeln müssen. Ley hat festgestellt, daß dort, wo Betriebsärzte sind und die Leute von den Betriebsärzten untersucht werden, sofort der Krankenstand auf ein Viertel bis auf ein Fünftel sinkt. SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken. Anders geht es nicht. Das braucht nur ein paarmal zu passieren, das spricht sich herum.«
Bei einer späteren Besprechung der Zentralen Planung stimmte Feldmarschall Milch hinsichtlich der Arbeiter dem zu. Ich verweise nochmals auf Urkunde R-124, Seite 26, Absatz 2, des englischen Textes; es ist Seite 17, Absatz 1, im deutschen Text. Feldmarschall Milch erklärte bei der Sitzung der Zentralen Planung, bei der auch der Angeklagte Speer zugegen war; und ich zitiere wörtlich:
»Man müßte die Liste der Bummelanten Himmler zu treuen Händen geben...«
Milch bezog sich besonders auf ausländische Arbeiter, und zwar erscheint dies gleichfalls auf Seite 26, Absatz 3, des Dokuments R-124; im deutschen Text ist es Seite 18, Absatz 3. Ich zitiere seinen Ausspruch wörtlich:
»Infolgedessen ist es gar nicht möglich, jeden Ausländer voll auszunutzen, es sei denn, daß der Akkord ihn zwingt, und daß wir die Möglichkeit haben, gegen Ausländer, die ihren Kram nicht machen, vorzugehen.«
Die Politik, nach der tatsächlich vorgegangen wurde, war sogar noch schrecklicher als von den Verschwörern angegeben. Tatsächlich waren diese zwangsmäßig angeworbenen Arbeiter unterernährt und überarbeitet; man zwang sie, in unmäßig überfüllten Lagern zu leben, wo sie wie wirkliche Gefangene gehalten wurden. Man enthielt ihnen überdies angemessene Unterkunft, Kleidung, notwendige ärztliche Betreuung und Behandlung vor, was zur Folge hatte, daß sie sich viele Krankheiten und Leiden zuzogen. Sie wurden im allgemeinen gezwungen, lange Stunden bis zur Erschöpfung und darüber hinaus zu arbeiten; sie wurden geschlagen und jeder Art von unmenschlichen Erniedrigungen ausgesetzt.
Ein Beispiel für diese Mißhandlungen geben die Zustände, die in den Kruppwerken herrschten. Ausländische Arbeiter in den Kruppwerken erhielten unzureichende Nahrung, so daß sie nicht fähig waren, die von ihnen verlangten Arbeiten zu verrichten.
Ich verweise auf Dokument D-316, US-201. Dieses Dokument wurde in den Akten der Kruppwerke gefunden. Es ist eine Denkschrift auf Krupps Briefpapier geschrieben, an einen Herrn Hupe, Direktor der Krupp-Lokomotivfabrik in Essen, Deutschland, gerichtet, und datiert vom 14. März 1942. Ich verweise auf Seite 1 des englischen Textes und beginne mit Absatz 1, den ich wörtlich zitiere:
»Wir stellen in den letzten Tagen fest, daß die Beköstigung der hier eingesetzten Russen derart miserabel ist, daß die Leute von Tag zu Tag mehr geschwächt sind. Feststellungen haben ergeben, daß die einzelnen Russen nicht mehr in der Lage sind, beispielsweise einen Drehstahl einwandfrei anzuziehen, wegen fehlender körperlicher Kräfte. Genau so verhält es sich an allen anderen Arbeitsplätzen, an denen Russen beschäftigt sind.«
Die Lage der ausländischen Arbeiter in den Arbeiterlagern der Kruppwerke ist mit allen Einzelheiten in einer eidesstattlichen Erklärung dargestellt, die in Essen, Deutschland, von Dr. Wilhelm Jäger, dem Oberarzt des Lagers, abgegeben wurde. Es ist Dokument D-288, US-202.
»Ich heiße Dr. Wilhelm Jäger, bin ein praktischer Arzt in Essen, Deutschland, und Umgebung. Ich wurde am 2. Dezember 1888 in Deutschland geboren und wohne jetzt in Kettwig, Sengenholz 6, Deutschland.
Ich gebe die folgende Erklärung freiwillig und ohne jeden Zwang ab. Es ist mir keinerlei Belohnung dafür versprochen worden.
Am 1. Oktober 1942 wurde ich Oberlagerarzt in den Kruppschen Arbeiterlagern für Ausländer und hatte die medizinische Überwachung von allen Kruppschen Arbeitslagern in Essen unter mir. Es war eine meiner Aufgaben, über die gesundheitlichen und sanitären Zustände in den Lagern meinen Vorgesetzten in den Kruppwerken zu berichten.
In der Ausübung meiner Tätigkeit mußte ich alle Kruppschen Lager für ausländische Zivilarbeiter besuchen und kann, basiert auf mein persönliches Wissen, folgende Aussage machen:
Ich begann meine Tätigkeit mit einer vollkommenen Inspektion der Lager. Zu dieser Zeit, im Oktober 1942, fand ich die folgenden Zustände vor:
Die Ostarbeiter und Polen – von jetzt ab gebrauche ich den Ausdruck »Ostarbeiter« für die Ostarbeiter sowohl als auch für Polen –, welche in den Kruppwerken in Essen arbeiteten, waren in den folgenden Lagern untergebracht: Seumannstraße, Grieperstraße, Spenlestraße, Heegstraße, Germaniastraße, Kapitän-Lehmannstraße, Dechenschule und Krämerplatz. Sämtliche Lager waren von Stacheldraht umgeben und waren streng bewacht.
Die Zustände in allen diesen Lagern waren äußerst schlecht. Die Lager waren überfüllt. In einigen Lagern waren mehr als 2mal soviel Personen untergebracht als gesunde Verhältnisse es erlauben. Die Insassen des Lagers am Krämerplatz schliefen in Betten, von denen je 3 übereinandergestellt waren. In den anderen Lagern gab es doppeltstöckige Betten. Die Vorschriften des Gesundheitsamtes verlangten einen Mindestabstand zwi schen den Betten von 50 cm. In diesen Lagern aber war der Abstand zwischen den Betten allerhöchstens auf 20 bis 30 cm beschränkt.
Das Essen für die Ostarbeiter war vollkommen unzureichend. Die Ostarbeiter erhielten 1000 Kalorien pro Tag weniger als das Minimum für Deutsche. Während deutsche Arbeiter, die Schwerstarbeit leisteten, 5000 Kalorien pro Tag bekamen, erhielten die Ostarbeiter, die dieselben Arbeiten machten, nur 2000 Kalorien pro Tag. Die Ostarbeiter bekamen nur 2 Mahlzeiten pro Tag und ihre Brotration. Eine der zwei Mahlzeiten bestand nur aus einer dünnen, wäßrigen Suppe. Ich war mir nicht sicher, ob die Ostarbeiter das für sie vorgeschriebene Minimum auch tatsächlich erhielten. Später, 1943, als ich die Nahrung, die von den Küchen zubereitet wurde, prüfte, stellte sich in verschiedenen Fällen heraus, daß den Ostarbeitern Nahrungsmittel vorenthalten worden waren.
Der Versorgungsplan schrieb eine kleine Menge Fleisch pro Woche vor. Dafür durfte nur Freibankfleisch verwendet werden, welches entweder Pferde-, tuberkulöses oder vom Tierarzt verworfenes Fleisch war. Gewöhnlich wurde dieses Fleisch in einer Suppe gekocht....
Die Zahl der erkrankten Ostarbeiter war doppelt so groß wie die der deutschen Arbeiter. Tbc. war besonders weit verbreitet. Prozentual gab es unter den Ostarbeitern 4× soviel Tbc.-Fälle als unter den Deutschen. (Deutsche 0,5 %, Ostarbeiter 2 %.)
In der Dechenschule hatten ungefähr 2 1/2% der Ost arbeiter offene Tbc. Die Tataren und Kirgisen litten am meisten unter dieser Krankheit. Sobald sie davon betroffen wurden, brachen sie wie die Fliegen zusammen. Die Gründe dafür waren die schlechte Unterbringung, die schlechte Qualität und ungenügende Quantität des Essens, Überarbeitung und nicht genügende Ruhe.
Flecktyphus war auch unter diesen Arbeitern verbreitet. Läuse, die Träger dieser Krankheit, zusammen mit unzähligen Flöhen, Wanzen und anderem Ungeziefer, plagten die Insassen dieser Lager. Als Ergebnis der schmutzigen Zustände in diesen Lagern hatten fast alle Ostarbeiter Hautkrankheiten. Die mangelnde Ernährung verursachte Fälle von Hunger-Ödem, Nephritis und Shighekruse.
Im Krankheitsfalle mußten die Arbeiter so lange zur Arbeit gehen, bis sie von einem Lagerarzt arbeitsunfähig geschrieben wurden. In den Lagern der Seumannstraße, Grieperstraße, Germaniastraße: Kapitän-Lehmannstraße und Dechenschule wurde keine tägliche Sprechstunde abgehalten. Diese Lager wurden von den zuständigen Lagerärzten nur jeden 2. oder 3. Tag besucht. Infolgedessen mußten die Arbeiter trotz ihrer Krankheit bis zum Erscheinen eines Arztes zur Arbeit gehen.
Ich tat mein Bestes, um diese Zustände soweit wie möglich zu verbessern. Ich bestand darauf, daß neue Baracken errichtet wurden, um so der Überfüllung der Lager abzuhelfen. Trotzdem waren die Lager aber noch überfüllt, wenn auch nicht in dem Maße wie zuvor. Ich versuchte, den schlechten sanitären Zuständen am Krämerplatz und in der Dechenschule abzuhelfen, indem ich Not-Toiletten einbauen ließ. Es waren aber viel zu wenig, um damit eine größere Änderung der schlechten Zustände herbeiführen zu können.... Mit dem Beginn der schweren Luftangriffe im März 1943 verschlechterten sich die Zustände in den Lagern immer mehr. Das Problem der Unterbringung, Verpflegung und medizinischen Betreuung wurde akuter als je zuvor. Die Arbeiter lebten in den Ruinen ihrer früheren Baracken. Medikamente und Bandagen, welche aufgebraucht, verloren oder zerstört worden waren, konnten schlecht ersetzt werden. Es kam vor, daß die Wasserversorgung der Lager für 8 bis 14 Tage vollkommen unterbrochen war. Wir brachten dann einige Not-Toiletten in die Lager, jedoch waren es viel zu wenig, um den schlechten Zuständen abhelfen zu können. Nach den Luftangriffen im März 1943 brachten wir viele Ostarbeiter direkt in den Kruppwerken unter. Eine Ecke des Fabrikgebäudes, in dem sie arbeiteten, wurde durch Bretter abgetrennt. Die Arbeiter der Tagesschicht schliefen dort während der Nacht, und die der Nachtschicht während des Tages trotz des großen Lärms, der dauernd in den Fabrikhallen herrschte. Ich glaube, daß dieser Zustand bis zum Eintreffen der amerikanischen Truppen in Essen fortdauerte. Je mehr Luftangriffe auf Essen stattfanden, desto schlimmer wurden die Zustände. Am 28. Juli 44 berichtete ich meinen Vorgesetzten:
›Die Revierbaracke Rabenhorst ist in einem derart schlechten Zustand, daß von einer Revierbaracke überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. Es regnet an allen Ecken und Enden durch. Die Unterbringung von Kranken ist daher unmöglich. Der Arbeitseinsatz wird dadurch schwerstens gefährdet, da eine Gesundung der Kranken nicht zu erreichen ist.‹
Ende 1943 oder zu Anfang des Jahres 1944 – an das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern – erhielt ich zum erstenmal die Erlaubnis, Kriegsgefangenenlager zu besuchen. Meine Inspektion ergab, daß die Zustände in diesen Lagern noch schlechter waren als die, die ich in den Ostarbeiterlagern 1942 vorgefunden hatte. Sanitäre Bedarfsartikel waren kaum vorhanden. Ich versuchte, diese unmöglichen Zustände abzuändern, indem ich mich mit den zuständigen Wehrmachtsstellen in Verbindung setzte, deren Pflicht die ärztliche Betreuung der Kriegsgefangenen war. Meine andauernden Bemühungen waren erfolglos. Nachdem ich 2 Wochen lang immer wieder vorstellig wurde, erhielt ich insgesamt 100 Aspirin-Tabletten für über 3000 Kriegsgefangene.
Das französische Kriegsgefangenenlager in der Nöggerathstraße war durch einen Luftangriff zerstört worden und die Insassen wurden für fast ein halbes Jahr in Hundehütten, Pissoiren und alten Backöfen untergebracht. Die Hundehütten waren 1 m hoch, 3 m lang und 2 m breit. 5 Mann schliefen in einer jeden Hütte. Die Gefangenen mußten auf allen Vieren in diese Hundehütten hineinkriechen. In diesem Lager gab es keine Tische, Stühle oder Schränke. Es waren auch nicht genügend Decken vorhanden. Im ganzen Lager gab es kein Wasser. Die ärztlichen Untersuchungen, die stattfanden, mußten im Freien vorgenommen werden. Viele dieser Zustände wurden mir in einem Bericht von Dr. Stinnesbeck vom 12. Juni 1944 mitgeteilt, in welchem er sagt:
›... Im Lager sind noch 315 Gefangene. 170 von ihnen wohnen nicht mehr in Baracken, sondern in einem Durchlaß der Eisenbahnstrecke Essen-Mülheim im Zuge der Grunertstraße. Dieser Durchlaß ist feucht und für die dauernde Unterbringung von Menschen nicht geeignet. Der Rest der Kriegsgefangenen ist in 10 Betrieben der Kruppwerke untergebracht. Ihre ärztliche Betreuung erfolgt durch einen französischen Militärarzt, der sich mit der Versorgung seiner Landsleute große Mühe macht. Zu dem Revierdienst müssen auch die erkrankten Personen aus den Kruppbetrieben herbeigeführt werden. Dieser Dienst wird in der Bedürfnisanstalt einer ausgebrannten Wirtschaft außerhalb des Lagers wahrgenommen. In den früheren Pissoirs sind die Lagerstätten für 4 französische Sanitäter. Für Revierkranke stehen 2 übereinanderstehende Holzbetten zur Verfügung. Im allgemeinen findet die ärztliche Behandlung im Freien statt. Bei Regenwetter muß sie in dem oben genannten engen Raum stattfinden. Das sind unhaltbare Zustände. Es gibt keinen Tisch, keine Stühle, keinen Schrank, kein Wasser. Die Führung eines Krankenbuches ist unmöglich. Die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln ist außerordentlich knapp, obwohl häufiger auch schwer im Betriebe verletzte Personen zur 1. ärztlichen Hilfe vorgeführt werden und hier verbunden werden müssen, bevor der Transport in stationäre Behandlung erfolgen kann. Auch über die Verpflegung werden lebhafte Klagen laut, die von der Wachmann schaft als berechtigt bestätigt werden. Unter diesen Umständen muß mit Krankheit und dem Ausfall von Arbeitskräften gerechnet werden....‹
In einem Bericht vom 2. September 1944 schrieb ich an meine Vorgesetzten bei Krupp:
Das Lager Humboldtstraße war von ital. Mil.-Internierten bewohnt. Als das Lager durch einen Bombenangriff zerstört wurde, kamen die Italiener weg und an deren Stelle wurden 600 Jüdinnen aus dem Konzentrationslager Buchenwald hereingebracht, um bei den Kruppwerken zu arbeiten. Bei meinem 1. Besuch in diesem Lager fand ich Personen, die an eiternden offenen Wunden und anderen Krankheiten litten. Ich war der 1. Arzt, welchen sie für 14 Tage gesehen hatten. Es gab dort keinen Lagerarzt. Ferner waren keine Arznei- oder Verbandsmittel vorhanden. Die Frauen hatten keine Schuhe und liefen barfuß herum. Ihre einzigste Bekleidung war ein Sack, in den Löcher für die Arme und für den Kopf geschnitten waren. Ihr Haar war abgeschert. Das Lager war umgeben von Stacheldraht und wurde strengstens von SS-Angehörigen bewacht.
Das Essen in diesem Lager war äußerst knapp und besonders schlecht. Die Behausungen, in denen sie wohnten, waren die Ruinen ehemaliger Baracken, die keinerlei Schutz gegen Regen oder andere Witterungsverhältnisse boten. Ich meldete meinen Vorgesetzten in einem Bericht, daß die SS-Wachmannschaften sich außerhalb der Wohnräume aufhielten und schliefen, da man sich nicht in das Lager wagen konnte, ohne von 10, 20 oder 50 Flöhen direkt angefallen zu werden. Ein von mir angestellter Lagerarzt weigerte sich, das Lager wieder zu betreten, nachdem er total zerstochen worden war. Ich selbst sowie der mich begleitende Herr Gröne haben nach 2maligem Besuch das Lager sehr zerstochen verlassen und hatte erhebliche Schwierigkeiten, die Flöhe und das Ungeziefer wieder los zu werden. Als ich das Lager verließ, hatte ich große Beulen an meinen Armen und an meinem ganzen Körper. Ich verlangte von meinen Vorgesetzten bei Krupp, die nötigen Schritte zu unternehmen, um das Lager zu entlausen und somit diesen unerträglichen Zuständen hinsichtlich des Ungeziefers ein Ende zu bereiten. Trotz dieses Berichtes fand ich keine Verbesserung der sanitären Zustände bei meinem 2. Besuch des Lagers, 14 Tage später, vor. Wenn ausländische Arbeiter zu krank waren, um zu arbeiten, oder unfähig zur weiteren Arbeit waren, wurden sie dem Arbeitsamt in Essen übergeben und von dort in ein Lager in Friedrichsfeld gesandt. Unter den Personen, die dem Arbeitsamt zur Verfügung gestellt wurden, waren schwere Fälle von Tbc., Neurose, Malaria, nicht operativem Krebs, Altersschwäche und allgemeiner Schwäche. Ich selbst kannte die Zustände des Lagers Friedrichsfeld nicht, da ich es niemals selbst besuchte. Ich weiß nur, daß es die Stelle war, wohin man Arbeiter schickte, die Krupp nicht mehr gebrauchen konnte.
Meine Kollegen und ich berichteten die oben erwähnten Tatsachen an Herrn Ihn, Direktor der Firma Friedr. Krupp AG.; Dr. Wiele, Hausarzt von Dr. Gustav Krupp v. Bohlen und Halbach, Oberlagerführer Kupke, und manches Mal an das Gesundheitsamt Essen. Außer dem weiß ich, daß diese Herren die Lager auch selbst besichtigten. Dr. Wilhelm Jäger.«
VORSITZENDER: Wir werden jetzt bis 2 Uhr vertagen.