[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Wir hatten bei der Mittagsvertagung gerade die Verlesung der eidesstattlichen Erklärung des Dr. Wilhelm Jäger beendet. Die Zustände, die in dieser eidesstattlichen Erklärung beschrieben wurden, beschränkten sich nicht allein auf die Kruppwerke, sondern herrschten überall in Deutschland.
Wir wenden uns jetzt einem Bericht des polnischen Hauptkomitees an die Verwaltung des polnischen Generalgouvernements, Dokument R-103, US-204, zu. Dieses Dokument datiert vom 17. Mai 1944 und beschreibt die Lage der polnischen Arbeiter in Deutschland. Ich möchte insbesondere auf Seite 2 der englischen Übersetzung verweisen, beginnend mit Absatz 2. Im deutschen Text befindet sich die Stelle auf Seite 2, Absatz 2. Ich zitiere daraus folgendes:
»Die Reinlichkeit mancher vollgedrängten Lagerräume widerspricht den elementarsten Anforderungen. Die Möglichkeit, warmes Abwaschwasser zu erhalten, ist vielfach ausgeschlossen und macht es den reinlichsten Eltern unmöglich, bei ihren Kindern selbst nur die primitivsten hygienischen Maßregeln einzuhalten und oft ihre einzige Wäsche, über die sie verfügen, zu waschen. Eine Folge davon ist die Krätze, die vielfach um sich greift und nicht ausgemerzt werden kann....
Aus den Ostarbeiterlagern und von den kinderreichen Arbeiterfamilien stammen auch meistens die flehentlichen Briefe, die an uns um Ernährungshilfe gerichtet werden. Die dort angeführte Quantität und Qualität der in den Lagern verabreichten Lebensmittel – die sogen. 4. Kost – ist durchaus nicht hinreichend, um die bei schwerer Arbeit verbrauchten Kräfte zu ersetzen. 3,5 kg Brot für die Woche und eine schmale Mittagssuppe, die aus Kohlrüben oder anderen Gemüsen ganz ohne Fleisch- und Fettgehalt gekocht ist, und hie und da ein spärlicher Zusatz von Kartoffeln, sind für den schwer arbeitenden Mann eine Hungerkost.
Wenn dann noch Fälle vorkommen, daß man z.B. für die Weigerung – das Abzeichen »Ost« anzunehmen – Hungerstrafen verhängt, die so weit gehen, daß Arbeiter bei ihrer Arbeit ohnmächtig werden (Lager in Klosterteich, Grünheim i. Sa.), dann ergibt sich daraus in der Folge eine Erschöpfung der Organismen, die als Ergebnis eine völlige Entkräftung, Krankheitszustände und Tuberkulose nach sich zieht. Daß die Tuberkulose bei den in den Fabrikbetrieben beschäftigten polnischen Arbeitern stark um sich greift, ist auf die mangelhaften Ernährungsrationen zurückzuführen, die in den Gemeinschaftslagern verabreicht werden, wobei der Kräfteverbrauch bei den den Arbeitern gestellten schweren Arbeitsleistungen nicht ersetzt werden kann.
... Der Ruf um Hilfe, der zu uns dringt, bringt Tatsachen des Darbens und Hungerns, schwerer Magen- und Darmerkrankungen besonders bei den Kleinen, die auf die schmale und durchaus nicht für Kinder berechnete Kost zurückzuführen sind. An eine geeignete ärztliche Behandlung und Krankenpflege ist in den Massenlagern nicht zu denken.«
Ich beziehe mich nun auf Seite 3 desselben Dokuments, besonders auf den ersten Absatz. Im deutschen Text ist dies Seite 5, Absatz 1:
»Zu diesen Übeln gesellt sich im Lagerleben für die kinderreichen Familien der Mangel einer zielbewußten Beschäftigung und Aufsicht dieser Kinderscharen, die, sich selbst überlassen, ohne Unterricht und religiöse Betreuung verwildern müssen, und zu Analphabeten heranwachsen. Der Müßiggang in einer rohen Umgebung kann und muß unerwünschte Auswirkung bei diesen Kindern hervorrufen....
Zu welchen Auswüchsen diese Mißstände führen können, zeigt die Tatsache, daß in den Ostarbeiterlagern (›Waldlust‹, Post Lauf/Pegnitz) Fälle vorkommen, wo achtjährige, schwächliche und unterernährte Kinder zu Zwangsarbeiten herangezogen werden und daran zu Grunde gehen....
Daß alle diese Übelstände eine bedrohliche Rückwirkung auf den Gesundheitszustand und die Lebensfähigkeit der Arbeiter haben, zeigen die vielen Fälle von Tuberkulose bei ganz jungen Menschen, die als arbeitsunfähig aus dem Reich ins Generalgouvernement zurückkehren. Ihr Zustand ist meistens so schwer, daß an eine Heilung nicht mehr zu denken ist.
Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß Erschöpfungszustände bei übermäßiger Arbeit und bei Unterernährung nicht als Krankheitszustände anerkannt werden bis zum Augenblick, wo die Krankheit sich durch hohe Fieberzustände und Erschöpfung bis zur Ohnmacht geltend macht.
Es sind zwar vorsorglich Heime für arbeitsunfähige Arbeiter geschaffen, aber man kann sie erst dann beziehen, wenn die Heilung nicht mehr in Aussicht steht – Neumarkt in Bayern –, wo die Unheilbaren langsam dahinsiechen und wo nichts vorgenommen wird, um den Zustand des Kranken durch entsprechende Ernährung und Heilmittel auch nur zu lindern. Es befinden sich darin auch Kinder, bei denen die Heilung der Tuberkulose nicht aussichtslos ist, auch Personen im vollen Mannesalter, die – rechtzeitig zu ihren Familien am Lande heimgeschickt – vielleicht doch noch genesen könnten....
Nicht weniger schmerzlich wird die Zerrissenheit des Familienlebens empfunden, die dadurch bewirkt wird, daß Ehefrauen, Mütter kleiner Kinder aus ihrem Familienkreis herausgerissen werden und ins Reich zum Arbeitseinsatz geschickt werden.«
Schließlich verlese ich von Seite 4, Absatz 1 desselben Dokuments, Seite 7, Absatz 4, des deutschen Textes.
»Wenn unter diesen Mißständen der moralische Halt abgeht, der sonst durch geregelte Familienverhältnisse geschaffen wird, dann müßte derjenige moralische Halt erhalten bleiben und unterstützt werden, den die religiöse Einstellung der polnischen Bevölkerung mit sich bringt. Die Ausschaltung des Gottesdienstes, der religiösen Praktik und Betreuung aus dem Leben der polni schen Arbeiter, das Verbot, die Kirchen zu besuchen, wenn darin Gottesdienst für andere abgehalten wird, und sonst andere Maßnahmen, kennzeichnen eine gewisse Geringschätzung des religiösen Einflusses auf den Gesinnungsinhalt der Arbeiter....«
VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, wer die Mitglieder des polnischen Zentralkomitees waren, oder wie es zu dessen Gründung kam?
MR. DODD: Soweit uns bekannt ist, wurde dieses Komitee seinerzeit, als Polen besetzt wurde, vom Nazi-Staat aufgezogen, um eine Art Zusammenarbeit mit diesem während der Besatzungszeit herzustellen. Wir kennen jedoch nicht die Namen der Mitglieder und haben auch sonst keine näheren Informationen.
VORSITZENDER: Ist es ein erbeutetes Dokument?
MR. DODD: Jawohl, Herr Vorsitzender. Alle Dokumente, die ich zu diesem Fall vorlege, mit Ausnahme des Berichts der Niederländischen Regierung und von ein oder zwei anderen amtlichen Berichten, wie der eidesstattlichen Erklärungen von Deuß und ähnlichen, sind erbeutete Dokumente. Dies spezielle Dokument wurde, wie ich eben erfahre, von der 3. Armee der Vereinigten Staaten erbeutet.
Besonders harte und brutale Behandlung wurde den Arbeitern aus den besetzten Ostgebieten zuteil. Wie wir schon ausgeführt haben, lebten sie tatsächlich in Knechtschaft und waren nahezu jeder Art von Erniedrigung ausgesetzt; sie wurden in Ställen mit Tieren untergebracht; das Recht der freien Religionsausübung und die gewöhnlichen Vergnügungen der menschlichen Gesellschaft waren ihnen versagt.
Eine Schilderung dieser Behandlung enthält Dokument EC-68, US-205. Dieses Dokument EC-68 trägt die Überschrift: »Bestimmungen über die Behandlung ausländischer Landarbeiter polnischen Volkstums«. Es trägt das Datum vom 6. März 1941 und stammt vom Badischen Finanz- und Wirtschaftsminister. Wir kennen dessen Namen nicht und konnten ihn auch nicht feststellen.
Ich lese den englischen Text des Dokuments, und zwar von Anfang an:
»Mit Genugtuung haben die Dienststellen des Reichsnährstandes – Landesbauernschaft Baden – das Ergebnis der Verhandlungen beim Höheren SS- und Polizeiführer am 14. Februar 1941 in Stuttgart aufgenommen. Entsprechende Merkblätter wurden den Kreisbauernschaften bereits übergeben. Anschließend gebe ich einzelne Bestimmungen bekannt, wie diese auf Grund der Besprechungen festgelegt wurden und nun entsprechend angewendet werden müssen:
1. Ein Beschwerderecht steht den Landarbeitern polnischen Volkstums grundsätzlich nicht mehr zu und dürfen solche auch von keiner Dienststelle entgegengenommen werden.
2. Die Landarbeiter polnischen Volkstums dürfen die Ortschaften, in welche sie zum Einsatz gegeben wurden, nicht mehr verlassen und haben Ausgangsverbot vom 1. Oktober bis 31. März von 20 Uhr bis 6 Uhr, und vom 1. April bis 30. September von 21 Uhr bis 5 Uhr.
3. Die Benutzung von Fahrrädern ist streng untersagt. Ausnahmen sind möglich für Fahrten zur Arbeitsstelle aufs Feld, wenn ein Angehöriger des Betriebsführers oder der Betriebsführer selbst dabei ist.
4. Der Besuch der Kirchen, gleich welcher Konfession, ist streng verboten, auch wenn kein Gottesdienst abgehalten wird. Einzelseelsorge durch die Geistlichen außerhalb der Kirchen ist gestattet.
5. Der Besuch von Theatervorstellungen, Kinos oder sonstigen kulturellen Veranstaltungen ist für Landarbeiter polnischen Volkstums streng untersagt.
6. Der Besuch von Gaststätten für Landarbeiter polnischen Volkstums ist streng verboten mit Ausnahme einer Gaststätte im Ort, die vom Landratsamt hierzu bestimmt wurde und nur an einem Tag in der Woche. Der Tag, welcher zum Besuch der Gaststätte freigegeben wurde, wird ebenfalls vom Landratsamt bestimmt. Bei dieser Bestimmung ändert sich an dem unter 2. verkündeten Ausgangsverbot nichts.
7. Der Geschlechtsverkehr mit Frauen und Mädchen ist streng verboten, und wo solcher festgestellt wird, ist Anzeigepflicht gegeben.
8. Zusammenkünfte von Landarbeitern polnischen Volkstums nach Feierabend auf anderen Höfen, sei es in Stallungen oder in den Wohnräumen der Polen, sind verboten.
9. Die Benutzung von Eisenbahnen, Omnibussen oder sonstigen öffentlichen Verkehrsmitteln durch Landarbeiter polnischen Volkstums ist verboten.
10. Bescheinigungen von der Ortspolizeibehörde (Bürgermeisteramt), welche zum Verlassen des Ortes berechtigen, dürfen nur in ganz großen Ausnahmefällen ausgestellt werden. Keinesfalls aber, wenn ein Pole eigenmächtig eine Dienststelle, sei es ein Arbeitsamt oder die Kreisbauernschaft, aufsuchen oder seinen Arbeitsplatz wechseln will.
11. Ein eigenmächtiger Stellenwechsel ist streng verboten. Die Landarbeiter polnischen Volkstums haben so lange täglich zu arbeiten, wie es im Interesse des Betriebs gelegen ist und vom Betriebsführer verlangt wird. Eine zeitliche Begrenzung der Arbeitszeit besteht nicht.
12. Das Züchtigungsrecht steht jedem Betriebsführer für die Landarbeiter polnischen Volkstums zu, sofern gutes Zureden und Belehrungen ohne Erfolg waren. Der Betriebsführer darf in einem solchen Fall von keiner Dienststelle deswegen zur Rechenschaft gezogen werden.
13. Die Landarbeiter polnischen Volkstums sollen nach Möglichkeit aus der Hausgemeinschaft entfernt werden und können in Stallungen usw. untergebracht werden. Irgendwelche Hemmungen dürfen dabei nicht hindernd im Wege stehen.
14. Alle von Landarbeitern polnischen Volkstums begangenen Schandtaten, die dazu angetan sind, den Betrieb zu sabotieren oder die Arbeiten aufzuhalten, z. B. durch Arbeitsunwillen und freches Benehmen, unterlie gen der Anzeigepflicht, auch dann, wenn es sich um leichtere Fälle handelt. Ein Betriebsführer, welcher durch pflichtgemäße Anzeige seinen Polen, der daraufhin eine längere Haftstrafe verbüßen muß, verliert, erhält auf Antrag vom zuständigen Arbeitsamt bevorzugt eine andere polnische Arbeitskraft zugewiesen.
15. In allen anderen Fällen ist nur noch die Staatspolizei zuständig.
Auch für die Betriebsführer sind hohe Strafen vorgesehen, sollte festgestellt werden, daß der notwendige Abstand von den Landarbeitern polnischen Volkstums nicht gewahrt worden ist. Dasselbe gilt auch für die Frauen und Mädchen. Sonderzuwendungen sind streng untersagt. Nichteinhaltung der Reichstarife für Landarbeiter polnischen Volkstums werden mit sofortiger Wegnahme der Arbeitskraft durch das zuständige Arbeitsamt bestraft.«
Die Frauen der eroberten Gebiete wurden gegen ihren Willen verschleppt, um als Hausangestellte zu arbeiten. Der Angeklagte Sauckel beschreibt diesen Vorgang mit eigenen Worten im Dokument 016-PS, das schon als US-168 vorgelegt wurde. Es ist Seite 7, Absatz 4 des englischen Textes. Im deutschen Text befindet sich die Stelle auf Seite 10, Absatz 1. Ich zitiere wörtlich:
»Um der deutschen Hausfrau, vor allem der kinderreichen Mutter sowie der aufs höchste in Anspruch genommenen deutschen Bauersfrau eine fühlbare Entlastung zuteil werden zu lassen und ihre Gesundheit nicht weiter zu gefährden, hat mich der Führer auch beauftragt, aus den östlichen Gebieten etwa 4-500000 ausgesuchte, gesunde und kräftige Mädchen ins Reich hereinzunehmen.«
Sobald sie eingefangen und gezwungen worden waren, Arbeiterinnen in Deutschland zu werden, wurden diese Frauen aus dem Osten auf Befehl ihres Sklavenhalters, des Angeklagten Sauckel, einem Haushalt zugewiesen, dem sie verpflichtet blieben. Sie hatten höchstens drei Stunden Freizeit in der Woche, und das Recht zur Rückkehr in die Heimat war ihnen versagt.
Ich lege jetzt Dokument 3044(b)-PS, US-206, vor. Das Schriftstück ist eine Verordnung, die von dem Angeklagten Sauckel herausgegeben wurde und Anweisungen für Hausfrauen betreffend die Behandlung von Hausarbeitern aus dem Osten enthält. Ich bitte den Gerichtshof, von dieser Verordnung amtlich Kenntnis zu nehmen. Sie erscheint auf den Seiten 592 und 593 des zweiten Bandes einer Veröffentlichung des Zentralverlags der NSDAP, mit dem Titel »Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben«. Ich zitiere von dem ersten Absatz der englischen Übersetzung einen Teil der Verordnung:
»Ein Anspruch auf Freizeit besteht nicht. Hauswirtschaftliche Ostarbeiterinnen dürfen sich grundsätzlich außerhalb der Haushalte nur bewegen, um Angelegenheiten der Haushaltungen zu erledigen. Jedoch kann ihnen bei Bewährung einmal wöchentlich als Belohnung die Gelegenheit gegeben werden, sich drei Stunden ohne Beschäftigung außerhalb des Haushalts aufzuhalten. Dieser Ausgang muß bei Einbruch der Dunkelheit, spätestens aber um 20.00 Uhr beendet sein. Der Besuch von Gaststätten, Lichtspiel- oder sonstigen Theatern und ähnlichen für Deutsche oder ausländische Arbeiter vorgesehenen Einrichtungen ist verboten. Desgleichen ist der Kirchenbesuch untersagt. Besondere Veranstaltungen werden unter Umständen für hauswirtschaftliche Ostarbeiterinnen in städtischen Haushaltungen durch die Deutsche Arbeitsfront, für hauswirtschaftliche Ostarbeiterinnen in ländlichen Haushaltungen durch den Reichsnährstand gemeinsam mit dem Deutschen Frauenwerk durchgeführt werden. Die hauswirtschaftliche Ostarbeiterin muß außerhalb des Haushalts stets ihre Arbeitskarte als Personalausweis mit sich führen. Urlaub, Rückkehr nach der Heimat wird zunächst nicht gewährt. Die Anwerbung der hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen erfolgt auf unbestimmte Zeit.«
Stets hing über diesen Sklavenarbeitern der Schatten der Gestapo und der Konzentrationslager. Ebenso wie alle anderen größeren Programme der Nazi-Verschwörer wurde auch dieses durch die SS-Wachen und durch Himmlers Methoden, mit Menschen umzugehen, erzwungen.
Ein vom Reichsführer der SS, Himmler, an den SD und an die Sicherheitspolizeioffiziere am 20. Februar 1942 über das Thema Sklavenarbeiter erlassener Geheimerlaß, der die Arbeiter aus dem Osten betrifft, nennt im einzelnen alle Gewaltmaßnahmen, die gegen diese angewendet wurden.
Ich lege Dokument 3040-PS, US-207, vor und bitte den Gerichtshof, von diesem Erlaß amtlich Kenntnis zu nehmen. Er ist in der allgemeinen Erlaß- Sammlung Teil II, Abschnitt 2 A III f, Seite 15 bis 24 veröffentlicht. Ich möchte von Seite 3 des englischen Textes zitieren, beginnend mit Absatz III; im deutschen Text ist es Abschnitt 2 A III f, auf Seite 19:
»III. Bekämpfung der Disziplinwidrigkeit.
1. Entsprechend der Gleichsetzung der Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet mit Kriegsgefangenen muß eine straffe Disziplin in den Unterkünften und am Arbeitsplatz herrschen. Disziplinlosigkeiten, zu denen auch pflichtwidrige Arbeitsverweigerung und lässiges Arbeiten mitgehören, werden ausschließlich von der Geheimen Staatspolizei bekämpft. Die leichteren Fälle werden von dem Leiter der Bewachung nach Weisung der Staatspolizeileitstellen mit den in der Anlage vorgesehenen Maßnahmen erledigt. Zur Brechung akuten Widerstandes wird den Wachmännern auch eine körperliche Einwirkung auf die Arbeitskräfte zu erlauben sein. Doch darf hiervon nur aus zwingendem Anlaß Gebrauch gemacht werden. Die Arbeitskräfte sollen stets darüber belehrt werden, daß sie bei disziplinvollem Verhalten einschließlich guter Arbeitsleistung, anständig behandelt werden. In schwereren Fällen, d. h. in sol chen, in denen die dem Leiter der Bewachung zur Verfügung stehenden Maßnahmen nicht ausreichen, hat die Staatspolizeileitstelle mit ihren Mitteln einzugreifen. Dementsprechend wird in der Regel nur mit harten Maßnahmen, d. h. Einweisung in ein Konzentrationslager oder Sonderbehandlung vorzugehen sein. Die Einweisung in ein Konzentrationslager erfolgt auf dem üblichen Weg; in besonders schweren Fällen ist beim Reichssicherheitshauptamt Sonderbehandlung unter Angabe der Personalien und des genauen Tatbestandes zu beantragen. Die Sonderbehandlung erfolgt durch Strang. Sie soll nicht in unmittelbarer Umgebung des Lagers stattfinden. Eine gewisse Anzahl von Arbeitskräften aus dem altsowjetrussischen Gebiet soll der Sonderbehandlung beiwohnen. Ihnen ist dabei der Tatbestand, der zur Sonderbehandlung führte, warnend bekannt zu geben. Sollte aus Gründen der Lager-Disziplin ausnahmsweise Sonderbehandlung im Lager erforderlich sein, ist dies mit zu beantragen.«
Ich gehe nun auf Seite 4 des Textes zu Absatz VI über. Im deutschen Text ist es Seite 20, Abschnitt 2 A III f:
»VI. Geschlechtsverkehr. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs ist den Arbeitskräften aus dem altsowjetrussischen Gebiet verboten. Durch die streng abgeschlossene Unterbringung haben sie auch an sich keine Gelegenheit dazu.... Für jeden Geschlechtsverkehr mit deutschen Volksgenossen oder Volksgenossinnen ist bei männlichen Arbeitskräften aus dem altsowjetrussischen Gebiet Sonderbehandlung, bei weiblichen Ar beitskräften Einweisung in ein Konzentrationslager zu beantragen.«
Und schließlich auf Seite 5, Absatz VIII des gleichen Dokuments, im deutschen Text auf Seite 21, Abschnitt 2 A III f:
»VIII. Fahndung. Flüchtige Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet sind grundsätzlich im deutschen Fahndungsbuch auszuschreiben. Ferner sind örtliche Fahndungsmaßnahmen zu veranlassen. Bei Ergreifung ist der Flüchtling grundsätzlich zur Sonderbehandlung vorzuschlagen.«
Wir haben dem Hohen Gerichtshof mehr als einmal gesagt, daß es das Hauptziel des gesamten Zwangsarbeitsprogramms war, die Völker der besetzten Länder dazu zu zwingen, für die deutsche Wehrwirtschaft zu arbeiten. Die Verordnung, durch die der Angeklagte Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt wurde, offenbart das Ziel dieser Ernennung, nämlich den Einsatz von Arbeitskräften zu erleichtern, die in der deutschen Kriegsindustrie, besonders aber in der Rüstungsindustrie gebraucht wurden, und zwar durch Zentralisierung der Anwerbung und Zuweisung der ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen in diese Industrien unter Sauckels Verantwortung. Ich verweise auf unser Dokument 1666-PS, US-208, vom 21. März 1942. Dieses Dokument ist eine von Hitler, Lammers und dem Angeklagten Keitel unterzeichnete Verordnung und enthält die Ernennung des Angeklagten Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Ich ersuche den Gerichtshof, von dieser Verordnung, veröffentlicht auf Seite 179 des Reichsgesetzblattes von 1942, Teil I, amtlich Kenntnis zu nehmen. Ich verweise auf den englischen Text, beginnend mit Absatz 1, und ich zitiere wörtlich:
»Die Sicherstellung der für die gesamte Kriegswirtschaft, besonders für die Rüstung erforderlichen Arbeitskräfte bedingt eine einheitlich ausgerichtete, den Erfordernissen der Kriegswirtschaft entsprechende Steuerung des Einsatzes sämtlicher verfügbaren Arbeitskräfte, einschließlich der angeworbenen Ausländer und Kriegsgefangenen, sowie die Mobilisierung aller noch unausgenutzten Arbeitskräfte im Großdeutschen Reich, einschließlich des Protektorats, sowie im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten.
Diese Aufgabe wird der Reichsstatthalter und Gauleiter Fritz Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz im Rahmen des Vierjahresplans durchführen. In dieser Eigenschaft untersteht er dem Beauftragten für den Vierjahresplan unmittelbar.
Dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz stehen zur Durchführung seiner Aufgabe die zuständigen Abteilungen III (Lohn) und V (Arbeitseinsatz) des Reichsarbeitsministeriums und dessen nachgeordnete Dienststellen zur Verfügung.«
Sauckels Erfolg kann aus einem Brief ermessen werden, den er selbst am 15. April 1943 an Hitler geschrieben hat, und der einen Bericht über seine Tätigkeit während dieses einen Jahres darstellt. Wir beziehen uns auf Dokument 407 VI-PS, US-209. Ich möchte von Seite 1, Absatz 6 und 9 des englischen Textes zitieren; im deutschen Text Seite 2, Absatz 1 und 2:
»Nach einjähriger Tätigkeit als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz darf ich Ihnen melden, daß vom 1. April vorigen Jahres bis zum 31. März d. J. der deutschen Kriegswirtschaft 3638056 neue fremdvölkische Arbeitskräfte zugeführt werden konnten.... Die 3638056 Arbeitskräfte verteilen sich auf folgende Zweige der deutschen Kriegswirtschaft; auf die Rüstung 1568801...«
Ein weiterer Beweis für die dauernde Verwendung ausländischer Sklavenarbeiter geht aus einem Bericht der Zentralen Planung hervor, auf die wir schon mehrmals heute Morgen und auch gestern verwiesen haben. Eine weitere Besprechung dieser Zentralen Planung fand am 16. Februar 1944 statt. Ich beziehe mich auf das von uns bereits vorgelegte Dokument R-124, US-179, das das Protokoll über diese Sitzung enthält. Ich zitiere insbesondere von Seite 26, Absatz 1, des englischen Textes; es ist dies Seite 16, Absatz 2, des deutschen Textes:
»Die Rüstungsindustrie arbeitet auch sehr weitgehend mit Ausländern, und zwar nach den letzten effektiven Zahlen mit 40 %.«
Außerdem verzeichnet unser Dokument 2520-PS, US-197, daß nach Aufstellungen des Speer-Ministeriums vom 31. Dezember 1944 ungefähr zwei Millionen Ausländer als Arbeiter unmittelbar mit der Herstellung von Rüstungsmaterial und Munition, Fertig- oder Teilprodukten, beschäftigt wurden. Daß die große Masse dieser Arbeiter gezwungen wurde, gegen ihren Willen nach Deutschland zu kommen, geht klar aus Sauckels Erklärung hervor, die ich vorher, und zwar heute Morgen, aus dem Dokument R-124, Seite 11, Absatz 3, zitiert habe, und nach der von fünf Millionen Fremdarbeitern nur 200000 oder weniger freiwillig gekommen waren.
Es gelang den Angeklagten Sauckel, Speer und Keitel, Ausländer auch zum Bau von militärischen Befestigungen zu zwingen. Auf diese Weise wurden französische, holländische und belgische Staatsangehörige gepreßt, gegen ihren Willen am Bau des »Atlantik-Walls« teilzunehmen. Wir verweisen auf Dokument 556(2)-PS, US-194. Es ist dies ein Hitler-Befehl vom 8. September 1942 mit der Paraphe des Angeklagten Keitel. Ich zitiere den Befehl wörtlich:
»Die von mir im Gebiet der Heeresgruppe West angeordneten umfangreichen Küstenbefestigungsanlagen erfordern den Einsatz und die äußerste Anspannung aller im besetzten Gebiet verfügbaren Arbeitskräfte. Die bisherige Zuweisung von einheimischen Arbeitskräften ist ungenügend. Um sie zu erhöhen, ordne ich daher die Einführung der Dienstverpflichtung und des Verbotes, den Arbeitsplatz ohne Zustimmung der zuständigen Behörde zu wechseln, in den besetzten Gebieten an. Weiterhin ist in Zukunft die Ausgabe von Lebensmittel- und Kleiderkarten an Einsatzfähige von dem Nachweis einer Beschäftigung abhängig zu machen. Der Nichtantritt einer zugewiesenen Arbeitsstelle sowie das Verlassen des Arbeitsplatzes ohne Zustimmung der zuständigen Behörden hat den Entzug der Lebensmittel- und Kleiderkarten zur Folge. Der GBA erläßt im Einvernehmen mit den Militärbefehlshabern bzw. den Reichskommissaren die entsprechenden Ausführungsbestimmungen.«
Der Angeklagte Sauckel rühmte sich Hitler gegenüber tatsächlich seines durch das Zwangsarbeiterprogramm erzielten Beitrags an der Errichtung des Atlantik-Walles, der durch die »Organisation Todt« des Angeklagten Speer gebaut wurde. Wir verweisen auf Dokument 407-VIII-PS, US-210. Diese Urkunde ist ein Brief des Angeklagten Sauckel an Hitler vom 17. Mai 1943. Ich will den zweiten und letzten Absatz vorlesen:
»Zusätzlich zu den durch den Arbeitseinsatz seit meiner Amtsübernahme der gesamten deutschen Wirtschaft zugewiesenen Arbeitskräften wurde auch die Organisation Todt laufend mit neuen Arbeitskräften versehen....
Damit hat auch der Arbeitseinsatz alles getan, um die Durchführung des Atlantik-Walles ermöglichen zu helfen.«
Auf ähnliche Weise wurde die russische Zivilbevölkerung in Arbeitsbataillone gepreßt und zum Bau von Befestigungen gezwungen, die gegen ihre eigenen Landsleute verwendet wurden. Im Dokument 031-PS, US-171, einem Aktenvermerk aus dem Ministerium Rosenbergs, wird auf Seite 1, Absatz 1, folgendes gesagt:
»Im Operationsgebiet sind bzw. werden die Männer und Frauen zu Arbeitsbataillonen zusammengezogen, um beim Stellungsbau zum Arbeitseinsatz zu gelangen.«
Nicht genug damit, zwangen die Verschwörer Kriegsgefangene zu Kriegsoperationen gegen ihr eigenes Land und dessen Verbündete. Anläßlich einer Konferenz der Zentralen Planung vom 19. Februar 1943, welcher der Angeklagte Speer, der Angeklagte Sauckel und Feldmarschall Milch beiwohnten, kam es zu folgenden Äußerungen, die in unserem Dokument R-124 auf Seite 32, Absatz 5, des englischen Textes wiedergegeben sind. Es ist der letzte Absatz auf Seite 20 des deutschen Textes. Ich zitiere die Worte des Angeklagten Sauckel:
»Die Gefangenen, die gemacht werden, werden dort gebraucht.« Milch: »Wir haben die Forderung gestellt, daß bei uns in der Flakartillerie ein gewisser Prozentsatz Russen ist. 50000 sollen im ganzen heran; 30000 sind schon als Kanoniere da. Das ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen.«
Wir verweisen nun auf die Dokumente 3027-PS und 3028-PS, US-211 und US-212. Sie befinden sich, soviel ich weiß, ganz am Schluß des Dokumentenbuchs, in einer separaten Manilamappe. Es sind amtliche Photographien der deutschen Wehrmacht und, wenn der Hohe Gerichtshof Dokument 3027-PS prüfen will, besagt die Überschrift, daß russische Kriegsgefangene während des Angriffs auf Tschedowo als Munitionsträger verwendet wurden. Dokument 3028-PS besteht aus einer Reihe offizieller Photographien der deutschen Wehrmacht vom Juli und August 1941, auf denen zu sehen ist, wie russische Kriegsgefangene in Lettland und der Ukraine zum Laden und Entladen von Munition auf und von Eisenbahnwaggons und Lastautos und zum Aufstapeln von Munition gezwungen wurden; all dies geschah in offener Mißachtung der Gesetze des Völkerrechts, insbesondere des Artikels 6 der Anlage zum Haager Abkommen Nr. IV vom Jahre 1907, der vorsieht, daß die Arbeiten von Kriegsgefangenen in keinem Zusammenhang mit Kriegsoperationen stehen dürfen. Man verwendete jedoch Kriegsgefangene in der deutschen Rüstungsindustrie fast ebensoviel und in ebensolchem Umfang wie die ausländischen zivilen Zwangsarbeiter. Wir verweisen auf Dokument 3005-PS, US-213. Es ist dies ein Geheimschreiben des Reichsarbeitsministers an die Präsidenten der Landesarbeitsämter, welches sich auf einen Befehl des Angeklagten Göring mit den nachfolgenden Bestimmungen bezieht. Ich zitiere aus dem ersten Absatz dieses Schriftstücks wörtlich:
»Auf persönlichen Befehl des Herrn Reichsmarschalls sind aus den französischen Kriegsgefangenen, die bisher nicht in der Rüstungswirtschaft eingesetzt sind, zunächst 100000 Mann herauszuziehen und der Rüstungswirtschaft (Luftwaffenindustrie) zu überweisen. Die dadurch entstehenden Lücken werden durch Sowjet. Kriegsgefangene aufgefüllt werden. Die Umsetzung der genannten 100000 franz. Kriegsgefangenen hat bis zum 1. Oktober zu erfolgen.«
Der darin genannte Reichsmarschall ist natürlich der Angeklagte Göring.
Eine ähnliche Politik wurde auf die russischen Kriegsgefangenen angewendet. Der Angeklagte Keitel leitete die Ausführung des Befehls Hitlers, Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft zu verwenden. Ich verweise hier auf unser Dokument EC-194, US-214. Dieses Dokument ist seiner Bezeichnung nach ebenfalls eine geheime Aufzeichnung, es stammt aus Hitlers Hauptquartier und ist datiert vom 31. Oktober 1941. Ich lese Seite 1, Absatz 1 und 2, und zitiere wörtlich:
»Der Mangel an Arbeitskräften wird zu einem immer gefahrdrohenderen Hemmnis für die künftige deutsche Kriegs- und Rüstungswirtschaft. Die erhoffte Entlastung durch Freistellungen aus der Wehrmacht ist nach Ausmaß und Zeitpunkt unsicher, ihrem möglichen Umfang nach wird sie angesichts des großen Bedarfs den Erwartungen und Bedürfnissen keinesfalls entsprechen.
Der Führer hat nunmehr angeordnet, daß auch die Arbeitskraft der russischen Kriegsgefangenen durch ihren Großeinsatz für die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft weitgehend auszunutzen ist. Voraussetzung für die Arbeitsleistung ist angemessene Ernährung. Daneben sind ganz geringe Entlohnung zur bescheidensten Versorgung mit einigen Genußmitteln des täglichen Lebens, gegebenenfalls Leistungsprämien, vorzusehen.«
Ich gehe nun zu Absatz 2, II und III, des gleichen Dokuments über und zitiere wörtlich:
»II. Bau und Rüstungswirtschaft.
a) Arbeitskolonnen für Bauten aller Art, insbesondere für den verstärkten Ausbau der Küstenverteidigung (Betonarbeiter, Entladekommandos für Zwecke kriegswichtiger Betriebe).
b) Geeignete Rüstungsbetriebe, deren Auswahl so zu treffen ist, daß die Belegschaft in der Masse aus Kriegsgefangenen unter Anleitung und Aufsicht besteht (gegebenenfalls nach Herausziehen und anderweitiger Verwendung der deutschen Arbeitskräfte).
III. Sonstige Kriegswirtschaft.
a) Bergbau nach der Art wie zu II b).
b) Reichsbahn-Arbeitskolonnen für Streckenbau usw.
c) Land- und Forstwirtschaft in geschlossenem Einsatz.
Den Einsatz russischer Kriegsgefangener nach vorstehenden Beispielen regeln:
Zu I. Die Wehrmacht.
Zu II. Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition und Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen im Benehmen mit Reichsarbeitsminister und OKW (Wi Rü Amt). Beauftragte des Reichsministers für Bewaffnung und Munition sind zur Mitwirkung bei Auswahl der Facharbeiter in den Kriegsgefangenenlagern zuzulassen.«
Der Angeklagte Göring besprach in einer Konferenz im Luftfahrtministerium am 7. November 1941 auch die Verwendung von Kriegsgefangenen in der Kriegsrüstungsindustrie. Wir verweisen nun auf 1206-PS, US-215. Dieses Dokument ist eine Geheime Kommandosache und enthält Görings Ausführungen über Einsatz und Behandlung von Kriegsgefangenen in vielen Zweigen der deutschen Kriegsindustrie. Ich möchte nun von Seite 1, Absatz 1, und Seite 2, Absatz 4, des englischen Textes zitieren. Es sind dies Seite 1, Absatz 1, und Seite 3, Absatz 1, des deutschen Textes:
»Einstellung des Führers in der Frage der Kriegsgefangenenbeschäftigung in der Kriegswirtschaft grundsätzlich geändert. Insgesamt bisher 5 Millionen Kriegsgefangene, Arbeitseinsatz bis jetzt 2 Millionen.«
Und nun von Seite 2:
»In der Heimat und Protektorat wäre es ideal, wenn ganze Betriebe durch russische Kriegsgefangene besetzt werden können mit Ausnahme der für die Anleitung erforderlichen Kräfte. Für den Arbeitseinsatz kommen in der Heimat und im Protektorat vordringlich in Frage:
a) an der Spitze Kohlenbergbau. Führeranordnung, daß sämtliche Zechen auf Geeignetheit für den Einsatz von Russen untersucht werden sollen. Gegebenenfalls ganze Betriebe mit russischen Arbeitern besetzen.
b) Transportwesen (Lokomotiv- und Waggonbau, Reparaturbetriebe usw.). Aus Kriegsgefangenen sind Eisenbahnwerkstatt- und Industrie-Arbeiter herauszusuchen. Bahn ist wichtigstes Transportmittel im Osten.
c) Rüstungsbetriebe. Vor allem Panzer- und Geschützfabriken. Eventuell auch Flugzeugmotoren-Teilbau.
Geeignete ganze Abteilungen der Betriebe möglichst nur mit Russen besetzen. Im übrigen kolonnenmäßiger Einsatz. Verwendung in Werkzeugmaschinenfabriken, im Bau landwirtschaftlicher Traktoren, Generatorenbau usw. Notfalls an einzelnen Orten Baracken für Gelegenheitsarbeiter errichten, welche als Entladekommandos und ähnliches verwendet werden. (Reichsminister des Innern durch Gemeindebehörden.)
OKW/AWA ist für Hereinbringung russischer Kriegsgefangener zuständig, Einsatz durch ›Planstelle für den Einsatz für alle Kriegsgefangenen‹. Nötigenfalls Dienststellen bei Reichskommissariaten.
Kein Einsatz dort, wo Gefahr für Menschen oder ihre Versorgung besteht, also explosivempfindliche Betriebe, Wasser-, Kraftwerke u. a. Keine Berührung mit deutscher Bevölkerung, vor allem keine ›Solidarität‹.
Deutscher Arbeiter ist grundsätzlich Vorgesetzter der Russen. Ernährung Sache des Vierjahresplans. Schaffung eigener Kost (Katzen, Pferde usw.).
Kleidung, Unterbringung, Verpflegung etwas besser als zu Hause, wo Leute zum Teil in Erdhöhlen wohnen.
Schuhversorgung für Russen grundsätzlich Holzschuhe, nötigenfalls russische Schusterwerkstätten einrichten. Nachprüfung gesundheitlicher Tauglichkeit, damit keine Seuchen eingeschleppt werden.
Minenräumen grundsätzlich durch Russen, eventuell durch herausgezogene russische Pioniere vornehmen lassen.«
Der Angeklagte Göring war nicht der einzige der hier Angeklagten, der die Politik der Verwendung von Kriegsgefangenen in der deutschen Rüstungsindustrie befürwortete und anwandte; auch der Angeklagte Speer trat für sie ein und brachte sie zur Anwendung. Wir verweisen auf Dokument 1435-PS, US-216. Dieses Dokument gibt eine vom Angeklagten Speer vor den Nazi-Gauleitern am 24. Februar 1942 gehaltene Rede wieder. Ich möchte aus Absatz 2 dieses Dokuments folgendes zitieren:
»Ich habe daher dem Führer Ende Dezember den Vorschlag gemacht, meine gesamten Arbeitskräfte, einschließlich der Techniker, für einen geschlossenen Einsatz im Osten freizugeben. Die verbliebenen etwa 10000 Kriegsgefangenen wurden anschließend von mir der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellt.«
Auf der 36. Konferenz der Zentral-Planung vom 22. April 1943 berichtete er, daß nur 30 Prozent der russischen Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie beschäftigt seien. Der Angeklagte Speer fand dies unbefriedigend. Ich verweise wieder auf Dokument R-124, das Protokoll der Zentral-Planung, und zwar auf Seite 17, Absatz 10 des englischen Textes. Es ist Seite 14, Absatz 7 des deutschen Textes. Ich zitiere die darin enthaltene Erklärung des Angeklagten Speer wörtlich:
»Es ist eine Aufteilung da, auf welche Sektoren die russischen Kriegsgefangenen verteilt sind, und diese Aufstellung ist ganz interessant. Danach ist es in der Rüstung ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz, nämlich nur 30 %. Darüber habe ich mich immer beschwert.«
Ich gehe nun zu Seite 20 desselben Dokuments R-124 über, und zwar Seite 20, Absatz 1, des englischen Textes, das ist Seite 14, letzter Absatz, des deutschen Textes. Der Angeklagte Speer sagt dort, und ich zitiere wörtlich:
»Die 90000 russischen Kriegsgefangenen in der gesamten Rüstungsindustrie sind zum größten Teil Fachkräfte.«
Der Angeklagte Sauckel, der zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz zu dem ausdrücklichen Zweck ernannt wurde, unter anderem Kriegsgefangene in die deutsche Kriegsindustrie einzugliedern, machte kein Hehl daraus, daß Kriegsgefangene gezwungen werden sollten, in der deutschen Rüstungsindustrie zu arbeiten. Sein Programm des Arbeitseinsatzes, das in dem bereits vorliegenden Dokument 016-PS, US-168 wiedergegeben ist, enthält diese Erklärung auf Seite 6, Absatz 10 des englischen Textes und auf Seite 9, Absatz 1 des deutschen Textes:
»Alle schon in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen, sowohl aus den West- wie den Ostgebieten, müssen, soweit dies noch nicht geschehen ist, ebenfalls restlos der deutschen Rüstungs- und Ernährungswirtschaft zugeführt, ihre Leistung muß auf den denkbar höchsten Stand gebracht werden.«
Ich möchte nun von der Ausbeutung ausländischer Arbeiter im allgemeinen abgehen und einen ziemlich wesentlichen Punkt des Nazi-Programms behandeln, der, wie uns scheint, die Brutalität und die Ziele des Programms der Sklavenarbeit mit denen des Konzentrationslagers vereint. Die Nazis brachten alle Angehörigen der alliierten Staaten in Konzentrationslager, wo sie sie zwangen, gemeinsam mit den anderen Insassen der Konzentrationslager, unter Bedingungen zu arbeiten, die tatsächlich dazu aufgestellt waren, sie auszurotten. Wir bezeichnen das als das Nazi-Programm der Vernichtung durch Arbeit.
Im Frühjahr 1942 wandten sich diese Verschwörer den Konzentrationslagern als einer weiteren Quelle von Sklavenarbeitern für die Rüstungsindustrie zu. Ich verweise auf ein neues Dokument R-129, US-217. Dieses Dokument ist ein Brief an den Reichsführer SS Himmler, datiert vom 30. April 1942, und stammt von einem seiner Untergebenen, einem gewissen Pohl, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Ich möchte nun von der ersten Seite dieses Dokuments zitieren:
»Ich berichte Ihnen heute über die augenblickliche Lage der Konzentrationslager und über Maßnahmen, welche ich getroffen habe, um Ihren Befehl vom 3. März 1942 durchzuführen.«
Ich gehe nun weiter und zitiere die Absätze 1, 2 und 3 auf Seite 2 des englischen Textes, es steht auf Seite 1 des deutschen Textes:
»1. Der Krieg hat eine sichtbare Strukturänderung der Konzentrationslager gebracht und ihre Aufgaben hinsichtlich des Häftlingseinsatzes grundlegend geändert. Die Verwahrung von Häftlingen, nur aus Sicherheits-, erzieherischen oder vorbeugenden Gründen allein, steht nicht mehr im Vordergrund. Das Schwergewicht hat sich nach der wirtschaftlichen Seite hin verlagert. Die Mobilisierung aller Häftlingsarbeitskräfte, zunächst für Kriegsaufgaben (Rüstungssteigerung) und später für Friedensbauaufgaben, schiebt sich immer mehr in den Vordergrund.
2. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich notwendige Maßnahmen, welche ein allmähliches Überführen der Konzentrationslager aus ihrer früheren einseitigen politischen Form in eine den wirtschaftlichen Aufgaben entsprechende Organisation erfordern.
3. Ich habe deshalb alle Führer der früheren Inspektion der Konzentrationslager, alle Lagerkommandanten und alle Werkleiter am 23. und 24. April 1942 versammelt und ihnen persönlich die neue Entwicklung dargelegt. Die wesentlichen Dinge, deren Durchführung vor dringlich ist, damit die Aufnahme rüstungsindustrieller Arbeiten keine Verzögerung erleidet, habe ich in beiliegender Anordnung zusammengefaßt.«
Dieser Befehl, auf den im Absatz 3 verwiesen war, bildete den Rahmen zu einem Programm unbarmherziger Ausbeutung, das unter anderem folgendes vorsah. Ich verweise hier auf die Beilage zu dem erwähnten Brief, die ebenfalls einen Teil des Dokuments R-129 darstellt, und zwar auf die Absätze 4, 5 und 6 auf Seite 3 des englischen Textes und Seite 3 des deutschen Textes.
»4. Der Lagerkommandant allein ist verantwortlich für den Einsatz der Arbeitskräfte. Dieser Einsatz muß im wahren Sinne des Wortes erschöpfend sein, um ein Höchstmaß an Leistung zu erreichen.
Die Zuteilung von Arbeiten erfolgt nur zentral durch den Chef der Amtsgruppe D. Die Lagerkommandanten selbst dürfen eigenmächtig keine Arbeiten von dritter Seite annehmen noch Verhandlungen hierüber führen.
5. Die Arbeitszeit ist an keine Grenzen gebunden. Ihre Dauer hängt von der betrieblichen Struktur des Lagers und von der Art der auszuführenden Arbeiten ab und wird vom Lagerkommandanten allein festgesetzt.
6. Alle Umstände, welche die Arbeitszeit verkürzen können (Mahlzeiten, Appelle u. a.), sind daher auf ein nicht mehr zu verdichtendes Mindestmaß zu beschränken. Zeitraubende Anmärsche und Mittagspausen nur zu Essenszwecken sind verboten.«
Das Programm der Rüstungsproduktion, das wir soeben beschrieben haben, war nicht nur ein Plan zur Erfassung aller nur möglichen Arbeiter aus den Lagern. Es war tatsächlich ein wesentlicher Teil des größeren Nazi-Programms der Vernichtung. Ich möchte zu diesem Punkt auf unser Dokument 654-PS, US- 218, verweisen.
VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß es recht wäre, nunmehr für einige Minuten zu unterbrechen?
MR. DODD: Sehr gut.