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[Das Gericht vertagt sich bis

3. Januar 1946, 10.00 Uhr.]

Sechsundzwanzigster Tag.

Donnerstag, 3. Januar 1946.

Vormittagssitzung.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, haben wir gestern zum Schluß der Verhandlung die Verlesung eines Teiles eines beschworenen Verhörs des Gaustabsamtsleiters des Gauleiters von München beendet und waren bis zu dem Punkte gekommen, wo er erklärte, daß Kaltenbrunner an das Konzentrationslager Dachau Anweisungen erließ, westeuropäische Gefangene mit Lastautos in die Schweiz zu bringen und die übrigen Insassen zu Fuß nach Tirol zu schicken.

Ich lege nun als nächstes Beweisstück die ersten fünf Seiten des Protokolls des Gottlob Berger, Chef des Hauptamtes der SS, vor; die Aussage wurde am 20. September 1945 unter Eid abgelegt. Sie werden diese Seiten am Ende des Urkundenbuchs finden, Beweisstück US-529. Diese Seiten wurden in die deutsche Sprache übersetzt und dem Angeklagten zugänglich gemacht.

VORSITZENDER: Trägt die Urkunde eine Nummer?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nein, sie trägt keine PS-Nummer, Herr Vorsitzender; sie befindet sich ganz am Ende des Urkundenbuchs. Ich will nur eine Frage und Antwort aus diesen Seiten verlesen, und ich beziehe mich auf die letzte Frage und Antwort auf Seite 3 des Beweisstücks:

»Frage: Angenommen, für den Zweck dieser Unterredung, daß die Greueltaten, über die wir hörten, wahr sind, wer ist Ihrer Meinung nach hauptsächlich dafür verantwortlich?

Antwort: Zuerst der Kommandant; als zweiter Glücks, weil er tatsächlich für alle inneren Anordnungen in den Lagern verantwortlich war. Um genau zu sein, müßte man feststellen, wie der Nachrichtendienst zwischen dem Lagerkommandanten und Glücks tatsächlich vor sich ging. Ich möchte Ihnen das folgende Beispiel geben: Während der Nacht vom 22. auf den 23. April wurde ich nach München geschickt. Als ich in der Stadt mit dem Flugzeug ankam, begegnete ich einer Gruppe von ungefähr 120 Männern, die die Kleidung der Konzentrationslager trugen. Diese Leute machten auf mich einen sehr kümmerlichen Eindruck. Ich fragte die Wache, die mit ihnen ging: ›Was ist mit diesen Leuten los?‹ Er antwortete mir, daß diese Männer zu Fuß in die Alpen marschierten. Zunächst sandte ich ihn nach Dachau zurück. Dann schrieb ich dem Kommandanten einen Brief, niemanden mehr zu Fuß irgendwohin zu schicken, sondern bei einem weiteren Vormarsch der Alliierten das Lager als Ganzes zu übergeben. Ich tat dies auf meine eigene Verantwortung und erklärte ihm, daß ich gerade aus Berlin käme, und daß er mich in meiner Dienststelle in München finden könne. Der Kommandant oder sein Stellvertreter telefonierte ungefähr um 12 Uhr und erklärte mir, daß er diesen Befehl von Kaltenbrunner erhalten habe, nachdem dieser vom Gauleiter in München, dem Reichskommissar, hierum gebeten worden war...« Dokument US-529.

Das zehnte Verbrechen, für das Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, ist die Verfolgung der Juden. Dieses Verbrechen dauerte natürlich auch nach dem 30. Januar 1943 an, und es wurde bereits als Tatbestand vorgelegt, daß diese Verfolgung bis zum Ende des Krieges andauerte und sich verstärkte. Kaltenbrunner hatte persönliches Interesse an diesen Fällen, wie aus dem Schriftstück 2519-PS, US-Beweisstück 530, hervorgeht. Dieses Beweisstück besteht aus einer Aktennotiz und einer eidesstattlichen Erklärung, und ich mache den Gerichtshof auf diese eidesstattliche Erklärung aufmerksam. Ich zitiere nun aus ihr:

»Ich, Henri Monneray, lege unter Eid nieder und sage aus, daß ich seit 12. September 1945 und auch gegenwärtig ein Mitglied des französischen Stabes für die Verfolgung von Verbrechen der Achse bin und meine offiziellen Pflichten in diesem Zusammenhang in Nürnberg/Deutschland seit 12. Oktober 1945 ausübe.

Im Laufe meiner offiziellen Pflichten überprüfte ich auf Veranlassung des französischen Hauptanklagevertreters die persönlichen Schriftstücke der Angeklagten...«

VORSITZENDER: Ist es notwendig, das alles zu lesen? Was ist der Sinn dieser eidesstattlichen Erklärung?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Zu zeigen, daß dieses Schriftstück aus den persönlichen Habseligkeiten des Angeklagten Kaltenbrunner stammte.

VORSITZENDER: Aus seinem persönlichen Besitz?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, aus seinem persönlichen Besitz.

VORSITZENDER: Sie können die unwichtigen Teile weglassen.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich gehe auf den letzten Satz der eidesstattlichen Erklärung über:

»Besagtes Dokument 2519-PS ist das Schriftstück, welches ich in dem Briefumschlag fand, der Kaltenbrunners persönliche Papiere enthielt.«

Ich lese nun das Memorandum und zitiere:

»Funkspruch an Gruf. Fegelein, Führer-Hauptquartier, über Staf. Sansoni, Berlin. Ich bitte Sie dem RF-SS zu melden und dem Führer vorzutragen, daß alle Vorkehrungen gegenüber Juden, politischen und Konzentrationslagerhäftlingen im Protektorat von mir heute persönlich getroffen wurden. Die Situation selbst ist dort ruhig, Angst vor sowjetischen Erfolgen und Hoffnung auf westfeindliche Besetzung. Kaltenbrunner.«

MR. BIDDLE: Trägt das Dokument kein Datum?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nein, es ist nicht datiert. Das elfte Verbrechen, für das Kaltenbrunner verantwortlich ist, ist die Verfolgung der Kirchen. Es ist nicht notwendig, besondere Beweise vorzulegen, da diese Verbrechen auch nach dem 30. Januar 1943 andauerten, da sie, wie bereits gezeigt wurde, eine der grundlegenden Aufgaben der Sicherheitspolizei und des SD darstellten.

Dies sind die Verbrechen, für die sich der Angeklagte Kaltenbrunner verantworten muß. Was seinen Vorsatz angeht, so besteht keine Notwendigkeit, hierfür Beweise außerhalb des Protokolls dieses Gerichtshofs zu suchen.

Am 1. Dezember 1945 wurde der Zeuge Lahousen in dieser Verhandlung im Kreuzverhör befragt: »Kennen Sie Herrn Kaltenbrunner?«

Nach Beschreibung seiner Zusammenkunft mit Kaltenbrunner an einem bestimmten Tage in München, an dem ein Universitätsstudent und seine Schwester wegen Verteilung von Flugblättern im Hörsaal verhaftet und hingerichtet wurden, sagte Lahousen, und ich möchte nur zwei Sätze der Übersetzung auf Seite 742 (Band III, Seite 39) zitieren:

»Ich kann diesen Tag ohne Schwierigkeiten rekonstruieren. Es war das erste und letzte Mal, daß ich Kaltenbrunner, dessen Name mir bekannt war, sah. Selbstver ständlich hat Kaltenbrunner dieses Thema Canaris gegenüber erwähnt, der – und dafür sind Zeugen vorhanden, die Gott sei Dank leben – völlig erschüttert über das Geschehene war und unter dem Eindruck dieses Tages stand. Kaltenbrunner hat in einer Art gesprochen, die als Zynismus zu bezeichnen noch sehr sachlich ist. Das ist das einzige, was ich zu dieser Frage zu sagen habe.«

Kaltenbrunner war Zeit seines Lebens ein fanatischer Nazi. Er war der Führer der SS in Österreich vor dem Anschluß und spielte eine Hauptrolle bei dem Verrat seines Heimatlandes an die Nazi-Verschwörer. Als Höherer SS- und Polizeiführer in Österreich nach dem Anschluß überwachte er die Tätigkeit der Gestapo und des SD in Österreich und war über sie voll unterrichtet. Das Konzentrationslager von Mauthausen wurde unter seiner Zuständigkeit errichtet und von ihm mehrmals besucht. Zumindest einmal sah er die Gaskammer in Tätigkeit. Mit diesen Kenntnissen und aus diesem Hintergrund nahm er im Januar 1943 seine Ernennung als Chef der Sicherheitspolizei und des SD an, jener Behörden, die solche Opfer in den Tod schickten. Er bekleidete dieses Amt bis zum Ende; er erwarb sich eine große Berühmtheit in der SS und der deutschen Polizei und empfing von Hitler hohe Auszeichnungen. Wie andere führende Nazis war Kaltenbrunner ein machthungriger Mensch; um Macht zu gewinnen, machte er einen Vertrag mit dem Verbrechen.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof, nun folgt die Vernehmung einiger Zeugen, und Oberst Amen wird die Befragung durchführen. Oberst Amen.

OBERST JOHN H. AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Euere Lordschaft, ich möchte als Zeuge für die Anklagevertretung Herrn Otto Ohlendorf vernehmen.

VORSITZENDER: Wollen Sie den Namen bitte buchstabieren.

OBERST AMEN: (Buchstabiert den Namen Ohlendorf.) Sein Vorname ist Otto. Der Hohe Gerichtshof möge beachten, daß sein Name auf der Wandkarte unter Amt III erscheint.

VORSITZENDER: Was sagten Sie, bitte?

OBERST AMEN: Der Name dieses Zeugen erscheint unter »Amt III« auf der Wandkarte, RSHA, in dem großen Quadrat, dem dritten von oben.

VORSITZENDER: Ja, ich sehe es.