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[Zu KORVETTENKAPITÄN HARRIS gewandt:]

Sie sprachen über die Photographien, nicht wahr?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, Herr Präsident.

Sie wurden als nächstes Stück zum Beweis angeboten. Ich möchte nun auf das erste Affidavit Bezug nehmen, das in dem Dokumentenbuch enthalten ist.

VORSITZENDER: Ja.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Es ist die eidesstattliche Erklärung von Alois Höllriegl.

VORSITZENDER: Ja, Sie haben die eidesstattliche Erklärung gleichzeitig vorgelegt, nicht wahr?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, Herr Vorsitzender. Dieses Affidavit erklärt, und ich zitiere:

»Ich war Mitglied der Totenkopf-SS und war im Mauthausener Konzentrationslager vom Januar 1940 an bis zum Ende des Krieges stationiert. Ich bin völlig vertraut mit allen Gebäuden und dem Gelände im Mauthausener Konzentrationslager. Es wurde mir das Dokument 2641-PS gezeigt, welches aus einer Serie von 6 Photographien besteht. Ich bestätige, daß alle diese Bilder im Mauthausener Konzentrationslager aufgenommen worden sind. Auf der ersten Photographie kann ich bestimmt Heinrich Himmler als den Mann auf der linken Seite identifizieren, Ziereis, den Kommandanten des Mauthausener Konzentrationslagers in der Mitte, und Ernst Kaltenbrunner als den Mann auf der rechten Seite.«

VORSITZENDER: Sagte er, zu welchem Zeitpunkt die Photographien aufgenommen wurden?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nein, Herr Vorsitzender, ich habe kein Beweismaterial dafür, wann diese Photographien aufgenommen wurden.

VORSITZENDER: Also nur, daß Kaltenbrunner dort war?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nur, daß Kaltenbrunner einmal in Begleitung von Ziereis und Himmler dort war.

VORSITZENDER: Ja.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: In voller Kenntnis der Zustände in den Konzentrationslagern und des Zwecks, dem sie dienten, ordnete Kaltenbrunner die Einlieferung von Leuten in Konzentrationslager an oder gestattete, daß dies in seinem Namen angeordnet wurde.

Ich lege Dokument L-38 als nächstes Beweisstück vor, US-517. Es ist ein Affidavit von Hermann Pister, dem ehemaligen Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald, das am 1. August 1945 in Freising, Deutschland, bei einer offiziellen militärischen Untersuchung durch die Armee der Vereinigten Staaten abgegeben wurde. Ich zitiere aus dem Dokument, beginnend mit dem zweiten Absatz:

»Mit Ausnahme der Masseneinlieferungen von Häftlin gen aus den Konzentrationslagern des besetzten Gebietes wurden alle Häftlinge auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes, Berlin, in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Diese Schutzhaftbefehle (rote Formulare) waren in den meisten Fällen mit dem Namen ›Kaltenbrunner‹ unterzeichnet. Die wenigen übrigen Schutzhaftbefehle waren mit ›Förster‹ unterschrieben.«

Ich lege nun als nächstes Beweisstück Dokument 2477-PS, US-518, vor. Es ist dies eine eidesstattliche Erklärung des Willy Litzenberg, ehemals Chef des Amtes IV/A 1 b des RSHA. Dieses Dokument lautet wie folgt, ich zitiere und beginne mit dem zweiten Absatz.

»Den Leitern der Staatspolizei-Leit- bzw. Staatspolizeistellen stand das Recht der kurzfristigen Verhängung von Schutzhaft zu; in früherer Zeit für die Dauer von 21 Tagen, zuletzt – glaube ich – für die Dauer von 56 Tagen. Schutzhaft, die über diese Zeit hinausging, mußte bei dem hierfür zuständigen Schutzhaftreferat des RSHA beantragt werden. Die Anordnung der Schutzhaft bezw. Unterschrift des Schutzhaftbefehls konnte nur durch den Leiter des RSHA als Chef Sipo und SD erfolgen. Alle Anordnungen und Schutzhaftbefehle, die ich gesehen habe, trugen einen Faksimilestempel von Heydrich oder Kaltenbrunner. Ein derartiges Schriftstück mit einem anderen Namen als Unterschrift habe ich nach meiner Erinnerung nicht gesehen. Wie weit bezw. an wen eventuell der Chef der Sipo und des SD eine Ermächtigung zur Benutzung seines Faksi milestempels erteilt hat, ist mir nicht bekannt. Vielleicht besaß Amtschef IV eine derartige Ermächtigung. Der größere Teil des Schutzhaftreferates wurde seinerzeit nach Prag verlegt. In Berlin blieb nur ein Stab zurück.«

Ich lege nunmehr 2745-PS als Beweisstück US- 519 vor. Dies ist ein Befehl vom 7. Juli 1943, der in der ehemaligen Dienststelle der Gestapo-Abteilung, die für Schutzhaftfragen zuständig war, gefunden worden ist. Es handelt sich um einen an das Prager Amt gerichteten Befehl, ein Fernschreiben an die Gestapo-Stelle Köslin mit der Anordnung zu senden, eine gewisse Ratzke in Schutzhaft zu nehmen und sie wegen Arbeitsverweigerung in das Konzentrationslager Ravensbrück einzuliefern. Der Befehl trägt die Faksimileunterschrift Kaltenbrunners, und ich lege dem Gerichtshof den Originalbefehl vor, der dieses Faksimile unter der Haftanordnung trägt. Befehle dieser Art waren die Grundlage für die tatsächlich an die Dienststelle in Prag gesandten Befehle, die Kaltenbrunners Fernschreibeunterschrift trugen. Am Ende der Seite wird der Gerichtshof Kaltenbrunners Faksimilestempel bemerken.

Ich beziehe mich nun auf Dokument L-215, das bereits als US-243 vorgelegt wurde.

Ich glaube, der Gerichtshof wird sich dieses Dokuments erinnern, das bereits zum Beweis vorgelegt wurde, und das fünfundzwanzig Haftbefehle enthält, die von der Prager Dienststelle des RSHA an das Einsatzkommando in Luxemburg gerichtet waren und die alle die mit Schreibmaschine geschriebene Unterschrift. Kaltenbrunners tragen. Der Gerichtshof wird sich erinnern, und ich halte hier das Originaldokument in der Hand, daß diese Haftbefehle rote Formulare waren, auf die sich der Kommandant von Buchenwald in seiner eidesstattlichen Erklärung bezog. Er sagte, daß diese Formulare vom RSHA stammten und die Einlieferung von Leuten nach Buchenwald bedeuteten.

Zu den Konzentrationslagern, in die solche Leute von Kaltenbrunner geschickt wurden, gehörten laut Dokument L-215 Dachau, Natzweiler, Sachsenhausen und Buchenwald.

VORSITZENDER: Welches war das Datum?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Die meisten dieser Haftbefehle stammen aus dem Jahre 1944. Ich glaube, alle sind aus dem Jahre 1944.

VORSITZENDER: Erscheint das in dem Dokument?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, Herr Präsident, es erscheint im Originaldokument. Die erste Seite dieser Übersetzung enthält eine Zusammenfassung aller dieser Dokumente. Nur eins der Aktenstücke wurde vollständig übersetzt, es trägt das Datum vom 15. Februar 1944.

VORSITZENDER: Ja, ich verstehe.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Unter den angeführten Gründen in diesen Befehlen, die die mit Schreibmaschine geschriebene Unterschrift Kaltenbrunners tragen, waren die folgenden, und ich zitiere:

»Dringend verdächtig, sich zum Nachteil des Reiches zu betätigen; durch fortgesetzte deutschfeindliche und gehässige Äußerungen sowie Beschimpfung und Bedrohung in der nationalsozialistischen Bewegung tätiger Personen; verdächtig der Beihilfe zur Wehrdienstentziehung.«

Ich lege nun Dokument 2239-PS als Beweisstück US-520 vor. Dies ist ein Aktenband von 42 Telegrammen, die das Prager Amt des RSHA an die Gestapostelle in Darmstadt sandte, und die alle die Fernschreibe-Unterschrift Kaltenbrunners tragen. Diese Einlieferungsbefehle wurden in der Zeit vom 20. September 1944 bis 2. Februar 1945 ausgegeben. Die Konzentrationslager, in die Kaltenbrunner diese Leute sandte, schlossen Sachsenhausen, Ravensbrück, Buchenwald, Bergen-Belsen, Flossenbürg und Theresienstadt ein. Die Angehörigen folgender Nationen waren betroffen: Tschechen, Deutsche, Franzosen, Holländer, Italiener, Korsikaner, Litauer, Griechen und Juden. Gründe für die Verschickung waren: Arbeitsverweigerung, religiöse Propaganda, geschlechtliche Beziehungen zu Kriegsgefangenen, kommunistische Äußerungen, Arbeitsbummelei, reichsfeindliche Betätigung, Verbreitung von Greuelnachrichten, »Aktion Gitter«, Arbeitsvertragsbruch, deutschfeindliche Äußerungen, tätliche Angriffe auf einen Vorgesetzten, defaitistische Äußerungen, Diebstahl sowie Flucht aus dem Gefängnis.

Kaltenbrunner sandte nicht nur Leute in die Konzentrationslager, er ermächtigte auch zu Hinrichtungen in den Konzentrationslagern. Ich lege nun das Dokument L-51 als nächstes Beweisstück vor, US- 521. Es handelt sich um ein Affidavit des ehemaligen Adjutanten des Konzentrationslagers Mauthausen, Adolf Zutter, das bei einer offiziellen militärischen Untersuchung durch die Armee der Vereinigten Staaten vor fünf Monaten, am 2. August 1945, in Linz, Österreich, abgegeben wurde. Dieses Affidavit sagt, und ich zitiere vom Absatz 3:

»Als Adjutant hat mir der Kommandant von Mauthausen, Standartenführer Ziereis, eine große Anzahl von Exekutionsbefehlen nach Öffnung der Geheimpost zur Weitergabe an Obersturmführer Schulz übergeben. Diese Exekutionsbefehle waren ungefähr in folgender Form verfaßt.«

Dann folgt in dem Affidavit eine Beschreibung eines Exekutionsbefehls, der vom RSHA an den Kommandanten des Konzentrationslagers Mauthausen gerichtet war. Ich lasse diese Beschreibung aus und fahre mit dem nächsten Absatz fort:

»Es kamen auch Befehle zu Exekutionen, die den Namen des Gerichtes nicht enthielten. Diese Befehle trugen bis zur Ermordung Heydrichs dessen Unterschrift oder des zuständigen Vertreters. Später trugen dann die Befehle die Unterschrift von Kaltenbrunner, meistens aber von dessen Vertreter, Gruppenführer Müller.

Dr. Ernst Kaltenbrunner, dessen Unterschrift die obigen Befehle trugen, war Obergruppenführer und Chef des Sicherheitshauptamtes.

Dr. Kaltenbrunner ist etwa 40 Jahre alt, Größe etwa 1,76-1,80, starke Mensurnarben.

Solange Dr. Kaltenbrunner noch Höherer SS- und Polizeiführer in Wien war, hat er mehrere Male das Lager besucht; später hat er als Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) das Lager besucht, obwohl dies seltener war. Während dieser Besuche hat der Kommandant gewöhnlich ihn schon vor der Kommandantur empfangen und Meldung gemacht.

In Verbindung mit der amerikanischen Militärkommission, die hinter der deutschen Hauptkampflinie im slowakischen oder ungarischen Gebiet im Januar 1945 abgesetzt wurde, kann ich mich erinnern, wie diese im Januar 1945 ins KL Mauthausen eingeliefert wurden. Ich schätze die Zahl der Eingelieferten auf 12-15 Mann. Sie trugen eine Uniform, die amerikanisch oder kanadisch war: Braungrüne Farbe und Bluse und Tuchmütze. 8-10 Tage nach der Ankunft kam der Exekutionsbefehl in Form eines Funkspruches oder eines Fernschreibens. Standartenführer Ziereis kam zu mir ins Dienstzimmer und sagte: Jetzt hat Kaltenbrunner die Exekution genehmigt. Das Schreiben war geheim und trug die Unterschrift: gez. Kaltenbrunner. Diese Leute wurden dann standrechtlich erschossen und die Effekten mir durch Oberscharführer Niedermeyer übergeben.«

Das fünfte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD die Verantwortung trägt, ist die Verschickung von Staatsangehörigen der besetzten Gebiete zur Zwangsarbeit und die Bestrafung von Zwangsarbeitern.

Ich bin sicher, daß der Gerichtshof sich ohne nähere Bezugnahme des Dokuments 3012-PS erinnern wird, das schon als Beweisstück US-190 vorgelegt worden ist. Es war ein Brief des Chefs des Sonderkommandos der Sipo und des SD, der berichtete, daß die Ukraine eine Million Arbeiter für die Rüstungsindustrie aufbringen müßte, und daß, wenn nötig, Gewalt anzuwenden sei. Das Datum dieses Briefes ist der 19. März 1943.

Kaltenbrunners Verantwortlichkeit für die Bestrafung von Fremdarbeitern wird durch Dokument 1063-PS bewiesen, das bereits als Beweisstück US- 492 vorgelegt worden ist. Kein Teil dieses Schreibens ist bisher in das Protokoll verlesen worden. Das Schreiben trägt das Datum des 26. Juli 1943 und war an die Höheren SS- und Polizeiführer, die Befehlshaber und Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD, und an die Chefs der Einsatzgruppen B und D gerichtet.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß die Einsatzgruppen A, B, C und D, die im Osten tätig waren, die Vernichtung der Juden und der kommunistischen Führer durchführten. Dieses Dokument zeigt, daß Kaltenbrunner die Kontrolle über die Einsatzgruppen B und D ausübte. Dieses Dokument ist unterzeichnet: Kaltenbrunner. Der erste Absatz lautet wie folgt:

»Der Reichsführer-SS hat genehmigt, daß außer den Konzentrationslagern, die der Zuständigkeit des SS- Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes unterstehen, auch weiterhin Arbeitserziehungslager errichtet werden dürfen, für die ausschließlich die Sicherheitspolizei zuständig ist. Diese Arbeitserziehungslager sind von der Genehmigung des RSHA abhängig, die nur bei dringendem Bedürfnis (hohe Zahl ausl. Arbeiter usw.) erteilt werden darf.«

Ich lege nun das Dokument D-473 als nächstes Beweisstück vor, US-522. Es muß sich am Anfang des Dokumentenbuchs befinden. Dieser Brief, unterzeichnet: Kaltenbrunner, wurde von ihm am 4. Dezember 1944 an die regionalen Ämter der Kriminalpolizei gesandt.

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß sich die Verantwortlichkeit Kaltenbrunners sowohl auf die Kriminalpolizei als auch auf die Gestapo erstreckte. In dem Schreiben heißt es, und ich lese vom Anfang:

»Nach dem Erlaß vom 30. Juni 1943 werden die von polnischen und sowjetrussischen Zivilarbeitern begangenen Delikte von den Staatspolizei(leit)stellen geahndet, und zwar auch in den Fällen, in denen zunächst die Kriminalpolizei innerhalb ihrer Zuständigkeit die Ermittlungen geführt hat. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung und Kräfteeinsparung werden unter Abänderung des Erlasses vom 30. Juni 1943 die Kriminalpolizei(leit)stellen ermächtigt, ab sofort die nach der Zuständigkeitsbegrenzung von ihr aufzuklärenden Delikte, soweit es sich um die kleinen und mittleren Kriminaldelikte handelt, selbst zu ahnden.«

Ich beginne mit dem zweiten Absatz:

»Als Mittel der Ahndung stehen der Kriminalpolizei zur Verfügung Polizeihaft..., die Einweisung in ein Konzentrationslager als asozialer oder gemeingefährlicher Vorbeugungshäftling.«

Dann wende ich mich dem letzten Absatz zu.

»Die Unterbringung im Konzentrationslager erfolgt regelmäßig auf Kriegsdauer. Außerdem werden die Kriminalpolizei(leit)stellen ermächtigt, in geeigneten Fällen polnische und sowjetrussische Zivilarbeiter im Einvernehmen mit der zuständigen Staatspolizei(leit)stelle in die Arbeitserziehungslager der Geheimen Staatspolizei einzuweisen. Soweit diese Möglichkeiten der Ahndung wegen der Besonderheit eines Einzelfalles nicht ausreichen, hat die Abgabe des Vorganges an die zuständige Staatspolizei(leit)stelle zu erfolgen. gez. Dr. Kaltenbrunner.«

Außer der Einweisung von Fremdarbeitern in die Gestapo-Arbeitslager hat Kaltenbrunner Fremdarbeiter durch Einlieferung in Konzentrationslager bestraft.

Ich lege nun Dokument 2582-PS als nächstes Beweisstück, US-523, vor. Es handelt sich um eine Reihe von vier Fernschreibe-Befehlen, mit welchen Personen in Konzentrationslager eingeliefert wurden. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den zweiten Befehl, der das Datum vom 18. Juni 1943 trägt, demzufolge an die Stapo in Saarbrücken die Weisung erging, einen Polen in das Konzentrationslager Natzweiler als Facharbeiter zu überstellen. Ich verweise ferner auf das dritte Fernschreiben, datiert vom 12. Dezember 1944, in dem die Gestapo in Darmstadt angewiesen wurde, einen Griechen in das Konzentrationslager Buchenwald zu überführen, weil er sich beschäftigungslos umhertrieb; und auf das vierte Fernschreiben, datiert vom 9. Februar 1945, in dem die Stapo Darmstadt in Bensheim angewiesen wurde, einen französischen Staatsangehörigen wegen arbeitsscheuen und widersetzlichen Benehmens nach Buchenwald einzuliefern. Alle diese Befehle sind unterzeichnet: Kaltenbrunner.

Ich unterbreite nun Dokument 2580-PS als nächstes Beweisstück, US-524. Dieses Dokument enthält weitere drei dieser roten Formularbefehle für Schutzhaft, sämtlich von Kaltenbrunner unterschrieben. Der erste Befehl zeigt, daß ein holländischer Staatsangehöriger wegen Arbeitssabotage in Schutzhaft genommen wurde, der zweite, daß ein Franzose wegen Arbeitssabotage und Aufsässigkeit in Schutzhaft genommen wurde. Beide sind vom 2. Dezember 1944 datiert.

Das sechste Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, ist die Exekution gefangengenommener Kommandos und Fallschirmspringer und der Inschutznahme von Zivilpersonen, die alliierte Flieger lynchten.

Der Gerichtshof wird sich, dessen bin ich sicher, ohne nähere Bezugnahme daran erinnern, daß der Befehl Hitlers vom 18. Oktober 1942, Dokument 498-PS, US-501, anordnete, daß die Kommandos, auch wenn sie Uniform trugen, bis zum letzten Mann niederzumachen seien, und daß einzelne Kommando- Angehörige, die von der Polizei gefangen würden, dem Sicherheitsdienst zu übergeben seien.

Ich lege nun Dokument 1276-PS als nächstes Beweisstück vor, US-525. Es ist ein Schnellbrief, Geheime Reichssache vom Chef der Sicherheitspolizei und dem SD, gezeichnet: im Auftrag Müller. Der Brief ist an das Oberkommando der Wehrmacht gerichtet, und der Chef der Sicherheitspolizei und des SD erklärt darin, ich zitiere vom dritten Absatz auf Seite 2 der englischen Übersetzung:

»Ich habe den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Paris angewiesen, derartige Fallschirmsprin ger in englischer Uniform als Angehörige von Kommandounternehmungen gemäß dem Führerbefehl vom 18. Oktober 1942 zu behandeln und die militärischen Stellen in Frankreich darauf hinzuweisen, daß die Behandlung seitens der Wehrmacht entsprechend erfolgt.«

Dieser Brief war vom 17. Juni 1944 datiert. Die Exekutionen wurden vom SD, und zwar gemäß dem besagten Befehl Hitlers vom 18. Oktober 1942, zu einer Zeit durchgeführt, als Kaltenbrunner Chef der Sicherheitspolizei und des SD war, wie dies das Dokument 526-PS, US-502, beweist. Es handelt sich um den Befehl, der heute Vormittag vorgelegt worden ist. Ich bin sicher, daß sich der Gerichtshof daran erinnert.

Die Methode der Polizei, Zivilpersonen, die alliierte Flieger lynchten, zu schützen, wurde angewandt, während Kaltenbrunner Chef der Sicherheitspolizei und des SD war.

Als nächstes Beweisstück lege ich nun Dokument 2990-PS vor, das bereits als US-526 zum Beweis angeboten wurde. Es ist ein Affidavit von Walter Schellenberg, dem ehemaligen Chef des Amtes VI des RSHA, und lautet Absatz 7, und das ist alles, was ich aus dieser eidesstattlichen Erklärung verlesen möchte:

»Im Jahre 1944, bei einer anderen Gelegenheit, aber auch im Laufe einer Amtschefbesprechung, faßte ich Bruchstücke eines Gespräches zwischen Kaltenbrunner und Müller auf. Mir ist fest erinnerlich die folgende Be merkung Kaltenbrunners: Alle Dienststellen des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei sind davon in Kenntnis zu setzen, daß gegen Pogrome der Bevölkerung gegen englische und amerikanische Terror-Flieger nicht eingeschritten werden darf; umgekehrt soll die feindliche Stimmung gefördert werden.«

Das siebente Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, betrifft die Verschickung von Zivilpersonen aus den besetzten Ländern nach Deutschland, um dort geheimen Strafverfahren und Bestrafung unterworfen zu werden, und die Bestrafung von Zivilpersonen aus den besetzten Gebieten nach summarischen Methoden. Die Tatsache, daß diese Verbrechen auch nach dem 30. Januar 1943 begangen wurden, wird in Dokument 835-PS gezeigt, das ich als nächstes Beweisstück vorlegen werde, US-527. Es ist ein Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht an die Deutsche Waffenstillstandskommission, datiert vom 2. September 1944. Das Dokument beginnt und ich zitiere:

»Nach den Bezugserlassen sind alle nichtdeutschen Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht durch Terror- und Sabotageakte oder in anderer Weise gefährdet haben, der Sicherheitspolizei und dem SD zu übergeben. Ausgenommen sind nur solche Gefangene, die vor Bekanntgabe dieser Erlasse rechtskräftig zum Tode verurteilt worden sind oder eine Freiheitsstrafe angetreten haben. Zu den Straftaten, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmächte gefährden, gehören auch die politischen Straftaten.«

Das achte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich war, ist die Exekution und die Gefangenhaltung in Konzentrationslagern von Personen für angeblich von ihren Verwandten begangene Verbrechen. Daß diese Verbrechen auch nach dem 30. Januar 1943 begangen wurden, beweist das Dokument L-37, das bereits heute Morgen als US-506 vorgelegt wurde. Es ist ein Brief des Kommandeurs der Sipo und des SD für den Distrikt Radom vom 19. Juli 1944, in dem es heißt, daß die Männer der Sippe von Mördern und Saboteuren erschossen und die weiblichen Angehörigen über sechzehn Jahre in Konzentrationslager einzuweisen seien. Ich beziehe mich nochmals auf Dokument L-215, das als US-243 zum Beweis angeboten wurde, und insbesondere auf den Fall Junker, der auf Anordnung Kaltenbrunners durch die Gestapo in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt wurde, weil »er als Angehöriger einer fahnenflüchtigen Person erwarten läßt, er werde in Freiheit die Belange des Großdeutschen Reiches schädigen.«

Das neunte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, besteht in der Räumung von Sipo- und SD-Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument L-53, das heute Morgen als Beweisstück US-291 vorgelegt wurde. Es handelt sich um das Schreiben des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Radom vom 21. Juli 1944, in dem es heißt, daß der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im General- Gouvernement angeordnet hat, alle Sipo- und SD-Gefängnisse zu räumen, und, falls nötig, die Gefängnisinsassen zu liquidieren.

Ich lege jetzt als nächstes Beweisstück Dokument 3462-PS, US-528, vor. Es ist die beschworene Aussage von Bertus Gerdes, früher Gaustabsamtsleiter unter dem Gauleiter von München. Dieses Verhör fand bei einer offiziellen Untersuchung durch die Armee der Vereinigten Staaten statt. In diesem Verhör ist Gerdes aufgefordert worden, alles zu sagen, was er über Kaltenbrunner wüßte. Ich möchte nur einen sehr kleinen Teil seiner Angaben vorlesen, beginnend mit dem dritten Absatz auf Seite 2:

»Giesler erzählte mir, daß Kaltenbrunner in dauernder Verbindung mit ihm sei, daß er sich große Sorgen um das Verhalten der ausländischen Arbeiter und vor allen Dingender Insassen der Konzentrationslager Dachau, Mühldorf und Landsberg mache, die sich im Zuge der sich nähernden alliierten Armeen befänden. An einem Dienstag, Mitte April 1945, erhielt ich vom Gauleiter einen Anruf, mich für eine Nachtbesprechung freizuhalten. Im Laufe unserer persönlichen Unterhaltung an diesem Abend wurde mir von Gauleiter Giesler eröffnet, daß er vom Obergruppenführer Kaltenbrunner eine Weisung erhalten habe, im Auftrage des Führers unverzüglich eine Planung für die Liquidierung des Konzentrationslagers Dachau und der beiden jüdischen Arbeitslager Landsberg und Mühldorf auszuarbeiten. Die Weisung sah vor, die beiden jüdischen Arbeitslager Landsberg und Mühldorf durch die deutsche Luftwaffe zu vernichten, da die Baustelle dieser Lager in letzter Zeit wiederholt, von feindlichen Luftangriffen heimgesucht wurde. Diese Aktion erhielt den Decknamen ›Wolke A 1‹.«

Ich wende mich nun dem zweiten Absatz auf Seite 3 zu und zitiere aus diesem Verhör:

»Ich war mir darüber im klaren, diesen Auftrag niemals zur Durchführung zu bringen. Da die Aktion ›Wolke A 1‹ schon längst zur Auslösung gekommen sein sollte, wurde ich förmlich überlaufen von den Kurieren Kaltenbrunners, und ich sollte auch die Einzelheiten der Mühldorfer und Landsberger Aktionen mit den beiden zuständigen Kreisleitern besprochen haben. Die Kuriere, in den meisten Fällen SS-Offiziere, gewöhnlich SS-Untersturmführer, gaben mir kurze und harte Befehle zum Lesen und Abzeichnen. Die Befehle drohten mir bei Nichtbefolgung die fürchterlichsten Strafen an, einschließlich Hinrichtung im Falle der Nichtbefolgung. Ich konnte die Nichtdurchführung jedoch immer mit schlechtem Flugwetter, Benzin- und Bombenmangel begründen. Kaltenbrunner befahl daher, die Landsberg- Juden im Füßmarsch nach Dachau zu führen, um sie in die Dachauer Vergiftungsaktionen einzuschließen, und daß die Mühldorfer Aktion die Gestapo zur Durchführung bringen sollte.

Für das Konzentrationslager Dachau befahl Kaltenbrunner eine Aktion ›Wolkenbrand‹, die vorsah, die Insassen des Konzentrationslagers Dachau, mit Ausnahme der arischen Angehörigen der Westmächte, mit Gift zu liquidieren.

Gauleiter Giesler erhielt diesen Befehl direkt von Kaltenbrunner und besprach in meinem Beisein mit dem Gaugesundheitsführer Dr. Harrfeld die Beschaffung der erforderlichen Menge von Giftstoffen. Dr. Harrfeld versprach, diese Menge auf Befehl zu beschaffen und wurde angewiesen, meine weiteren Befehle abzuwarten. Da ich auf jeden Fall die Ausführung dieser Aktion verhindern wollte, gab ich keine weiteren Anweisungen an Dr. Harrfeld.

Kaum waren die Insassen von Landsberg in Dachau eingeliefert, als bereits durch Kurier von Kaltenbrunner die Auslösung des Kennwortes ›Wolkenbrand‹ gegeben wurde.

Die Durchführung der Aktion ›Wolke A 1‹ und ›Wolkenbrand‹ verhinderte ich dadurch, daß ich Giesler die Begründung gab, daß die Front zu nahe sei und ihn um Weiterbeförderung an Kaltenbrunner bat.

Kaltenbrunner gab daher schriftliche Anweisungen an Dachau, alle Häftlinge der westlichen europäischen Nationen per Lastwagen in die Schweiz zu transportieren und die übrigen Insassen zu Fuß ins Ötztalgebiet (Tirol) zu führen, wo die endgültige Liquidierung der Häftlinge so oder so stattfinden sollte.«

VORSITZENDER: Das Gericht wird sich jetzt vertagen.