HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Kurze Verhandlungspause.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt das Beweismaterial hören, das die Anklagevertretung vorzubringen wünscht. Soweit es aus mündlichen Vernehmungen besteht, wird der Gerichtshof dem Verteidiger Kaltenbrunners die Möglichkeit geben, die aufgerufenen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen, wenn er es wünscht, zu einem späteren Zeitpunkt.

RECHTSANWALT LUDWIG BABEL, VERTEIDIGER FÜR SS UND SD: Ich wurde zunächst als Pflichtverteidiger für die Mitglieder der SS und des SD bestellt, die sich in diesem Verfahren zur Anhörung gemeldet haben. Mein Aufgabenkreis wurde dahin umgrenzt, dem Gericht die eingehenden Anträge in einer geeigneten Form in Vorlage zu bringen. Erst mit Bekanntmachung des Gerichts vom 17. Dezember 1945 wurde ich als Verteidiger der Organisationen der SS und des SD bestellt. Ich habe als solcher keinen Klienten oder Auftraggeber, der mich informieren oder mir Weisungen für die Führung der Verteidigung erteilen könnte. Ich bin deshalb darauf angewiesen, mir die nötigen Informationen dadurch zu beschaffen, daß ich mich mit Mitgliedern der von mir vertretenen Organisationen in Verbindung setze, die sich in ihrer Masse in Kriegsgefangenenlagern befinden oder verhaftet sind. Ich war bisher infolge der Kürze der Zeit nicht in der Lage, mir diese Informationen zu beschaffen.

Nach dem 17. Dezember 1945 wurden mir durch das Gericht tausende von Anträgen vorgelegt, deren Anweisungen zu folgen mir in der kurzen Zwischenzeit nicht möglich war.

Nach Paragraph 16 des Statuts soll dem Angeklagten eine Abschrift der Anklage mit allen dazugehörigen Urkunden in einer ihm verständlichen Sprache innerhalb einer angemessenen Frist vor Beginn des Prozesses zugestellt werden. Diese Vorschrift ist sinngemäß auch auf die angeklagten Organisationen anzuwenden. Eine Zustellung der Anklage an die Organisationen ist im Statut oder in der Verfahrensordnung nicht vorgesehen und durch das Gericht bisher auch nicht angeordnet worden.

Ich selbst war nicht in der Lage, eine derartige umfangreiche Abschrift in der genügenden Anzahl fertigen zu lassen, um diese den verschiedenen Lagern, in welchen sich diese Angehörigen der Organisationen befinden, zuzuleiten und ihnen dadurch Gelegenheit zu geben, zu derselben Stellung zu nehmen und mir die nötigen Informationen zu erteilen. Angesichts dieser, weder durch mich noch durch die von mir vertretenen Organisationen verschuldeten, Umstände bin ich nicht in der Lage, einen Zeugen, der heute gehört wird, ins Kreuzverhör zu nehmen und von dem mir als Verteidiger in dieser Richtung zustehenden Rechte Gebrauch zu machen. Die Vernehmung eines Zeugen im Verfahren gegen den Angeklagten Kaltenbrunner betrifft auch die von mir vertretenen Organisationen der SS und des SD. Eine Vernehmung eines solchen Zeugen im jetzigen Zeitpunkt würde eine Beschränkung der Verteidigung darstellen.

Ich stelle deshalb den Antrag, die weitere Besprechung des Verfahrens gegen die Organisationen der SS und des SD zurückzustellen. Es ist mir durch Besuch von verschiedenen Lagern, in welchen sich die Angehörigen der Organisationen der SS und des SD befinden, und durch Rücksprache mit denselben möglich, die zur Verteidigung nötigen Informationen zu beschaffen. Ich möchte noch hinzufügen, daß dadurch eine Verzögerung des Verfahrens in gar keiner Weise eintreten würde, und ich nehme an, daß auch die Anklagebehörde dadurch in keiner Weise belastet würde.

VORSITZENDER: Wenn ich Sie unterbrechen darf, verstehe ich Ihren Antrag dahin, daß Sie nicht in der Lage sind, diese Zeugen heute Nachmittag ins Kreuzverhör zu nehmen und daß Sie, ähnlich wie es dem Verteidiger des Angeklagten Kaltenbrunner zugesagt wurde, eine Gelegenheit hierfür haben möchten. Sie wünschen diese Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt im Kreuzverhör zu vernehmen; ist das richtig?

RA. BABEL: Ja, ich möchte aber bereits in dem jetzigen Zeltpunkt darauf hinweisen, daß es mir durch die Eigenart der Aufgabe, die mir gestellt ist, erschwert wird, und die künftige Nachholung von Fragen...

VORSITZENDER: Wir wollen damit nicht Zeit verlieren. Lautete Ihr Ersuchen dahin, Gelegenheit für ein Kreuzverhör dieser Zeugen zu einem späteren Zeitpunkte zu erhalten?

RA. BABEL: Mein Antrag hatte diesen Sinn, aber auch den Sinn, mir die Verteidigung an sich im ganzen dadurch möglich zu machen, daß nicht in einem Zeitpunkt, in dem ich von dem mir nach dem Statut zustehenden Rechte nicht den notwendigen Gebrauch machen kann,...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist bereit, Ihnen die Möglichkeit zu einem Kreuzverhör dieser Zeugen zu einem späteren Zeitpunkte zu geben.

KORVETTENKAPITÄN WHITNEY R. HARRIS, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Wir legen das Dokumentenbuch BB als besonderes Dokumentenbuch für den Angeklagten Kaltenbrunner vor. Dieses Buch enthält Dokumente, aus denen wir im Laufe des Vorbringens zitieren werden. Wir werden uns auch auf drei oder vier andere Schriftstücke beziehen, die in dem Dokumentenbuch über die Gestapo und den SD enthalten sind.

Während der drei letzten Verhandlungstage hat der Gerichtshof Beweismaterial über den verbrecherischen Charakter der SS, des SD und der Gestapo gehört. Die Zusammenfassung dieser Organisationen in die Stoßverbände des Polizeistaats Hitlers wurde vom organisatorischen Standpunkt aus erklärt. Ein Angeklagter steht vor dem Gerichtshof, der diese Organisation auf Grund der von ihm bekleideten offiziellen Stellungen in der SS und der deutschen Polizei repräsentiert und dessen Laufbahn diese von der SS und der Nazi-Polizei gebildete Einheit ergänzend beleuchtet. Der Name dieses Angeklagten ist Ernst Kaltenbrunner.

Ich lege nunmehr Dokument 2938-PS, US-511, vor. Dies ist ein Aufsatz, der in »Die Deutsche Polizei«, der Zeitschrift der Sicherheitspolizei und des SD, der Nummer vom 15. Mai 1943 erschienen ist, Seite 193, mit dem Titel »Dr. Ernst Kaltenbrunner, der neue Chef der Sicherheitspolizei und des SD«. Ich zitiere nunmehr vom Beginn dieses Aufsatzes:

»SS-Gruppenführer Dr. jur. Ernst Kaltenbrunner wurde am 4. Oktober 1903 in Ried im Innkreis (bei Braunau) geboren als Sohn des Rechtsanwalts Dr. Hugo Kaltenbrunner. Er verbrachte seine Jugend im Heimatgau des Führers, dem seine Sippe, ursprünglich ein altes Sensengewerkegeschlecht, seit jeher aufs engste verbunden ist. Mit seinen Eltern übersiedelte er später in den kleinen Markt Raab und dann nach Linz an der Donau, wo er das Staatsrealgymnasium besuchte, um 1921 das Abitur dortselbst abzulegen.«

Der nächste Absatz schildert Kaltenbrunners Studienzeit als Jurist, seine nationalsozialistische Tätigkeit und seine Gegnerschaft zum katholisch-christlichsozialen Studentenkreis. Weiterhin wird angegeben, daß Kaltenbrunner nach dem Jahre 1928 als Rechtsanwaltsanwärter in Linz arbeitete. In dem Artikel heißt es weiter, und ich zitiere den dritten Absatz:

»Dr. Kaltenbrunner wurde wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung bereits im Januar 1934 von der Dollfuß-Regierung verhaftet und mit anderen führenden Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Kaisersteinbruch eingeliefert. Ein von ihm veranlaßter und geführter Hungerstreik zwang die Systemregierung, 490 nationalsozialistische Häftlinge zu entlassen. Im folgenden Jahre wurde er wegen Verdachts des Hochverrats als nationalsozialistischer Führer neuerdings verhaftet und dem Militärgerichtshof in Wels (Oberdonau) überstellt. Nach monatelanger Untersuchung brach jedoch die Anklage auf Hochverrat zusammen, doch wurde er wegen ›Geheimbündelei‹ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Seit Frühjahr 1935 ist Dr. Kaltenbrunner, dem wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung das Recht zur Ausübung seines Berufs abgesprochen wurde, Führer der ostmärkischen SS. Es war sein Verdienst, in dieser wichtigen Stellung durch straffe Führung die von ihm ausgebaute ostmärkische SS geschlos sen trotz aller Verfolgung beisammenzuhalten und im richtigen Augenblick erfolgreich einzusetzen.

Nach dem Umbruch, der von der SS entscheidend bestimmt wurde, wurde er am 11. März 1938 Staatssekretär für das Sicherheitswesen in der neuen nationalsozialistischen Regierung Dr. Seyß-Inquart. Wenige Stunden später konnte er dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der als erster nationalsozialistischer Führer am 12. März 1938 um 3 Uhr früh am Wiener Flugfeld in Aspern landete, den vollen Sieg der Bewegung und, wie der Artikel Kaltenbrunner zitiert, ›die SS zur weiteren Befehlsausgabe angetreten‹ melden. Der Führer ernannte Dr. Kaltenbrunner am Tage des Anschlusses zum SS-Brigadeführer und zum Führer des SS-Oberabschnitts Donau. Am 11. September 1938 folgte die Beförderung zum SS-Gruppenführer.«

Der Gerichtshof wird sich an Hand des bisher vorgelegten Beweismaterials – ich beziehe mich auf Band II, Seite 461 des Sitzungsprotokolls – auf das Telephongespräch zwischen Göring und Seyß-Inquart erinnern, in dem Göring bemerkte, daß Kaltenbrunner das Sicherheitsportefeuille haben sollte.

Ich zitiere nun den letzten Absatz dieses Artikels:

»Im Zuge der Auflösung der österreichischen Landesregierung und der Neugliederung der Ostmark in die Alpen- und Donaureichsgaue wurde er zum Höheren SS- und Polizeiführer bei den Reichsstatthaltern in Wien, Niederdonau und Oberdonau im Wehrkreis XVII bestellt und im April 1941 zum Generalleutnant der Po lizei ernannt.«

Kaltenbrunner wurde auf diese Weise der kleine Himmler Österreichs.

Gemäß unserem Dokument 2892-PS: »Der Großdeutsche Reichstag«, Vierte Wahlperiode 1938, herausgegeben von F. Kienast, Seite 261, trat Kaltenbrunner der Nazi-Partei und der SS in Österreich im Jahre 1932 bei. Er war Parteimitglied Nummer 300179 und SS-Mitglied Nummer 13039. Vor dem Jahre 1933 war er Gauredner und Rechtsberater des SS-Abschnitts VIII. Nach dem Jahre 1933 wurde er Führer der SS-Standarte 37 und später des SS-Abschnitts VIII. Kaltenbrunner erhielt die höchsten Nazi-Auszeichnungen, das goldene Ehrenzeichen und den Blutorden. Nach 1938 wurde er Mitglied des Reichstags.

Ich lege nun Dokument 3427-PS, US-512, vor. Auch dies ist ein Artikel, der in der Zeitschrift der Sicherheitspolizei und des SD »Die Deutsche Polizei« vom 12. Februar 1943, Seite 65, erschienen ist; ich zitiere:

»SS-Gruppenführer Kaltenbrunner zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD ernannt.

Berlin, den 30. Januar 1943. Der Führer hat auf Vorschlag des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei als Nachfolger des am 4. Juni 1942 verstorbenen SS-Obergruppenführers und Generals der Polizei, Reinhard Heydrich, den SS-Gruppenführer und Generalleut nant der Polizei, Dr. Ernst Kaltenbrunner, zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD ernannt.«

Der Gerichtshof hat mehrfach Bezugnahmen auf die von Himmler am 4. Oktober 1943 in Posen, Polen, an die Gruppenführer der SS gehaltene Rede gehört. Unser Dokument 1919-PS wurde als Beweisstück US-170 bereits vorgelegt. In dem Dokument werden mit beispielloser Offenheit das barbarische Programm und die verbrecherische Tätigkeit der SS und der Sicherheitspolizei von Himmler besprochen. Am Anfang seiner Rede sagte Himmler, und ich zitiere lediglich den einen Satz: »Unser Kamerad, der SS-Gruppenführer Ernst Kaltenbrunner, der Nachfolger unseres gefallenen Freundes Heydrich«.

Kaltenbrunner erfüllte seine Aufgabe als Chef der Sicherheitspolizei und des SD zur Zufriedenheit Himmlers und Hitlers, denn am 9. Dezember 1944, gemäß Befehlsblatt der Sicherheitspolizei und des SD...

DR. KAUFFMANN: Darf ich einen Augenblick unterbrechen? Ich hatte die Entscheidung des Gerichts dahin verstanden, daß die gegen Kaltenbrunner gerichtete Anklage zunächst zurückgestellt werden sollte, bis Kaltenbrunner wieder verhandlungsfähig ist, und nun wird die Sache Kaltenbrunner verhandelt.

VORSITZENDER: Nein. Die Entscheidung des Gerichtshofs war auf der Ansicht gegründet, daß das Beweismaterial aufgeteilt werden könnte in Beweismaterial, das sich direkt auf Kaltenbrunner bezieht, und Beweismaterial, das die Organisation der Gestapo belastet; doch wurde, als Sie an unserer geschlossenen Sitzung teilnahmen, erklärt, daß dies unmöglich und das Beweismaterial so unlösbar vermischt sei, daß es unmöglich wäre, die Beweisführung lediglich gegen die Organisation zu richten und den Fall Kaltenbrunner auszuschließen. Folglich beschloß der Gerichtshof, daß die Beweisführung dem Wunsche der Anklagebehörde gemäß als Ganzes fortgeführt werden sollte, daß sie Ihnen jedoch Gelegenheit geben werde, alle vorgeladenen Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt ins Kreuzverhör zu nehmen. Sie werden natürlich außerdem die Möglichkeit haben, sich mit allen Kaltenbrunner belastenden dokumentarischen Beweisen zu beschäftigen, wenn Sie an der Reihe sind, die Verteidigung Kaltenbrunners vorzubringen.

Können Sie mir folgen?

DR. KAUFFMANN: Sicherlich.

VORSITZENDER: Sie werden Gelegenheit haben, alle Zeugen, die heute Nachmittag oder morgen vernommen werden, später zu einem Ihnen genehmen Zeitpunkt ins Kreuzverhör zu nehmen. Außerdem werden Sie später die volle Möglichkeit haben, einzelne Punkte oder das ganze Beweismaterial, wie es jetzt durch den Ankläger für die Vereinigten Staaten vorgebracht wird, in jeder Ihnen richtig erscheinenden Weise zu behandeln.

DR. KAUFFMANN: Ja! Gestatten Sie mir noch ein Wort. Das Mißverständnis, dem ich unterlegen bin, beruht offenbar darauf, daß ich der Auffassung war, es würde eine Vernehmung von Zeugen folgen, während ich jetzt erfahre, daß ein größerer Komplex von Beweismaterial vorgelegt wird. Wenn ich aber höre, daß das Gericht auch das Beweismaterial zuläßt, also das Ganze zuläßt, dann werde ich mich dieser Entscheidung beugen müssen.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Kaltenbrunner führte seine Aufgabe als Chef der Sicherheitspolizei und des SD zur Zufriedenheit Himmlers und Hitlers aus, denn am 9. Dezember 1944 erhielt er gemäß »Befehlsblatt der Sicherheitspolizei und des SD«, Nummer 51, Seite 361, Dokument 2770-PS, in seiner Eigenschaft als Chef der Sicherheitspolizei und des SD eine der höchsten militärischen Auszeichnungen, das Ritterkreuz mit Schwertern. Um diese Zeit war Kaltenbrunner bereits zu der hohen Stellung eines SS-Obergruppenführers und Generals der Polizei befördert worden.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tabelle: »Die Stellung Kaltenbrunners und der Gestapo und des SD im deutschen Polizeisystem« lenken, Beweisstück US-493. Als Chef der Sicherheitspolizei und des SD war Kaltenbrunner Chef der Gestapo, der Kripo und des SD, ebenso wie des RSHA, das eine Abteilung der SS und des Reichsministeriums des Innern war. Er war verantwortlich für die regionalen Dienststellen der Gestapo, des SD und der Kripo innerhalb Deutschlands und die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos in den besetzten Gebieten.

Kaltenbrunner direkt unterstellt waren die Chefs der Hauptbüros des RSHA einschließlich des Amtes III, SD in Deutschland, des Amtes IV, Gestapo, des Amtes V, Kripo, und des Amtes VI, Auslands-Nachrichtendienst.

Ich lege als nächstes das Dokument 2939-PS, US- 513, vor. Es ist eine eidesstattliche Erklärung von Walter Schellenberg, dem Chef des Amtes VI des RSHA ab Herbst 1941 bis Ende des Krieges. Ich werde nur einen kleinen Teil der eidesstattlichen Erklärung verlesen, beginnend mit dem sechsten Satz des ersten Absatzes:

»Ungefähr am 25. Januar 1943 begab ich mich zusammen mit Kaltenbrunner nach Himmlers Hauptquartier in Lötzen in Ostpreußen. Alle Amtschefs des RSHA waren bei dieser Zusammenkunft anwesend und Himmler teilte uns mit, daß Kaltenbrunner zum Chef der Sicherheitspolizei und SD (RSHA) als Nachfolger für Hey drich ernannt werde. Seine Ernennung trat am 30. Januar 1943 in Kraft.

Es ist mir keine Begrenzung von Kaltenbrunners Autorität als Chef der Sicherheitspolizei und SD (RSHA) bekannt. Er begann unverzüglich mit den Aufgaben des Büros und nahm direkte Leitung des Büros und Kontrolle über das Amt an sich. Alle wichtigen Angelegenheiten aller Ämter mußten von Kaltenbrunner geprüft werden.«

Während Kaltenbrunners Amtszeit als Chef der Sicherheitspolizei und des SD wurden viele Verbrechen durch die Sicherheitspolizei und den SD auf Grund der Politik des RSHA oder der von dem RSHA herausgegebenen Befehle begangen, für die Kaltenbrunner kraft seiner Amtsstellung verantwortlich war. Jedes dieser Verbrechen wurde im einzelnen in der gegen die Gestapo und den SD gerichteten Anklage besprochen, und auf dieses Vorbringen beziehe ich mich. Das Beweismaterial, das jetzt vorgelegt wird, soll nur zeigen, daß diese Verbrechen weiter begangen wurden, nachdem Kaltenbrunner am 30. Januar 1943 Chef der Sicherheitspolizei und des SD geworden war.

Das erste Verbrechen, für das Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, besteht in der Ermordung und Mißhandlung von Zivilpersonen in den besetzten Gebieten durch die Einsatzgruppen. Es gab mindestens fünf Einsatzgruppen, die während Kaltenbrunners Amtszeit im Osten tätig waren.

Das »Befehlsblatt der Sicherheitspolizei und des SD«, es ist in unserem Dokument 2890-PS enthalten, das ich den Gerichtshof amtlich zur Kenntnis zu nehmen bitte, enthält Hinweise auf die Einsatzgruppen A, B, D, G und Kroatien während des Zeitraums von August 1943 bis Januar 1945.

Ich werde aus dem Dokument nicht vorlesen, das diese Auszüge enthält, der Gerichtshof wird aber die Bezugnahmen auf die »Einsatzgruppen« wahrnehmen, die zeigen, daß sie in der Zeit operierten, als Kaltenbrunner Chef der Sicherheitspolizei und des SD war. Der Gerichtshof dürfte sich an das Dokument 1104-PS erinnern, das als Beweisstück US-483 vorgelegt wurde. Ich beziehe mich nur nebenbei auf das Dokument, welches einen langen und kritischen Bericht über das Verhalten der Sicherheitspolizei bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Sluzk, Weiß-Ruthenien, enthält. Dieser Bericht ging am 21. November 1941 an Heydrich. Die gleichen Schrecken und Grausamkeiten charakterisierten jedoch auch weiterhin die Tätigkeit der Einsatzkommandos im Osten, während Kaltenbrunner Chef der Sicherheitspolizei und des SD war. Ich beziehe mich auf Dokument R-135, das bereits als Beweisstück US-289 überreicht worden ist. Ich möchte nicht daraus vorlesen, vielmehr nur die Erinnerung des Gerichtshofs auffrischen durch den Bericht, den der Gefangenenwärter Günther in Minsk am 31. Mai 1943 an den Generalkommissar für Weiß-Ruthenien gerichtet hatte, in dem es heißt, daß nach dem 13. April 1943 der SD die Methode anwandte, Goldzähne, Brücken und Zahnplomben von Juden ein oder zwei Stunden vor ihrer Ermordung entfernen zu lassen.

Der Gerichtshof wird sich auch des in diesem Beweisstück enthaltenen Berichts vom 18. Juni 1943 an den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete erinnern, wonach es die Praxis der Polizeibataillone war, Männer, Frauen und Kinder in Scheunen zu sperren, die dann in Brand gesteckt wurden.

Das zweite Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD die Verantwortung trägt, ist die Hinrichtung von rassisch und politisch unerwünschten Elementen.

VORSITZENDER: KORVETTENKAPITÄN HARRIS, ich glaube, Sie gehen etwas zu schnell vor, und es ist schwierig für uns, Ihren Ausführungen zu folgen, wenn Sie so rasch auf diese Dokumente hinweisen.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ich danke sehr, Herr Präsident. Das zweite Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD die Verantwortung trägt, besteht in der Exekution von rassisch und politisch Unerwünschten, die von der Gestapo in den Kriegsgefangenenlagern ausgesondert wurden. Der Gerichtshof wird sich des Dokuments 2542-PS entsinnen, das als Beweisstück US-489 vorgelegt wurde.

Ich glaube, Sie werden das Dokument in dem Gestapo-Dokumentenbuch finden. Es wurde hier heute Morgen vorgelegt.

VORSITZENDER: Das Lindow-Affidavit?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja. Das Lindow- Affidavit, das die Fortsetzung des Aussonderungsprogramms in den Kriegsgefangenenlagern während des Jahres 1943 beweist.

Das dritte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, ist die Überführung wiederfestgenommener Kriegsgefangener...

VORSITZENDER: Einen Augenblick! Sie haben noch nicht auf den bestimmten Absatz des Dokuments gewiesen, der beweist, daß diese Tätigkeit nach 1943 fortgesetzt wurde. Sie gehen auf etwas anderes über, während ich noch dieses Dokument untersuche, um zu sehen, was ich vor mir habe.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ich möchte mich besonders auf den dritten Absatz des Dokuments beziehen, das bereits zum Beweis verlesen worden ist.

VORSITZENDER: Diese Stelle spricht nur von der Zeit bis zum Beginn des Jahres 1943.

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Es heißt dort nur, daß zu Anfang 1943 das Sachgebiet aufgelöst und auf die Länderreferate bei IV B aufgeteilt wurde. Die für russische Kriegsgefangene in Frage kommenden Arbeiten müssen dann von IV B 2 a bearbeitet worden sein.

VORSITZENDER: Ja, gut. Das ist alles, was Sie über dieses Dokument sagen wollten, nicht wahr?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja.

Das dritte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner in seiner Eigenschaft als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, ist die Einlieferung wiederergriffener Kriegsgefangener in Konzentrationslager, wo sie exekutiert wurden. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Dokument 1650-PS, das als Beweisstück US-246 vorgelegt worden ist. Dies ist der geheime Gestapo-Befehl, der sogenannte »Kugel«-Erlaß, dem zufolge flüchtige Kriegsgefangene von der Sicherheitspolizei und dem SD in Konzentrationslager geschickt wurden, um dort hingerichtet zu werden.

Dieser Befehl vom 4. März 1944 ist unterzeichnet, und ich zitiere: »Der Chef der Sipo u. d. SD, i. V. gez. Müller«.

Ich lege nun Dokument L-158 als US-514 vor. Ich werde diese Urkunde nicht verlesen, da sie dem vorhergehenden Dokument ähnlich ist, ich möchte mich aber auf die bezeichneten Stellen beziehen. Erstens: »Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Berlin, hat am 2. 3. 1944 nachstehende Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht mitgeteilt.« Dann folgt die Erklärung, daß bei Wiedergefangennahme bestimmte flüchtige Kriegsgefangene dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben sind. In dem Dokument heißt es weiter, und ich zitiere:

»Hierzu hat der Chef der Sicherheitspolizei und des SD folgendes befohlen:«

Dann folgen genaue Anweisungen wegen der Überführung solcher Kriegsgefangener an die Kommandantur von Mauthausen im Zuge der Aktion »Kugel«. Ferner heißt es in der Anordnung, ich zitiere vom Ende des Befehls:

»Die Liste der wiederergriffenen kriegsgefangenen Offiziere und nichtarbeitenden Unteroffiziere wird hier bei Sachgebiet IV A 1 geführt. Die zahlenmäßigen Übersichten sind, um eine rechtzeitige Berichterstattung an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Berlin, zu ermöglichen, bis 20. 6. 1944 (Datum des Vorliegens in Radom) einzusenden.«

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Dokument 2285-PS verweisen, welches heute Morgen als Beweisstück US-490 vorgelegt wurde.

VORSITZENDER: Wurde das Dokument L-158 bereits als Beweisstück vorgelegt?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Nein, Herr Präsident, ich habe nur diese Teile verlesen und möchte das Dokument erst jetzt zum Beweis vorlegen. Das Dokument wurde nicht vollständig verlesen, weil sein Inhalt, mit Ausnahme der zitierten Stellen, im großen und ganzen dem Dokument 1650-PS gleicht, das fast vollständig vorgelesen wurde.

VORSITZENDER: Sie sagen, es ist dasselbe wie 1650-PS?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, Herr Präsident, im wesentlichen dasselbe. Es behandelt das gleiche Thema. Es war jedoch an eine andere Stelle gerichtet, und ich möchte besonders auf den letzten Absatz hinweisen, der bereits zitiert und als Beweis vorgelegt wurde.

VORSITZENDER: Der letzte Absatz allein hat keine große Bedeutung, nicht wahr?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, Herr Präsident! Dann möchte ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs das Dokument ganz verlesen.

VORSITZENDER: Meinen Sie, daß 1650-PS die Absätze 1, 2 und 3 enthält?

KORVETTENKAPITÄN HARRIS: Ja, das ist es, was ich sagen wollte. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs dann auf Dokument 2285-PS richten, das heute früh als Beweisstück US-490 vorgelegt wurde. Es war das Affidavit von Oberstleutnant Gast und Leutnant Veith von der französischen Armee, in dem sie erklärten, daß während der Jahre 1943 und 1944 Kriegsgefangene in Mauthausen gemäß dem »Kugel«-Erlaß ermordet wurden. Ich bin sicher, daß der Gerichtshof sich dieses Dokuments erinnert.

Das vierte Verbrechen, wofür Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD verantwortlich ist, war die Verschickung von rassisch und politisch Unerwünschten in die Konzentrations- und Vernichtungslager zur Sklavenarbeit und zur Massenermordung. Noch ehe Kaltenbrunner am 30. Januar 1943 Chef der Sicherheitspolizei und des SD wurde, waren ihm die Zustände in den Konzentrationslagern wohl bekannt, ebenso die Tatsache, daß Konzentrationslager für Sklavenarbeit und Massenmord verwendet wurden.

Der Gerichtshof dürfte sich auf Grund früherer Beweise daran erinnern, daß das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich eingerichtet wurde, als Kaltenbrunner Höherer SS- und Polizeiführer in Österreich war. Wie sich aus Dokument 1063(a)-PS, das heute Vormittag als US-492 zum Beweis vorgelegt wurde, ergibt, wurde dieses Konzentrationslager von Heydrich im Januar 1941 als zur Kategorie III gehörend bezeichnet, als ein Lager für die am schwersten belasteten Gefangenen und für asoziale Gefangene, die als unverbesserlich betrachtet wurden. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Kriegsgefangene, die gemäß dem »Kugel«-Erlaß hingerichtet werden sollten, nach Mauthausen geschickt wurden. Wie ich später zeigen werde, war Kaltenbrunner ein häufiger Besucher des Konzentrationslagers Mauthausen. Anläßlich eines seiner Besuche im Jahre 1942 besichtigte Kaltenbrunner persönlich die Gaskammer, wie sie in Betrieb war.

Als nächstes lege ich Dokument 2753-PS als US- 515 vor. Dies ist die eidesstattliche Erklärung Alois Höllriegls, eines früheren Wächters des Konzentrationslagers Mauthausen. Ich zitiere aus dem Affidavit:

»Ich, Alois Höllriegl, erkläre hiermit an Eidesstatt: Ich war Angehöriger der Totenkopf-SS und vom Januar 1940 bis zum Kriegsende in dem Konzentrationslager Mauthausen stationiert. Bei einer Gelegenheit, ich glaube es war im Herbst 1942, besuchte Ernst Kaltenbrunner Mauthausen. Ich hatte damals Wachtdienst und sah ihn zweimal. Zusammen mit dem Kommandanten des Lagers, Ziereis, ging er in die Gaskammer hinunter zu einem Zeitpunkt, da Gefangene vergast wurden. Das den Vorgang der Vergasung begleitende Geräusch war mir wohl bekannt. Ich hörte, daß die Vergasung während der Anwesenheit Kaltenbrunners vor sich ging. Ich sah Kaltenbrunner von dem Gaskeller heraufkommen, nachdem die Vergasung beendet worden war.« Unterschrieben: »Höllriegl«.

Bei einer Gelegenheit besuchte Kaltenbrunner mit Himmler das Gelände des Lagers Mauthausen und wurde bei dieser Inspektion photographiert.

Ich lege als nächstes Dokument 2641-PS, US-516, vor. Dieses Beweisstück besteht aus zwei eidesstattlichen Erklärungen und einer Reihe von Photographien. Ich halte die Originalphotographien in meiner Hand. Die Originalphotographien sind sehr klein und wurden deshalb vergrößert. Die Photographien im Dokumentenbuch sind keine guten Wiedergaben, dem Gerichtshof werden jedoch bessere Stücke überreicht werden.

DR. KAUFFMANN: Nachdem die gesamte gegen Kaltenbrunner persönlich gerichtete Anklage nun doch vorgetragen wird, fühle ich mich verpflichtet, einen grundsätzlichen Antrag zu stellen. Diesen Antrag hätte ich genau so gut schon heute Vormittag stellen können. Er betrifft die Frage, ob Affidavits verlesen werden können oder nicht. Ich weiß, daß diese Frage bereits Gegenstand der Beratung des Gerichts war, und daß das Gericht diese Frage in bestimmter Weise entschieden hat. Wenn ich die Frage nochmals zum Gegenstand der Entscheidung mache, dann hat das seinen besonderen Grund. Jeder Prozeß ist etwas Dynamisches. Was zu einem Zeitpunkt richtig sein mochte, kann zu einem späteren Zeitpunkt falsch sein. Der größte und bedeutungsvollste Prozeß der Geschichte beruht in vielen wichtigen Punkten auf der bloßen Verlesung von Aussagen, die ausschließlich von der Anklagebehörde und nach deren Maximen aufgenommen worden sind.

Die Verlesung von eidesstattlichen Aussagen ist auf die Dauer nicht befriedigend. Das Bedürfnis wächst von Stunde zu Stunde, einmal einen Belastungszeugen zu sehen, zu hören, seine Glaubwürdigkeit, seine Gedächtnistreue zu prüfen. Viele Zeugen stehen sozusagen vor der Türe dieses Saales und brauchen nur hereingerufen zu werden. Die spätere Vernehmung des betreffenden Zeugen ist nicht ausreichend. Es ist auch nicht sicher, ob das Gericht die Vernehmung über das gleiche Beweisthema zulassen wird. Ich widerspreche deshalb der weiteren Verlesung der jetzt angekündigten Affidavits. Man darf den Geist des Paragraphen 19 des Statuts nicht durch den Buchstaben töten.

VORSITZENDER: Bedeutet Ihr Antrag, daß Sie den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen wollen, oder bedeutet Ihr Antrag, daß die eidesstattliche Erklärung nicht verlesen werden soll?

DR. KAUFFMANN: Das letztere.

VORSITZENDER: Die eidesstattliche Erklärung soll nicht verlesen werden?

DR. KAUFFMANN: Ja.

VORSITZENDER: Beziehen Sie sich auf die eidesstattliche Erklärung von Höllriegl, Dokument 2753-PS?

DR. KAUFFMANN: Ja.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Meinung, daß die eidesstattliche Erklärung, die einen erheblichen und wesentlichen Punkt betrifft, als Beweismittel gemäß Artikel 19 des Statuts zugelassen werden soll. Der Gerichtshof wird jedoch jeden Antrag in Betracht ziehen, den der Verteidiger Kaltenbrunners stellen will, um den Zeugen, der diese Erklärung abgegeben hat, ins Kreuzverhör zu nehmen, falls der Zeuge zur Verfügung steht und vorgeladen werden kann.