[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Herr Albrecht, der Gerichtshof glaubt, daß diese Vorgänge, mit denen wir bereits befaßt worden sind, zusammenfassender behandelt werden könnten, als Sie das getan haben. Wenn es Ihnen möglich wäre, ihren gegenwärtigen Vortrag abzukürzen und mehr zusammenzufassen, würde es der Gerichtshof begrüßen, und wir könnten Zeit sparen.
MR. ALBRECHT: Herr Vorsitzender, ich bin nahezu mit diesem Punkt fertig; jedenfalls glaube ich, nicht mehr als fünf oder zehn Minuten zu benötigen.
VORSITZENDER: Gut, aber ich möchte erklären, daß sich dieselbe Feststellung auf jene Punkte bezieht, die noch folgen.
MR. ALBRECHT: Hoher Gerichtshof, das Material, auf das ich mich vor der Pause bezogen habe, zeigt unseres Erachtens nur, wie energisch sich der Angeklagte Göring damals an der Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben beteiligte. Zwei weitere Dokumente scheinen zu diesem Punkte zu gehören.
Ich möchte unser Dokument 069-PS als Beweisstück US-589 vorlegen. Es ist ein von dem Angeklagten Bormann unterzeichnetes Rundschreiben vom 17. Januar 1939, wodurch eine Weisung des Angeklagten Göring über eine gewisse unterschiedliche Behandlung von Juden hinsichtlich ihrer Unterbringung in Umlaut gesetzt wird. Ich begnüge mich mit dieser Zusammenfassung, Hoher Gerichtshof, und beabsichtige nicht, aus diesem Dokument weiteres zu verlesen.
Das zweite Dokument, das ich vorzulegen wünsche, ist unser Dokument 1208-PS, US-590. Es ist eine Weisung des Angeklagten Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan vom 10. Dezember 1938; sie legt das Verfahren fest, das bei der Wegnahme jüdischen Vermögens beachtet werden soll, und weist ausdrücklich darauf hin, daß jeglicher Nutzen aus der Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben allein dem Reich zuzukommen hat.
Es ist meines Erachtens nicht nötig, Auszüge aus diesem Dokument zu verlesen. Doch mochte ich den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß Görings Brief an alle obersten Reichsbehörden, alle Politischen Leiter und Führer der angeschlossenen Gliederungen der Partei, alle Gauleiter, alle Reichsstatthalter, und alle Chefs der deutschen Landesregierungen und deren untergeordnete Stellen gerichtet war.
Als die deutschen Truppen in andere Länder einrückten, wurden die antijüdischen Gesetze, oft in noch schärferer Form, auf die besetzten Gebiete ausgedehnt. Viele Erlasse wurden zwar nicht von Göring selbst unterzeichnet, wurden aber auf Grund der von ihm unterschriebenen Erlasse herausgegeben.
Nichtsdestoweniger unterzeichnete der Angeklagte Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan oder Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung selbst eine Anzahl antijüdischer Verordnungen für die besetzten Gebiete; dazu gehören auch die Verordnungen, die auf Seite 47 und 48 unseres Schriftsatzes aufgezählt sind. Ich bitte den Gerichtshof, von ihnen amtlich Kenntnis zu nehmen.
Während der späteren Kriegsjahre artete das Programm der Nazi-Verschwörer für die vollkommene Ausrottung aller Juden in Europa zur völligen Raserei aus. Obwohl die Durchführung dieses antijüdischen Programms zum größten Teil in den Händen der SS und der Sicherheitspolizei lag, so bleibt der Angeklagte Göring doch bis zuletzt in die Endanstrengungen, eine Nazi-Lösung des Judenproblems durchzusetzen, verwickelt.
Am 31. Juli 1941 schrieb er einen Brief an den Verschwörer Heydrich; es ist das letzte Dokument, mit dem ich den Gerichtshof befassen werde. Es ist gleichsam der Höhepunkt unseres Beweisvortrags gegen diesen Angeklagten. Warum dieser Brief an den berüchtigten Heydrich, den Vorgänger des Angeklagten Kaltenbrunner, gerichtet war, ist leicht verständlich. Unser Dokument 710-PS ist als Beweisstück US-509 in Verbindung mit dem Fall der Gestapo bereits zugelassen worden. Obwohl es schon in das Sitzungsprotokoll verlesen wurde, möchte ich doch mit Erlaubnis des Gerichtshofs meinen Vortrag mit dem Verlesen dieses Briefes beenden. Göring schreibt an Heydrich:
»In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa.
Sofern hierbei die Zuständigkeit anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen.
Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.«
Der Beweisvortrag vor dem Gerichtshof über die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Göring sollte sich nur auf das wirklich Kennzeichnende aus der Masse des dokumentarischen Beweismaterials, das die führende Rolle dieses Verschwörers in jeder Phase der Nazi-Verschwörung enthüllte, beschränken. Wir sind der Ansicht, daß damit die Verantwortlichkeit Görings für die Verbrechen, deren er unter Punkt 1 und 2 der Anklageschrift angeklagt ist, klar bewiesen ist.
Hoher Gerichtshof! Damit bin ich mit meinem Beweisvortrag über die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Göring zu Ende. Auf Grund einer Vereinbarung mit der Britischen Delegation wird jetzt Sir David Maxwell-Fyfe fortfahren und die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten von Ribbentrop darlegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Wenn die Herren Richter in Anhang A der Anklageschrift, Seite 28 des englischen Textes, Band I, Seite 74 Einsicht nehmen, so werden Sie die Einzelheiten für diesen Angeklagten finden und sehen, daß die Darlegungen, die sich auf seinen Fall beziehen, in drei Abschnitte zerfallen.
Nach Aufzählung der von ihm bekleideten Ämter wird im Anhang der Anklage weiter ausgeführt, daß der Angeklagte Ribbentrop die oben erwähnten Stellungen, seinen persönlichen Einfluß und seine enge Verbindung mit dem Führer dazu benutzte, die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer, wie in Punkt 1 der Anklageschrift erwähnt, zu fördern und die Kriegsvorbereitung zuzulassen, wie dies in Punkt 1 der Anklageschrift dargestellt ist.
Nach dem zweiten Abschnitt nahm er an der politischen Planung und Vorbereitung der Nazi-Verschwörer für den Angriffskrieg und Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen und Zusicherungen teil, wie dies in Punkt 1 und 2 der Anklageschrift ausgeführt ist.
In Übereinstimmung mit dem Führerprinzip führte er aus und übernahm die Verantwortung für die Ausführung der außenpolitischen Pläne der Nazi-Verschwörer, wie in Punkt 1 der Anklageschrift dargetan.
Dann der dritte Abschnitt: Er veranlaßte, leitete und nahm teil an Kriegsverbrechen, die in Punkt 3 der Anklage, und an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Punkt 4 der Anklage erwähnt sind; dazu gehören insbesondere Verbrechen gegen Personen und Vermögen in den besetzten Gebieten. Ich hoffe, es wird für den Gerichtshof zweckdienlich sein, wenn ich diese Beschuldigungen der Anklageschrift der Reihe nach durchgehe, da wir auch das Beweismaterial für jeden dieser Punkte in dieser Reihenfolge zusammengestellt haben. Ich werde mich daher zuerst mit der Anschuldigung befassen, daß dieser Angeklagte die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer förderte.
Der Gerichtshof weiß bereits, daß der Angeklagte verschiedene Stellungen innehatte; diese sind in seiner eigenen beglaubigten Erklärung, die schon als Dokument 2829-PS, US-5, vorgelegt worden sind, treffend zusammengestellt. Ich glaube, es wäre angebracht, ganz kurz die verschiedenen Funktionen und Ämter des Angeklagten darzustellen, die in dieser Liste aufgeführt sind. Aus dieser Liste ist zu ersehen, daß er im Jahre 1932 Mitglied der Nazi-Partei wurde; einer halbamtlichen Feststellung des »Archiv« zufolge hatte er jedoch schon vor dieser Zeit mit seiner Arbeit für die Partei begonnen. In dieser halbamtlichen Feststellung heißt es weiter, daß er seine Geschäftsverbindungen erfolgreich auf politische Kreise ausdehnte, nachdem er sich im Jahre 1930 in den Dienst der Partei gestellt hatte. In der Zeit des Endkampfes um die Macht im Reich spielte Ribbentrop eine wichtige, wenn auch nach außen nicht gerade besonders in Erscheinung tretende Rolle dadurch, daß er entscheidende Besprechungen zwischen den Vertretern des Reichspräsidenten und den Führern der Partei herbeiführte, die dem Eintritt der Nazis in die Regierung am 30. Januar 1933 den Weg bahnten. Diese Besprechungen, ebenso wie diejenigen zwischen Hitler und von Papen, fanden im Hause des Angeklagten Ribbentrop in Berlin-Dahlem statt.
Dieser Angeklagte nahm daher einen tätigen Anteil, als die Nazis begannen, sich die Macht zu sichern. Eine kurze Zeitlang war er Berater der Partei in Fragen der Außenpolitik. Sein Titel war zuerst »Mitarbeiter des Führers in Fragen der Außenpolitik«; später wurde er Vertreter für außenpolitische Angelegenheiten im Stabe des Stellvertreters des Führers. Darauf folgte seine Mitgliedschaft im Reichstag im November 1933; innerhalb der Parteiorganisationen wurde er Oberführer der SS, und wurde später zum Gruppenführer und Obergruppenführer befördert. Dann erhielt er offizielle Regierungsstellungen.
Am 24. April 1934 wurde er zum Sonderbeauftragten der Reichsregierung für Abrüstungsfragen ernannt. Dies war nach dem Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz. In dieser Eigenschaft besuchte er ausländische Hauptstädte. Er erhielt dann den bedeutenderen und sicherlich wohlklingenderen Titel eines Außerordentlichen Botschafters in besonderer Mission; in dieser Eigenschaft verhandelte er über das Deutsch-Englische Flottenabkommen des Jahres 1935.
Nachdem die Nazi-Regierung im Jahre 1936 das Rheinland entgegen den Verträgen von Versailles und Locarno wieder besetzt hatte, wurde die Angelegenheit vor den Völkerbundsrat gebracht, und der Angeklagte Ribbentrop sprach vor dem Rat, um das Vorgehen Deutschlands zu verteidigen. Seine nächste Stellung begann am 11. August 1936, als er zum Botschafter in London ernannt wurde. Er hatte diese Stellung etwa achtzehn Monate lang inne; seine dortige Tätigkeit ist zwar von Interesse, ist aber für die Dinge, mit denen sich der Gerichtshof zu befassen hat, nicht sehr erheblich. Während dieser Zeit unterschrieb er aber in seiner Eigenschaft als Außerordentlicher Botschafter in besonderer Mission, der er noch weiter geblieben war, den ursprünglichen Antikomintern-Pakt mit Japan im November 1936 und ebenso den Zusatzvertrag, durch den Italien im Jahre 1937 dem Pakt beitrat.
Schließlich wurde dieser Angeklagte, soweit es diesen Teil des Falles angeht, im Februar 1938 zum Außenminister an Stelle des Angeklagten von Neurath ernannt; gleichzeitig wurde er Mitglied des Geheimen Kabinettsrats, der durch einen Erlaß Hitlers am gleichen Tage geschaffen wurde. Das führt uns nun zu der Zeitspanne, während der er den Posten eines Außenministers bekleidete; seine Tätigkeit in dieser Eigenschaft wird später im einzelnen behandelt werden.
Ich verweise den Gerichtshof, ohne Weiteres zu verlesen, weil ich den Inhalt bereits zusammengefaßt vorgetragen habe, auf den Auszug aus dem »Archiv«; es ist Dokument D-472, das ich nun als Beweisstück GB-130 einreiche; ich verweise ferner auf einen Auszug aus SS-Akten, der aus einer Abstammungsprüfung von SS-Führern besteht, und den ich als Beweisstück GB-131 einfüge. Auch hier will ich den Gerichtshof nicht mit Einzelheiten befassen. Hier wird sein Bang aufgezeigt, den ich schon erwähnt habe. Von irgendeinem Ehrenrang ist nicht die Rede. Es heißt lediglich, daß er den Bang eines Gruppenführers innehatte; dann werden natürlich seine Ahnen entsprechend den einschlägigen Gesetzesbestimmungen im einzelnen aufgeführt. Auch seine Adoption wird behandelt, um das Adelsprädikat »von« zu rechtfertigen, aber bei den Angeklagten geht es jetzt um viel ernstere Dinge als nur um Streitfragen aus dem Gothaischen Jahrbuch.
Das einzige neue Dokument, das ich dem Gerichtshof zu diesem Teil des Falles vorlege, ist Dokument 1337-PS, GB-129; es zeigt die Errichtung des Geheimen Kabinettsrats und die Mitgliedschaft des Außenministers. Das ist die Tätigkeit des Angeklagten in der ersten Zeit seiner Laufbahn; nach Ansicht der Anklagebehörde zeigt sie ganz klar, daß er bereitwillig, mit wohlerwogener Absicht und eifrig mithalf, die Nazis zur Macht zu bringen und ihnen die ersten Ansätze zu einer Kontrolle über den Deutschen Staat zu verschaffen.
Ich komme nun zur zweiten Beschuldigung der Anklageschrift, daß dieser Angeklagte zusammen mit den Nazi-Verschwörern an der politischen Planung und Vorbereitung von Angriffskriegen und Kriegen in Verletzung internationaler Verträge, Abkommen und, Zusicherungen teilnahm. Wiederum dürfte es dem Gerichtshof dienlich sein, wenn ich mich ganz kurz fasse und die wesentlichen Beschuldigungen, die wir erheben, und das dem Gerichtshof schon Vorgetragene kurz streife. Dabei werde ich den Gerichtshof auf irgendwelche neu hinzukommende Dokumente verweisen.
Das erste ist der Anschluß Österreichs, und hier wird sich der Gerichtshof erinnern, daß der Angeklagte Ribbentrop bei einer Besprechung in Berchtesgaden am 12. Februar 1938 zugegen war, bei der Hitler und von Papen mit dem österreichischen Kanzler von Schuschnigg und seinem Außenminister Guido Schmidt zusammentrafen. Der Gerichtshof wird den amtlichen Bericht über diese Zusammenkunft im Dokument 2461-PS finden, das ich als Beweisstück GB-132 einreiche. Den unseres Erachtens wahrheitsgetreuen Bericht über diese Zusammenkunft wird der Gerichtshof dagegen im Dokument 1780-PS, US-72, dem Tagebuch des Angeklagten Jodl finden; die erheblichen Eintragungen sind die vom 11. und 12. Februar 1938. Sie sind sehr kurz; und mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich sie verlesen. Sie beleuchten den Fall im Sinne der Anklagebehörde klar und zeigen den Druck, dem Kanzler Schuschnigg bei der Zusammenkunft ausgesetzt war. Die Eintragung befindet sich am Ende der ersten Seite im Dokumentenbuch, Dokument 1780-PS.
Am 11. Februar schreibt der Angeklagte Jodl:
»Abends am 12. Februar. General K« – Keitel – »mit General von Reichenau und Sperrle in Obersalzberg.
Schuschnigg mit G. Schmidt werden unter schwersten politischen und militärischen Druck gesetzt.
Um 23 Uhr unterschreibt Schuschnigg das Protokoll.
13. Februar: Nachmittags ruft General Keitel Admiral Canaris und mich in die Wohnung, um auf Befehl des Führers den militärischen Druck durch Vorspiegelung militärischer Maßnahmen noch bis 15. aufrecht zu erhalten.
Vorschläge für diese Täuschungsaktion werden aufgesetzt und telephonisch an den Führer zur Genehmigung gegeben.
14. Februar: 2,40 Uhr trifft Zustimmung des Führers ein. Canaris hat sich zur Abwehrstelle VII nach München begeben und leitet die einzelnen Maßnahmen ein. Die Wirkung ist rasch und kräftig. In Österreich entsteht der Eindruck ernster militärischer Vorbereitungen in Deutschland.«
Es ist recht interessant, nachdem man die offene Feststellung des Angeklagten Jodl gelesen hat, sich die farblosen Worte der amtlichen Erklärung anzusehen, die ich auch vorgelegt habe. So sieht die Zusammenkunft mit Schuschnigg aus, wie sie die Anklagebehörde vor diesem Gerichtshof dargelegt hat.
Ich möchte nun den Gerichtshof bitten, eine Beschuldigung im Schriftsatz, nach der dieser Angeklagte vor dem Anschluß Mussolini besucht haben soll, nicht zu beachten. Das wurde seinerzeit von einem Mitglied seines Stabes behauptet, von einem anderen jedoch bestritten. Der Gerichtshof sollte daher diesen Punkt außer acht lassen. Der nächste nicht strittige Punkt ist das Telephongespräch zwischen dem Angeklagten Göring und dem Angeklagten Ribbentrop am 13. März 1938, als dieser Angeklagte noch in London war. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß dies in aller Breite von meinem Freund, Herrn Alderman, behandelt worden ist. Die Anklagebehörde bewies damit die Unwahrheit der Behauptung, daß es kein Ultimatum gegeben habe. Die näheren Umstände dieses Ultimatums ergeben sich aus den früheren Telephongesprächen mit dem Angeklagten Göring in Wien. Der Angeklagte Göring unterhielt sich dann mit Ribbentrop in London, damit dieser in politischen Kreisen Londons das Märchen verbreiten solle, ein Ultimatum sei nicht gestellt worden. Dies geht aus dem Telephongespräch hervor, das im Dokument 2949-PS, US-76, aufgezeichnet ist. Wie ich schon erwähnte, ist es im Sitzungsprotokoll, Band 3, Seite 469/470, eingehend behandelt worden.
Die dritte Handlung vollbrachte dieser Angeklagte nach seiner Rückkehr aus London.
Obwohl er im Februar zum Außenminister ernannt worden war, ging er nach London zurück, um seine Geschäfte bei der Botschaft abzuwickeln. Er war zwar noch bis nach der Durchführung des Anschlusses in London, sein Name erscheint jedoch unter dem Gesetz, das Österreich zu einer Provinz des Deutschen Reiches machte. Dies ist Dokument 2307-PS, das ich nun als GB-133 vorlege. In ihm findet sich auch ein Hinweis auf das Reichsgesetzblatt. Das waren die Taten des Angeklagten hinsichtlich Österreichs.
Wir kommen nun zu der Tschechoslowakei. Hier haben Sie ein fast vollkommenes Beispiel, wie ein Angriff in all seinen Vielfältigkeiten durchgeführt wurde. Wiederum werde ich den Gerichtshof nur an die wichtigsten Punkte in aller Kürze erinnern.
Zunächst galt es, in dem Land, auf das der Angriff stattfinden sollte, Unruhe zu stiften.
Der Angeklagte befaßte sich als Außenminister damit, die Sudetendeutschen unter Henlein aufzuputschen. Die Verbindung zwischen dem Außenministerium und Henlein ergeben sich aus den Beweisstücken US-93, 94, 95 und 96; es sind die Dokumente 3060-PS, 2789-PS, 2788-PS und 3059-PS. Sie sind alle bereits von meinem Freund, Herrn Alderman, verlesen worden. Ich möchte den Gerichtshof nur auf ihre Wirkung hinweisen, die dahin ging, die sudetendeutsche Bewegung dazu aufzurütteln, mit der Reichsregierung zusammenzugehen.
Danach wohnte der Angeklagte Ribbentrop einer Besprechung mit Hitler am 28. Mai 1938 bei, bei welcher der letztere die nötigen Anordnungen für die Vorbereitung des Angriffs auf die Tschechoslowakei gab. Das wurde bereits früher behandelt und in das Sitzungsprotokoll, Band II, Seite 53, aufgenommen. Ich möchte dem Gerichtshof das Dokument 2360-PS vorlegen; es ist ein Bericht über eine Rede Hitlers im Völkischen Beobachter; ich bitte den Gerichtshof, in das Dokument Einblick zu nehmen. Im Hinblick auf den Angriff auf die Tschechoslowakei empfiehlt es sich, das Datum festzuhalten; es war nämlich der Tag, an dem sich Hitler nach seiner Proklamation entschlossen hatte, den Angriff auf die Tschechoslowakei durchzuführen. Mein Auszug ist sehr kurz; am Ende der Seite 1 dieses Auszuges wird der Gerichtshof in Spalte 5 und 6 folgende wichtige Stelle finden:
»Ich habe mich daher auf Grund dieser unerträglichen Provokation, die noch verstärkt wurde durch eine wahrhaft infame Verfolgung und Terrorisierung unserer dortigen Deutschen, entschlossen, die sudetendeutsche Frage endgültig und nunmehr radikal zu lösen.«
Dies war im Januar 1939. Dann fährt er fort:
»Ich gab am 28. Mai... den Befehl zur Vorbereitung des militärischen Einschreitens gegen diesen Staat mit dem Termin des 2. Oktober...«
Es ist wichtig, daß der 28. Mai der Tag war, an dem sich Befehle mit dem Fall »Grün« für die Tschechoslowakei, befaßten. Diese Befehle sollten anfangs Oktober durchgeführt werden. Das war die zweite Phase: Angriffspläne von langer Hand entsprechend vorzubereiten. Die dritte Phase ist, dafür zu sorgen, daß die Nachbarstaaten womöglich keine Schwierigkeiten machen.
So sehen wir, daß dieser Angeklagte am 18. Juli 1938 eine Unterredung mit dem Italienischen Botschafter Attolico hatte, bei der der Angriff auf die Tschechoslowakei erörtert wurde. Das ist Dokument 2800-PS, US-85. Von weiteren Besprechungen handeln die Dokumente 2791-PS und 2792-PS, US-86 und US-87.
Ich glaube, es genügt zu erwähnen, daß die Wirkung dieser Dokumente darin lag, der Italienischen Regierung zu verstehen zu geben, daß die Deutsche Regierung gegen die Tschechoslowakei loszuschlagen beabsichtige.
Das andere interessierte Land war Ungarn, da Ungarn gewisse Gebietsansprüche auf Teile der Tschechoslowakischen Republik hatte.
Deshalb war dieser Angeklagte bei den Besprechungen am 23. und 25. August zugegen und hatte selbst Unterredungen mit den ungarischen Politikern Imredy und Kanya; diese befinden sich in den Dokumenten 2796-PS und 2797-PS, US-88 und US-89.
Der Angeklagte bemühte sich hier um Zusicherungen ungarischer Hilfe. Die Ungarische Regierung wollte aber damals nicht sehr gern selbst aktiv in Erscheinung treten, obwohl sie bereitwillig ihre Sympathie zum Ausdruck brachte. Dies ergibt sich aus den erwähnten Dokumenten. Falls es der Gerichtshof nicht wünscht, werde ich wiederum keines dieser Dokumente verlesen, sondern es mit dieser Zusammenfassung bewenden lassen.
Ich habe schon erwähnt, daß mit den Sudetendeutschen Fühlung genommen wurde; es handelte sich um den seit langem bestehenden Mißstand, der nun ausgeschlachtet werden sollte. Die nächste Phase aber war, einen akuten Beschwerdegrund zu schaffen und Unruhe zu stiften, und zwar wenn möglich an dem Urquell. Deshalb sehen wir, wie das Deutsche Auswärtige Amt unter Führung dieses Angeklagten zwischen dem 16. und 24. September in Prag Unruhe stiftete. Dies ergibt sich ganz klar aus den Dokumenten 2858-PS, 2855-PS, 2854-PS, 2853-PS, 2856-PS, US-97 bis 101. Ich habe sie in der zeitlichen Reihenfolge verlesen. Es dürfte für die Herren Richter interessant sein, in diese Dokumente Einblick zu nehmen. Sie sollten sie ganz kurz dem Dokument folgen lassen, in das Sie gerade Einblick genommen haben und die mit 2858-PS beginnen. Sie werden sofort erkennen, an was ich Sie erinnern möchte. Es handelt sich hier um eine Urkunde des Auswärtigen Amtes an die Deutsche Gesandtschaft in Prag vom 19. September:
»Bitte auf Wunsch Konrad Henleins Abgeordneten Kundt mitzuteilen, er möge unverzüglich mit den Slowaken Fühlung nehmen, um diese zu veranlassen, daß sie im Laufe des morgigen Tages ihre Autonomieforderungen erheben.«
Die anderen Dokumente beschäftigen sich mit Fragen der Verhaftung und des Vorgehens gegen alle in Deutschland lebenden Tschechen, um die Lage noch schwieriger zu gestalten.
Das war der Beitrag, den dieser Angeklagte vor der Münchener Krise leistete. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß dann am 29. September 1938 das Münchener Abkommen unterzeichnet wurde. Es ist Dokument TC-23, GB-23, das ich vor dem Gerichtshof bereits verlesen habe.
Nach diesem möchte ich den Gerichtshof nur noch an eine interessante Urkunde erinnern, die zeigt, welches Vorgehen die Wehrmacht erwartete, und welchen Rat sie vom Auswärtigen Amt einholte.
Sie haben jenes lange Dokument C-2, US-90, vom 1. Oktober vor sich liegen. Es entwickelt eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Verstößen gegen das Völkerrecht, die aus der Aktion gegen die Tschechoslowakei entstanden wären oder hätten entstehen können. Wegen aller dieser Fragen wurde das Auswärtige Amt um seine Meinung befragt. Es blieb damals freilich eine hypothetische Frage, weil es keinen Krieg gab.
Hoher Gerichtshof, wir kommen nun zu der zweiten Phase der Besitzergreifung der Tschechoslowakei: Nachdem das Sudetenland erworben war, sollte eine Krise in der Tschechoslowakei hervorgerufen werden, die den Vorwand bot, auch noch den Rest zu nehmen. Der Gerichtshof wird sich dieses bedeutenden Schrittes erinnern, weil es das erstemal war, daß die Deutsche Regierung über ihre eigene Erklärung, sich ausschließlich für Deutschstämmige einzusetzen, hinausging.
Wiederum war hierbei dieser Angeklagte aktiv tätig. Am 13. März, als die Ereignisse dem Höhepunkt zutrieben, sandte er an den ihm unterstellten Deutschen Gesandten in Prag ein Telegramm, in dem er ihn anwies, »sich so einzurichten, daß Sie in den nächsten Tagen für etwaige Mitteilungen dortiger Regierung nicht erreichbar sind.« Das ist Dokument 2815-PS, US-116.
Zur gleichen Zeit empfing dieser Angeklagte eine Delegation nazifreundlicher Slowaken in Berlin. Bei einer Besprechung mit Hitler, an der der Angeklagte teilnahm, erhielt Tiso, einer der Führer der nazifreundlichen Slowaken, den Auftrag, einen unabhängigen Slowakischen Staat auszurufen, um an dem Zerfall der Tschechoslowakei mitzuhelfen. Das ist Dokument 2802-PS, US-117; ich bitte den Gerichtshof, einen Vergleich zwischen dieser Besprechung und einer früheren zu ziehen, die einen Monat vorher mit einem anderen Slowaken, Tuka, stattfand. Sie wird im Dokument 2790-PS, US-110, behandelt. Wieder einmal half also dieser Angeklagte bei der Aufgabe, innere Unruhen zu stiften.
Dann am nächsten Tag, dem 14. März 1939, wurde Hácha, der Präsident der Tschechoslowakei, nach Berlin befohlen. Bei der Besprechung war der Angeklagte zugegen. Der Gerichtshof wird sich an den üblichen Druck und die Drohungen erinnern, die den betagten Präsidenten dazu veranlaßten, den Tschechischen Staat Hitler auszuliefern. Dieses Thema ist im Sitzungsprotokoll, Band 3, Seite 180 ff, behandelt; das einschlägige Dokument ist 2798-PS, US-118, ein Protokoll über die Besprechung zwischen Hitler und Hácha, bei der dieser Angeklagte zugegen war. Sie werden diese Besprechung auch in dem Bericht der Tschechoslowakischen Regierung finden, Dokument 3061-PS, US-126.
Das war das Ende des tschechischen Teiles der Tschechoslowakei. In der folgenden Woche unterzeichnete der Angeklagte einen Vertrag mit der Slowakei, den ich nun vorlege. Es ist Dokument 1439-PS, GB-135. Der wichtige Teil ist Artikel 2, der der Deutschen Regierung das Recht gibt, militärische Anlagen zu errichten und sie innerhalb der Tschechoslowakei besetzt zu halten. Wiederum möchte ich diesen Artikel nicht voll verlesen, ich hoffe jedoch, daß der Gerichtshof mich unterbrechen wird, wenn irgendwelche Dokumente verlesen statt zusammengefaßt werden sollen.
Auf diese Weise hatte der Angeklagte nach der vollständigen Aufhebung der Unabhängigkeit Böhmens und Mährens durch die Bestimmungen dieses Vertrags die militärische Kontrolle über die Slowakei erlangt.
Bevor ich zu Polen übergehe, möchte ich auf eine kleine interessante Einzelheit, das Nordbaltikum betreffend, hinweisen. Ich bringe dies vor den Gerichtshof, um zu beweisen, daß dieser Angeklagte seine Hände aus den inneren Angelegenheiten anderer Länder nicht heraushalten konnte, selbst wenn es sich um eine nicht sehr wichtig erscheinende Angelegenheit handelte. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß Deutschland am 3. April 1939, wie sich aus Dokument TC-53 (a), GB-4, ergibt, das Memelland besetzte. Man hätte annehmen können, daß, soweit die Baltischen Staaten in Frage kamen, die Lage damit zufriedenstellend war. Ich bitte aber den Gerichtshof, sich den Dokumenten 2953-PS und 2952-PS zuzuwenden, die ich als GB-136 und GB-137 vorlege. Sie werden sehen, daß der Angeklagte aufs engste mit dem verstorbenen Verschwörer Heydrich zusammenarbeitete, um mit Hilfe einer Gruppe von nazifreundlichen Leuten, den sogenannten »Woldemaras-Anhängern« Unruhe in Litauen zu stiften. Das Dokument 2953-PS beweist, daß Heydrich an den Angeklagten Ribbentrop ein Gesuch um finanzielle Unterstützung weiterleitete, die...
VORSITZENDER: Wollen Sie 2953 verlesen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Herr Vorsitzender, das wollte ich gerade tun. Es ist ein Brief von Heydrich an den Angeklagten Ribbentrop, welcher lautet:
»Lieber Parteigenosse von Ribbentrop! Anliegend übersende ich Ihnen einen weiteren Bericht über die Woldemaras-Anhänger. Wie schon in dem vorigen Bericht erwähnt, drängen die Woldemaras-Anhänger nach wie vor auf Hilfe seitens des Reiches. Ich bitte deshalb, die von den Woldemaras-Anhängem auch jetzt wieder aufgeworfene, auf Seite 4, Absatz 2 des anliegenden Berichtes niedergelegte Frage einer finanziellen Unterstützung zu prüfen und eine endgültige Entscheidung zu treffen. Meines Erachtens könnte der Bitte der Woldemaras-Anhänger auf finanzielle Unterstützung stattgegeben werden, von Waffenlieferungen ist hingegen auf alle Fälle abzusehen.«
Das nächste Dokument, 2952-PS, ist ein längerer Bericht, an dessen Ende sich folgender handschriftlicher Zusatz findet:
»Ich befürworte kleine laufende Zahlungen z.B. 2000-3000 Reichsmark pro Quartal.«
Er ist mit »W« unterzeichnet. Ich nehme an, daß das der Staatssekretär war.
Ich habe das lediglich zitiert, um die ungewöhnliche Einmischung bei selbst verhältnismäßig unbedeutenden Ländern zu zeigen.
Wir kommen nun zum Angriff auf Polen. Auch ihn hat mein Freund, Oberst Griffith-Jones, in aller Ausführlichkeit vor dem Gerichtshof behandelt. Es dürfte aber zweckmäßig sein, die verschiedenen Zeitabschnitte auseinanderzuhalten, damit sie sich dem Gerichtshof besser einprägen. Den ersten könnte man als Münchener Zeitabschnitt bezeichnen; er reichte bis Ende September 1938. Bis dahin waren keine Worte für Polen gut genug. Der Gerichtshof wird sich dessen erinnern.
Die wichtigsten Dokumente zu diesem Teil des Falles sind Dokument 2357-PS, GB-30, Hitlers Reichstagsrede vom 20. Februar 1938, und dann Dokument TC-76, GB-31, eine Geheimaufzeichnung des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 26. August 1938, sowie Dokument TC-73, Nummer 40, GB-27. TC-73 ist das polnische Weißbuch und 40 ist die Nummer des Dokuments in diesem Buch. Es ist dies eine Unterhaltung zwischen Herrn Lipski, dem Polnischen Gesandten, und dem Angeklagten.
Zu dieser Gruppe gehört schließlich noch das Dokument TC-73, Nummer 42. Es ist Hitlers Rede im Sportpalast am 26. September 1938, in der er erklärte, daß es für ihn keine territorialen Probleme mehr in Europa gäbe, und in der er eine beinahe heftige Zuneigung zu Polen zum Ausdruck brachte.
Der nächste Abschnitt liegt zwischen München und dem Raube Prags. In dieser Phase, in der ein Teil der Angriffsziele Deutschlands in der Tschechoslowakei bereits erreicht war und nur noch wenig zu tun übrig blieb, trat bereits eine leichte Wandlung ein, wenn auch immer noch eine freundliche Atmosphäre herrschte. Dieser Abschnitt beginnt mit einer Besprechung zwischen dem Angeklagten und Herrn Lipski, die in dem Beweisstück TC-73, Nummer 44, GB-27, enthalten ist.
Hier macht der Angeklagte sehr friedliche Vorschläge zur Lösung der Danziger Frage. Die polnische Antwort finden wir im Dokument TC-73, Nummer 45, GB-27(b).
VORSITZENDER: Die Daten dieser Ereignisse haben Sie wohl nicht angegeben?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Eure Lordschaft. Die Besprechung fand am 25. Oktober 1938 statt. Die Antwort Polens, in der die Rückkehr Danzigs in das Reich für unannehmbar erklärt wird, aber Vorschläge für einen gegenseitigen Vertrag gemacht werden, datiert vom 31. Oktober 1938. Zwischen diesen beiden Daten, und zwar am 21. Oktober, traf die Deutsche Regierung, wie sich der Gerichtshof aus dem Dokument C-137, GB-33, erinnern wird, Vorbereitungen für die überraschende Besetzung Danzigs. Obwohl diese Vorbereitungen getroffen waren, schlug Hitler etwa zwei Monate später, am 5. Januar 1939, als Prag noch nicht geraubt war, dem Polnischen Außenminister, Herrn Beck, eine neue Lösung vor. Die Unterredung zwischen Hitler und Beck am 5. Januar 1939 ist in Dokument TC-73, Nummer 48, GB-34, enthalten.
Der Angeklagte empfing Herrn Beck am nächsten Tag und erklärte, daß eine gewaltsame Lösung des Problems Danzig nicht in Frage käme, sondern daß die freundschaftlichen Beziehungen weiter ausgebaut werden sollten. Das ergibt sich aus Dokument TC-73, Nummer 49, GB-35. Damit noch nicht zufrieden, fuhr der Angeklagte am 25. Januar nach Warschau, wo er nach einem Bericht über seine Rede in Dokument 2530-PS, GB-36, über den dauernden Fortschritt und die Festigung der freundschaftlichen Beziehungen sprach. Er wurde von Hitler übertroffen, der in seiner Reichstagsrede am 30. Januar 1939 den gleichen Ton anschlug; Dokument TC-73, Nummer 57, GB-37. Das war der zweite Abschnitt. Danzig wurde mit honigsüßen Worten erwähnt, denn der Raub Prags war damals ja noch nicht erfolgt.
Wenn man zum Sommer kommt, so muß man sich der Besprechung in der Reichskanzlei am 23. Mai 1939 erinnern, über die im Dokument L-79, US-27, berichtet ist. Sie wurde vor dem Gerichtshof wiederholt verlesen, und ich möchte nur an diesen einen Punkt erinnern: es ist das Dokument, in dem Hitler ganz klar und mit seinen eigenen Worten hervorhebt, daß Danzig mit der polnischen Frage an sich nichts zu tun hat. Mit Polen müsse er sich auseinandersetzen, weil er Lebensraum im Osten brauche. Das Entscheidende an diesem Teil des schon so oft vor dem Gerichtshof verlesenen Dokuments ist jedenfalls, daß Danzig lediglich ein Vorwand war.
Wenn ich ergebenst bemerken darf, so ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß diese Besprechung am 23. Mai 1939 stattfand; denn in der Einleitung zum Tagebuch des Grafen Ciano findet sich eine interessante Bestätigung für die Einstellung, ein klarer Beweis, daß der Angeklagte Ribbentrop sich die Einstellung Hitlers zu eigen gemacht hatte. Es ist als Dokument 2987-PS, US-166, eingereicht; ich glaube aber nicht, daß dieser Teil des Tagebuchs, die Einführung, vor dem Gerichtshof verlesen wurde. Das Dokument 2987-PS kommt an zweiter Stelle hinter dem Dokument L-79, dem »Kleinen Schmundt-Akt«, unmittelbar hinter dem Obersalzberg-Dokument. Es ist in den Schriftsatz mit aufgenommen, und der Gerichtshof kann ihm auch dort folgen. Graf Ciano sagt:
»Jedoch erhob Deutschland im Sommer 1939 seine Ansprüche gegen Polen, natürlich ohne unser Wissen; tatsächlich hatte Ribbentrop unserem Botschafter gegenüber mehrere Male abgestritten, daß Deutschland irgendwelche Absicht habe, die Auseinandersetzung bis zum Äußersten zu treiben. Trotz dieser Ableugnungen hatte ich meine Zweifel; ich wollte mich selber vergewissem, und am 11. August fuhr ich nach Salzburg. Es war in seinem Schloß in Fuschl, daß mich Ribbentrop, während wir darauf warteten, uns zu Tisch zu setzen, von dem Entschluß, die Lunte ins Pulver zu werfen, informierte, gerade so, als ob er mit mir über die unwichtigste und gewöhnlichste Verwaltungsangelegenheit spräche.
Nun, Ribbentrop, fragte ich ihn, als wir im Garten spazierten, was wollen Sie haben? Danzig oder den Korridor? Jetzt nicht mehr... und er starrte mich mit jenen kalten Musée-Grevin-Augen an, wir wollen Krieg!«
Ich erinnere den Gerichtshof daran, wie sehr dies die Erklärung erhärtet, die Hitler bei der Besprechung in der Reichskanzlei am 23. Mai abgab: Daß es nicht mehr eine Frage Danzigs oder des Korridors gäbe, sondern eine Frage des Krieges, um Lebensraum im Osten zu gewinnen.
Dann erinnere ich den Gerichtshof, ohne zitieren zu wollen, daran, daß der Fall »Weiß« für die Operation gegen Polen vom 3. und 11. April 1939 datiert ist; das beweist deutlich, daß die Vorbereitungen von langer Hand getroffen waren.
In Graf Cianos Tagebuch findet sich dann noch eine weitere Eintragung, die auch noch nicht verlesen wurde und diesen Punkt vollständig klarstellt. Wiederum bitte ich den Gerichtshof, meiner Verlesung im Schriftsatz zu folgen.
»Ich habe aus den Besprechungsprotokollen wortgetreue Niederschriften meiner Besprechungen mit Ribbentrop und Hitler zusammengestellt. Ich werde hier nur einige Eindrücke allgemeiner Art wiedergeben. Ribbentrop weicht jedesmal aus, wenn ich ihn über die Einzelheiten der bevorstehenden deutschen Aktion befrage. Er hat ein schlechtes Gewissen. Er hat mich zu oft wegen der deutschen Absichten gegen Polen angelogen, sodaß er jetzt mehr als verlegen sein muß, über das, was er mir sagen muß und was er zu tun sich anschickt.
Der Wille zum Kampf ist unabänderlich. Jegliche Lösung, die Deutschland zufriedenstellen oder den Kampf vermeiden könnte, weist er zurück. Ich weiß mit Sicherheit, daß die Deutschen selbst dann, wenn alle ihre Forderungen erfüllt würden, sie gleichwohl angreifen würden, weil sie vom Teufel der Zerstörung besessen sind.
Unsere Unterhaltung nimmt mitunter eine dramatische Wendung. Ich zögere nicht, meine Meinung in brutalster Weise auszusprechen. Aber das erschütterte ihn nicht im mindesten. Ich erkenne, wie wenig Eindruck dies auf Deutschlands Meinung hat. Die Atmosphäre ist eiskalt. Das Kältegefühl zwischen uns geht auf unsere Begleiter über. Während des Abendessens sprechen wir kein Wort. Wir mißtrauen einander. Ich habe zumindest ein reines Gewissen, er nicht.«
Welche Fehler Graf Ciano auch gehabt haben mag, ein besseres Urteil über die Lage, das durch Beweisdokumente noch stärker hervorgehoben ist, konnte kaum gefällt werden als durch seine Diagnose der Situation im Sommer 1939.
Wir kommen dann zum nächsten Abschnitt des deutschen Planes, dem nachdrücklichen Vorbringen des Anspruchs auf Danzig. Das geschah unmittelbar nach der Endlösung der tschechoslowakischen Frage am 15. März, sofort nach der Vollendung des Raubes von Prag. Am 21. März wurde der Anspruch zum erstenmal energisch erhoben, wie sich aus Dokument TC-73, Nummer 61, GB-38, ergibt. Wie sich die Dinge weiter entwickelten, hat der Gerichtshof von Oberst Griffith-Jones gehört.
Wir kommen nun zu den letzten Tagen vor dem Krieg; eine interessante Nebenerscheinung ist, daß Herr von Dirksen, der Deutsche Botschafter am Hofe von St. James, am 18. August 1939 von London zurückkehrte. Ich lege den Auszug aus dem Verhör des Angeklagten Ribbentrop vor; es ist Dokument D-490, GB-138.
Ich werde dieses Dokument nicht verlesen, da es sich in folgender Weise zusammenfassen läßt: Der Angeklagte Ribbentrop kann sich sicherlich nicht daran erinnern, den Deutschen Gesandten am Hofe von St. James nach seiner Rückkehr jemals gesehen zu haben. Er glaubt, daß er sich erinnert haben würde, wenn er ihn gesehen hätte, und er hält es für wahrscheinlich, daß er ihn nicht gesehen hat. Das aber ist der springende Punkt. Als feststand, daß in den Krieg mit Polen auch England und Frankreich hineingezogen würden, war er entweder an der Einstellung in London nicht genügend interessiert, um sich der Mühe zu unterziehen, seinen Gesandten zu sprechen, oder aber, wie er eher vermutet, er hatte einen so schwachen und unbedeutenden Diplomaten ernannt, daß dessen Meinung weder bei ihm noch bei Hitler etwas galt. Jedenfalls war er an allem, was ihm sein Botschafter über die öffentliche Meinung in London oder die Möglichkeit eines Krieges hätte sagen können, vollkommen uninteressiert. Ich glaube, mich sehr maßvoll auszudrücken, wenn ich feststelle, daß der Angeklagte während der letzten Tage vor dem 1. September 1939 alles tat, was in seiner Macht stand, um den Frieden mit Polen zu hintertreiben, und alles vermied, was den Ausbruch des Krieges hätte verhindern können. Wir wissen, daß er diesen Krieg wünschte. Er tat das im vollen Bewußtsein, daß England und Frankreich in den Krieg mit Polen mit verwickelt werden würden. Die Einzelheiten wurden von Oberst Griffith-Jones ausführlich vorgetragen. Ich beabsichtige nicht, diese Einzelheiten noch einmal darzulegen. Zur Erleichterung für den Gerichtshof darf ich sagen, daß ich mich auf das Sitzungsprotokoll, Band 3, Seite 247 bis 295, bezogen habe. Außerdem hat Herr Lipski alle diese Geschehnisse in seinem Bericht vom 10. Oktober 1939 zusammengefaßt. Es ist Dokument TC-73, Nummer 147, GB-27.
Auf diese Weise hat sich also der Angeklagte in der polnischen Angelegenheit betätigt. Ich freue mich, dem Gerichtshof mitteilen zu können, daß die Tätigkeit gegen andere Länder viel kürzer darzustellen ist als die gegen Polen.
Ich gehe nun zu Norwegen und Dänemark über. Ich erinnere den Gerichtshof an die Tatsache, falls er von ihr Kenntnis nehmen möchte, daß der Angeklagte Ribbentrop am 31. Mai 1939 für Deutschland einen Nichtangriffspakt mit Dänemark unterzeichnete, der vorsah, daß »das Deutsche Reich und das Königreich Dänemark in keinem Falle zum Krieg oder zu einer anderen Art von Gewaltanwendung gegeneinander schreiten werden«. Dies ist Dokument TC-24, GB-77. Nur um das Datum festzuhalten, wird sich der Gerichtshof erinnern, daß die deutschen Truppen am 9. April 1940 in Dänemark und gleichzeitig auch in Norwegen einmarschierten.
Hinsichtlich Norwegens existieren drei Dokumente, die beweisen, daß der Angeklagte mit den früheren Vorbereitungen dieses Angriffsaktes vollkommen vertraut war. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß mein Freund, Major Elwyn Jones, recht ausführlich auf die Beziehungen zwischen dem Angeklagten Rosenberg und Quisling hingewiesen hat. Aber Rosenberg bat in diesem Fall auch um die Hilfe des Angeklagten Ribbentrop. Wenn der Gerichtshof sich, bitte, dem Dokument 957-PS, das ich als GB-139 vorlege, zuwenden möchte, so wird er finden, daß dies als erstes Dokument den Angeklagten mit der Anfangstätigkeit Quislings in Verbindung bringt.
957-PS ist ein Brief des Angeklagten Rosenberg an diesen Angeklagten. Er beginnt:
»Sehr geehrter Parteigenosse von Ribbentrop! Parteigenosse Scheidt ist zurück, hat Geheimrat von Grundherr eingehend berichtet, der seinerseits Ihnen über die Angelegenheit Vortrag halten wird. Wir haben seinerzeit fest vereinbart, daß zunächst für bekannten Zweck 2-300000 Reichsmark sofort freigemacht würden. Es stellt sich nun heraus, daß... Grundherr erklärt, daß die zweite Rate erst nach 8 Tagen freigemacht werden könnte. Da es aber notwendig ist, daß Scheidt sofort wieder zurückfährt, so bitte ich Sie, es zu ermöglichen, daß diese zweite Rate ihm umgehend ausgehändigt wird. Bei einem längeren Fortbleiben... würde die Verbindung auch zu Ihrer Vertretung abbrechen, was gerade in der jetzigen Zeit unter Umständen sehr unvorteilhaft sein könnte. Ich glaube deshalb, daß es im allseitigen Interesse ist, wenn Pg. Scheidt sofort wieder zurückfährt.«
Das war am 24. Februar.
Das nächste Dokument, 004-PS, ist ein Bericht von Rosenberg an Hitler; wenn sich der Gerichtshof, bitte, der Seite 4 zuwenden wollte – der Bericht handelt von der Tätigkeit Quislings – so wird er finden, daß diese Stelle zur Genüge zeigt, wie dieser Angeklagte in die Sache verwickelt war.
Es ist ein Bericht Rosenbergs an Hitler:
»Neben einer finanziellen Unterstützung, die vom Reich aus in Devisen erfolgte, war Quisling seinerzeit auch eine Lieferung von in Norwegen sofort verwendbarem Material, wie z.B. Kohle und Zucker, als weitere Hilfe in Aussicht gestellt worden. Die Abwicklung dieses Warengeschäftes sollte in getarnter Form durch eine hier in Deutschland entweder neu aufgezogene Gesellschaft oder aber durch besonders ausgesuchte, schon bestehende Firmen erfolgen, während in Norwegen Hagelin als Gegenkontrahent autzutreten hatte. Hagelin hatte schon mit den einzelnen norwegischen Ministern der Regierung Nygaardsvold, wie dem Versorgungs- und Handelsminister in dieser Angelegenheit Rücksprache genommen und von ihnen die Zusicherung über die Genehmigung der Einfuhr von Kohlen erhalten. Zugleich sollten die Kohlentransporte evtl. zur Herbeiführung der technischen Möglichkeiten dienen, eine politische Aktion Quislings in Oslo mit deutscher Hilfe zu lancieren. Quisling beabsichtigte, eine Reihe von ihm ausgewählter, besonders zuverlässiger, Leute nach Deutschland zu senden, die hier eine kurze militärische Ausbildung in einem völlig abgeschlossenen Lager erhalten sollten. Sie sollten dann als Orts- und Sprachkundige einem deutschen Sonderkommando zugeteilt werden, das, auf den Kohlenschiffen nach Oslo hinübergeworfen, eine politische Aktion durchzuführen hätte. Der Gedanke Quislings dabei war, sich auf diesem Wege sofort der führenden gegnerischen Männer in Norwegen einschließlich des Königs zu vergewissern, um einen militärischen Widerstand in Norwegen von vornherein zu verhindern. Sofort nach Beginn der politischen Aktion sollte dann auf eine offizielle Bitte Quislings an die Deutsche Reichsregierung die militärische Besetzung Norwegens vonstatten gehen, wobei der militärische Aufmarsch schon vollzogen sein mußte. Dieser Plan barg außer dem großen Vorteil der Überraschung eine ganze Reihe von Gefahren in sich, die evtl. sein Mißlingen herbeiführen konnten. Aus diesem Grunde wurde er sehr dilatorisch behandelt, das Vorhaben der norwegischen Seite gegenüber aber nicht abgestritten.
Im Februar dieses Jahres informierte Reichsleiter Rosenberg nach einer Rücksprache mit Generalfeldmarschall Göring den Ministerialdirektor im Vierjahresplan, Wohlthat, allein von der Absicht, Kohlenlieferungen nach Norwegen an die genannte Vertrauensperson Hagelin vorzubereiten. Die näheren Modalitäten wurden in einer Unterredung zwischen Ministerialdirektor Wohlthat, Stabsleiter Schickedanz und Hagelin besprochen. Als Wohlthat keine näheren Anweisungen vom Generalfeldmarschall bekam, erklärte sich auf Grund einer Rücksprache mit dem Reichsleiter Rosenberg Reichsaußenminister von Ribbentrop bereit, diese Liefe rungen über sein Amt in die Wege zu leiten. Zugleich wurde in dieser Rücksprache auf Grund eines Vortrages von Reichsleiter Rosenberg beim Führer vereinbart, daß für die nächsten 3 Monate, gerechnet vom 15. März dieses Jahres an, Quisling je 10000 englische Pfund monatlich durch den Verbindungsmann Scheidt zur Unterstützung seiner Arbeit auszuzahlen wären.«
Die Zahlungen liefen durch den bereits zuvor erwähnten Scheidt.
Das andere Dokument, D-629, ist ein Brief des Angeklagten Keitel an den Angeklagten Ribbentrop vom 3. April 1940. Ich brauche den Gerichtshof nur mit dem ersten Absatz zu bemühen. Der Angeklagte Keitel sagt:
»Sehr geehrter Herr von Ribbentrop!
Die militärische Besetzung Dänemarks und Norwegens ist auf Befehl des Führers vom Oberkommando der Wehrmacht seit längerer Zeit vorbereitet worden. Dem Oberkommando der Wehrmacht stand daher ausreichend Zeit zur Verfügung, sich mit allen Fragen zu befassen, die für die Durchführung dieser Operation zu regeln sind. Die Zeit, die Ihnen für die politische Vorbereitung der Aktion zur Verfügung steht, ist demgegenüber sehr viel kürzer. Ich glaube daher in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich Ihnen beiliegend nicht nur diejenigen Wünsche der Wehrmacht übermittele, die aus rein militärischen Gründen von den Regierungen in Oslo, Kopenhagen und Stockholm erfüllt werden müßten, sondern wenn ich daran eine Reihe von Wünschen anschließe, die zwar die Wehrmacht nur indirekt berühren, für die Erfüllung ihrer Aufgabe aber von größter Bedeutung sind.«
Er fährt dann fort, das Auswärtige Amt zu bitten, sich mit bestimmten Befehlshabern in Verbindung zu setzen. Der Grund, warum ich meines Wissens dies dem Gerichtshof zum erstenmal vorlese, ist, daß der Angeklagte Keitel hier ganz klar erklärt, daß die militärische Besetzung von Dänemark und Norwegen seit langem vorbereitet wurde. Das ist besonders interessant, wenn man damit den amtlichen Lebenslauf Ribbentrops vergleicht, der sich im Archiv im Dokument D-472 befindet. Ich zitiere nur einen Satz wegen des interessanten Gegensatzes:
»Mit der Besetzung von Dänemark und Norwegen am 9. April 1940, wenige Stunden vor der Landung englischer Truppen in diesen Gebieten, begann der Kampf gegen die Westmächte.«
Dann folgen Holland und Belgien. Gleichgültig, ob sonst jemand Bescheid wußte oder nicht, so ist doch ganz klar, daß der Angeklagte Ribbentrop bis zum Halse in den Machenschaften Quislings steckte. Wohl eine Woche vor Beginn des Einmarsches war ihm klar gemacht worden, daß die Wehrmacht und der Angeklagte Keitel schon seit langem für diesen besonderen Angriffsakt Vorbereitungen getroffen hatten.
Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß dies wirklich das gesamte Beweismaterial über den Angriff auf Norwegen ist, weil ja auch hier wieder der gesamte Geschehensablauf eingehend von meinem Freund, Major Elwyn Jones, behandelt worden ist.
VORSITZENDER: Wir wollen jetzt vertagen.