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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

M. DUBOST: Die Zeugenaussagen dieser beiden Tage werden es uns gestatten, von der Verlesung ausführlicher Dokumente abzusehen. Denn es dürfte für den Gerichtshof feststehen, daß die von den Zeugen geschilderten Ausschreitungen, Mißhandlungen und Verbrechen in allen Lagern auf gleiche Art wiederholt wurden und damit von einem höheren Willen Zeugnis ablegen, der von der Regierung selbst ausging, einem systematischen auf Vernichtung und Terror gerichteten Willen, unter dem das gesamte besetzte Europa gelitten hat.

Wir werden uns daher darauf beschränken, diese Dokumente, die wir zusammengetragen haben, schnell vorzulegen, ohne sie zu verlesen, und werden nur dann eine kurze Erklärung geben, wenn sie geeignet sind, Ihnen...

VORSITZENDER: Sie verstehen, Herr Dubost, daß dem Gerichtshof das Beweismaterial, das bis heute vorgebracht ist, genügt. Er erwartet jetzt natürlich Beweismaterial seitens der Angeklagten und wird das Urteil so lange hinausschieben, bis dieses Beweismaterial vorliegt. Ich habe Sie gestern darauf hingewiesen, daß Sie gemäß Artikel 24 e) des Statuts Gelegenheit haben werden, falls Sie es für angebracht halten, Gegenbeweise gegen das gegebenenfalls von der Verteidigung vorgebrachte Beweismaterial vorzubringen. Ich möchte Sie jetzt lediglich darauf aufmerksam machen, daß der Gerichtshof jetzt noch keine Entscheidung treffen wird, sondern warten wird, bis das Beweismaterial der Verteidiger vorliegt.

M. DUBOST: Sehr wohl, Herr Präsident. Aber ich glaube, daß die Zeugenaussagen, die wir Ihnen in diesen beiden Tagen gebracht haben, einen der Hauptpunkte unserer Anklage darstellen. Das versetzt uns in die Lage, die Vorlage der Dokumente erheblich abzukürzen. Wir werden uns auf Zusammenfassung oder sehr kurze Auszüge beschränken.

Wir waren bei der Beschreibung der Transporte stehengeblieben und bei den Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wurden als wir mit dem Zeugenverhör begannen.

Um festzustellen, welche der Angeklagten für diese Transporte besonders verantwortlich sind, lege ich Dokument UK-56 als RF-335 vor. Es erscheint im ersten Dokumentenbuch, ist von Jodl unterzeichnet und ordnet den Abtransport der Juden aus Dänemark an.

VORSITZENDER: Über Deportation?

M. DUBOST: Jawohl, über Deportation.

VORSITZENDER: Wann sind diese Bücher ausgegeben worden? Denn anscheinend haben die amerikanischen Mitglieder des Gerichtshofs...

M. DUBOST: Diese Bücher sind sämtlich am Freitag übergeben worden, Herr Präsident.

Ich fahre jetzt mit der Behandlung der Frage fort, die am Sonnabend unterbrochen wurde, als sich der Gerichtshof um 17.00 Uhr vertagte.

Das Dokument UK-56 ist ein offenes Telegramm, mit dem Vermerk »Geheime Kommandosache«; es ist das achte im ersten Dokumentenbuch. Der zweite Absatz lautet:

»Die Judendeportation wird durch Reichsführer-SS durchgeführt, der zu diesem Zweck 2 Pol.-Bataillone nach Dänemark verlegt....

Im Auftrag: gezeichnet: Jodl.«

Hier haben wir die Durchführung eines politischen Befehls durch eine militärische Stelle oder wenigstens durch einen Chef, der einer militärischen Organisation angehörte: dem deutschen Generalstab. Diese Beschuldigung trifft sowohl Jodl als auch den deutschen Generalstab.

Wir haben als RF-324 während der Sitzung am Freitag Nachmittag einen Auszug aus einem Bericht der Holländischen Regierung überreicht. Der Gerichtshof wird in diesem Bericht einen Abschnitt finden, der sich mit den Transporten holländischer Juden befaßt, die in Westerbork gefangengehalten wurden. Ich zitiere diese Stelle, Seite 1, zweiter Abschnitt...

VORSITZENDER: Ist das im gleichen Buch?

M. DUBOST: Im gleichen Buch, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Welche Nummer, 324?

M. DUBOST: F-224, die jetzt RF-324 geworden ist, nachdem das Dokument eingereicht wurde. Es ist ein Auszug aus einem Bericht der Holländischen Regierung, Absatz 2 und 3:

»Alle holländischen Juden, deren sich die Deutschen bemächtigen konnten... wurden hier (im Lager Westerbork) versammelt.«

Absatz 3:

»Nach und nach wurden die in Westerbork internierten Juden nach Polen deportiert.«

Es dürfte sich erübrigen, an die Folgen dieser Transporte zu erinnern, nachdem die Umstände, unter denen diese Transporte stattgefunden haben, von den Zeugen geschildert worden sind; jedesmal, wenn die Wagen geöffnet wurden, holte man zuerst zahlreiche Leichen heraus, ehe man dahinter ein paar Überlebende fand.

Das französische Dokument F-115, RF-336, ein Bericht des Professors Charles Richet, erscheint ebenfalls im ersten Dokumentenbuch. Es ist das dreizehnte Dokument im ersten Dokumentenbuch, Seite 6. Professor Richet wiederholt, was uns die Zeugen bereits berichtet haben, daß die Deportierten...

VORSITZENDER: Welcher Absatz?

M. DUBOST: Letzter Absatz auf Seite 6.

Es waren jedesmal 75 bis 120 Deportierte in einem Waggon. Bei jedem Transport starben Menschen. Es war bereits Tradition geworden, daß mindestens fünfundzwanzig Prozent der Menschen auf dem durchschnittlich sechzig Stunden dauernden Transport von Compiegne nach Buchenwald umkamen. Diese Zeugenaussage stimmt völlig überein mit der von Blaha, von Frau Vaillant-Couturier und der des Professors Dupont.

Besonders berüchtigt sind die Transporte nach Dachau im August und September 1944; zahlreiche Transporte aus Frankreich, meistens aus Lagern in der Bretagne, trafen in diesem Lager mit 400 bis 500 Toten auf ungefähr 2000 Personen pro Zug ein.

Auf der ersten Seite dieses Dokuments F-140, im vierten Absatz, der sich auf Auschwitz bezieht, heißt es – ich zitiere es, um nicht noch einmal darauf zurückkommen zu müssen –, daß »ungefähr 7 Millionen Personen in diesem Lager verstorben sind«.

In diesem Dokument heißt es, daß sich auf dem Transport von Compiegne vom 2. Juli 1944 Szenen des Irrsinns und Tumults unter den Häftlingen abspielten, und daß mehr als 600 zwischen Compiegne und Dachau gestorben sind. Von diesem Transport ist die Rede im folgenden Dokument F-83, das wir als RF-337 vorlegen. In dem Protokoll von Dr. Bouvier, gefertigt in Reims am 10. Februar 1945, wird ausgeführt, daß die Gefangenen von Reims ab halbtot vor Durst waren. »... 8 Sterbende, unter ihnen der Priester, wurden noch aus dem Waggon herausgeholt.«

Dieser Transport sollte bis nach Dachau gehen. Einige Kilometer hinter Compiegne gab es bereits zahlreiche Tote in jedem Waggon.

Das Dokument F-321, RF-331, Seite 21, bringt zahlreiche Beispiele für die furchtbaren Umstände, unter denen unsere Landsleute von Frankreich nach Deutschland transportiert worden sind. Seite 21, ganz oben:

»Auf dem Bahnhof in Bremen wurde uns vom Deutschen Roten Kreuz Wasser verweigert....

Wir waren halbtot vor Durst. In Breslau haben die Gefangenen die deutschen Rot-Kreuz-Schwestern wie derum um etwas Wasser gebeten; sie zeigten jedoch kein Verständnis für unsere Bitte...«

Um Fluchtversuche zu verhindern, zwang man bei vielen Transporten die Deportierten ohne jegliche Rücksicht auf Schamgefühl, das natürlichste und elementarste aller Gefühle, alle Kleidungsstücke abzulegen. So reisten sie stundenlang, völlig nackt, von Frankreich nach Deutschland. Eine Zeugenaussage hierüber bietet das offizielle Dokument, das bereits als RF-301 vorgelegt worden ist. Seite 17 des französischen Textes, zweiter Absatz:

»Zur Verhinderung einer Flucht oder als Vergeltungsmaßnahme für eine Flucht, mußten die Gefangenen sich völlig nackt ausziehen.«

Der Verfasser des Berichts fügt hinzu:

»Diese Maßnahmen bezweckten auch eine moralische Degradierung des Individuums.«

Selbst nach gemäßigten Aussagen war der Anblick dieser zusammengepferchten nackten Männer, die kaum Raum zum Atmen hatten, scheußlich.

Wenn trotz dieser Vorkehrung Fluchtversuche unternommen wurden, so nahm man Geiseln aus den Waggons und erschoß sie. Der Beweis dafür wird durch das gleiche Dokument, oben auf Seite 18, erbracht:

»5 Deportierte wurden umgebracht.

So wurden bei Montmorency 5 Deportierte aus dem Zug vom 15. August 1944 beerdigt, und 5 weitere von deutschen Gendarmen und Offizieren der Wehrmacht in Domprémy (Marne) durch Revolverschüsse getötet.«

Im Zusammenhang mit dieser Erklärung muß ein anderes offizielles, bereits als F-321, RF-331 vorgelegtes Dokument erwähnt werden. Auf Seite 30 lesen Sie, Seite 11 des deutschen Textes des Dokuments RF-321:

»Einige junge Leute wurden in aller Hast ausgewählt. Als sie in dem Graben anlangten, ergriff jeder Polizist einen Gefangenen, stellte ihn an die Grabenwand und tötete ihn durch Genickschüsse.«

In gleicher Weise wurde bei den Deportationen aus Dänemark verfahren. Die dänischen Juden waren besonders betroffen. Einer gewissen Anzahl von ihnen, die rechtzeitig gewarnt worden waren, gelang es, nach Schweden zu entkommen. Leider wurden aber 8000 bis 9000 Leute von den Deutschen festgenommen und deportiert. Man nimmt an, daß 475 auf Schiffen oder Lastwagen unter unmenschlichen Bedingungen nach Theresienstadt, Böhmen-Mähren, gebracht worden sind. Dies geht aus dem dänischen Dokument hervor, das als F-666, RF-338 vorliegt. Der Gerichtshof wird es im ersten Band des Dokumentenbuches finden; das Zitat, das ich soeben gebracht habe, erscheint auf Seite 2 dieses Dokuments. Es ist das sechzehnte Dokument Ihres ersten Dokumentenbuches, also das vorletzte.

Was dieses Land anlangt, muß der Gerichtshof auch über die Deportierung der Grenzwachen unterrichtet werden. Seite 3, dritter Absatz, ein Auszug aus dem letzten Absatz:

»Die Polizisten wurden in den meisten Orten nach ihrer Entwaffnung sofort entlassen; nur in Kopenhagen und den benachbarten Provinzstädten hielt man sie fest und verschleppte sie teils in Lastwagen, teils per Schiff nach Süddeutschland.

Die Polizisten wurden in das Konzentrationslager Buchenwald befördert. Sie waren dort unter unbeschreiblichen sanitären Verhältnissen untergebracht. Eine große Anzahl von ihnen wurde krank, ungefähr 100 Polizisten oder Grenzposten starben, und viele von ihnen tragen noch die Spuren ihres dortigen Aufenthaltes.«

Schließlich trafen alle Angehörige aus den besetzten Ländern des Westens und Europas mit ihren unglückseligen Kameraden aus dem Osten in den Konzentrationslagern in Deutschland wieder zusammen. Diese Lager dienten der Verwirklichung der Vernichtungspolitik, die Deutschland seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verfolgte. Das Ziel dieser Vernichtungspolitik war, wie wir von Hitlers Plänen wissen, 250 Millionen Deutsche in den Nachbarländern Deutschlands, die den deutschen Lebensraum darstellten, anzusiedeln.

Die Polizei und die Deutsche Wehrmacht wagten zwar nicht mehr, ihre Geiseln hinzurichten, aber keine der beiden Organisationen ließ ihnen Gnade zuteil werden. Seit 1943 wurden sie in immer schnellerem Rhythmus in deutsche Konzentrationslager deportiert, wo ihr Verschwinden auf jede Weise in die Wege geleitet wurde, von der Arbeit, die sie zu Tode erschöpfen sollte, bis zur Gaskammer.

An Hand der Zählungen, die wir in Frankreich vorgenommen haben, können wir heute sagen, daß über 250000 Franzosen deportiert wurden, von denen nur 35000 zurückgekommen sind. Aus Dokument F-497, das als RF-339 eingereicht wurde – es ist das dritte Dokument des ersten Dokumentenbuches – geht hervor, daß von den 600000 Verhaftungen, die die Deutschen in Frankreich vorgenommen haben, 350000 zum Zwecke der Internierung in Frankreich oder Deutschland durchgeführt wurden. Erste Seite des Dokuments, vierter Absatz:

»Gesamtzahl der Deportierten: 250000; Zahl der Zurückgekehrten: 35000.«

Auf der folgenden Seite einige Namen von deportierten Franzosen:

»Präfekten: Bussieres und Bonnefoy verschwunden; Generale: De Lestraing in Dachau ermordet; Job in Auschwitz ermordet; Frere in Struthof verstorben; Bardi de Fourtou in Neuengamme verstorben; Oberst Reger Masse in Auschwitz verstorben. Hohe Beamte: Marquis de Moustier in Neuengamme verstorben; Boulloche, Generalinspektor für Brücken- und Wegebau in Bu chenwald verstorben; seine Frau in Ravensbrück verstorben; einer seiner Söhne während der Deportation gestorben; nur ein zweiter Sohn von Flossenburg zurückgekehrt. Jean Deveze, Ingenieur für Brücken- und Wegebau, in Nordhausen verschwunden; Pierre Block, Ingenieur für Brücken- und Wegebau, in Auschwitz verstorben; Frau Getting, Gründerin des Sozialdienstes in Frankreich, in Auschwitz verschwunden.«

Aus französischen Universitätskreisen die bekannten Persönlichkeiten, wie

»Henri Maspero, Professor des College de France, in Buchenwald gestorben; Georges Bruhat, Direktor der École Normale Supérieure, in Oranienburg gestorben; Professor Vieille in Buchenwald gestorben;...«

Es ist nicht möglich, alle französischen Intellektuellen zu nennen, die durch die deutsche Wut ausgerottet wurden. Von den Ärzten sind der Direktor des Rothschild-Krankenhauses und Professor Florence zu nennen, die in Auschwitz beziehungsweise in Neuengamme ermordet wurden.

Was Holland betrifft, so sind 110000 holländische Staatsbürger jüdischen Glaubens verhaftet worden; nur 5000 sind zurückgekehrt. 16000 Patrioten sind verhaftet worden, und nur 6000 sind zurückgekommen; von insgesamt 126000 Deportierten sind 11000 nach der Befreiung in die Heimat zurückgekehrt.

Belgien; 197150 Deportierte ohne die Kriegsgefangenen; wenn man die Kriegsgefangenen einbezieht: 250000.

Luxemburg: 7000 Deportierte, über 700 Juden. Von 4000 Luxemburgern sind 500 tot. Es handelt sich um die Dokumente RF-343, RF-341 und RF-342.

Dänemark: Dokument F-666, RF-338 liegt bereits vor, Seite 3: 6104 Dänen wurden interniert, 583 starben.

Es gab innerhalb und außerhalb Deutschlands Lager. Die meisten Lager außerhalb Deutschlands dienten lediglich zur Aussonderung der Gefangenen, und ich habe Ihnen bereits darüber berichtet. Einige waren jedoch von der gleichen Art wie die in Deutschland. Unter ihnen muß Westerbork in Holland genannt werden, von dem bereits in Dokument F-224, vorgelegt als RF-324, die Rede ist. Es ist ein offizieller Bericht der Holländischen Regierung. Das Lager Amersfoort, ebenfalls in Holland, ist Gegenstand des Dokuments F-677, das als RF-344 vorgelegt wird.

Da wir bereits durch direkte Zeugenaussagen über die Lebensweise in den nazistischen Internierungslagern unterrichtet sind, wird es nicht nötig sein, daß ich diese Dokumente vollständig verlese, die ziemlich umfangreich sind und keine neuen Momente über das Regime in diesen Lagern enthalten.

In Holland gab es außerdem das Lager Vught, dann in Norwegen die Lager Grini, Falstad, Ulven, Espeland und Sydspissen, die in einem Bericht der Norwegischen Regierung genannt sind, der in Dokument F-240, RF-294, enthalten ist.

Die Lager in Deutschland, ebenso auch die Lager außerhalb Deutschlands, welche nicht Durchgangslager waren, kann man gemäß deutschen Anweisungen, die in unsere Hände gelangt sind, in drei Klassen einteilen. Sie finden diese Anweisungen im zweiten Dokumentenbuch, Seite 11, das fortlaufend numeriert ist, um das Suchen zu erleichtern. Es ist Dokument 1063(a)-PS, das wir dem Gerichtshof als RF-345 vorgelegt haben, Seite 11 des zweiten Dokumentenbuches. Ich lese:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei hat seine Zustimmung zu der Einteilung der Konzentrationslager in verschiedene Stufen, die der Persönlichkeit des Häftlings und dem Grad der Gefährdung für den Staat Rechnung tragen, erteilt. Danach werden die Konzentrationslager in folgende Stufen eingeteilt:

Stufe 1: Für alle wenig belasteten und unbedingt besserungsfähigen Schutzhäftlinge, außerdem für Sonderfälle und Einzelhaft.

Stufe 1a: Für alle alten und bedingt arbeitsfähigen Schutzhäftlinge.

Stufe 2: Für schwer belastete, jedoch noch erziehungs- und besserungsfähige Schutzhäftlinge.

Stufe 3: Für schwer belastete, insbesondere auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte und asoziale, d.h. kaum erziehbare Häftlinge.«

Am 2. Januar 1941, dem Datum dieses Dokuments, gab die deutsche Verwaltung mit der Aufteilung der Lager in diese drei Stufen eine Aufzählung der größten, zu jeder Stufe gehörigen deutschen Lager. Es scheint mir unwichtig, auf die geographische Lage dieser Lager innerhalb Deutschlands zurückzukommen, da meine amerikanischen Kollegen an Hand einer Landkarte erschöpfende Ausführungen über diese Frage gemacht haben.

Die Organisation und der Betrieb dieser Lager diente zwei Zielen. Einmal verfolgte man das Ziel, wie aus Dokument RF-346, Seite 14 des zweiten Dokumentenbuches hervorgeht, Arbeitskräfte zu ersetzen und mit den geringsten Kosten größte Arbeitsleistung zu erreichen.

Am 17. Dezember 1942 – dieses Datum fällt mit den militärischen Schwierigkeiten zusammen, mit denen Deutschland im Verlaufe des russischen Feldzuges zu kämpfen hatte –:

»... Aus kriegswichtigen, hier nicht näher zu erörternden Gründen hat der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei am 14. Dezember 1942 befohlen, daß bis Ende Januar 1943 mindestens 35000 arbeitsfähige Häftlinge in die Konzentrationslager einzuweisen sind.«

Absatz 2:

»Um diese Zahl zu erreichen, ist folgendes erforderlich:

1. Ab sofort (zunächst bis zum 1. November 1943) werden Ostarbeiter oder solche fremdvölkischen Arbeiter, welche flüchtig gegangen oder vertragsbrüchig geworden sind und nicht den verbündeten, befreundeten oder den neutralen Staaten angehören,... auf schnellstem Wege den nächstgelegenen Konzentrationslagern eingeliefert.«

Willkürliche Verhaftungen wurden durchgeführt, um mit geringstmöglichen Kosten die größte Arbeitsleistung von Arbeitern zu erreichen, die bereits nach Deutschland deportiert waren, die aber auf Grund der Arbeitskontrakte bezahlt werden mußten.

Die Einrichtung dieser Lager sollte ferner alle unproduktiven Kräfte, das heißt alle diejenigen, die von der deutschen Industrie nicht mehr ausgenutzt werden konnten und ganz allgemein der Nazi-Expansion im Wege stehen könnten, vernichten.

Ein unwiderlegbarer Beweis wird durch das Dokument R-91 erbracht, Seite 20 und 21 im zweiten Dokumentenbuch, das als RF-347 vorgelegt wurde. Es ist ein Telegramm des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, aufgenommen am 16. Dezember 1942, 21,00 Uhr, in Berlin.

»Im Zuge der bis 30. Januar 1943 befohlenen verstärkten Zuführung von Arbeitskräften in die KZ kann auf dem Gebiet des Judensektors wie folgt verfahren werden:

1. Gesamtzahl: 45000 Juden,

2. Transportbeginn: 11. 1. 1943,

Transportende: 31. 1. 1943,...

3.« – das ist der wichtigste Teil des Dokuments – »Aufgliederung: Die 45000 Juden verteilen sich auf 30000 Juden aus dem Bezirk Bialystok, 10000 Juden aus dem Ghetto Theresienstadt. Davon 5000 arbeitsfähige Juden, die bisher für im Ghetto erforderliche kleinere Arbeiten eingesetzt waren, und 5000 im allgemeinen arbeitsunfähige, auch über 60 Jahre alte Juden, um bei dieser Gelegenheit den im Interesse des Aufbaues des Ghettos zu hohen Lagerstand von 48000 etwas herunterzudrücken.

Hierfür bitte ich Sondergenehmigung zu erteilen...«

Am Ende dieses Absatzes:

»In der Zahl von 45000 ist der arbeitsunfähige (unterstrichen) Anhang (alte Juden und Kinder) mit inbegriffen. Bei Anlegung eines zweckmäßigen Maßstabs fallen bei der Ausmusterung der ankommenden Juden in Auschwitz mindestens 10000 bis 15000 Arbeitskräfte (unterstrichen) an.«

Nun folgt ein offizielles Dokument, welches neben zahlreichen anderen Aussagen über die gleiche Frage, die Zeugenaussage von Frau Vaillant-Couturier bestätigt. Es beweist, daß die systematische Auswahl, die bei jedem in Auschwitz eintreffenden Transport vorgenommen wurde, nicht nur von dem Willen des Lagerkommandanten abhing, sondern auf höheren Befehl, der von der Reichsregierung ausging, zurückzuführen war.

Wenn der Gerichtshof gestattet, so werde ich für heute Abend meine Darlegung unterbrechen und morgen mit der Frage des Einsatzes dieser Arbeitskräfte fortfahren, die ich angesichts der bereits erfolgten Zeugenaussagen so schnell wie möglich behandeln will.