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[Pause von 15 Minuten.]

VORSITZENDER: Herr Dubost, der Gerichtshof hat die Frage des Beweismaterials erwogen, das Sie über Konzentrationslager vorgebracht haben. Er ist der Ansicht, daß Sie für den Augenblick Ihre Sache bewiesen haben, vorbehaltlich des etwaigen Beweismaterials, das von den Angeklagten vorgebracht werden könnte, und auch vorbehaltlich des Rechtes, das Ihnen gemäß Artikel 24 E des Statuts zusteht, eine Replik zu halten, wenn der Gerichtshof eine solche Replik für gut hält.

Wir glauben daher, daß es nicht im Interesse des Verfahrens liegt, in diesem Stadium weitere Beweise über die Konzentrationslager vorzubringen; es sei denn, daß es sich um neue Gesichtspunkte bezüglich der Konzentrationslager handelt, auf die Sie uns noch nicht hingewiesen haben. Sollten diese ähnlichen Beweise vorliegen, möchten wir Sie bitten, sie zu spezifizieren, bevor Sie weiteres Beweismaterial zu diesem Punkte vorbringen.

M. DUBOST: Ich danke dem Gerichtshof für diese Entscheidung. Ich verberge nicht, daß ich einige Minuten benötigen werde, um die Punkte herauszusuchen, auf denen ich bestehen muß. Ich war nicht auf diese Entscheidung vorbereitet.

Mit der Erlaubnis des Gerichtshofs möchten wir nun die Lage der Kriegsgefangenen untersuchen.

VORSITZENDER: Herr Dubost! Vielleicht wäre es Ihnen möglich, sich während der Sitzungspause zu überlegen, ob Sie besondere neue Punkte haben oder nicht.

M. DUBOST: Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Sie könnten während der Pause überlegen, ob Sie neue Punkte zu dem Thema Konzentrationslager haben, die Sie vorbringen wollen; diese Punkte könnten Sie dann nach der Sitzungspause vortragen.

M. DUBOST: Die Verhandlungspause um 13.00 Uhr?

VORSITZENDER: Ja, das wollte ich sagen.

M. DUBOST: Somit betrachten wir es als vorläufig erwiesen, daß Deutschland in seinen Internierungs- und Konzentrationslagern eine Politik betrieben hatte, die darauf hinzielte, seine Feinde zu vernichten, sie auszurotten, und zur gleichen Zeit eine Schreckensherrschaft zu errichten, durch die die Verwirklichung der politischen Ziele erleichtert werden sollte.

Eine weitere Seite dieser Politik des Schreckens und der Vernichtung erscheint, wenn man die Kriegsverbrechen betrachtet, die Deutschland an den Kriegsgefangenen begangen hat. Diese Verbrechen, die wir Ihnen jetzt darlegen werden, lassen sich unter anderen auf zwei Motive zurückführen: die Gefangenen so weit wie möglich zu erniedrigen, um ihre Energie zu brechen, sie zu demoralisieren, sie zu veranlassen, an sich selbst und der Sache für die sie gekämpft haben, zu zweifeln und an der Zukunft ihres Vaterlandes zu verzweifeln. Das zweite Motiv war: diejenigen von ihnen verschwinden zu lassen, die durch ihre Vergangenheit oder durch ihr Verhalten seit ihrer Gefangennahme gezeigt hatten, daß sie sich der neuen Ordnung, die die Nazis einführen wollten, nicht anpassen ließen.

Zu diesem Zweck vervielfachte Deutschland die unmenschlichen Behandlungen, die dazu bestimmt waren, die Menschen, die es gefangen hielt, zu erniedrigen, die Menschen, die sich als Soldaten ausgeliefert hatten, im Vertrauen auf die militärische Ehre der Armee, der sie sich ergaben. Transporte der Kriegsgefangenen erfolgten unter unmenschlichen Bedingungen. Schlecht ernährte Männer waren gezwungen, weite Strecken zu Fuß zurückzulegen, dabei waren sie Mißhandlungen aller Art ausgesetzt und wurden zu Boden geschlagen, wenn sie ermattet den Kolonnen nicht mehr folgen konnten. Weder Unterkunft noch Nahrung war für sie in den Stationen vorgesehen. Bewiesen wird dies durch den Bericht über die Evakuierung der Kolonne, die von Sagan am 28. Januar 1940 abmarschierte, Dokument UK-170, RF-355:

»1357 britische Kriegsgefangene jeden Ranges verließen am 28. Januar 1940 zu Fuß in drei Kolonnen das Stalag Luft 3 und marschierten in Etappen von 27 bis 31 km pro Tag bis nach Spremberg.

Von dort wurden sie per Bahn nach Luckenwalde transportiert; Nahrung, Wasser, ärztliche Hilfe waren während des ganzen Transportes mehr oder weniger nicht vorhanden. Mindestens drei Gefangene... mußten in Muskau zurückgelassen werden.

... Am 31. Januar legten sie die Entfernung von 31 km bis Muskau zurück. Es ist kein Wunder, daß zu diesem Zeitpunkt drei Männer, die Leutnants Kielly und Wise und Feldwebel Burton, zusammenbrachen und im Lazarett von Muskau zurückgelassen werden mußten.

Während des Marsches bestand die Verpflegung, die diese Leute bekamen, abgesehen von dem Paket des Roten Kreuzes, auf das bereits hingewiesen wurde, nur aus einem halben Laib Brot und einer Gerstensuppe pro Mann. Die Versorgung mit Wasser wurde als dem Zufall überlassen beschrieben... Nicht weniger als 15 Mann dieser Kolonne entkamen während des Marsches.«

Dann die Aussage Boudots:

»Die Zustände im Lager der französisch-belgischen Kolonne waren noch schlimmer. Die Einrichtungen widersprachen den hygienischen Regeln. Die Gefangenen waren auf einen engen Raum zusammengedrängt, sie waren ohne Heizung und ohne Wasser und zu 30 bis 40 Mann in einem Raum im Stalag III c untergebracht.«

Die Aussage Boudots erscheint in dem Bericht über Gefangene und Deportierte, der Ihnen kürzlich ebenfalls von Herrn Herzog vorgelegt worden ist. Ich nehme an, daß der Gerichtshof die Dokumente vom letzten Donnerstag bei sich behalten hat.

VORSITZENDER: Sicherlich, Herr Dubost, haben wir diese Dokumente behalten, aber wenn wir sie vor uns auf dem Tisch liegen hätten, würden Sie uns nicht mehr sehen können!

M. DUBOST: Ähnliche Feststellungen sind in dem Bericht des Roten Kreuzes enthalten.

Berger, der ab 1. Oktober 1944 unter Himmler mit der Kriegsgefangenenfrage beauftragt war, hat im Verlauf seines Verhörs zugegeben, daß die Verpflegung für Kriegsgefangene völlig unzureichend war. Auf Seite 3 des vorliegenden Dokumentenbuches wird der Gerichtshof einen Auszug aus dem Verhör Bergers finden. Das Original wurde als RF-355 vorgelegt:

»Ich besuchte ein Lager im Süden von Berlin, dessen Name mir im Moment entfallen ist. Vielleicht fällt er mir später wieder ein. Es war mir damals klar, daß die Ernährungsverhältnisse völlig unzureichend waren, was eine heftige Auseinandersetzung zwischen Himmler und mir zur Folge hatte. Himmler war sehr dagegen, die Pakete des Roten Kreuzes in den Kriegsgefangenenlagern in gleichem Maße wie bisher weiter zu verteilen. Was mich anbetrifft, so war ich der Ansicht, daß wir in diesem Falle mit einem ernsten Problem wegen des Gesundheitszustandes der Leute zu rechnen hatten.«

Wir legen nun das Dokument 826-PS als RF-356 vor. Dieses Dokument stammt aus dem Hauptquartier des Führers und trägt die Überschrift: »Bericht über die Reise nach Norwegen-Dänemark.« Es heißt dort auf Seite 7 des Dokumentenbuches:

»Alle Kriegsgefangenen in Norwegen erhalten nur eine Menge an Verpflegung, die sie ohne Arbeit gerade lebensfähig erhält. Der Holzeinschlag stellt jedoch an diese Kriegsgefangenen so hohe Anforderungen, daß bei gleichbleibender Verpflegung in Kürze mit einer erheblichen Minderleistung gerechnet werden muß.«

Diese Bemerkung bezieht sich auf die Lage von 82000 Kriegsgefangenen, die in Norwegen gefangengehalten wurden; unter ihnen 30000, die man für schwere Arbeiten der Organisation Todt verwandte. Dies ergibt sich aus dem ersten Absatz der Seite 5.

Wir legen nunmehr dem Gerichtshof das Dokument 820-PS vor. Es beschäftigt sich mit der Errichtung von Kriegsgefangenenlagern in Gebieten, die Luftangriffen ausgesetzt waren. Es stammt vom Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, datiert vom 18. August 1943, und ist an das Oberkommando der Wehrmacht gerichtet. Wir legen Beweisstück RF-358 vor und verlesen vor dem Gerichtshof den dritten Absatz:

»Ob.d.L. Führungsstab schlägt vor, innerhalb von städtischen Wohngebieten Gefangenenlager einzurichten, um dadurch einen gewissen Schutz zu erzielen.«

Ich überspringe einen Absatz und zitiere weiter:

»Auf Grund der vorstehenden Überlegungen wird zur Erwägung gestellt, in einer größeren Anzahl von Städten, die angriffsgefährdet erscheinen, derartige Lager unverzüglich anzulegen. Wie die Verhandlungen mit der Stadt Frankfurt über die Errichtung eines neuen Lagers zur Entlastung des Dulag Luft gezeigt haben, werden die Städte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Bau des Lagers unterstützen und beschleuni gen.«

Schließlich der letzte Absatz:

»Bisher sind in Deutschland annähernd 8000 (ohne Lazarettinsassen) englische und amerikanische Luftwaffenkriegsgefangene vorhanden. Durch Räumung der bestehenden Lager, die für die Unterbringung von Bombengeschädigten Verwendung finden könnten, würden mithin sofort Kriegsgefangene für eine größere Anzahl derartiger Lager zur Verfügung stehen.«

Das bezieht sich auf Lager, die in Gebieten eingerichtet wurden, die Luftangriffen ausgesetzt und besonders gefährdet waren.

Ein Dokument aus dem Führerhauptquartier vom 3. September 1943 bezieht sich auf die Errichtung dieser neuen Kriegsgefangenenlager für britische und amerikanische Flieger. Wir legen dieses Dokument als Beweisstück RF-359 vor:

»Ob.d.L. Führungsstab beabsichtigt Errichtung weiterer Lager für Luftwaffengefangene, da die Zahl der monatlich anfallenden Gefangenen auf über 1000 ansteigt und vorhandener Raum ausgelastet ist. Ob.d.L. schlägt vor, diese Lager innerhalb städtischer Wohngebiete einzurichten, zugleich als Schutz für die betreffende städtische Bevölkerung, darüber hinaus alle bestehenden Lager mit den zur Zeit etwa 8000 englischen und amerikanischen Luftwaffenkriegsgefangenen in luftgefährdete Großstädte zu verlegen....

2. OKW Chef Kriegsgef. hat dem Vorhaben grundsätzlich zugestimmt.«

Dokument F-551, das wir als RF-360 einreichen, beschäftigt sich mit der Verurteilung von Kriegsgefangenen unter Mißachtung der Artikel 60 und folgende der Genfer Konvention. Die Genfer Konvention sieht vor, daß die Schutzmacht über gerichtliche Verfahren, die gegen Kriegsgefangene geführt werden, zu benachrichtigen ist, und daß diese das Recht hat, sich bei den Prozessen vertreten zu lassen. Das Dokument, das ich als RF-360 vorlege, zeigt, daß diese Bestimmungen verletzt wurden:

»In der Praxis stößt die Einhaltung der Artikel 60 und 66, insbesondere des Artikels 66, Absatz II des Kriegsgefangenenabkommens von 1929 auf erhebliche Schwierigkeiten. Für eine straffe Strafrechtspflege ist es unerträglich, daß gerade bei schwersten Straftaten – z.B. bei tätlichen Angriffen auf Wachmannschaften – Todesurteile erst drei Monate nach Mitteilung an die Schutzmacht vollstreckt werden können. Die Disziplin bei den Kriegsgefangenen muß darunter leiden.«

Ich überspringe einen Absatz:

»Vorgeschlagen wird folgende Regelung:

a) die Franzosen sollen darauf vertrauen, daß die Verfahren von den deutschen Kriegsgerichten wie bisher gründlich und gewissenhaft geführt werden;

b) Deutschland wird wie bisher einen Verteidiger und einen Dolmetscher bestellen....

c) bei Todesurteilen wird hierzu eine angemessene Frist gewährt.

Hierbei muß sich Deutschland allerdings – wenn auch vielleicht nicht ausdrücklich – vorbehalten, in Fällen des Notstandes,... das Urteil alsbald zu vollstrecken....

Es kommt nicht in Frage, Frankreich etwa in Anlehnung an Artikel 62, Absatz III des KrGef.Abk. zu gestatten, einen Vertreter in die Hauptverhandlungen der Deutschen Wehrmachtsgerichte zu entsenden.«

Wir benutzen ein Beispiel für die Verletzung der Artikel 60 und folgende des Genfer Abkommens in dem Bericht der Niederländischen Regierung:

VORSITZENDER: Ich glaube, wir sollten jetzt unterbrechen.