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OBERST POKROWSKY: In dem Wunsche, soviel sowjetische Kriegsgefangene wie möglich zu vernichten, taten die Nazi-Verschwörer ihr Bestes, indem sie neue und aberneue Methoden erfanden, um Menschen zu toten. Die Note stellt fest:

»In der letzten Zeit ist eine Anzahl neuer Fälle festgestellt worden, in denen die deutsche Armeeführung Sowjetkriegsgefangene eingesetzt hat, um Minenfelder zu säubern oder andere lebensgefährliche Arbeiten auszuführen. So wurden in der Gegend der Dörfer Bolschaja und Malaja Wloja Dutzende von Gefangenen, die in engen Reihen angetreten waren, 4 Tage lang über ein von den Hitleristen mit Minen verseuchtes Feld getrieben. Jeden Tag wurden mehrere Gefangene von Minen zerrissen. Diese Methode der Ermordung von Kriegsgefangenen ist in den Befehlen der deutschen Armeeführung vorgesehen. In dem Befehl Nummer 109 an das Infanterieregiment 203 wird gesagt: ›Der Armeeoberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Rundstedt, hat befohlen, daß außerhalb der Kampfhandlungen, zur Schonung des deutschen Blutes, von russischen Gefangenen Minen gesucht und Minenfelder geräumt werden. Das bezieht sich auch auf deutsche Minen.‹«

Das in der vorhergehenden Note erwähnte Plündern ist nicht nur als eine zulässige Möglichkeit hingestellt, sondern allen Soldaten der deutschen Armee zur Pflicht gemacht.

Der Volkskommissar bezieht sich auf die folgenden Dokumente, die vom deutschen Oberkommando stammen und unterstreicht dabei, daß dieser Raub von Kleidungsstücken zur Winterszeit die Soldaten der Roten Armee zum Tod durch Erfrieren verurteilte:

»In einem Befehl des Stabes des Regiments 88 der deutschen 34. Infanteriedivision, betitelt ›Bestimmungen über die Bekleidung‹, wird die Anweisung erteilt: ›Den russischen Kriegsgefangenen sind ohne Bedenken die Stiefel auszuziehen.‹

Daß dieser Befehl kein Zufall ist, ersieht man schon daraus, daß die deutsche Armeeführung schon vor dem heimtückischen Überfall auf die Sowjetunion die Anwendung solcher Methoden zur Versorgung ihrer Truppenteile vorgesehen hat.

In den Akten des Infanterieregiments 234 der 56. Division wurde unter Nr. 121/4 vom 6. Juni 1941 das Rundschreiben ›Über die Grundsätze der Versorgung im Ostraum‹ gefunden. Auf Seite 8 heißt es: ›Mit der Versorgung mit Bekleidungsstücken ist nicht zu rechnen. Es ist daher besonders wichtig, den Kriegsgefangenen die brauchbaren Stiefel abzunehmen und alle brauchbaren Kleidungsstücke. Wäsche, Socken usw. sofort zu verwenden!‹«

Die Note stellt weiter fest:

»Um die Massenvernichtung der Sowjetkriegsgefangenen durchzuführen, wird ihnen die Nahrung vorenthalten, wodurch sie zum langsamen Verhungern verurteilt werden, in manchen Fällen werden sie durch ausgesprochen ungenießbare Nahrungsmittel vergiftet. Die Sowjetorgane besitzen einen Befehl des Stabes des oben genannten Regiments 88, der die Nummer 202 trägt und in dem es heißt: ›Pferdekadaver sollen als Nahrung für die russischen Kriegsgefangenen dienen. Derartige Stellen (Sammelstellen für Pferdekadaver) werden durch Tafeln kenntlich gemacht. Sie befinden sich an der Landstraße nach Malo-Jaroslawez und in den Dörfern Romanowo und Bjelo-Ussowo.‹

Ein Befehl an die 60. motorisierte Infanteriedivision, Nr. 166/41, verlangt ausdrücklich die Massenermordung der Kriegsgefangenen. In diesem Befehl heißt es: ›Die russischen Soldaten und Unteroffiziere sind im Kampf sehr tapfer, sogar eine einzelne kleine Gruppe geht immer zum Angriff vor. Deshalb darf kein menschliches Verhalten zu den Gefangenen gestattet werden. Die Vernichtung des Gegners durch Feuer oder durch die blanke Waffe muß fortgesetzt werden, bis er völlig unschädlich gemacht ist...‹

Die Instruktion der deutschen Heeresleitung über die Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen Nummer 1/3058 enthält die folgenden Anordnungen: ›Gegen die kleinsten Anzeichen von Ungehorsam muß energisch und direkt vorgegangen werden. Es ist schonungslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Knüppel, Stöcke und Peitschen sollen nicht angewandt werden, Milde, selbst gegenüber gefügigen und arbeitsamen Gefangenen, beweist nur Schwachheit und darf nicht geduldet werden.‹ (Aus Punkt 2.) ›Bei der Arbeit ist gegenüber den Gefangenen stets Distanz zu wahren, so daß sofort von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden kann.‹ (Aus Punkt 3.)

All das hat sich als unzulänglich erwiesen. Der im Namen Hitlers als des Oberbefehlshabers erlassene Befehl des Oberkommandos des deutschen Heeres vom 14. Januar 1942 lautet (Punkt 2): ›Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenüber dem Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln. Der deutsche Soldat muß den Gefangenen stets seine Überlegenheit fühlen lassen... Jede Versäumnis beim Gebrauch der Waffe gegen einen Gefangenen birgt eine Gefahr in sich. Der Oberbefehlshaber hofft, daß der vorliegende Befehl restlos erfüllt wird.‹

Der Sowjetregierung gehen nach wie vor glaubwürdige Informationen zu über die Lage der gefangenen Rotarmisten auf den von den Deutschen besetzten Territorien der USSR, sowie im tiefen deutschen Hinterland und in den von Deutschland besetzten europäischen Ländern. Diese Information zeugt von der weiteren Verschlechterung der Behandlung der kriegsgefangenen Rotarmisten, die sich im Vergleich mit den Kriegsgefangenen anderer Länder in besonders schlechter Lage befinden, sie zeugt ferner vom Massensterben gefangener Rotarmisten an Hunger und Krankheiten, sie zeugt von einem Regime niederträchtiger Schandtaten und blutiger Grausamkeiten, denen die Rotarmisten von den hitlerischen Behörden ausgesetzt werden, die schon längst die elementarsten Forderungen des Völkerrechts und der menschlichen Moral außer Betracht lassen.«

Die Note unterstreicht insbesondere, daß die unmenschlichen Bestialitäten und Missetaten, die von den deutsch-faschistischen Räubern gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen vorgenommen wurden, die Missetaten eines Dschingis-Khan, eines Baty und eines Mamai übertrafen.

Trotzdem lautet die Note weiter, die Stelle befindet sich auf Seite 14 des Dokumentenbuches:

»Trotz alledem hat die Sowjetregierung, treu den Grundsätzen der Humanität und der Achtung ihrer internationalen Verpflichtungen, nicht die Absicht, selbst unter den gegebenen Umständen Vergeltungsmaßnahmen an den deutschen Kriegsgefangenen anzuwenden und hält nach wie vor die Verpflichtungen ein, die die Sowjetunion in der Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen gemäß dem Haager Abkommen vom Jahre 1907 übernommen hat, das auch von Deutschland unterzeichnet, aber in allen seinen Punkten in so wortbrüchiger Weise verletzt worden ist.«

Ich werde etwas später eine Urkunde verlesen, die von einer Gruppe deutscher Kriegsgefangener verfaßt worden ist. Die Verfasser dieses Dokuments ergänzen einerseits durch eine ganze Reihe neuer Tatsachen das Verzeichnis der von den Verschwörern gegen die sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen, und auf der anderen Seite bestätigen sie, daß die Sowjetbefehlshaber sich in ihrer Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen an die Grundsätze der Menschlichkeit und Humanität gehalten haben.

Der Sieg der demokratischen Mächte im Kriege legte den Weg zu den allergeheimsten Fächern der Hitler-Archive frei.

Nicht bloß eine durch große Anzahl von Urkunden, die die Verschwörer mit ihren verbrecherischen Plänen noch mehr belasten, sondern auch durch die Vernehmung lebender Zeugen hat sich uns die weitgehendste Gelegenheit eröffnet.

Die Gegenüberstellung der Zeugenaussagen mit den Angaben in den Dokumenten aus den Archiven ermöglichte es, eine Reihe von Fragen völlig zu klären.

Wir besitzen zur Frage der Verbrechen gegenüber den Kriegsgefangenen auch zahlreiche neue Beweise.

Schon in der Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten der USSR, V. M. Molotow, vom 27. April 1942 wird von der verbrecherischen hitlerischen Methode der physischen Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen gesprochen.

Ich werde beweisen, daß diese Missetaten ein Teil der allgemeinen Verschwörung waren, und daß sie schon vor dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Sowjetunion geplant waren.

Der Gerichtshof wird erkennen, daß die Art und Weise der Behandlung der Kriegsgefangenen nur einen Komplex von Mitteln zu ihrer Vernichtung darstellte.

Befassen wir uns mit den Zeugenaussagen. Der frühere Chef des Stabes des OKH, Franz Halder, der am 31. Oktober 1945 verhört wurde, sagte folgendes aus; ich lege dem Gerichtshof als Beweisstück das Dokument USSR-341, einen Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll mit Halder, vor:

»Zeuge: Vor dem Angriff auf Rußland rief der Führer eine Besprechung sämtlicher Befehlshaber und der Personen, die mit dem Oberkommando zu tun hatten, anläßlich des bevorstehenden Angriffs auf Rußland zusammen. Ich kann mich des genauen Datums dieser Besprechung nicht entsinnen. Ich weiß nicht mehr, ob es vor oder nach dem Überfall auf Jugoslawien gewesen ist. In dieser Besprechung sagte der Führer, daß im Kriege gegen die Russen andere Kampfmittel als die dem Westen gegenüber anzuwenden waren.«

Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe vergessen, Ihnen mitzuteilen, daß sich die von mir zitierte Stelle auf Seite 24 Ihres Dokumentenbuches befindet.

»Untersuchungsrichter: Was sagte er außerdem?

Zeuge: Er sagte, daß der Kampf zwischen Rußland und Deutschland ein Kampf der Russen sei. Er sagte, daß die Russen an der Haager Konvention unbeteiligt wären, und angesichts dessen müßten ihre Kriegsgefangenen nicht den Bestimmungen der Haager Konvention entsprechend behandelt werden.«

DR. NELTE: Der Generaloberst Halder ist im hiesigen Militärgefängnis. Er ist nicht nur zu diesem Ausschnitt, sondern ganz allgemein ein wichtiger Zeuge. Ich glaube, nach den Grundsätzen, die bisher der Hohe Gerichtshof zur Auslegung des Artikels 21 des Statuts entwickelt hat, dürfte es wesentlich sein, diesen Zeugen hier zu vernehmen und nicht Aussagen zu verlesen. Ich bitte um Entscheidung.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, wollen Sie auf Dr. Neltes Ausführungen eine Antwort erteilen?

OBERST POKROWSKY: Wenn Sie mir erlauben, möchte ich meine Ansicht dazu äußern. Die Aussagen von Halder sind für uns nur in einem Punkte wichtig, und zwar dort, wo er die Tatsache einer besonderen Besprechung bei Hitler vor Beginn des Krieges erwähnt, in der besonders die Frage der Behandlung von Kriegsgefangenen der Roten Armee erörtert wurde. Dieser Tatbestand wird auch durch andere Zeugenaussagen bestätigt, die von uns in anderen Beweisstücken vorgelegt wurden. Ich glaube, daß für die Vernehmung Halders kein Bedürfnis besteht, da dies eine unnötige Verzögerung des Verfahrens verursachen kann. Die Anklagevertretung hatte nur eine Frage an Halder zu stellen. Wenn er aber geladen wird, werden ihm auch andere Fragen gestellt, die nicht notwendig sind.

Wenn die Verteidigung es aber für zweckmäßig hält, Halder zu vernehmen, würde es angebracht sein, wenn sie den normalen Weg ginge und an den Gerichtshof einen Antrag stellte und darin ausführen würde, über welche Tatsachen und Umstände Halder vernommen werden soll. Der Gerichtshof hätte dann die Möglichkeit, diesen Antrag zu besprechen und ihn zu bewilligen, falls er für gerechtfertigt gehalten wird.

Das ist alles, was ich auf den von der Verteidigung gestellten Antrag zu entgegnen habe.