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[Kurze Beratung des Gerichtshofs.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat den Beschluß gefaßt, daß, falls das Vernehmungsprotokoll des Generals Halder benutzt werden soll, und es wurde schon benutzt, General Halder zum Kreuzverhör hierher gebracht werden muß, vorausgesetzt, daß er sich in Nürnberg aufhält.

Wenn ein Zeuge vorgeladen wird, dann muß er auch einem Kreuzverhör unterworfen werden können; der einzige Grund, weshalb wir ein schriftliches Verhör hier zulassen, liegt darin, daß Zeugen nur unter Schwierigkeiten nach Nürnberg gebracht werden können. Wenn also ein schriftliches Verhör zugelassen wird und der Zeuge sich in Nürnberg befindet, dann muß er einem Kreuzverhör unterzogen werden; ich meine natürlich zu einem Zeitpunkt, zu dem es der Anklage und den Verteidigern gelegen ist.

Oberst Pokrowsky, falls dieser Zeuge, General Halder, sich in Nürnberg aufhält, dann müssen Sie ihn hierher kommen lassen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der Ihnen für Ihre Ausführungen paßt.

OBERST POKROWSKY: Wenn der Gerichtshof es erlaubt, werden wir feststellen, wo Halder sich befindet, und wenn er wirklich in Nürnberg ist, werden wir Maßnahmen ergreifen, damit er vor Gericht gebracht wird.

VORSITZENDER: Gut.

OBERST POKROWSKY: Wir müssen nunmehr eine andere allgemeine faschistische Lüge bloßlegen: Hitler verzerrte bewußt die Tatsachen. Es ist allgemein bekannt, daß die Sowjetunion alle Verpflichtungen auf sich genommen hatte, die aus der Haager Konvention folgen. Sogar im Strafrecht der Sowjetunion werden die Rechte der Kriegsgefangenen, und zwar im Einklang mit den Normen des Völkerrechts unter Schutz genommen. Wegen Verletzung dieser Rechte werden die Schuldigen strafrechtlich verfolgt.

Die von der Sowjetunion auf sich genommenen Verpflichtungen aus der Haager Konvention werden noch einmal in der Erklärung des Volkskommissars für die auswärtigen Angelegenheiten der USSR V. M. Molotow vom 27. April 1942 erwähnt. Sie wurden von mir soeben zitiert.

Nach dieser Feststellung fahre ich nun fort, die Aussagen Halders über den Vortrag Hitlers zu verlesen. Sie finden sie auf Seite 24 Ihres Dokumentenbuches.

»Weiter sagte er,« der Führer, »daß unter Bezugnahme des politischen Niveaus der russischen Truppen« – an dieser Stelle des Protokolls befinden sich mehrere Punkte – »mit einem Wort, sagte er, daß die sogenannten Kommissare nicht als Kriegsgefangene anzusehen wären.«

Ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß die politische Reife der Soldaten der Roten Armee beinahe jeden Kriegsgefangenen zum Kommissar oder zum Kommunisten stempelte. Deshalb erscheint im Protokoll die folgende Frage des Vernehmungsbeamten und die darauf bezügliche Antwort des Zeugen:

»Vernehmungsbeamter: Hat der Führer irgend etwas über die Befehle gesagt, die in Verbindung mit dieser Frage zu erlassen wären?

Zeuge: Das, was ich Ihnen eben sagte, war sein Befehl. Er sagte, er wünsche, daß diese Anweisung auch dann erfüllt würde, wenn in der Zukunft kein schriftlicher Befehl darüber käme.«

In Ihrem Dokumentenbuch finden Sie nach der Aussage Halders die des früheren stellvertretenden Chefs des Wehrmachtführungsstabes des OKW, General Warlimont, vom 12. November 1945. Er machte seine Aussagen unter Eid vor Oberstleutnant Hinkel, einem Angehörigen der amerikanischen Armee. Dieses Dokument stellt das Ergebnis der Arbeit unserer amerikanischen Kollegen dar, mit deren gütiger Erlaubnis ich dieses Dokument als USSR-263a vorlege.

Ich glaube, daß die Verteidigung noch einen Antrag stellen will, ich verlasse deshalb meinen Platz.

DR. NELTE: Herr Präsident, bezüglich des Generals Warlimont liegen dieselben Voraussetzungen und Gründe vor, die ich eben bezüglich des Generalobersten Halder vorgetragen habe. Auch General Warlimont befindet sich im hiesigen Zeugenhaus und steht Ihnen zur Vernehmung zur Verfügung. Bei der Bedeutung...

VORSITZENDER: Worin besteht augenblicklich Ihr Antrag?

DR. NELTE: Der Antrag besteht darin, die Verlesung der Urkunde, die der Herr Sowjetrussische Anklagevertreter eben beginnen wollte, nicht zuzulassen, sondern anzuordnen, daß der Zeuge Warlimont, der persönlich in Nürnberg anwesend ist, hier als Zeuge vernommen wird.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat eben verfügt, daß die schriftliche Vernehmung von General Halder jetzt benutzt werden kann, aber wenn sie benützt wird, und sie wird tatsächlich benützt, dann muß er zum Kreuzverhör für die Verteidigung zur Verfügung gestellt werden.

Was wünschen Sie jetzt noch?

DR. NELTE: Es handelt sich nicht um den Generaloberst Halder, sondern es handelt sich um den General Warlimont.

VORSITZENDER: Ich war der Ansicht, daß wir über General Warlimont schon die Verfügung getroffen haben, daß er vorgeladen werden muß. Ich glaube gestern oder vorgestern.

DR. NELTE: Das scheint dem Herrn Sowjetrussischen Anklagevertreter entgangen zu sein, denn sonst würde er nicht diese Urkunde verlesen, sondern den Herrn General Warlimont hierher bestellt haben.

VORSITZENDER: Ich glaube, es war die Verfügung des Gerichtshofs, daß der Anklagevertreter das Recht hat, das Vernehmungsprotokoll zu benutzen; aber in diesem Falle muß er den Zeugen für das Kreuzverhör zur Verfügung stellen. Aus diesem Grunde darf der Russische Anklagevertreter das Vernehmungsprotokoll wohl verlesen, und dann wird General Warlimont zum Kreuzverhör gebracht.

DR. NELTE: Wird er dies tun müssen oder steht es in seinem Belieben?

VORSITZENDER: Meiner Ansicht nach kann er das nach seinem eigenen Belieben tun. Wenn er will, dann kann er den Zeugen laden und das Vernehmungsprotokoll nicht verlesen.

Herr Dr. Nelte, die Lage ist so: Falls der Anklagevertreter beschließt, einen Zeugen vorzuladen und ihn dann vernimmt, dann steht der Zeuge der Verteidigung für das Kreuzverhör zur Verfügung. Wenn aber andererseits der Anklagevertreter das Vernehmungsprotokoll verwenden will, das er bereits in Händen hat, so kann er es tun; aber wenn sich der Zeuge in der Stadt Nürnberg oder in ihrer nächsten Umgebung befindet, dann muß er dennoch für das Kreuzverhör vor Gericht erscheinen. Es steht im Belieben des Anklagevertreters, ein bereits vorhandenes schriftliches Vernehmungsprotokoll zur Verlesung in das Protokoll zu bringen, oder einen Zeugen vorzuladen. In jedem Falle muß der Zeuge, wenn er hier ist, dem Kreuzverhör unterzogen werden.

DR. NELTE: Beide Zeugen, Generaloberst Halder und General Warlimont, sind in Nürnberg uns zur Verfügung. Ich bitte nur zu sagen, ob es im Belieben des Herrn Hauptanklagevertreters steht, zu welchem Zeitpunkt er ihn präsentieren will. Für uns liegt ein Interesse vor, das Kreuzverhör möglichst im Anschluß daran vorzunehmen, wenn der Herr Anklagevertreter die schriftliche Aussage verlesen hat.

VORSITZENDER: Ich war der Meinung, daß Sie diese Angelegenheit doch mit dem Anklagevertreter entscheiden könnten, nämlich, ob sie ihn unmittelbar nach der Verlesung seiner schriftlichen Aussage ins Kreuzverhör nehmen wollen oder nach einer kürzeren Unterbrechung. Falls ich die Vornahme des Kreuzverhörs unmittelbar nach der Verlesung des Vernehmungsprotokolls anordnete, so würde wahrscheinlich die Verteidigung sagen, sie benötige für die Formulierung der im Kreuzverhör zu stellenden Fragen einige Zeit. Aber Sie können diese Frage sicher mit Oberst Pokrowsky regeln.

DR. NELTE: Ich werde mit Herrn Oberst Pokrowsky diesbezüglich verhandeln. Danke.

OBERST POKROWSKY: Ich erlaube mir, dort fortzusetzen, wo ich aufgehört habe. Wir legen dem Gerichtshof unter USSR-263 (a) ein Dokument vor, und zwar eine Urkunde, die uns von dem Amerikanischen Anklagevertreter übergeben wurde und eine eidesstattliche Aussage des Generals Warlimont vor Oberstleutnant Hinkel darstellt. Ich möchte die Aussagen nicht ganz zitieren. In vielen Fällen wiederholt Warlimont das, was Halder gesagt hat. Wesentlich ist, daß er die zwei folgenden Tatsachen bestätigt:

Erstens, daß es Hitler war, der die Sitzung geleitet hat, von der wir aus den Aussagen Halders erfahren haben, und

zweitens, daß Hitler schon vor dem Krieg die Anweisung gab, Kriegsgefangene zu erschießen und Einsatzgruppen für diesen Zweck zu bilden, und daß der SD der Armee auf dem Fuße folgen sollte.

Warlimont bezeugt weiter, wobei der Hohe Gerichtshof die von mir zitierte Stelle auf Seite 26 des Dokumentenbuches findet, das Folgende:

»Er«, das heißt Hitler, »fügt dann hinzu, daß er nicht von seinen Offizieren erwarte, daß sie seine Befehle verstünden, aber er verlange, daß sie seinen Befehlen bedingungslos gehorchten.«

Wir haben eine weitere Aussage, und zwar die des Generalleutnants der deutschen Armee Kurt von Oesterreich, des früheren Kommandanten der Kriegsgefangenen des Danziger Wehrkreises. Er hat seine Aussagen persönlich vor Vertretern der Roten Armee am 29. Dezember 1945 abgegeben. Seine Aussage wurde als Dokument USSR-151 niedergelegt und ist in Ihrem Dokumentenbuch enthalten. Ich werde einige Auszüge verlesen:

»Meine Tätigkeit als Kommandeur der Kriegsgefangenen beim Stabe des Wehrkreises XX (Danzig) begann am 1. Februar 1941. Vordem war ich Regimentskommandeur der 207. Inf.-Division, die in Frankreich lag.

Etwa im März 1941 wurde ich nach Berlin berufen, wo eine geheime Besprechung im Hauptquartier des OKW stattfand. Die Besprechung führte der General leutnant Reinecke, der damals Chef des Amtes für Kriegsgefangenenwesen beim Hauptquartier war.

Dieser Besprechung haben über 20 Kommandeure der Kriegsgefangenen von verschiedenen Wehrkreisen und auch Offiziere vom Hauptquartier beigewohnt. Ich kann mich jetzt der Namen der Offiziere nicht entsinnen.

General Reinecke machte uns die streng geheime Mitteilung, daß Deutschland etwa im Sommer 1941 den Überfall auf die Sowjetunion machen werde und daß dementsprechend das OKW die nötigen Maßnahmen getroffen habe, darunter auch die Vorbereitung von Lagern für russische Kriegsgefangene, die mit Beginn der Kriegshandlungen eingeliefert werden würden.«

Ich lasse drei Absätze aus und verlese einige wichtige Einzelheiten:

»Dabei hatte er uns angewiesen, daß, wenn es an Ort und Stelle nicht gelingen würde, mit den Barackenlagern zur festgesetzten Frist fertig zu werden, Kriegsgefangenenlager für russische Kriegsgefangene einfach unter freiem Himmel durch Absperrung mit Stacheldrahtzäunen errichtet werden müßten.

Weiter gab mir General Reinecke die Anweisung, über die Behandlung russischer Kriegsgefangener, daß bei einem Fluchtversuch eines Kriegsgefangenen die Erschießung Ohne Warnzeichen vorgesehen wäre.«

Ich glaube, daß ich zwei größere Absätze aus Zeitersparnis auslassen kann. Ich gehe zur Seite 28 Ihres Dokumentenbuches über:

»Nach einiger Zeit habe ich vom Hauptquartier des OKW einen schriftlichen Befehl erhalten, der den oben erwähnten Befehl von General Reinecke bezüglich der Erschießung bei Fluchtversuchen bestätigt. Mit welchem Namen dieser Befehl unterschrieben war, erinnere ich mich jetzt nicht mehr.«

Der Zeuge berichtet ferner, daß er entweder Ende 1941 oder Anfang 1942 vom Chef des Amtes für Kriegsgefangenenwesen zu einer Sitzung nach Berlin gerufen wurde, die unter der Leitung des Generals von Grävenitz stattfand. Es wurde besprochen, was mit jenen russischen Kriegsgefangenen geschehen sollte, die infolge Verwundung, Entkräftung oder Krankheit arbeitsunfähig waren.

Ich möchte aus dem Dokumentenbuch einige Sätze von Seite 29 zitieren:

»Auf Vorschlag des Generals von Grävenitz äußerten sich zu dieser Frage mehrere anwesende Offiziere, darunter Ärzte, die erklärten, daß man solche Kriegsgefangene im Lager oder im Lazarett konzentrieren und sie vergiften sollte.

An Hand der Besprechung erteilte General von Grävenitz den Befehl, die lebens- und arbeitsunfähigen Kriegsgefangenen zu töten und zu diesem Zwecke den medizinischen Personalbestand zu verwenden.«

Der Zeuge behauptet, daß er bei seiner Ankunft in der Ukraine, wohin er sich im Sommer 1942 dienstlich begab, erfuhr, daß dort, wie er sagte, diese Behauptung befindet sich gleichfalls auf Seite 29,

»die Methoden der Vergiftung der russischen Kriegsge fangenen bereits vorgenommen wurden«.

Der Zeuge zitiert sodann konkrete Zahlen und konkrete Tatsachen, die mit diesem Verbrechen im Zusammenhang stehen. Meines Erachtens ist es wichtig, auf einen diesbezüglichen Hinweis aufmerksam zu machen, der auf der vierten Seite des russischen Textes steht, Absatz 3 von oben, Seite 29 Ihres Dokumentenbuches:

»Während meines Aufenthaltes in der Ukraine erhielt ich aus dem Hauptquartier einen streng geheimen Befehl – durch Himmler unterschrieben – darüber, daß ab August 1942 die russischen Kriegsgefangenen mit besonderen Zeichnungen tätowiert werden sollten.

Die russischen Kriegsgefangenen wurden in Lagern unter schweren Verhältnissen untergebracht, schlecht verpflegt, den moralischen Verhöhnungen ausgesetzt und starben an Erkältungen und Erkrankungen.«

Oesterreich nennt Tatsachen, die seine Aussagen bekräftigen. Die folgende Episode ist besonders aufschlußreich und charakteristisch. Ich zitiere den zweiten Absatz der fünften Seite, Seite 31 Ihres Dokumentenbuches:

»Anfang 1942, bei dem Transport russischer Kriegsgefangener aus der Ukraine nach Thorn sind ungefähr 75 Menschen gestorben, deren Leichen nicht fortgeschafft wurden und in den Waggons zusammen mit den Lebendigen blieben.... An 100 Kriegsgefangene, die diese Situation nicht aushielten und Fluchtversuche unternahmen, wurden auf der Stelle erschossen.«

Viele derartige und andere Fälle sind dem Zeugen bekannt. Er zählt sie auf, aber ich glaube nicht, daß es nötig ist, sie alle hier vor dem Gerichtshof anzuführen. Sie sind einander alle sehr ähnlich.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte weiter fortsetzen!

OBERST POKROWSKY: Ich dachte, daß die Mitglieder des Gerichtshofs eine Besprechung hatten deswegen habe ich unterbrochen. Ich danke Ihnen.

Oesterreich spricht auch über Anordnungen, die das Erschießen aller politischen Kommissare der Roten Armee, Kommunisten und Juden vorsahen. Eine derartige Anordnung hat praktisch den Weg zur Vernichtung jedes sowjetischen Kriegsgefangenen freigemacht, unter dem Vorwand, daß er unter dem Verdacht der Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei stand, oder falls er wie ein Jude aussah.

Um die Aussagen von General Oesterreich abzurunden, ist es notwendig, noch einen Satz aus dem, wie es mir scheint, bereits erwähnten Befehl von Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall von Reichenau über das »Verhalten der Truppe im Ostraum« zu verlesen. Die Stelle finden Sie auf Seite 33 des Dokumentenbuches.

»Das Verpflegen von Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen ist eine ebenso mißverstandene Menschlichkeit...«

Ich lege dem Gerichtshof die Urkunde, die den abscheulichen Befehl von Hitlers Feldmarschall enthält, vor und bitte Sie, sie als Beweis zuzulassen. Das Dokument ist als USSR-12 registriert.

Drei bedeutende Offiziere Hitlers haben bestätigt, daß bereits bei Beginn des Krieges auf einer besonderen Besprechung...

VORSITZENDER: Könnten Sie uns sagen, ob dieser Befehl von Feldmarschall von Reichenau stammt? Von ihm selbst?

OBERST POKROWSKY: Der Befehl ist von Generalfeldmarschall von Reichenau unterschrieben.

VORSITZENDER: Handelt es sich um ein erbeutetes Dokument? Oder um was?

OBERST POKROWSKY: Dieses Dokument wurde von der Roten Armee erbeutet, es befand sich unter den erbeuteten Dokumenten.

VORSITZENDER: Von der russischen Armee?

OBERST POKROWSKY: Von der russischen Armee, jawohl.

VORSITZENDER: Danke schön.

OBERST POKROWSKY: Drei bedeutende Offiziere Hitlers haben bestätigt, daß bereits bei Beginn des Krieges die Frage der Vernichtung von sowjetischen Kriegsgefangenen in einer Sonderbesprechung geregelt wurde. Die Zeugen weichen in Kleinigkeiten voneinander ab, aber die Tatsache als solche ist ganz eindeutig festgestellt.

Der Satz, den ich aus dem Befehl des Feldmarschalls Reichenau zitiere, bestätigt auch, daß selbst die Lebensmittelversorgung für die Soldaten der Roten Armee, die von den Deutschen gefangengenommen wurden, als unnötige Humanität betrachtet wurde.

Es ist vielleicht zweckmäßig, Ihnen Dokument Nummer 884-PS, USSR-351, vorzulegen. Es trägt die Unterschrift von Warlimont und eine Nachschrift des Angeklagten Jodl. Das Dokument wurde im Führerhauptquartier am 12. Mai 1941 verfaßt. Es erklärt, daß das

»OKH einen Entwurf für Richtlinien betreffend Behandlung politischer Hoheitsträger usw. vorgelegt hat«.

Diese Stelle befindet sich auf Seite 35 des Dokumentenbuches, ebenso wie die zwei anderen Stellen, die ich zu zitieren beabsichtige.

Der Entwurf sah die »Beseitigung« von Personen dieser Kategorie vor. Die Entscheidung über die Frage, ob ein Kriegsgefangener unter die Gruppe falle, die beseitigt werden müsse, oblag dem Offizier. Das Dokument erklärt, »ein Offizier mit Disziplinarstrafgewalt«.

Auf diese Weise erhielt jeder untergeordnete Offizier das Recht über Leben und Tod jedes Angehörigen der Roten Armee, der gefangengenommen wurde, und zwar ohne Rücksicht auf seine Dienststellung oder seinen Rang.

Punkt 3 dieses Dokuments erklärt:

»Politische Leiter in der Truppe werden nicht als Gefangene anerkannt und sind spätestens in den Dulags zu erledigen. Kein Abschieben nach rückwärts.«

Der Angeklagte Jodl fügte die für ihn charakteristische Nachschrift hinzu, die sich auf Seite 37 des Dokumentenbuches befindet:

»Mit der Vergeltung gegen deutsche Flieger müssen wir rechnen. Man zieht daher die ganze Aktion am besten als Vergeltung auf.«

Die Aussage des Generals Oesterreich über das Bestehen eines Befehls zur Tätowierung russischer Kriegsgefangener wird voll bestätigt.

Ich lege dem Gerichtshof als Dokument USSR-15 den Befehl des Kommandanten der Gendarmerie bei dem Reichsstatthalter in der Steiermark Nummer 14-802/42 vor. In dem Befehl wird gesagt, daß es sich hier um die Verlautbarung eines Erlasses des Chefs der Ordnungspolizei handelt. Der erste Abschnitt dieses Befehls des Chefs der Ordnungspolizei lautet, die von mir zitierte Stelle befindet sich auf Seite 38 des Dokumentenbuches:

»1. Die sowj. Kgf. sind durch ein besonderes und dau erhaftes Merkmal zu kennzeichnen.

2. Das Merkmal besteht in einem nach unten geöffneten spitzen Winkel von etwa 45° und 1 cm Schenkellänge auf der linken Gesäßhälfte, etwa handbreit von der Afterspalte entfernt. Es ist mit Lanzetten, wie sie bei jeder Truppe vorhanden sind, auszuführen. Als Farbstoff ist chinesische Tusche zu verwenden.«

Der dritte Absatz unterstreicht besonders, daß »die Kennzeichnung keine ärztliche Maßnahme« ist.

In Absatz 5 wird erwähnt, daß alle sowjetischen Kriegsgefangenen gekennzeichnet werden müssen, einschließlich aller in der Zukunft neuanfallenden sowjetrussischen Kriegsgefangenen in den Bereichen der Wehrmachtbefehlshaber Ostland und Ukraine und des Militärbefehlshabers im Generalgouvernement sowie bei allen übrigen Kriegsgefangenen im OKW- Bereich, und zwar bis zum 30. September 1942.

Die gleiche Weisung wurde auch an die Präsidenten der Arbeitsämter und an die Reichsbeauftragten für den Arbeitseinsatz geschickt.

In Dokument 1191-PS, das sich auf Seite 40 des Dokumentenbuches befindet, wird erklärt, daß die Befehle des OKW vom 10. Juli 1942 zur Kenntnis der Präsidenten der Arbeitsämter und der Reichsbeauftragten für den Arbeitseinsatz gebracht werden.

Unsere Dokumente USSR-121, 122, 123, Auszüge aus Befehlen deutscher Militärbehörden, wie zum Beispiel deutscher Regiments- und Divisions-Kommandeure, bestätigen, daß die Kriegsgefangenen »um deutsches Blut zu sparen«, gezwungen wurden, Minenfelder zu säubern und lebensgefährliche Arbeiten durchzuführen. Befehl Nummer 16641 der 60. deutschen Infanterie-Division sagt, um die den sowjetischen Soldaten zuteil werdende unmenschliche Behandlung zu erklären, folgendes:

»Die russischen Soldaten und Unteroffiziere sind im Kampf sehr tapfer, sogar eine kleine Truppe geht immer zum Angriff vor. Deshalb darf kein menschliches Verhalten zu den Gefangenen gestattet werden.«

Dieses Zitat befindet sich auf Seite 44 des Dokumentenbuches.

VORSITZENDER: Dies oder etwas ganz Ähnliches haben wir doch schon gehört, nicht wahr?

OBERST POKROWSKY: Sie haben recht, Herr Präsident. Ich habe diese Stelle als Auszug aus der Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Molotow, bereits früher zitiert. Nunmehr erwähnte ich sie als ein besonderes deutsches Dokument, das ein in der Geschichte noch nicht dagewesener Fall zu sein scheint. Statt einen Feind für seinen Heldenmut zu achten, wird diese Tapferkeit damit beantwortet, daß die höheren Offiziere der Hitler-Armee ihre Untergebenen anweisen, ihre Feinde mitleidlos und unmenschlich zu behandeln.

In dem Dokument, das Ihnen als 3257-PS, USSR- 352, vorgelegt wurde, finden Sie einen Satz, der sich auf diesen Gegenstand bezieht und der dem Gerichtshof bereits verlesen wurde. Dokument 3257-PS ist ein Geheimbericht des Rüstungsinspekteurs in der Ukraine an den Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im OKW vom 2. Oktober 1943. Die von mir zitierte Stelle befindet sich am Schluß von Seite 45 und zu Beginn der Seite 46 Ihres Dokumentenbuches:

»Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung und Gesundheitszustand der Kriegsgefangenen ist schlecht, die Sterblichkeit sehr groß. Mit dem Abgang vieler Zehn-, ja Hunderttausende in diesem Winter ist zu rechnen.«

Weiterhin lege ich Ihnen noch ein Dokument vor, und zwar Dokument D-339, USSR-350. Der Oberlager- und Betriebsarzt Jäger hat nach einer Inspektion des Lagers in der Näggerathstraße in einem streng vertraulichen medizinischen Bericht vom 2. September 1944 die Sanitätsabteilung der Zentralverwaltung der Lager wie folgt unterrichtet. Sie finden die zitierte Stelle auf Seite 47 des Dokumentenbuches:

»Das Kriegsgefangenenlager in der Näggerathstraße befindet sich in einem schauderhaften Zustand. Die Leute wohnen in Aschenbehältern, Hundeställen, alten Backöfen und selbstgefertigten Hütten. Die Verpflegung war nur gerade ausreichend. Für Unterbringung und Verpflegung zeichnet Krupp verantwortlich. Die Belieferung mit Medikamenten und Verbandstoffen war so außerordentlich schlecht, daß eine geordnete ärztliche Behandlung in vielen Fällen überhaupt nicht möglich war. Diese Tatsache geht zu Lasten Stalag.«

In den Akten des Angeklagten Rosenberg wurde unter anderen Dokumenten ein Schriftstück gefunden, das die Nummer 081-PS, USSR-353, erhielt. Wenn wir es richtig verstehen, so ist es ein Brief von Rosenberg an Keitel vom 28. Februar 1942 über die Frage der Kriegsgefangenen. Das Exemplar, das in den Akten Rosenbergs gefunden wurde, trägt keine Unterschrift. Es kann jedoch kein Zweifel darüber bestehen, daß ein derartiger Brief entweder an Keitel gesandt, oder vorbereitet wurde, um an den Chef der Wehrmacht gesandt zu werden.

Der Brief erklärt, daß das Schicksal der russischen Kriegsgefangenen in Deutschland eine Tragödie größten Ausmaßes geworden ist.

Ich werde nun den zweiten Absatz des fünften Abschnitts des russischen Textes in das Protokoll verlesen, den Sie auf Seite 48 des Dokumentenbuches finden werden.

»Von 3600000...«

VORSITZENDER: Ich glaube, daß der amerikanische Anklagevertreter dieses Schreiben schon verlesen hat. Nicht wahr?

OBERST POKROWSKY: Ja, es ist ein Dokument, das bereits teilweise verlesen wurde, doch bitte ich, es wegen seiner Wichtigkeit für meine weiteren Darlegungen als ein kleines Zitat nochmals verlesen zu dürfen. Es wird buchstäblich anderthalb Minuten in Anspruch nehmen.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, wir haben andere Anklagevertreter daran gehindert, Dokumente, die bereits verlesen wurden, nochmals zu verlesen. Wir sind nach dem Statut verpflichtet, den Prozeß beschleunigt durchzuführen, und ich kann wirklich nicht einsehen, wie der Prozeß schnell durchgeführt werden kann, wenn Dokumente mehr als einmal verlesen werden.

OBERST POKROWSKY: Dieses dem Gerichtshof bereits bekannte Dokument enthüllt ein genügend klares Bild über das, was sich in dem Lager ereignete. Der Verfasser dieses Schreibens sagt, daß von seiten der Bevölkerung Versuche unternommen wurden, den Gefangenen Lebensmittel zukommen zu lassen, daß aber in der Mehrzahl der Fälle diese Versuche auf den energischen Widerstand der Lagerkommandanten gestoßen seien.

Es besteht kein Grund, den Verfasser dieses Schreibens zu verdächtigen, daß er bewußt übertrieben oder Sympathien für das russische Volk gehabt hätte. Im Gegenteil, es besteht aller Grund für die Behauptung, daß er nicht volles Licht auf die Angelegenheit geworfen hat. Dieses Dokument, das von einem Angeklagten an den anderen gerichtet ist, gibt uns die Möglichkeit, uns die Ereignisse vorzustellen, die sich in denjenigen Lagern zutrugen, die den sowjetischen Kriegsgefangenen zugewiesen waren.

Ich habe damit begonnen, Ihnen Dokumente deutschen Ursprungs mit einem ganz bestimmten Ziele vorzutragen. Nachdem Sie über die Haltung der Hitleristen gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen unterrichtet wurden, und nachdem Sie, wenn auch nur kurz, erfahren haben, wie die Lager für die sowjetischen Kriegsgefangenen beschaffen waren, und zwar mit den Worten der Hitleristen selbst, wird es Ihnen leichter sein, die Beweiskraft des Materials zu würdigen, das nichtdeutscher Herkunft ist. Ich höre hier auf, weil es mir scheint, als ob der Gerichtshof sich jetzt vertagen will.

VORSITZENDER: Dies dürfte vielleicht ein günstiger Zeitpunkt für die Vertagung sein.