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OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Mit Ihrer Zustimmung, Herr Vorsitzender, will ich auf Wunsch des Gerichtshofs einige Beweisstücke auslassen. Da diese Stellen, die ich auslassen werde, umfangreich sind, werde ich den Dolmetschern jedesmal die Anzahl der übersprungenen Seiten angeben. Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit auf ein Dokument zu richten, das von dem ungeheuren Ausmaß der Vernichtung von Sowjetbürgern während der Zeit der Besetzung der USSR zeugt. Zum Beweis dafür berufe ich mich auf ein Dokument, das die Herren Richter auf Seite 291 des Dokumentenbuches finden werden, am Ende des letzten Absatzes, auf der ersten und zweiten Spalte des Textes. Es ist ein Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Zerstörungen, Plünderungen und Greueltaten der deutsch-faschistischen Eindringlinge in der Stadt Rowno und Umgebung. Ich lege dieses Dokument als USSR-45 vor.

Ich zitiere das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Sachverständigen über die Leichen friedlicher Sowjetbürger, die von den Deutschen ermordet und deren Leichen später exhumiert worden sind:

»1. An allen untersuchten Begräbnisplätzen in der Stadt Rowno und ihrer Umgebung, wurden die Leichen von mehr als 102000 von den Deutschen erschossener und sonst ermordeter friedlicher Sowjetbürger und Kriegsgefangener gefunden. Hiervon wurden

a) in der Stadt Rowno, in der Nähe des Holzlagerplatzes in der Belayastraße: 49000,

b) in der Stadt Rowno, in den Gemüsegärten in der Belayastraße: 32500,

c) im Dorfe Sossenki: 17500,

d) in den Steinbrüchen in der Nähe des Dorfes Vydumka: 3000,

e) auf den zum Rownoer Gefängnis gehörigen Grundstücken 500 Leichen gefunden.«

Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit auf die im folgenden Text enthaltenen Hinweise auf die verschiedenen Ermordungsmethoden zu richten, die von den Verbrechern in den einzelnen Zeitabschnitten angewandt wurden:

»Die Massenerschießungen wurden, wie aus den Punkten a), b) und c) ersichtlich ist, im Jahre 1941 vorgenommen. Die Ermordung friedlicher Bürger durch Kohlenoxydvergiftung in Gaswagen fand, wie aus Punkt d) ersichtlich ist, im Jahre 1943 statt. Die Erschießungen mit nachfolgender Verbrennung der Leichen fanden ebenfalls im Jahre 1943 statt, und die Erschießungen in Gefängnissen im Jahre 1944.«

Ich lasse die nächsten eineinhalb Seiten aus und bitte den Gerichtshof, sein Augenmerk auf eine Stelle im gleichen Dokument zu lenken, die auf Seite 240 in der zweiten Spalte des Textes zu finden ist und von regelmäßigen Vernichtungen der Gefangenen im Rownoer Gefängnis handelt.

Ich will mich damit länger befassen, weil diese Methoden der Vernichtung von Sowjetbürgern charakteristisch für die Gewaltherrschaft waren, die die Hitlerschen Eindringlinge während der Besetzung in dem Gebiete der Sowjetunion errichtet haben.

Ich zitiere auf Seite 240 des Dokumentenbuches:

»Am 18. März 1943 hat die von den deutschen Besatzungstruppen herausgegebene Zeitung ›Wolhyn‹ folgende Notiz veröffentlicht:

Am 8. März 1943 unternahmen Insassen des Gefängnisses von Rowno einen Fluchtversuch, wobei sie einen deutschen Beamten und einen Wachposten töteten. Die Flucht wurde durch das energische Eingreifen der Gefängniswärter vereitelt. Auf Befehl des Kommandanten der Deutschen Schutzpolizei und des Sicherheitsdienstes wurden alle Gefängnisinsassen am selben Tage erschossen.

Im November 1943 wurde der deutsche Bezirksrichter von einem unbekannten Täter ermordet. Als Vergeltung dafür wurden über 350 Insassen des Gefängnisses von Rowno durch die Hitleristen erschossen.«

Ich werde keine weiteren Beispiele über die Erschießung von Gefängnisinsassen anführen; die verehrten Richter werden in den Filmen, die ihnen vorgeführt werden, eine ganze Reihe ähnlicher Verbrechen sehen, die die Hitlerschen Eindringlinge in dem Gebiet der USSR begingen.

Ich gehe nun zum nächsten Teil meines Vortrags über: Die Vernichtung der Dorfbevölkerung als Vergeltungsmaßnahme.

»In der endlosen Reihe der Greueltaten der deutschen Faschisten sind solche, die lange, vielleicht sogar immer im Gedächtnis der empörten Menschheit bleiben werden, obwohl sie später von noch schwereren Verbrechen dieser Nazis gehört hat. Zu diesen unvergeßlichen Verbrechen der Nazis gehört die Vernichtung des kleinen Dorfes Lidice in der Tschechoslowakei und die bestialische Vergeltung gegen die Bevölkerung dieses Dorfes.

Viele Male, und in sogar noch grausamerer Form, hat sich das Schicksal von Lidice auf dem Gebiete der Sowjetunion, Jugoslawiens und Polens wiederholt. Aber die Welt kennt Lidice und wird es nie vergessen. Dieses kleine Dorf wurde zum Symbol der Nazi-Verbrechen.

Die Vernichtung von Lidice wurde von den Nazis als Vergeltung für die gerechte Tötung des Protektors von Böhmen und Mähren, Heydrich, durch tschechische Patrioten, durchgeführt.«

Der Hauptanklagevertreter der USSR brachte, als er über Lidice sprach, einen amtlichen Bericht über diesen Terrorakt der Deutschen aus der deutschen Zeitung »Der neue Tag« vom 11. Juni 1942.

Ich will ganz kurze Auszüge aus dem tschechischen Regierungsbericht bringen, die der Gerichtshof auf Seite 172 des Dokumentenbuches finden wird.

»Am 9. Juni 1942 wurde das Dorf Lidice auf Befehl der Gestapo von Soldaten umstellt, die auf 10 großen Lastkraftwagen aus Slany eingetroffen waren. Jeder konnte in das Dorf hineingehen, aber niemand wurde herausgelassen. Ein zwölfjähriger Junge versuchte fortzulaufen. Er wurde von einem Soldaten sofort erschossen. Eine Frau versuchte zu entkommen, eine Kugel in den Rücken setzte ihrer Flucht ein Ende. Nach der Ernte wurde ihr Leichnam in den Feldern gefunden.

Die Gestapo trieb Frauen und Kinder in die Schule. Der 10. Juni war der letzte Tag für Lidice und seine Bewohner. Die Männer waren schon im Keller, auf der Tenne und im Pferdestall der Familie Horak eingesperrt. Sie sahen ihr Schicksal kommen und erwarteten es mit Fassung. Der 73 jährige Priester Stembeck stärkte sie mit den Worten Gottes.«

Ich lasse die folgenden zwei Absätze aus und fahre fort:

»Aus dem Horakhof wurden je 10 Männer in den Garten geführt und erschossen. Dieser Massenmord währte vom frühen Morgen bis 4.00 Uhr nachmittags. Später ließen sich die Mörder mit den Leichen am Ort der Vollstreckung photographieren.«

Ich lasse die nächsten vier Absätze aus und gehe zum Schicksal der Bevölkerung von Lidice über:

»Das Schicksal der männlichen Bevölkerung von Lidice ist beschrieben worden. 172 Männer und Jünglinge von 16 Jahren aufwärts sind am 10. Juni 1942 erschossen worden. 19 Männer, die am 9. und 10. Juni in den Kohlengruben bei Kladno gearbeitet hatten, wurden später in den Bergwerken oder in den nahegelegenen Wäldern verhaftet, nach Prag gebracht und erschossen.

Auch 7 Frauen von Lidice wurden in Prag erschossen, die restlichen 195 Frauen wurden in das Konzentrationslager nach Ravensbrück transportiert. 42 starben infolge von Mißhandlungen, 7 wurden vergast, 3 werden vermißt. 4 Frauen wurden von Lidice in ein Entbindungsheim nach Prag gebracht, die neugeborenen Kinder wurden getötet, die Mütter nach Ravensbrück geschickt. Die Kinder von Lidice wurden einige Tage nach der Vernichtung des Dorfes von ihren Müttern getrennt. 90 Kinder wurden nach Lodz in Polen gesandt und von dort weiter in das Konzentrationslager ›Gneisenau‹ ins sogenannte ›Wartheland‹ verbracht. Bisher sind die Spuren der Kinder noch nicht entdeckt worden. Sieben der Jüngsten, unter einem Jahr, wurden in ein deutsches Kinderspital nach Prag gebracht, und nach einer Untersuchung durch sogenannte ›Rassenforscher‹ nach Deutschland gesandt. Sie sollten als Deutsche erzogen werden und deutsche Namen erhalten. Jede Spur von ihnen ist verloren gegangen.

Zwei oder drei Kinder wurden im Ravensbrücker Konzentrationslager geboren. Sie wurden sofort nach ihrer Geburt getötet.«

Viele Sowjetdörfer haben dasselbe Schicksal wie Lidice erlitten. Viele friedliche Bewohner dieser Dörfer sind nach noch schwereren Leiden zugrunde gegangen, sie wurden bei lebendigem Leibe verbrannt oder Opfer noch anderer qualvoller Hinrichtungen. Ich habe die Anzahl der Beispiele, die ich zum Beweise vorbringen wollte, wesentlich verringert und lasse daher die nächste Seite aus. Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit auf den Text zu lenken, den er auf Seite 295 im Dokumentenbuch finden wird. Dies ist der von meinem Kollegen, Oberst Pokrowsky, schon früher vorgelegte Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Verbrechen der Hitler-Eindringlinge in der Litauischen sozialistischen Sowjetrepublik.

Ich zitiere daraus nur einen Absatz:

»Am 3. Juni 1944 brachen die Hitleristen in das Dorf Pertschjupa im Trakaiski-Distrikt ein. Sie umzingelten das Dorf und plünderten es vollkommen aus. Danach trieben sie alle Männer in ein großes Haus, die Frauen und Kinder In drei andere Häuser, und setzten diese Gebäude in Brand. Diejenigen, die zu flüchten versuchten, wurden von den faschistischen Mördern eingefangen und wieder in die brennenden Häuser geworfen. So wurde die ganze Bevölkerung des Dorfes, 119 Menschen, unter ihnen 21 Männer, 29 Frauen« – und ich betone besonders die letzte Zahl – »69 Kinder verbrannt.«

Ich bitte den Gerichtshof, nun auf ein anderes Dokument überzugehen, das ich als USSR-279 vorlege. Es ist ein Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Greueltaten der deutsch-faschistischen Eindringlinge in den Städten Wjasma, Gschazk und Sytschew, im Ostgebiet von Smolensk und in der Stadt Rschew, im Bezirk Kalinin.

Ich hätte gern mehr aus diesem Bericht verlesen, beschränke mich jedoch nur auf wenige Stellen, um wiederum Zeit zu sparen und Einzelheiten zu vermeiden.

Ich lasse zwei Seiten aus dem Text aus und gehe auf Seite 145 meines Textes über. Ich zitiere den sechsten Absatz:

»Im Dorf Sajtschiki haben die Gestapoleute den 61 jährigen Michael Saikow, den 69 jährigen Nikifor Beljakow, die 70 jährige Katharina Begorowa, die 70 Jahre alte Katharina Golubjewa, den 5 Jahre alten Igor Dadonow, die 7 jährige Mira Sernowa und viele andere, insgesamt 23 Menschen, in ein Haus getrieben und das Haus in Brand gesteckt, und alle, die sich dort befanden, wurden bei lebendigem Leibe verbrannt.«

Ich lasse wieder zwei Absätze aus und verlese noch einen Absatz:

»Bei dem Rückzug der Deutschen aus dem Dorf Gratschewo im Bezirk Gschazk, im März 1943, hat der stellvertretende Chef der deutschen Feldgendarmerie, Leutnant Boß, 200 Einwohner in das Haus der Bäuerin Tschistjakova,«- es sind noch weitere Namen von Dörfern angegeben worden – »getrieben, die Türe ver schlossen und das Haus angesteckt. Alle 200 Menschen sind verbrannt.«

Ich will die Namen der Getöteten nicht alle aufzählen, nur bitte ich den Gerichtshof zu bedenken, daß darunter Leute im Alter von 63 und 70 Jahren und Kinder von 3, 4 und 5 Jahren waren.

Ich lasse wieder zwei Absätze aus und zitiere noch eine Stelle:

»In den Dörfern Kulikowo und Kolesniki, im Bezirk Gschazk, haben die Faschisten alle Bewohner, jung und alt, in einem Bauernhaus verbrannt.«

Hiermit beende ich die Verlesung dieses Dokuments. Dann möchte ich noch ein weiteres deutsches Dokument hinzufügen, das ich als USSR-119 vorlege. Es ist dies eine beglaubigte Photokopie der Berichte der 15. Gendarmerie-Abteilung. Unter diesen Dokumenten finden wir eine Zusammenfassung über die Strafexpedition im Dorfe Borysowka vom 22. bis 26. September 1942.

Der Gerichtshof findet dieses Dokument auf Seite 309 des Dokumentenbuches.

Ich zitiere einen kurzen Auszug aus diesem Dokument, in dem ohne Zweifel festgestellt wird, daß unter dem Vorwand eines Kampfes gegen die Partisanen die Hitler-Verbrecher die friedliche Bevölkerung der sowjetischen Dörfer mitleidlos vernichtet haben.

Ich zitiere den ersten Teil des Dokuments nach der Überschrift:

»1. Auftrag: Der bandenverseuchte Ort Borysowka ist durch die 9. Kompanie zu vernichten.

2. Kräfte: 2 Züge der 9. Polizei-Abt. 15, 1 Gendarmeriezug (mot. 16) und ein Pakzug von Berezy-Kartuska.«

Ich möchte hier unterstreichen, meine Herren Richter, daß sich bei Expeditionskräften eine Panzerabteilung aus Berezy-Kartuska befand. Gegen wen wurden wohl Panzerkräfte, zwei Züge Gendarmerie angewandt? Die Antwort darauf finden wir im folgenden Abschnitt dieses Berichts:

»3. Ausführung: Die Kompanie sammelte am 22. September 1942 abends in Dywin. In der Nacht vom 22. auf 23. September 1942 erfolgte der Marsch von Dywin in Richtung Borysowka. Mit zwei Zügen wurde bis 4.00 Uhr früh das Dorf, von Norden und Süden umfassend, abgeriegelt. Mit Anbruch des Tages wurden durch den Dorfschulzen von Borysowka die gesamte Bevölkerung des Dorfes zusammengeholt. Nach Überprüfung der Bevölkerung, unter Hinzuziehung der Sicherheitspolizei aus Dywin, wurden 5 Familien nach Dywin umgesiedelt. Der Rest wurde durch ein besonders eingeteiltes Kommando erschossen und 500 Meter nordostwärts Borysowka begraben. Es wurden insgesamt 169 Personen erschossen, darunter 49 Männer, 97 Frauen und 23 Kinder.«

Ich glaube, daß die Ziffern so anschaulich sind, daß ich damit die Verlesung des Dokuments beenden kann. Ich lasse zwei Seiten des Textes aus und gehe zum nächsten Teil meines Vertrags über.

Ich bitte den Gerichtshof, Seite 316 des Dokumentenbuches vorzunehmen, wo sich der Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Zerstörungen der deutsch-faschistischen Eindringlinge im Gebiet Stalinsk befindet.

Bisher habe ich Beweise dafür angeführt, daß die deutschen faschistischen Eindringlinge die Sowietbevölkerung der Dörfer ausrotteten, indem sie sie bei lebendigem Leibe verbrannte. In diesem Bericht finden wir eine Bestätigung dafür, daß auch in den Städten die Menschen lebend verbrannt wurden. Dieser Bericht wurde dem Gerichtshof unter USSR-2 vorgelegt. Ich zitiere einen Absatz auf Seite 316 des Dokumentenbuches:

»In der Stadt Stalino haben die deutschen Eindringlinge die Einwohner des Hauses, in dem Gelehrte wohnten, in den Stall getrieben, den Eingang verbarrikadiert, sodann den Stall mit Brennstoff begossen und in Brand gesteckt. Alle Leute, die sich im Stall befanden, sind verbrannt, mit Ausnahme von 2 Mädchen, die sich zufällig retten konnten.

Am 11. September 1943 hat eine Kommission« – ich übergehe den folgenden Teil, der die Zusammensetzung der Kommisson enthält – »... die Ausgrabung des verbrannten Stalles durchgeführt. Dabei wurden an der Brandstelle 41 verkohlte Leichen ans Tageslicht gebracht.«

Seit Beginn des Krieges gegen die USSR hat der deutsch-faschistische Terror gegen die friedliche Bevölkerung ungeheuerliche Formen angenommen. Das vermerkten sogar deutsche Offiziere, die am ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, in ihren Berichten, und sie unterstrichen, daß ihnen bei aller Grausamkeit des vorigen Krieges Derartiges niemals begegnete.

Ich verweise wieder auf ein deutsches Dokument, das ich dem Gerichtshof als USSR-293 vorlege. Es ist eine beglaubigte Photokopie eines Berichts des ehemaligen Befehlshabers des 528. Infanterie-Regiments, Major Rösler, und ein Bericht von Schirwindt, des Chefs des 9. Militärbezirks. Da das Dokument sehr interessant ist, möchte ich es vollständig verlesen. Die verehrten Herren Richter werden die Stelle auf Seite 319 des Dokumentenbuches finden. Ich zitiere:

»z. Zt. Kassel, den 3. 1. 1942. Major Rösler. Bericht:

Die mir vom Infanterie-Ersatz-Regiment 52 vorgelegte Angelegenheit ›Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung im Osten‹ gibt mir Veranlassung, das Folgende zu berichten:

Ende Juli 1941 befand sich das damals von mir geführte Infanterie-Regiment 528 auf dem Wege von Westen nach Shitomir, wo es eine Rastunterkunft beziehen sollte. Als ich mit meinem Stab am Nachmittag des betreffenden Ankunftstages mein Stabsquartier bezogen hatte, hörten wir aus nicht allzuweiter Entfernung in regelmäßigen Abständen Gewehrsalven, denen nach einiger Zeit Pistolenschüsse folgten. Ich beschloß, dieser Erscheinung nachzugehen und begab mich mit Adjutant und Ordonnanzoffizier (Oberleutnant von Bassewitz und Leutnant Müller-Brodmann) in Richtung des Gewehrfeuers auf die Suche. Wir bekamen bald den Eindruck, daß sich hier ein grausames Schauspiel abspielen müsse, denn nach einiger Zeit sahen wir zahlreiche Soldaten und Zivilpersonen einem vor uns liegenden Bahndamm zuströmen, hinter dem, wie man uns meldete, laufend Erschießungen vorgenommen wurden. Während der ganzen Zeit konnten wir über den Bahndamm zunächst nicht hinwegsehen, hörten jedoch immer nach einem gewissen Zeitraum den Ton einer Trillerpfeife und danach eine etwa 10-läufige Gewehrsalve, an die sich nach einiger Zeit Pistolenschüsse anreihten. Als wir schließlich den Bahndamm erklettert hatten, bot sich jenseits dieses Dammes ein Bild, dessen grausame Abscheulichkeit auf den unvorbereitet Herantretenden erschütternd und abschreckend wirkte. In die Erde war ein etwa 7-8 Meter langer, vielleicht 4 Meter breiter Graben eingezogen, dessen aufgeworfene Erde auf der einen Seite aufgeschichtet war. Diese Aufschichtung und die darunterliegende Grabenwand war vollständig mit Strömen von Blut besudelt. Die Grube selbst war mit zahlreichen, schwer abzuschätzenden menschlichen Leichen aller Art und jeden Geschlechts gefüllt, so daß ihre Tiefe nicht geschätzt werden konnte. Hinter dem aufgeschütteten Wall stand ein Kommando Polizei, das von einem Polizeioffizier befehligt wurde. Die Uniformen dieses Kommandos wiesen Blutspuren auf. In weitem Umkreis ringsherum standen unzählige Soldaten dort bereits liegender Truppenteile, teilweise in Badehosen, als Zuschauer, ebenso zahlreiche Zivilisten mit Frauen und Kindern. Ich habe mir daraufhin durch ganz dichtes Herantreten an den Graben ein Bild verschafft, das ich bis heute nicht vergessen konnte. Unter anderem lag in diesem Grab ein alter Mann mit einem weißen Vollbart, der über seinem linken Arm noch ein kleines Spazierstöckchen hängen hatte. Da dieser Mann noch durch seine stoßweise Atemtätigkeit Lebenszeichen von sich gab, ersuchte ich einen der Polizisten, ihn endgültig zu töten, worauf dieser mir mit lachender Miene sagte: ›Dem habe ich schon 7mal was in den Bauch gejagt, der krepiert schon von alleine.‹ Die in dem Grabe liegenden Erschossenen wurden nicht besonders zurechtgelegt, sondern blieben so, wie sie nach dem Schuß von der Grabenwand heruntergefallen waren. Sämtliche dieser Leute wurden durch Nackenschüsse erledigt und anschließend von oben her mit Pistolenschüssen abgefangen.

Ich habe durch meine Teilnahme am Weltkriege sowie dem französischen und russischen Feldzug dieses Krieges keineswegs eine übertriebene Verweichlichung meines Gemütes erfahren, habe auch durch meine Betätigung in den Freiwilligenformationen des Jahres 19 manches mehr als Unerfreuliche erlebt, ich kann mich jedoch nicht entsinnen, jemals einer solchen Szene, wie der geschilderten, beigewohnt zu haben.«

Ich lasse einen Absatz aus und fahre fort:

»Ich erwähne noch, daß nach Aussagen von Soldaten, die sich diese Hinrichtungen öfters ansahen, täglich mehrere Hunderte erschossen worden sein sollen. Gezeichnet: Rösler.«

Bezeichnend ist auch die Stellungnahme des stellvertretenden Befehlshabers des IX. Armeekorps und Chefs des 9. Militärbezirks, der den Bericht Röslers an den Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes in Berlin weiterleitete. Ich zitiere dieses Dokument. Der Gerichtshof wird es auf Seite 318 des Dokumentenbuches finden:

»Betrifft: Greueltaten gegenüber der Zivilbevölkerung im Osten.

Auf Grund umlaufender Berichte über Massenexekutionen in Rußland bin ich dem Ursprunge nachgegangen, da ich sie für weit übertrieben hielt.

Anliegend überreiche ich einen Bericht des Majors Rösler, der die Gerüchte in vollem Maße bestätigt.«

Charakteristisch ist auch der letzte Satz:

»Wenn solche Handlungen in dieser Öffentlichkeit stattfinden, wird es nicht zu vermeiden sein, daß sie in der Heimat bekannt und kritisiert werden. Unterschrift: Schirwindt.«

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Wissen Sie, wer der stellvertretende Befehlshaber des IX. Armeekorps und wer Kommandeur des IV. Wehrbezirks war, und wissen Sie, wer der Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes in Berlin war? Wissen Sie, ob auf diesen Bericht eine Antwort erfolgte?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich kann Ihnen hierauf erst in einiger Zeit antworten. Diese Fragen sind mir neu und müssen erst nachträglich aufgeklärt werden. Ich werde erst Nachforschungen darüber anstellen und dem Gerichtshof die Antwort sowie die diesbezüglichen Dokumente bald vorlegen.

Erlauben Sie mir zur Erleichterung der Vorlage der Beweise, zu den folgenden Teilen meines Berichts folgende zwei Alben, die von der Außerordentlichen staatlichen Kommission beglaubigt sind, vorzulegen. Diese werden auch jedem der Herren Richter vorgelegt werden, und außerdem bitte ich um die Erlaubnis, Photographien auf der Leinwand zu zeigen. Ich möchte dazu bemerken, daß ich diese Bilder nicht vom Gesichtspunkt der darauf dargestellten Greuel aus ausgesucht habe; die Herren Richter werden in unserem Dokumentenbuch noch schrecklichere Vorfälle finden, sondern mehr, weil alle diese Aufnahmen auf Grund ihres besonders typischen Charakters ausgewählt sind.

Bevor ich diese Photodokumente bringe, bitte ich um die Erlaubnis, noch ein deutsches Dokument vorlegen zu dürfen. Ich lege es als USSR-297 vor. Es ist die beglaubigte Photokopie eines Berichts des Chefs der Sicherheitspolizei und SD, worin er verbot, die Massenhinrichtungen, genannt Exekutionen, zu photographieren. Bemerkenswert ist, daß die meisten dieser von mir vorgelegten Photos, und eine Reihe anderer, von den Deutschen selbst aufgenommen worden sind. Diese Tatsache hat die Aufmerksamkeit der Polizeiobrigkeit auf sich gelenkt, und danach wurde es den deutsch-faschistischen Verbrechern verboten, Aufnahmen dieser Art zu machen. Ich zitiere einen sehr kurzen Auszug aus diesem Dokument: Der Gerichtshof wird die Stelle, die ich verlese, auf Seite 321 des Dokumentenbuches finden:

»Der Reichsführer-SS hat durch Befehl vom 12. November 1941, Tgb. Nr. I-1461/41 Ads., das Photographieren von Exekutionen verboten und angeordnet, daß, sofern derartige Aufnahmen aus dienstlichen Gründen erforderlich sind, das gesamte Aufnahmematerial archivmäßig zu sammeln ist.«

Ich lasse den nächsten Absatz aus und zitiere den dritten Absatz:

»Der Führer des Einsatz- oder Sonderkommandos, bzw. der Kompaniechef der Waffen-SS und des Zugführers der Kriegsberichter-Abteilung tragen die Verantwortung dafür, daß Platten, Filme und Abzüge nicht in der Hand des einzelnen Angehörigen der Einsatzdienststellen verbleiben.«

Den Rest des Dokuments verlese ich nicht, weil ich annehme, daß genügend Beweisstücke dafür vorgelegt worden sind, daß die Polizeibehörden über die zahlreichen Aufnahmen von Exekutionen und Massenhinrichtungen durch die deutsch-faschistischen Verbrecher beunruhigt waren, weil sie eine Bestätigung dieser Hinrichtungen darstellten.

Ich erlaube mir jetzt, diese Dokumente auf die Leinwand zu bringen, Sie gestatten es wohl, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Worauf warten Sie, Oberst Smirnow?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich dachte, daß das Licht ausgehen würde, doch es scheint, daß mir unbekannte technische Schwierigkeiten vorliegen. Ich kann deshalb mit der Vorführung der Aufnahmen nicht beginnen.

VORSITZENDER: Glauben Sie, daß Sie Ihren Vortrag fortsetzen und die Photographien nach der Mittagspause zeigen können? Wieviel Zeit wird die Vorführung der Bilder in Anspruch nehmen?

OBERJUSTIZBAT SMIRNOW: Ich stimme dem voll zu, Herr Vorsitzender. Ich bitte, zum zweiten Teil meines Vertrags übergehen zu dürfen. Er trägt die Überschrift: »Massenvernichtungen friedlicher Bürger Rußlands, Polens, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei durch die deutschen Faschisten«.

Die Massenvernichtung der friedlichen Bevölkerung der Sowjetunion und der osteuropäischen Länder wurde von den deutsch faschistischen Verbrechern überall ausgeführt, wie wir aus den amtlichen Befehlen und den Berichten über die Durchführung dieser Hinrichtungen ersehen können. Sie hatten dabei folgende Ziele im Auge:

1. Die physische Ausschaltung derjenigen Bevölkerungsschichten, die als eines Widerstandes fähig angesehen wurden.

2. Rassische Gründe, das heißt die Verwirklichung des Leitmotivs der menschenhassenden Rassentheorie.

3. Vergeltungsmaßnahmen.

4. Angeblicher Kampf gegen Freischärler, die die deutschen Faschisten nicht fangen und vernichten konnten und an deren Stelle sie mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die friedliche Bevölkerung vorgingen.

Die Hinrichtung von Kindern war eine besonders grausame Maßnahme im Hitlerschen Terrorsystem. Die Anwendung besonders qualvoller Mittel zur Ermordung von Kindern ist eine der grundlegendsten und widerwärtigsten Eigentümlichkeiten des Hitlerschen Terrorsystems in den zeitweilig besetzten Gebieten der Sowjetunion.

Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Faschisten begann Hermann Göring, Gesetze zu erlassen, die die Vivisektion verboten. Er schonte Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen, an denen man zum Wohle der Menschheit wissenschaftliche Experimente vornimmt. Zum Beweis dafür berufe ich mich auf das Buch Görings, betitelt »Reden und Aufsätze«, das im Jahre 1940 von Erich Gritzbach in München herausgegeben wurde; Beweisstück USSR- 377. Auf Seite 80 dieses Buches finden wir eine Rede Görings »Der Kampf gegen die Vivisektion«. Ich will keinen längeren Auszug aus diesem Buch zitieren, sondern nur einen einzigen Satz erwähnen, der bezeugt, daß aus seiner Liebe zu Tieren Hermann Göring das Recht herleitete, Menschen in Konzentrationslagern zu inhaftieren.

Auf der dem Gerichtshof bekannten SS-Gruppenführertagung in Posen führte Himmler aus; ich zitiere dies aus Dokument 1919-PS:

»Wir Deutschen sind die einzigen auf der Welt, die eine anständige Einstellung zum Tier haben...«

Aber diese Verbrecher, die so gefühlvoll über Tierquälereien sprachen, alle diese Menschen, von Himmler bis Keitel, befahlen ihren Untergebenen unausgesetzt eine unmenschliche und in ihrer Grausamkeit sinnlose Vernichtung von Kindern.

Bei der soeben erwähnten Tagung erwähnte Himmler auch das Folgende:

»Wenn mir einer kommt und sagt: ›Ich kann mit Kindern oder Frauen den Panzergraben nicht bauen. Das ist unmenschlich, denn dann sterben die daran‹ – dann muß ich sagen: ›Du bist ein Mörder an Deinem eigenen Blut!‹«

Durch zahlreiche Untersuchungen der deutsch-faschistischen Greueltaten in der Sowjetunion wurde zweifellos festgestellt, daß bei Massenerschießungen viele Kinder bei lebendigem Leibe in die Gruben geworfen wurden.

Zur Bekräftigung dessen möchte ich auf die amtlichen Dokumente verweisen:

»Die deutschen Verbrecher warfen Kinder lebendig in die Gruben.«

Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit auf ein Dokument zu lenken, das bereits von meinem Kollegen, Oberst Pokrowsky, als USSR-46 vorgelegt wurde. Es ist ein Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Verbrechen der deutsch- faschistischen Eindringlinge in der Stadt und in dem Bezirk von Orel. Der Gerichtshof findet diese Stelle auf Seite 334 des Dokumentenbuches, und zwar die letzten drei Zeilen auf der Seite, sodann auf der nächsten Seite 335.

Ich beginne das Zitat:

»Diejenigen, die in der Stadt erschossen wurden, wurden weggebracht und gewöhnlich in waldige Gegenden in Gräben geworfen. Im Gefängnis wurden Hinrichtungen in der folgenden Weise ausgeführt: Die Männer hatten in einer Linie, mit dem Gesicht der Mauer zugewandt, zu stehen und der ›Gendarm‹ gab aus seiner Pistole Schüsse in das Genick ab. Diese Schüsse verletzten lebenswichtige Stellen, so daß der Tod augenblick lich eintrat. Frauen wurden in den meisten Fällen mit dem Gesicht auf die Erde niedergelegt und der Gendarm schoß durch ihren Hinterkopf. Eine andere Methode bestand darin, daß man Gruppen in einen Graben trieb; alle waren gleich ausgerichtet. Sodann wurden sie ebenfalls von hinten durch den Kopf geschossen, und zwar mit automatischen Gewehren. In den Gräben wurden Kinderleichen aufgedeckt, die nach Berichten von Augenzeugen, bei lebendigem Leibe begraben worden waren.«

Weiterhin beziehe ich mich auf ein Dokument, das dem Gerichtshof als USSR-1 vorgelegt wurde. Es ist ein Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Verbrechen der deutsch-faschistischen, Besatzung im Bezirk von Stawropol. Ich zitiere eine Stelle auf Seite 271 des Dokumentenbuches, und zwar Abschnitt 3. Ich beginne:

»Bei der Besichtigung eines anderen Grabens, der in der Nähe des Kolzberges gelegen ist, und zwar 250 Meter von der Straße« – ich überspringe den nächsten Satz – »wurde ein 10 Meter hoher ausgespülter Erdaufwurf entdeckt, aus welchem einzelne Teile menschlicher Leichen hervorsahen. An dieser Stelle wurden in der Zeit vom 26. bis 29. Juli 1943 Ausgrabungen vorgenommen, denen zufolge 130 Leichen gefunden wurden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab folgendes: Die Leiche eines 4 Monate alten Mädchens wies keine Spuren eines gewaltsamen Todes auf. Das Kind wurde lebendig in den Graben geworfen und ist infolgedessen erstickt.«

Ich überspringe den nächsten Satz und zitiere aus dem nächsten Absatz:

»Die gerichtsmedizinische Untersuchung der Säuglingsleichen hat ergeben, daß sie sämtlich lebendig, zusammen mit den erschossenen Müttern, in den Graben geworfen worden waren. An allen übrigen Leichen wurden Folterspuren gefunden.«

Ich verweise nun noch auf das Urteil des Militärgerichts der vierten ukrainischen Front, das bereits als USSR-32 dem Gerichtshof vorgelegt wurde.

VORSITZENDER: Es wäre vielleicht besser, wenn wir jetzt unterbrechen würden.