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[Filmvorführung.]

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Kann ich nun weiteres Beweismaterial vorlegen?

VORSITZENDER: Ja!

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, um der Britischen Anklagevertretung die Möglichkeit zu geben, die Frage zu klären, wann die beiden Zeugen vorgeladen werden, möchte ich vorläufig zum nächsten Teil meines Vortrages übergehen. Ist es gestattet?

VORSITZENDER: Ja!

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich gehe jetzt zur Judenverfolgung auf Seite 37 des Textes über. Der extreme Antisemitismus der Nazi-Verbrecher, der fast zoologische Formen annahm, ist allgemein bekannt. Ich werde keine Zitate aus den sogenannten »theoretischen Werken« der Hauptkriegsverbrecher von Himmler und Göring bis zu von Papen und Streicher anführen. In den osteuropäischen Ländern wurde dieser Antisemitismus der Hitleristen in einer einzigen Form verwirklicht, und zwar in der physischen Vernichtung unschuldiger Menschen. Von der Amerikanischen Anklagebehörde wurde bereits der Bericht einer besonders verbrecherischen Organisation der deutschen Faschisten, und zwar der »Einsatzgruppe A« vorgelegt. Dieses Dokument trägt die Nummer L-180, US-276. Unsere amerikanischen Kollegen haben über die Zeit bis einschließlich 15. Oktober 1941 berichtet. Die Sowjetische Anklagebehörde legt einen anderen Bericht dieser verbrecherischen Organisation der deutschen Faschisten vor. Dieser Bericht umfaßt eine andere Zeitspanne. Es ist die Fortsetzung zum ersten Dokument, und zwar ist es der Bericht der »Einsatzgruppe A« vom 10. Oktober 1941 bis 31. Januar 1942.

Ich lege dem Gerichtshof die Photokopie dieses Berichts als USSR-57 vor. Ich bitte den Gerichtshof um Erlaubnis, sehr kurze Zitate aus dem Bericht der Einsatzgruppe A verlesen zu dürfen, und zwar aus Kapitel 3 unter der Überschrift: »Juden«. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken, daß die Tatsachen, die dort angeführt sind, nur von einer Organisation berichten, und zwar der Einsatzgruppe A. Ich zitiere Absatz 2 auf Seite 170 Ihres Dokumentenbuches:

»Die systematische Säuberungsarbeit im Ostland umfaßte gemäß den grundsätzlichen Befehlen die möglichst restlose Beseitigung des Judentums. Dieses Ziel ist mit Ausnahme von Weißruthenien im wesentlichen durch die Exekutionen von bislang 229052 Juden... erreicht. Der in den baltischen Provinzen verbleibende Rest wird dringend zur Arbeit benötigt und ist in Ghet tos untergebracht.«

Ich unterbreche hier das Zitat und verlese jetzt zwei Zeilen aus dem Abschnitt »Estland«, auf Seite 2 des russischen Textes beziehungsweise Seite 171, Absatz 2 Ihres Dokumentenbuches. Ich beginne das Zitat:

»Erst von Sicherheitspolizei und SD wurden die Juden nach und nach, sowie sie im Arbeitsprozeß entbehrlich wurden, exekutiert. Heute gibt es in Estland keine Juden mehr.«

Ich bringe jetzt kurze Auszüge aus dem Abschnitt über »Lettland«. Ich zitiere eine Zeile aus dem letzten Absatz des russischen Textes auf Seite 2. Dies finden Sie auf Seite 171, Absatz 5 Ihres Dokumentenbuches. Ich beginne das Zitat:

»Beim Einmarsch der deutschen Truppen gab es in Lettland noch 70000 Juden.«

Ich unterbreche das Zitat und verlese eine Zeile aus dem zweiten Absatz, Seite 3 des russischen Textes oder Seite 171, letzter Absatz Ihres Dokumentenbuches:

»Bis zum Oktober 1941 wurden durch diese Sonderkommandos rund 30000 Juden exekutiert.«

Ich unterbreche das Zitat und fahre im nächsten Absatz fort:

»... wurden in der Folgezeit weitere Exekutionen durchgeführt. So wurden am 9.11.1941 in Dünaburg 11034, Anfang Dezember 1941 durch eine vom Höheren SS- und Polizeiführer angeordnete und durchgeführte Akti on in Riga 27800, und Mitte Dezember 1941 in Libau 2350 Juden exekutiert. Zur Zeit befinden sich in den Ghettos (außer den Juden aus dem Reich) lettische Juden in Riga rund 2500, in Dünaburg rund 950, in Libau rund 300.«

VORSITZENDER: Könnten Sie mir sagen, woher diese Zahlen stammen? Sind sie in einem amtlichen Bericht enthalten oder sind das deutsche Zahlen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das sind die Angaben der Deutschen. Die Abschrift dieses Dokuments ist dem Archiv der Gestapo entnommen. Es wurde in Litauen von der Roten Armee gefunden, und ich bitte Sie, meine Herren Richter, zu bedenken, daß dieses Dokument nur den kurzen Zeitabschnitt vom 10. Oktober 1941 bis 31. Januar 1942 behandelt. Deshalb handelt es sich nicht um vollständige Angaben, sondern nur um Angaben einer Einsatzgruppe der Deutschen für diesen Zeitabschnitt. Darf ich fortfahren?

VORSITZENDER: Ja!

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich zitiere nur eine Zeile aus dem Abschnitt »Litauen«. Die Mitglieder des Gerichtshofs werden diese Stelle auf Seite 173, Absatz 3 des Dokumentenbuches finden:

»In vielen Einzelaktionen wurden insgesamt 136421 Personen liquidiert.«

Ich bitte den Gerichtshof um die Genehmigung, ein ausführliches Zitat aus dem Bericht der Gruppe A »Weißruthenien« verlesen zu dürfen. Ich zitiere den letzten Absatz auf Seite 5 des russischen Textes; Sie werden, meine Herren Richter, diesen Teil auf Seite 174, letzter Absatz Ihres Dokumentenbuches finden. Ich beginne:

»Die endgültige und grundlegende Beseitigung der nach dem Einmarsch der Deutschen im weißruthenischen Raum verbliebenen Juden stößt auf gewisse Schwierigkeiten. Das Judentum bildet gerade hier einen außerordentlich hohen Prozentsatz der Facharbeiter, die mangels anderweitiger Reserven im dortigen Gebiet unentbehrlich sind. Ferner hat die Einsatzgruppe A das Gebiet erst nach Eintritt des starken Frostes übernommen, der Massenexekutionen stark erschwert. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die Juden über das ganze Land weit verstreut wohnen. Bei den großen Entfernungen und den schwierigen Wegeverhältnissen, dem Mangel an Kraftfahrzeugen und Benzin und den geringen Kräften der Sicherheitspolizei und des SD sind die Erschießungen auf dem Lande nur unter Anspannung aller Kräfte möglich. Trotzdem wurden bisher 41000 Juden erschossen. Hierin sind nicht die Zahlen der durch die früheren Einsatzkommandos durchgeführten Aktionen enthalten.«

Ich unterbreche das Zitat und fahre im nächsten Absatz, Seite 175, Absatz 2 Ihres Dokumentenbuches fort. Ich beginne das Zitat:

»Der Kommandeur in Weißruthenien ist trotz der schwierigen Lage angewiesen, die Judenfrage baldmöglichst zu liquidieren. Ein Zeitraum von ca. 2 Monaten wird jedoch – je nach Witterung – noch notwendig sein.

Die Abgrenzung der verbliebenen Juden in bes. Ghettos ist auch in den Städten in Weißruthenien nahezu abgeschlossen.«

Um zu beweisen, wie die Massenaktionen der deutschen Verbrecher gegen die Juden durchgeführt wurden, lege ich dem Gericht als USSR-119 (a) eine von der Außerordentlichen staatlichen Kommission beglaubigte Photokopie des deutschen Originaldokuments vor. Es ist der Abschlußbericht des Kommandeurs einer Kompanie des 12. Polizeiregimentes, das die Massenvernichtungsaktionen der ins Ghetto getriebenen Juden der Stadt Pinsk ausführte. Am 29. und 30. Oktober 1942 haben die Missetäter des 15. Polizeiregiments in Pinsk 26200 Juden vernichtet. Der Kompaniechef Sauer beschreibt das von ihm begangene Verbrechen folgendermaßen. Ich zitiere nicht das ganze Dokument, es ist ziemlich lang, und ich werde nur einige Absätze daraus verlesen. Das Zitat, das ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs verlesen möchte, befindet sich auf Seite 177 Ihres Dokumentenbuches, dritter Absatz. Ich beginne das Zitat:

»Die befohlene Absperrung stand um 04.30 Uhr und es zeigte sich, daß in Anbetracht der vorangegangenen persönlichen Erkundung der eingesetzten Führer, unter Wahrung der Geheimhaltung, die Absperrung in kürzester Zeit stand und ein Entweichen von Juden unmöglich war.

Mit der Durchkämmung des Ghettos sollte befehlsgemäß um 06.00 Uhr begonnen werden. Infolge der noch bestehenden Dunkelheit wurde der Beginn der Durchkämmung um eine halbe Stunde verschoben. Die Juden sind aufmerksam geworden, sammelten sich zum größten Teil freiwillig auf allen Straßen, und mit Hilfe von 2 Wachtmeistern gelang es, schon in der ersten Stunde einige Tausend zum Sammelplatz zu lotsen. Da nun der andere Teil der Juden sah, wohin es ging, schlossen sie sich dem Zuge an, so daß die vom SD am Sammelplatz in Aussicht genommene Sichtung auf Grund des starken und plötzlichen Anlaufs nicht mehr erfolgen konnte. (Man hatte für den ersten Tag der Durchkämmung nur mit ein bis zwei Tausend Personen gerechnet.)

Die erste Durchkämmung war um 17.00 Uhr beendet und verlief ohne Zwischenfälle. Am ersten Tag wurden ca. 10000 Personen exekutiert. Für die Nacht lag die Komp. in Alarmbereitschaft im Soldatenheim.

Am 30. 10. 1942 wurde das Ghetto zum zweiten – am 31. 10. zum dritten – und am 1. 11. zum vierten Male durchkämmt. Es wurden insgesamt ca. 15000 Juden dem Sammelplatz zugeführt. Kranke Juden und einzelne in den Häusern zurückgelassene Kinder wurden sofort im Ghetto auf dem Hofe exekutiert. Im Ghetto wurden ca. 1200 Juden exekutiert.«

Ich unterbreche und fahre mit Erlaubnis des Gerichtshofs mit dem Zitat auf der zweiten Seite des Dokuments fort, Seite 178 des Dokumentenbuches, Absatz 6. Ich zitiere zwei Punkte aus dem Abschnitt »Erfahrung«. Ich beginne das Zitat:

»3) Wenn auch keine Keller vorhanden sind, so hält sich dennoch eine große Anzahl von Personen in dem kleinen Raum zwischen Erde und Fußboden auf. Diese Stellen sind von außen aufzubrechen und entweder durch Diensthunde nachstöbern zu lassen (bei der Aktion in Pinsk hat sich der Diensthund ›Asta‹ hierbei hervorragend bewährt), bezw. ist dort eine Handgranate hineinzuwerfen, worauf in allen Fällen die Juden unverzüglich ins Freie kommen.«

Ich zitiere weiter:

»5) Auf die Hinzuziehung von halbwüchsigen Personen zum Verrat dieser Verstecke unter Zusicherung ihres Lebens wird hingewiesen. Diese Methode hat sich gut bewährt.«

Das Beispiel des Polizeiregiments, das ich verlesen habe, ist sehr charakteristisch für die Methode der Vernichtung der Juden in den Ghettos. Doch nicht immer haben die deutsch-faschistischen Eindringlinge dieses Mittel angewandt, um die friedliche jüdische Bevölkerung zu vernichten. Ein anderes verbrecherisches Mittel bestand in dem Zusammentreiben der Juden an einen bestimmten Platz unter dem Vorwand, sie an einen anderen Ort umzusiedeln. Danach wurden die Juden, die so zusammengetrieben waren, erschossen. Ich lege dem Gerichtshof das Original einer Bekanntmachung vor, die diese Methode der Erschießung in Kisslowodsk beweist. Diese Bekanntmachung wurde von der deutschen Kommandantur Nummer 12 der Stadt Kisslowodsk angeschlagen. Sie finden diesen Text auf Seite 180 Ihres Dokumentenbuches, Dokument USSR-434. Ich zitiere dieses Dokument in Auszügen. Es ist ein ziemlich umfangreiches Dokument. Ich beginne mit dem ersten Teil:

»An alle Juden! Zwecks Bevölkerung von menschenarmen Gegenden der Ukraine haben alle Juden, die in der Stadt Kisslowodsk wohnhaft sind, und die Juden, die keinen ständigen Wohnsitz haben, am Mittwoch, den 9. September 1942 um 5 Uhr Berliner Zeit (um 6 Uhr Moskauer Zeit) am Güterbahnhof der Stadt Kisslowodsk zu erscheinen. Der Transport fährt um 6 Uhr (7 Uhr Moskauer Zeit) ab.

Jeder Jude hat Gepäck mit einem Gewicht nicht über 20 kg einschließlich Lebensmittel für zwei Tage mitzunehmen.

Die weitere Verpflegung wird auf den Bahnhöfen von den deutschen Behörden sichergestellt.«

Ich lasse die nächsten sechs Absätze aus und zitiere nur noch eine Zeile des Befehls:

»Der Umsiedlung unterliegen auch diejenigen Juden, die getauft worden sind.«

Damit beende Ich das Zitat.

Um zu erklären, was mit der jüdischen Bevölkerung der Stadt Kisslowodsk geschehen ist, das gleiche ereignete sich in vielen anderen Städten, bitte ich den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit dem Inhalt der bereits früher als USSR-1 unterbreiteten Mitteilung der Außerordentlichen staatlichen Kommission über das Gebiet von Stawropol zuzuwenden. Die Stelle, die ich kurz verlesen möchte, finden Sie auf Seite 187 Ihres Dokumentenbuches. Dort heißt es, daß die 2000 Juden, die auf dem Bahnhof in Kisslowodsk versammelt worden waren, nach Mineralnije Wody abtransportiert wurden. Sie wurden dort in einem Panzerabwehrgraben, der 2,5 Kilometer von der Stadt entfernt war, erschossen.

Am gleichen Ort wurden auch Tausende von Juden mit ihren Familien erschossen, die aus Essentuki und Pjatigorsk deportiert worden waren.

Um die Ausmaße der verbrecherischen Vernichtung der friedlichen jüdischen Bevölkerung in den Ländern Osteuropas zu zeigen, möchte ich mich den Berichten der Regierungen der osteuropäischen Länder zuwenden. Sie liegen dem Gerichtshof bereits vor. Ich zitiere jetzt aus dem Bericht der Polnischen Regierung, und zwar auf Seite 136 des russischen Textes. Ich beginne das Zitat:

»Nach dem amtlichen statistischen Jahrbuch für Polen betrug im Jahre 1931 die Zahl der Juden 3115000. Nach nichtamtlichen, im Jahre 1939 aufgestellten Ziffern gab es in Polen 3500000 Juden.

Nach der Befreiung Polens belief sich die Zahl der Juden auf weniger als 100000 Juden und 200000 polni sche Juden leben noch in der USSR. Also sind 3000000 Juden in Polen umgekommen.«

In der Tschechoslowakei, wie aus den Angaben auf Seite 82 und 83 des russischen Textes hervorgeht, betrug die Zahl der Juden 118000. Gegenwärtig beläuft sich die Zahl der Juden im ganzen Lande auf nur 6000. Von der Gesamtzahl von 15000 jüdischen Kindern sind nur 28 zurückgekehrt.

VORSITZENDER: Können wir hier unterbrechen?