[Der Zeuge Suzkewer betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wie heißen Sie?
ZEUGE ABRAM GERZEWITSCH SUZKEWER: Suzkewer.
VORSITZENDER: Sind Sie sowjetischer Staatsbürger?
SUZKEWER: Ja.
VORSITZENDER: Wollen Sie mir nachsprechen?
Ich – und nennen Sie Ihren Namen – Staatsbürger der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, als Zeuge in diesem Verfahren vorgeladen, verspreche und schwöre, in Gegenwart des Gerichtshofs, daß ich dem Gerichtshof über alles, was ich in dieser Strafsache weiß, nichts als die Wahrheit sagen werde.
[Der Zeuge wiederholt die Eidesformel.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie es wünschen.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich jetzt zum Verhör übergehen, Herr Vorsitzender?
VORSITZENDER: Jawohl.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Zeuge, wo waren Sie zur Zeit der deutschen Besetzung?
SUZKEWER: In der Stadt Wilna.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Haben Sie längere Zeit während der deutschen Besetzung in der Stadt verweilt?
SUZKEWER: Ich bin dort während der deutschen Besetzung vom ersten bis fast zum letzten Tag geblieben.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Waren Sie Zeuge der Judenverfolgung in der Stadt?
SUZKEWER: Ja.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte Sie bitten, dem Gerichtshof darüber etwas zu sagen.
SUZKEWER: Als die Deutschten meine Stadt Wilna besetzten, waren dort ungefähr 80000 Juden. Sofort wurde auf der Wilnaer Straße Nr. 12 ein sogenanntes Sonderkommando eingerichtet, dessen Chefs Schweichenberg und Martin Weiß waren. Die Häscher dieses Sonderkommandos, »Chapun«, wie die Juden sie nannten, drangen bei Tag und bei Nacht in jüdische Wohnungen ein und schleppten Männer heraus, befahlen ihnen, ein Stück Seife und ein Handtuch mitzunehmen und trieben sie in die Richtung des Städtchens Ponari, 8 km von Wilna entfernt, von wo aus fast keiner mehr zurückkehrte. Als die Juden merkten, daß ihre Verwandten nicht zurückkehrten, versteckte sich ein großer Teil der Bevölkerung. Die Deutschen kamen aber mit Polizeihunden an und stöberten sie auf. Viele wurden gefunden, und wer nicht mitkommen wollte, wurde auf der Stelle erschossen. Ich muß hinzufügen, daß die Deutschen behaupteten, die Vernichtung der Juden sei gesetzlich. Am 8. Juli wurde ein Erlaß herausgegeben, nach dem alle Juden ein Zeichen auf dem Rücken zu tragen hatten. Später mußten sie dieses Zeichen auch auf der Brust tragen. Dieser Befehl war vom Kommandanten der Stadt Wilna, Zehnpfennig, unterschrieben. Am zweiten Tage jedoch hat ein anderer Kommandant, Neumann, einen neuen Erlaß herausgegeben, der anordnete, daß man diese Flecken nicht mehr tragen solle, sondern einen gelben Davidstern.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was heißt das, gelber Davidstern?
SUZKEWER: Der Davidstern ist ein sechseckiger Stern, den man auf dem Rücken und der Brust tragen mußte, um die Juden von der anderen Stadtbevölkerung zu unterscheiden.
Am dritten Tag kam ein neuer Erlaß heraus. Man mußte eine blaue Armbinde mit einem weißen Stern tragen. Aber die Juden wußten nicht, welches Zeichen zu tragen war, weil sie sehr wenig in der Stadt waren, und diejenigen, die dieses Zeichen nicht trugen, wurden verhaftet und man hat sie nie wiedergesehen.
Am 17. Juli 1941 war ich Augenzeuge eines großen Pogroms in Wilna, und zwar in der Nowgorodstraße. Die Anführer dieses Pogroms waren die obengenannten Schweichenberg und Martin Weiß, ein gewisser Herring und ein deutscher Chef der Gestapo, Schönhaber. Sie umzingelten den Bezirk durch Sonderkommandos, trieben alle Männer auf die Straße hinaus und befahlen ihnen, ihre Gürtel abzunehmen und die Hände auf den Kopf zu legen, so: