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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SIEMERS: Hinsichtlich der Zeugen darf ich noch etwas sagen. Bezüglich des Zeugen Nummer 1, Marinedekan Ronneberger, verzichte ich und bin einverstanden mit einem Affidavit, wie es Sir David vorgeschlagen hat.

Bezüglich des Zeugen Bürckner möchte ich nur erwähnen, daß die Mitteilung von Herrn Dodd auf einem Irrtum beruht. Mir ist das Sprechen mit dem Zeugen untersagt, weil das Gericht ihn mir als Zeugen noch nicht genehmigt hat, mit keiner anderen Begründung;

VORSITZENDER: Wir glauben kaum, daß eine weitere Erörterung über diesen Zeugen nötig ist. Ich habe bereits erklärt, daß der Gerichtshof entsprechend verfahren wird.

DR. SIEMERS: Ich habe nicht verstanden, ob Herr Dodd einverstanden war, daß ich den Zeugen Bürckner jetzt spreche.

VORSITZENDER: Ich glaube, er hat das gesagt. Er sagte, die Anklagevertretung habe ihren Vortrag abgeschlossen und habe nichts mehr dagegen, daß Sie mit dem Zeugen sprechen.

DR. SIEMERS: Dann eine letzte Bemerkung: Der Hohe Gerichtshof wird bemerkt haben, daß ich keinen Zeugen hinsichtlich der Seekriegsführung und hinsichtlich des U-Bootkrieges gebracht habe. Dies beruht darauf, daß ich mit Herrn Kranzbühler vereinbart habe, daß Herr Kranzbühler den Gesamtkomplex »Seekriegsführung« und »U-Bootkriegsführung« übernimmt, obwohl ja in dieser Beziehung nicht nur Großadmiral Dönitz, sondern, als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Raeder ganz wesentlich in Betracht kommt. Herr Kranzbühler wird also, insoweit die Interessen von Großadmiral Raeder bezüglich dieses Komplexes in Frage kommen, diese mit wahrnehmen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der sehr wichtige Antrag von Herrn Kranzbühler bezüglich der Fragen an Admiral Nimitz demnach nicht nur Großadmiral Dönitz betrifft, sondern ganz besonders Großadmiral Raeder und darüber hinaus die Organisation des Generalstabs, soweit die Marine in Betracht kommt.

Darf ich dann zu den Dokumenten übergehen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was Dokument Nummer 1 anlangt, »Kriegstagebücher der Seekriegsleitung und des Befehlshabers der U-Boote«, so ist der Assistent von Herrn Kranzbühler, Herr Meckel, nach London abgereist, um dies bei der Admiralität zu bearbeiten.

Was Dokument Nummer 2 anlangt, Weyers »Taschenbuch der Kriegsflotten« und das Marinejahrbuch »Nautikus«, so steht dem nichts entgegen, daß Dr. Siemers sie erhält. Er wird in der üblichen Weise angeben, welche Teile er zu verwenden beabsichtigt. Was den Bericht des Generals Marshall vom 10. Oktober 1945 anlangt, so kann ich dessen Erheblichkeit im Augenblick nicht erkennen; aber wenn Dr. Siemers angibt, welche Stellen er verwenden will, so kann das erörtert werden, wenn er es dem Gerichtshof tatsächlich vorlegt.

Nun zu Nummer 4, zu den Dokumenten der Britischen Admiralität vom Mai 1939 bis April 1940, die zum Thema der Vorbereitung zur Landung in Skandinavien und Finnland erbeten werden; obwohl streng genommen das erheblich ist, was dem Angeklagten Raeder bekannt war, will ich Erkundigungen über diese Dokumente einziehen, und falls uns der Gerichtshof ein wenig Zeit gibt, hoffe ich, darüber dem Gerichtshof Bericht erstatten zu können.

Ich möchte jedoch klarstellen, daß ich selbstverständlich keine Einzelheiten über alliierte Dokumente geben kann; ich hoffe jedoch, Dokumente vorlegen zu können, die dem Gerichtshof dienlich sein können, und zwar sehr maßgebliche. Ich möchte jedoch im Augenblick nicht zu näheren Angaben gedrängt werden.

DR. SIEMERS: Ich gehe mit Sir David einig. Ich hoffe, daß ich die Bücher zu Ziffer 2 und 3 bald bekomme, weil sonst eine Verzögerung eintreten kann. Der Bericht von General Marshall vom 10. Oktober 1945 ist, soweit ich nach den bisherigen Auszügen beurteilen kann, deshalb wichtig, weil General Marshall in verschiedenen tatsächlichen Punkten eine grundsätzlich andere Stellung einnimmt als Justice Jackson.

Ich glaube, daß eine Gegenüberstellung zwei so prominenter Meinungen von genügender Bedeutung ist, um hier auch die Tatsachenberichte von General Marshall zu Worte kommen zu lassen.

Bezüglich Ziffer 4 warte ich noch die endgültige Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ab. Ich habe dann nur noch eine Bitte, wobei ich zu entschuldigen bitte, daß ich versehentlich diese Ziffer 5 nicht mehr in das Buch geschrieben habe. Es handelt sich um folgendes:

Die Anklagebehörde hat mehrfach Zitate gebracht aus dem Buch Adolf Hitlers »Mein Kampf« und hat daraus gefolgert, daß jeder der Angeklagten, die bereits 1933 an führender Stelle waren, auf Grund dieses Buches schon vor 1933 hätten wissen müssen, daß Hitler Angriffskriege führen wollte. Mir ist aufgefallen, daß die Zitate in dem im November eingereichten Dokumentenbuch sämtlich auf einer Ausgabe dieses Buches beruhen, die erst 1933 erschienen ist. Die Ausgabe 1933 ist in vielen Punkten wesentlich anders als die ursprüngliche Ausgabe. Ich bin leider persönlich auch nur im Besitz einer Ausgabe von nach 1933. Um diese Fragen überprüfen zu können, also um sehen zu können, was jemand 1928 aus diesem Buch lesen konnte, nicht 1933, bitte ich die Anklagebehörde, zu versuchen, ein Exemplar dieses Buches in der ersten Ausgabe vorzulegen. Und zwar ist, soviel ich weiß, der erste Band 1925 und der zweite Band 1927 im Franz Eher-Verlag erschienen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden versuchen, eine frühere Ausgabe des Buches zu beschaffen, damit Dr. Siemers die Stellen miteinander vergleichen kann.

VORSITZENDER: Wollen Sie jetzt Seite 2 Ihres Dokuments besprechen? Sir David, Sie haben darüber noch nicht gesprochen, nicht wahr?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, ich nehme an, daß Dr. Siemers zur gegebenen Zeit angeben wird, welche Stellen er verwenden will; wir können dann bei der Vorlage der Stellen darüber sprechen, ob die Anklagebehörde irgendwelche Einwände hat.

VORSITZENDER: Ja! Dr. Siemers, ich nehme an, Sie haben die Absicht, die Stellen anzugeben, auf die Sie sich in Ihrem Dokumentenbuch berufen wollen.

DR. SIEMERS: Ja.

VORSITZENDER: Gut.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben schon den Punkt auf Seite 3 besprochen, der die Frage der gebauten Tonnage und so weiter behandelt, und ich habe schon gesagt, daß ich darüber Nachforschungen anstellen werde.

VORSITZENDER: Sir David! Mir fällt der Absatz 4-B auf Seite 2 auf. Schlagen Sie vor, daß der Gerichtshof die »Dokumente der Deutschen Politik« ohne weiteres an Dr. Siemers gibt?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte um Verzeihung, es war ein Versehen. Ich war der Ansicht, daß das bereits in den Worten oben auf Seite 2 mit enthalten sei: »Ich möchte außerdem Urkunden und eidesstattliche Erklärungen hinzufügen, von denen einige bereits in meinem Besitz sind, und von denen ich mir einen Teil ohne Unterstützung der Anklagebehörde verschaffen werde.« Ich nahm deshalb an, daß Dr. Siemers die »Dokumente der Deutschen Politik« schon hat und uns angeben wird, auf welche Stellen er sich berufen will. Es tut mir sehr leid, daß ich dies übersehen habe.

VORSITZENDER: Bedeutet der Teil des Antrags, der sich auf alle diese Dokumente bezieht, daß Dr. Siemers diese schon hat, und daß er in dieser Hinsicht keine weiteren Maßnahmen des Gerichtes erbittet?

DR. SIEMERS: Jawohl.

VORSITZENDER: Ich erteile dem Verteidiger des Angeklagten von Schirach das Wort.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Sauter ist der Ansicht, daß es das beste wäre, wenn ich dem Gerichtshof den Standpunkt der Anklagebehörde angebe.

VORSITZENDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich den Gerichtshof bitten, festzustellen, daß Dr. Sauter ersucht hat, die Zeugen 1 bis 8, mit Ausnahme des Zeugen 5, als persönliche Zeugen zu vernehmen; das heißt, er bittet um sieben persönliche Zeugen, und bei den Nummern 5 und 9 bis 13 um Vorlage von eidesstattlichen Erklärungen. Was die mündlich zu vernehmenden Zeugen betrifft, schlägt die Anklagebehörde vor, daß der Angeklagte die Nummer 1 oder Nummer 2 haben kann, das sind Wieshofer oder Hoepken, da diese Zeugen anscheinend dasselbe Thema behandeln; daß er Nummer 3 haben kann, den Zeugen Lauterbacher, den früheren Stabsführer der Reichsjugendführung, sowie Nummer 8, das ist Professor Heinrich Hoffmann, der, wie ich glaube, Schirachs Schwiegervater ist. Da die Niederschrift des von ihm erwarteten Zeugnisses über 9 Seiten beträgt, ist er offenbar ein sehr wichtiger Zeuge.

Die Anklagebehörde schlägt weiter vor, eidesstattliche Versicherungen beizubringen von Nummer 5, das ist Scharizer, der stellvertretende Gauleiter von Wien; von Nummer 11, Frau Vasseau; von Nummer 12, Herrn Schneeberger, und von Nummer 13, Feldmarschall von Blomberg.

Die Zeugen deren Notwendigkeit die Anklagebehörde kaum anerkennen kann, sind erstens Nummer 4, Frau Hoepken. In diesem Antrag sind keine näheren Angaben gemacht, außer daß sie Schirachs Sekretärin war. Dann Nummer 6, der Zeuge Heinz Schmidt, der anscheinend Teile der Zeugenaussage Lauterbachers Wort für Wort wiederholt. Nummer 7, Dr. Schlünder, der gleichfalls den Zeugen Lauterbacher Wort für Wort wiederholt; Nummer 9, Dr. Klingspor, der seine persönliche Meinung über den Angeklagten abgibt, was nach Ansicht der Anklagevertretung seine Zeugenaussagen nicht wirklich erheblich macht, und schließlich Dr. Rösen, Nummer 10, der über einen vereinzelten Fall sprechen kann, in dem sich der Angeklagte der Familie des Musikers Richard Strauß gegenüber freundlich benommen hat. Das ist die Stellungnahme der Anklage hinsichtlich der Zeugen.

DR. SAUTER: Meine Herren Richter! Ich habe auch im Falle Schirach meine Beweisangebote so wenig wie nur möglich ausgedehnt. Zur Vorladung als Zeugen vor den Gerichtshof und zur persönlichen Einvernahme hier an Ort und Stelle habe ich die Zeugen 1, 2, 3, 6, 7 und 8 vorgeschlagen, und ich muß Sie wirklich bitten, meine Herren Richter, mir diese Zeugen zu genehmigen.

Die Schwierigkeit im Falle Schirach hinsichtlich der Beweiserhebung besteht darin, daß für zwei vollständig getrennte Komplexe Beweis angeboten und erhoben werden muß; einmal für die Tätigkeit des Angeklagten von Schirach als Reichsjugendführer und dann für die Zeit von 1940 bis 1945 für seine Wiener Tätigkeit, neben welcher er immer noch eine gewisse Funktion in der Jugendführung zusätzlich ausgeübt hat. Ich brauche also Zeugen sowohl für die eine wie für die andere Tätigkeit des Angeklagten von Schirach.

Zu dieser einen Schwierigkeit kommt aber noch eine zweite. Der Angeklagte Schirach ist Reichsjugendführer gewesen, und das hat es mit sich gebracht, daß ziemlich alle seine Mitarbeiter verhältnismäßig junge Leute gewesen sind, die während des zweiten Weltkrieges längere Zeit beim Militär eingerückt waren. Es kann also sehr wohl der Fall eintreten, daß für ein paar Jahre während des Weltkrieges der eine Zeuge überhaupt nichts weiß, weil er eben beim Stab des Angeklagten von Schirach während dieser Jahre nicht gearbeitet hat, und daß infolgedessen für diese Zeit ein anderer Mitarbeiter Schirachs herangezogen werden muß, um über seine Tätigkeit Auskunft zu erteilen.

Ich habe früher, meine Herren Richter, in schriftlichen Anträgen noch weitere Zeugen beantragt gehabt, habe aber in meinem Ihnen vorliegenden Beweisantrag diese weiteren Zeugen von vornherein weggelassen, um auf diese Weise zur Beschleunigung des Verfahrens mitzuwirken, soweit es mir nur irgendwie möglich ist. Aber, meine Herren, diese sechs Zeugen, um deren Vorladung vor die Gerichtsstätte ich gebeten habe, die bitte ich mir wirklich zu bewilligen, da ich auf keinen von ihnen verzichten kann, wenn einigermaßen ein klares Bild über die Tätigkeit des Angeklagten gewonnen werden soll. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß alle diese sechs Zeugen, die ich unter den angegebenen Ziffern zum Zwecke der Vorladung aufgeführt habe, vom Gerichtshof bereits bewilligt worden sind, so daß also die neue Bewilligung nur eine Wiederholung Ihres eigenen früheren Beschlusses darstellen wird.

Der Zeuge Wieshofer, meine Herren, der unter Ziffer 1 benannt ist, war vom Jahre 1940 bis 1945 Adjutant des Angeklagten von Schirach, also in der Zeit, die mit der Tätigkeit des Angeklagten als Gauleiter von Wien und als dortiger Reichsstatthalter ausgefüllt ist. Dieser Mitarbeiter, der täglich mit dem Angeklagten Schirach zusammen war und ihn genauestens kannte, ist von mir insbesondere, obwohl er natürlich auch viele andere Dinge bekunden wird, dafür benannt, daß Schirach als Gauleiter von Wien eine ganz andere Politik eingeschlagen hat als sein Vorgänger, der frühere Gauleiter Bürckel; daß er im Gegensatz zu diesem Bürckel sich bemühte, ein korrektes Verhältnis zur katholischen Kirche herzustellen, und daß er insbesondere in diesem Sinne auch seine Mitarbeiter und Untergebenen mit Erfolg beeinflußt und angewiesen hat. Ich sage mit Erfolg, weil diese Bemühungen des Angeklagten von Schirach, eine Befriedung des Verhältnisses zur katholischen Kirche herzustellen, auch von kirchlicher Seite wiederholt anerkannt worden sind, genau so wie von der katholisch gesinnten Bevölkerung Wiens.

Der Zeuge Wieshofer soll dann außerdem bestätigen, daß der Angeklagte von Schirach mit den Judenvertreibungen aus Wien nicht das geringste zu tun hatte, daß vielmehr diese Judensache ausschließlich Angelegenheit...

VORSITZENDER: Behandeln nicht tatsächlich im wesentlichen die Nummern 1 und 2, Wieshofer und Hoepken, dasselbe Thema? Wäre es nicht ausreichend, wenn nur einer der beiden als Zeuge geladen würde, und der andere seine Aussage auf Grund eines Fragebogens machte?

DR. SAUTER: Ich glaube nicht ganz, Herr Präsident, und zwar deshalb, weil der Zeuge Hoepken, der unter Ziffer 2 benannt ist und der von 1938 an bereits Mitarbeiter des Angeklagten von Schirach, insbesondere auch bei der Reichsjugendführung gewesen ist, weil er namentlich auch über die Tätigkeit des Angesagten von Schirach als Reichsjugendführer Auskunft geben soll, besonders auch über dessen Bemühungen, mit der Jugend anderer Staaten, wie z.B. England und Frankreich, eine Verständigung und eine Anfreundung herbeizuführen; und ich glaube doch, meine Herren Richter, mit Rücksicht auf die besondere Wichtigkeit gerade dieser Fragen, und mit Rücksicht auf die Zurückhaltung, die der Angeklagte von Schirach bei der Benennung von Zeugen von sich aus schon geübt hat, sollte man das anerkennen und ihm in der Weise entgegenkommen, daß man ihm die beiden Zeugen 1 und 2 nicht wahlweise, sondern beide zusammen bewilligt. Die Adressen der beiden Zeugen habe ich dem Gerichtshof mitgeteilt; sie befinden sich in einem Lager und ich glaube, meine Herren, zur Feststellung des ganzen Sachverhaltes ist die Ladung der beiden Zeugen notwendig.

VORSITZENDER: Ich kann immer noch nicht verstehen, worin der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Zeugen besteht.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe eben darauf hingewiesen, daß der Zeuge Hoepken, Nummer 2, eine leitende Stellung auch in der Reichsjugendführung hatte, und daß infolgedessen der Zeuge Nummer 2, Hoepken, in der Lage ist, gerade auch über die Tätigkeit des Angeklagten von Schirach als Reichsjugendführer Auskunft zu geben.

VORSITZENDER: Aber Sie haben erklärt, Dr. Sauter, daß Zeuge Nummer 1, Wieshofer, Schirach in seiner Eigenschaft als Reichsjugendführer als Adjutant beigegeben war, so daß er in der Frage der Jugenderziehung in ebenso naher Verbindung zum Angeklagten stand wie Hoepken.

DR. SAUTER: Ja, aber Hoepken hat hauptamtlich mit der Jugenderziehung zu tun gehabt, während die Tätigkeit des Zeugen Wieshofer in der Hauptsache sich darauf beschränkte, daß er als Adjutant des Angeklagten von Schirach, hauptsächlich in dessen Eigenschaft als Gauleiter in Wien, tätig war, das ist der Hauptunterschied; und diejenigen Zeugen, die über die Wiener Tätigkeit Auskunft geben können, das ist eben in der Hauptsache gerade der Zeuge Wieshofer und zu einem kleinen Maß auch Hoepken. Aber ich brauche Hoepken unbedingt, wie gesagt, für die Beleuchtung der Tätigkeit Schirachs in der Reichsjugendführung.

Herr Präsident! Darf ich noch darauf hinweisen, daß für den Angeklagten von Schirach doch sehr viel auf dem Spiele steht, und vom Standpunkt des Gerichtshofs aus macht es doch wirklich nicht viel aus, ob jetzt für Schirachs so wichtige Sache ein Zeuge geladen wird oder zwei Zeugen. Ich hätte ja, meine Herren Richter, zu diesem Punkt vielleicht vier Zeugen vorschlagen können, in der Hoffnung, daß mir dann zwei bewilligt werden. Wenn ich nun im Namen meines Angeklagten von Schirach nur zwei Zeugen in Vorschlag bringe, so würde ich es als ungerecht betrachten, wenn von diesen zwei Zeugen einer abgelehnt würde.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird Ihr Vorbringen berücksichtigen.

DR. SAUTER: Ich habe dann, meine Herren Richter, an dritter Stelle zu bitten, Hartmann Lauterbacher vorzuladen. Wenn ich richtig verstanden habe, ist die Staatsanwaltschaft damit einverstanden; ich kann mich daher kurz fassen.

Der Zeuge Lauterbacher, der Stabsführer der Reichsjugendführung gewesen ist, kann insbesondere darüber Auskunft geben, daß der Angeklagte Schirach in keiner Weise die Jugend psychologisch und pädagogisch auf den Krieg, keinesfalls auf einen Angriffskrieg, vorbereitete. Ferner, daß die von der Russischen Anklagevertretung in einer der Februarsitzungen, ich glaube am 9. Februar 1946, vorgetragene Behauptung eines polnischen Berichts durchaus falsch ist, als hätte die Hitler-Jugend Spione und Agenten in Polen beschäftigt, unterrichtet, als Fallschirmjäger ausgebildet und dergleichen. Das alles ist falsch, und das wird der Zeuge Lauterbacher widerlegen, und dann, meine Herren Richter,...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Sir David hat erklärt, daß er keinerlei Einspruch gegen die Vorladung von Nummer 3 erhebe, wohl aber gegen 6 und 7, deren persönliche Vorladung Sie auch beantragt haben, weil, wie er sagte, diese nur die Aussagen Lauterbachers wiederholen würden; Nummer 6 und 7, das sind Schmidt und Schlünder.

DR. SAUTER: Ja, Herr Präsident, da kommt auch wieder die Schwierigkeit, die ich schon früher angedeutet habe.

Aus dem in der Sitzung vom 9. Februar 1946 von der Russischen Anklagevertretung vorgetragenen Bericht der Polnischen Regierung ergibt sich nicht, in welcher Zeit diese Dinge mit den Agenten und Spionen der Hitler-Jugend gespielt haben sollen.

Nun kann es hier passieren, daß, wenn ich nur einen Zeugen habe, dann behauptet wird, das sei in einer anderen Zeit gewesen, als nämlich dieser Zeuge beim Militär war, und das ist der Grund, warum ich im Interesse einer vollständigen Klarstellung dieses Sachverhaltes gebeten habe, auch den Zeugen 6, den Zeugen Schmidt, hier vernehmen zu wollen.

VORSITZENDER: Also, demnach scheint die Zusammenarbeit Schlünders mit dem Angeklagten von 1933 bis 1945 gedauert zu haben; wenn er also hierher vorgeladen oder eine eidesstattliche Erklärung abgeben oder einen Fragebogen beantworten würde, und dazu Lauterbacher, dessen Mitarbeit nur von 1933 bis 1940 dauerte, dann hätten Sie Beweise für die ganze Zeit und könnten daher Schmidt weglassen.

DR. SAUTER: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Präsident, meinen Sie einen Fragebogen von Lauterbacher.

VORSITZENDER: Nein, Sir David ist damit einverstanden, daß Lauterbacher als Zeuge hierher geladen wird.

DR. SAUTER: Lauterbacher als Zeugen, und Schmidt soll einen Fragebogen erhalten?

VORSITZENDER: Er hat gesagt, daß Schmidt und Schlünder kumulativ sind. Dann haben Sie behauptet, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß sie sich nicht auf denselben Zeitraum bezögen, und daß es also Schwierigkeiten geben könne. Ich habe daher gesagt, daß Nummer 7, Schlünder, sich auf die ganze Zeit bezieht, also von 1933 über den Zeitraum hinaus, über den Lauterbacher informiert ist, bis 1945, so daß also, falls er vorgeladen würde, seine Aussage über die ganze Zeitspanne ginge und, wenn Sie Lauterbacher und Schlünder vorladen und Schmidt auslassen würden...

DR. SAUTER: Daß dann von Schmidt ein Fragebogen eingeholt wird, damit wäre ich einverstanden.

VORSITZENDER: Die Angaben, die Sie hinsichtlich Schmidt und Schlünder machen, sind praktisch genommen die gleichen.

DR. SAUTER: Ja, nur beziehen sie sich eben insofern auf verschiedene Zeiten, weil jeder von den beiden beim Militär war. Wenn der eine kommt, kann er natürlich über die Zeit, wo er beim Militär war, nichts aussagen. Er kann nicht Auskunft geben, ob während seiner Militärzeit Agenten beschäftigt worden sind.

VORSITZENDER: Das weiß ich nicht. Sie haben gesagt, daß sie mit dem Angeklagten zusammengearbeitet haben, und zwar der eine von 1938 bis 1945 und der andere von 1933 bis 1945. Wenn das stimmt, dann können sie doch nicht bei der Wehrmacht gewesen sein, sich bei der Wehrmacht betätigt haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wäre bereit, den Vorschlägen des Herrn Vorsitzenden zuzustimmen; das würde den ganzen Zeitraum decken; wenn sowohl Lauterbacher wie Schlünder vorgeladen würden, würde die Notwendigkeit, Schmidt zu verhören, entfallen.

DR. SAUTER: Ich darf vielleicht, Herr Präsident, darauf hinweisen, daß ich Schlünder, der übrigens vor einigen Wochen verhaftet wurde, auf alle Fälle brauche, weil er bei der Reichsjugendführung Spezialist für Leibeserziehung gewesen ist, und weil ich infolgedessen gerade auch durch Dr. Schlünder nachweisen will, daß die Jugenderziehung, wie der Angeklagte von Schirach sie durchgeführt hat, durchaus nichts Außergewöhnliches und durchaus nichts Militaristisches gewesen ist. Der Angeklagte von Schirach hat während des ganzen bisherigen Verfahrens bei seinen Vernehmungen...

VORSITZENDER: Es scheint mir, daß Sie und Sir David im wesentlichen darin übereinstimmen, daß Nummer 1 und 3 bestimmt und Nummer 7 nur möglicherweise vorgeladen werden sollen. Ich weiß jedoch nicht, ob Sir David damit einverstanden ist, daß eine eidesstattliche Erklärung oder ein Fragebogen von Nummer 6 eingeholt wird.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich erhebe keinen Einspruch, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Das ist also im wesentlichen, was Sie wünschen, Dr. Sauter.

DR. SAUTER: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Sehr gut, dann können wir weitergehen.

DR. SAUTER: Meine Herren! Ich habe dann noch unter Ziffer 4 ein Affidavit angekündigt von einer Zeugin Maria Hoepken. Ich werde dieses Affidavit, das bereits in meinem Besitz ist, gleichzeitig mit meinem Dokumentenbuch dem Gerichtshof und der Staatsanwaltschaft in Vorlage bringen, und zwar rechtzeitig. Dann habe ich ebenfalls ein Affidavit, wenn ich das gleich vorwegnehmen darf, in meinem Besitz von zwei Zeugen, Nummer 9: Dr. Klingspor und Nummer 10: Dr. Rösen. Hier gilt das gleiche. Der Gerichtshof und die Staatsanwaltschaft werden diese beiden Affidavits mit meinem Dokumentenbuch rechtzeitig bekommen. Hinsichtlich der Ziffer 8, des Zeugen Hoffmann, ist die Staatsanwaltschaft, nachdem der Zeuge sich hier in Nürnberg befindet, mit seiner Vernehmung als Zeuge einverstanden. Ich brauche infolgedessen wohl zu dieser Ziffer keine näheren Ausführungen mehr machen, ebensowenig zu den Ziffern 12 und 13. Das sind zwei Zeugen, ein Gauobmann Schneeberger aus Wien, der vor allem über das Verhältnis des Angeklagten zu der Frage der ausländischen Arbeiter während der Zeit seiner Tätigkeit als Gauleiter in Wien Auskunft geben soll, und Ziffer 13, Feldmarschall von Blomberg, der Auskunft geben soll über die Einstellung des Angeklagten von Schirach zur Frage der vormilitärischen Erziehung der Jugend, zur Frage der körperlichen Ertüchtigung und zur Frage der patriotischen Erziehung der Jugend durch den Angeklagten von Schirach. Die Staatsanwaltschaft ist mit der schriftlichen Befragung dieser beiden Zeugen einverstanden, was ich ja auch meinerseits bereits angeregt habe.

Und nun komme ich, meine Herren Richter, zu derjenigen Ziffer meines Beweisantrages, die meinem Mandanten und mir persönlich am meisten am Herzen liegt. Das ist die Ziffer 11, nämlich der Antrag auf Vernehmung einer Französin namens Ida Vasseau. Von dieser Zeugin Ida Vasseau haben wir hier im Sitzungssaal erstmals etwas erfahren, als die Sowjetrussische Vertretung einen Kommissionsbericht über die »Schandtaten«, wie die Überschrift heißt, »der faschistischen deutschen Eindringlinge im Gebiet von Lemberg«, vorgetragen hat; Dokument USSR-6. In diesem Dokument findet sich ein Satz, der sagt, daß eine Französin, Ida Vasseau, die in einem Kinderheim in Lemberg tätig sei, berichtet habe, die Hitlerjugend habe in Lemberg besondere Greueltaten begangen. Es seien aus dem Ghetto kleine Kinder verkauft worden, wobei allerdings nicht angegeben wurde, von wem und an wen die Kinder verkauft worden sein sollen, und ausgerechnet die Hitler-Jugend sei es dann gewesen, die diese kleinen Kinder als Zielscheiben benützt habe.

Meine Herren! Wir sind uns darüber klar, daß derartige Vorkommnisse eine ganz besondere Greueltat darstellen würden, und ich kann Ihnen sagen, von der ganzen Anklage der letzten 3 Monate hat den Angeklagten Schirach seelisch nichts so getroffen wie diese Behauptung. Der Angeklagte Schirach hat von jeher, auch bei seinen früheren Vernehmungen, den Standpunkt vertreten, daß er für die von ihm geleitete Erziehung und Ertüchtigung der deutschen Jugend die volle Verantwortung übernimmt, und daß er gern bereit ist, auch hier als Angeklagter dem Gerichtshof darzulegen, von welchen Grundsätzen er sich hierbei leiten ließ, welche Ziele er angestrebt hat und welche Erfolge er erreichte. Er hat zum Beispiel auch nie bestritten, daß er diese Jugenderziehung im patriotischen Sinne...

VORSITZENDER: Dr. Sauter, Sie beantragen jetzt eine Zeugenvernehmung, nicht wahr? In Ihrem schriftlichen Antrag erklären Sie sich mit einer eidesstattlichen Erklärung einverstanden.

DR. SAUTER: Ich habe nicht verstanden, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Ich wollte darauf hinweisen, daß dies nur ein Antrag auf Zeugenladung ist, und daß Sie in Ihrem Antrag erklären: Mit Rücksicht auf die große Entfernung der Zeugin von Nürnberg stimme ich zu, daß zunächst eine eidesstattliche Erklärung aufgenommen wird.

DR. SAUTER: Ja.

VORSITZENDER: Sir David ist mit einer eidesstattlichen Erklärung einverstanden. So sind sich beide einig, und ich sehe nicht ein, warum wir uns weiter mit dem Antrag befassen sollen.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Meinem Antrag habe ich aber doch noch etwas beigefügt. Ich habe nämlich geschrieben, ein persönliches Erscheinen dieser Zeugin bei Gericht wäre zweckmäßig, damit sie befragt werden kann, weil ihre Bekundungen für die Gesamtbeurteilung der HJ von Bedeutung sind. Ich habe dann noch beigefügt, wenn ich das noch sagen darf,...

VORSITZENDER: In Ihrem Antrag erklären Sie, daß Sie sich dieses Recht vorbehalten. Sie können die eidesstattliche Erklärung erst einmal vorbereiten und der Zeugin zuschicken, und dann können Sie sehen, ob Sie die Zeugin zum Zwecke des Kreuzverhörs hier haben wollen. Und Sir David ist damit einverstanden.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Meinem Mandanten liegt gerade an dem Falle aus folgendem Grunde besonders viel:

Die HJ, also die Hitler-Jugend, die er geführt hat, umfaßte ungefähr acht Millionen Mitglieder, sie war also umfangreicher...

VORSITZENDER: Herr Dr. Sauter! Der Gerichtshof weiß, warum der Angeklagte an dieser Angelegenheit interessiert ist. Es erscheint jedoch im Augenblick völlig ausreichend, daß eine eidesstattliche Erklärung aufgesetzt und der Zeugin eingesandt wird. Dann können Sie sehen, ob Sie die Zeugin, deren augenblicklicher Wohnort uns unbekannt ist, hierher gebracht haben wollen.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Es ist meinem Mandanten nur das eine eben aufgefallen, daß unter acht Millionen jugendlichen Mitgliedern nur ein einziger (und noch dazu so ein fürchterlicher) Fall von Greueltaten vorgekommen ist, und daß er in der Reichsjugendführung niemals von solchen Vorkommnissen irgend etwas gehört hat. Aber ich bin damit einverstanden, aus Zweckmäßigkeitsgründen, daß das Affidavit eingeholt wird, aber gerade für diesen Fall muß ich mir eben die Zeugenvernehmung vorbehalten, wenn das Affidavit ungenügend sein sollte.

VORSITZENDER: Damit haben wir die Frage der Zeugen besprochen, und jetzt ist es Zeit die Verhandlung zu unterbrechen.