[Zum Zeugen gewandt:]
Können Sie mir andere Fälle nennen, Herr Zeuge, in denen der Kommandobefehl in Ihrem Bereich nicht zur Anwendung gekommen ist?
KESSELRING: Kleinere Landungen hinter der Front, in Comacchio, der Gegend des Sees, südlich von Venedig. Dann Luftlandungen nördlich von Albenda im Genuesischen Raum. Dann kleinere Unternehmungen im Raume von Lago di Ortona. Ich habe die Überzeugung, daß die Truppe diesen allgemeinen Gesichtspunkt aufgenommen und nach diesem Gesichtspunkt gehandelt hat.
DR. LATERNSER: Sie waren Oberbefehlshaber einer Luftflotte im Osten? Können Sie mir Angaben machen über die Behandlung der russischen Zivilbevölkerung während des Feldzuges?
KESSELRING: Ich war bis Ende November in Rußland, und ich kann nur sagen, daß das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Truppe ein denkbar gutes war, daß die Feldküchen überall für die Armen und für die Kinder zur Verfügung gestellt wurden, daß die anerkannt hohe Sittenreinheit der russischen Frau in bemerkenswertem Umfang vom deutschen Soldaten gewahrt worden ist. Ich weiß, daß die Sprechstunden meiner Ärzte von der russischen Bevölkerung gerne in Anspruch genommen worden sind. Ich erinnere mich deswegen, weil die Ärzte mir gegenüber von der Stärke im Ertragen von Schmerzen gesprochen haben. Der Krieg ist so rasch über die Fluren bis Smolensk gezogen, daß der ganze Raum einen vollkommen friedlichen Eindruck machte, daß die Bauern arbeiteten und mehr oder weniger große Viehherden jeder Art zu sehen waren, daß die kleinen Orte, die ich besuchte, meist intakt waren.
DR. LATERNSER: Sind Ihnen Verbrechen gegen die Sittlichkeit bekannt geworden, die von deutschen Soldaten im Osten begangen worden sind? Wenn Ihnen Fälle von Völkerrechtsverletzungen gemeldet wurden, sind Sie dann immer mit den Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vorgegangen?
KESSELRING: Ich habe es zumindest versucht. Ich habe es schon im Interesse der Erhaltung des Ansehens der Deutschen Wehrmacht getan und auch im Interesse der Wehrmacht zu italienischen Verbündeten. Deshalb habe ich es für notwendig gehalten, gegen deutsche Soldaten, die gegen irgendwelche Paragraphen verstoßen haben, entschieden einzuschreiten.
Da es mir aber bewußt war und ich weiß, daß der Krieg ein rohes Geschäft ist, und im Laufe der Jahre die Verrohung zunimmt, vor allem, wenn Führer und Unterführer der Aufgabe nicht mehr gewachsen sind, habe ich vor allem Wert darauf gelegt, Vorbeugungsmaßnahmen anzuordnen. Die Vorbeugungsmaßnahmen, die die alliierten Streitkräfte sicherlich bei ihrem Vormarsch durch Italien noch an Ort und Stelle gesehen haben, meine verschiedenen Verordnungen für Bestrafungen, die jedenfalls allgemein publik geworden sind, beweisen die Worte, die ich eben gesprochen habe.
An Vorbeugungsmaßnahmen habe ich angeordnet, daß Städte oder, wenn das nicht möglich war, die Innenteile der Städte von Kommando- und Verwaltungsbehörden und von Soldaten geräumt würden, und daß die Städte oder Innenteile abgesperrt werden. Weiterhin, soweit es Luftschutzmaßnahmen zugelassen haben, sind die Soldaten kaserniert oder in örtlich begrenzten Komplexen untergebracht worden. Weiterhin ordnete ich an, daß die Einzelgänger, die gewöhnlich der Anlaß zu derartigen Störungen waren, zusammengefaßt werden sollen, wie zum Beispiel: Urlauber von der Truppe und zurück, und daß Wirtschaftsfahrzeuge geschlossene Abteilungen zu formen haben. Als Überwachungsorgan habe ich verschiedene Auffangslinien von Feldgendarmerie, Feldpolizei, Feldjägern mit beigeordneten fliegenden Gerichten und Kraftwagenstreifen angeordnet.
Der Ausverkauf Italiens, der eine gewisse Rolle gespielt hat, sollte dadurch unterbunden werden, daß in Verbindung mit der Italienischen Regierung an den Heimatstrecken Kaufhäuser eingerichtet wurden, wo später die Soldaten etwas für die Heimat kaufen konnten. Strafmaßnahmen sind eingeführt worden. Ich habe die Fälle, die mir von den Italienern auf deutscher Seite gemeldet worden sind, verfolgen lassen oder selbst verfolgt. Dort, wo Operationen an Ort und Stelle mir ein persönliches Eingreifen nicht gestatteten, wie bei Siena, habe ich der Wehrmacht bekanntgegeben, daß dieser Fall kriegsgerichtlich von mir noch später weiter verfolgt wird. In anderen Fällen habe ich in zugespitzter Lage die Todesstrafe und das Ausnahmerecht verhängt gegen Plünderer, Räuber, Mörder und so weiter.
Wenige dieser Todesstrafen haben eine Bereinigung im Gefolge gehabt. Aber gegen Vorgesetzte, die sich ganz naturgemäß vor ihre Soldaten gestellt haben, bin ich eingeschritten, wenn sie zu milde ihre Aufgaben erfüllt haben.
Ich glaube, nachdem die Akten alle hier vorliegen, daß aus den Randbemerkungen zu Berichten der Polizeifeldjäger das Weitere zu ersehen ist.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, sind Ihnen auch völkerrechtliche Verletzungen, die von der Gegenseite begangen wurden, bekannt?
KESSELRING: Bei meinen vielen Besuchen an der Front sind mir natürlich eine große Zahl...
GENERAL RUDENKO: Ich protestiere gegen diese Frage. Meines Erachtens ist der Zeuge nicht befugt, Erklärungen darüber abzugeben, ob Deutschlands Feinde das Völkerrecht verletzt haben.
Ich glaube, daß diese Frage zurückzuweisen ist.
DR. LATERNSER: Darf ich dazu noch Stellung nehmen? Ich lege Wert auf die Beantwortung dieser Frage, und zwar möchte ich im Anschluß an diese Frage die weitere Frage an den Zeugen richten, ob er nach Bekanntwerden von völkerrechtlichen Verletzungen der Gegenseite die von den eigenen Soldaten begangenen völkerrechtlichen Verletzungen nicht oder vielleicht milder geahndet hat. Aus diesem Grunde lege ich Wert auf die Beantwortung dieser Frage.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern wissen, wie die Frage genau lautet und warum Sie glauben, daß sie zulässig ist.
DR. LATERNSER: Der genaue Wortlaut der Frage ist folgender: Ich habe an den Zeugen die Frage gerichtet: Sind Ihnen auch Völkerrechtsverletzungen auf der Gegenseite bekanntgeworden? Nach der Beantwortung dieser Frage will ich an den Zeugen die weitere Frage richten, ob er etwaige von der Gegenseite begangene völkerrechtliche Verletzungen zum Anlaß genommen hat, völkerrechtliche Verletzungen, die von eigenen Soldaten begangen worden sind, aus diesem Grunde vielleicht überhaupt nicht oder milder zu ahnden. Ich wollte aus der Beantwortung dieser Frage die Einstellung des Zeugen als Angehörigen der Gruppe feststellen, und ich halte aus diesem Grunde die Beantwortung dieser Frage für wichtig.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gerne wissen, was der Anklagevertreter der Vereinigten Staaten dazu zu sagen hat.
JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof, es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, daß eine Verletzung auf der einen Seite keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für eine Verletzung auf der anderen Seite ist. Natürlich gibt es auch die Doktrin der Repressalie, aber sie ist sicher auf keinen der hier hervorgetretenen Fälle anwendbar.
Zweitens, selbst wenn es zulässig wäre, diese Frage hier zu behandeln, so bin ich der Ansicht, daß dies in unpassender Art geschehen ist. Die Frage »Haben Sie von Verletzungen des Völkerrechts gehört?« geht sehr weit. Wenn es überhaupt zulässig ist, dieses Thema hier anzuschneiden, so wäre es zumindest erforderlich, einen bestimmten Fall in seinen Einzelheiten vorzutragen.
Eine allgemeine Anschuldigung der Verletzung des Völkerrechts würde kaum genügen, um diesen Gerichtshof über die Grundlage aufzuklären, auf der dieser Zeuge gehandelt haben mag.
Ein ganz spezieller Fall, von dem der Zeuge glaubhafte Kenntnis erlangt hat, könnte eine solche Grundlage sein. Die Frage des Verteidigers bietet sicherlich keine Grundlage hierfür.
Ich glaube, daß wir hier zu weit von der Anklage abschweifen, und daß dies weit entfernt von allem ist, was mit diesem Fall zu tun hat. Ich weiß nicht, welche besonderen Greueltaten oder Völkerrechtsverletzungen auf diese Weise entschuldigt werden sollen. Es müßten Greueltaten verübt worden sein, durch die versucht wird, Greueltaten, die von irgend jemand anderem begangen wurden, zu entschuldigen. Wer sie sonst noch begangen hat, und warum sie begangen worden sind, das wäre eine Frage, mit der wir uns zu befassen hätten, wenn wir auf dieses Thema näher eingingen. Ich bin der Ansicht, daß eine solche Frage ganz abseits des Beweisthemas liegt; selbst wenn dem nicht so wäre, wenn irgendeine Möglichkeit bestände, die Frage in den Rahmen des Beweisthemas zu bringen, dann wäre sie in einer unpassenden Art gestellt worden.
DR. STAHMER: Diese Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung und ist vor einiger Zeit schon einmal vor diesem Hohen Gerichtshof erörtert worden, und zwar, als von mir beantragt wurde, die Vorlage von Weiß- Büchern zuzulassen, in denen Berichte über Greueltaten enthalten sind.
Ich meine die Sitzung vom 25. Februar. Damals hat Professor Exner zu dieser Frage Stellung genommen und das Gericht hat mir dann gestattet, die Weiß- Bücher vorzulegen, vorbehaltlich der Angabe darüber, was aus diesen Büchern vorgetragen werden soll. Es ist damals bereits darauf hingewiesen worden, daß die Frage, ob auch auf der anderen Seite Greueltaten begangen worden sind, insofern von Bedeutung ist, als sie vor allen Dingen dazu beitragen kann, das Verhalten auf deutscher Seite richtig zu beurteilen und eventuell das Verhalten milder aufzufassen; denn das Motiv der Tat ist von Entscheidung und ist immer wichtig für die Urteilsfindung, und man wird hier sagen müssen, daß die Tat anders zu beurteilen ist auf deutscher Seite, wenn tatsächlich auf der anderen Seite kein völlig korrektes Verhalten vorgelegen hat.
Es ist ja von Bedeutung auch die Frage, ob es sich in einem solchen Fall nicht um Vergeltungsmaßnahmen beziehungsweise Repressalien gehandelt hat. Ich meine, daß daher aus diesen Erwägungen die Frage, die hier gestellt wurde, jedenfalls von Bedeutung und zuzulassen ist.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich für 10 Minuten vertagen.