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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Fragen geprüft, die Dr. Laternser an den Zeugen richten wollte, und ebenso die Einwendungen in Betracht gezogen, die von General Rudenko und Herrn Justice Jackson erhoben wurden. Er hält diese Fragen für unzulässig.

DR. LATERNSER: Herr Präsident, ich nehme an, daß ich die folgende Frage zu stellen berechtigt bin.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Haben Sie dann nicht auch eigene Völkerrechtsverletzungen nicht oder milder geahndet, als Ihnen Gesetzesverletzungen von der Gegenseite gemeldet worden waren?

VORSITZENDER: Sie sagen jetzt in einer Frage, was Sie vorher in zwei Fragen gestellt haben.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Diese Frage soll ja den Zeugen nicht veranlassen, mir Völkerrechtsverletzungen, etwa begangen von der Gegenseite, bekanntzugeben. Ich möchte mit der Beantwortung dieser Frage nur die typische Einstellung des Zeugen erfahren, daß er auch dann als Oberbefehlshaber sich bemüht hat, eigene Völkerrechtsverletzungen auf das strengste zu ahnden, obwohl ihm Meldungen zugegangen waren, die auf Völkerrechtsverletzungen der Gegenseite schließen lassen. Ich ziehe die Frage zurück.

VORSITZENDER: Das Gericht hat nichts dagegen einzuwenden, daß Sie den Zeugen fragen, ob er bestrebt war, Verletzungen des Völkerrechtes zu vermeiden. Wenn Sie diese Frage an ihn stellen wollen, wird kein Einspruch zu erheben sein. Die Frage aber, die Sie zu stellen beabsichtigen, ist in Wirklichkeit identisch mit den Fragen, die Sie zuvor gestellt haben.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge, in diesem Verfahren sind schwere Anschuldigungen wegen Grausamkeiten erhoben worden, die deutsche Soldaten begangen haben. Ist nicht jeder Soldat hinreichend über die völkerrechtlichen Bestimmungen aufgeklärt und belehrt worden?

KESSELRING: Ich möchte diese Frage bejahen. Bei meinen Ansprachen und denen meiner nachgeordneten Befehlshaber sind derartige Hinweise und Belehrungen laufend gewesen.

DR. LATERNSER: Haben Sie als Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe Kunst- und Kirchenstätten nach Möglichkeit geschont?

KESSELRING: Ich betrachtete es als eine selbstverständliche Pflicht, Stätten der Kunst, Kultur und Kirchen zu schonen und habe dementsprechende Befehle gegeben und in meinen operativen und taktischen Handlungen und Maßnahmen darnach gehandelt.

DR. LATERNSER: Was wissen Sie über die Behandlung von Kriegsgefangenen, die in deutsche Hände gefallen sind?

KESSELRING: Die Kriegsgefangenen wurden völkerrechtlich richtig behandelt. Wo auf Grund von Kontrollen, die ich selbst anordnete, Nachlässigkeit festgestellt werden konnte, wurde sie unter Verwarnung des betreffenden Kommandanten abgestellt.

DR. LATERNSER: Nun habe ich noch drei Fragen:

Sind Sie als Feldmarschall vorher unterrichtet worden, daß Italien in den Krieg eintritt?

KESSELRING: Nein, darüber bin ich nicht unterrichtet worden. Soweit ich weiß, ist das Eintreten Italiens in den Krieg so spontan erfolgt, daß selbst die politische Führung überrascht war.

DR. LATERNSER: Und sind Sie vorher unterrichtet worden, daß eine Kriegserklärung gegen Amerika abgegeben werden sollte?

KESSELRING: Nein, über diese Frage kann ich nichts sagen.

DR. LATERNSER: Nun die letzte Frage: Wie stand es mit den Rücktrittsmöglichkeiten für militärische Führer während des Krieges?

KESSELRING: Ein Ausscheiden aus der Wehrmacht aus eigenem Entschluß oder ein Antrag zum Ausscheiden aus der Wehrmacht war nicht zugelassen.

Es lag im Jahre 1944 ein Befehl vor, der unter schärfster Strafandrohung dies verbot. Das Recht der Personalveränderungen in den führenden Stellen hat sich der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht ausschließlich und allein vorbehalten.

DR. LATERNSER: Hat über diesen Punkt ein schriftlicher Befehl bestanden?

KESSELRING: Ich möchte annehmen, ja.

DR. LATERNSER: Danke schön, ich habe keine weiteren Fragen mehr.

PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Sie haben vorhin gesagt, daß die Oberbefehlshaber auf militärischem Gebiet das Recht und die Möglichkeit gehabt haben, beim Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, bei Hitler, ihre Forderungen und Ansichten geltend zu machen; habe ich das richtig verstanden?

KESSELRING: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie persönlich mit Hitler über Befehlssachen Meinungsverschiedenheiten gehabt?

KESSELRING: In operativen und taktischen Fragen erhebliche.

PROF. DR. JAHRREISS: So, bis zur Konfliktstärke?

KESSELRING: Konflikt ist vielleicht zuviel gesagt – gegenseitiges Abrücken der Auffassung.

PROF. DR. JAHRREISS: Etwa, was man Meinungsverschiedenheiten nannte, mehrfach?

KESSELRING: Ja.

PROF. DR. JAHRREISS: Nach allem, was wir hier gehört haben, muß Adolf Hitler ein etwas schwieriger Herr gewesen sein?

KESSELRING: Das muß zugegeben werden. Auf der anderen Seite hatte ich, ich weiß nicht warum, das Glück, meist auf Verständnis für die Fragen, die ich vortrug, zu stoßen.

PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie diese Meinungsverschiedenheiten mit Hitler selbst ausgeglichen?

KESSELRING: In kritischen Fällen wurde ich von Generaloberst Jodl, wenn er sich nicht mehr durchsetzen konnte, zum Vortrag angefordert.

PROF. DR. JAHRREISS: Wenn Sie sich nicht durchsetzen konnten?

KESSELRING: Wenn Jodl, sich nicht durchsetzen konnte.

PROF. DR. JAHRREISS: Wenn Jodl sich nicht durchsetzen konnte, wurden Sie angefordert?

KESSELRING: Ja.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, war denn Jodl auch anderer Meinung als Hitler?

KESSELRING: Ich habe bei verschiedenen Vorträgen eine sehr entschiedene Meinungsdifferenz bei den beiden Herren beobachten können und festgestellt, daß Generaloberst Jodl, der unser Sachwalter beim OKW war, mit einer außerordentlich anerkennenswerten Energie seine Auffassung vertreten hat und diese Auffassung bis zum Schluß durchgestanden hat.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, was heißt das, er war Ihr Sachwalter, wessen Sachwalter?

KESSELRING: Meine Kriegsschauplätze, als Wehrmachtsgeneral, waren sogenannte OKW-Kriegsschauplätze und der Osten Heeres-Kriegsschauplatz. Der Osten war Heeres-Kriegsschauplatz, während die anderen OKW-Kriegsschauplätze waren.

PROF. DR. JAHRREISS: Hatte das OKW also auf Heeres-Kriegsschauplätzen im Osten nichts zu sagen?

KESSELRING: Nein.

PROF. DR. JAHRREISS: Und das Heer hatte auf den OKW-Kriegsschauplätzen nichts zu sagen?

KESSELRING: Nein.

PROF. DR. JAHRREISS: Ich glaube nicht, daß alle diesen Unterschied verstehen werden.

KESSELRING: Es dürfte zuviel verlangt sein, weil ich selbst kein Verständnis dafür aufbringen kann.

PROF. DR. JAHRREISS: Also Sie waren auf einem OKW-Kriegsschauplatz?

KESSELRING: Ja.

PROF. DR. JAHRREISS: Was heißt denn da OKW?

KESSELRING: Oberkommando der Wehrmacht.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, das weiß ich.

KESSELRING: Unmittelbare Unterstellung des Oberbefehlshabers unter Adolf Hitler und der Kommandostelle unter den Führungsstab Jodls.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, Sie sprachen in der früheren Vernehmung von Befehlen des OKW?

KESSELRING: Ja.

PROF. DR. JAHRREISS: Wer ist das OKW, wer hat das befohlen?

KESSELRING: Befehle grundsätzlicher Art gingen nur von einer Person aus, das war Adolf Hitler. Die anderen Persönlichkeiten waren Exekutivorgane. Das schloß nicht aus, daß sie als Exekutivorgane ihre Auffassung oder die Auffassung der unterstellten Heeresgruppen hatten, die sie mit allem Nachdruck im Sinne der Anträge und der Auffassungen der Heeresgruppen Adolf Hitler gegenüber vertreten haben.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, das wundert mich nun ein wenig, was Sie da sagen, denn es ist die Meinung laut geworden, daß Jodl, von dem Sie als Sachwalter der Oberbefehlshaber gewissermaßen sprechen, ein williges Werkzeug Adolf Hitlers gewesen sei.

KESSELRING: Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann mir eine Ehe von 6 Jahren nicht vorstellen, ohne daß nicht von beiden Seiten der Versuch gemacht wird, sich zu verstehen. Ich kann mir aber auf der anderen Seite gut vorstellen, wie bei jeder guten Ehe, daß sie auch bis zu den allerschärfsten Auseinandersetzungen kommt.

PROF. DR. JAHRREISS: Aber auch in einer normalen Ehe braucht ja der Ehemann nicht williges Werkzeug zu werden?

KESSELRING: Ja, hier liegen die Verhältnisse natürlich noch etwas anders. Denn dieser Vergleich mit der Ehe hinkt, wie alle Vergleiche hinken; denn wir haben beim Militär noch dazu das absolute Unterordnungsverhältnis.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, aber was Sie hier uns ausgeführt haben über die Position Jodls als Sachwalter der Oberbefehlshaber, das klingt doch so, als ob Jodl ausgleichend gewirkt habe?

KESSELRING: Jodl hat in einer unerhörten Weise unsere Interessen vertreten und damit für die Gesamtheit ausgleichend gewirkt.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, hat er auch seine Meinung zum Ausdruck gebracht, seine Adolf Hitler entgegengesetzte Meinung, wenn Adolf Hitler einen seiner bekannten Affektbefehle erlassen hatte?

KESSELRING: Ich kann nur das eine sagen, daß ich bei den wenigen Besuchen im Hauptquartier, wenn ich mich richtig ausdrücke, Generaloberst Jodl habe rot anlaufen sehen; er hatte seine Auffassung in einer Form zum Ausdruck gebracht, die ich gerade noch an der Grenze des militärisch Möglichen angesehen habe.

PROF. DR. JAHRREISS: Danke.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nun vertagen.