[Das Gericht vertagt sich bis
13. März 1946, 10.00 Uhr.]
Achtzigster Tag.
Mittwoch, 13. März 1946.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über das weitere Verfahren bei der Anklage gegen die Organisationen und über die Anträge ihrer Mitglieder eine Verfügung getroffen. Ich werde diese Entscheidung nicht verlesen, sondern sie wird im Informationszimmer der Anwälte angeschlagen und Ihnen und der Anklagevertretung bekanntgegeben werden.
Dr. Jahrreiß, haben Sie Ihre Vernehmung beendet?
PROF. DR. JAHRREISS: Ja.
VORSITZENDER: Sehr gut. Wünscht noch ein anderer Verteidiger den Zeugen zu verhören?
[Der Zeuge General Kesselring ist im Zeugenstand.]
DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge, haben Sie eine Erinnerung daran, wann der Angeklagte Kaltenbrunner erstmals in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist?
KESSELRING: Ich habe keine Kenntnis davon, daß Kaltenbrunner in der Öffentlichkeit besonders hervorgetreten ist. Ich habe von dem Namen Kaltenbrunner zum ersten Male gehört, als er als Nachfolger von General Canaris in Erscheinung getreten ist.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie eine Erinnerung daran, daß er im Januar 1943 zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt worden ist?
KESSELRING: Ich mag davon gehört haben, aber eine bestimmte Erinnerung habe ich nicht.
DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner trägt vor, daß er im April 1945 bestrebt gewesen sei, das Land Österreich von den weiteren Kriegshandlungen nach Möglichkeit zu verschonen. Haben Sie daran vielleicht eine Erinnerung?
KESSELRING: Ich habe nur gehört, daß Herr Kaltenbrunner zu den Persönlichkeiten zählte, die auf ein unabhängiges Österreich hinarbeiteten, aber eine genaue definitive Kenntnis von dieser Sachlage habe ich nicht.
DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner trägt weiter vor, er habe auf Grund einer Vereinbarung mit dem Genfer Roten Kreuz dahingehend gewirkt, daß Zivilinternierte durch die Front in ihre Heimat gelassen werden sollten. Diesen Wunsch hat er an Ihre Dienststelle, nicht an Sie persönlich, gerichtet, man möchte für die Front eine Lücke schaffen, damit diese Zivilinternierten nach Hause kommen könnten. Haben Sie daran vielleicht eine Erinnerung?
KESSELRING: Dieser Antrag mag tatsächlich gestellt worden sein. Zu meiner persönlichen Kenntnis ist er nicht gekommen, weil ich außerordentlich viel von meiner Dienststelle abwesend war.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie eine Erinnerung daran, Herr Zeuge, wann erstmals in Deutschland die Konzentrationslager errichtet worden sind?
KESSELRING: Jawohl, im Jahre 1933. Mir sind drei Konzentrationslager in Erinnerung, deren Einrichtung, was den Zeitpunkt betrifft, mir nicht mehr genau bekannt ist. Oranienburg, an dem ich öfters vorbeigefahren bin und darüber geflogen bin; Dachau, das in Zeitungen außerordentlich lebhaft besprochen worden war, und Weimar-Nora, Weimar, ein Konzentrationslager, über das ich auch bei meinen Dienstflügen sehr häufig gekommen bin. Weitere Konzentrationslager sind mir nicht in Erinnerung. Ich darf vielleicht hier anfügen, daß ich mich grundsätzlich von den Gerüchten, die ja in derartiger, krisenhafter Zeit außerordentlich auftreten, ferngehalten habe, um meiner außerordentlich belasteten Aufgabe gerecht werden zu können.
DR. KAUFFMANN: Bezüglich der Häftlinge in den Konzentrationslagern, hatten Sie da eine bestimmte Vorstellung darüber, wer in diese Konzentrationslager gebracht werden sollte?
KESSELRING: Ich hatte etwas darüber gehört, von welcher Seite weiß ich nicht, das mir einleuchtete, daß nämlich versucht würde, die Revolution des Nationalsozialismus auf unblutige Weise durchzuführen und die politisch anders gerichteten Kreise so lange unter Aufsicht zu stellen, bis die Fundamentierung des neuen Staates genügend Sicherheit geben würde, sie wieder dem öffentlichen Leben zuzuführen. Das ist meine Kenntnis von diesen Verhältnissen und daraus schließe ich, um Ihre Frage zu beantworten, daß es sich hauptsächlich um Persönlichkeiten gehandelt haben muß, die der nationalsozialistischen Ideenwelt feindlich gegenübergestanden haben.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie nach Ihrer Auffassung die Behandlung in den Konzentrationslagern war? Was hatten Sie für eine Vorstellung über die Behandlung der Häftlinge in den Konzentrationslagern? Es wird vielleicht ein Unterschied sein, ob Sie nun die ersten Jahre oder die späteren Jahre im Auge haben.
KESSELRING: Über die Behandlungsmethoden in den Konzentrationslagern habe ich keine Kenntnis. In den ersten Jahren, in denen ich noch in Deutschland arbeitete, hörte man gerüchtweise, daß eine normale Behandlung eingetreten wäre. In den späteren Jahren war ich im Ausland, das heißt auf Kriegsschauplätzen außerhalb Deutschlands, und so abgesetzt, daß ich überhaupt keine Kenntnis von diesen Vorgängen hatte und genommen habe.
DR. KAUFFMANN: Es ist also richtig, wenn ich annehme, daß Sie von den tatsächlich vorgekommenen Grausamkeiten keine positive Kenntnis gehabt haben?
KESSELRING: Ich habe keine positive Kenntnis gehabt; selbst zu dem Zeitpunkt, wo ich im März 1945 als Oberbefehlshaber West eingesetzt worden bin, waren mir die Vorgänge in den Konzentrationslagern vollkommen fremd. Ich führe es auf zwei Momente zurück: Einmal auf das Persönliche, was ich vorhin zum Ausdruck brachte, daß ich mich grundsätzlich nur um meine eigenen Angelegenheiten kümmerte, die an sich genügend umfangreich waren, und zweitens, daß sich im Staat ein Polizeistaat herausgebildet hatte, der sich in einer hermetischen Weise gegenüber der Umwelt abgeschlossen und abzuschließen verstanden hat.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß in Ihren Offizierskreisen eine größere Kenntnis als die, die Sie eben für Ihre Person geschildert haben, bestanden hat?
KESSELRING: Ich habe ein sehr enges Verhältnis mit meinen Offizieren gehabt, und ich glaube nicht, daß eine größere Anzahl von Offizieren vorhanden gewesen sein kann, die mehr davon wußten. Über einzelne Persönlichkeiten kann ich natürlich keinen Aufschluß geben.
DR. KAUFFMANN: War Ihnen bekannt, daß Hitler entschlossen war, das jüdische Volk auch physisch auszurotten?
KESSELRING: Ist mir vollkommen unbekannt.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie nicht öfter Gelegenheit gehabt, mit Hitler über weltanschauliche Fragen zu sprechen?
KESSELRING: Wenn ich im Hauptquartier war, wurden im dienstlichen Teil nur militärische und solche Fragen behandelt, die meinen Kriegsschauplatz betrafen. Wenn ich zum Essen gebeten war, wurden im allgemeinen historische oder allgemein interessante Themen behandelt, aber akute politische Fragen oder weltanschauliche Fragen waren überhaupt kein Diskussionspunkt. Wie ich mich auch persönlich keines einzigen Moments entsinnen kann, daß Adolf Hitler auf mich oder wahrscheinlich auch auf die anderen Generale in irgendeiner Weise eingewirkt hat, sich zum aktiven Nationalsozialismus zu bekennen.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie an die Persönlichkeit Hitlers geglaubt, etwa in dem Sinne, daß Hitler entschlossen sei, das deutsche Volk in eine bessere Zukunft zu führen, unter Beachtung der Freiheit des Menschen und unter Beachtung der menschlichen Würde? Welches war Ihre Auffassung darüber?
KESSELRING: Ich habe auf Grund der...
VORSITZENDER: Welche Erheblichkeit besitzt die Meinung eines Zeugen über diesen Gegenstand? Wieso kann es irgendeinem Teil der Sache gegen den Angeklagten Kaltenbrunner erheblich sein? Der Gerichtshof ist der Meinung, daß mit solchen Fragen die Zeit des Gerichtes vergeudet wird.
DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß im absoluten Führerstaat, der in Deutschland bestand, ein Widerspruch gegen einen höchsten Befehl unmöglich war?
KESSELRING: In dieser Form will ich diese Frage nicht verneinen. Man konnte gegen eine Auffassung seine eigene Auffassung absolut vertreten. Wenn aber diese eigene Auffassung dann durch den Entscheid hinfällig geworden war, dann wurde der absolute Gehorsam gefordert, dessen Vollzug unter Umständen durch das Strafgesetz verlangt oder sichergestellt wurde. Eine Auflehnung gegen diesen Befehl oder gegen einen Befehl ist nach unserer Kenntnis der Persönlichkeit und des Verhaltens von Adolf Hitler ausgeschlossen gewesen beziehungsweise hätte zu nichts geführt.
DR. KAUFFMANN: Würde derjenige, der einen Widerspruch gegen einen endgültig gefaßten Befehl durchzusetzen versuchte, nicht damit rechnen müssen, daß er sein Leben riskierte?
KESSELRING: In den letzten Jahren mit einer absoluten Gewißheit.
DR. KAUFFMANN: Hielten Sie den Krieg in irgendeinem Zeitpunkt, und gegebenenfalls wann, für nicht mehr zu gewinnen?
KESSELRING: Im Jahre 1943 mußte man mit der Möglichkeit rechnen, daß ein Siegfriede nicht mehr zu erreichen war. Ich betone ausdrücklich, »mit der Möglichkeit rechnen«, weil bei Beachtung verschiedener organisatorischer oder operativer Maßnahmen sich das Blatt noch hätte wenden lassen können.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie diese Frage einmal an höherer Stelle besprochen? Die Bedenken, die Sie vielleicht gegen die Weiterführung des Krieges hatten?
KESSELRING: Ich habe in verschiedenen Momenten, wo ich über meinen Kriegsschauplatz gesprochen habe, auf gewisse Schwierigkeiten hingewiesen, die den Ausgang des Gesamtkrieges beeinflussen konnten. Ich fühlte mich aber als Exponent eines Kriegsschauplatzes keineswegs berechtigt, über das gesamte Kriegstheater ein Urteil abzugeben, weil ich die Lage über die gesamten Verhältnisse der Produktion, die Verhältnisse der Organisation des Menschenreservoirs und so weiter von meinem kleinen Standpunkt aus überhaupt nicht übersehen konnte. Und ich habe, wie schon vorhin gesagt, es abgelehnt, mich als Dilettant zu einer Sache zu äußern, die unter Umständen in der Außenwelt als proklamatorisch angesehen hätte werden können, weil sie mit dem Namen Feldmarschall Kesselring unterfertigt war.
DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie recht verstehe...
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte dem Gerichtshof erklären, wieso die letzten zwei oder drei Fragen für den Fall Kaltenbrunner erheblich sind.
DR. KAUFFMANN: Auch für Kaltenbrunner trifft es zu, daß er einem Befehl, wie er sagt, nicht widerstehen konnte, es sei denn, daß er getötet worden wäre.
VORSITZENDER: Sie haben den Zeugen befragt, ob er irgendwann während des Krieges daran dachte, wie lange der Krieg dauern würde. Was hat das mit Kaltenbrunner zu tun?
DR. KAUFFMANN: Die Anklage wirft mehreren Angeklagten vor, sie hätten trotz Kenntnis der Aussichtslosigkeit des Krieges weitergekämpft und den Krieg verlängert. Das ist das Problem, das ich jetzt mit einer letzten Frage abschließen wollte.
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß sich das besonders gegen Kaltenbrunner richtet. Aber wenn es Ihre letzte Frage ist, können Sie sie stellen.
DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Zeuge, wollen Sie zum Ausdruck bringen, daß das Hauptmotiv Ihres Aushaltens auch Ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland war.
KESSELRING: Das ist eine Selbstverständlichkeit. Daneben waren noch andere Motive maßgebend. Ein Motiv war, daß überhaupt die Möglichkeit einer politischen Beendung des Krieges wenigstens offiziell verneint worden ist, daß ich aber an diese glaubte und auch heute noch davon überzeugt bin. Das mag dadurch bewiesen werden, daß ich persönlich mit dem Obergruppenführer Wolff die Verhandlungen via Schweiz mit einem Amerikaner aufgenommen habe, um die Ausgangslage für eine politische Besprechung in diesem Sinne vorzubereiten.
DR. KAUFFMANN: Herr Vorsitzender, ich habe keine Fragen mehr.
VORSITZENDER: Wünscht noch ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
RA. PELCKMANN: Herr Zeuge, Sie wurden durch Dr. Kauffmann gefragt, ob das Offizierskorps Kenntnis von den Zuständen und der Einrichtung der Konzentrationslager hatte. Ist Ihnen bekannt, daß in der Wehrmacht sogenannte national-politische Lehrgänge abgehalten wurden?
KESSELRING: Das ist mir bekannt.
RA. PELCKMANN: Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in einem »Nationalpolitischen Lehrgang« der Wehrmacht vom 15. bis 23. Januar 1937 – ich beziehe mich hierbei auf Dokument 1992-A-PS – über die Einrichtung der Konzentrationslager, Himmler, der Führer der SS, vor diesen versammelten Offizieren etwa folgendes ausgeführt hat:
»Wir unterscheiden bei den Insassen selbstverständlich zwischen denen, die wir ein paar Monate hineintun, tatsächlich zur Erziehung, und denen, die wir lange drin lassen müssen.«
Ich überspringe einige Sätze und komme auf die mir wichtigen Sätze:
»Diese Ordnung beginnt damit, daß die Leute in sauberen Baracken leben. So etwas bringen an und für sich nur wir Deutsche fertig, kaum ein anderes Volk wäre so human. Die Wäsche wird öfters gewechselt. Die Leute werden daran gewöhnt, daß sie sich zweimal täglich zu waschen haben, werden mit dem Gebrauch einer Zahnbürste vertraut gemacht, die die meisten noch gar nicht kannten.«
Ist Ihnen bekannt, daß in solcher, wie wir heute wissen, den tatsächlichen Verhältnissen durchaus nicht entsprechender Weise die Wehrmacht belehrt worden ist?
KESSELRING: Wir haben uns um diese Frage, wie ich schon eingangs sagte, überhaupt nicht gekümmert, und dieser Vortrag von Himmler ist mir auch nicht bekannt.
RA. PELCKMANN: Nicht bekannt! Danke sehr.
VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
Dann kann die Anklagevertretung das Kreuzverhör beginnen.
JUSTICE JACKSON: Sie verstehen, Zeuge, daß, wenn Sie Ihre Aussage machen, Sie zufolge der Definition des Oberkommandos und des Generalstabs, die ja in der Anklage enthalten ist, als Mitglied dieser Gruppe auch angeklagt sind; nicht wahr?
KESSELRING: Ich verstehe.
JUSTICE JACKSON: Und daß Sie hier faktisch als Angeklagter aussagen?
KESSELRING: Ich verstehe.
JUSTICE JACKSON: Sie sprachen darüber, daß in Deutschland ein Polizeistaat durch die Nationalsozialistische Partei errichtet wurde, und ich möchte Sie nun fragen, ob es nicht eine Tatsache ist, daß der Polizeistaat sich hauptsächlich auf zwei Einrichtungen stützte: Erstens auf die Geheime Staatspolizei und zweitens auf die Konzentrationslager?
KESSELRING: Die Abstützung auf die Polizei ist für mich eine gegebene Tatsache. Das Konzentrationslager ist letzten Endes Mittel zum Zweck, für meine Begriffe.
JUSTICE JACKSON: Und sowohl die Geheime Staatspolizei als auch die Konzentrationslager wurden von Hermann Göring eingerichtet. Ist das nicht eine Tatsache, die Ihnen bekannt ist?
KESSELRING: Die Geheime Staatspolizei wurde von Hermann Göring eingerichtet. Ob sie in der Form von Himmler war...
JUSTICE JACKSON: Ihre Vorträge werden Ihrem eigenen Verteidiger vorbehalten werden, und ich werde bitten, daß Ihnen dahinzielende Anweisungen erteilt werden. Beantworten Sie nur meine Frage: War das Konzentrationslager nicht auch von Göring eingerichtet worden?
KESSELRING: Ich weiß es nicht.
JUSTICE JACKSON: Sie wissen das nicht? Waren Sie einverstanden mit dem Polizeistaat?
KESSELRING: Ich habe es für deutsche Begriffe als für anormal gehalten, daß sich ein Staat im Staat gebildet hat, und dementsprechend gewisse Sachen vor der Öffentlichkeit verschloß.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie jemals etwas unternommen oder können Sie anführen, daß Sie irgend etwas im öffentlichen Leben unternommen haben, um zu verhindern, daß es zu so anormalen Verhältnissen in Deutschland kommt?
KESSELRING: Ich habe nichts in Erinnerung, außer daß ich in Gesprächen mit meinen Vorgesetzten vielleicht darüber mal gesprochen habe. Ich betone aber ausdrücklich, daß ich mich auf mein Ressort und auf meine Aufgabe im allgemeinen bezogen habe.
JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Gerichtshof glauben machen, daß Sie niemals wußten, daß von diesem Staate eine Aktion zur Verfolgung der Juden in Deutschland durchgeführt wurde? Ist Ihre Aussage dahingehend zu verstehen?
KESSELRING: Von einer Judenverfolgung an sich habe ich keine Kenntnis gehabt.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht Tatsache, daß jüdische Offiziere aus Ihrer Armee und Ihrem Kommando ausgeschlossen waren?
KESSELRING: Jüdische Offiziere sind nicht vorhanden gewesen.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht Tatsache, daß es Offiziere in Ihrer Armee und Offiziere in der Luftwaffe gab, die Schritte unternommen haben, um sich zu arisieren und damit der Wirkung der Erlasse Görings zu entgehen. Wußten Sie davon?
KESSELRING: Davon habe ich gerüchtweise gehört.
JUSTICE JACKSON: Und die Arisierung bestand darin, daß man in Fällen, in denen der Vater jüdischer Abstammung verdächtig war, nachwies, der nominelle Vater sei nicht der wirkliche Vater gewesen. Stimmt das?
KESSELRING: Das muß ich zugeben. Es gibt natürlich andere Fälle auch noch.
JUSTICE JACKSON: Ja. Es konnte vorkommen, daß die Mutter jüdischer Abkunft verdächtigt wurde?
KESSELRING: Daß in Ausnahmefällen über gewisse Sachen hinweggesehen worden ist?
JUSTICE JACKSON: Ja. Wußten Sie von den Ausschreitungen gegen die Juden, den antijüdischen Ausschreitungen des 9. und 10. Novembers in Deutschland, im Jahre 1938?
KESSELRING: Sie sprechen über die »Spiegelsache«. Ich weiß nicht, was für ein Tag damit gemeint ist.
JUSTICE JACKSON: Ich spreche über die Ausschreitungen, bei denen Synagogen niedergebrannt wurden und über die Göring sich so zornig gezeigt hatte. Hörten Sie nichts davon im Jahre 1938?
KESSELRING: Nein, ich habe nichts davon gehört.
JUSTICE JACKSON: Wo waren Sie im Jahre 1938?
KESSELRING: 1938 war ich in Dresden.
JUSTICE JACKSON: Im November?
KESSELRING: Im November war ich in Berlin als Luftwaffenchef tätig.
JUSTICE JACKSON: In Berlin. Und Sie haben niemals von diesen antijüdischen Ausschreitungen des 9. und 10. Novembers 1938 gehört?
KESSELRING: Ich habe nur über die sogenannte »Spiegel- oder Glas-Campagne« gehört.
JUSTICE JACKSON: Was war das? Davon weiß ich nichts. Ich kenne keine Aktion, die diesen Namen hatte.
KESSELRING: Das war das Einwerfen der Ladenfenster und mehr, was in Berlin eine verhältnismäßig große Form angenommen hatte.
JUSTICE JACKSON: Sie haben also doch über antijüdische Ausschreitungen gehört?
KESSELRING: Über diese, ja.
JUSTICE JACKSON: Und wissen Sie, daß Hermann Göring eine Verordnung erlassen hat zur Beschlagnahme der Versicherungsbeträge, die die Wiedergutmachung an die jüdischen Geschäftsinhaber hätte sein sollen? Haben Sie nicht von einer dahinzielenden Maßnahme Görings gehört?
KESSELRING: Ich habe nicht ganz verstanden. Darf ich Sie bitten, dies zu wiederholen?
JUSTICE JACKSON: Hörten Sie von einer Verordnung, die von Hermann Göring einige Tage später, am 12. November, um genau zu sein, erlassen wurde, durch die die Versicherungssumme der Opfer dieser Ausschreitungen beschlagnahmt und der Gesamtheit der Juden eine Buße von einer Milliarde Reichsmark auferlegt wurde?
KESSELRING: Es mag sein, daß ich davon gehört habe. Ich habe heute keine bestimmte Erinnerung mehr daran.
JUSTICE JACKSON: Aber Sie haben davon gehört. Sind Ihnen diese Handlungen nicht als Verfolgungsakte erschienen?
KESSELRING: Diese »Glas-Campagne« und so weiter muß ich natürlich als eine Ausschreitung gegen die Juden ansehen.
JUSTICE JACKSON: Sie haben, soweit ich Sie verstehe, erklärt, daß es auf Grund Ihrer Erfahrung mit Hitler für Offiziere möglich war, verschiedener Meinung mit ihm zu sein, solange sie seine Befehle befolgten. Ist das der Sinn Ihrer Worte?
KESSELRING: Ich muß um Entschuldigung bitten, ich habe den letzten halben Satz nicht vollkommen verstanden.
JUSTICE JACKSON: Ich habe Ihre Aussagen heute früh so verstanden, daß Sie sich für berechtigt erachteten, Meinungsverschiedenheiten mit Hitler zu haben, ihm Vorschläge zu machen und Informationen zu geben, daß aber, nachdem er seine Entschlüsse gefaßt und einen Befehl herausgegeben hatte, dieser befolgt werden mußte. Das heißt also...
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, einem Offizier war es zu jeder Zeit freigestellt, zu Hitler zu gehen und ihm technische Informationen zu geben, wie zum Beispiel über den Stand der Vorbereitungen seiner Dienstabteilung?
KESSELRING: Im allgemeinen nicht, sondern hierzu waren die Oberbefehlshaber der betreffenden Wehrmachtsteile die allein Berufenen.
JUSTICE JACKSON: So ging also der einzige Dienstweg, auf dem Informationen über den Stand der Luftwaffe zu Hitler gelangen konnten, über Hermann Göring? Ist das eine Tatsache?
KESSELRING: Hermann Göring, und zeitweise Staatssekretär Milch in Vertretung des Reichsmarschalls.
JUSTICE JACKSON: Wäre es Ihrer Kenntnis der Lage nach für Offiziere der Luftwaffe möglich gewesen, Hitler, der im Begriff war, einen Krieg zu beginnen, für den die Luftwaffe nicht vorbereitet war, über diese Tatsache zu informieren oder nicht?
KESSELRING: Wir hatten ein restloses Vertrauen zu unserem Reichsmarschall und wußten, daß er die einzige Persönlichkeit war, die auf Adolf Hitler einen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. In dieser Richtung wußten wir, nachdem wir auch noch die friedliebende Einstellung vom Reichsmarschall kannten, uns absolut genügend gesichert und abgestützt.
JUSTICE JACKSON: Es kam dann eine Zeit, wo Sie als Befehlshaber nach dem Osten versetzt wurden, nicht wahr? Sie gingen nach Polen und Sowjetrußland. Nicht wahr?
KESSELRING: Nach Polen und Rußland, jawohl.
JUSTICE JACKSON: Ja. Und war es im polnischen und russischen Feldzug den Offizieren nicht klar, daß die Haager Bestimmungen über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf Sowjetrußland nicht angewendet wurden?
KESSELRING: Es war mir nicht bekannt.
JUSTICE JACKSON: Sie haben ausgesagt, daß die Luftwaffe lediglich eine Verteidigungswaffe war. Ist das Ihre Aussage?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wie waren die Stärkezahlen der verschiedenen deutschen Flugzeugtypen zu Beginn des polnischen Feldzuges?
KESSELRING: Nachdem ich nicht der Zentralstelle angehörte, kann ich nur Annäherungswerte auf eigene Verantwortung angeben, ohne damit eine historische Sicherheit übernehmen zu können. Im allgemeinen werden wir rund 3000 Flugzeuge gehabt haben, alles in allem; soweit ich mich noch entsinnen kann, waren es zwischen dreißig und vierzig Kampfgruppen, dieselbe Zahl Jäger, und zehn Gruppen Sturzkampfflugzeuge, Jagdflieger...
JUSTICE JACKSON: Wollen Sie mir die Zahl jeder Gruppe geben?
KESSELRING: Rund dreißig Flugzeuge, die natürlich im Laufe der Tage bis zu sieben, sechs, fünf Flugzeugen abgesunken sind.
Um weiterzufahren, rund zehn bis zwölf Gruppen Sturzkampfflugzeuge, einschließlich Schlachtflieger und Zerstörer. Dann noch die ebenfalls in dieser Zahl eingeschlossenen Aufklärungsgruppen, und dann noch eine gewisse Zahl Marineflugzeuge.
JUSTICE JACKSON: Und das Verhältnis zwischen Bombern und Jagdflugzeugen war ungefähr zwei zu eins? Nicht wahr?
KESSELRING: Das Verhältnis zwischen Bombenflugzeugen und Jagdflugzeugen war ungefähr 1 zu 1, oder 1,2 oder 1,3 zu 1. Ich habe gesagt zwischen dreißig und vierzig und ungefähr dreißig Jagdgruppen. Wenn ich die Zerstörer, die ja auch Jagdeigenschaft hatten, zu den Jägern zähle, wird ungefähr das Verhältnis eins zu eins richtig sein.
JUSTICE JACKSON: Auf Grund dieser Berechnung kommen Sie zu einer Summe von ungefähr dreitausend einzelnen Flugzeugen?
KESSELRING: Ich kann diese Zahl deswegen sagen, weil ich im Laufe dieser ruhigen Überlegungsmonate eine Berechnung angestellt habe, ohne die historische Wahrheit damit zu offenbaren.
JUSTICE JACKSON: Nun, zählen Sie das Bombenflugzeug zu den Defensivwaffen, oder betrachten Sie es als eine Offensivwaffe?
KESSELRING: Ich muß den Bomber genau so wie den Jäger und den Sturzkampfflieger als eine Defensivwaffe und eine Offensivwaffe im gleichen Umfang ansprechen. Ich habe gestern ausgeführt, daß, gleichgültig, ob Defensive oder Offensive, die Aufgabe der Luftwaffe offensiv geführt werden muß, und die Ziele im weiten und tiefen Raum liegen. Ich habe weiterhin ausgeführt, daß eine Luftwaffe, die nur leichte Flugzeuge hat, verurteilt ist, vernichtet zu werden, weil sie nicht die Phasen der feindlichen Luftproduktion, des Luftaufmarschgebietes, die Bewegungen auf den verschiedenen Abschnitten bekämpfen kann.
JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, die Luftwaffe dient als Verteidigungswaffe, wenn Sie in der Verteidigung sind, und als Angriffswaffe, wenn Sie angreifen.
KESSELRING: Ich habe den letzten Satz nicht verstanden.
JUSTICE JACKSON: Die Luftwaffe dient als Verteidigungswaffe, wenn Sie sich in der Verteidigung befinden, und als Angriffswaffe, wenn Sie angreifen, nicht wahr?
KESSELRING: Man kann es so ausdrücken. Ich würde es anders ausdrücken, wie ich es gesagt habe, daß die Luftwaffe ihrem innersten Wesen nach eine Offensivwaffe ist, gleichgültig, ob sie in der Verteidigung oder im Angriff verwendet wird.
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie haben meine Definition noch verbessert. Nun, in den Niederlanden, in Polen.......
KESSELRING: Darf ich dazu noch einiges sagen?
JUSTICE JACKSON: Ja, bitte.
KESSELRING: Was ich gestern ganz am Schluß noch angefügt habe: Das Wesentliche einer Offensiv- Luftwaffe sind die weitreichenden viermotorigen Bombenträger großer Lasten, über diese verfügte Deutschland überhaupt nicht.
JUSTICE JACKSON: Wieso kam es, daß Deutschland keine solchen Flugzeuge hatte?
KESSELRING: Erstens, weil wir tatsächlich im Stadium des Risikos uns nur auf die notwendigste Abwehr-Luftwaffe beschränkten.
Zweitens, weil wir versuchten, unserer Eigenart entsprechend, im Präzisionswurf, das heißt also, im Sturzkampfflug, möglichst viel zu erreichen, unter Einsatz weniger Kampfmittel; siehe Ju-88 als Musterbeispiel.
JUSTICE JACKSON: Sie wurden von der United- States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe verhört, und zwar am 28. Juni 1945. Erinnern Sie sich?
KESSELRING: Selbstverständlich, ja.
JUSTICE JACKSON: Gut, das ist ganz sicher. Nicht wahr?
KESSELRING: Ich bin öfters verhört worden.
JUSTICE JACKSON: Ich frage Sie nun, ob Sie nicht am 28. Juni 1945 dem im Namen der United-States- Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe das Verhör führenden Offizier gegenüber folgendes angegeben haben:
»Alles wurde getan, um die deutsche Luftwaffe vom Gesichtspunkt des Flugwesens, der Flugzeuge, der Fliegerabwehr, des Fliegernachrichtendienstes und so weiter zur gewaltigsten Luftwaffe in der Welt zu machen. Diese Bemühungen führten zu der Tatsache, daß zu Beginn des Krieges, oder im Jahre 1940 spätestens, vom Standpunkt der Jagdflugzeuge, vom Standpunkt der Stukas, vom Standpunkt der Kampfflugzeuge, wir besonders gute Flugzeuge hatten, selbst wenn es dann nicht vollkommen einheitlich war.«
Haben Sie das gesagt?
KESSELRING: Die Auffassung ist heute noch die meine, daß wir bezüglich des Materials, der Jagdflugzeuge, Sturzkampf- und Kampfflugzeuge tatsächlich einen gewissen Vorsprung vor den anderen Mächten hatten.
JUSTICE JACKSON: Nun, was den Mangel an viermotorigen Bombenflugzeugen betrifft, war der auf Ihre friedlichen Absichten, oder auf unrichtige Beurteilung der Erfordernisse des Krieges zurückzuführen?
KESSELRING: Ich muß dazu folgendes sagen: Es wäre von der Luftwaffenführung ein Wahnsinn gewesen, innerhalb von drei bis vier Jahren eine optimale Luftwaffe herzustellen. Frühestens Mitte 1940 war die Möglichkeit, gegeben, eine wirklich allen Ansprüchen genügende operative Luftwaffe auf die Beine zu bringen. Es ist deshalb nach meiner Auffassung eine Großtat der Organisation, die sich in der Beschränkung groß gezeigt hat.
JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war nach Ihrer Ansicht eines der Anzeichen Ihrer nicht aggressiven Absichten die Tatsache, daß Sie bei Kriegsbeginn nicht genügend viermotorige Bomber hatten. Habe ich Sie mißverstanden?
KESSELRING: Das ist ein Ausschnitt aus dem Ganzen. Die Stärke der Luftwaffe war gerade den kleinen Staaten gegenüber als genügend anzusprechen, keineswegs aber großen luftgerüsteten Gegnern. Ich habe ein Beispiel in Erinnerung, wie ich in einem harten Meinungskampf mit dem Reichsmarschall vor Beginn des Russenkrieges um eine Verstärkung der Jäger und Stukas gebeten habe, die mir aus bestimmten Gründen abgelehnt worden sind. Die bestimmten Gründe waren einmal der Materialmangel und zweitens, daß ich aus dem Gespräch andererseits hören konnte, daß der Reichsmarschall mit diesem Krieg an sich nicht einverstanden war.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie nicht vor der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe ausgesagt, daß Sie beabsichtigten, einen weitreichenden schweren Bomber zu bauen, daß aber, und ich zitiere Ihre Worte:
»Wir hatten die AG-111 und die JU-88 ausgebaut, und sie wurden tatsächlich in den Kampf eingesetzt. Die JU-88 wurden dann im Frankreichfeldzug und gegen England eingesetzt als Fernbomber.
Frage: Die JU-88 ist nicht wirklich ein Fernbomber?« Ihre Antwort: »Er wurde als Fernbomber zu der Zeit angesehen, aber unglücklicherweise hatten wir eine geringe Meinung über die viermotorigen Flugzeuge und einen irrtümlichen Glauben, der sich später als ein großer Fehler erwies.«
Ist das richtig?
KESSELRING: Es war meine Auffassung.
JUSTICE JACKSON: Und der Grund, daß Sie keine viermotorigen Bomber gebaut haben, war Ihre geringe Meinung darüber?
KESSELRING: Ich möchte sagen, daß das die Auffassung einer Dienststelle war; Entscheidungen in all diesen Fragen wurden im Gremium getroffen, in der höchsten Dienststelle.
JUSTICE JACKSON: Und die höchsten Dienststellen haben einen Fehler in der Beurteilung der Verwendungsmöglichkeit der viermotorigen Bomber gemacht?
KESSELRING: Wenn ich die Verhältnisse retrospektiv betrachte, muß ich sagen, daß das Fehlen eines viermotorigen Bombers sich sehr unangenehm bemerkbar gemacht hat.
JUSTICE JACKSON: Und die höchste Autorität in der Flugzeugproduktion war Hermann Göring. Er war Chef für die gesamte Planung der Flugzeugproduktion? Nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl, das stimmt, das schließt nicht aus, daß natürlich eine irrtümliche Auffassung über irgendeine Kriegsführungsmaßnahme oder eine organisatorische Maßnahme vorübergehend vorhanden sein kann.
JUSTICE JACKSON: Sie haben am polnischen Feldzug teilgenommen, wie Sie gesagt haben?
KESSELRING: Ja.
JUSTICE JACKSON: Ist es nicht eine Tatsache, daß die deutsche Luftwaffe den entscheidenden Beitrag zu diesem Feldzug geleistet hat, vor allem hinsichtlich der zur Eroberung Polens benötigten Zeit?
KESSELRING: Vom Standpunkt des Luftwaffenoffiziers aus muß ich diese Auffassung absolut bestätigen. Aber die Heeresoffiziere teilten nicht ganz diese Auffassung.
JUSTICE JACKSON: Gut. Sie bringen jetzt in Ihrer Aussage Ihre eigene Meinung zum Ausdruck. Und in diesem Feldzug haben Sie die Technik des Tiefangriffs mit Jagdflugzeugen, Stukas und leichten Bombenflugzeugen gegen marschierende Kolonnen ausgebaut und Sturzkampf-, leichte Bomben- und Jagdflugzeuge haben alle zu diesem Erfolg beigetragen.
KESSELRING: Das muß ich zugeben, die Grundlagen der Nahkampftechnik wurden im Polenkrieg gelegt.
JUSTICE JACKSON: Ich wende mich nun dem französischen Feldzug zu. Sie gehörten in diesem französischen Feldzug der Luftwaffe an, nicht wahr?
KESSELRING: Ja.
JUSTICE JACKSON: Die Luftwaffe hat entscheidend zum Erfolg dieses Feldzuges beigetragen, nicht wahr?
KESSELRING: Vom Standpunkt des Luftwaffenoffiziers muß ich diese Auffassung als richtig unterstellen.
JUSTICE JACKSON: Und Sie haben ausgesagt, daß Dünkirchen keine solche Katastrophe gewesen wäre, wenn die Luftwaffe nicht mitgewirkt hätte. Das ist richtig, nicht wahr?
KESSELRING: Sagten Sie Dünkirchen? Ich habe das Wort nicht ganz verstanden.
JUSTICE JACKSON: Jawohl, Dünkirchen.
KESSELRING: Ja, das ist meiner Auffassung nach bestimmt und wäre in noch höherem Maße eingetreten, wenn nicht Schlechtwetter unseren Einsatz stark behindert hätte.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, wenn das schlechte Wetter nicht eingetreten wäre, würde die Katastrophe für die Engländer noch größer gewesen sein? Ihrer Meinung nach hätte die Luftwaffe bei Dünkirchen eigentlich bessere Arbeit leisten können, als dies tatsächlich der Fall war?
KESSELRING: Wir sind ungefähr zwei Tage ausgeschaltet gewesen.
JUSTICE JACKSON: Sie waren einer der Hauptvertreter des Planes der Invasion von England, nicht wahr?
KESSELRING: Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn der Krieg überhaupt zu einem Ende geführt werden sollte, dieses Ende nur mit Sicherheit durch eine Invasion erreicht werden konnte.
JUSTICE JACKSON: Nach dem Sieg über Polen, Holland, Belgien und Frankreich hatten Sie eine genügend starke Luftwaffe, um eine Invasion von England vorschlagen zu können, nicht wahr?
KESSELRING: Hierzu muß ich eine Ausführung machen.
JUSTICE JACKSON: Erst beantworten Sie mir, ob das richtig ist?
VORSITZENDER: Herr Zeuge, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie zuerst die Frage zu beantworten haben, und erst dann Ausführungen machen können. Jede Frage, oder fast jede Frage erfordert entweder eine positive oder negative Antwort. Wollen Sie bitte zuerst eine solche Antwort geben und dann Ihre Erklärung ausführen.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie nicht die Invasion von England befürwortet, und war die Luftwaffe nicht bereit zur Invasion Englands?
KESSELRING: Die Luftwaffe war unter gewissen Voraussetzungen bereit, unter Berücksichtigung der gegebenen seinerzeitigen Luftwaffenlage, diese Aufgabe zu erfüllen.
JUSTICE JACKSON: Und Sie haben dem Reichsmarschall sehr dringend geraten, mit der Invasion sofort nach Dünkirchen zu beginnen, nicht wahr?
KESSELRING: Ja, und ich habe diese Auffassung auch noch später vertreten.
JUSTICE JACKSON: Und die Vorbereitungen der Luftwaffe für diese Invasion waren vollendet, und die Invasion wurde nur deshalb nicht ausgeführt, weil die Ausrüstung mit Seefahrzeugen nicht ausreichend war, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl. Ich müßte den vorhergehenden Satz noch dahin ergänzen, daß selbstverständlich eine gewisse Zwischenpause zwischen dem französischen und dem englischen Feldzug hätte eintreten müssen, um die materielle Auffüllung der Luftwaffe wieder zu bewerkstelligen.
JUSTICE JACKSON: Nun, Sie sagten auch der United-States-Kommission zur Untersuchung der strategischen Bombenangriffe, daß Hitler nicht allein die Bombardierung militärischer Objekte einschließlich industrieller Produktionszentren befohlen habe, sondern auch die Bombardierung politischer Ziele. Ist das richtig?
KESSELRING: Von einem gewissen Zeitpunkt an, ja.
JUSTICE JACKSON: Das heißt, um die Regierung des Feindes lahmzulegen, das meinten Sie mit politischen Zielen, nicht wahr?
KESSELRING: Das meine ich nicht mit politischen Zielen. Ich habe aber die Frage anders beantwortet und aufgefaßt, nämlich, daß dieser Befehl erst von einem späteren Zeitpunkt ab wirkte.
JUSTICE JACKSON: Sie waren zugegen, als Hitler im August 1939 eine Rede hielt?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Damals wurden Sie davon unterrichtet, daß der Angriff auf Polen unmittelbar oder sehr bald bevorstünde?
KESSELRING: Bei dieser Besprechung war der endgültige Entschluß, den Feldzug in Polen zu eröffnen, noch nicht gefaßt. Es liefen noch Verhandlungen, und wir hatten die Hoffnung, daß diese Verhandlungen noch zu einem günstigen Ergebnis führen würden.
JUSTICE JACKSON: Wurde Ihnen am 15. August befohlen, die Luftwaffe zum Angriff auf Polen bereitzuhalten?
KESSELRING: Diesen Befehl an sich kenne ich im einzelnen nicht, aber daß wir Monate voraus schon in einer allgemeinen defensiven Richtung die Flugvorbereitung, die Basen, in dem Gedanken an eine Defensive herrichteten, das muß ich angeben.
JUSTICE JACKSON: Sie erwarteten einen Luftangriff Polens auf Deutschland? Ist das Ihre Behauptung?
KESSELRING: Auf jeden Fall wurde mit dieser Möglichkeit auf unserer Seite auch gerechnet. Die gesamte politische Konstellation war uns zu fremd, um ein sachdienliches, einwandfreies Urteil abgeben zu können.
JUSTICE JACKSON: Sie haben erklärt, daß Sie niemals Besprechungen mit Parteiführern abhielten und weder über Politik sprachen, noch irgendwelche wesentliche Verbindung zu politischen Persönlichkeiten hatten, nicht wahr?
KESSELRING: Im wesentlichen, ja.
JUSTICE JACKSON: War nicht Ihr unmittelbarer Vorgesetzter der politische Führer Nr. 2 von Deutschland? Haben Sie das nicht gewußt?
KESSELRING: Ich habe es gewußt, aber ich darf ausdrücklich sagen, daß die Unterhaltungen, die ich mit dem Reichsmarschall hatte, zu 99 Prozent militärischer und organisatorischer Art waren.
JUSTICE JACKSON: Aber Sie wußten, daß er zu allen Zeiten einer der führenden Männer der Nazi-Partei war?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Sie haben ausgesagt, daß Sie den Befehl, Sowjet-Kommissare zu erschießen, kannten?
KESSELRING: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Und daß Sie ihn nicht gebilligt haben und ihn nicht ausführten?
KESSELRING: In diesem Sinne habe ich mich gestern nicht geäußert.
JUSTICE JACKSON: Was war Ihre Antwort darauf?
KESSELRING: Ich habe folgendes gesagt: Daß die Luftwaffe als keine »Erdkampftruppe« an dieser Frage nicht beteiligt war, und daß mir eine offizielle Bekanntgabe dieser Verfügung nicht mehr in Erinnerung ist.
JUSTICE JACKSON: Wer führte diesen Befehl aus? Wer sollte ihn ausführen?
KESSELRING: Ich bin nur bis November 1941 in Rußland gewesen und kann darüber keine Auskunft geben.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie je von der SS gehört?
KESSELRING: Selbstverständlich.
JUSTICE JACKSON: Entspricht es nicht den Tatsachen, daß die Ausführung dieses Befehls der SS übertragen wurde?
KESSELRING: Darüber wußte ich nichts.
JUSTICE JACKSON: Wozu glaubten Sie, war die SS da?
KESSELRING: Für meinen Begriff war die SS, soweit sie bei den militärischen Operationen Verwendung fand, eine Abart des Heeres, und zwar eine Art Garde des Heeres.
JUSTICE JACKSON: Die SS sollte die Armee bewachen oder wen sonst?
KESSELRING: Nein, sondern die SS-Divisionen waren rein menschenmäßig, zahlenmäßig und materialmäßig weit über den Durchschnitt der Heeresdivisionen ausgestattet und fertig.
JUSTICE JACKSON: Wer kommandierte die SS?
KESSELRING: Himmler hatte die SS kommandiert. Soweit diese Divisionen im Rahmen des Heeres Verwendung gefunden haben, waren sie taktisch den betreffenden Armeeführern, Heeresgruppenkommandeuren oder Generalkommandos unterstellt.
JUSTICE JACKSON: Aber soweit sie Sonderaufgaben hatten, standen sie unter dem Befehl Himmlers? Stimmt das?
KESSELRING: Jawohl. Ein sehr klarer Nebenweg.
JUSTICE JACKSON: Sie haben gestern ausgesagt, daß Sie den Kommandobefehl Hitlers nicht als bindend für sich betrachteten, und daß Sie diesen Befehl nicht ausführten. Ist das richtig?
KESSELRING: Auf dem Kriegsschauplatz des Mittelmeeres, ja.
JUSTICE JACKSON: War das deshalb, weil der Befehl Ihnen die Entscheidung überließ, oder weil Sie diese Entscheidung eben selbständig trafen?
KESSELRING: Ich habe mir diesen Vorbehalt selbst gemacht, erstens aus ideologischen Überlegungen und zweitens, weil ich eine Doppelunterstellung im Mittelmeer hatte, wie ich gestern sagte, und die deutschen Befehle nicht ohne weiteres in die Gesamtführung eingeschleust werden konnten.
JUSTICE JACKSON: Gut, das Ausmaß, wie weit ein Befehl dieser Art ausgeführt wird, hing also irgendwie vom Charakter und Mut des Offiziers ab, der ihn erhalten hatte, nicht wahr?
KESSELRING: Ich möchte es etwas anders ausdrücken. Diese Befehle haben eine gewisse Auslegungsfähigkeit gehabt, zum Beispiel, dieser Kommandobefehl insoweit, als es dem Oberbefehlshaber ganz zweifellos möglich war, eine Operation als Kommando oder als militärisch berechtigte taktische Maßnahme anzusehen.
JUSTICE JACKSON: Zur Zeit dieses Kommandobefehls befehligten Sie die Streitkräfte in Italien, nicht wahr?
KESSELRING: Unterschiedlich. Mit allen Vollmachten erst ab September 1943.
JUSTICE JACKSON: Ich werde Ihnen nun Dokument 498, US-501, vorlegen lassen.
VORSITZENDER: Ist das 498-PS?
JUSTICE JACKSON: 498-PS. Ich bitte um Entschuldigung, Herr Vorsitzender.