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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. STAHMER: Welche Gründe führten zum Angriff auf Jugoslawien?

GÖRING: Deutschland hatte in den ganzen Jahren vor dem Kriegsausbruch die denkbar besten Beziehungen zum jugoslawischen Volk und zur Jugoslawischen Regierung. Es war ein Teil meiner außenpolitischen Aufgabe, diese Beziehungen besonders zu pflegen. Da ich mit dem Prinzregenten Paul und dem Ministerpräsidenten Stojadinowitsch persönlich befreundet war, habe ich mehrfach das Land besucht und auch einen längeren Urlaub dort zugebracht. Es war das Bestreben, nicht nur wirtschaftlich zu engen Beziehungen durch gegenseitige Ergänzung, sondern auch darüber hinaus politisch zu einer engen Verständigung und Freundschaft zu kommen. Es ist dies in vollem Umfange gelungen und fand seinen Höhepunkt in dem Gegenbesuch, den der Prinzregent Paul auf meine Besuche hin in Deutschland machte. Da ich gleichzeitig auch ähnliche freundschaftliche Beziehungen zu König Boris von Bulgarien hatte, habe ich auch hier oft ausgleichend wirken können und desgleichen dann und wann mit Italien.

Mein Eintreten für Jugoslawien hat sogar dort eine Zeitlang ein gewisses Mißtrauen gegen mich erweckt.

Nach Kriegsausbruch wurde ebenfalls alles vermieden, um in irgendeiner Form mit Jugoslawien andere Beziehungen als freundschaftliche zu besitzen. Bedauerlicherweise schied der Ministerpräsident Stojadinowitsch aus, aber auch sein Nachfolger verfolgte diese Politik. Der Beitritt zum Dreimächtepakt bezweckte gerade, Jugoslawien unter allen Umständen in seiner Neutralität zu erhalten und nicht in den Krieg hineinzuziehen. Schon zur Zeit, als diese Unterzeichnung stattfand, war die Notwendigkeit anerkannt worden, vorsorglich wegen der Landung – oder bevorstehenden Landung – Englands in Griechenland Truppen nach Rumänien zu dirigieren. Trotz dieses Abkommens war ausdrücklich vorgesehen, daß keinerlei Truppentransporte durch Jugoslawien laufen sollten, so daß die Neutralität auch nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächteabkommen nach jeder Richtung hin bestätigt wurde. Als der Ministerpräsident Zwetkowitsch zurückkam, erfolgte kurz darauf der Putsch des Generals Simowitsch gegen die Regierung des Prinzregenten und die Einsetzung des unmündigen Königs.

Wir erfuhren damals durch die engen Beziehungen zu Jugoslawien sehr rasch die Hintergründe, die hinter dem Putsch des Generals Simowitsch auftauchten. Die Bestätigung bekamen wir kurze Zeit später, daß diese Unterrichtungen von jugoslawischer Seite richtig waren, nämlich, daß hier ein scharfes Einschalten einmal der russischen Politik als auch eine finanzielle Unterstützung dieses Unternehmens mit außerordentlichen Geldmitteln durch England vorlag, wofür wir dann die Beweise fanden. Es war somit klar, daß dieses Unternehmen gegen die Freundschaftspolitik der bisherigen Jugoslawischen Regierung zu Deutschland gerichtet war. Es ist auch – das sei hier erwähnt – in späteren Presseäußerungen von russischer Seite darauf hingewiesen worden, welch starken Einfluß man darauf hatte, und zu welchem Zweck dieses Unternehmen ausgeführt wurde.

Die neue Jugoslawische Regierung stand ohne jeden Zweifel klar und deutlich bereits aufs engste mit unseren Gegnern, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten, nämlich England und – schon in der Kombination des kommenden Gegners – Rußland, in einwandfreiem Zusammenhang. Das Simowitsch-Unternehmen war sogar der allerletzte und entscheidendste Grund, um die noch da und dort vorhandenen allerletzten Bedenken des Führers über die Haltung Rußlands zu zerstreuen und ihn zu veranlassen, nunmehr unter allen Umständen das Prävenire in der Richtung zu spielen. Vor diesem jugoslawischen Simowitsch-Unternehmen wären vielleicht noch, obwohl Vorbereitungen getroffen waren, letzte Zweifel an der Notwendigkeit der Auslösung des Angriffs gegen Sowjetrußland zurückgestellt worden.

Diese klare Haltung und Zusammenhänge zwischen Belgrad und Moskau nahmen aber dem Führer die allerletzten Zweifel weg. Gleichzeitig war klar, daß dieses Jugoslawien unter der neuen Regierung nur Zeit für seinen Aufmarsch zu gewinnen versuchte; denn in der gleichen Nacht, da der Putsch unternommen wurde, gingen die geheimen und ganz kurz darauf die offiziellen Mobilmachungsorders an die jugoslawische Armee heraus. Trotz der Zusicherungen, die Simowitsch nach Berlin gab, er würde sich an das Abkommen, oder so ähnlich, gebunden halten, war das Manöver klar zu durchschauen.

Die Lage war nun folgende: Italien, unser Bundesgenosse, hatte seinerzeit, von Albanien vorgehend, Griechenland angegriffen, soweit ich mich erinnere im Oktober oder September 1940. Von diesem Unternehmen war Deutschland nicht unterrichtet. Der Führer erfuhr einmal durch mich, der ich es durch Zufall erfahren hatte, und zweitens auch wahrscheinlich durch das Außenamt von diesem Unternehmen und dirigierte augenblicklich seinen Zug auf der Fahrt von Frankreich nach Berlin um, um den Duce in Florenz kurz zu sprechen. Die Italienische Regierung oder Mussolini selbst war sich wohl in dem Augenblick im klaren, warum der Führer ihn sprechen wollte und, soviel mir erinnerlich, wurde der Einmarschbefehl der italienischen Armeen von Albanien auf Griechenland dadurch um 24 oder 48 Stunden früher ausgelöst. Tatsache ist es, daß der Führer in seiner Sorge, eine Ausweitung des Konfliktes auf dem Balkan und das östliche Mittelmeer unter allen Umständen zu vermeiden, dringendst auf den Duce einwirken wollte, von derartigen Plänen, die nicht notwendig, sondern aus Prestigegründen vorgenommen wurden, abzusehen.

Als die Zusammenkunft um 10.00 Uhr morgens stattfand, und der Führer seine Bedenken geäußert hatte, erklärte Mussolini wörtlich, daß seit 6.00 Uhr morgens bereits die italienischen Truppen im Vormarsch durch Griechenland seien und nach seiner Auffassung in Kürze in Athen stehen würden. Der Führer wies ihn noch einmal darauf hin, daß damit unter Umständen auch die Beziehungen zur Türkei aufs schwerste gefährdet würden und erneut ein Kriegsschauplatz entstehen würde, in der richtigen Erkenntnis – was er dort wohl nicht geäußert hat –, daß ein italienischer Kriegsschauplatz früher oder später den deutschen Bundesgenossen zur Hilfe holen würde.

So war auch die Situation nun beim Ausbruch des Angriffs auf Jugoslawien. Italien, gestoppt und zurückgeworfen, war in einer strategisch und taktisch außerordentlich ungünstigen Lage schon gegenüber dem griechischen Gegner. Schwenkte nun auch nur ein Teil der jugoslawischen Armee in Flanke und Rücken der italienischen Skutaristellung, dann war Italien nicht nur dort ausgeschaltet, sondern ein wesentlicher Teil der italienischen Streitkräfte vernichtet.

Schon kurz vorher war die Lage für diese italienischen Streitkräfte dadurch in absehbarer Zeit als hoffnungslos anzusehen, weil durch Zuzug und Landung englischer Hilfstruppen in Griechenland zu erwarten war, daß dann, wenn diese den Griechen zur Hilfe kamen, die italienische Armee nicht nur aus Griechenland, wo sie nur an der Grenze stand, sondern auch aus Albanien hinausgeworfen würde und nunmehr auch englische Truppen in bedrohlicher Nähe Italiens und des Balkans, der für uns wirtschaftlich entscheidend war, stehen würden.

Durch den Simowitsch-Putsch und die Mobilmachung Jugoslawiens wäre aber in kürzester Zeit die Besiegung der italienischen Balkanarmeen entschieden gewesen. Nur raschestes Handeln konnte eine doppelte Gefahr beseitigen, erstens eine Katastrophe des italienischen Bundesgenossen, zweitens eine Festsetzung englischer Truppen auf dem Balkan, die für eine kommende Ausgangsposition im Konflikt mit Rußland schädlich war.

Die in Marsch gesetzten deutschen Truppen für das Unternehmen »Marita«, Griechenland, die also gegen Griechenland vorgehen sollten, um die gelandeten englischen Divisionen wieder ins Mittelmeer zurückzuwerfen und den italienischen Bundesgenossen im Rücken zu entlasten, wurden mit ihren Teten rechts abgedreht und in ganz kurzen und beschleunigten und kurzfristigen Angriffsvorbereitungen in die Flanke des jugoslawischen Mobilmachungsaufmarsches geworfen. Die Luftwaffe wurde von ihren Flugplätzen in Deutschland in kürzester Frist, was leicht möglich war, auf den Flugplätzen im Südostraum versammelt und ebenfalls zur Unterstützung des Angriffs angesetzt.

Nur durch dieses rasche Handeln und dadurch, daß die Voraussetzungen bereits durch den Aufmarsch »Marita« gegeben waren, konnte Deutschland eine außerordentliche Gefahr für seine ganze Lage auf dem Balkan und im Südosten in diesem Augenblick ausschalten. Es wäre politisch und militärisch ein Staatsverbrechen für die deutschen Lebensinteressen gewesen, wenn in diesem Falle der Führer nicht so gehandelt haben würde.

DR. STAHMER: Welche Ziele hat die Luftwaffe in Jugoslawien zunächst angegriffen?

GÖRING: Ich habe eben die ganz besondere Situation geschildert, in welcher sich die Deutsche Wehrmacht bei Ausbruch dieses Krieges befand, und welche Aufgaben sie lösen mußte, das hatte mit einer ungeheuren Schnelligkeit und mit einem ebenso großen zu erstrebenden Effekt zu geschehen, um noch rechtzeitig ihre ursprüngliche Aufgabe, die Durchstoßung – ich weiß jetzt nicht mehr den Namen – der Metaxas-Linie in Nordgriechenland vorzunehmen, bevor englische Truppen, die bereits bei Athen gelandet waren, zur Unterstützung der griechischen Besatzungen an der Metaxas-Linie kommen konnten. Es mußte also einerseits ein erheblich kleinerer Teil der deutschen Streitkräfte auf dieser Linie eindringen und der andere Teil, der vorgesehen war, sich auf die jugoslawische Armee werfen und ebenfalls hier mit an sich unzulänglichen Kräften in kürzester Frist – das war Voraussetzung für das ganze Gelingen – diese Armee ausschalten. Sonst konnte es nicht nur eintreten, daß mit völliger Sicherheit die Vernichtung der italienischen Armee vor sich ging, sondern daß auch die so geteilte deutsche Armee, mit Teilkräften in Jugoslawien vordringend – die bulgarische Unterstützung kam erheblich später –, mit anderen Teilkräften rechtzeitig die starke Metaxas-Linie forcierend, um den englischen Aufmarsch dort zu verhindern, selbst in ihrer Teilung in eine ungeheuer schwere und kritische und vielleicht verhängnisvolle militärische Lage kommen konnte. Die Luftwaffe war daher in diesem Teile mit dem größten Nachdruck einzusetzen, um zu erreichen, daß das jugoslawische Unternehmen eines Aufmarsches gegen Deutschland und seinen Bundesgenossen raschestens zum Stillstand kam.

Der Befehl war deshalb in erster Linie zu konzentrieren auf den Angriff auf das jugoslawische Kriegsministerium in Belgrad; dann zweitens auf den Bahnhof, der gerade in Belgrad bei dem an sich nicht sehr starken jugoslawischen Eisenbahnnetz ein besonderer Knotenpunkt für den Aufmarsch war; und dann waren noch einige der wichtigsten Zentren, Generalstabsgebäude und so weiter, vorgesehen, weil sich zu diesem Zeitpunkt noch das ganze Hauptquartier, politisch wie militärisch, in Belgrad befand, alle Fäden in diesem Augenblick dort noch zusammenliefen und mit der Bombardierung dieses Nervenzentrums für den weiteren Aufmarsch von vorneherein eine außerordentliche Lähmung des Widerstandes eintreten mußte.

Die Warnung für Jugoslawien war nicht notwendig, und zwar aus folgenden Gründen: Formell mag man einwenden, daß wir keine Kriegserklärung oder Warnung geschickt haben. Tatsächlich war sich keiner der nun leitenden Männer Jugoslawiens auch nur im geringsten im Zweifel darüber, daß Deutschland vorgehen würde. Man erkannte das, denn man hatte sich selbst ja schon fieberhaft mit dem Aufmarsch befaßt und nicht nur mit der Mobilmachung. Die Angriffe des deutschen Heeres erfolgten zudem zu einem Zeitpunkt, der vor dem Bombardement von Belgrad lag. Aber selbst wenn man unterstellt, die Luftwaffe hätte den ersten Angriff vollzogen, und dann erst das Heer, also ohne Warnung, so hatte die Handlungsweise Jugoslawiens und die außerordentliche Gefahr der militärischen Situation dazu herausgefordert. Wir standen hier schon mitten im schwersten Kampf. Es ging hier darum, den Balkan nach zwei Seiten hin zu sichern und fest in die Hand zu nehmen. Die Ziele – das betone ich noch einmal – waren, wie ich mich genau erinnere, Kriegsministerium, Bahnhof, Generalstabsgebäude und noch dieses und jenes Ministerium. Die Stadt wurde natürlich, da diese Gebäude zerstreut in der Stadt lagen, auch in Mitleidenschaft gezogen.

DR. STAHMER: In den letzten Tagen sind hier wiederholt die Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam und Coventry behandelt worden. Sind diese Angriffe über die militärische Notwendigkeit hinaus durchgeführt?

GÖRING: Die Zeugen, vor allen Dingen der Feldmarschall Kesselring, haben einen Teil davon berichtet. Aber aus diesen Aussagen mußte ich wieder erkennen – was ja selbstverständlich ist –, wie ein Befehlshaber einer Armee, Heeresgruppe oder Luftflotte letzten Endes doch nur einen Teilausschnitt übersieht. Als Oberbefehlshaber der Luftwaffe bin ich hingegen in der Lage, das Gesamtbild hier zu übersehen, da ich ja auch der verantwortliche Mann war, die Befehle hierfür zu erteilen. Nach meinen Befehlen und nach meinen Gesichtspunkten erhielten die Flottenchefs ihre Richtung und Weisung, was sie zu machen hatten.

Warschau: Ich möchte zunächst die Äußerung klarstellen, daß am ersten Morgen des Angriffs auf Polen eine ganze Reihe polnischer Staate – ich glaube, der Herr Englische Anklagevertreter nannte sie dem Namen nach – angegriffen wurden. Ich habe die Namen nicht mehr so im Kopfe.

In meinen Anweisungen zum ersten Angriffstag auf Polen steht ausdrücklich als erstes Ziel: Zerschlagung und Vernichtung der feindlichen Luftstreitkräfte; ist dieses erreicht, können die anderen Ziele ohne weiteres angegriffen werden. Deshalb Befehl, folgende Flugplätze anzugreifen. Ich bin sicher-ohne die Namen jetzt zur Hand zu haben –, daß 80 Prozent der genannten Namen Städte sind, bei denen sich Flugbasen befunden haben. Das zweite Hauptziel, das aber am ersten Tage nur in geringem Ausmaße oder beim ersten Hauptschlag anzugreifen war, war eine Anzahl ganz besonders entscheidender Eisenbahnknotenpunkte für die Verschiebung größerer Truppenteile.

Ich verweise darauf, daß kurz vor dem letzten und entscheidenden Luftangriff auf Warschau, auf den ich gleich komme, der französische Militärattaché in Polen einen Bericht an seine Regierung geschickt hat, den wir vorzulegen in der Lage sind, und den wir später in Paris gefunden haben; aus ihm geht hervor, daß dieser Gegner selbst erklärt, die deutsche Luftwaffe, das müsse er zugeben, habe in Polen ausschließlich militärische Ziele angegriffen, »ausschließlich« besonders betont.

Warschau hatte zunächst nur ein oder zwei Angriffsziele, lange bevor – das heißt, lange bevor ist ein falscher Ausdruck, weil es rasch ging –, also bevor die Einschließung Warschaus erfolgte. Das war der Flugplatz Okêcie, wo die Hauptmasse feindlicher polnischer Luftstreitkräfte war, und das war der Bahnhof Warschau, als einer der hauptstrategischen Bahnhöfe Polens. Diese besprochenen Angriffe waren aber auch nicht die entscheidenden, sondern, nachdem Warschau eingeschlossen war, wurde es zur Übergabe aufgefordert. Es lehnte die Übergabe ab. Im Gegenteil, ich erinnere an die Aufrufe, die an die gesamte polnische Zivilbevölkerung und auch die Einwohnerschaft von Warschau gerichtet waren, energischen Widerstand, also nicht nur militärischen, sondern auch zivilen – was bekanntlich gegen das Völkerrecht ist –, zu leisten. Trotzdem haben wir sie noch einmal verwarnt. Wir haben als erstes Flugblätter abgeworfen, nicht Bomben, in denen wir die Bevölkerung aufforderten, nicht zu kämpfen. Zum zweiten haben wir, als der Kommandant auf seinem Standpunkt beharrte, aufgefordert, die Zivilbevölkerung vor dem Bombardement zu evakuieren.

Als dann eine Funknachricht kam, der Kommandant wolle einen Parlamentarier schicken, gingen wir darauf ein, warteten aber umsonst auf diesen. Wir haben dann wenigstens gefordert und erreicht, daß das Diplomatische Korps und alle Neutralen auf einer von uns zu bestimmenden Straße Warschau verlassen konnten, was auch geschehen ist. Als dann auf die letzte Anfrage, wo klar gesagt worden war, daß wir nunmehr gezwungen seien, auch die Stadt schärfstens anzugreifen, keine Übergabe erfolgte, wurde zunächst auf die Forts, dann auf die in der Stadt aufgefahrenen Batterien und Truppenteile sofort zum Angriff übergegangen. Das war der Angriff Warschau.

In Rotterdam war die Lage eine völlig andere. Um den Feldzug in den Niederlanden so rasch wie möglich zu beenden, und damit einem Volke Blutvergießen zu ersparen, mit dem wir an sich keinen inneren Gegensatz hatten, und den wir nur aus den vorhin erwähnten Gründen durchführen mußten, hatte ich den Einsatz der Fallschirmdivision in den Rücken des gesamten holländischen Aufmarsches gegen Deutschland vorgeschlagen, vor allem, um die drei entscheidenden Brücken, einmal die bei Moerdijk über den Rhein, dann die bei Dordrecht und Rotterdam, in die Hand zu bekommen. Damit war von vornherein der Weg in den Rücken der Gesamtaufstellung gegeben und wenn dies gelang, konnte die holländische Armee bei aller Tapferkeit sich nur wenige Tage halten. Dieser Aufmarsch oder das Abspringen meiner Fallschirmdivision an den drei Brücken gelang vollkommen.

Während bei Moerdijk und Dordrecht die Sache schnell überwunden wurde, geriet der Teil in Rotterdam in schwierige Lage. Er wurde zunächst von holländischen Kräften eingeschlossen. Es kam alles darauf an, die Eisenbahnbrücke und Straßenbrücke, die nebeneinander liegen, unter allen Umständen unzerstört in die Hand zu bekommen, denn nur dadurch war dies letzte Einfalltor in den Rücken der Festung Holland offen. Während der Hauptteil in der südlichen Stadt Rotterdam war, waren einige kühne Stoßtrupps der Fallschirmtruppen über beide Brücken vorgedrungen; sie standen hart nördlich vor beiden Brücken, einmal in der Station, die sich gleich hinter der Eisenbahnbrücke nördlich des Flusses befand, und zum zweiten in einem Häuserblock, der sich unmittelbar an der Nordkante der Straßenbrücke, gegenüber dieser Station, befand, und an der bekannten Butter- oder Margarinefabrik, die später eine Rolle spielte.

Dieser Stoßtrupp hielt sich trotz schwerster und überlegener Angriffe. Währenddessen kam von außen eine deutsche Panzerdivision, die sich Rotterdam näherte, über Moerdijk und die Dordrecht-Brücke.

Und hier möchte ich auch den Irrtum aufklären, der bei dem Kreuzverhör zwischen Sir David Maxwell- Fyfe und Feldmarschall Kesselring bezüglich der beteiligten Personen auftauchte. Der Generalleutnant Schmidt gehörte dieser von außen kommenden Gruppe an und führte die Panzertruppe. Der General Student führte die Fallschirmdivision, die in Rotterdam war, also innen drin, und daraus erklärt sich, daß einmal Kapitulationsverhandlungen mit dem von außen kommenden deutschen Kommandeur geführt wurden, und zum zweiten Kapitulationsverhandlungen mit dem in der Stadt befindlichen die Fallschirmtruppen kommandierenden General; die beiden wurden dann – ich möchte hier nicht in die Ausführlichkeiten gehen- zusammengefaßt. Bevor es nun hier – wenn man das zeitlich genau überprüft, kann man es fast auf die Minute feststellen – klar und irgendwie zu Abmachungen kam und abzusehen war, ob es überhaupt zu einer Kapitulation kam oder nicht – das ging zunächst ja nur Rotterdam an –, befand sich die Gruppe nördlich der beiden Brücken in einem außerordentlich bedrängten und schweren Zustand. Der Zuzug über die beiden Brücken war schwierig; sie lagen unter starkem flankierendem Maschinengewehrfeuer – ich könnte heute noch hier die Situation haargenau aufzeichnen – und auch unter Artilleriefeuer. Daher konnten nur einzelne Leute – ich erinnere mich noch genau der späteren Situation an der Brücke – unter der Brücke, in hängender Stellung, also an den Händen sich fortbewegend, hinübergelangen, um aus dem Feuerbereich zu kommen.

Es war angefordert worden, nördlich der Station auch dort stehende Batterien und auch die holländischen Streitkräfte auf der zwischen Eisenbahn und Butterfabrik nach Norden führenden Straße, die diese Stoßtrupps sehr bedrängten, mit Bomben anzugreifen; denn in diesem Augenblick hatten ja die Fallschirmtruppen keine Artillerie und die Bombenkräfte stellten die einzige Artillerie der Fallschirmtruppen dar. Ich hatte meinen Fallschirmern vor dem Unternehmen versichert, daß sie unter allen Umständen den Schutz der Bomber gegen schweres Feuer bekommen würden.

Drei Gruppen eines Geschwaders waren angesetzt. Der Hilferuf kam aus der Funkstation, die die Fallschirmer in Rotterdam hatten; die funktionierte nicht so gut, wie hier besprochen worden ist. Zum zweiten erfolgte dieser Einsatz auf Grund der erkennbaren, ausgelegten und abgesprochenen Erdzeichen, die die Aufklärungsflugzeuge zurückbrachten. Es handelte sich hier um Pfeile, Zeiger und Buchstaben, die den Aufklärungsfliegern andeuteten, »werden bedrängt von Artillerie aus nördlicher oder westlicher oder südlicher Richtung« und so weiter.

Daraufhin befahl ich der Luftflotte den Einsatz eines Geschwaders. Das Geschwader startete in drei Gruppen; eine Gruppe hatte praeter propter 25 bis 30 Flugzeuge. Als die erste Gruppe kam, war, soviel ich weiß, die Kapitulationsverhandlung im Gang, aber mit noch keinem klar erkenntlichen Ziel. Trotzdem wurden rote Leuchtsignale abgeschossen. Die erste Gruppe faßte diese Leuchtsignale nicht auf, sondern warf verabredungsgemäß ihre Bomben genau in jenen Teil, der befohlen war. Es handelt sich genau, wenn ich mich der Zahl noch erinnere, im Höchstfall um 36 zweimotorige Flugzeuge, die in der Hauptsache 50-Kilo-Bomben abgeworfen haben. Die zweite und dritte darauf folgende Gruppe erfaßte die roten Leuchtzeichen, machte kehrt und warf ihre Bomben nicht ab.

Eine Funkverbindung zwischen Rotterdam und den Flugzeugen bestand nicht. Die Funkverbindung ging von Rotterdam über mein Hauptquartier, Luftflotte 2, zur Division, Divisionsgeschwader-Bodenstelle; von der Geschwader-Bodenstelle war eine Funkverbindung zu den Flugzeugen gegeben. Es handelt sich hier um Mai 1940, wo im allgemeinen die Funkverbindung Bodenstelle – Flugzeuge schon zwar leidlich gut war, aber in keiner Weise mit der hervorragenden Verbindung, die sich im Laufe des Krieges herausstellte, vergleichbar. Das Wesentliche aber ist, daß Rotterdam zu den Flugzeugen direkt nicht funken konnte und deshalb die verabredeten Zeichen, rote Leuchtsignale, abgeschossen hat; aufgefaßt von der Gruppe 2 und 3, nicht erfaßt von der Gruppe 1.

Die große Zerstörung erfolgte nicht durch Bomben, sondern, wie gesagt, durch Brand. Man erkennt das am besten daran, daß alle die Bauten, die aus festem Stein und Beton gebaut waren, in dem zerstörten Teil stehen blieben, während die älteren Häuser vernichtet wurden. Das Ausbreiten dieses Feuers hatte seinen Grund durch die Entzündung dieser großen Mengen von Fetten und Öl. Zum zweiten, ich möchte das ausdrücklich betonen, hätte bei einem energischen Eingreifen der Rotterdamer Feuerwehr die Ausbreitung des Brandes durchaus, trotz auftretenden Sturmes, verhindert werden können.

Die endgültigen Kapitulationsverhandlungen sind, soweit mir erinnerlich, erst um ungefähr 6.00 Uhr abends erfolgt. Ich weiß das deshalb, weil während dieser Kapitulationsverhandlungen noch herumgeschossen wurde, und der General der Fallschirmtruppen Student während der Kapitulationsverhandlungen im Zimmer an das Fenster trat und einen schweren Schädelschuß mit Gehirnverletzung bekommen hat.

Dies zu Rotterdam und zur Aufklärung der beiden Generale mit ihren Kapitulationsverhandlungen, der eine von außen, der andere von innen.

Coventry: Nachdem wir vom 6./7. September bis in den November – also nach häufigen Vorwarnungen an die Englische Regierung, auch nachdem der Führer sich vorbehalten hatte, den Befehl zur Vergeltung zum Angriff auf London selbst zu geben – sehr lange gezögert hatten, nachdem immer wieder deutsche Städte ohne militärische Ziele beworfen wurden, wurde London als Angriffsziel befohlen. Die deutsche Luftwaffe lag vom 6. bis 7. September ab – erster Angriff 6. September nachmittags – in ununterbrochener Folge auf London.

Wenn dies auch aus Gründen von Vergeltung und politischem Druck der politischen Führung zweckentsprechend erschien, so sah ich doch darin kein laufendes, erstrebenswertes Ziel.

Ich will nicht mißverstanden werden, wenn ich sage, daß ich schon aus dem ersten Weltkrieg wußte, daß der Londoner hart im Nehmen ist, und daß wir ihn dadurch nicht zu irgend einem Niederringen seines militärischen Widerstandes bringen konnten.

Mir kam es aber darauf an, in erster Linie eine Zunahme der Abwehrkraft der englischen Luftwaffe zu verhindern. Als Soldat, oder besser gesagt, als Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, war für mich entscheidend das Niederringen und Ausschalten der feindlichen Luftwaffe.

Ich habe, obwohl der Führer nach wie vor London angegriffen sehen wollte, aus eigenem Entschluß eine genaueste Vorbereitung des Zieles Coventry getroffen und zwar deshalb, weil nach den Unterlagen, die ich hatte, in und um Coventry ein Hauptbestandteil der Luftwaffenindustrie und Luftwaffenzubehör-Industrie war. Birmingham und Coventry waren mir die entscheidendsten Ziele. Ich entschloß mich für Coventry, weil hier die meisten Ziele in der geringsten Ausdehnung erfaßt werden konnten.

Ich habe diesen Angriff persönlich angesetzt mit den beiden Luftflotten, die diese Unterlagen jedesmal nachprüften; bei der ersten günstigen Wetterperiode, einer Mondnacht, habe ich den Angriff angesetzt und habe verlangt, er sei solange und so oft durchzuführen, bis nachhaltigste Wirkung gegen die dortige englische Flugzeugindustrie erzielt sei; dann sollte auf die nächsten Ziele in Birmingham und eine große Motorenfabrik südlich Weston übergegangen werden, nachdem vorher die Luftfahrtindustrie, teilweise bei Bristol und südlich London, angegriffen worden war.

Das war der Angriff auf Coventry. Daß hier die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergibt sich ebenfalls daraus, daß die Industrie dort sehr verteilt in der Stadt lag – mit Ausnahme zweier neuer Werke, die außerhalb der Stadt waren –, und daß wiederum durch Brandwirkung eine Ausdehnung des Schadens sich ereignete. Wenn wir heute die deutschen Städte sehen, so wissen wir ja, was Brandwirkung an Zerstörung vermag. Das war der Angriff auf Coventry.

DR. STAHMER: Im Jahre 41 fanden Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit Japan statt. Waren Sie an diesen Verhandlungen beteiligt?

GÖRING: Ich selbst war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Über Verhandlungen mit Japan kann ich sehr wenig sagen, da ich auch militärisch mit Japan außerordentlich wenig zu tun hatte und mit Japanern selten zusammengekommen bin. Ich habe während des ganzen Krieges nur ein einziges Mal kürzere Zeit eine japanische Offiziersabordnung, Attachés, empfangen. Deshalb kann ich über Zusammenarbeit mit Japan nichts sagen. Angewiesen waren wir, mit den Japanern Erfahrungen, Kriegserfahrungen auszutauschen; das ist aber über die Ämter gegangen. Ich selbst habe mit den Japanern persönlich nichts zu tun gehabt.

DR. STAHMER: Wann erfuhren Sie zum erstenmal, daß Hitler einen Krieg gegen Rußland für notwendig hielt?

GÖRING: Zum erstenmal erfuhr ich von der Absicht des Führers, unter Umständen in einen Konflikt mit Rußland zu kommen, im Spätherbst 1940 in Berchtesgaden.

DR. STAHMER: Waren Sie bei der Besprechung zugegen, die im November 1940 mit dem russischen Außenminister Molotow in Berlin stattfand?

GÖRING: Ich persönlich war bei der Aussprache zwischen Hitler und Molotow nicht anwesend. Herr Molotow hat aber auch bei mir Besuch gemacht, und wir sprachen über die allgemeine Lage. Selbstverständlich kenne ich aber die Besprechung mit Molotow, denn sie wurde mir vom Führer ausgiebig mitgeteilt. Und es war gerade diese Besprechung, die den Führer in seinem Mißtrauen, daß Rußland sich zu einem Angriff auf Deutschland bereitstellte, außerordentlich bestärkt hat; dies ergab sich aus den Erörterungen bei dieser Besprechung und den Forderungen, die Herr Molotow dort gestellt hat.

Es war dies einmal eine Garantie an Bulgarien und ein Beistandspakt an Bulgarien so, wie vorher Rußland diese Garantien und Beistandspakte mit den drei Ostseeländern gemacht hatte.

Zum zweiten handelte es sich um die völlige Preisgabe Finnlands durch Deutschland dergestalt, daß Rußland, das kurz vorher einen Frieden abgeschlossen hatte, erneut Finnland glaubte angreifen zu müssen, um sich nicht mit den vorherigen Resultaten, Hangö und so weiter, zu begnügen.

Es handelte sich zum dritten um Erörterungen über die Dardanellen und Bosporus; es handelte sich weiterhin, zum vierten, um eine Eindringungsmöglichkeit in Rumänien über Bessarabien hinaus.

Das waren die Punkte, die mit dem Führer besprochen wurden. Es kam dann noch eine Andeutung an den Außenminister hinzu über eine Besetzung oder Sicherstellung von Interessen am Ausgang der Ostsee.

Der Führer sah nun diese Forderungen anders an. Obgleich an sich Rußland berechtigt war, Deutschland gegenüber vielleicht die Forderung Finnland zu stellen, so glaubte er im Zusammenhang mit den anderen Nachrichten, die er über die russische Bereitstellung und den Aufmarsch hatte, daß Rußland seine Position in Finnland deshalb verstärken wollte, um Deutschland nördlich zu überflügeln und in unmittelbarer Nähe der für Deutschland in diesem Kriege doch lebenswichtigen oder wenigstens sehr entscheidenden schwedischen Erzfelder zu stehen. Zum zweiten war es bei dem Vordringen in den rumänisch-bulgarischen Raum, das gefordert war, für den Führer durchaus nicht so sicher, daß sich dieser Druck dann nicht in südlicher – sprich Dardanellen – und nah-östlicher Richtung fortsetzen würde, sondern in westlicher Richtung; das heißt also, daß auch hier Rußland sich in die Südflanke Deutschlands schieben könnte und unter Besetzung der rumänischen Ölfelder Deutschland in der Öllieferung von Rußland völlig abhängig machen würde. Er sah in diesen Forderungen verkappte Sicherungen von Aufmarschpositionen gegenüber Deutschland. Die Andeutung von Sicherungen am Ausgang der Ostsee war für Deutschland damals nun schon ganz und gar nicht diskutabel.

Alles in allem erweckte diese Unterredung beim Führer nur das Gefühl der erhöhten Bedrohung in der weiteren Auseinandersetzung mit Rußland.

Schon in der Besprechung mit mir hat mir der Führer erklärt, warum er sich mit dem Gedanken trage, unter Umständen dem russischen Stoß zuvorzukommen. Die Nachrichten über fieberhaftes Arbeiten an Aufmarschvorbereitungen in dem neu von Rußland erworbenen Gebiet Polens, Lettlands, Litauens, Estlands und Bessarabiens machten ihn außerordentlich mißtrauisch. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt zum Teil nur 8, später 20 und 25 Divisionen an der gesamten Ostgrenze stehen. Weitere Nachrichten liefen ein, daß Rußland in dem Augenblick, da Deutschland im Westen, sei es durch eine englische Invasion oder sei es, daß Deutschland sich seinerseits zur Invasion Englands entschließt, uns in den Rücken fallen könnte. Seine Argumente wurden noch bestärkt dadurch, daß kurz vorher – wider jede sonstige Gewohnheit, die wir früher in Rußland sahen – Ingenieuren, und ich glaube auch Offizieren von uns, also Deutschen, plötzlich spontan die gewaltigen russischen Rüstungswerke auf dem Gebiet der Flugzeugindustrie und der Tanks gezeigt wurden.

Diese Meldungen über den hohen Stand des überraschend großen Ausstoßvermögens dieser Rüstungsfabriken haben den Führer weiterhin in seiner Überzeugung bestärkt. Er war so sehr davon überzeugt, daß er sagte, wenn England – das war seine politische Überlegung – nach wie vor nicht daran denkt, zu einem Arrangement mit uns zu kommen, obwohl es zur Zeit allein gegen uns steht, so muß es irgend etwas noch im Hintergrund haben. Er habe Nachricht, daß besorgten Elementen in England gegenüber der Premierminister Churchill auf zwei Dinge hingewiesen hätte:

Erstens, daß mit einer verstärkten Unterstützung der Vereinigten Staaten zu rechnen wäre, mindestens zunächst auf technischem, also auf rüstungsmäßigem Gebiet, dann noch weitergehend zweitens, was er aber für noch wahrscheinlicher halte, daß bereits auch Churchill sich mit Rußland in dieser Richtung verständigt habe und darauf hinwies, daß es hier über kurz oder lang zum Zusammenstoß kommen würde.

Seine Kalkulation war nun diese: Bevor Amerika mit seinen Rüstungen und der Aufstellung seiner Armee fertig sei, durch scharfen zusammengefaßten Angriff und Vorstoß den russischen Aufmarsch zu zerschlagen und die russischen Streitkräfte soweit niederzuschlagen und soweit zu schwächen, daß sie keine Rückengefahr mehr bedeuteten, wenn er zur englisch- amerikanischen Auseinandersetzung auf dem Kontingent antreten müßte.

Das waren die Ausführungen des Führers.

Dann kam der Molotowbesuch, den ich soeben erwähnte und der dies außerordentlich bestärkt hat.

DR. STAHMER: Wie war Ihre Stellungnahme zu einem Vorgehen gegen Rußland damals?

GÖRING: Ich selbst war damals zunächst sehr überrascht gewesen und habe den Führer gebeten, mir zu gestatten, mich erst einige Stunden später wieder zu äußern. Es kam mir völlig überraschend. Ich habe dann am Abend, nachdem dies am Nachmittag war, dem Führer folgendes ausgeführt: Ich bäte ihn dringend und inständigst, nicht in diesem Augenblick oder in absehbarer Zeit den Krieg gegen Rußland zu beginnen; nicht, daß mich hier irgendwie völkerrechtliche oder andere Gründe bewogen hätten, sondern meine Einstellung kam ausschließlich aus politischen und militärischen Gründen.

Erstens, ich habe von jeher und von Beginn der Machtergreifung an, vielleicht von allen führenden Männern in Deutschland die russische Auseinandersetzung immer als die drohende Gefahr für Deutschland angesehen. Ich wußte, und viele mit mir, daß in Rußland seit über einem Jahrzehnt damals eine außerordentlich starke Aufrüstung und Ausbildung vor sich ging, daß der Standard auf allen Gebieten gedrückt worden war zugunsten einer einmaligen gewaltigen Rüstung. Die Lieferungen der deutschen Industrie, Überprüfung von Lieferungen englischer, amerikanischer und anderer Industrien zeigte immer wieder deutlich, daß es sich ausschließlich um solche Maschinen handelte, die direkt oder mittelbar für eine Aufrüstung und ein gewaltiges Industrieprogramm der Rüstung notwendig waren. Man konnte daraus Tempo und Umfang der russischen Rüstung erkennen.

Wenn nun Deutschland in kommunistischer Richtung sich entwickelt hätte, dann wären selbstverständlich die russischen Rüstungen nach meiner Überzeugung gegen andere Gefahren gewesen. Nachdem wir aber an die Macht gekommen waren, spielte hier natürlich der innere politische und der weltanschauliche Gegensatz eine nach meiner Auffassung bedrohliche Rolle.

An sich habe ich eingesehen, daß derartige Gegensätze durchaus nicht zu den Gegensätzen der Staaten führen müssen, da die nationalen und staatlichen politischen Interessen immer noch größer und stärker sein werden als alle weltanschaulichen Gegensätze oder Übereinstimmungen. Aber auch hier sah ich eine Bedrohung; denn was sollten diese gewaltigen russischen Rüstungen zu einem Zeitpunkt, wo Deutschland vor der Machtergreifung rüstungsmäßig ohnmächtig dalag?

Ich habe aber nun dem Führer gesagt, daß ich trotz dieser grundsätzlichen Einstellung von Rußland her immer eine Gefahr befürchtet und gesehen habe und ihn doch bitte, lieber diese Gefahr weiter in der Schwebe zu lassen und, wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, die Interessen Rußlands gegen England zu lenken. Und zwar sagte ich ihm:

»Wir kämpfen zur Zeit gegen eine der größten Weltmächte, das Britische Imperium. Wenn Sie, mein Führer, auch nicht der absoluten Ansicht sind, so muß ich Ihnen widersprechen, denn ich bin der absoluten Ansicht, daß über kurz oder lang die zweite große Weltmacht, die Vereinigten Staaten, gegen uns aufmarschieren werden. Dies wird nicht von der Wahl des Präsidenten Roosevelt abhängen; auch der andere Kandidat wird dieses nicht verhindern können. Wir stehen dann im Kampf gegen zwei der größten Weltmächte: Es war Ihr Meisterstück bei Beginn des Krieges, den Einfrontenkrieg zu ermöglichen; Sie haben in Ihrem ›Kampf‹ immer darauf hingewiesen. Mit einem Zusammenstoß, der jetzt mit Rußland sich ereignen würde, würde die dritte große Weltmacht gegen Deutschland in den Kampf geworfen. Damit ständen wir wiederum allein gegen praktisch die Welt, und zwar wiederum an zwei Fronten; die anderen Staaten daneben zählen nicht.«

Er erwiderte: »Ich verkenne Ihre Argumente keineswegs, ich verkenne die russische Gefahr weniger als jeder andere. Wenn es aber gelingt, die vorgesehenen Pläne im Kampf gegen das Englische Imperium durchzuführen, und wenn diese halbwegs nur glücken, wird Rußland mit seinem Angriff nicht losbrechen. Nur wenn wir uns in einem schweren Kampf im Westen festgefahren haben, bin ich Ihrer Überzeugung, wird die russische Gefahr sich enorm steigern.«

Ich war sogar der Meinung, daß die schnelle Zusage der Russen zum Ausgleich vor der Polenkrise nur gegeben wurde, damit Deutschland, von dieser Seite frei, um so sicherer zu diesem Konflikt kommen sollte, weil damit der deutsch-englisch-französische Konflikt gegeben war und es durchaus verständlich im russischen Interesse war, diesen Konflikt herbeizuführen und dabei noch so gut abzuschneiden, wie es das vorher tat.

Ich habe dem Führer weiter gesagt, soweit meine Nachrichten und Unterlagen da sind, wird doch die russische Rüstung erst im Jahre 42/43, vielleicht sogar 44 vollkommen fertig sein. Bis dahin aber müßte es uns gelingen, doch mit England, wenn auch nicht zu einem Siegfrieden unsererseits, so zu einem Arrangement zu kommen. Dies sei aber nur möglich, wenn entscheidende Erfolge gegen England erreicht würden. Zur Zeit läge die deutsche Luftwaffe mit sämtlichen Kräften im Angriff auf England. Wenn Sie jetzt eine neue Front bilden und zum Angriff gegen Rußland aufmarschieren, müssen erhebliche Kräfte, weit über die Hälfte, zwei Drittel, nach Osten herumgeworfen werden. Praktisch hört damit ein energischer Luftangriff auf England auf; die bisher gebrachten Opfer sind umsonst; England kann seine heruntergedrückte Flugzeugindustrie in Ruhe wieder reorganisieren und aufbauen.

Weit entscheidender aber als dieses war es, daß mit solch einem Aufmarsch gegen Rußland mehr oder weniger endgültig mein Plan, den ich dem Führer vorgetragen hatte, England in Gibraltar und Suez anzugreifen, fallen gelassen werden mußte.

Der Angriff auf Gibraltar war seitens der Luftwaffe so exakt vorbereitet, daß er nach menschlichem Ermessen keinen Fehlschlag bringen konnte. Die dort stehenden englischen Luftstreitkräfte auf dem kleinen Flugplatz nördlich des Gibraltarschen Felsens waren irrelevant. Der Angriff meiner Fallschirmtruppen auf den Felsen wäre ein Erfolg geworden; die gleichzeitige Besetzung der anderen Seite, der afrikanischen, und ein dann erfolgter Vorstoß auf Casablanca und Dakar sicherte zumindest gegen ein Eingreifen Amerikas, einen Aufmarsch, wie er später in Nordafrika erfolgte.

Wie weit darüber hinaus durch ein Übereinkommen noch Inseln bei Kap Verden benutzt werden könnten, stand offen. Es springt in die Augen, was es bedeutet haben würde, mit Flugzeugen auf dem Stützpunkt Nordafrika oder mit U-Booten dort zu sitzen, und den ganzen von Kapstadt heraufkommenden und von Südamerika herankommenden Geleitzugsverkehr aus derartig günstigen Positionen anzugreifen.

War aber das Mittelmeer im Westen geschlossen, so konnte es nicht schwierig sein, durch Vorstoß über Tripolis das Unternehmen Suez zu einem absolut berechenbaren, nach Zeit und Erfolg berechenbaren Abschluß zu bringen. Die Ausschaltung des Mittelmeeres als Kriegsschauplatz, die Schlüsselpunkte Gibraltar-Nordafrika bis herunter nach Dakar, Suez, womöglich noch mit südlicher Vorlagerung, hätten mit wenigen Kräften, eine Anzahl Divisionen auf der einen und eine Anzahl Divisionen auf der anderen Seite, die ganze Unsicherheit der italienischen großen Küste für Angriffsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Ich bat ihn dringend, diese entscheidenden Erwägungen doch in den Vordergrund zu stellen, und erst nach Abschluß eines solchen Unternehmens die weitere militärische und politische Lage bezüglich Rußlands zu überprüfen. Denn wenn diese Voraussetzungen geschaffen waren, war auch eine günstige Position für das Eingreifen der Vereinigten Staaten für uns gegeben, eine Flankenstellung.

Ich habe ihm diese Gründe eingehend vorgetragen und immer wieder darauf hingewiesen, daß wir hier eine verhältnismäßig sichere Sache gegen eine noch unsichere aufgeben würden und daß die Aussicht bestände, nach Erringung einer solchen Position unter Umständen viel eher zu einem Arrangement mit England zu kommen, in einem Zeitpunkt, da der eine diesseits und der andere jenseits des Kanals sich gerüstet gegenüberstanden.

Das waren meine Gründe für die Verschiebung des Zeitpunktes, zumal ich ihm noch sagte, daß bei erhöhten Erfolgen in dieser Richtung die russische Vorbereitung womöglich in andere Kanäle gegen unsere derzeitigen Feinde, vielleicht politisch, umgelenkt werden könnte. Ich betone aber, daß der Führer zunächst auch nur allgemeine Vorbereitungen, mit einschränkenden Kautelen, traf, sich den tatsächlichen Angriff, das sagte er mir auch damals gleich, noch vorbehalten würde; die letzte Entschließung ist erst nach dem Simowitsch-Putsch in Jugoslawien gefallen.

VORSITZENDER: Das Gericht wird jetzt eine Pause einlegen.