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[Das Gericht vertagt sich bis

16. März 1946, 10.00 Uhr.]

Dreiundachtzigster Tag.

Samstag, 16. März 1946.

Vormittagssitzung.

DR. STAHMER: Herr Präsident, ich habe eine einzige Frage bewußt zurückgestellt und noch nicht behandelt, nämlich Görings Bemühungen um Erhaltung des Friedens in den Monaten Juli und August 1939 vor Ausbruch des Krieges. Ich habe die Frage aus folgenden Gründen zurückgestellt: Ich hatte zunächst die Absicht, Göring erst nach der Vernehmung des Zeugen auf den Zeugenstand zu rufen; nur weil der Zeuge Dahlerus noch nicht erschienen war und ich eine Unterbrechung des Beweisverfahrens vermeiden wollte, habe ich dann Göring zuerst vorgeführt.

Ich bitte nunmehr um Entscheidung, ob ich Göring nach Vernehmung des Zeugen Dahlerus, der inzwischen eingetroffen ist, nochmals auf den Zeugenstand rufen darf. Ich halte es aus Gründen der Beschleunigung des Verfahrens für zweckmäßig, weil sich dadurch meines Erachtens eine ganze Reihe von Fragen erübrigen würde; oder ob ich ihn sonst nach Durchführung des Kreuzverhörs über diese Frage nochmals hören darf. Falls diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, würde ich diese Frage jetzt noch anschließend behandeln. Es erscheint mir aber zweckmäßig, nach Vernehmung von Dahlerus, der inzwischen erschienen ist, diese Frage zu stellen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Vielleicht kann ich in diesem Punkte helfen. Ich würde keinen Einspruch erheben, wenn der Gerichtshof diesen Antrag erwägen würde, ohne einen Präzedenzfall für andere Fälle zu schaffen. Denn wir haben im Falle Dahlerus in allen Einzelheiten festzustellen, was sich in den letzten 14 Tagen ereignete. Wir könnten sicherlich Zeit sparen, wenn diese Einzelheiten nur einmal behandelt werden würden, und es dürfte für Dr. Stahmer ziemlich schwierig sein, den Zeugen Dahlerus zu befragen, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Obwohl ich mit dem Gerichtshof der Ansicht bin, daß ein Zeuge nur in ganz außerordentlichen Fällen noch einmal verhört werden sollte, glaube ich, daß es in diesem Falle einen beträchtlichen Zeitgewinn bedeuten würde.

VORSITZENDER: Glauben Sie, daß durch die Vorladung des Zeugen Dahlerus die Befragung des Angeklagten Göring in Zusammenhang mit diesen Ereignissen sich erübrigen würde?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie könnte unnötig sein, und meiner Ansicht nach hätte der Angeklagte Göring auf jeden Fall nur sehr wenige Fragen zu beantworten. Wenn man ihn jedoch jetzt fragen würde, wäre eine Aussage der beiden Zeugen über die gleichen Dinge schwer zu vermeiden.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist lediglich daran interessiert, Zeit zu sparen. Da der Verteidiger des Angeklagten, Dr. Stahmer, dem Gerichtshof versichert hat, daß man Zeit sparen könnte, ist der Gerichtshof bereit, diesen Antrag zu unterstützen und zu gestatten, daß der Zeuge Dahlerus gerufen wird, bevor diese Fragen an den Angeklagten Göring gerichtet werden; aber das darf nicht als Präzedenzfall für die Wiederaufrufung anderer Zeugen betrachtet werden.

DR. STAHMER: Ich danke Ihnen, meine Herren. Ich habe sonst keine weiteren Fragen zur Zeit an den Angeklagten.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat in ihrem Vortrag sehr häufig den Angeklagten Keitel erwähnt im Zusammenhang mit Befehlen, Anordnungen und dergleichen. Diese wurden immer zitiert als Keitel-Befehle, Keitel-Erlasse, und darauf hat die Anklagebehörde unter anderem die Einzelanklage gegen Feldmarschall Keitel gestützt. Es liegt mir daran, durch Ihre Befragung klarzustellen, welches die Stellung des Feldmarschalls Keitel war, welche Befugnisse und welche Verantwortung er als Chef OKW oder in anderen amtlichen Funktionen hatte. Kennen Sie den Erlaß vom 4. Februar 1938, durch den das Oberkommando der Wehrmacht, OKW, geschaffen und Feldmarschall Keitel zum Chef OKW ernannt wurde?

GÖRING: Selbstverständlich kenne ich diesen Erlaß, denn ich habe an diesem Erlaß insofern mitgewirkt, als der Führer das ganze Revirement und die daraus sich ergebenden Folgen und Neuorganisationen seines Gesamtstabes am 8. Februar mit mir besprochen hat.

DR. NELTE: Ist Ihnen das Diagramm, das von der Anklagebehörde hier vorgezeigt wurde über die Organisation der Deutschen Wehrmacht, gegenwärtig?

GÖRING: Ja, ich erinnere mich, daß es hier an der Tafel war.

DR. NELTE: Ich lasse es Ihnen überbringen. Halten Sie die zeichnerische Einordnung des OKW auf dieser Zeichnung für richtig?

GÖRING: Nein. Sie ist nicht korrekt. An der Spitze oben steht gezeichnet »Oberster Befehlshaber der Wehrmacht«. Dann kommt ein Strich; unter ihm: »Chef des Oberkommandos der Wehrmacht«. Von dort aus gehen die direkten Unterstellungsstriche zu den drei Oberbefehlshabern Heer, Marine und Luftwaffe. Das ist falsch gezeichnet. Das Oberkommando der Wehrmacht und damit auch der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht gehören nicht so eingezeichnet, sondern seitlich herausgestellt; das heißt, die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtteile waren unmittelbar und ohne Zwischenstellen direkt dem Führer als Oberstem Befehlshaber der Wehrmacht unterstellt und in keinerlei, auch nicht im geringsten Unterstellungsverhältnis zum Oberkommando der Wehrmacht oder zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

Der Führer organisierte damals im Februar seine Gesamt-Stabsleitung, wenn ich sie so bezeichnen soll, um, denn es bestand, in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt, die Staatskanzlei. Er machte den damaligen Staatssekretär Meißner an diesem Tage zum Staatsminister und stellte die Staatskanzlei als seine bearbeitende Kanzlei in der Eigenschaft des Staatsoberhauptes fest. Er hatte also die Dinge zu bearbeiten, die rein das Staatsoberhaupt betreffen, in Übereinstimmung mit der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes.

Als Reichskanzler und Regierungschef hatte er festgelegt, daß sein hierfür arbeitender Apparat die Reichskanzlei ist; und der Staatssekretär der Reichskanzlei wurde am gleichen Tage Reichsminister und Chef der Reichskanzlei. Seine Aufgabe war die Verbindung zu den Ministerien und zum gesamten Regierungsapparat des Reiches in seiner Eigenschaft als Organ des Führers, nicht befehlsgebender Art, sondern durchführender Art der Befehle und Erlasse des Führers.

Zum dritten hatte der Führer als Führer der Partei als Apparatur die Partei-Kanzlei, welcher damals der Stellvertreter des Parteiführers, Rudolf Heß, vorstand, der für seine Person eine erhöhte Stellung in dieser Apparatur einnahm. Nach seinem Abgang wurde Bormann nicht mehr Stellvertreter des Parteiführers, sondern Chef, auch wieder Chef der Parteikanzlei.

Es kam als vierte Apparatur die Privatkanzlei des Führers, mit einem Reichsleiter besetzt als Chef dieser Privatkanzlei.

Militärisch nun, als sein Mitarbeiterkabinett oder militärischer Stab oder wie man es in früheren Jahrzehnten allgemein nannte, das Maison Militaire, wurde das Oberkommando der Wehrmacht gebildet. Diese Neubildung war notwendig, weil nach Rücktritt Blombergs als Kriegsminister kein neuer Kriegsminister ernannt wurde, und der Führer unmittelbar, nachdem er stets als Staatsoberhaupt Oberster Befehlshaber der Wehrmacht schon vorher gewesen war, nun entschlossen war, nicht nur formell diesen Oberbefehl inne zu haben, sondern ihn tatsächlich und de facto aktiv auszuführen. In diesem Augenblick bedurfte er eines Stabsinstrumentes. Das sollte das Oberkommando der Wehrmacht sein. Keitel wurde Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

In Deutschland bedeutet in militärischer Richtung der Ausdruck »Chef« etwas anderes wie Befehlshaber Verantwortlich und tatsächlich befehlsgebend ist der Befehlshaber beziehungsweise Oberbefehlshaber. Die Hilfe in der Stabsführung, Ausarbeitung, Weiterleitung, Verbindungshaltung ist der jeweilige Chef des betreffenden Stabes. So war auch hier der damalige Generaloberst Keitel oder General Keitel Chef des Stabes, des militärischen Stabes des Obersten Befehlshabers, genannt Oberkommando der Wehrmacht. Diesem oblag einerseits die gesamte Stabsapparatur des Obersten Befehlshabers einmal nach der militärorganisatorischen, militärverwaltungstechnischen Seite und nach der militärführungsmäßigen, sprich strategischen Seite, soweit hier der Führer seine strategischen Befehle zentral bearbeitet wissen wollte. Hierfür war nun speziell noch im Oberkommando als rein generalstabsmäßige, strategische Abteilung der Wehrmachtführungsstab eingesetzt worden.

DR. NELTE: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist OKW übersetzt Oberkommando der Wehrmacht. Diese Worte werden aber offenbar verschiedenartig gebraucht. Einmal als der Stab des Oberkommandos der Wehrmacht, wie ja auch Keitel Chef OKW benannt wurde, und das andere Mal als OKW-Dienststelle der Wehrmacht, also Hitler. Ist das richtig?

GÖRING: Das ist an sich richtig, aber nicht klar. Das Oberkommando der Wehrmacht ist die Stabsabteilung des Obersten Führers der Wehrmacht, und so wie ich als Oberbefehlshaber der Luftwaffe meinen Generalstab einerseits und meine Chefadjutantur andererseits hatte, diese bildeten meinen Stab, mit dem ich arbeitete so war das Oberkommando gleichermaßen für den Führer als Obersten Befehlshaber diese Arbeitsapparatur. Der Chef meines Generalstabes durfte ebenfalls an die Oberbefehlshaber der Luftflotte, Kommandierende Generale der Luftkorps oder Divisionen, keine direkten Befehle geben. Die Befehle konnten nur lauten: »Im Auftrage des Oberbefehlshabers«, unterzeichnet »I. A.«, das heißt »im Auftrag«. Befehlsbefugnis hatte der Chef eines Stabes, also auch der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, unmittelbar nur an die Mitglieder seiner Stabsapparatur und der wenigen Verwaltungsorganisationen, die zu diesem Stabe gehörten. Ein Befehl oder Weisung oder Auftrag von seiten des Oberkommandos der Wehrmacht, zum Beispiel an mich als den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, konnte überhaupt nur denkbar sein in folgender Form; daß der Brief begann: »Der Führer hat befohlen,« oder: »Im Auftrage des Führers teile ich mit.«

Ich darf es einmal ganz drastisch aussprechen: Ich habe seinerzeit dem Generaloberst Keitel gesagt: »Bindend sind für mich nur Befehle des Führers. Zur Vorlage gelangen an mich persönlich im Original nur Weisungen, unter denen ›Adolf Hitler‹ steht. Weisungen oder Richtlinien oder Befehle, die beginnen: ›Auf Befehl des Führers‹, oder ›Im Auftrage des Führers‹ gehen an meinen Generalstabschef und werden mir mündlich im Gesamtvortrag in den wichtigsten Punkten übermittelt. Ob dann (und das ist, wie ich mich drastisch ausdrücken will) darunter steht: ›Im Auftrage des Führers, Keitel, Generaloberst‹ oder ›Meier, Stabsgefreiter‹ ist mir gleichgültig. Wenn aber darunter steht ein direkter Befehl von Ihnen, den Sie mir geben wollen, dann sparen Sie sich Zeit und Papier, weil beides für mich nicht maßgebend ist, denn ich bin Oberbefehlshaber und unmittelbar und ausschließlich dem Führer unterstellt.«

DR. NELTE: Wissen Sie, ob Hitler einerseits und die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile andererseits auf diese von Ihnen eben geschilderten Dienstverhältnisse achteten oder ob die tatsächliche Handhabung bei den übrigen Wehrmachtteilen vielleicht eine andere war?

GÖRING: Ob sie von meinen beiden Kollegen in so klarer Weise dem Chef des Oberkommandos auseinandergesetzt worden sind, wie ich das eben sagte, weiß ich nicht; aber daß auch die beiden anderen Oberbefehlshaber sich nicht in ihre Befugnisse und Rechte haben hereinreden oder eingreifen lassen, ist selbstverständlich.

DR. NELTE: Gilt dasselbe auch für Himmler als SS-Führer?

GÖRING: Die SS hat dem Oberkommando der Wehrmacht niemals unterstanden. Innerhalb der Wehrmacht befand sich seit Kriegsbeginn die Waffen-SS, gegliedert in Divisionen und Korps. Dies war eine rein kämpfende Truppe. Sie unterstand taktisch und strategisch den jeweiligen Heeresdienststellen, denen sie unterstellt war, in personeller und aufrüstungsmäßiger Hinsicht Himmler, und dieser hatte mit dem OKW nichts zu tun. Auch hier konnte es nun vorkommen, daß der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht bezüglich der Waffen-SS Aufrüstungs- und Organisationsfragen, Befehle oder Weisungen des Führers übermittelte.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen bei der Vernehmung des Zeugen Generalfeldmarschall Kesselring durch den Oberrichter Jackson aufgetretenen Irrtum aufklären. Feldmarschall Kesselring sprach von der Waffen-SS als »Gardetruppe«. Darauf wurde er gefragt: »Wen hatte sie zu betreuen?« Wir fassen den Namen »Garde« nicht in dem Sinne auf, wie er im Englischen übersetzt wird, das heißt Wache oder Posten, sondern hier bedeutet es und meinte der Feldmarschall Kesselring eine »Elite-Truppe«, wie auch im russischen Militärsprachgebrauch es Garde-Korps gibt, es in der alten kaiserlichen Armee ein Garde- Korps gab, und früher auch bei anderen Armeen. Die SS, Waffen-SS in diesem Sinne, war nicht als Bewachungstruppe, sondern als »Elite-Truppe«, Menschenmaterial und so weiter, zunächst in den ersten Kriegsjahren anzusehen.

DR. NELTE: Ich bitte Sie, mir über das dienstliche Verhältnis zwischen Adolf Hitler und Feldmarschall Keitel etwas zu sagen, ich meine, wie Adolf Hitler sich diese dienstlichen Verhältnisse bei der Schaffung des OKW gedacht hat, als er die Dienststelle »OKW« einrichtete. Ich meine, ich möchte wissen, was sollte Keitel sein, und was war er in der Folge seit 1938 in seiner amtlichen Funktion?

GÖRING: Ich glaube, daß ich das eben die ganze Zeit ausgeführt habe.

DR. NELTE: Ich wollte Sie zum Beispiel fragen, war er sein Berater?

GÖRING: Berater ist ein umstrittener Begriff. Ich kann mich von jemand beraten lassen, ob er glaubt, daß es in den nächsten drei Stunden regnen würde oder nicht, wenn ich ausreite. Ich kann mich aber auch beraten lassen in ganz entscheidenden und wichtigsten Fragen. Das hängt nun vom Temperament und der Einstellung desjenigen ab, der sich beraten lassen will, und desjenigen, der zu beraten wünscht. Bei der dynamischen Persönlichkeit des Führers war ungewünschter Rat gar nicht angebracht, und man mußte schon sehr gut mit ihm stehen, beziehungsweise einen sehr großen Einfluß haben, wie ich, ich bitte das richtig zu verstehen, ihn zweifellos für viele, viele Jahre gehabt habe, um auch ungebeten dem Führer in größeren Fragen nicht nur mit Ratschlägen, sondern auch mit Vorschlägen und eindringlichsten Widersprechungen zu kommen. Andernfalls, wenn man nicht dieses Verhältnis zum Führer hatte, tat er dort die Vorschläge und die Beratungen kurz ab, wo er selbst schon seine Entschlüsse erstens gefaßt, oder wo er den Beratenden nicht zu jenem Einfluß oder zu jener einflußreichen Position hatte kommen lassen. Ich möchte hier sagen, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht war in wichtigen und entscheidenden Dingen keineswegs ein Berater. In dem laufenden Alltäglichen war er insofern ein Berater, als er vielleicht dann und wann dem Führer vorschlug, an die Befehlshaber noch zusätzlich dieses oder jenes zu sagen, oder bezüglich des Verkehrsaufmarsches noch auf diesen oder jenen Punkt hinzuweisen; so wie ja auch die Beratung durch den Chef eines Generalstabs doch letzten Endes immer noch eine größere und bedeutendere ist, wie die Beratung durch den Chef einer Organisations- oder Staatsbehörde. Es war also so, daß auf dem Gebiete wichtiger strategischer oder taktischer Entschließungen das Schwergewicht bei dem Generalstabsmäßigen Berater lag, bei den Oberbefehlshabern, dem Generalstabschef, beim Führer, in rein strategischer und taktischer Richtung mehr beim Chef des Führungsstabes, organisatorische Dinge oder laufende Tagesabwicklung beim Chef des Oberkommandos. Vor allem, da der Führer selbst ja gleichzeitig, wie ich vorher ausführte, mehrere höchste Ämter hatte, mußte er sich in seinen Unterschriften außerordentlich beschränken. Es hat oft Wochen gedauert, bis man die notwendigen Unterschriften vom Führer, besonders in der Zeit des Krieges und seiner unerhörten Beschäftigung, erhalten konnte, so daß das Unterschriftengeschäft »Im Auftrag« an die Staatsbehörde der jeweils zuständigen Kanzleien ging. Daraus erklärt sich, daß kaum ein Erlaß oder Befehl, den der Führer gegeben hat, »Im Auftrag« oder »Der Führer befiehlt« nicht von Keitel, der außerordentlich fleißig war, unterschrieben worden ist.

DR. NELTE: War es eine undankbare Aufgabe, die der Feldmarschall Keitel hatte, ich meine, undankbar insofern, als er häufig in die Lage kam, zwischen den Stellen, die unter dem Obersten Befehlshaber, nämlich Hitler, standen, zu vermitteln, Beschwerden an ihn heranzutragen und sich nun richtig zwischen diesen beiden Stellen zu bemühen, sei es helfend oder vermittelnd unter den Oberbefehlshabern?

GÖRING: Das kam auch wieder sehr stark auf die Persönlichkeiten an. Es ist selbstverständlich, daß, wenn es zum Krach zwischen dem Führer und mir kam, oder auch anderen entschlossenen Oberbefehlshabern, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht von beiden Seiten, möchte ich sagen, getreten wurde. Er geriet hierbei zwischen die beiden Mühlsteine stärkerer Persönlichkeiten; der eine beschimpfte ihn, daß er nicht genügend beim Führer vorstellig wurde; der Führer, wenn er vorstellig wurde, wies ihn zurück und sagte, das würde er selber regeln.

Die Aufgabe war sicherlich sehr undankbar und schwer, und ich erinnere mich, wie einmal der Feldmarschall Keitel zu mir kam und mich gebeten hat, ob ich nicht dafür sorgen könnte, daß er ein Frontkommando bekäme, er nehme sogar auch als Feldmarschall nur eine Division, wenn er nur fortkäme, denn er esse dort ja mehr Steine als Brot. Ob dankbare oder undankbare Aufgabe, erwiderte ich ihm, sei gleichgültig, er müsse dort seine Pflicht tun, wo der Führer es befiehlt.

DR. NELTE: Es ist Ihnen bekannt, daß in diesem Zusammenhang dem Feldmarschall Keitel der Vorwurf gemacht wurde, er habe sich, wie man so sagt, nicht durchgesetzt.

GÖRING: Dieser Vorwurf ist ihm von einer Reihe von Oberbefehlshabern der Armee und Heeresgruppen gemacht worden. Diese konnten um so leichter den Vorwurf erheben, als sie selber weit vom Schuß, das heißt, weit von Adolf Hitler saßen und nicht selbst die Dinge vorzutragen hatten. Ich weiß, daß besonders nach dem Zusammenbruch eine ganze Reihe von Generalen sich auf den Standpunkt gestellt haben, Keitel wäre ein typischer »Ja-Sager« gewesen. Hierzu kann ich nur sagen, mich persönlich würde es interessieren, wenn man mir die vorführen wollte, die sich als »Nein-Sager« heute bezeichnen.

DR. NELTE: Bestand für Feldmarschall Keitel gegenüber Hitler die Möglichkeit, die Enthebung von seiner Dienststellung zu erreichen?

VORSITZENDER: Dr. Nelte, der Gerichtshof ist hier anderer Meinung, und wir möchten Sie nun fragen, welche Bedeutung haben bei der Anklage gegen Keitel Klatsch im Generalstab oder Vorwürfe, die von diesem gegen ihn vielleicht erhoben worden sind?

Was hat das mit der Anklage gegen Keitel zu tun?

DR. NELTE: Wenn man dem Angeklagten Keitel gerecht werden will, das heißt, wenn man versuchen will, zu ermitteln, welche Rolle er in diesem furchtbaren Drama gespielt hat, so kann man dies nur, wenn man einmal seine Dienststellung feststellt und damit seine rechtliche Verantwortung, dann aber, wenn man die taktischen Verhältnisse klarstellt...

VORSITZENDER: Ich weiß alles sehr gut. Wir haben drei Viertelstunden darauf verwendet, den Angeklagten Göring über seine Stellung und über die Funktionen Keitels berichten zu hören. Meine Frage lautete, was die Kritik und der Klatsch des Generalstabs über Keitel mit der Anklage zu tun habe.

Wir haben drei Viertelstunden lang uns angehört, was der Angeklagte Göring als seine Funktion und seine Beziehungen zum Führer beschreibt, nichts anderes.

DR. NELTE: Ich habe mit der Organisation des OKW begonnen. Ich habe die Befehlsverhältnisse festzustellen versucht zwischen dem OKW und dem Chef des OKW einerseits und den Wehrmachtteilen andererseits, und ich habe dann versucht, die Verantwortlichkeit klarzustellen, die er als Chef des OKW nach dem Willen Hitlers haben sollte, und wie er sie ausübte.

Dieser Klatsch und Tratsch, von dem Herr Vorsitzender gesprochen haben, ist, glaube ich, nur in den letzten Minuten Gegenstand der Befragung beziehungsweise Äußerung des Herrn Zeugen gewesen.

VORSITZENDER: Ich habe Sie unterbrochen, weil Sie dem Angeklagten eine Frage stellten, ob irgend jemand für irgend etwas von anderen Mitgliedern des Generalstabs getadelt wurde, und das scheint mir völlig unerheblich zu sein.

DR. NELTE: Die letzte Frage, die ich stellte, war, ob eine Möglichkeit für Feldmarschall Keitel bestand, die Enthebung von seiner Dienststelle zu erreichen. Darf ich annehmen, Herr Vorsitzender, daß diese Frage erheblich ist?

VORSITZENDER: Sie können natürlich die Frage stellen, ob er gebeten hat, von seiner Stellung enthoben zu werden.

GÖRING: Wenn Sie bitte...

VORSITZENDER: Dr. Nelte, diese Frage wurde tatsächlich schon gestellt, es war die Frage, bei der ich Sie unterbrach; und ich habe hier die Antwort niedergeschrieben, daß Keitel um ein Kommando nachsuchte, selbst wenn es nur eine Division war.

DR. NELTE: Das war die Frage, die er Herrn Reichsmarschall Göring gestellt hat. Er ist zu ihm gekommen und hat ihn gefragt. Ich frage jetzt, ob Keitel von Hitler die Möglichkeit seiner Dienstenthebung erreichen hätte können?

GÖRING: Die Frage, ob ein General seine Dienstenthebung vom Führer fordern und erreichen konnte, hat in diesem Verfahren generell eine große Rolle gespielt. An sich muß man zwei Phasen unterscheiden, Frieden und Krieg.

Im Frieden konnte ein General um seinen Abschied ansuchen; war er nicht auf einem prominenten und entscheidungswichtigen Platz und dem Führer sehr gut bekannt, so ging ein solches Abschiedsgesuch ohne weiteres. Befand er sich in einer besonders wichtigen Vertrauensstellung und dem Führer gut bekannt, so hat der Führer in solchen Fällen seine Überredungskunst weitgehendst eingeschaltet und mit allen verfügbaren Mitteln appelliert, daß der Betreffende, wenn er es wünschte – der Führer – weiter auf seinem Posten verblieb. Wenn ein General jedoch seinen Abschied vom Führer gefordert hätte, indem er es begründete mit grundsätzlich gegenteiliger Auffassung auf politischem Gebiet, innenpolitischem oder außenpolitischem, dann wäre es zweifellos, wenn auch nicht sofort an diesem Tage, zu einer Verabschiedung gekommen, aber gleichzeitig zu einem außerordentlichen Mißtrauen seitens des Führers dieser Persönlichkeit gegenüber. Im Kriege war die Sache völlig anders. Der General war, wie jeder Soldat, verpflichtet, Krieg zu führen, die Befehle zu befolgen.

Der Führer hat generell dieses nicht nur für Generale sondern für alle wichtigen Persönlichkeiten des Staatslebens erklärt, er wünsche keinerlei Abschiedsgesuche, er entscheide darüber, ob einer zu gehen halbe oder nicht, selbst er könne für seine Person auch nicht, wenn es ihm jetzt unangenehm würde, den Abschied nehmen, und er betrachte das als Fahnenflucht. Wenn ein General trotzdem ein Abschiedsgesuch im Kriege eingereicht hätte, und es würde ihm dies abgeschlagen, so könnte er natürlich nicht darauf bestehen; ginge er trotzdem, so verfehlte er sich gegen das Gesetz und war von diesem Augenblick der Desertion schuldig. So konnte auch der Feldmarschall Keitel wohl dem Führer sagen: »Lassen Sie mich in ein anderes Amt gehen«; aber der Führer wechselte äußerst ungern die Persönlichkeiten seiner nächsten Umgebung und hätte während des Krieges, das weiß ich aus seinem eigenen Munde, in einen Wechsel gerade des Feldmarschalls Keitel, mit dem er sich eingearbeitet hatte, nicht eingewilligt, wenn nicht der Feldmarschall krank und wirklich dadurch unfähig geworden wäre, die Arbeit weiterzuführen.

DR. NELTE: Waren diese Erwägungen, von welchen Sie eben gesprochen haben, bei der Dienstentlassung des Feldmarschalls von Brauchitsch auch maßgebend?

GÖRING: Die Dienstentlassung des Feldmarschalls von Brauchitsch kenne ich deshalb sehr genau, weil der Führer sie ebenfalls vorher länger mit mir durchgesprochen hatte, zumal er nicht von Anfang an wußte, ob er selber den Befehl über das Heer unmittelbar nehmen sollte oder ein anderer. Wir sprachen also auch bezüglich der Nachfolger dann das weitere durch. Der Führer war in dem Augenblick mit der Führung des Heeres durch den Oberbefehlshaber des Heeres an der Ostfront nicht einverstanden. Der Oberbefehlshaber war Brauchitsch, Chef des Generalstabes Halder. Ich habe dem Führer vorgeschlagen, zunächst den Chef zu wechseln, weil ich diesen für weitaus unfähig gehalten habe. Der Führer wollte das auch tun, entschloß sich dann nach einer Nacht und sagte mir, er – der Führer – wolle selbst den Oberbefehl übernehmen, um Ordnung wieder in die Ostfront zu bekommen, und deshalb sei es für ihn wichtiger, den Oberbefehlshaber zu verabschieden, obwohl er meiner Auffassung sei, daß der Chef des Stabes der schwächere Teil wäre. Ich schlug ihm vor, nun beide wegzuschicken.

Der Führer ließ Brauchitsch kommen, sprach zwei Stunden mit ihm und bat ihn in klarer Form, das heißt in nicht mißzuverstehender Form, zurückzutreten.

Es ist also seitens des Führers hier der klare Entschluß gefaßt worden, den Oberbefehlshaber des Heeres zu verabschieden, um selbst den Oberbefehl über das Heer unmittelbar zu übernehmen, so daß von diesem Zeitpunkt ab der Führer nicht nur Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, sondern nunmehr auch de facto und tatsächlicher Oberbefehlshaber des Heeres wurde.

DR. NELTE: Es ist von der Anklage behauptet und unter Beweis gestellt worden, daß Feldmarschall Keitel Mitglied des Reichsverteidigungsrates gewesen sei. Sie haben gestern über diesen Komplex schon gesprochen. Ich kann nun also feststellen, daß Sie ausgesagt haben, daß Feldmarschall Keitel nach dem Reichsverteidigungsgesetz zu den Mitgliedern des Reichsverteidigungsrates gehörte, daß aber dieser Reichsverteidigungsrat niemals konstituiert worden ist; das müßten Sie wissen, weil Sie Vorsitzender dieses Reichsverteidigungsrates nach dem Gesetz waren. Ist das richtig?

GÖRING: Ich habe deutlich gesagt, daß ich niemals einer Sitzung beigewohnt oder eine Sitzung einberufen habe.

VORSITZENDER: Nicht wahr, Sie wissen, daß der Gerichtshof diesen Prozeß möglichst schnell durchführen soll und daß wir darum nicht fortfahren werden, uns kumulatives Beweismaterial anzuhören. Der Angeklagte hat uns schon eine Antwort auf die Frage gegeben, die Sie gerade an ihn gerichtet haben. Der Gerichtshof will nicht dieselbe Antwort noch einmal hören.

DR. NELTE: Ich habe das Protokoll, Herr Vorsitzender, von gestern bis heute vormittag noch nicht erhalten. Es liegt für den Angeklagten Keitel sehr viel daran...

VORSITZENDER: Sie waren im Gerichtssaal. Sie können mir glauben, daß die Antwort gegeben wurde.

DR. NELTE: Die Fragen und Antworten sind nicht immer so klar, wie es, wenn man das Protokoll liest, vielleicht erscheint.

Können Sie mir sagen, ob Feldmarschall Keitel nie Minister war?

GÖRING: Er war nicht Minister, er hatte nur den Rang, die Gleichstellung eines Ministers.

DR. NELTE: Hatte er das Recht, an Kabinettssitzungen teilzunehmen?

GÖRING: Nicht von sich aus. Er konnte bei ihn interessierenden Fragen, die sein Arbeitsgebiet betrafen, vom Führer zu Kabinettssitzungen zugezogen werden.

DR. NELTE: Feldmarschall Keitel war Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung. Wurde er dadurch Minister?

GÖRING: Nein, er blieb dasselbe, er hatte den Rang eines Ministers. An Kabinettssatzungen des Reichskabinetts konnte der Feldmarschall Keitel deshalb nicht teilnehmen, weil er erst hierzu, Chef des Oberkommandos, 1938 berufen wurde und von dieser Zeit ab überhaupt keine Kabinettssitzungen stattfanden.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat ferner behauptet, es gab ein Dreierkollegium, bestehend aus dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, aus dem Generalbevollmächtigten für die Verwaltung, aus dem Chef des OKW.

Können Sie mir hierüber etwas sagen?

GÖRING: Darüber weiß ich nichts.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat Feldmarschall Keitel vorgeworfen, er sei ein politischer General gewesen. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?

GÖRING: Die Generale im Dritten Reich hatten überhaupt keine Berechtigung, politisch aufzutreten. Die einzige Ausnahme in dieser Richtung durch die Eigenart meiner Position war ich, der gleichzeitig Soldat, General war und auf der anderen Seite ebenso stark in die Politik als Politiker eingeschaltet war. Die anderen Generale hatten, wie deutlich vom Führer immer betont wurde, damit nichts zu tun. Der General, der sich am stärksten für die Politik immer interessierte, war der verstorbene Feldmarschall von Reichenau. Das war der Grund, warum der Führer trotz seiner persönlichen Sympathien und der starken Einstellung Reichenaus zur NSDAP abgelehnt hat, ihn nach Fritschs Weggang zum Oberbefehlshaber des Heeres zu machen, weil er keine politischen Generale wünschte.

DR. NELTE: Es läßt sich aber nicht verleugnen, daß in den sogenannten Weisungen mehrfach die politische Zielsetzung bekanntgegeben wurde und daß solche Weisungen und Befehle auch von Keitel unterschrieben waren?

GÖRING: Weisungen waren prinzipiell Führerweisungen, weil sie große Richtlinien enthielten. Die Präambel eines großen Weisungsbefehls war sehr häufig die politische Voraussetzung, damit sich hieraus erklärte, warum der Führer sich zu diesem oder jenem militärischen Vorgehen entschlossen habe. Das hat aber nichts damit zu tun, daß ein General politisch sei.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat nun mehrfach erwähnt, daß der Angeklagte Keitel bei Staatsbesuchen, wie bei Hacha, und bei Ministerempfängen zugegen war, und hat daraus herzuleiten versucht, er sei politischer General.

GÖRING: Wenn der Führer als Staatsoberhaupt fremde Missionen, Staatsoberhäupter oder Regierungschefs empfing, so war es selbstverständlich, daß immer die Chefs seiner wichtigsten Dienststellen zugegen waren, der Chef der Staatskanzlei, oft der Reichskanzlei, je nach dem, wer kam, und der Chef des Oberkommandos, da in den Besprechungen Fragen auftauchen konnten, wo der Führer irgendwelche militärische Unterlagen brauchte. Außerdem war es auch eine gewisse Staffage; wenn bei mir hoher Besuch war, war auch mein Militärstab oder Vertreter des Stabes um mich.

DR. NELTE: Darf ich also sagen, Keitel war anwesend, aber nicht beteiligt an den Besprechungen?

GÖRING: Ob beteiligt oder nicht, jedenfalls nicht von Entscheidung.

DR. NELTE: Beim Besuch des Präsidenten Hacha wurde von der Anklagebehörde erwähnt, daß der Angeklagte Keitel auf den Präsidenten Hacha einen Druck ausgeübt und mit dem Bombardement von Prag gedroht habe?

GÖRING: Ich habe ja gestern gesagt, daß ich das gesagt habe.

DR. NELTE: Das wollte ich nur feststellen.

Nun möchte ich Sie zu dem Komplex der Terrorflieger noch befragen. Erinnern Sie sich, daß etwa Mitte Juni 1944, als die Verhandlungen wegen dieser Frage zwischen den verschiedenen Ressorts waren, am Platterhof Sie mit Feldmarschall Keitel auf Hitler warteten und hierbei über diese Frage gesprochen haben?

GÖRING: Ich kann nicht sagen, ob das am Platterhof war. Aber jedenfalls habe ich mit dem Feldmarschall mehrfach darüber gesprochen.

DR. NELTE: Es ist aber hierbei wichtig, festzustellen, ob der Angeklagte Keitel Sie in dieser Frage angesprochen und Ihnen erklärt hat, er sei gegen den Gedanken der von der Partei gewünschten Lynchjustiz.

GÖRING: Das hat er mehrfach geäußert. Wir waren uns darin einig.

DR. NELTE: Hat der Angeklagte Keitel auch damals Ihnen gegenüber geäußert, daß er eine offizielle Warnung oder Note in dem bekannten Falle Dieppe an die alliierten Regierungen für richtiger halte als die kriegsgerichtlichen Einzelverfahren ohne gerichtliche Beweismöglichkeiten?

GÖRING: Über diesen Punkt wurde meines Erachtens auch mehrfach gesprochen. Ich habe den Standpunkt vertreten, bei den reinen Terrorfliegern, das heißt bei denen, die sich gegen die Befehle ihrer eigenen Vorgesetzten vergehen, gerichtliches Verfahren zu machen. Keitel meinte, das ließe sich schwer auseinanderhalten und durchführen. Zweckmäßiger sei, eine Note an die Alliierten zu richten, daß, wenn das nicht aufhöre, man Maßnahmen treffen müsse. Die Auffassung wurde auch von anderer Seite betont, daß zunächst auf dem Verhandlungswege einzuschreiten wäre.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich hatte bei meinen Beweisanträgen unter anderem eine mir von Göring gegebene Charakteristik des Generalfeldmarschalls Keitel in Aussicht gestellt. Gemäß der Vereinbarung mit der Anklagebehörde in der Sitzung vom 25. Februar 1946 sollte diese Charakteristik, die als Affidavit vorliegt, in Anwesenheit des Zeugen, also Göring, vorgelegt werden dürfen. Es ist mir nunmehr gestattet, diese Ihnen nun schon im Original vorliegende Charakteristik zu verlesen, oder darf ich mich auf sie als Beweismittel beziehen, indem ich sie übergebe? Ich frage deshalb, weil ein Teil derjenigen Beschreibungen, die in diesem Affidavit enthalten sind, schon von diesem Zeugen in dieser Vernehmung zum Ausdruck gebracht wurden.

VORSITZENDER: Auf welches Dokument beziehen Sie sich? Was ist sein Ursprung? Ist es ein Dokument, das von dem Angeklagten Göring verfaßt worden ist?

DR. NELTE: Es ist ein von Göring unterzeichnetes Affidavit, überschrieben: »Charakteristik des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel«. Es ist in meinen Beweisanträgen als Affidavit angekündigt. Vieles, was darin enthalten ist, hat Herr Generalfeldmarschall Göring schon gesagt.

VORSITZENDER: Der Angeklagte Göring sagt unter Eid aus. Deshalb sollte kein Affidavit eingebracht werden. Wenn Sie ihn über den Angeklagten Keitel noch irgend etwas fragen wollen, was er bisher noch nicht beantwortet hat, können Sie das jetzt tun. Es ist unzweckmäßig, eine schriftliche eidesstattliche Erklärung vorzulegen, wenn Sie einen Angeklagten haben, der unter Eid aussagt.

DR. NELTE: In der Sitzung vom 25. Februar 1946 ist dieses genehmigt worden mit der Begründung, es sei eine Abkürzung des Verfahrens, wenn man ein solches Affidavit verlese und der Zeuge dann sage: »Das ist richtig«. Ich habe eine Abschrift aus dem Sitzungsprotokoll hier, wenn sich der Gerichtshof nicht mehr entsinnen sollte.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Ich erhebe nicht Einspruch, weil es sich um etwas Schriftliches handelt, denn ich finde, daß gelegentlich die schriftlichen Zeugenaussagen rascher erledigt werden können als Vernehmungen.

Mein Einwand beruht darauf, daß diese Zeugenaussage uns überhaupt nicht weiterbringt. Sie beginnt:

»Keitel macht den Eindruck einer Militärperson, eines Offiziers der alten Schule.«

Das fuhrt uns nicht weiter. Ich lasse diese Feststellung gelten, er hat auf mich den gleichen Eindruck gemacht. Seine Philosophie ist in der Tat von militärischen Ideen und Gedankengängen beherrscht.

Keitel soll sich selber schildern, wenn wir durchaus eine Schilderung seiner Person haben müssen. Eine Prüfung des Affidavits wird meines Erachtens zeigen, daß es sich hier um Dinge handelt, die schon besprochen worden sind, oder um Dinge, über die kein anderer Zeuge verhört werden sollte. Ich erhebe Einspruch gegen das Schriftstück, weil es keinerlei Beweiswert hat.

VORSITZENDER: Sie wissen, Dr. Nelte, daß alle Entscheidungen über Dokumente, die das Gericht getroffen hat, ausdrücklich nur provisorischer Natur gewesen sind und unter der Bedingung getroffen wurden, über den Wert eines Dokuments bei seiner Vorlage zu entscheiden. Wäre das Schriftstück dem Gerichtshof vorgelegt worden, hätten wir es ansehen können. Der Gerichtshof hat das Dokument nicht gesehen.

Das Dokument scheint, wie Justice Jackson sagt, kein Schriftstück zu sein, das als Beweismittel von Wert ist und da der Angeklagte jetzt unter Eid aussagt, wird der Gerichtshof dieses Dokument nicht zulassen.

DR. NELTE: Herr Präsident! Da das Gericht diese Urkunde überprüft und dadurch festgestellt hat, daß sie unerheblich ist, bin ich mit der Entscheidung einverstanden. Aber es scheint mir, als ob das Gericht diese Urkunde vor der noch nicht...

VORSITZENDER: Wir hindern Sie nicht, an den Zeugen Fragen zu stellen, die von Erheblichkeit sein können, Dokumente von jemand zu lesen, der gleichzeitig als Zeuge aussagt.

DR. NELTE: Ich verzichte auf die Vorlage dieses Affidavits.

DR. THOMA: Rosenberg war bis zum Jahre 1940 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP. Hatte er in dieser Eigenschaft oder sonst persönlich einen Einfluß auf die außenpolitischen Entschlüsse Hitlers?

GÖRING: Ich glaube, daß das Außenpolitische Amt der Partei nach der Machtergreifung überhaupt vom Führer in außenpolitischen Fragen nicht ein einziges Mal gehört wurde und vorher nur geschaffen war, um gewisse außenpolitische Fragen, die innerhalb der Partei auftauchten, zentral zu bearbeiten im einzelnen bin ich über die Arbeitsmethode des Amtes nicht orientiert. Hinzugezogen zu außenpolitischen Entscheidungen nach der Machtübernahme wurde Rosenberg, soviel ich weiß, bestimmt nicht.

DR. THOMA: Sie wissen deshalb wohl auch keine Einzelheiten, ob Rosenberg in der Norwegenfrage einen bestimmenden Einfluß auf Hitler hatte?

GÖRING: Das weiß ich nicht. Ich habe gestern schon ausgesagt, was ich zur Frage Quisling und auch Rosenberg weiß.

DR. THOMA: Ist Ihnen Rosenberg als Ministerpräsident aufgefallen, weil er eine politische oder polizeiliche Kirchenverfolgung befürwortet hat?

GÖRING: Er konnte eine polizeiliche Kirchenverfolgung nicht befürworten, weil er mit der Polizei nichts zu tun hatte und ich mir von ihm nicht hätte hineinreden lassen.

DR. THOMA: Ist Ihnen bekannt, ob Rosenberg Sie um eine Evakuierung der Juden aus Deutschland, unter anderem auch nach Lublin, ersucht hat?

GÖRING: Rosenberg hat mit mir nichts darüber gesprochen.

DR. THOMA: Hai Hitler Ihnen gegenüber seine Zufriedenheit zum Ausdruck gebracht, daß Rosenberg über den damals abgeschlossenen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion mit keinem Wort protestiert hat?

GÖRING: So kann man das nicht ausdrücken, daß Hitler seine Zufriedenheit geäußert hat, denn, wenn Rosenberg protestiert hätte, so hätte Hitler wahrscheinlich seine Unzufriedenheit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.

Er hat aber geäußert, daß auch Rosenberg scheinbar diesen politischen Schritt verstanden habe.

DR. THOMA: Hatte Rosenberg als Minister für die besetzten Ostgebiete einen Einfluß auf den Arbeitseinsatz? Konnte er insbesondere den Arbeitseinsatz der Ostvölker verhindern?

GÖRING: Eine gewisse Zusammenarbeit bezüglich des Arbeitseinsatzes muß zwischen dem Amt Sauckel und den Dienststellen Rosenbergs bestanden haben. Aber in dem Sinne, daß Rosenberg hätte die Anwerbung der Ostarbeiter im Gegensatz zum Befehl des Führers verbieten können, davon kann natürlich gar keine Rede sein.

DR. THOMA: Ist Ihnen bekannt, daß Rosenberg beim Führer wiederholt auch für eine kulturelle Förderung der osteuropäischen Völker, besonders der ukrainischen, vorstellig geworden ist?

GÖRING: Ich war einmal dabei, als Rosenberg von der verschiedenartigen Behandlung der besetzten Ostgebiete und der dort wohnenden Völker sprach und ihrer kulturellen Betreuung. Und soweit ich mich erinnere, ging das Gespräch um die Errichtung oder Weiterführung einer Universität in Kiew. Der Führer sagte in seiner Gegenwart, glaube ich, zu. Und als er raus war, sagte er zu mir: »Der Mann hat auch besondere Sorgen. Es gibt jetzt wichtigere Dinge für uns als Universitäten in Kiew.« Daran erinnere ich mich.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr auf zehn Minuten.