[Hier tritt eine technische Störung ein.]
VORSITZENDER: Sie können fortfahren.
DR. SAUTER: Ich darf vielleicht zuerst die Frage wiederholen, weil sie verschiedentlich nicht verstanden wurde und nicht durchgegangen ist. Meine Frage ist dahin gegangen, ob der Angeklagte Funk in der Zeit, wo er Pressechef der Reichsregierung war, also nach der Machtergreifung, irgendeinen Einfluß auf die Beschlüsse des Reichskabinetts hatte?
GÖRING: Der Reichspressechef hatte keinerlei Einfluß auf die Beschlüsse des Reichskabinetts, denn er hatte eine andere Aufgabe.
DR. SAUTER: Dann wurde Funk Staatssekretär im Propagandaministerium, und da interessiert es mich von Ihnen zu hören, ob er während dieser Funktion irgendwie neben Goebbels hinsichtlich der Propagandapolitik oder Pressepolitik in Erscheinung getreten ist, beziehungsweise, welche Aufgaben, nach Ihrer Kenntnis der Verhältnisse, Funk damals im Ministerium hatte?
GÖRING: Er wurde Staatssekretär, weil das Propagandaministerium als Hauptbestandteil zunächst ja die Presse übernommen hatte, beziehungsweise die Behandlung der Presseangelegenheiten. Die reine Propagandatätigkeit übte von Anfang an Goebbels als gleichzeitiger Propagandaleiter der Partei mit seinen Organen selbst aus. Funk wurde in erster Linie genommen, um rein organisatorisch das Ministerium als solches aufzubauen und besonders wirtschaftliche Dinge der Presse, also Pressewerbung, Pressekäufe, Presseunterstützung und diese Dinge, glaube ich. Da wurde sein Fachwissen in erster Linie eingesetzt.
DR. SAUTER: Als dann Dr. Schacht im November 1937 aus seinen Ämtern ausschied, wurde Funk sein Nachfolger als Reichswirtschaftsminister. Die Ernennung hierzu erfolgte bereits im November 1937. Das Ministerium bekam er aber erst im Februar 1938 übertragen. Können Sie uns sagen, warum das geschah und wer in der Zwischenzeit das Wirtschaftsministerium geleitet hat?
GÖRING: Bei der Behandlung des Vierjahresplans führte ich aus, daß nach Abgang von Minister Schacht ich selbst, obwohl Funk bereits designiert war, vom November 1937 bis Februar 1938, soweit mir erinnerlich, das Wirtschaftsministerium leitete, um den Um- und Einbau der außerhalb des Ministeriums angewandten Wirtschaftsabteilungen des Vierjahresplans organisch wieder in das Wirtschaftsministerium einzuführen, um mich von diesem Ballast zu befreien und dann mit dem Ministerium als solchem meine Weisungen durchzuführen.
DR. SAUTER: Ähnlich, Herr Zeuge, scheint es gewesen zu sein, mit dem Amte des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft. Dr. Schacht, wie ich das doch bemerken darf, war auch aus diesem Amt gleichzeitig mit dem Wirtschaftsministerium ausgeschieden im November 1937. Zu seinem Nachfolger als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft wurde nun Funk überhaupt erst im Jahre 1938 ernannt; worauf ist das zurückzuführen?
GÖRING: Daß er zum Generalbevollmächtigten erst 1938 ernannt wurde, geht daraus hervor, daß er erst 1938 tatsächlich das Wirtschaftsministerium übernommen hat. Nach der alten Regelung war der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft mit dem Reichswirtschaftsministerium identisch. Dies war aber zu diesem Zeitpunkt, wie ich schon vorher sagte, in der letzten Amtsperiode des Ministers Schacht, rein papiermäßig gesehen, denn ich führte aus, von dem Augenblick, als ich den Vierjahresplan aktiv übernahm und ausbaute, war ich ja de facto der eigentliche Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft.
Und ich habe auch vorgeschlagen, diesen abzuschaffen und – wie das häufig ist, bleiben oft Dinge aus rein prestigemäßigen Gründen bestehen, die innerlich gar keinen Wert mehr haben. Der Beauftragte des Vierjahresplans war der alleinige Generalbevollmächtigte für die gesamte deutsche Wirtschaft. Da es nicht zwei geben konnte, stand der andere nur auf dem Papier.
DR. SAUTER: Die Konsequenz, Herr Zeuge, wenn ich diese ziehen darf, das bitte ich mir zu beantworten, wird also wohl die gewesen sein, daß Dr. Funk, sowohl in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft wie auch in seiner Eigenschaft als Reichsbankpräsident, durchaus Ihren Weisungen des Vierjahresplans unterstand. Ist das richtig?
GÖRING: Selbstverständlich hat er nach den Generalvollmachten, die mir gegeben waren, meine wirtschaftlichen Weisungen auf dem Gebiet des Wirtschaftsministeriums und der Reichsbank zu befolgen gehabt. Das war ja auch der Grund dafür, daß der Wechsel eintrat, weil ich mit Herrn Schacht das nicht so konnte und Herr Funk mir gegenüber von Anfang an auf diesem Gebiet eine klare Einstellung hatte. Die Anweisungen oder die Wirtschaftspolitik, die der Reichswirtschaftsminister und der Reichsbankpräsident Funk ausführten, treffen voll und ganz verantwortlich ausschließlich mich.
DR. SAUTER: Herr Zeuge, Sie erinnern sich vielleicht an einen Geburtstagsbrief, den der Angeklagte Funk etwa eine Woche vor Beginn des Polenfeldzugs, ich glaube am 25. August, an Hitler geschrieben und in dem er sich für irgend etwas bedankt hat; und in diesem Brief hat Funk zum Ausdruck gebracht, daß er gewisse Maßnahmen vorbereitet und durchgeführt hat, die im Falle eines Krieges auf dem Gebiet der zivilen Wirtschaft und der Finanzierung notwendig sein würden. An den Brief werden Sie sich erinnern, und er ist schon verlesen worden.
GÖRING: Ja.
DR. SAUTER: Erinnern Sie sich nun, wann Sie mit diesen speziellen Aufgaben den Angeklagten Funk beauftragt haben? Der Brief stammt also, wenn ich das nochmals bemerken darf, ich glaube vom 25. August 1939. Und wann haben Sie diesen Auftrag und die Weisungen dem Angeklagten Funk gegeben?
GÖRING: Genau so wie die militärische Mobilmachung, oder noch besser gesagt, die Mobilmachungsvorbereitungen stets laufende Sem müssen und fortgesetzt sich der politischen Lage, ob sie gespannt oder entspannt ist oder geändert wird, anzupassen haben, so ist das auch nach meinen gestrigen Schlußausführungen mit der Wirtschaft der Fall. Ich habe also auch auf diesem Gebiet durchaus Mobilmachungsvorbereitungen befohlen, und es war die Pflicht sowohl des Reichsbankpräsidenten auf dem Devisen- und finanziellen Sektor wie des Reichswirtschaftsministeriums auf seinem wirtschaftlichen Sektor, alle jene Vorbereitungen zu treffen, die mich in die Lage versetzten, bei Ausbruch eines Krieges auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet die für das deutsche Volk höchstmöglichste Sicherheit zu besitzen. Zu welchem Zeitpunkt genau kann ich nicht sagen, weil dies eine generelle Grundanweisung ist, die jederzeit bestand.
DR. SAUTER: Herr Zeuge, welche Befugnisse zur Erteilung von Weisungen und dergleichen hatte Funk für die Führung der Wirtschaft in den besetzten Gebieten?
GÖRING: Im einzelnen kann ich das hier, oder besser gesagt, kann ich mich heute nicht mehr genau erinnern. Die Generalanweisung bekam er von mir; wie weit er auf Grund nun dieser Generalanweisung im besetzten Gebiet auf seinem Teilgebiet aus diesen Generalanweisungen ressortmäßig Anweisungen und an wen gegeben hat, kann ich nicht speziell umreißen. Sie fußten jedoch immer auf meiner persönlichen Verantwortung.
DR. SAUTER: Ist es richtig, daß der Vierjahresplan in den besetzten Gebieten seine eigenen Bevollmächtigten und Organe hatte, die Ihre Weisungen durchzuführen hatten unter Ausschluß des Angeklagten Funk?
GÖRING: In einem Teil des besetzten Gebiets ist das so gewesen. In anderen habe ich mich der dort vorhandenen Stellen bedient, und wenn ich es für notwendig hielt, habe ich auch dem Wirtschaftsministerium Weisungen gegeben, bezüglich der besetzten Gebiete dieses oder jenes zu veranlassen.
DR. SAUTER: Es wurde dann während des Krieges das Rüstungsministerium geschaffen, ich glaube im Frühjahr 1940. Ist es nun richtig, daß auf dieses Ministerium im Laufe des Krieges in immer stärkerem Maße die Zuständigkeitsgebiete des Reichswirtschaftsministeriums, zum Schluß auch die gesamte zivile Produktion, übergegangen sind, so daß schließlich das Wirtschaftsministerium überhaupt nur mehr ein reines Handelsministerium blieb?
GÖRING: Auf meinen nachdrücklichen Vorschlag rief der Führer ein Munitionsministerium ins Leben unter dem damaligen Minister Todt. Dieses reine Munitionsministerium wurde im Laufe der weiteren Ereignisse zum Rüstungsministerium unter Minister Speer und allmählich wurden mehr und mehr Aufgabengebiete dorthin übertragen. Da die Rüstung im Vordergrund aller Wirtschaft stand und nie gesamte übrige Wirtschaft ausschließlich in Zusammenhang mit diesen vordringlichen Aufgaben gebracht werden mußte, gingen eine Reihe von Aufgabengebieten des Wirtschaftsministeriums an das Rüstungsministerium über, besonders die gesamte Produktion.
Es ist richtig, daß zum Schluß das Wirtschaftsministerium im großen und ganzen ausgehöhlt war und nur ganz untergeordnete Abteilungen behielt.
DR. SAUTER: Dann hätte ich noch eine letzte Frage hinsichtlich des Angeklagten Funk, und zwar eine Frage im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Zentralen Planung, also im Zusammenhang mit der Frage der ausländischen Arbeiter. Da würde mich interessieren, wissen Sie, Herr Zeuge, daß Funk zu den Sitzungen der Zentralen Planung erstmals Ende November 1943 zugezogen wurde, vorher nie? Ist Ihnen das bekannt?
GÖRING: Ich kenne die Einrichtung der Zentralen Planung. In die Internas habe ich mich nicht eingemischt. Ich kann nicht genau sagen, wenn Funk zugezogen wurde. Mit der Anwerbung ausländischer Arbeiter hatte er jedenfalls nichts zu tun.
DR. SAUTER: Dann hätte ich noch ein paar kurze Fragen, wenn der Herr Präsident es gestattet, für den Angeklagten von Schirach.
Herr Zeuge, wissen Sie etwas darüber, ob die sogenannte Flieger-HJ, also eine Unterabteilung der HJ, jemals im Motorflug ausgebildet wurde?
GÖRING: Die Flieger-HJ betrieb ausschließlich den Segelflugsport. Sobald sie ihn abgeschlossen hatte, wurden die Betreffenden in das Nationalsozialistische Fliegerkorps, früher Reichsluftsportverband, übernommen und dort im Motorenflug weiter ausgebildet.
DR. SAUTER: Dann eine weitere Frage: Haben zwischen Ihnen und dem Angeklagten Schirach, insbesondere solange er Reichsjugendführer war, Besprechungen stattgefunden, die sich mit der Frage einer militärischen Ausbildung oder vormilitärischen Ausbildung der Jugend im Fliegen beschäftigt hätten? Haben solche Besprechungen mit Ihnen stattgefunden oder nicht?
GÖRING: Ob wir mal darüber gesprochen haben, gelegentlich, weiß ich nicht. Offizielle Besprechungen brauchten nicht stattfinden, weil die Lage vollständig klar war. Hitler-Fliegerjugend-Segelflug. Sobald sie Motorflug und die ersten fliegerischen militärischen Vorausbildungen bekommen haben, wurden sie in das Fliegerkorps eingereiht.
DR. SAUTER: Herr Zeuge, erinnern Sie sich, wir haben an der Wand einmal ein Schema gesehen über die Zusammensetzung des Reichskabinetts, und auf diesem Schema war an der unteren Seite unter der Bezeichnung »Sonstige Teilnehmer an Kabinettssitzungen« auch aufgeführt der Angeklagte Schirach, neben Bohle, Popitz, Dietrich und Gerecke. Aus diesem Grunde möchte ich nun an Sie die Frage richten, war Schirach jemals Mitglied des Reichskabinetts, oder welche Funktionen oder Rechte hatte er in dieser Beziehung?
GÖRING: Das Reichskabinett als solches bestand ausschließlich aus den Reichsministern. Wir unterschieden zweierlei Arten von Sitzungen, Kabinettssitzungen und Ministerratssitzungen. Bei den Kabinettssitzungen waren anwesend normalerweise die Minister und deren Staatssekretäre, es konnten im Einzelfall, wenn ein Gegenstand besprochen werden sollte, aus dem betreffenden Ressortministerium noch Ministerialdirektoren oder höhere Beamte zu kurzem Vortrag zugezogen werden.
Es gab dann sogenannte oberste Reichsstellen. Eine solche war auch die Reichsjugendführung. Wenn also eine Frage der Reichsjugendführung gesetzgeberisch im Gesamtkabinett hätte durchberaten werden sollen, so konnte seinerseits Schirach als Reichsjugendführer, wenn er davon unterrichtet war, die Bitte stellen, zu dieser Sitzung hinzugezogen zu werden. Auf Grund dieser Anordnung konnte der Chef der Reichskanzlei ihn zu dieser Sitzung befehlen, auf Grund der gleichen vorhin von Ihnen angezogenen Entscheidung. An den normalen laufenden Kabinettssitzungen nahmen diese Vertreter niemals teil. Soweit ich, und ich glaube fast ausschließlich an sämtlichen Sitzungen teilgenommen zu haben, weiß, hat Schirach niemals teilgenommen. Im Gegensatz hierzu standen die Ministerratssitzungen, in denen ausschließlich und allein nur Reichsminister anwesend sein durften, ohne jeden Anhang.
DR. SAUTER: Ich komme dann auf die Zeit nach dem Sturz Mussolinis, als Badoglio die Regierungsgewalt in Italien übernommen hat. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß damals der Angeklagte von Schirach Ihnen ein Telegramm mit gewissen Vorschlägen geschickt hat?
GÖRING: Ja.
DR. SAUTER: Bitte, was hat er vorgeschlagen, und was wollte er erreichen?
GÖRING: Er schlug vor, daß ich dem Führer sagen sollte, er möge einen Wechsel im Außenamt sofort vornehmen, und zwar an Stelle Herrn von Ribbentrops Herrn von Papen berufen.
DR. SAUTER: Und dann eine letzte Frage für den Angeklagten Schirach. Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, an einen anderen Brief, den der Angeklagte Schirach, und zwar meines Wissens im Frühjahr 1943, geschrieben hat? Es war das ein Brief, der veranlaßt war durch ein Schreiben Bormanns, und damit Sie wissen, welchen Brief ich meine, darf ich Ihnen vielleicht kurz den Zusammenhang erklären:
Bormann hat damals, und zwar pro forma, an sämtliche Gauleiter ein Schreiben hinausgehen lassen, wonach die Gauleiter berichten sollten, ob sie irgendwelche Bindungen zum Ausland hätten. Schirach war sich damals darüber klar, daß dieser Brief nur für ihn bestimmt war, denn die anderen Gauleiter hatten keine verwandtschaftlichen Bindungen zum Ausland. Und Schirach hat nun einen Brief geschrieben, den Sie, soviel ich weiß, auch gelesen und auf den hin Sie auch zugunsten Schirachs eingegriffen haben sollen. Sagen Sie uns bitte, was das für ein Brief war, welche Gefahr dem Schirach drohte, und was Sie oder andere Leute getan haben, um diese Gefahr abzuwenden?
GÖRING: Ich muß richtigstellen, ich kenne den Vorgang sehr genau. Dieser Brief Bormanns war nicht an die Gauleiter gerichtet, ob sie selber Auslandsbeziehungen hätten, sondern Bormann richtete auf Befehl des Führers einen Brief an alle Gauleiter, und das war kein Scheinbrief, um nur auf den Gauleiter Schirach Bezug zu nehmen, sondern galt tatsächlich für alle. Sie sollten in ihrem Befehlsbereich ihre Politischen Leiter überprüfen, ob irgendeiner ihrer Mitarbeiter oder Politischen Leiter, die ihnen unterstellt waren, verwandtschaftliche Bindungen und Beziehungen zum Ausland, besonders zum feindlichen Ausland, haben, so daß hieraus die Betreffenden unter Umständen in Gewissenskonflikte kommen könnten oder ihre Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen werden müßte. Das war eine allgemeine Anordnung des Führers, die auch für das Offizierskorps galt, also nicht speziell für den Fall Schirach. Ich war im Hauptquartier als dieser Brief Schirachs eintraf und Bormann den Brief dem Führer übergab. Schirach antwortete, bevor er bezüglich seiner Untergebenen oder Mitarbeiter in dieser Richtung irgend etwas unternehmen könne, müsse er eine Klarstellung des Führers bezüglich seiner eigenen Persönlichkeit hervorrufen, und schilderte nun in dem Brief kurz seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika durch seine Mutter, und schrieb auch in diesem Brief, daß er zu seinen Verwandten dort ein sehr gutes Verhältnis habe, und ob er unter diesen Bedingungen und unter dieser Einstellung noch für den Führer als Gauleiter tragbar sei. Der Führer war zu dieser Zeit schon seit Monaten nicht gut auf von Schirach zu sprechen und hatte wiederholt seine Abberufung als Gauleiter von Wien in Erwägung gezogen. Er sagte bei dieser Gelegenheit, und dadurch kam ich in den Besitz des Briefes, er reichte mir den Brief herüber und sagte: »Schirach scheint sich hier für die Zukunft salvieren zu wollen. Ich habe ein unbestimmtes Mißtrauen.« Daraufhin habe ich sehr klar und eindeutig in Gegenwart Bormanns dem Führer gesagt, daß dies völlig unberechtigt sei und ich seine Einstellung Schirach gegenüber nicht verstünde und Schirach hier doch das einzig Mögliche und Anständige getan habe, bevor er irgendeinen seiner Mitarbeiter oder Untergebenen aus derartigen Gründen entlassen würde, daß er für sich selbst, wo seine Beziehungen ja bekannt waren, eine absolute Klarstellung forderte, etwas anderes bezweckte in meinen Augen dieser Brief nicht.
DR. SAUTER: Es soll dann aber, Herr Zeuge, im Anschluß an diesen Brief von einer anderen Seite noch ein recht eigenartiger Vorschlag über das weitere Vorgehen gegen Schirach gemacht worden sein.
GÖRING: Mir ist bekannt, daß Bormann und Himmler gegen Schirach waren. Ob sie diesem Brief eine ganz andere Auslegung geben wollten, um den Führer zu veranlassen, Schirach abzuberufen und auszuschalten, wie weit der Antrag Himmlers hier ging, ob auch eine Sicherungsverwahrung in Frage kam, weiß ich nicht mehr genau, aber das hörte ich später von anderer Seite.
DR. SAUTER: Ich habe sonst keine weiteren Fragen mehr, danke sehr.
FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Herr Reichsmarschall, wann haben Sie Admiral Dönitz kennengelernt?
GÖRING: Ich habe zum ersten Male Großadmiral Dönitz in seiner Eigenschaft als Admiral und Befehlshaber der U-Boote im Laufe des Krieges, soweit ich mich erinnere war es 1940, kennengelernt bei einer Besprechung in meinem Sonderzug, ich glaube es war in Frankreich.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Handelte es sich um militärische oder politische Fragen?
GÖRING: Es handelte sich um rein militärische Fragen, und zwar wie weit die Luftwaffe jetzt und für die Zukunft Aufklärungsergebnisse an die U-Boote im Atlantik geben könnte. Der damalige Admiral beklagte sich darüber, daß die Aufklärung nicht lückenlos und zu schwach wäre und bat mich dringend, dieselbe zu verstärken und, soweit ich mich noch genau erinnere, bis mindestens zum 30. Grad vorzutreiben.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie vor der Ernennung des Admirals Dönitz zum Oberbefehlshaber im Jahre 1943 weitere Konferenzen mit ihm gehabt?
GÖRING: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie als Oberbefehlshaber der Luftwaffe sogenannte Seenotflugzeuge eingesetzt zur Rettung von abgeschossenen Fliegern im Kanal?
GÖRING: Es waren mehrere Staffeln Seenotflugzeuge im Kanal eingesetzt, und zwar zur Rettung von Fliegern, die im Kanal abgesprungen waren, um, wie der Befehl eindeutig nachweist, sowohl deutsche als auch feindliche Flieger herauszufischen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie sahen diese Flugzeuge aus?
GÖRING: Die Flugzeuge waren, soweit mir noch erinnerlich, zunächst besonders gekennzeichnet mit dem Roten Kreuz.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren sie bewaffnet?
GÖRING: Zunächst nicht.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie wurden diese Flugzeuge von englischer Seite behandelt?
GÖRING: Es gab einige Fälle, wo sie unbelästigt blieben, aber es gab eine ganze Reihe von Fällen, wo sie bei der Rettungsaktion abgeschossen wurden. Das zwang schließlich dazu, weil diese Fälle überhand nahmen, daß ich sagte, es ist dann zweckmäßiger, auf die Kennzeichnung des Roten Kreuzes zu verzichten, die Flugzeuge zu bewaffnen und dann den Versuch zu machen, so unsere Kameraden trotzdem aus dem Wasser zu holen. Wir haben außerordentliche Verluste in diesen Seenotstaffeln gehabt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie im Kanal auch Rettungsbojen verankern lassen zur Aufnahme abgeschossener Flieger?
GÖRING: Es wurde eine ganze Reihe von Rettungsbojen verankert, an welchen sich abgeschossene Flieger durch lange Seile, die daran befestigt waren, anklammern konnten beziehungsweise enthielten die Bojen auch Getränke und Lebensmittel und ähnliches, auch Schwimmwesten, Rettungsgürtel und ähnliches. Daneben waren vergrößerte, möchte ich sagen, Rettungsbojen. Es waren dies kleine Floße, auf welche sich die Flieger aufziehen konnten. Dort fand er ebenfalls Decken, Getränke, Verbandszeug und ähnliches.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie wurden diese Rettungsbojen von englischer Seite behandelt?
GÖRING: Verschiedentlich. Wenige blieben, andere wurden vernichtet.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ist alles.
PROF. DR. EXNER: Herr Zeuge, wissen Sie, daß es besonders im Jahre 1942 zu einem schweren Konflikt zwischen dem Führer und dem Generaloberst Jodl kam?
GÖRING: Ja.
PROF. DR. EXNER: Wissen Sie, daß damals Jodl sogar abgelöst werden sollte?
GÖRING: Der Konflikt entstand aus der Kaukasuskrise. Der Führer machte dem General Jodl Vorwürfe, daß nicht mit konzentrierten Kräften in Richtung Tuapse durchgestoßen wurde, sondern Hochgebirgsbataillone aus den Flankentälern über die hohe Gebirgskette des Elbrus vorgingen, was der Führer für sinnlos hielt. General Jodl verwies ihn damals, soweit mir erinnerlich, daß dieses mit ihm aber besprochen gewesen sei und von ihm genehmigt worden wäre. Der Führer griff sehr scharf den Armeeoberbefehlshaber, der dort führte, an. Jodl deckte ihn auf Grund dieser Nachweise, und es kam zu einer außerordentlich scharfen Spannung. Der Führer äußerte mir gegenüber, daß er Jodl ablösen wollte. Die Spannung war so stark, daß von diesem Augenblick, soweit mir erinnerlich, der Führer sich von dem gemeinsamen Kasino seines Führungsstabes und Oberkommandos zurückzog und auch bei den Mahlzeiten für sich allein blieb, und zweitens, daß er auch eine ganze Zeitlang, für mehrere Monate, den Herren verweigerte, die Hand zu geben. Das als Kleinigkeit nebenbei für die große Spannung, die damals entstand. Als Nachfolger Jodls war bereits Herr Paulus ausersehen worden, zu dem der Führer besonderes Vertrauen hatte. Warum es dann schließlich nicht zu dem Wechsel kam, weiß ich nicht genau. Ich nehme an, daß auch hier wieder, trotz aller Spannungen beim Führer, entschied, daß er sich außerordentlich schwer an neue Gesichter gewöhnte und aus seiner näheren Umgebung keinen Wechsel vornehmen wollte. Lieber arbeitete er weiter mit Männern zusammen, die er nicht mochte, wenn sie aus seiner direkten Umgebung waren, wie sie zu wechseln. Im Laufe der Jahre stieg dann selbstverständlich sein Vertrauen zu dem taktischen Können Jodls wieder erheblich, und zu diesem taktischen Können hatte er volles Vertrauen. Menschlich waren die Beziehungen beider Herren nie besonders gewesen.
PROF. DR. EXNER: Sie wissen, Herr Zeuge, daß besonders im Jahre 1945 erwogen wurde, die Genfer Konvention zu kundigen. Wissen Sie, wie sich Jodl damals dazu stellte?
GÖRING: Es mag im Februar 1945 gewesen sein, als der Minister Goebbels dem Führer diesen Vorschlag machte. Diesem Vorschlag wurde einhellig von uns allen mit lebhaftem Widerspruch begegnet. Trotzdem war der Führer tagelang immer wieder geneigt und kam immer wieder darauf zurück, sie zu kündigen, und zwar war die Begründung eigenartigerweise die, daß im Westen zuviel Überläufer waren und sich die Truppen zu leicht ergeben würden. Der Führer war nun der Meinung, daß, wenn die Truppen wüßten, daß ihnen in der Gefangenschaft die Genfer Konvention nicht zur Verfügung stände, sie härter kämpfen würden und nicht auf sehr umfangreiche Feindpropaganda, wie gut sie es haben sollten, falls sie den Kampf einstellten, eingehen würden. Es gelang den vereinten Bemühungen, an denen Jodl selbstverständlich ebenso teilnahm, den Führer davon abzuhalten, und zwar mit der Begründung, daß dieses im deutschen Volke eine große Erregung bringen würde und Sorge um die sich in der Kriegsgefangenschaft befindenden Angehörigen.
PROF. DR. EXNER: Und noch eine Frage. Vor dem Norwegenfeldzug hat Jodl einmal in seinem Tagebuch eingetragen, es ist schon hier gelegentlich zur Sprache gekommen: »Der Führer sucht noch nach einer Begründung.« Die Übersetzung lautete: »Der Führer sucht nach einer Ausrede.« Das ist aber unrichtig. Im Original steht: »nach einer Begründung«. Nun, inwiefern suchte der Führer damals nach einer Begründung?
GÖRING: An diesen Punkt erinnere ich mich ebenfalls sehr genau, und deshalb kann ich unter Eid sagen, daß eine Gleichstellung des Begriffes »Begründung« gleich »Ausrede« hier überhaupt nicht angebracht ist. Der Fall war folgender: Der Führer wußte genau, und wir mit ihm, und hatten ziemlich umfangreiche Nachrichten und begründet sichere Nachrichten, daß Norwegen von seiten der Alliierten England und Frankreich besetzt werden sollte. Ich führte das neulich schon aus. Zur Abwehr dieses wollte er vorher handeln, und nun sprach er darüber, daß die Begründung des englisch-französischen Angriffs für uns klar wäre, aber die Beweiskraft nach außen nicht, und er suche noch nach Unterlagen. Jodl hätte besser geschrieben, nicht »der Führer sucht noch nach einer Begründung«, sondern er hätte, der Führermeinung entsprechend, schreiben müssen: »Der Führer sucht noch nach Unterlagen, Beweisunterlagen«, die wir an sich hatten, »für die Beweiskraft nach außen«. Das war das eine. Das zweite war, daß im allgemeinen für solche Schritte das Auswärtige Amt die nötigen vorbereitenden Arbeiten durchzuführen und Noten zu entwerfen hatte. In diesem Falle »Norwegen« hatte nun der Führer das Auswärtige Amt erst, ich glaube 24 oder 48 Stunden vorher, eingeschaltet. Er wollte es zu dieser Zeit überhaupt nicht einschalten, weil er diesen ganzen Plan außerordentlich geheim hielt. Ich erinnere daran, daß ich, als der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, verspätet eingeschaltet wurde. Und das war der zweite Grund, daß er nun selbst sich damit befaßte, eine Begründung für den Tag des Angriffs herauszugeben. Das waren die beiden Momente. Ich möchte noch einmal sagen, daß besser hineingeschrieben, klarer ausgedrückt worden wäre, wenn man gesagt hätte, der Führer sucht nach den Unterlagen und nicht nach der Begründung.
PROF. DR. EXNER: Wenn ich recht verstehe, meinen Sie, nach den Unterlagen für die Überzeugung, daß die Engländer die Absicht hatten, unmittelbar Norwegen zu besetzen.
GÖRING: Wir hatten die Meldung, aber das letzte schriftliche Beweisstück haben wir erst später bekommen.
PROF. DR. EXNER: Also der Führer zweifelte nicht daran?
GÖRING: Keinen Augenblick, es zweifelte niemand von uns daran. Wir haben später die Beweisstücke bekommen.
DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG:
Ist es richtig, daß Hitler Sie ermächtigt hatte, alle Verhandlungen zu führen zwecks Bildung einer Regierung Hitler, wie sie dann am 30. Januar 1933 zustande gekommen ist, und zwar, daß Sie allein hierfür beauftragt worden sind?
GÖRING: Das ist richtig. Ich habe es neulich ausgeführt.
DR. KUBUSCHOK: Ist es richtig, daß im Januar 1933 Sie zum ersten Male mit Herrn von Papen über eine Regierungsbildung gesprochen haben?
GÖRING: Ich habe zum ersten Male mit Papen am Sonntag vor der Regierung... oder besser gesagt, am Sonntag vor acht Tagen vor der Regierungsbildung gesprochen, im Hause Ribbentrop.
DR. KUBUSCHOK: Wenn also Papen zwischen dem 4. Januar, am Tage der Zusammenkunft mit Hitler im Hause des Barons Schröder, bis zum 22. Januar Verhandlungen über eine Regierungsbildung geführt hätte, so hätte er sie über Sie führen müssen, und Sie müßten es wissen?
GÖRING: Das ist richtig, da der Führer in dieser Zeit in München weilte und ich in Berlin die einzige Autorität für diese Regierungsbildung war. Zudem trat anfangs Januar noch durchaus nicht erkenntlich hervor, daß in absehbarer Zeit eine Regierung von uns in diesem Sinne hätte gebildet werden müssen. Es schwebten da andere Verhandlungen, die mit Herrn von Papen nichts zu tun hatten.
DR. KUBUSCHOK: War die Bildung einer neuen Regierung damals für Hindenburg Mitte Januar deswegen unvermeidlich geworden, weil Schleicher keinerlei parlamentarischen Rückhalt hatte und damals seine Bemühungen endgültig scheiterten, durch Spaltung der Nationalsozialistischen Partei, Verhandlung mit Gregor Strasser, einen parlamentarischen Rückhalt zu erhalten?
GÖRING: Ich glaube, das auch in großen Zügen schon ausgeführt zu haben, daß Schleicher keine parlamentarische Mehrheit bekam und bei seinem Spaltungsversuch dadurch scheiterte, daß von seiten des Führers Strasser raschestens ausgeschlossen wurde und keine Gefolgschaft hinter sich an Abgeordneten tatsächlich besaß. Nach Scheiterung dieser Möglichkeit, eine Mehrheit zu bekommen, mußte Schleicher regieren ohne das Parlament, und das konnte er nur mit außerordentlichen Vollmachten Hindenburgs. Nachdem er ihm vorher gesagt hatte, daß er imstande sein würde, eine Mehrheit zu bekommen und dieselbe Vollmacht, die das vorhergehende Kabinett Papen für sich forderte, für unmöglich hielt, lehnte dies der Reichspräsident ab und entschloß sich nunmehr das zu tun, was ich neulich ausgeführt habe.
DR. KUBUSCHOK: Ist es zutreffend, daß Herr von Papen das Ministerpräsidium in Preußen am 20. April 1933 an Sie abgetreten hat, weil durch die Wahlen zum Preußischen Landtag vom März 1933 die Nationalsozialisten eine absolute Mehrheit in Preußen erlangt hatten und daher der Landtag beabsichtigte, Sie, Herr Zeuge, als Ministerpräsident zu wählen?
GÖRING: Ganz so trifft es nicht zu, denn der Preußische Landtag hatte keinen Ministerpräsidenten zu dieser Zeit zu wählen. Aber die Tatsache, daß im Preußischen Landtag die NSDAP die absolute Mehrheit hatte, bewog Herrn von Papen im Zusammenhang mit meinen Besprechungen in München, von sich aus an den Führer heranzutreten, daß er einverstanden wäre, das Preußische Ministerpräsidium an mich abzugeben.
DR. KUBUSCHOK: Eine letzte Frage: Sie sprachen gestern davon, daß Sie, als Oberster Kriegsherr der Luftwaffe, viele Begnadigungen vorgenommen hätten von Personen, die in Belgien und Frankreich wegen ihrer Widerstandshaltung verurteilt worden waren. Ist es richtig, daß Herr von Papen verschiedentlich Wünsche von Angehörigen derartiger Verurteilter an Sie herangetragen hat, und daß er dieses damit begründete, daß er zum Ziele einer späteren Solidarität der Völker es nicht haben wolle, daß durch die. Urteile, wenn sie auch militärisch begründet seien, eine unpersönliche Haltung eintrete, und daß Sie diesen Wünschen des Herrn von Papen Rechnung getragen haben?
GÖRING: Ich erinnere mich lediglich, daß ich einige Male, ein Fall ist mir besonders in Erinnerung, weil es einen bekannten Namen behandelte, von Herrn Papen eine Bitte bekam, ob der Betreffende nicht begnadigt werden könnte. Es handelte sich hierbei um solche Leute, die verurteilt worden waren, weil sie feindlichen Fliegern zur Flucht weitergeholfen hatten. Ich habe in diesem Falle den Wunsch des Herrn von Papen weitgehend respektiert. Die Gründe sind mir nicht mehr so geläufig.
DR. WALTER BALLAS, IN VERTRETUNG VON DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Ich bitte den Gerichtshof, mir einige Fragen an den Zeugen Göring zu gestatten. Es handelt sich um die bekannten Telephongespräche, die am 11. März 1938 zwischen Berlin und Wien geführt worden sind. Ist es richtig, Herr Zeuge, daß Dr. Seyß-Inquart, als er im Juni 1937 zum österreichischen Staatsrat ernannt worden war, Sie in Berlin in Begleitung von Staatssekretär Keppler besucht hat?
GÖRING: Auf das Datum besinne ich mich nicht, auf den Besuch, ja.
DR. BALLAS: Hat Dr. Seyß-Inquart damals die Idee geäußert, die österreichischen Nationalsozialisten sollten von der Reichspartei völlig unabhängig gemacht werden?
GÖRING: Wünsche in dieser Richtung sind von ihm besprochen worden, weil er eine möglichst reibungslose Arbeit für sich im Kabinett haben wollte und die wohl daraus ersah.
DR. BALLAS: Damals hat er weiter geäußert, und ich möchte Sie bitten, zu antworten, ob das richtig ist, dafür sollten die österreichischen Nationalsozialisten in Österreich die Betätigungserlaubnis erhalten, um das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland im Rahmen eines selbständigen Österreichs möglichst eng zu gestalten.
GÖRING: Über die Parteiseite erinnere ich mich nicht mehr so genau, was gesprochen wurde. Die These, Österreich selbständig im Zusammenhang mit Deutschland zu erhalten, ist von Seyß-Inquart wiederholt vertreten worden, und ich habe das neulich ja geschildert. Es schien mir persönlich nicht weitgehend genug. Gerade, weil ich diese Einstellung Seyß-Inquarts kannte, muß ich offen sagen, mißtraute ich etwas in den Tagen des 11. zum 12. März seiner Haltung und habe deshalb an jenem Spätnachmittag, wo die Telephongespräche stattfanden, Keppler nach Wien geschickt, damit in dieser Richtung, bezüglich des Anschlusses, die Dinge richtig laufen. Ich hätte lieber einen anderen geschickt, weil mir auch Herr Keppler zu weich war, aber der Führer wünschte in diesem Falle: Wenn, dann Keppler.
DR. BALLAS: Ist es richtig, daß Dr. Seyß-Inquart unter anderem seinen Standpunkt damit begründet hat, daß er auf den Vorteil verwies, wenn die deutschen Interessen von zwei Staaten vertreten würden?
GÖRING: Das ist absolut richtig, daß er das gesagt hat. Ich antwortete ihm, daß ich total anderer Ansicht sei, es wäre mir lieber, der deutsche Standpunkt würde von einer Seite umso energischer vertreten, als von zwei, wo man nicht sicher wäre, ob der andere sie genau so vertritt.
DR. BALLAS: Haben Sie mit Dr. Seyß-Inquart am 11. März 1938 oder am Tage vorher eine andere telephonische oder sonstige Verbindung gehabt?
GÖRING: Soweit ich mich erinnere, aber ich kann dies nicht mit Sicherheit sagen, habe ich, glaube ich, am Sonntag vorher, diese Telephongespräche waren am 11., das war ein Freitag, habe ich am Montag oder Dienstag vorher ihn selbst oder einen seiner Leute nach dem Eindruck gefragt, den sie in Graz und Steiermark bekommen hätten. Das ist mir vage in Erinnerung, aber ich kann es nicht unter Eid behaupten.
DR. BALLAS: Aus der von der Anklage vorgelegten Urkunde 2949-PS, in der die Telephongespräche zwischen Berlin und Wien in dem kritischen März 1938 enthalten sind, ergibt sich, daß erst im Gespräch zwischen Dr. Dietrich und dem Staatssekretär Keppler, der damals in Ihrem Auftrag in Wien war, und das um 21.54 Uhr abends geführt wurde, an diesem Tage, das Einverständnis von Dr. Seyß-Inquart mit dem Telegramm, das Sie bereits vorher diktiert hatten, von Keppler mitgeteilt worden. War zu dieser Zeit der Einmarschbefehl schon gegeben?
GÖRING: Ich habe das neulich ausgeführt. Der Einmarschbefehl war gegeben und hatte mit dem Telegramm an sich nichts zu tun. Es war auch gleichgültig, ob er einverstanden war oder nicht. Die Verantwortung für den Einmarsch trugen der Führer und ich.
DR. BALLAS: Dann ist es also richtig, daß der Einmarsch auch ohne das Telegramm erfolgt wäre?
GÖRING: Nun selbstverständlich.
DR. BALLAS: Welchen Zweck hatte dann dieses Telegramm, etwa außenpolitischer Art?
GÖRING: Das habe ich in aller Ausführlichkeit hier ausgeführt.
DR. BALLAS: Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, daß in der Nacht vom 11. auf den 12. März Staatssekretär Keppler im Namen von Dr. Seyß-Inquart in Berlin mit der Bitte angerufen hat, den Einmarsch nicht durchzuführen?
GÖRING: An dieses Telegramm erinnere ich mich mit aller Deutlichkeit, denn ich war außerordentlich wütend, daß ein solch dummes Telegramm, nachdem alles klar war, die Nachtruhe des Führers, der sehr angestrengt war und am nächsten Tag nach Österreich gehen sollte, gestört hätte, und ich deshalb dem Adjutanten außerordentliche Vorwürfe machte und ihn darauf hinwies, daß ein solches Telegramm hätte an mich weitergeleitet werden sollen. Aus diesem Umstand erinnere ich mich genau an dieses Telegramm und auch an seine völlige Zwecklosigkeit.
DR. BALLAS: Mit dem Ergebnis dann, daß der Führer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dieses Telegramm rundweg abgelehnt hat.
GÖRING: Er konnte es ja gar nicht mehr ablehnen, weil der ganze Truppeneinmarsch bereits rollte. Man kann so etwas nicht abstoppen auf eine Stunde. Rollt einmal ein Truppenaufmarsch ab, so braucht man Tage, bis man ihn abstoppen kann. Wir hätten höchstens den Einmarsch bei einer bestimmt erreichten Grenze aufhalten können. Es lag aber ja, wie ich ausführte, gar nicht in unserem Interesse. Von diesem Augenblick an hielt auch nicht Dr. Seyß-Inquart das Schicksal in Händen, sondern der Führer und mit ihm ich.
DR. BALLAS: Ich habe nur noch zwei Fragen mit Bezug auf die Niederlande. Ist es richtig, daß neben dem Befehl des Führers, der am 18. Mai 1940 veröffentlicht wurde und Dr. Seyß-Inquart zum Reichskommissar der Niederlande ernannte, ein nichtveröffentlichter Befehl des Führers erlassen wurde, der Dr. Seyß-Inquart direkt Ihnen unterstellte?
GÖRING: Von diesem geheimen Befehl weiß ich nichts. Ich weiß auch nicht...
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die Frage langsamer stellen? Sie sehen doch, daß das Licht aufleuchtet.
DR. BALLAS: Ich habe verstanden.
Hatte der Vierjahresplan in den Niederlanden eine eigene und selbständige Dienststelle?
GÖRING: Ich habe die erste Frage noch nicht beantwortet. Ich habe es so verstanden, daß Sie diese Frage nochmals stellen sollten, weil sie nicht durchgekommen war.
DR. BALLAS: Ich habe das Gericht so verstanden...
GÖRING: Ich gebe Ihnen jetzt die Antwort. Von diesem geheimen Befehl weiß ich nichts. Es wäre auch unsinnig gewesen, denn ein Reichskommissar in den besetzten Gebieten konnte mir nicht gesondert unterstellt werden. Wenn es sich aber um die Unterstellung auf wirtschaftlichem Gebiet handelt, dann wäre es selbstverständlich, daß der Reichskommissar, wie alle anderen obersten Reichsstellungen, meinen Befehlen und Weisungen auf diesem Gebiet selbstverständlich unterstand.
Zu Ihrer zweiten Frage kann ich sagen, im einzelnen weiß ich heute nicht, ob in besetzten Gebieten, also auch in den Niederlanden, da und dort ein unmittelbarer Vertreter des Vierjahresplans war, oder ob ich mich des Militärbefehlshabers oder der wirtschaftlichen Dienststelle des betreffenden Reichskommissars bediente. Soweit mir jetzt, ohne Unterlagen, erinnerlich ist, war aber in den Niederlanden die Situation so, daß der dortige Wirtschaftsberater oder Beauftragte des Reichskommissars, Fischböck, gleichzeitig, was ja logisch war, die wirtschaftlichen Anordnungen des Vierjahresplans durchführte. Der Reichskommissar wäre ja niemals in der Lage gewesen, von mir ausgegebene Befehle nicht auszuführen. Er konnte ja nur bei mir vorstellig werden, äußerstenfalls dann noch beim Führer. Aber an sich hatte dies keine aufschiebende Wirkung.
DR. BALLAS: Ich habe keine Frage mehr.
VORSITZENDER: Das Gericht vertagt sich nun.