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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, wissen Sie noch, was Sie über die Beziehungen zwischen Ihnen und dem Führer zu sagen hatten? Ich möchte Ihre eigene Aussage hierzu verlesen:

»Der Haupteinfluß auf den Führer – wenn ich überhaupt von Einfluß auf den Führer reden darf – war, daß ich bis Ende 1941 oder Anfang 1942 diesen Einfluß hatte. Dann ließ mein Einfluß bis 1943 langsam nach und von 1943 an immer mehr und schneller. Insgesamt glaube ich, daß außer mir nicht irgend jemand auch nur einen ähnlichen Einfluß auf den Führer hatte, wie ich.«

Das ist Ihre Ansicht zu diesem Punkte?

GÖRING: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, daß Sie dem Gerichtshof erklärt haben, daß Ihre Treue dem Führer gegenüber bis zum Schluß nicht zu erschüttern gewesen sei. Ist das richtig?

GÖRING: Das ist richtig.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie immer noch Hitler rechtfertigen und glorifizieren, nachdem er den Mord der fünfzig jungen Fliegeroffiziere von Stalag Luft III anbefohlen hatte?

GÖRING: Ich habe weder den Führer Adolf Hitler zu rechtfertigen noch zu glorifizieren, sondern ich habe nur zu betonen, daß ich ihm meine Treue gehalten habe, denn ich halte es nicht für richtig, nur in guten Tagen, wenn man seinen Eid gegeben hat, die Treue zu halten, sondern es ist sehr viel schwerer, diese Treue dann auch in schweren Tagen zu halten.

Ich bin ihm aber, wenn Sie auf diese fünfzig Flieger anspielen, niemals so klar und scharf gegenübergetreten, wie gerade in dieser Sache und habe ihm in dieser Sache meine Auffassung gesagt. Es hat dann monatelang daraufhin überhaupt kein Gespräch mehr zwischen dem Führer und mir stattgefunden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Führer muß doch auf jeden Fall genau gewußt haben, was in Bezug auf die Konzentrationslager, die Behandlung der Juden und die Behandlung der Arbeiter geschah, nicht wahr?

GÖRING: Ich deutete vorhin an, daß es meine Meinung ist, daß der Führer über Einzelheiten in den Konzentrationslagern, über die hier geschilderten Grausamkeiten, nicht unterrichtet gewesen ist; so wie ich ihn kenne, glaube ich das jedenfalls nicht. Was aber zwischen ihm...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich frage nicht nach Einzelheiten, ich frage Sie wegen des Mordes von vier oder fünf Millionen Menschen. Wollen Sie mir sagen, daß keiner der Machthaber in Deutschland, außer Himmler und vielleicht Kaltenbrunner, davon Kenntnis hatte?

GÖRING: Ich bin nach wie vor der Meinung, daß über solche Zahlen der Führer nicht Bescheid gewußt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, erinnern Sie sich, was Herr Dahlerus über die Beziehungen zwischen Ihnen und Hitler auf Seite 53 in seinem Buch geschrieben hat?

»Von Anfang unserer Besprechung an war ich durch sein Benehmen gegenüber Göring, seinem intimsten Freund aus den Jahren des Kampfes, sehr unangenehm berührt. Sein Wunsch, zu dominieren, war verständlich, aber eine so kriecherische Unterwürfigkeit, wie sie Göring jetzt zur Schau trug, von seinem nächsten Mitarbeiter zu verlangen, erschien mir verabscheuungswürdig und abstoßend.«

Mußten Sie sich so Hitler gegenüber verhalten?

GÖRING: So mußte ich mich nicht gegenüber Hitler verhalten, so habe ich mich nicht gegenüber Hitler verhalten, das sind feuilletonistische Äußerungen des Herrn Dahlerus, geschrieben nach dem Kriege. Wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte, würde diese Darstellung sicherlich in dem Buche eine ganz andere sein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Dahlerus war Ihr Zeuge.

GÖRING: Herr Dahlerus wurde nicht als Zeuge über seine Auffassungen in feuilletonistischen Ausdrücken gefragt, sondern ausschließlich über die Tatsachen, die er zwischen mir und der Englischen Regierung als Kurier durchzuführen hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Am Dienstag letzter Woche ließ der Angeklagte General Bodenschatz als Zeugen vorladen, der ganz allgemein über seinen Charakter und seinen Ruf aussagte. Daher bin ich meines Erachtens berechtigt, ihm einen Bericht des Angeklagten Raeder über seinen Charakter und allgemeinen Ruf vorzulegen.

Auf Grund der englischen Gerichtsprozeßordnung stelle ich hiermit meinen diesbezüglichen Antrag.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich widerspreche der Verlesung dieses Dokuments. Es erscheint mir bedeutend einfacher zu sein, den Großadmiral Raeder, der ja hier an Ort und Stelle ist, als Zeugen zu vernehmen über seine Äußerung. Wir werden dann auch in der Lage sein, im Kreuzverhör festzustellen, ob und in welchem Umfang er an dieser angeblichen Äußerung festhält.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich muß dieses Kreuzverhör vornehmen, um dem Angeklagten zum Antworten Gelegenheit zu geben. Der Angeklagte Raeder kann seine Erklärung geben, wenn er selber am Zeugenstand erscheint.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte sich gerne das Dokument ansehen, bevor es dem Angeklagten vorgelegt wird.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dies ist die englische Übersetzung, ich werde Dr. Stahmer das deutsche Dokument zeigen.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich darf darauf hinweisen, daß der Schriftsatz kein Datum trägt, und man weiß nicht, wann und wo es gefertigt ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es trägt die Unterschrift des Angeklagten Raeder.

DR. STAHMER: Wann und wo wurde es entworfen? Die Unterschrift von Raeder ist mir nicht bekannt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das Datum steht in Raeders Handschrift wie auch seine Unterschrift, 27. Juli. Ich glaube, es ist 1945. Jede Seite des Dokuments ist von dem Angeklagten Raeder unterzeichnet.

VORSITZENDER: Sir David! Sie sagen, daß der Angeklagte seinen Leumund durch den Zeugen Bodenschatz unter Beweis gestellt hat?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden sich erinnern, Herr Vorsitzender, daß Dr. Stahmer ihn nach der gesellschaftlichen Stellung Görings befragte. Er hat daraufhin die diesbezüglichen Aussagen über seinen damaligen Charakter, seine Güte und andere gute Eigenschaften gemacht. Ich stelle fest, daß auch Dr. Stahmer als Beweisstück weiteres Beweismaterial bezüglich des Charakters in Form einer Erklärung eines gewissen Hermann Winter vorbereitet hat.

VORSITZENDER: Wäre es nicht angebracht gewesen, da die Absicht bestand, das Dokument als Beweismaterial vorzulegen, es Bodenschatz zu unterbreiten, der die Aussage machte?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, die Regel ist: Wenn der Angeklagte seinen Charakter unter Beweis zu stellen wünscht, darf er einem Kreuzverhör über seinen Charakter und Leumund unterzogen werden; es ist selbstverständlich gestattet, einen Zeugen hierüber zu vernehmen.

DR. STAHMER: Darf ich dazu folgendes sagen?: Ich habe Bodenschatz nicht als Leumundszeugen aufgerufen, habe ihn auch nicht als Leumundszeugen über Göring gehört, sondern ich habe ihn über bestimmte Tatsachen, über bestimmte Vorgänge gehört, aus denen Bodenschatz nachher bestimmte Schlüsse gezogen hat. Es wäre nach meiner Auffassung erforderlich gewesen, diese Vorbehalte zu machen, als Bodenschatz hier war, denn diese Aussagen könnten dazu verwertet werden, um nachzuweisen, daß Bodenschatz die Unwahrheit gesagt hat und nicht, daß Göring die Unwahrheit gesagt hat. Für diesen Beweis hätte das Dokument verwendet werden müssen bei der Vernehmung von Bodenschatz; dann wären wir in der Lage gewesen, auch darüber Bodenschatz zu hören.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er kann natürlich General Bodenschatz zurückbringen und ihm das Dokument vorlegen lassen. Ich betrachte mich jedoch als berechtigt, es dem Angeklagten vorzulegen, der das Leumundszeugnis beantragt hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber beraten.